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61990J0060

URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 20. JUNI 1991. - POLYSAR INVESTMENTS NETHERLANDS BV GEGEN INSPECTEUR DER INVOERRECHTEN EN ACCIJNZEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: GERECHTSHOF ARNHEM - NIEDERLANDE. - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 4 UND 13 TEIL B BUCHSTABE D NR. 5 DER SECHSTEN RICHTLINIE - STEUERPFLICHTIGER - TAETIGKEITEN EINER HOLDINGGESELLSCHAFT. - RECHTSSACHE C-60/90.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-03111
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00227
Finnische Sonderausgabe Seite I-00239


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Steuerpflichtige - Begriff - Holding-Gesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen ist - Ausschluß

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 4 und 17)

Leitsätze


Artikel 4 der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (77/388/EWG) ist dahin auszulegen, daß eine Holding-Gesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne daß diese Gesellschaft - unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin - unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, nicht Mehrwertsteuerpflichtiger und damit nicht zum Vorsteuerabzug gemäß Artikel 17 der Sechsten Richtlinie berechtigt ist. Die Zugehörigkeit zu einem Weltkonzern, der nach aussen unter einem einzigen Namen auftritt, ist für die Frage, ob diese Gesellschaft Steuerpflichtiger ist, unbeachtlich.

Entscheidungsgründe


1 Der Gerichtshof Arnhem hat mit Urteil vom 30. Januar 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 4, des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 und des Artikels 17 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG; ABl. L 145, S. 1, im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Klärung der Begriffe des Steuerpflichtigen und des Rechts auf Vorsteuerabzug im Sinne dieser Richtlinie bei Holding-Gesellschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft niederländischen Rechts Polysar Investments Netherlands BV (im folgenden: Polysar BV) und dem Inspecteur der Invörrechten und Accijnzen Arnhem wegen eines an die Polysar BV gerichteten Nacherhebungsbescheids über Umsatzsteuer.

3 Artikel 4 Absätze 1, 2 und 4 lauten:

"1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

3) ...

4) [Es] steht ... jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln."

4 Nach Maßgabe des Artikels 13 Teil B befreien die Mitgliedstaaten von der Mehrwertsteuer bestimmte Umsätz, zu denen gemäß Buchstabe d Nummer 5 gehören:

"5) die Umsätze - einschließlich der Vermittlung, jedoch mit Ausnahme der Verwahrung und der Verwaltung - die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere beziehen, mit Ausnahme von

- Warenpapieren;

- Rechten oder Wertpapieren im Sinne von Artikel 5 Absatz 3".

5 Gemäß Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie gewähren die Mitgliedstaaten jedem Steuerpflichtigen den Abzug oder die Erstattung der Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke

"seiner nach Artikel 13 Teil B Buchstabe a und d Nummern 1 bis 5 befreiten Umsätze, wenn der Leistungsempfänger ausserhalb der Gemeinschaft ansässig ist oder wenn diese Umsätze unmittelbar mit zur Ausfuhr in ein Land ausserhalb der Gemeinschaft bestimmten Gegenständen zusammenhängen".

6 Aus den Akten geht hervor, daß die Polysar BV zum Weltkonzern Polysar gehört. Sie hält Anteile an verschiedenen ausländischen Gesellschaften, erhält jährlich Dividenden und zahlt regelmässig Dividenden an die in Kanada ansässige Gesellschaft Polysar Holding Ltd., die 100 % ihres Kapitals hält. Die Polysar BV übt keine

Handelstätigkeit aus. Für den Zeitraum vom 1. Januar 1981 bis 31. Dezember 1985 entrichtete die Polysar BV für verschiedene ihr erbrachte Dienstleistungen einen bestimmten Betrag an Mehrwertsteuer, der ihr erstattet wurde. Der Inspecteur der Invören en Accijnzen Arnhem bestritt der Polysar BV auf der Grundlage der Sechsten Richtlinie das Recht zum Vorsteuerabzug und erließ einen auf Rückerstattung dieses Betrags gerichteten Nacherhebungsbescheid.

7 Nachdem die Polysar BV ohne Erfolg Widerspruch gegen diesen Nacherhebungsbescheid eingelegt hatte, klagte sie vor dem Gerichtshof Arnhem, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1) a) Ist eine Holding-Gesellschaft, die lediglich mit dem Halten von Anteilen an Tochtergesellschaften in Zusammenhang stehende Tätigkeiten ausübt, als Steuerpflichtiger im Sinne der Artikel 4 und 17 der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern anzusehen?

b) Liegt, wenn die vorhergehende Frage zu verneinen ist, Steuerpflicht gleichwohl vor, wenn die Holding-Gesellschaft Glied und integrierender Teil eines Weltkonzerns ist, der im allgemeinen nach aussen hin unter ein und demselben Namen, dem Konzernnamen, auftritt?

2) a) Stellen, wenn eine Holding-Gesellschaft als Steuerpflichtiger zu betrachten ist, die von ihr als solche ausgeuebten Tätigkeiten Umsätze im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der genannten Richtlinie dar, so daß sie als von der Mehrwertsteuer befreite Dienstleistungen anzusehen sind und die von Dritten insoweit in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer nicht dem Vorsteuerabzug unterliegt?

b) Hat die Antwort, wenn die Fragen zu 2 a zu bejahen sind, anders zu lauten, wenn der Konzern, zu dem die Holding-Gesellschaft gehört, als solcher ausschließlich

nach Gemeinschaftskriterien steuerpflichtige Leistungen im Sinne der genannten Richtlinie erbringt?

8 Wegen einer eingehenderen Darstellung des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

9 Diese Frage besteht aus zwei Teilen. Zum einen geht es darum, ob eine Holding-Gesellschaft, die lediglich mit dem Halten von Beteiligungen an Tochtergesellschaften in Zusammenhang stehende Tätigkeiten ausübt, als Mehrwertsteuerpflichtiger im Sinne der Artikel 4 und 17 der Sechsten Richtlinie angesehen werden kann, und zum anderen darum, ob diese Eigenschaft von der Zugehörigkeit dieser Gesellschaft zu einem Weltkonzern abhängt, der nach aussen unter einem einzigen Namen auftritt.

10 Zum ersten Teil der Frage ist vorab darauf hinzuweisen, daß Artikel 17 der Sechsten Richtlinie die Entstehung und den Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, das einem Mehrwertsteuerpflichtigen unter gewissen Voraussetzungen zusteht. Der Ausdruck "Steuerpflichtiger" wird in dieser Vorschrift im Sinne der Artikel 2 und 4 dieser Richtlinie verwendet. Infolgedessen sind diese Artikel 2 und 4 auszulegen.

11 Es ist ferner daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie, der den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer festlegt, lediglich die innerhalb eines Mitgliedstaats ausgeführten wirtschaftlichen Tätigkeiten dieser Steuer unterliegen. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 gilt als Steuerpflichtiger, wer selbständig eine

dieser wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt. Der Begriff "wirtschaftliche Tätigkeiten" umschließt gemäß Artikel 4 Absatz 2 alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, insbesondere auch Leistungen, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfassen.

12 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere dem Urteil vom 4. Dezember 1990 in der Rechtssache C-186/89 (Van Tiem, Slg. 1990, I-4363), legt Artikel 4 der Sechsten Richtlinie für die Mehrwertsteuer einen sehr weiten Anwendungsbereich fest. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil festgestellt, daß sich der Begriff der "Nutzung" im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 entsprechend den Erfordernissen des Grundsatzes der Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auf alle Vorgänge ohne Rücksicht auf deren Rechtsform bezieht, die darauf abzielen, mit dem betreffenden Gegenstand nachhaltig Einnahmen zu erzielen.

13 Aus dieser Rechtsprechung folgt indessen nicht, daß der blosse Erwerb und das blosse Halten von Gesellschaftsanteilen als eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie anzusehen wäre, die den Erwerber und Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würde. Der blosse Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen stellt nämlich keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dar, weil eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung Ausfluß der blossen Innehabung des Gegenstands ist.

14 Etwas anderes gilt, wenn die Beteiligung unbeschadet der Rechte, die der Beteiligungsgesellschaft in ihrer Eigenschaft als Aktionär oder Gesellschafterin zustehen, mit einem unmittelbaren oder

mittelbaren Eingreifen in die Verwaltung der Gesellschaften einhergeht, an denen die Beteiligung besteht.

15 Zum zweiten Teil der ersten Frage ist darauf hinzuweisen, daß die Zugehörigkeit einer Holding-Gesellschaft zu einem Weltkonzern dieser die Eigenschaft des Nichtsteuerpflichtigen nicht nimmt, wenn sie ihre Tätigkeit auf den blossen Erwerb von Beteiligungen beschränkt. Denn gemäß Artikel 4 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie können Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, nur dann als ein Steuerpflichtiger behandelt werden, wenn sie im Hoheitsgebiet nur eines Mitgliedstaats ansässig sind.

16 Es ist mithin festzustellen, daß die Zugehörigkeit einer Holding-Gesellschaft zu einem Weltkonzern, der im allgemeinen nach aussen hin unter einem einzigen Namen auftritt, für die Frage, ob diese Gesellschaft Mehrwertsteuerpflichtiger ist, unbeachtlich ist.

17 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß eine Holding-Gesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne daß diese Gesellschaft - unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin - unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, nicht Mehrwertsteuerpflichtiger im Sinne des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie und damit nicht zum Vorsteuerabzug gemäß Artikel 17 der Sechsten Richtlinie berechtigt ist. Die Zugehörigkeit zu einem Weltkonzern, der nach aussen unter

einem einzigen Namen auftritt, ist für die Frage, ob diese Gesellschaft Mehrwertsteuerpflichtiger ist, unbeachtlich.

Zur zweiten Frage

18 Angesichts der Beantwortung der ersten Frage ist die zweite Frage gegenstandslos.

Kostenentscheidung


Kosten

19 Die Auslagen der französischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Gerechtshof Arnhem mit Urteil vom 30. Januar 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Eine Holding-Gesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne daß diese Gesellschaft - unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin - unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, ist nicht Mehrwertsteuerpflichtiger im Sinne des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie und damit nicht zum Vorsteuerabzug gemäß Artikel 17 der Sechsten Richtlinie berechtigt. Die Zugehörigkeit zu einem Weltkonzern, der nach aussen unter einem einzigen Namen auftritt, ist für die Frage, ob diese Gesellschaft Mehrwertsteuerpflichtiger ist, unbeachtlich.