Avis juridique important
URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 8. MAERZ 1988. - LEESPORTEFEUILLE INTIEM CV GEGEN STAATSECRETARIS VAN FINANCIEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM HOGE RAAD DER NEDERLANDEN. - ZWEITE UND SECHSTE MEHRWERTSTEUERRICHTLINIE - BESTEUERUNG VON LEISTUNGEN, DIE DEN ANGESTELLTEN DES STEUERPLICHTIGEN ERBRACHT WERDEN. - RECHTSSACHE 165/86.
Sammlung der Rechtsprechung 1988 Seite 01471
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
++++
Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Vorsteuerabzug - Gegenstände, die im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit gebraucht werden - Voraussetzung - Lieferung der Gegenstände an den Steuerpflichtigen - Begriff - Unmittelbare Abgabe an die Arbeitnehmer des betroffenen Unternehmens - Einschluß
( Richtlinien 67/228 des Rates, Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a, und 77/388 des Rates, Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a )
Wenn ein Arbeitgeber, der nach der Regelung über die Mehrwertsteuer steuerpflichtig ist, aufgrund einer Vereinbarung mit einem seiner Arbeitnehmer und mit einem anderen Steuerpflichtigen, dem Lieferer, für eigene Rechnung Gegenstände an diesen Arbeitnehmer liefern lässt, die der Arbeitnehmer ausschließlich für geschäftliche Zwecke des Arbeitgebers gebraucht, und wenn der Arbeitgeber vom Lieferer für diese Lieferungen Rechnungen erhält, mit denen ihm die Mehrwertsteuer für die gelieferten Gegenstände in Rechnung gestellt wird, sind Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Zweiten Richtlinie und Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern dahin auszulegen, daß der Arbeitgeber die ihm so in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer abziehen kann .
Auch wenn die genannten Vorschriften nämlich das Recht des Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug auf die geschuldete oder entrichtete Steuer "für Gegenstände, die ihm ... geliefert wurden", beschränken, können sie nicht darauf gerichtet sein, das Recht zum Abzug der Steuer auszuschließen, die für Gegenstände entrichtet worden ist, die, obwohl sie dem Steuerpflichtigen zur ausschließlichen Verwendung im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit verkauft worden sind, körperlich an seine Arbeitnehmer abgegeben worden sind .
1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 2 . Juli 1986, beim Gerichtshof eingegangen am 9 . Juli 1986, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Zweiten Richtlinie 67/228 des Rates vom 11 . April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ( ABl . Nr . 71, S . 1303/67 ) und von Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388 des Rates vom 17 . Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl . L 145, S . 1 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt .
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Leesportefeuille "Intiem" CV ( im folgenden : Klägerin ) und der niederländischen Finanzverwaltung über die Frage, ob die Mehrwertsteuer, die auf dem Kraftstoff lastet, der an die Arbeitnehmer der Klägerin geliefert, aber der Klägerin in Rechnung gestellt wird, in voller Höhe abgezogen werden kann .
3 Wie sich aus dem Vorlageurteil ergibt, vertreibt die Klägerin eine "Lesemappe" ( Ausleihe von Magazinen und Zeitschriften ), die den Beziehern ins Haus geliefert wird . Als Arbeitgeber zahlt die Klägerin ihren als Boten beschäftigten Arbeitnehmern für die Benutzung des eigenen Kraftfahrzeugs für die Ausübung ihrer Tätigkeit eine Fahrtkostenvergütung, die sich nicht auf die Kosten des Kraftstoffs erstreckt . Am Ende jedes Arbeitstags lassen die Boten, die vor Arbeitsbeginn den Kraftstofftank ihrer Fahrzeuge haben fuellen lassen, ihre Fahrzeuge an einer Tankstelle, die dem Betrieb der Klägerin gegen überliegt, auf Kosten der Klägerin wieder volltanken .
4 Die Klägerin zieht die Mehrwertsteuer, die auf dem Kraftstoff lastet, der ihr vom Betreiber der Tankstelle in Rechnung gestellt wird, in voller Höhe ab .
5 Nach Ansicht der niederländischen Finanzverwaltung ist die Klägerin nicht berechtigt, die Mehrwertsteuer in voller Höhe abzuziehen . Die Verwaltung lässt einen Abzug nur in Höhe des Prozentsatzes zu, der durch Ministerialerlaß auf der Grundlage der innerstaatlichen Rechtsvorschriften pauschal für Arbeitnehmern gezahlte Fahrtkosten vorgesehen ist, da die Kraftstoffkosten zu diesen "Fahrtkosten" gehörten .
6 Der von der Klägerin angerufene Gerechtshof Amsterdam folgte der Auffassung der Finanzverwaltung . Die Klägerin erhob daraufhin Kassationsklage . Der Hoge Raad wies zunächst die Rüge der Klägerin zurück, wonach der Gerechtshof zu Unrecht festgestellt habe, daß der Kraftstoff unmittelbar an die Arbeitnehmer geliefert werde . Er warf sodann die Frage auf, ob der Umstand, daß der Kraftstoff nach dieser Feststellung unmittelbar an die Arbeitnehmer geliefert werde, dem Abzug der auf dem Kraftstoff lastenden Mehrwertsteuer durch den Arbeitgeber entgegenstehe .
7 Nach Ansicht des Hoge Raad hängt die Beantwortung dieser Frage von der Auslegung von Bestimmungen der Zweiten und Sechsten Richtlinie ab . Er hat daher das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen :
"Kann ein Steuerpflichtiger ( nachstehend : der Arbeitgeber ), der aufgrund einer Vereinbarung mit einem seiner Arbeitnehmer und mit einem anderen Steuerpflichtigen ( nachstehend : der Lieferer ) für eigene Rechnung vom Lieferer Gegenstände an den Arbeitnehmer liefern lässt, die der Arbeitnehmer für geschäftliche Zwecke des Arbeitgebers gebrauchen soll, und der vom Lieferer für die Lieferungen Rechnungen erhält, mit denen ihm die Mehrwertsteuer für die gelieferten Gegenstände in Rechnung gestellt wird, nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Zweiten Richtlinie bzw . Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie die ihm so in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer von der von ihm geschuldeten Steuer abziehen oder ist ihm dies deshalb verwehrt, weil die Lieferungen nicht an ihn selbst, sondern an den betreffenden Arbeitnehmer erbracht werden?"
8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen . Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert .
9 Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Zweiten Richtlinie des Rates lautet :
"Soweit Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke des Unternehmens verwendet werden, wird der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen :
a ) die Mehrwertsteuer, die ihm für an ihn gelieferte Gegenstände und an ihn erbrachte Dienstleistungen in Rechnung gestellt wird ..."
10 Ähnlich heisst es in Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates :
"Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen :
a ) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw . erbracht wurden oder erbracht werden ..."
11 Wie sich aus diesen Vorschriften ergibt, kann der Abzug der Mehrwertsteuer, die ein Steuerpflichtiger als Vorsteuer gezahlt hat, nur die geschuldete oder entrichtete Steuer für Gegenstände und Dienstleistungen betreffen, die ihm im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit geliefert oder erbracht wurden .
12 Das Ausgangsverfahren wirft nach dem vom vorlegenden Gericht festgestellten Sachverhalt die Frage auf, ob dieser Grundsatz dem Abzug der Mehrwertsteuer entgegensteht, wenn die Gegenstände vom Steuerpflichtigen gekauft und nach ihrer Lieferung an dessen Arbeitnehmer für die Zwecke des Unternehmens verwendet worden sind .
13 Hierzu ist festzustellen, daß sich aus dem Mechanismus des Vorsteuerabzugs, wie er in den Artikeln 17 bis 20 der Sechsten Richtlinie geregelt ist, ergibt, daß das Recht auf Abzug der als Vorsteuer gezahlten Mehrwertsteuer Gegenstände und Dienstleistungen betrifft, die mit der Ausübung der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen zusammenhängen . Ausgenommen sind, wie es in Artikel 17 Absatz 6 heisst, Ausgaben, die keinen "streng geschäftlichen Charakter" haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen .
14 Daraus ist zu schließen, daß dieser Mechanismus des Vorsteuerabzugs so anzuwenden ist, daß sein Anwendungsbereich so weit wie möglich dem Bereich der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen entspricht . Wenn Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie in diesem Zusammenhang das Recht des Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug hinsichtlich der Mehrwertsteuer für gelieferte Gegenstände auf die geschuldete oder entrichtete Steuer "für Gegenstände, die ihm ... geliefert wurden", beschränkt, so kann diese Bestimmung nicht darauf gerichtet sein, das Recht zum Abzug der Mehrwertsteuer auszuschließen, die für Gegenstände entrichtet worden ist, die, obwohl sie dem Steuerpflichtigen zur ausschließlichen Verwendung im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit verkauft worden sind, körperlich an seine Arbeitnehmer abgegeben worden sind .
15 Diese Auslegung wird durch den Zweck des Mechanismus des Vorsteuerabzugs selbst bestätigt . Wie es nämlich in Artikel 2 Absatz 2 der Ersten Richtlinie 67/227 des Rates vom 11 . April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ( ABl . Nr . 71, S . 1301/67 ) heisst, wird bei allen Umsätzen die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzueglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, "der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat ".
16 Auf die Frage des Hoge Raad der Nederlanden ist daher zu antworten, daß dann, wenn ein Arbeitgeber, der nach der Regelung über die Mehrwertsteuer steuerpflichtig ist, aufgrund einer Vereinbarung mit einem seiner Arbeitnehmer und mit einem anderen Steuerpflichtigen, dem Lieferer, für eigene Rechnung Gegenstände an diesen Arbeitnehmer liefern lässt, die der Arbeitnehmer ausschließlich für geschäftliche Zwecke des Arbeitgebers gebraucht, und wenn der Arbeitgeber vom Lieferer für diese Lieferungen Rechnungen erhält, mit denen ihm die Mehrwertsteuer für die gelieferten Gegenstände in Rechnung gestellt wird, Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Zweiten Richtlinie und Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, daß der Arbeitgeber die ihm so in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer abziehen kann .
Kosten
17 Die Auslagen der niederländischen Regierung, der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig . Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem innerstaatlichen Gericht anhängigen Rechtsstreit . Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts .
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )
auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 2 . Juli 1986 vorgelegte Frage für Recht erkannt :
Wenn ein Arbeitgeber, der nach der Regelung über die Mehrwertsteuer steuerpflichtig ist, aufgrund einer Vereinbarung mit einem seiner Arbeitnehmer und mit einem anderen Steuerpflichtigen, dem Lieferer, für eigene Rechnung Gegenstände an diesen Arbeitnehmer liefern lässt, die der Arbeitnehmer ausschließlich für geschäftliche Zwecke des Arbeitgebers gebraucht, und wenn der Arbeitgeber vom Lieferer für diese Lieferungen Rechnungen erhält, mit denen ihm die Mehrwertsteuer für die gelieferten Gegenstände in Rechnung gestellt wird, sind Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Zweiten Richtlinie und Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, daß der Arbeitgeber die ihm so in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer abziehen kann .