C-209/01 - Schilling und Fleck-Schilling
Printed via the EU tax law app / web
Arrêt de la Cour
Rechtssache C-209/01
Theodor Schilling und Angelika Fleck-Schilling
gegen
Finanzamt Nürnberg-Süd
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)
«Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Beamte und sonstige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften – Beibehaltung des steuerlichen Wohnsitzes im Herkunftsmitgliedstaat – Einkommensteuer – Abzug von Aufwendungen für eine Haushaltshilfe»
|
Schlussanträge des Generalanwalts A. Tizzano vom 6. März 2003 |
| | |
| | | |
|
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 13. November 2003 |
| | |
| | | |
Leitsätze des Urteils
- Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Personen, die ihren Herkunftsstaat verlassen haben, um als Beamte der Europäischen Gemeinschaften in einem anderen Mitgliedstaat
zu arbeiten – Aufwendungen für eine Haushaltshilfe im letztgenannten Staat – Steuerlicher Wohnsitz im Herkunftsstaat – Abzug dieser Aufwendungen von ihren steuerpflichtigen Einkünften – Versagung – Unzulässigkeit
(EG-Vertrag, Artikel 48 [nach Änderung jetzt Artikel 39 EG]; Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen
Gemeinschaften, Artikel 14)Es verstößt gegen Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) in Verbindung mit Artikel 14 des Protokolls über
die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften, wenn aus Deutschland stammende Beamte der Europäischen Gemeinschaften,
die in Luxemburg wohnen, wo sie als Beamte tätig sind, und denen in diesem Mitgliedstaat Aufwendungen für eine Haushaltshilfe
entstanden sind, diese Aufwendungen nicht von ihren in Deutschland steuerpflichtigen Einkünften absetzen dürfen, weil die
Beiträge für die Haushaltshilfe nicht an die deutsche gesetzliche Rentenversicherung, sondern an die luxemburgische Rentenversicherung
entrichtet worden sind.vgl. Randnr. 44 und Tenor
-
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
13. November 2003(1)
„Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Beamte und sonstige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften – Beibehaltung des steuerlichen Wohnsitzes im Herkunftsmitgliedstaat – Einkommensteuer – Abzug von Aufwendungen für eine Haushaltshilfe“
In der Rechtssache C-209/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Bundesfinanzhof (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Theodor Schilling, Angelika Fleck-Schilling
gegen
Finanzamt Nürnberg-Süd
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG)
und von Artikel 14 Absatz 1 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaftenerlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer),
unter Mitwirkung des Richters D. A. O. Edward in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter A. La Pergola und S. von Bahr (Berichterstatter),
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: R. Grass,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- ─
von Herrn Schilling und Frau Fleck-Schilling, vertreten durch Steuerberater H. Hacker,
- ─
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-F. Pasquier und H. Kreppel als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. März 2003
folgendes
Urteil
- 1
Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 21. Februar 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Mai 2001, gemäß Artikel 234
EG vier Fragen nach der Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und von Artikel 14 Absatz
1 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Protokoll) zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
- 2
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den Eheleuten Schilling und dem Finanzamt Nürnberg-Süd, in dem es
darum geht, ob Aufwendungen für eine in Luxemburg beschäftigte Haushaltshilfe in Deutschland steuerlich abzugsfähig sind.
-
- Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
- 3
Artikel 13 des Protokolls lautet: Von den Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die Gemeinschaften ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlen,
wird zugunsten der Gemeinschaften eine Steuer gemäß den Bestimmungen und dem Verfahren erhoben, die vom Rat auf Vorschlag
der Kommission festgelegt werden.Die Beamten und sonstigen Bediensteten sind von innerstaatlichen Steuern auf die von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter,
Löhne und Bezüge befreit.
- 4
Artikel 14 Absätze 1 und 2 des Protokolls bestimmt: Die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften, die sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der
Gemeinschaften im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates niederlassen, in dem sie zur Zeit des Dienstantritts
bei den Gemeinschaften ihren steuerlichen Wohnsitz haben, werden in den beiden genannten Staaten für die Erhebung der Einkommen-,
Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie für die Anwendung der zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen den Mitgliedstaaten
der Gemeinschaften geschlossenen Abkommen so behandelt, als hätten sie ihren früheren Wohnsitz beibehalten, sofern sich dieser
in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaften befindet. Dies gilt auch für den Ehegatten, soweit dieser keine eigene Berufstätigkeit
ausübt, sowie für die Kinder, die unter der Aufsicht der in diesem Artikel bezeichneten Personen stehen und von ihnen unterhalten
werden.Das im Hoheitsgebiet des Aufenthaltsstaats befindliche bewegliche Vermögen der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist in diesem
Staat von der Erbschaftsteuer befreit; für die Veranlagung dieser Steuer wird es vorbehaltlich der Rechte dritter Länder und
der etwaigen Anwendung internationaler Abkommen über die Doppelbesteuerung als in dem Staat des steuerlichen Wohnsitzes befindlich
betrachtet.
- 5
Artikel 48 EG-Vertrag lautet:
- (1)
Spätestens bis zum Ende der Übergangszeit wird innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hergestellt.
- (2)
Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der
Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
- (3)
Sie gibt ─ vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen ─
den Arbeitnehmern das Recht,
- a)
sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;
- b)
sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;
- c)
sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften
eine Beschäftigung auszuüben;
- d)
nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission
in Durchführungsverordnungen festlegt.
- (4)
Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung.
Nationales Recht
- 6
§ 1 Absätze 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom 7. September 1990 (BGBl. 1990 I S. 1898, berichtigt im BGBl. 1991
I S. 808) bestimmt: Steuerpflicht
- (1)
Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
...
...
- (4)
Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind ... beschränkt einkommensteuerpflichtig,
wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.
- 7
§ 10 Absatz 1 Nummer 8 EStG in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung lautet: Sonderausgaben
- (1)
Sonderausgaben sind die folgenden Aufwendungen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind:
...
- 8.
Aufwendungen des Steuerpflichtigen bis zu 12 000 Deutsche Mark im Kalenderjahr für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse,
wenn auf Grund der Beschäftigungsverhältnisse Pflichtbeiträge zur inländischen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet
werden. ...
- 8
§ 50 Absatz 1 EStG bestimmt: Sondervorschriften für beschränkt Steuerpflichtige
- (1)
... Die ... §§ ... 10 ... sind nicht anzuwenden. ...
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
- 9
In den Jahren 1991 und 1992 waren die Eheleute Schilling als Beamte der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg tätig, dem
Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz und Lebensmittelpunkt hatten und wo auch ihre drei 1982, 1983 und 1986 geborenen
Kinder lebten. In Deutschland, dem Herkunftsmitgliedstaat der Eheleute, erzielte Herr Schilling Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung sowie im Veranlagungszeitraum 1992 in geringem Umfang aus selbständiger Arbeit.
- 10
Im Ausgangsverfahren geht es um die Frage, ob Aufwendungen für die Beschäftigung einer in Luxemburg tätigen Haushaltshilfe,
für die die Eheleute Pflichtbeiträge zur luxemburgischen gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt hatten, in Deutschland
abzugsfähig waren. Das Finanzamt Nürnberg-Süd lehnte den Abzug ab, weil nicht gemäß § 10 Absatz 1 Nummer 8 EStG Beiträge zur
inländischen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden seien.
- 11
Der Einspruch und die Klage der Eheleute hatten keinen Erfolg. Mit ihrer Revision an den Bundesfinanzhof machten sie geltend,
Artikel 14 des Protokolls bezwecke, das Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Beamten der Europäischen Gemeinschaften und seinem
Herkunftsmitgliedstaat so aufrechtzuerhalten, als ob der Beamte niemals weggezogen wäre. Durch diese Regelung werde im vorliegenden
Fall fingiert, dass die Pflichtbeiträge zur luxemburgischen Rentenversicherung in Deutschland geleistet worden seien. Im Übrigen
widerspreche die vom Finanzamt Nürnberg-Süd vertretene Rechtsauffassung dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatz.
- 12
Der Bundesfinanzhof führt aus, gemäß § 10 Absatz 1 Nummer 8 EStG in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung seien
Aufwendungen bis zu 12 000 DM für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Arbeitgeber
Pflichtbeiträge zur inländischen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet habe. Dieser Abzug sei nur zulässig, wenn zum
Haushalt des Steuerpflichtigen zwei Kinder gehörten, die zu Beginn des Kalenderjahres das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet
hätten. Nach der amtlichen Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 11/4688, 10, 12) seien für die Beschränkung auf die inländische
gesetzliche Rentenversicherung arbeitsmarktpolitische, volkswirtschaftliche und sozialpolitische Erwägungen maßgebend gewesen.
In Familien mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen hätten die Belastung und die Nachteile durch Haushalt, Beruf und
Betreuung insbesondere für Frauen gemindert werden sollen. Der Gesetzgeber habe durch diese Maßnahme einen zusätzlichen Beschäftigungseffekt
erreichen und den schädlichen Auswirkungen der Schwarzarbeitsverhältnisse für die betroffenen Arbeitnehmer und für die inländische
gesetzliche Rentenversicherung entgegentreten wollen.
- 13
Die Reichweite von Artikel 14 Absatz 1 des Protokolls sei fraglich. Es sei möglich, dass sich die durch diese Bestimmung geschaffene
Fiktion des steuerlichen Wohnsitzes auf die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht und der Ansässigkeit im Sinne der
Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung beschränke (vgl. Artikel 4 des Musterabkommens der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung von 1977). Würde die Regelung dagegen, wie von den Eheleuten Schilling vorgetragen, in einem
weiteren Sinne verstanden, so könnte sich die Fiktion auch auf die sich aus dem Wohnsitz unmittelbar ergebenden tatsächlichen
Verhältnisse beziehen. Dann wäre die Zahlung an die luxemburgische Sozialversicherungskasse so zu behandeln, als ob sie an
eine deutsche Sozialversicherungskasse erfolgt wäre.
- 14
Artikel 14 Absatz 1 des Protokolls sei eng auszulegen. Dafür spreche nicht nur die fehlende Zuständigkeit der Gemeinschaft
für die direkten Steuern, sondern auch Absatz 2 des Artikels 14. Danach werde das im Aufenthaltsstaat befindliche bewegliche
Vermögen für die Erbschaftsteuer als im Herkunftsmitgliedstaat befindlich betrachtet. Fingiert werde also zusätzlich der Belegenheitsort
des Vermögens. Hätte Artikel 14 Absatz 1 den von den Eheleuten Schilling behaupteten weiten Inhalt, so wäre Absatz 2 nicht
erforderlich. Zu bedenken sei auch, dass es zahlreiche weitere Vorschriften im deutschen Steuerrecht gebe, die nur inländische
Sachverhalte begünstigten. Eine enge Auslegung scheine zudem unter dem Aspekt geboten, dass die Beamten der Europäischen Gemeinschaften
bereits durch die vergleichsweise niedrige Besteuerung ihrer Dienstbezüge begünstigt seien.
- 15
Sollte der Gerichtshof zu dem Ergebnis kommen, dass § 10 Absatz 1 Nummer 8 EStG nicht gegen Artikel 14 Absatz 1 des Protokolls
verstoße, so stelle sich die Frage nach der Vereinbarkeit dieser nationalen Bestimmung mit Artikel 48 EG-Vertrag. Zu klären
sei dann aber, ob Artikel 48 Absatz 4 EG-Vertrag dahin auszulegen sei, dass sich ein Beamter der Europäischen Gemeinschaften
nicht auf diesen Artikel berufen könne.
- 16
Falls der Gerichtshof die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung für unvereinbar mit Artikel 48 EG-Vertrag
halte, stelle sich die Frage, ob die im Urteil vom 26. Januar 1993 in der Rechtssache C-112/91 (Werner, Slg. 1993, I-429)
entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt werden könnten. In diesem Urteil habe der Gerichtshof festgestellt,
dass es nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße, wenn ein Mitgliedstaat seinen im Inland tätigen Staatsangehörigen eine
höhere Steuerbelastung auferlege, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat wohnten. Es sei zweifelhaft, ob das Urteil hier
einschlägig sei. Im damaligen Fall sei der Wohnsitz der einzige Berührungspunkt mit dem Ausland gewesen. Im vorliegenden Fall
hingegen arbeiteten und wohnten die Eheleute Schilling in einem anderen Mitgliedstaat. Der Auslandsbezug sei damit deutlich
höher.
- 17
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende vier Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
- 1.
Widerspricht es Artikel 14 Absatz 1 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom
8. April 1965, wenn deutsche Staatsangehörige, die in Luxemburg als Beamte der Europäischen Gemeinschaften tätig sind und
dort wohnen, im Rahmen der deutschen Einkommensteuerveranlagung die Aufwendungen für eine in Luxemburg beschäftigte Haushaltshilfe
nicht gemäß § 10 Absatz 1 Nummer 8 des Einkommensteuergesetzes absetzen dürfen, weil die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
für die Haushaltshilfe nicht an die deutsche Rentenversicherung entrichtet worden sind?
- 2.
Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird: Ist Artikel 48 Absatz 4 EG-Vertrag dahin gehend auszulegen, dass ein EG-Bediensteter
sich nicht auf Artikel 48 EG-Vertrag berufen kann?
- 3.
Für den Fall, dass Frage 2 verneint wird: Widerspricht es Artikel 48 EG-Vertrag, dass ein in Luxemburg wohnender EG-Bediensteter,
der im Inland als ansässig gilt und der für eine Haushaltshilfe Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Luxemburg
zahlt, nicht zum Sonderausgabenabzug nach § 10 Absatz 1 Nummer 8 des Einkommensteuergesetzes berechtigt ist?
- 4.
Für den Fall, dass Frage 3 bejaht wird: Können die im Urteil vom 26. Januar 1993, Rs. C-112/91 ─ Werner ─ entwickelten Grundsätze
auf den vorliegenden Fall angewendet werden?
Zum Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens
- 18
Mit am 1. April 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangenem Schriftsatz haben die Eheleute Schilling die Wiedereröffnung
der mündlichen Verhandlung oder des schriftlichen Verfahrens für den Fall beantragt, dass der Gerichtshof sein Urteil auf
die vom Generalanwalt in Nummer 80 seiner Schlussanträge vertretene Auffasung stützen wolle, die zwischen den Parteien nicht
erörtert worden sei. Nach dieser Auffassung würde eine Auslegung von Artikel 14 des Protokolls in dem von den Eheleuten vorgeschlagenen
Sinne ihnen ohne jede sachliche Rechtfertigung eine wirtschaftliche Besserstellung gewähren.
- 19
Insoweit ist festzustellen, dass der Gerichtshof nach Artikel 61 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien anordnen kann, wenn er sich
für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht
(vgl. u. a. Urteile vom 18. Juni 2002 in der Rechtssache C-299/99, Philips, Slg. 2002, I-5475, Randnr. 20, und vom 7. November
2002 in der Rechtssache C-184/01 P, Hirschfeldt/EUA, Slg. 2002, I-10173, Randnr. 30).
- 20
Nach Auffassung des Gerichtshofes besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, die Wiederöffnung der mündlichen Verhandlung oder
des schriftlichen Verfahrens anzuordnen. Der dahin gehende Antrag ist folglich zurückzuweisen.
Zu den Vorlagefragen
- 21
Mit seinen vier Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es gegen
das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 48 EG-Vertrag und Artikel 14 des Protokolls, verstößt, wenn aus Deutschland stammende
Beamte der Europäischen Gemeinschaften, die in Luxemburg wohnen und denen in diesem Mitgliedstaat Aufwendungen für eine Haushaltshilfe
entstanden sind, diese Aufwendungen nicht von ihren in Deutschland steuerpflichtigen Einkünften absetzen dürfen, weil die
Beiträge für die Haushaltshilfe nicht an die deutsche gesetzliche Rentenversicherung, sondern an die luxemburgische Rentenversicherung
entrichtet worden sind.
- 22
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass diese ihre
Zuständigkeit jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben und sich deshalb jeder offensichtlichen oder versteckten
Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit enthalten müssen (vgl. u. a. Urteil vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache
C-385/00, De Groot, Slg. 2002, I-11819, Randnr. 75).
- 23
Jeder Gemeinschaftsangehörige, der vom Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat
als dem Wohnsitzstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, fällt unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit
in den Anwendungsbereich des Artikels 48 EG-Vertrag (Urteil De Groot, Randnr. 76).
- 24
Nach ständiger Rechtsprechung zielen außerdem sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit darauf ab, den Gemeinschaftsangehörigen
die Ausübung jeder Art von Berufstätigkeit im Gebiet der Gemeinschaft zu erleichtern, und stehen Maßnahmen entgegen, die die
Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit
ausüben wollen (Urteile vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-370/90, Singh, Slg. 1992, I-4265, Randnr. 16, vom 26. Januar
1999 in der Rechtssache C-18/95, Terhoeve, Slg. 1999, I-345, Randnr. 37, vom 27. Januar 2000 in der Rechtssache C-190/98,
Graf, Slg. 2000, I-493, Randnr. 21, und vom 15. Juni 2000 in der Rechtssache C-302/98, Sehrer, Slg. 2000, I-4585, Randnr.
32).
- 25
Vorschriften, die einen Angehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen,
um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher eine Beschränkung dieser Freiheit dar, auch wenn sie
unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden (vgl. u. a. Urteil vom 2. Oktober 2003
in der Rechtssache C-232/01, Van Lent, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 16).
- 26
Auch wenn die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer somit nach ihrem Wortlaut insbesondere die Vergünstigung
der Inländerbehandlung im Aufnahmestaat sichern sollen, so verbieten sie es doch auch, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme
und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. u. a.
Urteil De Groot, Randnr. 79).
- 27
Der Umstand, dass die Eheleute Schilling die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, kann sie folglich nicht daran hindern,
sich gegenüber dem Mitgliedstaat, dem sie angehören, auf die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu berufen,
soweit sie unter Wahrnehmung ihres Rechts auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt haben
(in diesem Sinne auch Urteil De Groot, Randnr. 80).
- 28
Auch verliert nach ständiger Rechtsprechung ein Gemeinschaftsangehöriger, der in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsstaat
arbeitet, die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von Artikel 48 Absatz 1 EG-Vertrag nicht deshalb, weil er bei einer internationalen
Organisation beschäftigt ist, selbst wenn die Bedingungen seiner Einreise in das Beschäftigungsland und seines Aufenthalts
in diesem Land Gegenstand einer speziellen Regelung durch ein internationales Übereinkommen sind (Urteile vom 15. März 1989
in den Rechtssachen 389/87 und 390/87, Echternach und Moritz, Slg. 1989, 723, Randnr. 11, vom 27. Mai 1993 in der Rechtssache
C-310/91, Schmid, Slg. 1993, I-3011, Randnr. 20, und vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-411/98, Ferlini, Slg. 2000,
I-8081, Randnr. 42).
- 29
Die Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften unterliegen jedoch steuerrechtlichen Sonderregeln,
die sie von anderen Arbeitnehmern unterscheiden.
- 30
So haben die Eheleute Schilling zwar ihren Herkunftsmitgliedstaat, nämlich Deutschland, verlassen, um in einem anderen Mitgliedstaat,
und zwar in Luxemburg, als Beamte der Europäischen Gemeinschaften tätig zu werden, doch werden ihre Beamtenbezüge in keinem
dieser beiden Mitgliedstaaten besteuert, sondern nach Artikel 13 des Protokolls gemäß dem in der Verordnung (EWG, Euratom,
EGKS) Nr. 260/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer
zugunsten der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 56, S. 8) vorgesehenen autonomen Steuersystem der Europäischen Gemeinschaften.
- 31
Nach Artikel 14 des Protokolls ist der Herkunftsmitgliedstaat, in dem der steuerliche Wohnsitz des Beamten oder sonstigen
Bediensteten bestehen bleibt, grundsätzlich weiterhin für die Besteuerung aller übrigen Einkünfte dieser Personen sowie für
die Erhebung der Vermögen- und Erbschaftsteuer zuständig. Die in Artikel 14 des Protokolls genannten Beamten und sonstigen
Bediensteten haben folglich Anspruch auf Gewährung der Steuerabzüge, die im inländischen Steuersystem des Herkunftsmitgliedstaats
vorgesehen sind und nicht an die Bezüge anknüpfen, die sie als Beamter oder sonstiger Bediensteter erhalten.
- 32
Aus dem Vorlagebeschluss scheint hervorzugehen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerabzug nicht an die beruflichen
Einkünfte der Steuerpflichtigen anknüpft, so dass kein Zusammenhang mit den Bezügen der Beamten und sonstigen Bediensteten
der Europäischen Gemeinschaften im Sinne von Artikel 13 des Protokolls besteht.
- 33
Folglich kann ein aus Deutschland stammender Beamter der Europäischen Gemeinschaften, der zwar in einem anderen Mitgliedstaat
tätig ist, aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Herkunftsstaat beibehält und in diesem Staat eine Haushaltshilfe
beschäftigt, für die er Beiträge zur inländischen gesetzlichen Rentenversicherung abführt, den im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden Steuerabzug in Anspruch nehmen.
- 34
Dagegen sind Personen in der Situation der Eheleute Schilling, die ihren Herkunftsstaat verlassen haben, um als Beamte der
Europäischen Gemeinschaften in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten, normalerweise nicht in der Lage, diese Steuervergünstigung
in Anspruch zu nehmen.
- 35
Diese Personen, die in ihrem neuen Wohnsitzstaat eine Haushaltshilfe einstellen und Sozialversicherungsbeiträge an das System
der sozialen Sicherheit dieses Staates entrichten, können nämlich nur ausnahmsweise eine Voraussetzung wie die im Ausgangsverfahren
in Rede stehende erfüllen, nach der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ihres Herkunftsmitgliedstaats gezahlt worden
sein müssen.
- 36
Personen, die sich in der Lage der Eheleute Schilling befinden, sind daher gegenüber solchen Personen benachteiligt, die sich
mit Ausnahme der Tatsache, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Herkunftsstaat beibehalten haben, in der gleichen
Lage befinden.
- 37
Unter diesen Umständen kann eine Voraussetzung wie die des § 10 Absatz 1 Nummer 8 EStG die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats
davon abhalten, diesen Staat zu verlassen, um eine Berufstätigkeit als Beamte der Europäischen Gemeinschaften im Gebiet eines
anderen Mitgliedstaats auszuüben, und stellt daher eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.
- 38
Die Möglichkeit einer Rechtfertigung dieser Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist weder vom Bundesfinanzhof
noch von den Beteiligten, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, erwähnt worden.
- 39
Gleichwohl ist zu prüfen, ob diese Beschränkung nach den Bestimmungen des Vertrages gerechtfertigt werden kann.
- 40
Dazu ist erstens festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung nach den Angaben des Bundesfinanzhofs
darauf abzielt, kinderreichen Familien zu helfen sowie zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und Schwarzarbeit zu bekämpfen.
Es ist nicht ersichtlich, dass diese Ziele gefährdet wären, wenn die fragliche Steuervergünstigung auch Personen gewährt würde,
die in einem anderen Mitgliedstaat Sozialversicherungsbeiträge entrichten. Im Übrigen können diese Ziele, so berechtigt ihre
Verfolgung auch ist, keine Beeinträchtigung der Rechte rechtfertigen, die der Einzelne aus den Bestimmungen des Vertrages
herleitet, in denen seine Grundfreiheiten verankert sind.
- 41
Zweitens hat der Gerichtshof entschieden, dass die Notwendigkeit, die Kohärenz eines Steuersystems zu gewährleisten, eine
Regelung rechtfertigen kann, die dazu angetan ist, die Grundfreiheiten einzuschränken (vgl. Urteile vom 28. Januar 1992 in
den Rechtssachen C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, I-249, Randnr. 28, und C-300/90, Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-305, Randnr.
21, sowie Urteil De Groot, Randnr. 106), sofern bei einem und demselben Steuerpflichtigen ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen
der Gewährung einer Steuervergünstigung und dem Ausgleich dieser Vergünstigung durch eine steuerliche Belastung besteht, die
im Rahmen einer einzigen Besteuerung erfolgen (vgl. Urteile vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C-35/98, Verkooijen, Slg.
2000, I-4071, Randnr. 57, und vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-136/00, Danner, Slg. 2002, I-8147, Randnr. 36).
- 42
Im Ausgangsverfahren scheint jedoch kein derartiger Zusammenhang zwischen der Steuervergünstigung, d. h. dem Abzugsrecht,
und bestimmten steuerpflichtigen Einkünften gegeben zu sein.
- 43
Unter diesen Umständen kann die Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die sich aus § 10 Absatz 1 Nummer 8 EStG
ergibt, nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die steuerliche Kohärenz zu wahren.
- 44
Auf die vom Bundesfinanzhof vorgelegten Fragen ist daher zu antworten, dass es gegen Artikel 48 EG-Vertrag in Verbindung mit
Artikel 14 des Protokolls verstößt, wenn aus Deutschland stammende Beamte der Europäischen Gemeinschaften, die in Luxemburg
wohnen, wo sie als Beamte tätig sind, und denen in diesem Mitgliedstaat Aufwendungen für eine Haushaltshilfe entstanden sind,
diese Aufwendungen nicht von ihren in Deutschland steuerpflichtigen Einkünften absetzen dürfen, weil die Beiträge für die
Haushaltshilfe nicht an die deutsche gesetzliche Rentenversicherung, sondern an die luxemburgische Rentenversicherung entrichtet
worden sind.
Kosten
- 45
Die Auslagen der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien
des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat
-
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 21. Februar 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Edward
|
La Pergola
|
von Bahr
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. November 2003.
Der Kanzler
|
Der Präsident
|
- 1 –
- Verfahrenssprache: Deutsch.