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61997J0391

Urteil des Gerichtshofes vom 14. September 1999. - Frans Gschwind gegen Finanzamt Aachen-Außenstadt. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Köln - Deutschland. - Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) - Gleichbehandlung - Gebietsfremde - Einkommensteuer - Veranlagung von Verheirateten. - Rechtssache C-391/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-05451


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


Freizuegigkeit - Arbeitnehmer - Gleichbehandlung - Entgelt - Einkommensteuern - Nationale Regelung, die die Gewährung einer gebietsansässigen Eheleuten gewährten Steuervergünstigung an gebietsfremde Eheleute von einem bestimmten Einkommen abhängig macht - Zulässigkeit - Voraussetzungen

(EG-Vertrag, Artikel 48 Absatz 2 [nach Änderung jetzt Artikel 39 Absatz 2 EG])

Leitsätze


Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 Absatz 2 EG) ist dahin auszulegen, daß er der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die gebietsansässigen Eheleuten eine Steuervergünstigung gewährt, die Gewährung dieser Steuervergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon abhängig macht, daß mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der Steuer unterliegen oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen bestimmten Betrag nicht überschreiten, und damit die Möglichkeit offenhält, ihre persönliche Lage und ihren Familienstand in ihrem Wohnsitzstaat zu berücksichtigen.

Versagt ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen, die er Gebietsansässigen gewährt, so ist dies nämlich in der Regel nicht diskriminierend, da in einem Mitgliedstaat ansässige Personen und Gebietsfremde sich im Hinblick auf die direkten Steuern in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Was speziell ein gebietsfremdes Ehepaar angeht, bei dem ein Ehepartner in dem fraglichen Besteuerungsstaat arbeitet und dessen persönliche Lage und Familienstand aufgrund des Vorliegens einer ausreichenden Besteuerungsgrundlage im Wohnsitzstaat von der Steuerverwaltung dieses Staates berücksichtigt werden kann, befindet sich dieses nicht in einer Situation, die mit derjenigen eines gebietsansässigen Ehepaares vergleichbar wäre, bei dem einer der Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet.

Entscheidungsgründe


1 Das Finanzgericht Köln hat mit Beschluß vom 27. Oktober 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 17. November 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frans Gschwind (Kläger) und dem Finanzamt Aachen-Aussenstadt (Finanzamt) über die Besteuerung der in Deutschland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Der nationale rechtliche Rahmen

3 Das deutsche Einkommensteuerrecht sieht eine je nach Wohnsitz des Steuerpflichtigen unterschiedliche Besteuerung vor. Nach § 1 Absatz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) sind natürliche Personen, die in Deutschland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dort mit ihrem gesamten Welteinkommen steuerpflichtig ("unbeschränkte Steuerpflicht"). Demgegenüber sind natürliche Personen, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, gemäß § 1 Absatz 4 EStG nur für die in Deutschland erzielten Einkünfte einkommensteuerpflichtig ("beschränkte Steuerpflicht"). Diese deutschen Einkünfte umfassen gemäß § 49 Absatz 1 Nummer 4 EStG die Einkünfte aus einer in Deutschland ausgeuebten nichtselbständigen Arbeit.

4 Der deutsche Gesetzgeber hat zugunsten der verheirateten und nicht dauernd getrennt lebenden unbeschränkt Steuerpflichtigen ein System der Zusammenveranlagung eingeführt, bei dem unter Anwendung des "Splitting-Verfahrens" für sie eine gemeinsame Bemessungsgrundlage ermittelt wird, um die Steuerprogression bei der Einkommensteuer zu mildern. Hierzu werden nach § 26b EStG "die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt." Gemäß § 32a Absatz 5 EStG beträgt die Einkommensteuer bei Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, "das Zweifache des Steuerbetrags, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens nach den Absätzen 1 bis 3 ergibt (Splitting-Verfahren)". Das Einkommen wird also so besteuert, als sei es von jedem der Ehegatten zur Hälfte erzielt worden. Das bedeutet, daß das Ehepaar bei unterschiedlich hohem Einkommen der Ehepartner steuerlich entlastet wird. Diese steuerliche Entlastung durch das Splitting-Verfahren ist in Verbindung mit dem progressiven deutschen Steuertarif grundsätzlich um so grösser, je weiter die Einkommen beider Ehegatten differieren.

5 Diese Steuervergünstigung war zunächst Ehegatten mit Wohnsitz in Deutschland vorbehalten, auch wenn einer von ihnen ausländische Einkünfte hatte, wobei letztere für die Berechnung des Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts mitberücksichtigt wurden.

6 Seit der 1995 erfolgten Gesetzesänderung zur Anpassung der Regelung für die Besteuerung der Einkünfte von Gebietsfremden an die vom Gerichtshof in seinen Urteilen vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I-225) und vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-80/94 (Wielockx, Slg. 1995, I-2493) entwickelte Rechtsprechung kann der verheiratete Steuerpflichtige, der im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Angehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften oder einer der Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, gemäß § 1a Absatz 1 Nummer 2 EStG die gemeinsame Besteuerungsgrundlage für Ehegatten und den sich aus dem Splitting-Verfahren ergebenden Steuersatz in Anspruch nehmen, wenn sein Ehepartner in einem dieser Staaten wohnt und

- wenn das Gesamteinkommen der Ehegatten mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegt

- oder wenn ihre der deutschen Einkommensteuer nicht unterliegenden Einkünfte im Kalenderjahr nicht über 24 000 DM liegen.

7 Unter diesen Voraussetzungen gelten die Ehegatten nämlich nach deutschem Recht, auch wenn sie in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, als unbeschränkt Steuerpflichtige. Als solche können sie auch die anderen den Gebietsansässigen im Hinblick auf ihre persönlichen Verhältnisse und ihren Familienstand (Familienlasten, Sozialversicherungsbeiträge und andere Umstände, die einen Anspruch auf steuerliche Abzuege und Freibeträge geben) zuerkannten Steuervergünstigungen beanspruchen.

8 Nach §§ 26 und 26a EStG können diese Steuerpflichtigen die zusätzliche Belastung, die sich bei Anwendung des Splittings aufgrund der Steuerprogression ergeben würde (z. B. wenn der Ehegatte hohe ausländische Einkünfte bezieht), vermeiden, wenn sie eine getrennte Veranlagung beantragen.

Der Ausgangsrechtsstreit

9 Der Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und wohnt mit seiner Familie in den Niederlanden, nahe der deutschen Grenze. In den Jahren 1991 und 1992 war er in Aachen (Deutschland) beschäftigt, während seine Ehefrau in den Niederlanden beschäftigt war.

10 Er erzielte in jedem dieser Jahre steuerpflichtige Arbeitseinkünfte in Höhe von rund 74 000 DM; dies entsprach etwa 58 % der gemeinsamen Einkünfte. Gemäß Artikel 10 Absatz 1 des am 16. Juni 1959 in Den Haag unterzeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete (im folgenden: Abkommen) waren die Einkünfte des Klägers in Deutschland und die seiner Frau in den Niederlanden zu versteuern. Nach Artikel 20 Absatz 3 des Abkommens waren die niederländischen Steuerbehörden jedoch berechtigt, in die Besteuerungsgrundlage die in Deutschland der Steuer unterliegenden Einkünfte einzubeziehen, von der so berechneten Steuer jedoch den Teil abzuziehen, der den in Deutschland der Steuer unterliegenden Einkünften entsprach.

11 Aufgrund der 1995 eingetretenen Änderung des Besteuerungssystems, die für die Steuern galt, die zum Zeitpunkt der Änderung noch nicht festgesetzt worden waren, veranlagte die deutsche Steuerverwaltung den Kläger 1997 hinsichtlich seiner Einkünfte aus den Jahren 1991 und 1992 als unbeschränkt Steuerpflichtigen, behandelte ihn jedoch wie einen Nichtverheirateten, da nach den §§ 1 Absatz 3 und 1a Absatz 1 Nummer 2 EStG die Einkünfte seiner Ehefrau in den Niederlanden sowohl die absolute Bagatellgrenze von 24 000 DM pro Jahr als auch die Quote von 10 % der kumulierten Gesamteinkünfte des Haushalts überstiegen. Diese Veranlagung hatte für den Kläger eine zusätzliche steuerliche Belastung von 1 012 DM für 1991 und von 724 DM für 1992 im Verhältnis zu den Steuern zur Folge, die er nach dem für Verheiratete gemäß den § 26 und 26b EStG geltenden Splittingtarif gezahlt hätte.

12 Nachdem sein Einspruch gegen die Steuerbescheide 1991 und 1992 zurückgewiesen worden war, klagte der Kläger beim Finanzgericht Köln und machte geltend, die Verweigerung des Splittingtarifs für verheiratete Gemeinschaftsbürger, die in Deutschland arbeiteten und in einem anderen Mitgliedstaat ansässig seien, verstosse gegen Artikel 48 des Vertrages sowie gegen die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wie sie sich aus dem Urteil Schumacker und dem Urteil vom 27. Juni 1996 in der Rechtssache C-107/94 (Asscher, Slg. 1996, I-3089) ergebe.

13 Um diesen Rechtsstreit entscheiden zu können, hat das Finanzgericht Köln das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstösst es gegen Artikel 48 EG-Vertrag, daß nach § 1 Absatz 3 Satz 2 in Verbindung mit § 1a Absatz 1 Nummer 2 EStG ein niederländischer Staatsangehöriger, der in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, ohne im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu haben, ebenso wie sein von ihm nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte, der ebenfalls im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat und Einkünfte im Ausland erzielt, deswegen für die Anwendung des § 26 Absatz 1 Satz 1 EStG (hier: Zusammenveranlagung) nicht als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, weil die gemeinsamen Einkünfte der Ehegatten im Kalenderjahr nicht mindestens zu 90 % der deutschen EStG unterliegen bzw. die nicht der deutschen EStG unterliegenden Einkünfte mehr als 24 000 DM betragen?

14 Die Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die gebietsansässigen Eheleuten eine Steuervergünstigung wie diejenige, die sich aus der Anwendung des Splitting-Verfahrens ergibt, gewährt, die Gewährung dieser Vergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon abhängig macht, daß mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der Steuer unterliegen oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen bestimmten Betrag nicht überschreiten.

15 Nach Auffassung des Finanzamts sowie der deutschen und der niederländischen Regierung verstösst die unterschiedliche Behandlung von Gebietsansässigen und Gebietsfremden im Hinblick auf das Splitting nicht gegen das Gemeinschaftsrecht. Indem der deutsche Gesetzgeber die Gewährung dieses Vorteils an Gebietsfremde davon abhängig gemacht habe, daß das Gesamteinkommen der Ehegatten mindestens zu 90 % der deutschen Steuer unterliege oder daß ihre nicht der Steuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 24 000 DM betrügen, habe er nämlich die Konsequenzen aus dem Urteil Schumacker gezogen. Dieses Urteil gebiete die Einräumung des Splittingvorteils an Gebietsfremde nur, wenn ihre persönliche und familiäre Situation im Wohnsitzstaat deswegen nicht berücksichtigt werden könne, weil sie den wesentlichen Teil ihrer Einkünfte und praktisch die Gesamtheit ihrer Familieneinkünfte in Deutschland erzielten.

16 In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein erheblicher Teil der Familieneinkünfte in dem Staat erzielt werde, in dem der Steuerpflichtige wohne, sei dieser Staat jedoch in der Lage, dem Steuerpflichtigen die nach seinem Recht vorgesehenen Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergäben.

17 Nach Auffassung der belgischen Regierung ist es dagegen aus keinem objektiven Grund gerechtfertigt, einem gebietsfremden Ehepaar den Splittingvorteil mit der Begründung zu verweigern, seine im Ausland zu versteuernden Einkünfte überstiegen eine bestimmte Obergrenze oder einen bestimmten Prozentsatz seiner Gesamteinkünfte. Das deutsche Splittingsystem bezwecke und bewirke nämlich nicht, daß einem Steuerpflichtigen aufgrund seiner persönlichen Lage oder seines Familienstands eine Steuervergünstigung gewährt werde, die ihm womöglich in seinem Wohnsitzstaat ein zweites Mal gewährt werden könnte. Es handele sich eher um eine Methode zur Bestimmung des Steuersatzes, der sich nach der Steuerkraft der von den Eheleuten gebildeten wirtschaftlichen Gemeinschaft richte.

18 Die Kommission schließlich vertritt die Auffassung, nachdem der Wohnsitzstaat, das Königreich der Niederlande, aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens darauf verzichtet habe, die Einkünfte des Klägers zu besteuern, sei allein der Tätigkeitsstaat in der Lage, die persönliche und familiäre Situation des Klägers zu berücksichtigen. Im übrigen werde ein Steuerpflichtiger immer nur in dem Staat für das Splitting optieren, in dem der Ehegatte veranlagt werde, der die höheren Einkünfte erziele, denn nur dann ergebe sich aus dem Splitting-Verfahren eine Steuerersparnis durch Abschwächung der Progressionswirkung. Das Splitting könne daher nicht zu einer doppelten steuerlichen Entlastung aufgrund der familiären Situation im Wohnsitz- und im Tätigkeitsstaat führen. Im vorliegenden Fall sei die Situation mit der eines in Deutschland wohnenden Ehepaars vergleichbar, bei dem einer der Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erziele, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Steuer befreit seien, und das Ehepaar gleichwohl nach deutschem Recht das Splitting-Verfahren in Anspruch nehmen könne.

19 Hilfsweise stellt die Kommission in Frage, daß der deutsche Gesetzgeber in Anbetracht des Urteils Schumacker bei der Prüfung der Einhaltung der Einkommensgrenzen tatsächlich eine Berücksichtigung der Einkünfte beider Ehegatten habe vorsehen können. Da die deutsche Steuer nur das Einkommen des Klägers erfasse, dem ausschließlich für die Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts die Einkünfte seiner Ehefrau hinzugerechnet würden und nicht, um diese Einkünfte ebenfalls zu besteuern, habe die Kommission Zweifel, ob es auf einer kohärenten Erwägung beruhe, bei der Grenze von 90 % auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen.

20 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, daß diese ihre Befugnisse in diesem Bereich jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben und deshalb jede offensichtliche oder versteckte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit unterlassen müssen (Urteile Schumacker, Randnrn. 21 und 26, sowie Wielockx, Randnr. 16).

21 Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Diskriminierung vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird.

22 Im Hinblick auf die direkten Steuern befinden sich in einem Mitgliedstaat ansässige Personen und Gebietsfremde in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation, da die Einkünfte, die ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erzielt, meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte darstellen, deren Schwerpunkt an seinem Wohnort liegt, und da die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergibt, am leichtesten an dem Ort beurteilt werden kann, an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner Vermögensinteressen liegt; dieser Ort ist in der Regel der ständige Aufenthaltsort des Betroffenen (Urteil Schumacker, Randnrn. 31 f.).

23 Versagt ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen, die er Gebietsansässigen gewährt, so ist dies, wie der Gerichtshof in Randnummer 34 des Urteils Schumacker festgestellt hat, in Anbetracht der objektiven Unterschiede zwischen der Situation der Gebietsansässigen und derjenigen der Gebietsfremden sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle wie auch hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft oder der persönlichen Lage und des Familienstands in der Regel nicht diskriminierend.

24 Auch das geltende internationale Steuerrecht, und zwar insbesondere das Muster-Doppelbesteuerungsabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (ÖCD), knüpft für die Aufteilung der Steuerhoheit in Fällen mit Auslandsbeziehungen grundsätzlich an den Wohnsitz an.

25 So kann im Falle eines in den Niederlanden wohnenden Ehepaars, bei dem ein Ehepartner in Deutschland arbeitet, wenn das Recht zur Besteuerung der in diesem Staat erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach Artikel 10 Absatz 1 des Abkommens allein diesem Staat zusteht, das Königreich der Niederlande als Wohnsitzstaat die in Deutschland zu versteuernden Einkünfte nach Artikel 20 Absatz 3 des Abkommens in die Besteuerungsgrundlage einbeziehen, dabei aber von der so errechneten Steuer den Teil abziehen, der den in Deutschland zu versteuernden Einkünften entspricht. Wenn dagegen die Bundesrepublik Deutschland der Wohnsitzstaat ist, berechnet diese die Höhe der Steuer auf die in Deutschland zu versteuernden Einkünfte unter Ausschluß der in den Niederlanden zu versteuernden Einkünfte von der Besteuerungsgrundlage nach Maßgabe des für das gesamte Einkommen des Steuerpflichtigen geltenden Satzes.

26 Demnach könnte eine diskriminierende Unterscheidung zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden im Sinne des Vertrages nur vorliegen, wenn ungeachtet ihres Wohnsitzes in verschiedenen Mitgliedstaaten nachgewiesen wäre, daß die beiden Gruppen von Steuerpflichtigen sich in Anbetracht des Zweckes und des Inhalts der fraglichen nationalen Vorschriften in einer vergleichbaren Lage befinden.

27 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist dies der Fall, wenn der Gebietsfremde in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte hat und sein zu versteuerndes Einkommen im wesentlichen aus einer Tätigkeit bezieht, die er im Beschäftigungsstaat ausübt. In diesem Fall ist der Wohnsitzstaat nämlich nicht in der Lage, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergeben, so daß zwischen der Situation eines solchen Gebietsfremden und der eines Gebietsansässigen, der eine vergleichbare nichtselbständige Beschäftigung ausübt, kein objektiver Unterschied besteht, der eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstands des Steuerpflichtigen bei der Besteuerung rechtfertigen könnte (Urteil Schumacker, Randnrn. 36 f.).

28 Eine Situation wie diejenige des Ausgangsverfahrens unterscheidet sich jedoch eindeutig von derjenigen, die dem Urteil Schumacker zugrunde lag. Die Einkünfte von Herrn Schumacker machten nämlich praktisch die Gesamtheit der Einkünfte seines Haushalts aus, und weder er noch seine Ehefrau hatten in ihrem Wohnsitzstaat nennenswerte Einkünfte, die eine Berücksichtigung ihrer persönlichen Lage und ihres Familienstands erlaubt hätten. Durch die Festsetzung einer prozentual ausgedrückten Grenze für die in Deutschland zu versteuernden und einer in absoluten Zahlen ausgedrückten Grenze für die nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte eröffnet das deutsche Recht jedoch gerade die Möglichkeit, der persönlichen Lage und dem Familienstand der Steuerpflichtigen im Wohnsitzstaat auf einer ausreichenden Besteuerungsgrundlage Rechnung zu tragen.

29 Da etwa 42 % des Welteinkommens des Klägers und seiner Ehefrau in seinem Wohnsitzstaat erzielt werden, kann dieser Staat die persönliche Lage und den Familienstand des Klägers entsprechend den nach den Rechtsvorschriften dieses Staates vorgesehenen Modalitäten berücksichtigen, da die Besteuerungsgrundlage dort ausreicht, um eine solche Berücksichtigung zuzulassen.

30 Somit ist nicht nachgewiesen, daß sich ein gebietsfremdes Ehepaar, bei dem ein Ehepartner in dem fraglichen Besteuerungsstaat arbeitet und dessen persönliche Lage und Familienstand aufgrund des Vorliegens einer ausreichenden Besteuerungsgrundlage im Wohnsitzstaat von der Steuerverwaltung dieses Staates berücksichtigt werden kann, im Hinblick auf die Anwendung von steuerrechtlichen Vorschriften wie denjenigen des Ausgangsverfahrens in einer Situation befindet, die mit derjenigen eines gebietsansässigen Ehepaars vergleichbar wäre, bei dem einer der Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet.

31 Zum Vorbringen der Kommission, es sei für die Zwecke der Prüfung der Einkommensgrenzen nicht kohärent, die Einkünfte beider Ehegatten zu berücksichtigen, wenn das Splitting nur auf die Einkünfte des gebietsfremden Steuerpflichtigen angewandt werde, genügt die Feststellung, daß ein Verfahren zur Feststellung des Steuersatzes wie das Splitting-Verfahren auch dann, wenn im Beschäftigungsstaat der einzelne und nicht das Ehepaar steuerpflichtig ist, naturgemäß auf der Berücksichtigung der Einkünfte jedes Ehegatten beruht.

32 Nach alledem ist Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages dahin auszulegen, daß er der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die gebietsansässigen Eheleuten eine Steuervergünstigung wie diejenige, die sich aus der Anwendung des Splitting-Verfahrens ergibt, gewährt, die Gewährung dieser Steuervergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon abhängig macht, daß mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der Steuer unterliegen oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen bestimmten Betrag nicht überschreiten, und damit die Möglichkeit offenhält, ihre persönliche Lage und ihren Familienstand in ihrem Wohnsitzstaat zu berücksichtigen.

Kostenentscheidung


Kosten

33 Die Auslagen der deutschen, der belgischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Finanzgericht Köln mit Beschluß vom 27. Oktober 1997 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 Absatz 2 EG) ist dahin auszulegen, daß er der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die gebietsansässigen Eheleuten eine Steuervergünstigung wie diejenige, die sich aus der Anwendung des Splitting-Verfahrens ergibt, gewährt, die Gewährung dieser Steuervergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon abhängig macht, daß mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der Steuer unterliegen oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen bestimmten Betrag nicht überschreiten, und damit die Möglichkeit offenhält, ihre persönliche Lage und ihren Familienstand in ihrem Wohnsitzstaat zu berücksichtigen.