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Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 17. Oktober 1996. - Denkavit International BV, VITIC Amsterdam BV und Voormeer BV gegen Bundesamt für Finanzen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Köln - Deutschland. - Harmonisierung des Steuerrechts - Körperschaftsteuer - Mutter- und Tochtergesellschaften. - Verbundene Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94.
Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-05063
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
++++
1. Rechtsangleichung ° Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ° Richtlinie 90/435 ° Befreiung der an die Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft ° Voraussetzungen ° Mindestbeteiligung am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft ° Befugnis der Mitgliedstaaten, die Befreiung von einer Mindestdauer der Beteiligung abhängig zu machen ° Enge Auslegung ° Nationale Regelung, wonach ein Anspruch auf Befreiung nur nach Ablauf der festgesetzten Mindestdauer und ausschließlich für die Zukunft besteht ° Unzulässigkeit ° Nicht ordnungsgemässe Umsetzung durch einen Mitgliedstaat ° Keine Verpflichtung des Staates zur Ersatzleistung für den einer Muttergesellschaft entstandenen Schaden
(Richtlinie 90/435 des Rates, Artikel 3 Absatz 2 und 5 Absatz 1)
2. Rechtsangleichung ° Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ° Richtlinie 90/435 ° Artikel 5 Absätze 1 und 3 ° Befreiung der an die Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft ° Klarheit ° Möglichkeit der Muttergesellschaft, die die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung ihrer Beteiligung am Kapital der Tochtergesellschaft während der von dem betreffenden Mitgliedstaat festgesetzten Mindestdauer einhält, sich darauf zu berufen
(Richtlinie 90/435 des Rates, Artikel 3 Absatz 2 und 5 Absätze 1 und 3)
3. Gemeinschaftsrecht ° Verletzung durch einen Mitgliedstaat ° Durchführung einer Richtlinie ° Pflicht zum Ersatz des dem einzelnen entstandenen Schadens ° Hinreichend qualifizierte Verletzung ° Begriff
1. Die in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten enthaltene Ermächtigung der Mitgliedstaaten, die Befreiung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle, die in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie für den Fall vorgesehen ist, daß die Muttergesellschaft einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft von wenigstens 25 % besitzt, nur zu gewähren, wenn die Muttergesellschaft während eines von dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Hoechstdauer von zwei Jahren festzusetzenden Zeitraums im Besitz der genannten Mindestbeteiligung bleibt, stellt eine Befugnis zur Abweichung von der Pflicht zur Gewährung der Befreiung dar, die als solche eng auszulegen ist. Sie kann deshalb nicht dahin ausgelegt werden, daß sie es einem Mitgliedstaat gestattet, die genannte Befreiung davon abhängig zu machen, daß die Muttergesellschaft im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung mindestens so lange, wie es dem von ihm aufgrund der ihm eingeräumten Befugnis festgesetzten Zeitraum entspricht, die erforderliche Mindestbeteiligung am Gesellschaftskapital ihrer Tochtergesellschaft besessen hat.
Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu regeln, wie die Einhaltung dieser Mindestbeteiligungszeit gemäß den in ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren durchgesetzt werden soll. Jedenfalls verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht dazu, die Vergünstigung sofort zu gewähren, wenn die Muttergesellschaft sich einseitig verpflichtet, die Mindestbeteiligungszeit einzuhalten.
Da dem so ist, ist ein Mitgliedstaat nach dem Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, einer Muttergesellschaft einen Schaden zu ersetzen, den sie dadurch erlitten hat, daß er bei der Umsetzung der Richtlinie 90/435 in sein nationales Recht rechtswidrigerweise vorgeschrieben hat, daß die nach Artikel 3 Absatz 2 festgesetzte Mindestbeteiligungszeit im Zeitpunkt der Ausschüttung der Gewinne, für die die Steuervergünstigung nach Artikel 5 vorgesehen ist, bereits zurückgelegt sein muß.
Die Voraussetzungen dafür, daß ein Mitgliedstaat zum Ersatz des einem entstandenen Schadens verpflichtet ist, weil er bei der mit einer Ermessensausübung verbundenen Rechtsetzungstätigkeit zur Umsetzung einer Richtlinie das Gemeinschaftsrecht verletzt hat, sind nämlich in diesem Fall nicht erfuellt. Jedenfalls fehlt es an einer hinreichend qualifizierten Verletzung des Gemeinschaftsrechts u. a. dann, wenn der betreffende Mitgliedstaat die gleiche Auslegung zugrunde gelegt hat wie nahezu alle Mitgliedstaaten, die von der Ausnahmebefugnis Gebrauch gemacht haben.
2. Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten sieht klar und eindeutig vor, daß Muttergesellschaften, die mit wenigstens 25 % am Kapital ihrer Tochtergesellschaft beteiligt sind, vom Steuerabzug an der Quelle zu befreien sind.
Zwar gibt Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, von dieser grundsätzlichen Regelung abzuweichen, wenn die Muttergesellschaft nicht während eines Mindestzeitraums im Besitz ihrer Beteiligung bleibt; zugleich eröffnet ihnen die Vorschrift einen Ermessensspielraum in bezug auf die Dauer dieses Zeitraums, die zwei Jahre nicht überschreiten darf, und hinsichtlich der anwendbaren Verwaltungsverfahren. Jedoch schließt dies nicht die Möglichkeit aus, anhand der grundsätzlichen Regelung in Artikel 5 der Richtlinie Mindestrechte zu bestimmen. Daher können sich die Muttergesellschaften, wenn ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie Gebrauch gemacht hat, vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die durch Artikel 5 Absätze 1 und 3 der Richtlinie begründeten Rechte berufen, sofern sie die Verpflichtung einhalten, während des von dem betreffenden Mitgliedstaat festgesetzten Zeitraums im Besitz ihrer Beteiligung zu bleiben.
3. Das Gemeinschaftsrecht erkennt einzelnen, denen durch eine einem Mitgliedstaat zuzurechnende Verletzung des Gemeinschaftsrechts ein Schaden entstanden ist, einen Entschädigungsanspruch zu, sofern drei Voraussetzungen erfuellt sind: Die Rechtsnorm, gegen die verstossen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Diese Voraussetzungen gelten auch, wenn ein Mitgliedstaat eine Gemeinschaftsrichtlinie nicht ordnungsgemäß in sein innerstaatliches Recht umsetzt. Ein Verstoß ist insoweit hinreichend qualifiziert, wenn ein Organ oder ein Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Rechtsetzungsbefugnis deren Grenzen offenkundig und erheblich überschritten hat. Zu den Gesichtspunkten, die berücksichtigt werden können, gehört insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift.
1 Mit Beschlüssen vom 19. September 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 19. und 27. Oktober 1994, hat das Finanzgericht Köln gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6; im folgenden: Richtlinie) und insbesondere von deren Artikeln 3 Absatz 2 und 5 zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in drei Verfahren, in denen die Gesellschaften niederländischen Rechts Denkavit Internationaal BV (im folgenden: Denkavit), VITIC Amsterdam BV (im folgenden: VITIC) und Voormeer BV (im folgenden: Voormeer), die jeweils am Kapital einer deutschen Gesellschaft beteiligt sind, wegen der Besteuerung der Gewinne ihrer Tochtergesellschaften Klage gegen das Bundesamt für Finanzen (im folgenden: Bundesamt) erhoben haben.
3 Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie gilt als Muttergesellschaft jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die bestimmte, in Artikel 2 der Richtlinie aufgeführte Bedingungen erfuellt und einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats besitzt. Nach Artikel 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Möglichkeit "von dieser Richtlinie ihre Gesellschaften auszunehmen, die nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren im Besitz einer Beteiligung bleiben, aufgrund deren sie als Muttergesellschaften gelten, oder an denen eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren eine solche Beteiligung hält".
4 Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie sieht vor, daß die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne, wenn diese einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft von wenigstens 25 % besitzt, vom Steuerabzug an der Quelle befreit sind. Nach Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie kann die Bundesrepublik Deutschland längstens bis Mitte 1996 einen Steuerabzug in Höhe von 5 % vornehmen.
5 Nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie musste diese vor dem 1. Januar 1992 in nationales Recht umgesetzt werden.
6 In Deutschland wurde die Richtlinie durch § 44d des Einkommensteuergesetzes (im folgenden: EStG) in nationales Recht umgesetzt. Während Absatz 1 dieser Vorschrift eine Ermässigung der Quellensteuer auf 5 % gemäß Artikel 5 Absätze 1 und 3 der Richtlinie vorsieht, bestimmt ihr Absatz 2, durch den Artikel 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden soll, daß "Muttergesellschaft im Sinne des Absatzes 1 ... eine Gesellschaft [ist], die ... im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer ... nachweislich seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der ... [Tochter-]gesellschaft beteiligt ist".
7 In der Rechtssache C-283/94 war Denkavit seit 1973 mit 20 % am Stammkapital der deutschen Denkavit-Futtermittel GmbH unmittelbar beteiligt. Am 14. Juli 1992 erhöhte sich diese Beteiligung durch den Erwerb weiterer Gesellschaftsanteile auf 99,4 %. Anscheinend im Hinblick auf eine für den 16. Oktober 1992 vorgesehene Gewinnausschüttung ihrer Tochtergesellschaft beantragte Denkavit am 6. Oktober 1992 bei der deutschen Finanzverwaltung, den Steuerabzug an der Quelle gemäß § 44d Absatz 1 EStG zu ermässigen. Gleichzeitig versicherte sie ausdrücklich, daß ihre Beteiligung an der Tochtergesellschaft während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren ab dem Erwerbsdatum, d. h. ab dem 14. Juli 1992, in Höhe von über 25 % bestehen bleiben werde.
8 Die Finanzverwaltung lehnte jedoch die beantragte Freistellung ab, weil die Zwölfmonatsfrist des § 44d Absatz 2 EStG für die Beibehaltung der Beteiligung nicht eingehalten sei.
9 Nachdem Denkavit erfolglos Einspruch eingelegt und sodann Klage beim Finanzgericht Köln erhoben hatte, änderte die Finanzverwaltung am 17. Mai 1993 ihren Bescheid und ließ ab 15. Juli 1993, d. h. vom Ablauf des ersten Jahres nach dem Erwerb der zusätzlichen Beteiligung an, die Anwendung des ermässigten Satzes bei der Vornahme des Steuerabzugs unter der Bedingung zu, daß Denkavit weiterhin bis zum 30. September 1995 im Besitz einer ausreichenden Beteiligung bleibt.
10 Denkavit beschränkte daraufhin ihre Klage auf den Zeitraum vor dem 15. Juli 1993. Sie machte vor dem vorlegenden Gericht u. a. geltend, sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids, mit dem das Bundesamt die Anwendung des ermässigten Steuersatzes für die Zeit bis zum 14. Juli 1993 abgelehnt habe, denn angesichts dieser Weigerung habe sie auf die ursprünglich für den 16. Oktober 1992 vorgesehene Gewinnausschüttung verzichtet. Hierdurch sei ihr ein erheblicher Zinsverlust entstanden, für den sie nach Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens Schadensersatz verlangen wolle.
11 In der Rechtssache C-291/94 besaß VITIC seit 1987 eine Beteiligung von 19 % am Kapital der deutschen Wesumat GmbH. Am 2. Januar 1992 erhöhte sich diese Beteiligung durch den Erwerb weiterer Gesellschaftsanteile auf 95 %. Am 15. Oktober 1991 beschloß die Tochtergesellschaft, aus dem Bilanzgewinn vom 31. Dezember 1990 eine Dividende auszuschütten, die am 15. Januar 1992 fällig werden sollte. Von der auf die Muttergesellschaft entfallenden Dividende wurde u. a. Kapitalertragsteuer zum normalen Satz einbehalten.
12 Am 29. Juni 1992 beantragte VITIC unter Berufung auf § 44d Absatz 1 EStG die Erstattung der einbehaltenen Steuer, soweit sie den ermässigten Satz von 5 % überstieg.
13 Am 16. Oktober 1992 lehnte die Finanzverwaltung die beantragte Erstattung ab, weil die Zwölfmonatsfrist des § 44d Absatz 2 EStG nicht eingehalten sei.
14 Nach erfolglosem Widerspruch erhob VITIC Klage beim Finanzgericht Köln.
15 In der Rechtssache C-292/94 erwarb Voormeer am 27. Februar 1992 96,13 % des Stammkapitals der deutschen Framode GmbH. Am 28. April 1992 beschloß diese, für das Geschäftsjahr vom 1. März 1991 bis zum 29. Februar 1992 eine Dividende auszuschütten, die am 4. Mai 1992 fällig werden sollte. Von der auf die Muttergesellschaft entfallenden Dividende wurde u. a. Kapitalertragsteuer zum normalen Satz einbehalten.
16 Am 15. Oktober 1992 beantragte Voormeer die Erstattung der einbehaltenen Steuer, soweit sie den ermässigten Satz von 5 % überstieg. Die Finanzverwaltung lehnte die beantragte Erstattung aus denselben Gründen wie gegenüber VITIC ab. Am 22. Januar 1993 legte Voormeer dagegen Einspruch ein. Nachdem dieser am 23. Februar 1993 zurückgewiesen worden war, erhob sie Klage beim Finanzgericht Köln.
17 In den drei Ausgangsverfahren weist das Finanzgericht Köln darauf hin, daß die Klage bei ausschließlicher Zugrundelegung des nationalen Rechts abzuweisen sei. Es äussert jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit von § 44d Absatz 2 EStG mit Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie, der nicht zu verlangen scheine, daß der Mindestzeitraum, während dessen die Muttergesellschaft ihre Beteiligung am Kapital der Tochtergesellschaft aufrechterhalten müsse, bei Stellung des Antrags auf Ermässigung des Steuerabzugs bereits abgelaufen sein müsse. Aus diesem Grund hat das Finanzgericht Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
In der Rechtssache C-283/94:
1. Ist die Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, insbesondere deren Artikel 3 Absatz 2, dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten berechtigt sind, eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft von den in Artikel 5 vorgeschriebenen Steuervergünstigungen auszuschließen, wenn die Muttergesellschaft einerseits im Zeitpunkt des Zufließens der in Rede stehenden Gewinnausschüttung noch nicht seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der inländischen Tochtergesellschaft beteiligt ist, die Muttergesellschaft sich andererseits jedoch gegenüber den zuständigen Steuerbehörden des Mitgliedstaats der Tochtergesellschaft verpflichtet hat, während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren seit dem Erwerb im Besitz ihrer Beteiligung an der Tochtergesellschaft zu bleiben?
2. Wenn Frage 1 verneint wird: Ist die Richtlinie 90/435 dahin auszulegen, daß sich eine Muttergesellschaft, die die Bedingungen der Artikel 2 und 3 der Richtlinie erfuellt, gegenüber dem Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft unmittelbar auf Artikel 5 der Richtlinie zur Begründung ihres Rechtsanspruchs auf die dort vorgesehene Befreiung oder Ermässigung des Steuerabzugs an der Quelle berufen kann, und bejahendenfalls, obliegt der Schutz dieses Rechtsanspruchs den nationalen Gerichten des Mitgliedstaats der Tochtergesellschaft?
3. Wenn Frage 1 verneint wird: Wenn der Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie insoweit fehlerhaft in nationales Recht umgesetzt hat, daß die dort vorgesehene Mindestbeteiligungsfrist nach der nationalen Gesetzgebung bereits vor dem Zeitpunkt des Zufließens einer entsprechend Artikel 5 der Richtlinie zu begünstigenden Gewinnausschüttung erfuellt sein muß, hat dann die in Fragen 1 und 2 umschriebene Muttergesellschaft nach den Kriterien des Urteils des Gerichtshofes vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich und Bonifaci) einen im Gemeinschaftsrecht begründeten oder einen nach Gemeinschaftsrecht gebotenen Entschädigungsanspruch gegen diesen Mitgliedstaat wegen Zinsverlusten, die ihr dadurch entstanden sind, daß sie die Vollziehung einer während der Laufzeit der oben genannten nationalen Mindestbeteiligungsfrist beschlossenen Gewinnausschüttung der Tochtergesellschaft bis zum Ablauf dieser Frist aufgeschoben hat?
In den Rechtssachen C-291/94 und C-292/94:
1. Ist die Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, insbesondere deren Artikel 3 Absatz 2, dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten berechtigt sind, eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft von den in Artikel 5 vorgeschriebenen Steuervergünstigungen auszuschließen, wenn die Muttergesellschaft zwar im Zeitpunkt des Zufließens der in Rede stehenden Gewinnausschüttung noch nicht seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der inländischen Tochtergesellschaft beteiligt ist, diese Mindestbehaltefrist jedoch in der Folgezeit erfuellt wird?
2. Wenn Frage 1 verneint wird: Ist die genannte Richtlinie dahin auszulegen, daß sich eine Muttergesellschaft, die die Bedingungen der Artikel 2 und 3 der Richtlinie erfuellt, gegenüber dem Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft unmittelbar auf Artikel 5 der Richtlinie zur Begründung ihres Rechtsanspruchs auf die dort vorgesehene Befreiung oder Ermässigung des Steuerabzugs an der Quelle berufen kann, und bejahendenfalls, obliegt der Schutz dieses Rechtsanspruchs den nationalen Gerichten des Mitgliedstaats der Tochtergesellschaft?
Zur ersten Frage
18 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts in den drei Rechtssachen geht im wesentlichen dahin, ob ein Mitgliedstaat die Gewährung der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Vergünstigung davon abhängig machen darf, daß die Muttergesellschaft im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung mindestens so lange, wie es der Dauer des von ihm nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie festgesetzten Zeitraums entspricht, einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital der Tochtergesellschaft besessen hat. In der Rechtssache C-283/94 fragt das vorlegende Gericht ferner, ob diese Frage anders zu beantworten ist, wenn die Muttergesellschaft die Vergünstigung vor Ablauf des Mindestzeitraums beantragt und sich einseitig verpflichtet, während dieses Zeitraums im Besitz ihrer Beteiligung zu bleiben.
19 Nach Ansicht von Denkavit und der Kommission ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Richtlinie, daß der nach Artikel 3 Absatz 2 festgesetzte Mindestzeitraum bei Gewährung der Steuervergünstigung noch nicht abgelaufen sein muß. Die Richtlinie solle nämlich zu grenzueberschreitenden Beteiligungen ermutigen und nicht etwa durch Erschwerung des Zugangs zu den im Rahmen der staatlichen Zusammenarbeit gewährten Steuervergünstigungen von ihnen abschrecken.
20 Die Kommission trägt ferner vor, sie habe sich in ihrem am 16. Januar 1969 vorgelegten Richtlinienvorschlag (ABl. C 39, S. 1) dafür ausgesprochen, "eine Gesellschaft, die normalerweise die erforderlichen Bedingungen erfuellt, (rückwirkend) nicht mehr als Muttergesellschaft zu betrachten, wenn sie sich innerhalb von zwei Jahren nach dem Erwerb von ihrer Beteiligung trennt". Demnach sei die Steuervergünstigung vom Erwerb der Beteiligung an zu gewähren; die Einhaltung der Frist könne nachträglich überprüft werden.
21 Das Bundesamt macht im wesentlichen geltend, da Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie insoweit keine Aussage enthalte, blieben die Mitgliedstaaten in ihrer Beurteilung frei. Diese Auffassung wird - allgemein - von der belgischen, der deutschen, der griechischen, der italienischen und der niederländischen Regierung geteilt. Ihrer Ansicht nach ermöglicht es allein die Auslegung, die sich aus der streitigen deutschen Vorschrift ergibt, der Verwaltung, Mißbräuche zu bekämpfen. Eine spätere Kontrolle der Einhaltung der Beteiligungsfrist würde insbesondere bei grenzueberschreitender Dividendenzahlung eine Vielzahl von praktischen und technischen Schwierigkeiten verursachen.
22 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie, wie sich insbesondere aus ihrer dritten Begründungserwägung ergibt, bezweckt, durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats zu beseitigen und so die grenzueberschreitende Zusammenarbeit zu erleichtern. Daher sieht Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vor, daß im Staat der Tochtergesellschaft bei der Gewinnausschüttung eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle gewährt wird.
23 Zwar verbleibt den Mitgliedstaaten nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie die Möglichkeit, die Gewährung dieser Steuervergünstigung von einer Mindestbeteiligungszeit abhängig zu machen, die die Mitgliedstaaten frei festsetzen können, die aber keinesfalls zwei Jahre überschreiten darf.
24 Jedoch ist auf den Wortlaut von Artikel 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie abzustellen, wonach den Muttergesellschaften die Befreiung vom Steuerabzug nur versagt werden darf, wenn sie "nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren im Besitz einer Beteiligung bleiben".
25 Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, insbesondere aus der Verwendung des Präsens ("bleiben") in allen sprachlichen Fassungen ausser der dänischen, ergibt sich, daß die Muttergesellschaft die Steuervergünstigung nur erhalten kann, wenn sie während eines bestimmten Zeitraums eine Beteiligung an der Tochtergesellschaft besitzt, ohne daß es erforderlich ist, daß dieser Zeitraum bei Gewährung der Steuervergünstigung bereits abgelaufen ist. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, daß in der dänischen Fassung der Vorschrift eine Zeit der Vergangenheit verwendet wird.
26 Sie wird auch durch den Zweck der Richtlinie bestätigt, durch die, wie in Randnummer 22 dieses Urteils schon festgestellt, die steuerrechtliche Regelung für die grenzueberschreitende Zusammenarbeit gelockert werden soll. Die Mitgliedstaaten dürfen daher insoweit nicht einseitig restriktive Maßnahmen treffen, etwa indem sie, wie im vorliegenden Fall, verlangen, daß die Mindestbeteiligungszeit bei Ausschüttung der Gewinne, für die die Steuervergünstigung beantragt wird, bereits zurückgelegt sein muß.
27 Ferner ist die Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Festsetzung eines Mindestzeitraums, während dessen die Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft beteiligt sein muß, eng auszulegen, da sie eine Abweichung von dem in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie aufgestellten Grundsatz der Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle darstellt. Sie darf daher nicht zum Nachteil der begünstigten Unternehmen in einer Weise ausgelegt werden, die über den Wortlaut des Artikels 3 Absatz 2 hinausgeht.
28 Gegen die dargelegte Auslegung wenden die am Verfahren beteiligten Regierungen ein, die meisten Mitgliedstaaten, die von der durch Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten, hätten diese Vorschrift dahin ausgelegt, daß danach die Mindestbeteiligungszeit bei Stellung des Antrags auf Steuerbefreiung oder bei der Gewinnausschüttung der Tochtergesellschaft bereits zurückgelegt sein müsse. Bei Erlaß der Richtlinie durch den Rat sei vereinbart worden, eine relativ unbestimmte Formulierung zu verwenden, damit gemäß den Erfordernissen der innerstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedliche Auslegungen möglich seien. Die von der Kommission und Denkavit befürwortete restriktive Auslegung laufe daher dem Willen des Gesetzgebers zuwider.
29 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Von den Mitgliedstaaten im Rat dargelegte Beweggründe, wie sie von den Regierungen in ihren Erklärungen angeführt werden, sind rechtlich ohne Bedeutung, wenn sie in den Rechtsvorschriften keinen Ausdruck gefunden haben. Diese richten sich nämlich an die einzelnen, die sich gemäß den Erfordernissen des Grundsatzes der Rechtssicherheit auf ihren Inhalt verlassen können müssen.
30 Das Bundesamt und die deutsche Regierung machen ferner geltend, die Auslegung, die sich aus der Umsetzung von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber ergebe, finde eine Stütze in Artikel 1 Absatz 2, wonach die Richtlinie "der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Mißbräuchen nicht entgegen[steht]".
31 Hierzu ist festzustellen, daß Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie eine Grundsatzbestimmung darstellt, deren Inhalt in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie im einzelnen dargelegt wird. So dient die letztgenannte Vorschrift, was von keinem der Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, bestritten worden ist, insbesondere zur Bekämpfung von Mißbräuchen, die sich daraus ergeben können, daß Beteiligungen am Kapital von Gesellschaften ohne die Absicht, sie auf Dauer aufrechtzuerhalten, sondern nur zu dem Zweck, von den vorgesehenen Steuervergünstigungen zu profitieren, übernommen werden. Daher ist es nicht angebracht, für die Auslegung von Artikel 3 Absatz 2 auf Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie zurückzugreifen.
32 Die Mitgliedstaaten dürfen somit die Gewährung der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Steuervergünstigung nicht davon abhängig machen, daß die Muttergesellschaft im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung so lange, wie es der Dauer des nach Artikel 3 Absatz 2 festgesetzten Mindestzeitraums entspricht, an der Tochtergesellschaft beteiligt gewesen ist, sofern nur diese Mindestbeteiligungszeit später noch eingehalten wird.
33 Dabei können die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Erfordernisse ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung frei darüber bestimmen, wie die Einhaltung dieser Mindestbeteiligungszeit gesichert werden soll. Die Richtlinie besagt nämlich nichts über die Art und Weise, in der die Mitgliedstaaten, die von der Möglichkeit nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie Gebrauch gemacht haben, die Einhaltung der Mindestbeteiligungszeit durchsetzen müssen, wenn diese erst nach Stellung des Antrags auf Steuerbefreiung endet. Insbesondere verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht dazu, die Befreiung schon zu Beginn der Mindestbeteiligungszeit zu gewähren, wenn sie nicht sicher sein können, daß die Steuer später gezahlt wird, falls die Muttergesellschaft die von ihnen festgesetzte Mindestbeteiligungszeit nicht einhalten sollte. Auch ergibt sich aus der Richtlinie für die Mitgliedstaaten keine Verpflichtung, die Steuerbefreiung sofort zu gewähren, wenn die Muttergesellschaft sich einseitig verpflichtet, die Mindestbeteiligungszeit einzuhalten.
34 Das Vorbringen der deutschen und der griechischen Regierung, daß es eine Verkennung der Natur des Steuerabzugs an der Quelle und eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit darstellen würde, wenn die Finanzverwaltungen Steuervergünstigungen gewähren müssten, deren Berechtigung erst nachträglich geprüft werde, ist somit unerheblich.
35 Die Gewährung der Steuervergünstigung ab dem Zeitpunkt, in dem die Muttergesellschaft eine ausreichende Beteiligung am Kapital der Tochtergesellschaft erwirbt, in Verbindung mit einer eventuellen Nacherhebung, falls sich herausstellt, daß die Mindestbeteiligungszeit nicht eingehalten worden ist, stellt nämlich nicht die einzige Möglichkeit dar, die Beachtung von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie durchzusetzen. Wie sich aus Nummer 34 der Schlussanträge des Generalanwalts ergibt, haben einige Mitgliedstaaten für solche Fälle Regelungen getroffen, die geeignete Verfahren vorsehen. Da die Richtlinie hierzu jedoch keine Aussage enthält, ist es nicht Sache des Gerichtshofes, den Mitgliedstaaten die eine oder andere dieser Regelungen vorzuschreiben.
36 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß ein Mitgliedstaat die Gewährung der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Steuervergünstigung nicht davon abhängig machen darf, daß die Muttergesellschaft im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung mindestens so lange, wie es der Dauer des von ihm nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie festgesetzten Mindestzeitraums entspricht, einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital der Tochtergesellschaft besessen hat. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu regeln, wie die Einhaltung dieser Mindestbeteiligungszeit gemäß den in ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren durchgesetzt werden soll. Jedenfalls verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht dazu, die Vergünstigung sofort zu gewähren, wenn die Muttergesellschaft sich einseitig verpflichtet, die Mindestbeteiligungszeit einzuhalten.
Zur zweiten Frage
37 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob sich Muttergesellschaften, die die Voraussetzungen des Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie erfuellen, bei Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit dieser Vorschrift vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf Artikel 5 der Richtlinie berufen können.
38 Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie sieht klar und eindeutig vor, daß Muttergesellschaften, die mit wenigstens 25 % am Kapital ihrer Tochtergesellschaft beteiligt sind, vom Steuerabzug an der Quelle zu befreien sind. Desgleichen bestimmt Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie klar, daß die Bundesrepublik Deutschland bis Mitte 1996 einen Steuerabzug an der Quelle in Höhe von 5 % vornehmen darf.
39 Zwar gibt Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, von dieser grundsätzlichen Regelung abzuweichen, wenn die Muttergesellschaft nicht während eines Mindestzeitraums im Besitz ihrer Beteiligung bleibt; zugleich eröffnet ihnen die Vorschrift einen Ermessensspielraum in bezug auf die Dauer dieses Zeitraums, die zwei Jahre nicht überschreiten darf, und, wie schon festgestellt, hinsichtlich der anwendbaren Verwaltungsverfahren. Jedoch schließt dies nicht die Möglichkeit aus, anhand der grundsätzlichen Regelung in Artikel 5 der Richtlinie Mindestrechte zu bestimmen (in diesem Sinn Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Randnr. 17).
40 Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß sich die Muttergesellschaften, wenn ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie Gebrauch gemacht hat, vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die durch Artikel 5 Absätze 1 und 3 dieser Richtlinie begründeten Rechte berufen können, sofern sie die von dem betreffenden Mitgliedstaat festgesetzte Mindestbeteiligungszeit einhalten.
Zur dritten Frage
41 Die dritte, ausschließlich die Rechtssache C-283/94 betreffende Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob den Muttergesellschaften, falls der Gerichtshof die erste Frage verneinen sollte, aus der fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie durch den betreffenden Mitgliedstaat ein Anspruch auf Schadensersatz für die Zinsverluste erwächst, die ihnen angeblich durch den Aufschub der Gewinnausschüttung der Tochtergesellschaft bis zum Ablauf der nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie festgesetzten Mindestbeteiligungszeit entstanden sind.
42 Nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung ist diese Frage unerheblich und daher unzulässig, weil Denkavit im Ausgangsverfahren nicht Ersatz des Schadens verlangt habe, der ihr angeblich dadurch entstanden sei, daß ihr die Ermässigung des Steuerabzugs erst später gewährt worden sei.
43 Die deutsche Regierung äussert Zweifel am Vorliegen eines Schadens von Denkavit, da es ihrer Tochtergesellschaft weiterhin möglich gewesen sei, die zur Verteilung bestimmten Mittel anderweitig anzulegen.
44 Insoweit genügt es, daran zu erinnern, daß es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache der nationalen Gerichte ist, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu treffende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits besteht (siehe u. a. Urteil vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-129/94, Ruiz Bernáldez, Slg. 1996, I-0000, Randnr. 7).
45 Im vorliegenden Fall hat Denkavit in der Sitzung vorgetragen, mit ihrer Klage vor dem vorlegenden Gericht wolle sie zur Vorbereitung einer späteren Schadensersatzklage feststellen lassen, daß das Bundesamt ihr zu Unrecht die Ermässigung des Steuerabzugs für die Zeit vom 14. Juli 1992 bis zum 14. Juli 1993 versagt habe; sie habe somit gemäß den Erfordernissen des nationalen Rechts ein Rechtsschutzinteresse.
46 Unter diesen Umständen lässt sich nicht etwa feststellen, daß die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage keinen Bezug zur Realität oder zum Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweist. Die Frage ist daher zu prüfen.
47 Nach ständiger Rechtsprechung folgt der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen der mit dem Vertrag geschaffenen Rechtsordnung (siehe u. a. Urteile vom 5. März 1996 in den Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 31, und vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/90, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-0000, Randnr. 20).
48 In diesen Urteilen hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Umstände des jeweiligen Falles entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht einen Entschädigungsanspruch anerkennt, sofern drei Voraussetzungen erfuellt sind: Die Rechtsnorm, gegen die verstossen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (Urteile Brasserie du Pêcheur und Factortame, a. a. O., Randnr. 51, und Dillenkofer u. a., a. a. O., Randnrn. 21 und 23). Der Gerichtshof hat insbesondere festgestellt, daß diese Voraussetzungen auch gelten, wenn ein Mitgliedstaat eine Gemeinschaftsrichtlinie nicht ordnungsgemäß in sein innerstaatliches Recht umsetzt (Urteil vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 40).
49 Zwar ist es grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Haftung der Mitgliedstaaten für einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erfuellt sind. In der vorliegenden Rechtssache verfügt der Gerichtshof jedoch über alle Informationen, die für die Beurteilung der Frage erforderlich sind, ob der hier gegebene Sachverhalt einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erkennen lässt.
50 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist ein Verstoß hinreichend qualifiziert, wenn ein Organ oder ein Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Rechtsetzungsbefugnis deren Grenzen offenkundig und erheblich überschritten hat (Urteile Brasserie du Pêcheur und Factortame, a. a. O., Randnr. 55, und Dillenkofer u. a., a. a. O., Randnr. 25). Insoweit gehört zu den Gesichtspunkten, die berücksichtigt werden können, insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift (Urteile Brasserie du Pêcheur und Factortame, a. a. O., Randnr. 56, und British Telecommunications, a. a. O., Randnr. 42).
51 Im vorliegenden Fall ist in bezug auf die Voraussetzung, daß die Mindestbeteiligungszeit im Zeitpunkt der Gewährung der Steuervergünstigung bereits zurückgelegt sein muß, festzustellen, daß nahezu alle Mitgliedstaaten, die von der Ausnahmebefugnis Gebrauch gemacht haben, die gleiche Auslegung wie die Bundesrepublik Deutschland zugrunde gelegt haben. Diese Mitgliedstaaten glaubten anscheinend aufgrund der Beratungen im Rat, zu einer solchen Auslegung berechtigt zu sein. Insoweit ist insbesondere zu beachten, daß sich Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie ausdrücklich auf die Bekämpfung von Mißbräuchen bezieht.
52 Da die vorliegende Rechtssache ausserdem die erste ist, die die Richtlinie betrifft, ergab sich für die Bundesrepublik Deutschland aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes kein Hinweis darauf, wie die fragliche Vorschrift auszulegen ist.
53 Unter diesen Umständen kann es nicht als ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Sinne der Urteile Brasserie du Pêcheur und Factortame, British Telecommunications und Dillenkofer u. a. (a. a. O.) angesehen werden, daß sich ein Mitgliedstaat bei der Umsetzung der Richtlinie für berechtigt gehalten hat, zu verlangen, daß die Mindestbeteiligungszeit im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung bereits zurückgelegt ist.
54 Daher ist auf die dritte Frage wie folgt zu antworten: Ein Mitgliedstaat ist nach dem Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, einer Muttergesellschaft einen Schaden zu ersetzen, den sie dadurch erlitten hat, daß er bei der Umsetzung der Richtlinie rechtswidrigerweise vorgeschrieben hat, daß die nach Artikel 3 Absatz 2 festgesetzte Mindestbeteiligungszeit im Zeitpunkt der Ausschüttung der Gewinne, für die die Steuervergünstigung nach Artikel 5 vorgesehen ist, bereits zurückgelegt sein muß.
Kosten
55 Die Auslagen der belgischen, der deutschen, der griechischen, der französischen, der italienischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Finanzgericht Köln mit Beschlüssen vom 19. September 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Ein Mitgliedstaat darf die Gewährung der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten vorgesehenen Steuervergünstigung nicht davon abhängig machen, daß die Muttergesellschaft im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung mindestens so lange, wie es dem von ihm nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie festgesetzten Zeitraum entspricht, einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft von wenigstens 25 % besessen hat. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu regeln, wie die Einhaltung dieser Mindestbeteiligungszeit gemäß den in ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren durchgesetzt werden soll. Jedenfalls verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht dazu, die Vergünstigung sofort zu gewähren, wenn die Muttergesellschaft sich einseitig verpflichtet, die Mindestbeteiligungszeit einzuhalten.
2. Hat ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie Gebrauch gemacht, so können sich die Muttergesellschaften vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die durch Artikel 5 Absätze 1 und 3 dieser Richtlinie begründeten Rechte berufen, sofern sie die von dem betreffenden Mitgliedstaat festgesetzte Mindestbeteiligungszeit einhalten.
3. Ein Mitgliedstaat ist nach dem Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, einer Muttergesellschaft einen Schaden zu ersetzen, den sie dadurch erlitten hat, daß er bei der Umsetzung der Richtlinie rechtswidrigerweise vorgeschrieben hat, daß die nach Artikel 3 Absatz 2 festgesetzte Mindestbeteiligungszeit im Zeitpunkt der Ausschüttung der Gewinne, für die die Steuervergünstigung nach Artikel 5 vorgesehen ist, bereits zurückgelegt sein muß.