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61988J0251

URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 23. MAI 1990. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG - MEHRWERTSTEUER - EIGENMITTEL - BERECHNUNGSMETHODE FUER DIE EINBEZIEHUNG BEFREITER UMSAETZE. - RECHTSSACHE 251/88.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 Seite I-02107


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Eigene Mittel der Europäischen Gemeinschaften - Mehrwertsteuer-Eigenmittel - Erhebungsgrundlage - Befreite Umsätze - Berechnungsmethode - Berechnung nach dem Umsatz abzueglich Vorsteuer - Zulässigkeit

( Verordnung Nr . 2892/77 des Rates, Artikel 9 Absatz 2 )

Leitsätze


Nach Artikel 9 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 2892/77 über die Mehrwertsteuer-Eigenmittel der Gemeinschaften ist die Grundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel bei bestimmten Umsätzen, die die Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 77/388 nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen müssen, so zu berechnen, als ob diese Umsätze steuerpflichtig wären, so daß die Mitgliedstaaten, die sich für eine Steuerbefreiung entscheiden, unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuer-Eigenmittel mit den anderen Mitgliedstaaten gleichbehandelt werden, die sich für die Besteuerung entscheiden . In Anbetracht der Unschärfe der angezogenen Bestimmung, die mehrere Berechnungsmethoden zulässt, verstösst ein Mitgliedstaat nicht gegen seine Verpflichtungen, wenn er bei der Berechnung des Teils der Mittel, der den befreiten Umsätzen entspricht, die in die Erhebungsgrundlage für die Eigenmittel einzubeziehen sind, von den befreiten Umsätzen die Vorsteuer abzieht, um zu einer - vom Satz der im Einkaufspreis enthaltenen Mehrwertsteuer unabhängigen - Erhebungsgrundlage zu gelangen, die der Summe des Nettöinkaufswerts der für diese Umsätze verwandten Gegenstände und Dienstleistungen und der daraus gezogenen Wertschöpfung gleich ist .

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 15 . September 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie die Erhebungsgrundlage für bestimmte Mehrwertsteuer-Eigenmittel unrichtig berechnet und bestimmte Eigenmittel der Kommission nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt hat und die Zahlung der entsprechenden Zinsen wegen verspäteter Gutschrift verweigert hat .

2 Die eigenen Mittel der Gemeinschaften aus der Mehrwertsteuer ( Mehrwertsteuer-Eigenmittel ) ergeben sich aus der Anwendung eines gemeinschaftlichen Satzes, der im Rahmen des Haushaltsverfahrens festgesetzt wird, auf eine Grundlage, die nach der Verordnung ( EWG, Euratom, EGKS ) Nr . 2892/77 des Rates vom 19 . Dezember 1977 über die Anwendung des Beschlusses vom 21 . April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften auf die Mehrwertsteuer-Eigenmittel ( ABl . L 336, S . 8 ) berechnet wird .

3 Nach Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung wird die Grundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17 . Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl . L 145, S . 1; sechste Richtlinie ) festgelegt . Nach Artikel 2 Absatz 2 dritter Gedankenstrich sind bei der Anwendung von Absatz 1 für die Bestimmung der Mehrwertsteuer-Eigenmittel die Umsätze zu berücksichtigen, die die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der sechsten Richtlinie weiterhin befreien .

4 Nach dieser Bestimmung und Anhang F der sechsten Richtlinie befreit die Bundesrepublik Deutschland weiterhin die Dienstleistungen und die dazugehörigen Lieferungen der Deutschen Bundespost ( Bundespost ) im Fernmeldebereich von der Mehrwertsteuer .

5 Artikel 9 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 2892/77 lautet wie folgt :

"2 . Bei der Anwendung von Artikel 2 Absatz 2 ... dritter ... Gedankenstrich,

...

- berechnen die Mitgliedstaaten bei den in Anhang F der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführten Umsätzen, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der genannten Richtlinie weiterhin befreien, die Grundlage für die MwSt-Eigenmittel so, als ob diese Umsätze steuerpflichtig wären ".

6 Die Kommission stellte fest, daß die Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1980 bis 1985 von den Umsätzen der Bundespost einen theoretisch in dem den Kunden der Bundespost in Rechnung gestellten Endpreis enthaltenen Mehrwertsteuerbetrag abgezogen hatte . Sie kam zu der Auffassung, daß diese Berechnungsmethode - Verringerung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel durch Abzug der allfälligen Mehrwertsteuer-Vorbelastung der Bundespost im Fernmeldebereich - gegen Artikel 2 Absatz 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 2892/77 verstosse; sie hat deshalb das Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag eingeleitet .

7 Weitere Einzelheiten des Sachverhalts, des Parteivorbringens und des Verfahrens finden sich im Sitzungsbericht, auf den verwiesen wird . Der Inhalt der Akten ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert .

8 Die Kommission führt zur Begründung ihrer Klage an, im Falle einer Besteuerung auf allen Umsatzstufen bestimme sich die Erhebungsgrundlage nach den von einem Mitgliedstaat im Laufe eines Haushaltsjahres eingezogenen Mehrwertsteuer-Nettöinnahmen . Bei befreiten Umsätzen wie denen der Bundespost im Fernmeldebereich bestehe die von allen anderen Mitgliedstaaten angewandte richtige Berechnungsmethode darin, die Bemessungsgrundlage der Eigenmittel unter Berücksichtigung dieser Umsätze zu ermitteln, ohne davon die Mehrwertsteuer-Vorbelastung abzuziehen, die in diesem Bereich in dem in Rechnung gestellten Endpreis enthalten sei, wie dies die Bundesrepublik Deutschland tü . Die Kommission stützt ihre Behauptung, die Methode der Bundesrepublik Deutschland für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel widerspreche der Verordnung Nr . 2892/77, im wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte .

9 Zum einen beruft sie sich auf Artikel 9 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 2892/77 .

10 Die Bundesrepublik macht hierzu geltend, nach dem Wortlaut dieses Artikels müsse bei der Festsetzung der Erhebungsgrundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel einerseits die Erhebung der Mehrwertsteuer auf die Wertschöpfung der Bundespost fingiert, andererseits die in dem von der Bundespost für Güter oder Dienstleistungen entrichteten Preis enthaltene Mehrwertsteuer abgezogen werden, da diese Güter und Dienstleistungen so anzusehen seien, als hätte die Bundespost sie für besteuerte Umsätze im Sinne des Artikels 17 Absatz 2 der sechsten Richtlinie verwendet .

11 Der Ausdruck "als ob diese Umsätze steuerpflichtig wären" in Artikel 9 der Verordnung Nr . 2892/77 erlaubt keine Beantwortung der Frage, ob die betroffenen Umsätze in jeder Hinsicht solchen Umsätzen, die auf allen Umsatzstufen besteuert sind, oder nur solchen befreiten Umsätzen gleichzusetzen sind, die in die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel einzubeziehen sind .

12 Die Kommission macht zum anderen geltend, die Artikel 2 und 9 der Verordnung Nr . 2892/77 dienten dem Ziel, die abweichenden Regelungen, die die Mitgliedstaaten anwenden dürften, in ihren Auswirkungen auf die Gemeinschaftseinnahmen zu neutralisieren . Bei der von der Bundesrepublik Deutschland angewandten Berechnungsmethode habe die Höhe des Mehrwertsteuersatzes direkte Auswirkungen auf die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer-Eigenmittel, was der dem ganzen System der Eigenmittel eigenen Systematik widerspreche : Die Mitgliedstaaten, die von der Ermächtigung zur abweichenden Regelung Gebrauch gemacht hätten, sollten hinsichtlich dieser Eigenmittel so behandelt werden wie diejenigen, die die allgemeine Regelung voll anwendeten . Nach der von der Kommission für richtig erachteten und von den anderen Mitgliedstaaten angewandten Berechnungsmethode sei die Bemessungsgrundlage immer gleich, gleichgültig, welchen Mehrwertsteuersatz man einsetze .

13 Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland führt ihre Berechnungsmethode nicht zu einer nach Maßgabe des jeweils anwendbaren Mehrwertsteuersatzes unterschiedlichen Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel . Da die von den Umsätzen der Bundespost in Abzug gebrachte Vorsteuer exakt der im Einkaufspreis enthaltenen Mehrwertsteuer entspreche, bleibe als Erhebungsgrundlage immer die Summe des Nettöinkaufswertes und der Wertschöpfung der Bundespost übrig . Die Mitgliedstaaten, welche bestimmte Umsätze von der Mehrwertsteuer befreit hätten, müssten so für diese Umsätze denselben Mehrwertsteuer-Eigenmittelbetrag proportional zum Preis der Leistung zahlen, den sie auch zahlen würden, wenn eine Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht erfolgt wäre . Nach der Berechnungsmethode der Kommission sei die Erhebungsgrundlage hingegen bei gleichem Nettöinkaufspreis und gleicher Wertschöpfung von der im Einkaufspreis enthaltenen Mehrwertsteuer abhängig .

14 Artikel 9 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 2892/77 soll im Hinblick auf die Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer-Eigenmittel die Wirkungen der vorübergehenden Steuerbefreiung der im Anhang F der sechsten Richtlinie aufgeführten Umsätze neutralisieren, indem der Teil der Mittel in diese Bemessungsgrundlage einbezogen wird, der den befreiten Umsätzen entspricht . Damit werden die Mitgliedstaaten, die einen Bereich befreien, unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuer-Eigenmittel mit den anderen Mitgliedstaaten gleichbehandelt, die in diesem Bereich Mehrwertsteuer erheben .

15 Wird Mehrwertsteuer auf allen Umsatzstufen erhoben, so hat der Mehrwertsteuersatz keine Auswirkungen auf die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer-Eigenmittel . Da der Betrag, den die Bundesrepublik Deutschland vom Umsatz der Bundespost im Fernmeldebereich abzieht, exakt der an die Lieferanten gezahlten Vorsteuer entspricht, hat der angewandte Mehrwersteuerersatz keine Auswirkungen auf diese Bemessungsgrundlage, die aus der Summe des Nettöinkaufswertes und der Wertschöpfung der Bundespost berechnet wird .

16 Auch der zweite Gesichtspunkt, auf den die Kommission ihre Klage stützt, greift somit nicht durch .

17 Die Kommission hat somit in Anbetracht der Unschärfe des Artikels 9 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr . 2892/77, der mehrere Berechnungsmethoden zulässt, nicht dargetan, daß diejenige Methode dieser Vorschrift widerspricht, die die Bundesrepublik Deutschland für die Berechnung des in die Bemessungsgrundlage der Eigenmittel einzubeziehenden Teils dieser Mittel anwendet, der den befreiten Umsätzen der Bundespost entspricht .

18 Die Klage der Kommission ist somit abzuweisen .

Kostenentscheidung


Kosten

19 Nach Artikel 69 § 2 Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen . Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen .

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen .

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens .