Avis juridique important
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 24. Oktober 1996. - Elida Gibbs Ltd gegen Commissioners of Customs and Excise. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Value Added Tax Tribunal, London - Vereinigtes Königreich. - Mehrwertsteuer - Sechste Richtlinie - Preiserstattungs- und Preisnachlaßgutscheine - Besteuerungsgrundlage. - Rechtssache C-317/94.
Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-05339
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
++++
Steuerrecht ° Harmonisierung ° Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ° Besteuerungsgrundlage ° Verkaufsförderungssystem, bei dem der Hersteller nach dem Kauf durch den Endverbraucher bei Vorlage eines von ihm ausgestellten Gutscheins eine Erstattung vornimmt ° Besteuerungsgrundlage auf der Ebene des Herstellers, die durch den Herstellerpreis abzueglich des erstatteten Betrages gebildet wird
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1)
Wenn ein Hersteller
° einen Preisnachlaßgutschein ausgibt, der zu dem auf dem Gutschein angegebenen Betrag beim Hersteller oder auf dessen Kosten zugunsten des Einzelhändlers einlösbar ist, wenn der Gutschein, der im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion an einen potentiellen Kunden ausgegeben wird, beim Kauf eines bestimmten Artikels durch den Kunden von dem Einzelhändler angenommen werden darf, wenn der Hersteller diesen Artikel zum "Erstlieferantenpreis" unmittelbar an den Einzelhändler verkauft hat und wenn dieser den Gutschein beim Verkauf des Artikels an den Kunden annimmt, ihn dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält
oder
° im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion Artikel zum "Herstellerpreis" unmittelbar an einen Einzelhändler verkauft, wenn ein Preiserstattungsgutschein für einen auf der Verpackung dieser Artikel angegebenen Betrag dem Kunden, der den Kauf eines dieser Artikel nachweist und die anderen auf dem Gutschein abgedruckten Bedingungen erfuellt, das Recht gibt, ihn dem Hersteller vorzulegen und dafür den angegebenen Betrag zu erhalten, und wenn ein Kunde einen derartigen Artikel von einem Einzelhändler kauft, den Gutschein dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält,
dann ist Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, daß die Besteuerungsgrundlage für die Bestimmung der vom Hersteller geschuldeten Mehrwertsteuer der Herstellerpreis abzueglich des auf dem Gutschein angegebenen und erstatteten Betrages ist. Dies gilt auch dann, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen Großhändler statt unmittelbar an einen Einzelhändler geliefert hat.
Diese Auslegung ist aufgrund des Grundsatzes geboten, daß der Betrag, der als Besteuerungsgrundlage für die von den Steuerbehörden zu erhebende Mehrwertsteuer dient, nicht höher sein kann als die Gegenleistung, die der Endverbraucher tatsächlich erbracht hat und auf deren Grundlage die von ihm letztlich getragene Mehrwertsteuer berechnet worden ist, und sie ergibt sich auch aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, wonach gleichartige Waren innerhalb der einzelnen Länder ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich zu belasten sind.
Das Mehrwertsteuersystem wird durch diese Auslegung nicht gestört, denn sie führt nicht zu einer Berichtigung der Besteuerungsgrundlage für die Zwischenumsätze. Diese bleibt unverändert, denn hinsichtlich dieser Umsätze wird die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes durch die Durchführung der Abzugsregelung der Richtlinie gewährleistet, die es den Zwischengliedern der Vertriebskette wie den Groß- oder Einzelhändlern gestattet, an die Steuerverwaltung nur den Teil der Steuer abzuführen, der der Differenz zwischen dem Preis, den jeder an seinen Lieferanten gezahlt hat, und dem Preis entspricht, zu dem er seinem Abnehmer die Ware geliefert hat.
1 Das Valü Added Tax Tribunal London hat mit Beschluß vom 30. November 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Dezember 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 11 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Elida Gibbs Ltd (im folgenden: Gibbs Ltd) und den für die Erhebung der Mehrwertsteuer im Vereinigten Königreich zuständigen Commissioners of Customs and Excise (im folgenden: Commissioners) wegen der Erstattung von Beträgen, die die Gibbs Ltd als Mehrwertsteuer entrichtet hat.
Die im Ausgangsverfahren streitigen Verkaufsförderungssysteme
3 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, daß die Gibbs Ltd, eine Tochtergesellschaft der Gesellschaft Unilever, Körperpflegeartikel herstellt, von denen 70 % an Einzelhändler verkauft werden; der Rest geht an Großhändler oder Cash-and-carry-Märkte zum anschließenden Weiterverkauf an Einzelhändler.
4 Zur Förderung des Einzelhandelsverkaufs an den Endverbraucher verwendet die Gibbs Ltd entweder das System der "Preisnachlaßgutscheine" ("money off"), von dem es zwei Varianten gibt, nämlich das "Grundprogramm" und das "einzelhändlerspezifische Programm", oder das System der "Preiserstattungsgutscheine" ("cash back").
5 Mit den Preisnachlaßgutscheinen, die zu ihrem "Grundprogramm" gehören, fördert die Gibbs Ltd den Verkauf eines bestimmten Erzeugnisses während eines begrenzten Zeitraums. Sie sorgt dafür, daß die Gutscheine, entweder unmittelbar oder in Form von Ausschnittgutscheinen in verschiedenen Publikationen (Zeitschriften, Zeitungen usw.), an die Öffentlichkeit verteilt werden. Jeder Gutschein hat einen Nominalwert (z. B. 15 Pence) und enthält Hinweise für die Verbraucher, wonach er beim Kauf eines oder mehrerer bestimmter Artikel der Marke Gibbs als Teilzahlung vorgelegt werden kann. Jeder Gutschein enthält auch Anweisungen an die Einzelhändler über die Modalitäten, die sie bei der Rückgabe des Gutscheins an die Gibbs Ltd einhalten müssen, um seine Einlösung zu erreichen, und über die Frist, die ihnen hierfür zur Verfügung steht.
6 Bei den Preisnachlaßgutscheinen, die zum "einzelhändlerspezifischen Programm" gehören, geht die Gibbs Ltd eine Verbindung mit einem Einzelhändler ein, um ein Verkaufsförderungsprogramm für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktlinie durchzuführen. Die Aktion ist zeitlich begrenzt. Der Einzelhändler druckt die Gutscheine aufgrund eines Vertrages mit der Gibbs Ltd und verteilt sie an die Öffentlichkeit. Auch in diesem Fall hat jeder Gutschein einen Nominalwert (z. B. 15 Pence) und führt das oder die Produkte auf, bei dessen oder deren Kauf er als Teilzahlung vorgelegt werden kann. Der Gutschein nennt auch den Namen des Einzelhändlers und kann nur in den Geschäften dieses Einzelhändlers verwendet werden.
7 Unabhängig davon, ob der Käufer der von der Gibbs Ltd hergestellten Produkte ein Großhändler oder ein Einzelhändler ist, berechnet die Gibbs Ltd für diese Lieferung einen bestimmten Preis einschließlich der Mehrwertsteuer, den sie ihrem Abnehmer in Rechnung stellt, und zwar in beiden oben beschriebenen Varianten des Systems der Preisnachlaßgutscheine. Der für diese Lieferung in Rechnung gestellte Betrag wird unabhängig von allen laufenden oder künftigen Verkaufsförderungsprogrammen festgelegt. Daher weiß der Großhändler oder Einzelhändler beim Kauf der Waren von der Gibbs Ltd möglicherweise nicht, daß diese in ein Verkaufsförderungsprogramm mit Preisnachlaßgutscheinen einbezogen sind oder künftig einbezogen werden. In diesem Stadium ist es sogar möglich, daß ein Programm nicht besteht oder nicht geplant ist.
8 Für Verkäufe des Großhändlers an den Einzelhändler wird gegebenenfalls der Großhandelspreis in Rechnung gestellt, der durch eine eventuelle Verkaufsförderungsaktion ebenfalls nicht beeinflusst wird.
9 Der Einzelhändler bietet diese Waren zu den angegebenen Preisen zum Kauf an. Wird das "Grundprogramm" durchgeführt, so kann der Kunde, der das auf dem Gutschein aufgeführte Produkt kauft, den Gutschein dem Einzelhändler vorlegen, der ihn annehmen kann. In diesem Fall entspricht der vom Einzelhändler eingenommene Betrag dem angegebenen Preis abzueglich des Nachlaßbetrags (15 Pence), und der Einzelhändler behält den Gutschein. Er ist jedoch nicht verpflichtet, den Gutschein anstelle der 15 Pence anzunehmen. Dagegen ist der mit der Gibbs Ltd verbundene Einzelhändler im Rahmen des "einzelhändlerspezifischen Programms" vertraglich verpflichtet, den Gutschein anstelle der 15 Pence in bar anzunehmen.
10 Ferner werden die Anträge auf Einlösung im Rahmen des "Grundprogramms" vom Einzelhändler unmittelbar an die Gibbs Ltd gerichtet. An dieser Transaktion sind nur der Einzelhändler und die Gibbs Ltd beteiligt. Der Einzelhändler hat einen Anspruch auf Erstattung, sofern er nachweist, daß er das Produkt vor oder während der Verkaufsförderungsaktion in ausreichenden Mengen unmittelbar von der Gibbs Ltd oder von einem Großhändler gekauft hat. Im Rahmen des "einzelhändlerspezifischen Programms" hat die Gibbs Ltd dem Einzelhändler die Erstattung unabhängig davon zu gewähren, ob sie dieses Produkt vor oder während des Verkaufsförderungsprogramms verkauft hat.
11 Beim System der "Preiserstattungsgutscheine" wird der Gutschein auf die Verpackung eines von der Gibbs Ltd hergestellten Produktes aufgedruckt. Dieser Gutschein enthält das Angebot der Gibbs Ltd, dem Verbraucher vorbehaltlich der Erfuellung bestimmter Bedingungen einen Teil des Verkaufspreises zu erstatten, den er an den Einzelhändler gezahlt hat; dieser Teil des Preises entspricht dem Nominalwert des Gutscheins, der für den Verbraucher auch einen Kaufnachweis darstellt. Ein Verbraucher, der dieses Produkt kauft, ist berechtigt, den Gutschein unmittelbar an die Gibbs Ltd oder an ihre Vertreter zu senden, die dann die versprochene Erstattung in bar vornehmen.
Das Ausgangsverfahren
12 Am 24. August 1992 stellte die Firma Unilever, die Muttergesellschaft der Gibbs Ltd, bei den Commissioners den Antrag, ihr den Betrag von 883 894 UKL zu erstatten, der, nach ihrer Auffassung zu Unrecht, seit 1984 als Mehrwertsteuer auf den Wert der Preisnachlaß- und Preiserstattungsgutscheine erhoben worden war. Die Erstattung des Nominalwerts der Gutscheine stelle vielmehr einen rückwirkenden Rabatt dar, so daß die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer, die die Gibbs Ltd als Steuerpflichtige schulde, um diesen Betrag vermindert werden müsse.
13 Da die Commissioners zu der Auffassung gelangten, daß kein rückwirkender Rabatt vorliege, wiesen sie diese Beschwerde hinsichtlich der Preisnachlaßgutscheine mit Entscheidung vom 5. Mai 1993 und hinsichtlich der Preiserstattungsgutscheine mit Entscheidung vom 8. Oktober 1993 zurück.
14 Zu den Preisnachlaßgutscheinen vertraten die Commissioners die Ansicht, daß die diesen Gutscheinen entsprechenden Beträge Teil der Gegenleistung seien, die der Einzelhändler für die Lieferung der Gegenstände an den Kunden erhalte. Da diese Beträge von der Gibbs Ltd entrichtet worden seien, hätten sie eine Gegenleistung eines "Dritten" dargestellt, die nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie in die Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer auf die Lieferung des Einzelhändlers habe einbezogen werden müssen.
15 Zu den Preiserstattungsgutscheinen vertraten die Commissioners die Auffassung, daß der Einzelhändler mit dieser Transaktion nichts zu tun habe, da der Verbraucher die Erstattung nach Übersendung des entsprechenden Antrags unmittelbar vom Hersteller erhalte. Daher bestehe keine unmittelbare Verbindung zwischen der Lieferung der Waren vom Hersteller an den Einzel- oder Großhändler und dem Betrag, den der Verbraucher vom Hersteller für die Gutscheine erhalte.
16 Diese Entscheidungen wurden von der Gibbs Ltd beim Valü Added Tax Tribunal London angefochten, das die beiden Klagen verbunden hat.
17 Da das Valü Added Tax Tribunal London Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts hat, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Preisnachlaßgutscheine
Ist im Falle eines Erstlieferanten in der Lage der Elida Gibbs Ltd (wie in Nr. 4 der Zwischenentscheidung dargestellt), wenn nämlich
a) der Erstlieferant ein "Hersteller" ist, der einen Preisnachlaßgutschein ausgibt, der zum "angegebenen Betrag" (dem auf dem Gutschein aufgedruckten Betrag) beim Hersteller oder auf dessen Kosten zugunsten des Einzelhändlers einlösbar ist,
b) der Gutschein, der im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion an einen potentiellen Kunden ausgegeben wird, beim Kauf eines bestimmten Artikels durch den Kunden von dem Einzelhändler angenommen werden darf,
c) der Hersteller den bestimmten Artikel zum "Erstlieferantenpreis" entweder unmittelbar an den Einzelhändler oder an einen Großhändler verkauft hat und
d) der Einzelhändler den Gutschein beim Verkauf des Artikels an den Kunden annimmt, ihn dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält,
die "Besteuerungsgrundlage" des Herstellers bei zutreffender Auslegung des Artikels 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der Herstellerpreis oder dieser Preis abzueglich des angegebenen Betrages?
Ist diese Frage anders zu beantworten, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen Großhändler statt unmittelbar an einen Einzelhändler geliefert hat?
2. Preiserstattungsgutscheine
Ist im Falle eines Erstlieferanten in der Lage der Elida Gibbs Ltd (wie in Nr. 5 der Zwischenentscheidung dargestellt), wenn nämlich
a) der Erstlieferant ("der Hersteller") im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion Artikel zum "Herstellerpreis" entweder unmittelbar an einen Einzelhändler oder an einen Großhändler verkauft,
b) ein Preiserstattungsgutschein für einen "angegebenen Betrag" auf der Verpackung dieser Artikel aufgedruckt ist, der dem Kunden, der den Kauf eines dieser Artikel nachweist und die anderen auf dem Gutschein abgedruckten Bedingungen erfuellt, das Recht gibt, den Gutschein dem Hersteller vorzulegen und dafür den angegebenen Betrag zu erhalten, und
c) ein Kunde einen derartigen Artikel von einem Einzelhändler kauft, den Gutschein dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält,
die "Besteuerungsgrundlage" des Herstellers bei zutreffender Auslegung des Artikels 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der Herstellerpreis oder dieser Preis abzueglich des angegebenen Betrages?
Ist diese Frage anders zu beantworten, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen Großhändler statt unmittelbar an einen Einzelhändler geliefert hat?
Allgemeine Überlegungen
18 Vor der Beantwortung der gestellten Fragen ist kurz an das Grundprinzip und die Funktionsweise des Mehrwertsteuersystems zu erinnern.
19 Das Grundprinzip ist, daß durch das Mehrwertsteuersystem nur der Endverbraucher belastet werden soll. Folglich kann der Betrag, der als Besteuerungsgrundlage für die von den Steuerbehörden zu erhebende Mehrwertsteuer dient, nicht höher sein als die Gegenleistung, die der Endverbraucher tatsächlich erbracht hat und auf deren Grundlage die von ihm letztlich getragene Mehrwertsteuer berechnet worden ist.
20 So ergibt sich nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 1. April 1982 in der Rechtssache 89/81 (Hong-Kong Trade, Slg. 1982, 1277, Randnr. 6) aus der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. Nr. 71, S. 1301), daß eines der Grundprinzipien, auf denen das Mehrwertsteuersystem beruht, die Neutralität in dem Sinne ist, daß gleichartige Waren innerhalb der einzelnen Länder ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden.
21 Dieses Grundprinzip verdeutlicht die Rolle und die Verpflichtungen der Steuerpflichtigen in dem Mechanismus, der für die Erhebung der Mehrwertsteuer eingeführt wurde.
22 Die Steuerpflichtigen werden nämlich durch die Mehrwertsteuer nicht belastet, sondern sie sind, wenn sie auf den vor dem Stadium der endgültigen Besteuerung liegenden Produktions- und Vertriebsstufen tätig sind, ungeachtet der Zahl der bewirkten Umsätze nur verpflichtet, auf jeder dieser Stufen die Steuer für Rechnung der Steuerverwaltung einzuziehen und sodann an diese abzuführen.
23 Um die vollständige Neutralität des Mechanismus gegenüber den Steuerpflichtigen zu gewährleisten, sieht die Sechste Richtlinie in ihrem Abschnitt XI eine Abzugsregelung vor, durch die der Steuerpflichtige von jeder Belastung durch nicht geschuldete Mehrwertsteuer freigestellt werden soll. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 5. Mai 1982 in der Rechtssache 15/81 (Schul, Slg. 1982, 1409, Randnr. 10) ausgeführt hat, ist ein Grundelement des Mehrwertsteuersystems, daß die Mehrwertsteuer bei allen Umsätzen nur abzueglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet wird, der die verschiedenen Kostenelemente der Gegenstände und Dienstleistungen unmittelbar belastet hat; der Mechanismus des Vorsteuerabzugs ist so ausgestaltet, daß allein die Steuerpflichtigen befugt sind, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, mit der die Gegenstände und Dienstleistungen bereits vorher belastet worden sind.
24 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß in jedem Einzelfall der Mechanismus der Mehrwertsteuer, seine Wirkungsweise und die Rolle der Zwischenstufen zu berücksichtigen sind und daß die Steuerverwaltung daher letztlich keinen Betrag erheben darf, der den vom Endverbraucher gezahlten übersteigt.
25 Auf der Grundlage dieser Überlegungen sind die vom Valü Added Tax Tribunal London gestellten Fragen gemeinsam zu prüfen.
Zu den Vorabentscheidungsfragen
26 Nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie ist die Besteuerungsgrundlage bei Lieferungen von Gegenständen im Inland alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer vom Abnehmer erhält oder erhalten soll.
27 Nach ständiger Rechtsprechung stellt diese Gegenleistung den "subjektiven", nämlich im konkreten Fall tatsächlich erhaltenen Wert und nicht einen nach objektiven Maßstäben geschätzten Wert dar (Urteile vom 23. November 1988 in der Rechtssache 230/87, Naturally Yours Cosmetics Ltd, Slg. 1988, 6365, Randnr. 16, und vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-126/88, Boots Company, Slg. 1990, I-1235, Randnr. 19).
28 In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens erhält der Hersteller, der dem Einzelhändler den Wert des Preisnachlaßgutscheins oder dem Endverbraucher den Wert des Preiserstattungsgutscheins erstattet hat, nach Abschluß des Umsatzes einen Betrag, der dem von dem Groß- oder Einzelhändler gezahlten Verkaufspreis für seine Artikel abzueglich des Wertes dieser Gutscheine entspricht. Es stuende deshalb nicht im Einklang mit der Richtlinie, wenn der Betrag, der als Bemessungsgrundlage für die vom Hersteller als Steuerpflichtigen geschuldete Mehrwertsteuer dient, höher wäre als der Betrag, den er letztlich erhalten hat. Andernfalls wäre der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gegenüber den Steuerpflichtigen, zu denen der Hersteller gehört, nicht gewahrt.
29 Folglich muß der Betrag, der dem Preis entspricht, zu dem er die Waren an die Groß- oder Einzelhändler verkauft hat, abzueglich des Wertes der Gutscheine die für den Hersteller als Steuerpflichtigen geltende Besteuerungsgrundlage bilden.
30 Diese Auslegung wird durch Artikel 11 Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestätigt, der zur Gewährleistung der Neutralität der Stellung des Steuerpflichtigen bestimmt, daß die Besteuerungsgrundlage im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert wird.
31 Zwar betrifft diese Vorschrift den üblichen Fall vertraglicher Beziehungen, die unmittelbar zwischen zwei Vertragsparteien zustande kommen und nachträglich eine Änderung erfahren. Gleichwohl bringt sie den oben genannten Grundsatz der Neutralität der Stellung der Steuerpflichtigen zum Ausdruck. Folglich ergibt sich aus dieser Vorschrift, daß zur Gewährleistung der Einhaltung des Neutralitätsgrundsatzes bei der Berechnung der Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer der Fall eines Steuerpflichtigen zu berücksichtigen ist, der zwar nicht vertraglich mit dem Endverbraucher verbunden ist, aber das erste Glied einer zu diesem führenden Kette von Umsätzen bildet und ihm durch Vermittlung der Einzelhändler einen Preisnachlaß gewährt oder ihm den Wert der Gutscheine unmittelbar erstattet. Andernfalls würde die Steuerverwaltung, und zwar zu Lasten des Steuerpflichtigen, als Mehrwertsteuer einen Betrag erheben, der höher wäre als derjenige, den der Endverbraucher tatsächlich gezahlt hat.
32 Diese Auslegung wird nicht durch das Vorbringen der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der deutschen und griechischen Regierung widerlegt, wonach die Verminderung der Besteuerungsgrundlage durch Abzug der Preisnachlässe oder Erstattungen, die der Erstlieferant nach der Lieferung an einen Groß- oder Einzelhändler dem Verbraucher unmittelbar gewährt, die Wirkungsweise des Mehrwertsteuermechanismus stören und das System in der Praxis undurchführbar machen könnte, weil sie jeden der Groß- oder Einzelhändler der Kette verpflichten würde, nachträglich den Preis und folglich den Mehrwertsteuerbetrag, den er an seinen eigenen Lieferanten gezahlt hat, anzupassen, und weil dieser berichtigte Rechnungen ausstellen müsste.
33 Tatsächlich wird das Mehrwertsteuersystem durch diesen Abzug nicht gestört, denn es ist nicht erforderlich, die Besteuerungsgrundlage für die Zwischenumsätze zu berichtigen. Diese Grundlage bleibt vielmehr unverändert, denn hinsichtlich dieser Umsätze wird die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes auf diese Weise durch die Durchführung der Abzugsregelung in Abschnitt XI der Sechsten Richtlinie gewährleistet, die es den Zwischengliedern der Vertriebskette wie den Groß- oder Einzelhändlern gestattet, von der Grundlage ihrer eigenen Steuer die Beträge abzuziehen, die jeder an seinen eigenen Lieferanten als Mehrwertsteuer auf den entsprechenden Umsatz gezahlt hat, und an die Steuerverwaltung somit den Teil der Mehrwertsteuer abzuführen, der der Differenz zwischen dem Preis, den jeder an seinen Lieferanten gezahlt hat, und dem Preis entspricht, zu dem er seinem Abnehmer die Ware geliefert hat.
34 Nach alledem ist auf die erste Frage wie folgt zu antworten: Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß dann, wenn ein Hersteller einen Preisnachlaßgutschein ausgibt, der zu dem auf dem Gutschein angegebenen Betrag beim Hersteller oder auf dessen Kosten zugunsten des Einzelhändlers einlösbar ist, wenn der Gutschein, der im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion an einen potentiellen Kunden ausgegeben wird, beim Kauf eines bestimmten Artikels durch den Kunden von dem Einzelhändler angenommen werden darf, wenn der Hersteller diesen Artikel zum "Erstlieferantenpreis" unmittelbar an den Einzelhändler verkauft hat und wenn dieser den Gutschein beim Verkauf des Artikels an den Kunden annimmt, ihn dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält, die Besteuerungsgrundlage der Herstellerpreis abzueglich des auf dem Gutschein angegebenen und erstatteten Betrages ist. Dies gilt auch dann, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen Großhändler statt unmittelbar an einen Einzelhändler geliefert hat.
35 Auf die zweite Frage ist wie folgt zu antworten: Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß dann, wenn der Hersteller im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion Artikel zum "Herstellerpreis" unmittelbar an einen Einzelhändler verkauft, wenn ein Preiserstattungsgutschein für einen auf der Verpackung dieser Artikel angegebenen Betrag dem Kunden, der den Kauf eines dieser Artikel nachweist und die anderen auf dem Gutschein abgedruckten Bedingungen erfuellt, das Recht gibt, ihn dem Hersteller vorzulegen und dafür den angegebenen Betrag zu erhalten, und wenn ein Kunde einen derartigen Artikel von einem Einzelhändler kauft, den Gutschein dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält, die Besteuerungsgrundlage der Herstellerpreis abzueglich des auf dem Gutschein angegebenen und erstatteten Betrages ist. Dies gilt auch dann, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen Großhändler statt unmittelbar an einen Einzelhändler geliefert hat.
Kosten
36 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der deutschen, der griechischen, der französischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Valü Added Tax Tribunal London mit Beschluß vom 30. November 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß dann, wenn ein Hersteller einen Preisnachlaßgutschein ausgibt, der zu dem auf dem Gutschein angegebenen Betrag beim Hersteller oder auf dessen Kosten zugunsten des Einzelhändlers einlösbar ist, wenn der Gutschein, der im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion an einen potentiellen Kunden ausgegeben wird, beim Kauf eines bestimmten Artikels durch den Kunden von dem Einzelhändler angenommen werden darf, wenn der Hersteller diesen Artikel zum "Erstlieferantenpreis" unmittelbar an den Einzelhändler verkauft hat und wenn dieser den Gutschein beim Verkauf des Artikels an den Kunden annimmt, ihn dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält, die Besteuerungsgrundlage der Herstellerpreis abzueglich des auf dem Gutschein angegebenen und erstatteten Betrages ist. Dies gilt auch dann, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen Großhändler statt unmittelbar an einen Einzelhändler geliefert hat.
2. Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß dann, wenn der Hersteller im Zuge einer Verkaufsförderungsaktion Artikel zum "Herstellerpreis" unmittelbar an einen Einzelhändler verkauft, wenn ein Preiserstattungsgutschein für einen auf der Verpackung dieser Artikel angegebenen Betrag dem Kunden, der den Kauf eines dieser Artikel nachweist und die anderen auf dem Gutschein abgedruckten Bedingungen erfuellt, das Recht gibt, ihn dem Hersteller vorzulegen und dafür den angegebenen Betrag zu erhalten, und wenn ein Kunde einen derartigen Artikel von einem Einzelhändler kauft, den Gutschein dem Hersteller vorlegt und den angegebenen Betrag erhält, die Besteuerungsgrundlage der Herstellerpreis abzueglich des auf dem Gutschein angegebenen und erstatteten Betrages ist. Dies gilt auch dann, wenn der Hersteller die Artikel zuerst an einen Großhändler statt unmittelbar an einen Einzelhändler geliefert hat.