Available languages

Taxonomy tags

Info

References in this case

Share

Highlight in text

Go

Avis juridique important

|

61991J0330

URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 13. JULI 1993. - THE QUEEN GEGEN INLAND REVENUE COMMISSIONERS, EX PARTE COMMERZBANK AG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HIGH COURT OF JUSTICE, QUEEN'S BENCH DIVISION - VEREINIGTES KOENIGREICH. - NIEDERLASSUNGSRECHT - GESELLSCHAFTSTEUER - MITTELBARE DISKRIMINIERUNG AUFGRUND DER STAATSANGEHOERIGKEIT. - RECHTSSACHE C-330/91.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite I-04017
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00275
Finnische Sonderausgabe Seite I-00309


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Freizuegigkeit ° Niederlassungsfreiheit ° Steuerrecht ° Anspruch auf einen Zuschlag im Fall der Rückzahlung einer nicht geschuldeten Steuer ° Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz im nationalen Hoheitsgebiet haben, vorbehaltener Anspruch ° Unzulässigkeit ° Steuer, die wegen des steuerlichen Sitzes im Ausland nicht geschuldet wird ° Unerheblich

(EWG-Vertrag, Artikel 52 und 58)

Leitsätze


Die Artikel 5 und 7 des Vertrages verbieten es, daß nach dem Recht eines Mitgliedstaats Zuschläge zur Rückzahlung nicht geschuldeter Steuern Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in diesem Staat haben, gewährt, Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, jedoch verweigert werden. Der Umstand, daß die letztgenannten Gesellschaften nicht von der Steuer befreit gewesen wären, wenn sie in diesem Staat ansässig gewesen wären, ist insoweit unerheblich.

Zwar ist das Kriterium des steuerlichen Sitzes im Inland und damit der Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates für die Gewährung eines Zuschlags zur Rückzahlung nicht geschuldeter Steuern unabhängig vom Sitz der Gesellschaft anwendbar; es droht sich jedoch besonders zu Lasten der Gesellschaften auszuwirken, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben, denn es werden zumeist diese sein, die ihren steuerlichen Sitz ausserhalb des fraglichen Mitgliedstaats haben.

Entscheidungsgründe


1 Die Queen' s Bench Division des High Court of Justice of England and Wales (im folgenden: High Court) hat mit Beschluß vom 12. April 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Dezember 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Vorschriften dieses Vertrages über die Niederlassungsfreiheit und das Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft deutschen Rechts Commerzbank AG mit Sitz in Deutschland und den Inland Revenü Commissioners (im folgenden: Steuerbehörde) wegen der Voraussetzungen für die Besteuerung nach dem Income and Corporation Taxes Act (Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz) 1988.

3 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich folgender Sachverhalt:

4 Die Commerzbank hat eine Zweigniederlassung im Vereinigten Königreich, durch die sie zwischen 1973 und 1976 verschiedenen amerikanischen Gesellschaften Darlehen gewährte. Auf die Zinsen, die diese Gesellschaften ihr zahlten, entrichtete sie im Vereinigten Königreich Steuern in Höhe von 4 222 234 UKL.

5 In der Folgezeit beantragte die Commerzbank bei der Steuerbehörde die Rückzahlung dieses Betrages mit der Begründung, daß die Zinsen nach Artikel 15 des Abkommens vom 2. August 1946 zwischen der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerflucht im Bereich der Einkommensteuer (S. R. & O. 1946 Nr. 1327) in der Fassung des Protokolls vom 20. September 1966 (S. I. 1966 Nr. 1188) im Vereinigten Königreich steuerfrei seien. Diese Vorschrift sieht im wesentlichen vor, daß die von einer US-amerikanischen Gesellschaft gezahlten Zinsen im Vereinigten Königreich nur besteuert werden, wenn sie an eine britische Gesellschaft oder an eine Gesellschaft gezahlt werden, die ihren steuerlichen Sitz im Vereinigten Königreich hat. Da die Commerzbank ihren steuerlichen Sitz nicht im Vereinigten Königreich hatte, wurden ihr folglich die ohne Rechtsgrund entrichteten Steuern zurückgezahlt.

6 Im Zusammenhang mit dieser Rückzahlung berief sich die Commerzbank dann auf Section 825 des Income and Corporation Taxes Act 1988. Diese bestimmt:

"1. Diese Section ist auf die folgenden Zahlungen anwendbar, die an eine Gesellschaft im Zusammenhang mit einem Abrechnungszeitraum, in dem sie im Vereinigten Königreich ansässig war, geleistet werden ...:

a) die Rückzahlung der Körperschaftsteuer, die die Gesellschaft für diesen Zeitraum entrichtet hat ...

2. Wenn nach Ablauf von zwölf Monaten nach dem maßgeblichen Zeitraum vom Board [oberste Finanzbehörde] oder von einem Inspector eine Zahlung von mindestens 100 UKL, auf die diese Section anwendbar ist, geleistet wird, so wird diese Zahlung unbeschadet der folgenden Vorschriften dieser Section um einen Betrag (den 'Zuschlag zur Rückzahlung' ) erhöht, der den Zinsen auf den gezahlten Betrag zum Satz von 8,25 % p. a. entspricht ..."

7 Die Commerzbank verlangte von der Steuerbehörde den Zuschlag zur Rückzahlung, der sich nach ihren Berechnungen auf 5 199 258 UKL belief.

8 Die Steuerbehörde wies das Ersuchen der Commerzbank mit der Begründung zurück, diese sei nicht im Vereinigten Königreich ansässig. Die Commerzbank erhob daraufhin Klage beim High Court, mit der sie die gerichtliche Nachprüfung dieser Entscheidung beantragte und geltend machte, die Weigerung, Nichtansässigen den Zuschlag zur Rückzahlung zu gewähren, stelle eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, da die betroffenen Gesellschaften zumeist ausländische Gesellschaften seien.

9 Der High Court hielt es für erforderlich, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung der Artikel 5, 7, 52 und 58 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorzulegen.

10 Diese Frage lautet wie folgt:

Verstösst in einem Fall, in dem

i) eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurde und ihren Hauptsitz in diesem Staat hat, durch eine Zweigniederlassung in einem zweiten Mitgliedstaat Geschäfte tätigt,

ii) die Gesellschaft im zweiten Mitgliedstaat zur Zahlung einer Steuer auf von der Zweigniederlassung erwirtschaftete Gewinne aufgefordert wird und diese zahlt,

iii) diese Steuer in Wirklichkeit nicht geschuldet ist, wenn die Gesellschaft Anspruch auf Befreiung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen dem zweiten Mitgliedstaat und einem Drittland zugunsten von Gesellschaften hat, die weder inländische Gesellschaften des zweiten Mitgliedstaats sind noch dort ihren steuerlichen Sitz haben,

iv) die Gesellschaft erfolgreich die Befreiung verlangt und die Rückzahlung der gezahlten, aber nicht geschuldeten Steuer durchsetzt,

v) das Recht des zweiten Mitgliedstaats eine gesetzliche Entschädigung in Form von Zinsen (einen sogenannten "Zuschlag zur Rückzahlung") vorsieht, wenn die Gesellschaft, die die gezahlte, aber nicht geschuldete Steuer zurückerhält, in der maßgeblichen Zeit in diesem Mitgliedstaat ansässig war,

vi) die Gesellschaft den Zuschlag zur Rückzahlung verlangt, obwohl sie in der maßgeblichen Zeit nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig war,

vii) der zweite Mitgliedstaat sich aus diesem Grund weigert, der Gesellschaft den Zuschlag zur Rückzahlung zu zahlen,

die Weigerung des zweiten Mitgliedstaats, der Gesellschaft einen Zuschlag zur Rückzahlung zu zahlen, weil sie nicht in diesem Staat ansässig sei, gegen das Gemeinschaftsrecht, namentlich gegen die Artikel 5, 7 und 52 bis 58 EWG-Vertrag? Spielt es für die Beantwortung dieser Frage eine Rolle, daß die Gesellschaft nicht von der Steuer befreit gewesen wäre (so daß sich die Frage der Rückzahlung der Steuer und damit des Zuschlags zur Rückzahlung gar nicht stellen würde), wenn sie in diesem Mitgliedstaat ansässig gewesen wäre?

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der anwendbaren Rechtsvorschriften und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Aus den Akten ergibt sich, daß das vorlegende Gericht erstens wissen möchte, ob die Artikel 52 und 58 sowie die Artikel 5 und 7 EWG-Vertrag es verbieten, daß nach dem Recht eines Mitgliedstaats Zuschläge zur Rückzahlung nicht geschuldeter Steuern Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in diesem Staat haben, gewährt, Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, jedoch verweigert werden. Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine solche Regelung auch dann noch diskriminierend ist, wenn die Befreiung von der Steuer, die zur Rückzahlung geführt hat, nur für Gesellschaften gilt, die ihren steuerlichen Sitz nicht in dem betreffenden Mitgliedstaat haben.

13 Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 270/83 (Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Randnr. 18) festgestellt hat, ist mit der Niederlassungsfreiheit, die Artikel 52 den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten nach den gleichen Bestimmungen wie den im Niederlassungsstaat für dessen eigene Angehörigen festgelegten umfasst, gemäß Artikel 58 EWG-Vertrag für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmässigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben. In bezug auf die Gesellschaften ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, daß ihr Sitz im genannten Sinn, ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen, dazu dient, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen. Im selben Urteil hat der Gerichtshof ausgeführt, daß diese Vorschrift ausgehöhlt würde, wenn man zulassen würde, daß der Mitgliedstaat der Niederlassung nach seinem Belieben eine ungleiche Behandlung allein deshalb vornehmen kann, weil sich der Sitz einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet.

14 Weiterhin ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 12. Februar 1974 in der Rechtssache 152/73, Sotgiu, Slg. 1974, 153), daß die Vorschriften über die Gleichbehandlung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder bei Gesellschaften aufgrund des Sitzes, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung verbieten, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen.

15 Zwar ist das Kriterium des steuerlichen Sitzes im Inland für die Gewährung eines Zuschlags zur Rückzahlung nicht geschuldeter Steuern unabhängig vom Sitz der Gesellschaft anwendbar; es droht sich jedoch besonders zu Lasten der Gesellschaften auszuwirken, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben. Es werden nämlich zumeist diese sein, die ihren steuerlichen Sitz ausserhalb des fraglichen Mitgliedstaats haben.

16 Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht zur Rechtfertigung der im Ausgangsverfahren beanstandeten nationalen Vorschrift geltend, die nichtansässigen Gesellschaften, die sich in der Lage der Commerzbank befänden, würden durch die britische Steuerregelung keineswegs diskriminiert, sondern kämen vielmehr in den Genuß einer Vorzugsbehandlung. Sie seien von den Steuern, die die ansässigen Gesellschaften normalerweise zu zahlen hätten, befreit. Unter diesen Umständen bestehe hinsichtlich des Zuschlags zur Rückzahlung keine Diskriminierung: Ansässige und nichtansässige Gesellschaften würden verschieden behandelt, weil sie sich in bezug auf die Körperschaftsteuer in verschiedenen Situationen befänden.

17 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

18 Eine nationale Vorschrift wie die in Rede stehende enthält eine Ungleichbehandlung. Wenn nämlich einer nichtansässigen Gesellschaft das Recht auf den Zuschlag zur Steuerrückzahlung verweigert wird, auf den ansässige Gesellschaften stets einen Anspruch haben, so wird sie diesen gegenüber benachteiligt.

19 Der Umstand, daß die Steuerbefreiung, die zu der Rückzahlung führte, den nichtansässigen Gesellschaften vorbehalten war, kann nicht eine allgemeine Ausschlußvorschrift rechtfertigen. Diese Vorschrift ist daher diskriminierend.

20 Aufgrund dieser Erwägungen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag es verbieten, daß nach dem Recht eines Mitgliedstaats Zuschläge zur Rückzahlung nicht geschuldeter Steuern Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in diesem Staat haben, gewährt, Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, jedoch verweigert werden. Der Umstand, daß die letztgenannten Gesellschaften nicht von der Steuer befreit gewesen wären, wenn sie in diesem Staat ansässig gewesen wären, ist insoweit unerheblich.

21 Da Rechtsvorschriften wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, gegen die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag verstossen, erübrigt sich die Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit den Artikeln 5 und 7.

Kostenentscheidung


Kosten

22 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm von der Queen' s Bench Division des High Court of Justice of England and Wales mit Beschluß vom 12. April 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag verbieten es, daß nach dem Recht eines Mitgliedstaats Zuschläge zur Rückzahlung nicht geschuldeter Steuern Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in diesem Staat haben, gewährt, Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, jedoch verweigert werden. Der Umstand, daß die letztgenannten Gesellschaften nicht von der Steuer befreit gewesen wären, wenn sie in diesem Staat ansässig gewesen wären, ist insoweit unerheblich.