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URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 5. MAI 1994. - H. J. GLAWE SPIEL- UND UNTERHALTUNGSGERAETE AUFSTELLUNGSGESELLSCHAFT MBH & CO. KG GEGEN FINANZAMT HAMBURG-BARMBEK-UHLENHORST. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT HAMBURG - DEUTSCHLAND. - MEHRWERTSTEUER - SECHSTE RICHTLINIE - GELDSPIELAUTOMATEN - BESTEUERUNGSGRUNDLAGE. - RECHTSSACHE C-38/93.
Sammlung der Rechtsprechung 1994 Seite I-01679
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
++++
Steuerrecht ° Harmonisierung ° Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ° Besteuerungsgrundlage ° Dienstleistung ° Vom Dienstleistenden tatsächlich empfangene Gegenleistung ° Geldspielautomaten ° Nichteinbeziehung des feststehenden Prozentsatzes der Einsätze, der in Form von Gewinnen an die Spieler zurückfließen muß
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a)
Bei einer Dienstleistung ist Besteuerungsgrundlage im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 77/388 die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung. Bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind, daß ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt wird, besteht die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze, über den er effektiv selbst verfügen kann.
Die genannte Bestimmung ist deshalb dahin auszulegen, daß bei solchen Automaten der gesetzlich zwingend festgelegte Teil der Gesamtheit der Spieleinsätze, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspricht, nicht zur Besteuerungsgrundlage gehört.
1 Das Finanzgericht Hamburg hat mit Beschluß vom 22. Dezember 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der H. J. Glawe Spiel- und Unterhaltungsgeräte Aufstellungsgesellschaft mbH & Co. KG (im folgenden: Klägerin) und dem Finanzamt Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst (im folgenden: Finanzamt) wegen des Umsatzsteuerbescheids der Klägerin für 1991.
3 Die Klägerin ist ein Unternehmen, das Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit in Gaststätten aufstellt und betreibt. Die Funktionsweise dieser Automaten ist gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Der Aufsteller ist verpflichtet, vor ihrer erstmaligen Inbetriebnahme das für die Gewinnauszahlung vorhandene Münzstapelrohr mit Geldmünzen vollständig aufzufuellen. Wenn ein Spieler ein Geldstück in den Automaten einwirft, fällt es in die Automatenkasse, falls das Münzstapelrohr vollständig gefuellt ist. Ist das Münzstapelrohr infolge von Gewinnauszahlungen nicht mehr vollständig gefuellt, fallen die von den Spielern eingeworfenen Münzen nicht in die Kasse, sondern gelangen in das Münzstapelrohr. Beim Öffnen des Automaten kann der Aufsteller nur den Inhalt der Kasse entnehmen; vor der Wiederinbetriebnahme des Automaten muß er den Inhalt des Münzstapelrohrs auffuellen, wenn dieses nicht vollständig gefuellt ist. Die Automaten müssen so eingestellt sein, daß mindestens 60 % der von den Spielern eingeworfenen Geldstücke (der Spieleinsätze), verringert um den jeweils geltenden Umsatzsteuersatz, als Gewinne ausgezahlt werden, während der Rest von etwa 40 % in der Automatenkasse verbleibt.
4 Bei der Ermittlung der von der Klägerin für 1991 geschuldeten Mehrwertsteuer ging das Finanzamt davon aus, daß Besteuerungsgrundlage im Sinne der deutschen Rechtsvorschriften zur Durchführung von Artikel 11 der Sechsten Richtlinie alle im Laufe dieses Jahres in die Automaten eingeworfenen Geldbeträge abzueglich der Mehrwertsteuer seien; die Höhe dieser Beträge schätzte es nach einer im Ausgangsrechtsstreit nicht gerügten Methode, da die Automaten keine obligatorischen Zählwerke zur Ermittlung des Spieleinsatzes haben.
5 Da die Klägerin die Auffassung vertrat, daß das Finanzamt nur die tatsächlich in den Automaten verbliebenen Spieleinsätze, d. h. die eingeworfenen Beträge unter Abzug nicht nur der Mehrwertsteuer, sondern auch der an die Spieler ausgezahlten Gewinne, als Besteuerungsgrundlage hätte heranziehen dürfen, legte sie gegen den Steuerbescheid Einspruch ein. Nach dessen Zurückweisung brachte sie den Rechtsstreit vor das Finanzgericht Hamburg, das dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:
1) Ist bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit Besteuerungsgrundlage im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie die Gesamtheit der Spieleinsätze ohne Abzug der automatisch an die Spieler ausgezahlten Gewinne?
2) Für den Fall, daß die ausgezahlten Gewinne abzuziehen sind:
Gebietet der Grundsatz der Individualbesteuerung, daß Gewinne nur bis zur Höhe des jeweiligen Einsatzes für ein Spiel bzw. eine Spielserie abgezogen werden können?
3) Bei Verneinung der Frage 1:
Sind die automatisch ausgezahlten Gewinne vollständig oder teilweise - bis zur Höhe des jeweiligen Spiel- bzw. Spielserieneinsatzes - Rückvergütungen im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie?
6 Zur Beantwortung dieser Fragen ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie folgendes vorsieht: "Die Besteuerungsgrundlage ist ... bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b), c) und d) genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll ..."
7 Gemäß Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b sind die Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird, nicht in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen.
8 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-126/88 (Boots Company, Slg. 1990, I-1235, Randnr. 19) ausgeführt hat, stellt die letztgenannte Bestimmung nur eine Anwendung der in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie - in seiner Auslegung insbesondere durch das Urteil vom 23. November 1988 in der Rechtssache 230/87 (Naturally Yours Cosmetics, Slg. 1988, 6365, Randnr. 16) - aufgestellten Regel dar, daß die Besteuerungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung ist.
9 Bei Geldspielautomaten, die wie im Ausgangsverfahren aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind, daß durchschnittlich mindestens 60 % der Spieleinsätze als Gewinne an die Spieler ausgezahlt werden, besteht die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze, über den er effektiv selbst verfügen kann.
10 Der Betreiber erlangt jedoch nur die Geldstücke, die nach ihrem Einwurf in die Automaten unmittelbar in die Kasse gelangen, denn mit den Geldstücken, die in das Münzstapelrohr gelangen, soll dessen Inhalt aufgefuellt werden, den ursprünglich der Betreiber bereitgestellt hatte, um die Inbetriebnahme der Automaten zu ermöglichen.
11 Diese Auslegung wird durch die Analyse des Verwendungszwecks der Einsätze der Empfänger der Leistungen, also der Spieler, im Automaten bestätigt. Diese Einsätze bestehen nämlich in Wahrheit aus zwei Teilen: einem Teil, der zur Auffuellung des Inhalts des Münzstapelrohrs und somit zur Auszahlung der Gewinne bestimmt ist, und dem verbleibenden Teil, der in die Automatenkasse gelangt.
12 Da der Anteil der Spieleinsätze, der als Gewinn wieder ausgeschüttet wird, von vornherein zwingend feststeht, kann er weder als Bestandteil der Gegenleistung für die Bereitstellung der Automaten für die Spieler noch als Entgelt für eine andere den Spielern erbrachte Leistung wie die Gewährung einer Gewinnmöglichkeit oder die Auszahlung der Gewinne selbst angesehen werden.
13 Auf die erste Vorlagefrage ist deshalb zu antworten, daß Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit der gesetzlich zwingend festgelegte Teil der Gesamtheit der Spieleinsätze, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspricht, nicht zur Besteuerungsgrundlage gehört.
14 Aus dieser Antwort folgt, daß über die zweite und dritte Vorlagefrage, die von der Annahme ausgehen, daß der den ausgeschütteten Gewinnen entsprechende Teil der Einsätze Bestandteil der Gegenleistung für die Dienstleistung und in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen ist, nicht entschieden zu werden braucht.
Kosten
15 Die Auslagen der deutschen Regierung und des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Finanzgericht Hamburg mit Beschluß vom 22. Dezember 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ist dahin auszulegen, daß bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit der gesetzlich zwingend festgelegte Teil der Gesamtheit der Spieleinsätze, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspricht, nicht zur Besteuerungsgrundlage gehört.