Avis juridique important
Urteil des Gerichtshofes vom 12. September 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande. - Vertragsverletzung - Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie über die Mehrwertsteuer - Gestattung der Straßenbenutzung gegen eine Maut - Kein Mehrwertsteuer-Tatbestand. - Rechtssache C-408/97.
Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-06417
Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
1 Vertragsverletzungsverfahren - Nachweis der Vertragsverletzung - Obliegenheit der Kommission - Wiedergabe der rechtlichen und tatsächlichen Angaben des fraglichen Mitgliedstaats - Keine Einrede des Mitgliedstaats, die Angaben seien nicht konkret genug
(EG-Vertrag, Artikel 5 und 169 [jetzt Artikel 10 EG und 226 EG])
2 Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Dienstleistungen gegen Entgelt - Begriff - Gestattung der Benutzung von Straßenanlagen gegen eine Maut - Einbeziehung
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 2 Nr. 1)
3 Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Steuerpflichtige - Einrichtungen des öffentlichen Rechts - Behandlung als Nichtsteuerpflichtige für die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeiten - Begriff
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 4 Absatz 5)
1 Auch wenn es im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) der Kommission obliegt, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen, kann ein Mitgliedstaat in einem Fall, in dem die Kommission weitgehend auf seine Angaben angewiesen ist, nicht geltend machen, ihre Angaben zur innerstaatlichen Regelung und Praxis seien nicht konkret genug und deshalb die Klage unzulässig, da er dazu verpflichtet ist, der Kommission die Erfuellung ihrer Aufgaben zu erleichtern.
(vgl. Randnrn. 15-17)
2 Die Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut ist eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Die Straßenanlage darf nämlich nur dann benutzt werden, wenn eine Maut entrichtet wird, deren Höhe u. a. von der Art des verwendeten Fahrzeugs und der zurückgelegten Entfernung abhängt. Damit besteht der notwendige unmittelbare Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen finanziellen Gegenwert.
(vgl. Randnrn. 29 und 30)
3 Für das Eingreifen von Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, wonach Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht mehrwertsteuerpflichtig sind, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, müssen kumulativ zwei Voraussetzungen erfuellt sein, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme dieser Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt. Was die zweite Voraussetzung angeht, so handelt es sich bei den Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt um solche, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; nicht dazu gehören Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer.
(vgl. Randnrn. 34 und 35)
In der Rechtssache C-408/97
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch H. Michard und B. J. Drijber, Juristischer Dienst, dann durch H. Michard und durch H. van Vliet, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Klägerin,
gegen
Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Wissels und M. A. Fierstra, beigeordnete Rechtsberater im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Bezuidenhoutseweg 67, Den Haag, als Bevollmächtigte
Beklagte,
"wegen Feststellung, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass es entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) die Maut, die für die Straßenbenutzung als Gegenleistung für die den Benutzern erbrachte Leistung erhoben wird, nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet, P. Jann, H. Ragnemalm und V. Skouris und der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: S. Alber
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin, und H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 23. November 1999,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Januar 2000,
folgendes
Urteil
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 4. Dezember 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass es entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im Folgenden: Sechste Richtlinie) die Maut, die für die Straßenbenutzung als Gegenleistung für die den Benutzern erbrachte Leistung erhoben wird, nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat.
Rechtlicher Rahmen 2 Artikel 2 der Sechsten Richtlinie lautet:
"Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher in Inland gegen Entgelt ausführt;
2. die Einfuhr von Gegenständen."
3 In Artikel 4 Absätze 1, 2 und 5 der Sechsten Richtlinie heißt es:
"(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbstständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.
...
(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in Bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.
Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der vorstehend genannten Einrichtungen, die nach Artikel 13 oder 28 von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen."
4 Die Tätigkeit des Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut gehört unstreitig nicht zu den in Anhang D der Sechsten Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten.
Vorprozessuale Verfahren
5 Mit Schreiben vom 20. April 1988 rügte die Kommission gegenüber der niederländischen Regierung, dass dadurch gegen die Sechste Richtlinie verstoßen worden sei, dass die für bestimmte Straßenanlagen erhobene Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen worden sei. Sie forderte die niederländische Regierung gemäß Artikel 169 EG-Vertrag auf, hierzu binnen zwei Monaten Stellung zu nehmen.
6 Da die Kommission der Meinung war, dass die niederländische Regierung dieses Aufforderungsschreiben nicht beantwortet habe, richtete sie an sie am 19. Oktober 1989 eine mit Gründen versehene Stellungnahme.
7 Mit Schreiben vom 8. Dezember 1989 teilte die niederländische Regierung der Kommission mit, sie habe das Aufforderungsschreiben mit einem Schreiben vom 5. Juli 1988, das sie in Kopie beifügte, durchaus beantwortet; im letztgenannten Schreiben wies sie die Rügen der Kommission zurück.
8 Unter Berücksichtigung dieser Antwort richtete die Kommission, die die Ausführungen der niederländischen Regierung nicht für zureichend erachtete, am 23. Dezember 1996 an sie eine ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie feststellte, dass die niederländische Regierung nicht ihren Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie nachgekommen sei. Demgemäß forderte die Kommission sie auf, binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Richtlinie nachzukommen.
9 Auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme reagierte die niederländische Regierung mit Schreiben vom 27. Februar 1997.
10 Da die Kommission auch die Antwort der niederländischen Regierung auf die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht für zureichend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zur Zulässigkeit
11 Die niederländische Regierung äußert Zweifel an der Zulässigkeit der Klage. Es obliege der Kommission, die behauptete Vertragsverletzung nachzuweisen; hierfür müsse sie dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren er prüfen könne, ob die Vertragsverletzung vorliege (u. a. Urteil vom 25. Mai 1982 in der Rechtssache 96/81, Kommission/Niederlande, Slg. 1982, 1791, Randnr. 6).
12 In ihrer Klageschrift behaupte die Kommission indessen nur, das Königreich der Niederlande habe gegen seine Verpflichtungen verstoßen, lege aber in keiner Weise dar, wodurch die niederländische Regelung oder Praxis die Sechste Richtlinie verletze oder welche Maßnahmen die Niederlande hätten ergreifen müssen, um ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen. Auch im vorprozessualen Verfahren habe die Kommission dem Königreich der Niederlande keinen konkreten Verstoß gegen die Sechste Richtlinie vorgeworfen.
13 Die niederländische Regierung stellt klar, weder im vorprozessualen Verfahren noch vor dem Gerichtshof habe sie jemals eingeräumt, dass es eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift gebe, die gegen die Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie verstoße. Zwar habe sie in ihrer Antwort auf die ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme mitgeteilt, dass es in den Niederlanden nur noch eine mautpflichtige Straßenanlage gebe, und eingeräumt, dass auf die erhobene Maut keine Mehrwertsteuer erhoben werde. Diese Mitteilung, die nur einen Einzelfall betreffe, berechtige die Kommission aber keineswegs zu dem allgemeinen Schluss, dass "die" für die Benutzung von Straßenanlagen erhobene Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen sei. Dieser allgemeine Schluss der Kommission sei auch sachlich falsch, da der Westerscheldetunnel, der 2003 fertiggestellt werden und dessen Benutzung gebührenpflichtig sein solle, der Mehrwertsteuer unterworfen werden solle. Es gebe somit keine allgemeine Regel oder Politik, die die von öffentlich-rechtlichen Einrichtungen erhobene Maut der Mehrwertsteuer entziehe.
14 Mit ihrer Klage gehe es der Kommission aber nicht um die Feststellung eines isolierten Verstoßes, sondern sie wende sich mit ihr gegen eine allgemeine Praxis, die sie für unvereinbar mit den Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie halte.
15 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes obliegt es im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 169 EG-Vertrag der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Sie muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren er das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann; dabei kann sie sich nicht auf irgendeine Vermutung stützen (Urteil Kommission/Niederlande vom 25. Mai 1982, Randnr. 6).
16 Allerdings sind die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes gemäß Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) dazu verpflichtet, der Kommission die Erfuellung ihrer Aufgaben zu erleichtern, die gemäß Artikel 155 EG-Vertrag (jetzt Artikel 211 EG) insbesondere darin bestehen, für die Anwendung des Vertrages sowie der von den Organen aufgrund des Vertrages getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen (Urteil vom 22. September 1988 in der Rechtssache C-272/86, Kommission/Griechenland, Slg. 1988, 4875, Randnr. 30).
17 Darum kann ein Mitgliedstaat, wie der Generalanwalt in der Nummer 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Kommission weitgehend auf die Angaben dieses Mitgliedstaats angewiesen ist, nicht geltend machen, ihre Angaben zur innerstaatlichen Regelung und Praxis seien nicht konkret genug und deshalb sei die Klage unzulässig.
18 Die niederländische Regierung wirft der Kommission auch nicht vor, sie habe ihr nicht, wie es ein fehlerfreies Vertragsverletzungsverfahren erfordert (u. a. Urteil vom 28. März 1985 in der Rechtssache 274/83, Kommission/Italien, Slg. 1985, 1077, Randnrn. 19 ff.), die notwendigen Angaben zur Vorbereitung ihrer Verteidigung an die Hand gegeben.
19 Soweit das Königreich der Niederlande schließlich die gerügte Vertragsverletzung bestreitet, ist sein Vorbringen im Rahmen der Begründetheit zu prüfen.
Zur Begründetheit
20 Wird die Benutzung von Straßenanlagen gegen eine Maut gestattet, so liegt hierin nach Auffassung der Kommission eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 und 4 der Sechsten Richtlinie. Diese Tätigkeit sei eine Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen der Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen im Sinne von Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie erbringe.
21 Dass diese Tätigkeit, wie in den Niederlanden, durch öffentlich- rechtliche Einrichtungen ausgeübt werde, könne die fraglichen Verrichtungen nicht dem Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie entziehen.
22 Gemäß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie gälten Einrichtungen des öffentlichen Rechts nur insoweit nicht als steuerpflichtig, als sie Tätigkeiten ausübten oder Leistungen erbrächten, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt oblägen. So verhalte es sich jedoch nicht bei der streitigen Tätigkeit, die nicht zu den kennzeichnenden, keinesfalls auf private Einrichtungen übertragbaren Aufgaben der öffentlichen Gewalt gehöre; die Regelung, wonach öffentlich-rechtliche Einrichtungen nicht steuerpflichtig seien, sei notwendig eng auszulegen.
23 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Sechste Richtlinie den Anwendungsbereich für die Mehrwertsteuer sehr weit fasst, indem sie in Artikel 2, der die steuerbaren Umsätze betrifft, neben der Einfuhr von Gegenständen die im Inland gegen Entgelt ausgeführten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen nennt und in Artikel 4 Absatz 1 als Steuerpflichtigen definiert, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis (Urteil vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85, Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1471, Randnr. 6).
24 Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit erfasst nach Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.
25 Diese Festlegungen zeigen klar, dass sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einen weiten Bereich erstreckt und dass es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird (Urteil Kommission/Niederlande vom 26. März 1987, Randnr. 8).
26 Angesichts der Weite des durch den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit festgelegten Anwendungsbereichs ist festzustellen, dass die Betreiber in den Niederlanden, soweit sie den Benutzern gegen Entgelt eine Straßenanlage zur Verfügung stellen, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie ausüben.
27 Angesichts des objektiven Charakters des Begriffes der wirtschaftlichen Tätigkeit ist es unerheblich, dass die in der vorstehenden Randnummer genannte Tätigkeit in der Wahrnehmung von Aufgaben besteht, die aus Gründen des Gemeinwohls durch Gesetz zugewiesen und geregelt werden. Nach Artikel 6 der Sechsten Richtlinie sind nämlich bestimmte kraft Gesetzes ausgeübte Tätigkeiten ausdrücklich der Mehrwertsteuerregelung unterworfen (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 10).
28 Der Begriff der Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie setzt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteile vom 8. März 1988 in der Rechtssache 102/86, Apple and Pear Development Council, Slg. 1988, 1443, Randnr. 12, und vom 16. Oktober 1997 in der Rechtssache C-258/95, Fillibeck, Slg. 1997, I-5577, Randnr. 12) weiter voraus, dass zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem empfangenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
29 Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, entspricht die Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut dieser Festlegung. Die Straßenanlage darf nämlich nur dann benutzt werden, wenn eine Maut entrichtet wird, deren Höhe u. a. von der Art des verwendeten Fahrzeugs und der zurückgelegten Entfernung abhängt. Damit besteht der notwendige unmittelbare Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen finanziellen Gegenwert.
30 Demnach ist die Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie.
31 In ihrem Antwortschreiben vom 5. Juli 1988 auf das Aufforderungsschreiben vom 20. April 1988 gab die niederländische Regierung an, in den Niederlanden dürften Autobahnmaut nur die öffentliche Verwaltung und öffentlich-rechtliche Einrichtungen erheben, die öffentliche Verwaltung erhebe Maut für die Benutzung zweier Brücken und eines Tunnels und diese Maut sei nicht der Mehrwertsteuer unterworfen. Nach ihrem Antwortschreiben vom 27. Februar 1997 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme vom 23. Dezember 1996 war damals als einzige mautpflichtige Straßenanlage nur noch der von der öffentlich-rechtlichen Einrichtung Wegschap Tunnel Dordtse Kil betriebene Tunnel unter der Dordtse Kil verblieben, da für die Benutzung der anderen Anlagen keine Maut mehr erhoben werde. In diesem Schreiben führte die niederländische Regierung weiter aus, dass die Gestattung der Straßenbenutzung durch öffentlich-rechtliche Einrichtungen in den Niederlanden nicht als mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit betrachtet werde.
32 Damit ist weiter zu prüfen, ob den fraglichen Betreibern hinsichtlich der Tätigkeit, die in der Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut besteht, die in Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Ausnahme zugute kommt.
33 Nach dem ersten Unterabsatz dieser Bestimmung gelten Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als steuerpflichtig, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.
34 Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, ergibt sich aus dieser Bestimmung unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie eindeutig, dass für die Nichteinbeziehung in die Steuerpflicht kumulativ zwei Voraussetzungen erfuellt sein müssen, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme dieser Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt (u. a. Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-202/90, Ayuntamiento de Sevilla, Slg. 1991, I-4247, Randnr. 18).
35 Was die zweite Voraussetzung angeht, so handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 17. Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 231/87 und 129/88, Comune di Carpaneto Piacentino u. a., Slg. 1989, 3233, Randnr. 16, vom 15. Mai 1990 in der Rechtssache C-4/89, Comune di Carpaneto Piacentino u. a., Slg. 1990, I-1869, Randnr. 8, und vom 6. Februar 1997 in der Rechtssache C-247/95, Marktgemeinde Welden, Slg. 1997, I-779, Randnr. 17) bei den Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie um solche, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; nicht dazu gehören Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer.
36 Im Lichte dieser Rechtsprechung ist das Vorbringen der Kommission (oben, Randnr. 22) zurückzuweisen, wonach eine Einrichtung Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" nur ausübe, soweit diese Tätigkeiten zur öffentlichen Gewalt im engen Sinne dieses Begriffes gehörten, was bei der Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut nicht der Fall sei.
37 Die Kommission, deren Rechtsauffassung der Gerichtshof somit nicht zustimmt, hat im vorliegenden Fall weder nachgewiesen noch auch nur nachzuweisen versucht, dass die Einrichtungen, die in den Niederlanden eine mautpflichtige Straßenanlage betreiben, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes unter den gleichen Bedingungen tätig sind wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer.
38 Die Kommission hat es somit versäumt, Gesichtspunkte darzulegen, aus denen sich im Hinblick auf die Voraussetzung, dass eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt worden sein muss, auf eine Vertragsverletzung schließen ließe.
39 Wie oben ausgeführt (Randnr. 34), entfällt die Steuerpflichtigkeit gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie aber nur dann, wenn die fragliche Tätigkeit nicht nur im Rahmen der öffentlichen Gewalt, sondern überdies durch eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ausgeübt wird.
40 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass die Tätigkeit einer Privatperson nicht allein deswegen von der Mehrwertsteuer befreit ist, weil sie in der Vornahme von an sich der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht (Urteile Kommission/Niederlande, Randnr. 21, und Ayuntamiento de Sevilla, Randnr. 19). Wie der Gerichtshof in Randnummer 20 des Urteils Ayuntamiento de Sevilla festgestellt hat, folgt daraus, dass die in Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung nicht Platz greifen kann, wenn eine Gemeinde einem unabhängigen Dritten Aufgaben eines Steuereinnehmers überträgt. In Randnummer 22 des Urteils Kommission/Niederlande hat der Gerichtshof weiter entschieden, dass die Notare und die Gerichtsvollzieher in den Niederlanden selbst dann, wenn man unterstellt, dass sie bei der Vornahme von Amtshandlungen aufgrund einer öffentlichen Bestallung Befugnisse der öffentlichen Gewalt ausüben, nicht in den Genuss der Befreiung nach Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie kommen können, da sie ihre Tätigkeiten mangels Eingliederung in die öffentliche Verwaltung nicht als Einrichtung des öffentlichen Rechts, sondern in Form einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen eines freien Berufes ausüben.
41 Im vorliegenden Fall wird aber die Tätigkeit, die in der Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut besteht, in den Niederlanden, wie sich u. a. aus den Schreiben der niederländischen Regierung vom 5. Juli 1988 und vom 27. Februar 1997 ergibt, unstreitig durch öffentlich-rechtliche Einrichtungen ausgeübt.
42 Da das Vorbringen der Kommission somit nicht durchgreift, ist die Rüge eines Verstoßes gegen die Sechste Richtlinie unbegründet und die Klage demgemäß abzuweisen.
Kosten
43 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr dem Antrag des Königreichs der Niederlande gemäß die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten.