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61998J0400

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 8. Juni 2000. - Finanzamt Goslar gegen Brigitte Breitsohl. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Artikel 4, 17 und 28 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG - Steuerpflichtigeneigenschaft und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Fall des Scheiterns der beabsichtigten Tätigkeit vor der erstmaligen Festsetzung der Mehrwertsteuer - Lieferung von Gebäuden und dem dazugehörigen Grund und Boden - Möglichkeit, die Option für die Besteuerung auf die Gebäude zu beschränken und den Grund und Boden von der Besteuerung auszunehmen. - Rechtssache C-400/98.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-04321


Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


1 Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Vorsteuerabzug - Umsätze, die im Hinblick auf die Ausübung geplanter wirtschaftlicher Tätigkeiten getätigt werden - Erlangung der Steuerpflichtigeneigenschaft - Zuerkennung durch die Steuerverwaltung - Unbeachtlich - Scheitern der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit - Unbeachtlich für das Recht auf Vorsteuerabzug

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 4 und 17)

2 Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Vorsteuerabzug - Lieferung von Gebäuden und dem dazugehörigen Grund und Boden - Befugnis der Mitgliedstaaten, die Steuerbefreiung und das Optionsrecht für diese Lieferungen beizubehalten - Umfang - Unmöglichkeit der Getrenntbehandlung von Gebäuden und dazugehörigem Grund und Boden

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a und 28 Absatz 3 Buchstaben b und c sowie Anhänge F Nummer 16 und G Nummer 1 Buchstabe b)

Leitsätze


1 Die Artikel 4 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern sind dahin auszulegen, daß das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Umsätze entrichtet worden ist, die im Hinblick auf die Ausübung geplanter wirtschaftlicher Tätigkeiten getätigt wurden, selbst dann fortbesteht, wenn der Steuerverwaltung bereits bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer bekannt ist, daß die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren Umsätzen führen sollte, nicht ausgeübt werden wird.

Die Entstehung des Rechts auf Abzug der für erste Investitionsausgaben entrichteten Mehrwertsteuer hängt nämlich keineswegs von einer förmlichen Zuerkennung der Steuerpflichtigeneigenschaft durch die Steuerverwaltung ab. Diese Zuerkennung bewirkt nur, daß diese Eigenschaft, nachdem sie einmal zuerkannt worden ist, dem Steuerpflichtigen außer in Betrugs- oder Mißbrauchsfällen nicht mehr rückwirkend aberkannt werden kann, ohne daß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verstoßen wird. Als Steuerpflichtiger hat zu gelten, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig auszuüben, und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt. Da er als Steuerpflichtiger handelt, hat er nach den Artikeln 17 ff. der Sechsten Richtlinie das Recht auf sofortigen Abzug der für Investitionsausgaben, die für die Zwecke seiner beabsichtigten, das Abzugsrecht eröffnenden Umsätze getätigt wurden, geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer und braucht die Aufnahme des tatsächlichen Betriebes seines Unternehmens nicht abzuwarten.

(vgl. Randnrn. 34, 38, 42, Tenor 1)

2 Aus der in Artikel 4 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie getroffenen Unterscheidung zwischen der Lieferung von Baugrundstücken, die als "erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten" beschrieben werden, und der vor dem Erstbezug erfolgten Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden - wobei nach dieser Bestimmung jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk als Gebäude gilt - sowie aus dem Wortlaut von Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, der sich auf "die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden" bezieht, ergibt sich, daß Gebäude oder Gebäudeteile und der dazugehörige Grund und Boden für die Zwecke der Mehrwertsteuer nicht voneinander getrennt behandelt werden können.

Somit können sich die Steuerbefreiung und das Optionsrecht, auf die sich Artikel 28 Absatz 3 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit deren Anhängen F Nummer 16 und G Nummer 1 Buchstabe b bezieht, wonach die Mitgliedstaaten während der Übergangszeit die vor dem Erstbezug erfolgte Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden weiterhin von der Steuer befreien und den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen können, für die Besteuerung einer solchen Lieferung zu optieren, nur zusammen auf die Gebäude oder Gebäudeteile und den dazugehörigen Grund und Boden erstrecken.

(vgl. Randnrn. 47, 49-51)

Parteien


In der Rechtssache C-400/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Bundesfinanzhof (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Finanzamt Goslar

gegen

Brigitte Breitsohl

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 4, 17 und 28 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter) sowie der Richter R. Schintgen, G. Hirsch, V. Skouris und der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer

Kanzler: R. Grass

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigte,

- der griechischen Regierung, vertreten durch K. Paraskevopoulou-Grigoriou, Rechtsberaterin der Eingangsstufe im Juristischen Dienst des Staates, und A. Rokofyllou, Rechtsberaterin in der Sonderabteilung des Außenministeriums für Rechtsfragen der Europäischen Gemeinschaften, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater E. Traversa und A. Buschmann, zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Dezember 1999,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe


1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 27. August 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 9. November 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 4, 17 und 28 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Breitsohl (Klägerin und Revisionsbeklagte; im folgenden: Klägerin) und dem Finanzamt Goslar (Beklagter und Revisionskläger; im folgenden: Beklagter) über den von der Klägerin vorgenommenen Abzug der Mehrwertsteuer, die für Umsätze entrichtet worden ist, die im Hinblick auf die Ausübung geplanter wirtschaftlicher Tätigkeiten bewirkt wurden.

Die Sechste Richtlinie

Artikel 4 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

3 "(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfaßt.

(3) Die Mitgliedstaaten können auch solche Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Absatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere eine der folgenden Leistungen erbringen:

a) die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung dieses Kriteriums auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff $dazugehöriger Grund und Boden` festlegen.

Die Mitgliedstaaten können andere Kriterien als das des Erstbezugs bestimmen, z. B. den Zeitraum zwischen der Fertigstellung des Gebäudes und dem Zeitpunkt seiner ersten Lieferung, oder den Zeitpunkt zwischen dem Erstbezug und der späteren Lieferung, sofern diese Zeiträume fünf bzw. zwei Jahre nicht überschreiten.

Als Gebäude gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk;

b) die Lieferung von Baugrundstücken.

Als Baugrundstücke gelten erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten.

..."

4 Artikel 13 der Sechsten Richtlinie sieht vor:

"B. Sonstige Steuerbefreiungen

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

g) die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände;

...

C. Optionen

Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren:

...

b) bei den Umsätzen nach Teil B Buchstaben d), g) und h).

Die Mitgliedstaaten können den Umfang des Optionsrechts einschränken; sie bestimmen die Modalitäten seiner Ausübung."

5 Artikel 17 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

..."

6 Artikel 20 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"(1) Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, und zwar insbesondere:

a) wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war;

b) wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, insbesondere bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten; die Berichtigung unterbleibt jedoch bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, bei einer Zerstörung oder einem ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Verlust oder Diebstahl ...

(2) Für Investitionsgüter wird eine Berichtigung vorgenommen, die sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden, erstreckt. Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel der Steuer, mit der diese Güter belastet waren. Die Berichtigung erfolgt unter Berücksichtigung der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden.

...

(3) Bei Lieferung eines Investitionsgutes innerhalb des Berichtigungszeitraums ist dieses so zu behandeln, als ob es bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums weiterhin für eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendet worden wäre. Diese wirtschaftliche Tätigkeit gilt als steuerpflichtig, wenn die Lieferung des genannten Investitionsgutes steuerpflichtig ist; sie gilt als steuerfrei, wenn die Lieferung steuerfrei ist. Die Berichtigung wird in diesen Fällen für den gesamten noch verbleibenden Berichtigungszeitraum auf einmal vorgenommen.

...

(4) Zur Durchführung der Absätze 2 und 3 können die Mitgliedstaaten

- den Begriff $Investitionsgüter` bestimmen;

- den Steuerbetrag festlegen, der bei der Berichtigung zu berücksichtigen ist;

- alle zweckdienlichen Vorkehrungen treffen, um zu gewährleisten, daß keine ungerechtfertigten Vorteile aus der Berichtigung entstehen;

- verwaltungsmäßige Vereinfachungen ermöglichen.

..."

7 Artikel 28 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"Während der in Absatz 4 genannten Übergangszeit können die Mitgliedstaaten

...

b) die in Anhang F aufgeführten Umsätze unter den in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen weiterhin befreien;

c) den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen, für die Besteuerung der nach Anhang G befreiten Umsätze zu optieren;

..."

8 Anhang F der Sechsten Richtlinie ("Liste der in Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b) vorgesehenen Umsätze") führt in Nummer 16 auf:

"Lieferungen der in Artikel 4 Absatz 3 bezeichneten Gebäude und Grundstücke"

9 Anhang G der Sechsten Richtlinie ("Optionsrecht") stellt klar:

"1. Das Optionsrecht im Sinne von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe c) kann in folgenden Fällen eingeräumt werden:

...

b) bei den unter Anhang F fallenden Umsätzen;

..."

Die nationale Mehrwertsteuerregelung

10 § 2 Absatz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) bestimmt:

"Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfaßt die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird."

11 § 4 UStG sieht vor:

"Von den unter § 1 Absatz 1 Nr. 1 bis 3 fallenden Umsätze sind steuerfrei:

...

9.a) die Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen ..."

12 § 9 Absatz 1 UStG bestimmt jedoch:

"Der Unternehmer kann einen Umsatz, der nach § 4 ... Nr. 9 ... steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird."

13 § 15 Absatz 1 UStG sieht vor:

"Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

... die in Rechnungen im Sinne des § 14 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für ein Unternehmen ausgeführt worden sind. ..."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14 Die Klägerin bemühte sich 1989 bei einem Automobilhersteller um einen Händlervertrag. Dieser wurde ihr mit Schreiben vom 14. April 1989 unter bestimmten Voraussetzungen in Aussicht gestellt.

15 Im Februar 1990 meldete sie einen Gewerbebetrieb "Verkauf und Reparatur von Kraftfahrzeugen" bei den Dienststellen der zuständigen Gemeinde an und erwarb für 62 670 DM mehrwertsteuerfrei ein unbebautes Grundstück, das als Betriebsstätte für die angemeldete Tätigkeit dienen sollte. Im April 1990 beauftragte sie einen Bauunternehmer mit der Errichtung einer Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt auf dem Grundstück. Die Erdarbeiten begannen noch im selben Monat. Gegen Mitte Mai 1990 waren diese Arbeiten beendet, die Fundamente erstellt und die Sohle zum Teil fertiggestellt. Diese Arbeiten entsprachen einem Betrag von insgesamt 173 655,50 DM.

16 Als sich ergab, daß die Gesamtkosten der Baumaßnahmen voraussichtlich um 230 000 DM höher ausfallen würden, war die Bank nicht bereit, diese Mehrkosten zu finanzieren. Wegen der unklaren Finanzierungssituation stellte das Bauunternehmen die Bauarbeiten am 22. Mai 1990 ein.

17 Da sich die Klägerin nicht mehr in der Lage sah, das Grundstück vollständig zu bebauen und den Geschäftsbetrieb aufzunehmen, verpflichtete sie sich durch Vergleich vom 22. November 1990, dem Bauunternehmen insgesamt 100 000 DM zu zahlen und die bereits errichteten Baulichkeiten an einen Dritten zu einem Preis von 50 000 DM - 43 859,65 DM zuzüglich 6 140,35 DM Mehrwertsteuer - zu veräußern. Am 21. Dezember 1990 verkaufte sie diesem Dritten das Grundstück für 61 905 DM ohne Mehrwertsteuerausweis.

18 In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 1990 gab die Klägerin steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 43 859 DM aus der Veräußerung der Gebäudeteile und als abziehbare Vorsteuer 13 900,11 DM aus Notar-, Steuerberatungs- und Bauabrechnungen an. Daraus ergab sich ein Überschuß von 7 759,90 DM zu ihren Gunsten. In ihren Voranmeldungen hatte sie die Vorsteuerbeträge nicht geltend gemacht.

19 Der Beklagte berücksichtigte im Steuerbescheid vom 15. Juli 1992 für das Jahr 1990 abziehbare Vorsteuerbeträge nur in Höhe von 95,20 DM und begründete dies damit, daß die zugrundeliegenden Leistungen zur Ausführung der steuerfreien Grundstücksveräußerung verwendet worden seien. Die geschuldete Mehrwertsteuer wurde auf 6 045 DM festgesetzt.

20 Die Klägerin legte gegen diesen Steuerbescheid am 14. August 1992 Einspruch ein. In seiner Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 1995 vertrat der Beklagte die Auffassung, die Klägerin habe mangels Erzielung dauerhafter Umsätze keine Unternehmereigenschaft erlangt und sei damit nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Sie schulde aber die in der Rechnung über den Verkauf der Gebäude an einen Dritten ausgewiesene Steuer in Höhe von 6 140,35 DM.

21 Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin Klage beim Niedersächsischen Finanzgericht. Dieses gab der Klage mit Urteil vom 5. Dezember 1996 im wesentlichen statt. Unter Berufung auf das Urteil vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-110/94 (INZO, Slg. 1996, I-857) vertrat das Finanzgericht die Auffassung, die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin habe aufgrund der von ihr vorgenommenen Vorbereitungshandlungen begonnen, so daß sie hinsichtlich der Mehrwertsteuerbeträge aus den Baurechnungen vorsteuerabzugsberechtigt gewesen sei. Außerdem habe sie zu Recht auf die Steuerfreiheit für die Grundstückslieferung verzichtet, indem sie diesen Verzicht auf den Teil der errichteten Baulichkeiten unter Ausschluß des Grund und Bodens beschränkt habe. Der Vorsteuerabzug sei nur aus der Notarrechnung zu versagen, die das Grundstücksgeschäft betreffe.

22 Gegen das Urteil des Finanzgerichts legte der Beklagte am 4. März 1997 Revision beim Bundesfinanzhof ein. Mit seiner Revision rügt er im wesentlichen, § 9 Absatz 1 UStG lasse einen auf die Gebäude begrenzten Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Lieferung eines Grundstücks nicht zu. Die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs halte aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Begrenzung des Verzichts auf Steuerbefreiung nach § 9 UStG auf bestimmte Gebäudeteile für zulässig, sofern die Veräußerung dieser Teile mit der Veräußerung der damit verbundenen Grundstücksanteile einhergehe. Die gleiche Beurteilung ergebe sich aus Artikel 13 Teil B Buchstabe g in Verbindung mit Teil C Satz 1 der Sechsten Richtlinie, die von der Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden sprächen, ohne die Möglichkeit einer getrennten Option in bezug auf Gebäude einerseits und Grund und Boden andererseits vorzusehen.

23 Der Bundesfinanzhof fragt sich, ob die Grundsätze des Urteils INZO nur in den Fällen anwendbar seien, in denen die Steuerverwaltung die Steuerpflichtigeneigenschaft auf der Grundlage der erklärten Absicht des Unternehmers, steuerbare Umsätze auszuführen, bereits in einem Steuerbescheid anerkannt habe, oder ob die Verwaltung die Absicht, steuerbare Umsätze zu bewirken, in jedem Fall der Besteuerung zugrunde legen müsse, auch wenn schon bei erstmaliger Befassung mit dem Steuerfall feststehe, daß die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit nicht ausgeübt werde.

24 Wenn einerseits nach Randnummer 23 des Urteils INZO für die erklärte Absicht, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen, objektive Nachweise zu verlangen seien, andererseits aber zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Recht auf Vorsteuerabzug bereits feststehe, daß beabsichtigte steuerbare Umsätze tatsächlich nicht ausgeführt würden, wäre die Steuerverwaltung verpflichtet, bloße "Absichtsgebilde" steuerlich als Unternehmen zu führen und gegebenenfalls im Berichtigungsverfahren nach Artikel 20 der Sechsten Richtlinie abzuwickeln. Es stelle sich weiter die Frage, ob die Veräußerung des Grundstücks mit den begonnenen Baumaßnahmen noch 1990 als Lieferung eines Investitionsguts innerhalb des Berichtigungszeitraums zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs unter den in Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen führen könne.

25 Nach deutschem Recht müsse sich die Steuerbefreiung oder gegebenenfalls die Option für die Besteuerung auf die wesentlichen Bestandteile des Grundstücks erstrecken, d. h. nicht nur auf den Grund und Boden, sondern auch die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude. Es sei zweifelhaft, ob es nach dem Gemeinschaftsrecht möglich sei, bei der Lieferung eines bebauten Grundstücks die Option für die Besteuerung auf die Gebäude zu begrenzen. Insoweit sei zu beachten, daß die Mitgliedstaaten nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe c in Verbindung mit den Anhängen G Nummer 1 Buchstabe b und F Nummer 16 der Sechsten Richtlinie übergangsweise den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen könnten, für die Besteuerung der Lieferung von Gebäuden und Grundstücken zu optieren. Da der deutsche Gesetzgeber die Lieferung bebauter Grundstücke nicht von der Steuerbefreiung ausgeschlossen habe, sei ein Verzicht auf die Befreiung somit möglich.

26 Nach den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und der Rechtsprechung des Gerichtshofes bildeten Gebäude oder Gebäudeteile und der dazugehörige Grund und Boden den einheitlichen Gegenstand einer Lieferung. Nach dem Urteil vom 4. Oktober 1995 in der Rechtssache C-291/92 (Armbrecht, Slg. 1995, I-2775, Randnr. 21) könne für ein bebautes Grundstück eine unterschiedliche Steuerregelung für den unternehmerisch und für den privat genutzten Teil bestehen. Der Steuerpflichtige könne also hinsichtlich des unternehmerisch genutzten Teiles für eine Besteuerung optieren und hinsichtlich des privat genutzten Teiles dieses Optionsrecht nicht ausüben. Die Zuordnung dieser beiden Teile sei auf der Grundlage des unternehmerischen und des privaten Nutzungsanteils im Erwerbsjahr und nicht nach der räumlichen Aufteilung vorzunehmen. Eine Zuordnung auf der Grundlage einer festgelegten räumlichen Aufteilung könne nämlich bei einem Wechsel der Raumnutzung zur Doppelbesteuerung führen.

27 Eine Steuermehrbelastung könne sich in der vorliegenden Rechtssache schließlich aus einer einheitlichen Beurteilung von Grund und Boden mit darauf errichteten Gebäuden ergeben, da das unbebaute Grundstück steuerfrei erworben worden sei und mit Mehrwertsteuer belastete Bauleistungen in das Grundstück eingegangen seien. Entweder sei nämlich die Veräußerung des bebauten Grundstücks insgesamt steuerfrei, so daß auch hinsichtlich der Bauleistungen kein Vorsteuerabzugsrecht bestehen könne - da die Bauleistungen dann nicht für Zwecke besteuerter Umsätze erbracht worden seien -, oder aber auf die Steuerbefreiung der Veräußerung werde einheitlich für das bebaute Grundstück verzichtet, so daß die Klägerin zwar den Vorsteuerabzug auf die Bauleistungen erhalte, jedoch mit der Mehrwertsteuer auf die Veräußerung insgesamt belastet werde, obwohl sie beim Erwerb des unbebauten Grundstücks keine Umsatzsteuer habe abziehen können.

28 Der Bundesfinanzhof hat Zweifel hinsichtlich der Auslegung der auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbaren Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-110/94, INZO, Slg. 1996, I-857) können selbst die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Artikels 4 der Richtlinie 77/388/EWG angesehen werden. Die Steuerbehörde hat die in diesem Zusammenhang erklärte Absicht des Unternehmens zu berücksichtigen. Die danach zuerkannte Eigenschaft als Steuerpflichtiger kann grundsätzlich nicht wegen Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Ereignisse nachträglich aberkannt werden (Grundsatz der Rechtssicherheit). Das gilt auch für den Vorsteuerabzug aus den Investitionsmaßnahmen.

Ist nach diesen Grundsätzen das Recht auf Vorsteuerabzug (Artikel 17 der Richtlinie 77/388/EWG) aus sogenannten Gründungsinvestitionen auch dann aufgrund der Absicht, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen, zuzusprechen, wenn der Finanzbehörde bereits bei der erstmaligen Steuerfestsetzung bekannt ist, daß die beabsichtigte, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich nicht aufgenommen wurde?

Falls Frage 1 zu bejahen ist:

2. Kann bei Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden die Option zur Besteuerung auf die Gebäude/Gebäudeteile begrenzt werden?

Zur ersten Frage

29 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 4 und 17 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, daß das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Umsätze entrichtet worden ist, die im Hinblick auf die Ausübung geplanter wirtschaftlicher Tätigkeiten getätigt wurden, selbst dann fortbesteht, wenn der Steuerverwaltung bereits bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer bekannt ist, daß die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren Umsätzen führen sollte, nicht ausgeübt werden wird.

30 Die deutsche und die griechische Regierung machen geltend, die Grundsätze des Vertrauensschutzes und des Rechtsschutzes, auf die das Urteil INZO gestützt sei, könnten im Ausgangsverfahren nicht herangezogen werden. Anders als in der Rechtssache, die zum Urteil INZO geführt habe, habe nämlich die Steuerverwaltung im Ausgangsverfahren noch nicht die Steuerpflichtigeneigenschaft der Klägerin anerkannt, als diese ihre Umsatzsteuererklärung abgegeben habe. Daher könne sich die Klägerin nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes und darauf berufen, daß sie überzeugt gewesen sei, den Vorsteuerabzug vornehmen zu dürfen.

31 Nach Auffassung dieser Regierungen liegt im Ausgangsverfahren auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer vor, da die Klägerin keine besteuerten wirtschaftlichen Tätigkeiten ausgeübt habe und ihr die Steuerpflichtigeneigenschaft nicht zuerkannt worden sei.

32 Die deutsche Regierung weist darauf hin, daß nach den Artikeln 4 Absatz 1 und 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie ein Steuerpflichtiger nur vorsteuerabzugsberechtigt sei, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen, für die die Mehrwertsteuer entrichtet worden sei, zur Ausführung besteuerter Umsätze verwendet worden seien. Daher könne eine endgültige Entscheidung über das Recht auf Vorsteuerabzug erst dann getroffen werden, wenn die Umsätze bekannt seien, für die diese Gegenstände und Dienstleistungen tatsächlich verwendet worden seien. Vorbereitungshandlungen verliehen demjenigen, der sie vornehme, nur die Unternehmereigenschaft und ein vorläufiges Abzugsrecht, die unter der aufschiebenden Bedingung der Ausführung besteuerter Umsätze stuenden. Wenn den Vorbereitungshandlungen solche Umsätze nicht folgten und auch nicht mehr in Betracht gezogen werden könnten, müsse die Steuerverwaltung von vornherein sowohl die Unternehmereigenschaft als auch den Vorsteuerabzug ablehnen.

33 Wenn die Absicht eines "Unternehmers", besteuerte Umsätze auszuführen, genüge, um ihm einen Anspruch auf Anerkennung als Steuerpflichtiger und damit ein Recht auf Vorsteuerabzug zu geben, müßte die Steuerverwaltung auf der Grundlage einer rein subjektiven Absichtserklärung und nicht auf der Grundlage tatsächlicher, objektiv nachprüfbarer Gegebenheiten entscheiden. Dies würde zum Mißbrauch geradezu einladen.

34 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß als Steuerpflichtiger zu gelten hat, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig auszuüben, und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt. Da er als Steuerpflichtiger handelt, hat er nach den Artikeln 17 ff. der Sechsten Richtlinie das Recht auf sofortigen Abzug der für Investitionsausgaben, die für die Zwecke seiner beabsichtigten, das Abzugsrecht eröffnenden Umsätze getätigt wurden, geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer und braucht die Aufnahme des tatsächlichen Betriebes seines Unternehmens nicht abzuwarten (Urteile vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-37/95, Ghent Coal Terminal, Slg. 1998, I-1, Randnr. 17, und vom 21. März 2000 in den Rechtssachen C-110/98 bis C-147/98, Gabalfrisa u. a., Slg. 2000, I-1577, Randnr. 47).

35 Folglich hängt die Anwendung des Systems der Mehrwertsteuer und damit des Berichtigungsmechanismus vom Bezug der Gegenstände oder Dienstleistungen durch einen als solchen handelnden Steuerpflichtigen ab. Die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen bestimmt nur den Umfang des Vorsteuererstabzugs, zu dem der Steuerpflichtige nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie befugt ist, und den Umfang etwaiger Berichtigungen während der darauffolgenden Zeiträume, die unter den Voraussetzungen des Artikels 20 dieser Richtlinie vorzunehmen sind (Urteil vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-97/90, Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 15).

36 Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Artikel 17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestätigt, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Nach Artikel 10 Absatz 2 dieser Richtlinie ist letzteres der Fall, sobald die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung an den vorsteuerabzugsberechtigten Steuerpflichtigen bewirkt wird.

37 Jede andere Auslegung des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie würde auch dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zuwiderlaufen, da dann der Wirtschaftsteilnehmer mit den Mehrwertsteuerkosten im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten belastet würde, ohne daß er sie gemäß Artikel 17 abziehen könnte, und willkürlich zwischen Investitionsausgaben vor der tatsächlichen Aufnahme des Betriebes eines Unternehmens und während des Betriebes unterschieden würde (Urteil vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnr. 23; Urteile INZO, Randnr. 16, und Gabalfrisa u. a., Randnr. 45).

38 Die Entstehung des Rechts auf Abzug der für erste Investitionsausgaben entrichteten Mehrwertsteuer hängt somit keineswegs von einer förmlichen Zuerkennung der Steuerpflichtigeneigenschaft durch die Steuerverwaltung ab. Diese Zuerkennung bewirkt nur, daß diese Eigenschaft, nachdem sie einmal zuerkannt worden ist, dem Steuerpflichtigen außer in Betrugs- oder Mißbrauchsfällen nicht mehr rückwirkend aberkannt werden kann, ohne daß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verstoßen wird.

39 Was die von der deutschen Regierung angesprochene Mißbrauchsgefahr angeht, so hindert Artikel 4 die Abgabenverwaltung nicht, objektive Nachweise für die erklärte Absicht zu verlangen, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die Steuerpflichtigeneigenschaft nur dann endgültig erlangt wird, wenn die Erklärung, die beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, vom Betroffenen in gutem Glauben abgegeben wurde. In Fällen von Betrug oder Mißbrauch, in denen der Betroffene die Absicht, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, nur vorgespiegelt, in Wirklichkeit jedoch versucht hat, Gegenstände, deren Erwerb zum Abzug berechtigen kann, seinem Privatvermögen zuzuführen, kann die Steuerbehörde rückwirkend die Erstattung der abgezogenen Beträge verlangen, da diese Abzüge aufgrund falscher Erklärungen gewährt wurden (Urteile Rompelman, Randnr. 24, INZO, Randnrn. 23 und 24, und Gabalfrisa u. a., Randnr. 46).

40 Somit hat das nationale Gericht zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Ausgangsverfahrens, insbesondere des Standes der Bauarbeiten Mitte Mai 1990, die Erklärung, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, in gutem Glauben abgegeben worden ist und durch objektive Anhaltspunkte belegt wird.

41 Liegt kein Fall von Betrug oder Mißbrauch vor, gebietet es der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, wie in Randnummer 36 dieses Urteils ausgeführt worden ist, vorbehaltlich etwaiger Berichtigungen gemäß Artikel 20 der Sechsten Richtlinie, daß das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn es einmal entstanden ist, auch dann erhalten bleibt, wenn der Steuerverwaltung bereits bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer bekannt ist, daß die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren Umsätzen führen sollte, nicht ausgeübt werden wird.

42 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Artikel 4 und 17 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, daß das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Umsätze entrichtet worden ist, die im Hinblick auf die Ausübung geplanter wirtschaftlicher Tätigkeiten getätigt wurden, selbst dann fortbesteht, wenn der Steuerverwaltung bereits bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer bekannt ist, daß die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren Umsätzen führen sollte, nicht ausgeübt werden wird.

Zur zweiten Frage

43 Mit der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts soll geklärt werden, ob nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bei der Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden die Option für eine Besteuerung nur zusammen für die Gebäude oder Gebäudeteile und den dazugehörigen Grund ausgeübt oder ob sie auf die Gebäude/Gebäudeteile begrenzt werden kann.

44 Die deutsche Regierung macht geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe von der ihr in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie verliehenen Ermächtigung Gebrauch gemacht, indem sie ihren Steuerpflichtigen das Recht eingeräumt habe, bei der Lieferung von Gebäuden und dem dazugehörigen Grund und Boden für eine Besteuerung zu optieren.

45 Da Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie es den Mitgliedstaaten ausdrücklich überlasse, den Umfang des Optionsrechts einzuschränken und die Modalitäten seiner Ausübung zu bestimmen, sei es eine Frage des nationalen Rechts, ob der Steuerpflichtige befugt sei, sein Optionsrecht nur für die Gebäude und nicht für den dazugehörigen Grund und Boden auszuüben. Diese Bestimmung stehe weder einer nationalen Regelung entgegen, die die Ausübung des Optionsrechts nur für das Gebäude oder nur für das Grundstück zulasse, noch einer solchen, die die Ausübung des Optionsrechts für das bebaute Grundstück insgesamt vorschreibe.

46 Zunächst ist festzustellen, daß im Ausgangsverfahren weder die nach deutschem Recht gewährte Steuerbefreiung auf Artikel 13 Teil B Buchstabe g der Sechsten Richtlinie noch demgemäß das Optionsrecht für die Besteuerung auf Artikel 13 Teil C dieser Richtlinie gestützt werden kann, da es sich um die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, die "vor dem Erstbezug" erfolgt ist, im Sinne von Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie handelt.

47 Wie das vorlegende Gericht und die Kommission ausführen, beruhen die Steuerbefreiung und das Optionsrecht, die nach den im Ausgangsverfahren einschlägigen Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes gewährt werden, auf Artikel 28 Absatz 3 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit deren Anhängen F Nummer 16 und G Nummer 1 Buchstabe b, wonach die Mitgliedstaaten während der - noch nicht abgelaufenen - Übergangszeit die vor dem Erstbezug erfolgte Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden weiterhin von der Steuer befreien und den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen können, für die Besteuerung einer solchen Lieferung zu optieren.

48 Unbeschadet der den Mitgliedstaaten in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Satz 1 der Sechsten Richtlinie verliehenen Ermächtigung, den Begriff "dazugehöriger Grund und Boden" festzulegen, kann der Begriff "Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden" angesichts des Zweckes der Sechsten Richtlinie, die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer einheitlich nach Gemeinschaftsvorschriften zu bestimmen, nicht nach dem im Ausgangsverfahren anwendbaren nationalen Recht definiert werden. Dieser Begriff, der der Bestimmung der Personen dient, die von den Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a dieser Richtlinie als Steuerpflichtige angesehen werden können, ist somit in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen.

49 Artikel 4 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie unterscheidet zwischen der Lieferung von Baugrundstücken, die als "erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten" beschrieben werden, und der vor dem Erstbezug erfolgten Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wobei nach dieser Bestimmung jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk als Gebäude gilt.

50 Aus dieser Unterscheidung sowie aus dem Wortlaut von Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, der sich auf "die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden" bezieht, ergibt sich, daß Gebäude oder Gebäudeteile und der dazugehörige Grund und Boden für die Zwecke der Mehrwertsteuer nicht voneinander getrennt behandelt werden können.

51 Somit können sich die Steuerbefreiung und das Optionsrecht, auf die sich Artikel 28 Absatz 3 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit deren Anhängen F Nummer 16 und G Nummer 1 Buchstabe b bezieht, nur zusammen auf die Gebäude oder Gebäudeteile und den dazugehörigen Grund und Boden erstrecken.

52 Daher kann ein Steuerpflichtiger, der Gebäude und den dazugehörigen Grund und Boden liefert, entweder die Befreiung von der Mehrwertsteuer für die Gebäude und den dazugehörigen Grund und Boden insgesamt geltend machen oder für die Besteuerung dieser Gesamtheit optieren. Im ersten Fall müßte die Klägerin ihren Vorsteuerabzug nach Artikel 20 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie berichtigen. Im zweiten Fall könnte sie zwar die auf die Bauarbeiten entfallende Mehrwertsteuer, für die sie ihr Recht auf Vorsteuerabzug geltend gemacht hat, abziehen, wäre im Gegenzug jedoch für den Betrag aus dem Verkauf des Grundstücks mehrwertsteuerpflichtig.

53 Zwar kann es, worauf das vorlegende Gericht zu Recht hingewiesen hat, zu einer Mehrbesteuerung dieser Elemente führen, wenn Gebäude und der dazugehörige Grund und Boden hinsichtlich der Steuerbefreiung oder der Ausübung des Optionsrechts für die Besteuerung nicht voneinander getrennt behandelt werden können. Diese Gefahr ist jedoch, wie der Generalanwalt in den Nummern 107 und 108 seiner Schlußanträge festgestellt hat, einem System wie dem durch Artikel 28 Absatz 3 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie übergangshalber eingeführten, in dem Mehrwertsteuerbefreiungen auf einer der Stufe des Endverbrauchers vorangehenden Stufe zugelassen sind, immanent und auf den Übergangszeitraum beschränkt, nach dessen Ablauf die Mitgliedstaaten die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden nicht mehr von der Steuer befreien dürfen.

54 Da außerdem nach dem Vorlagebeschluß im Gegensatz zu dem Fall, der in Randnummer 21 des Urteils Armbrecht behandelt ist, die Gebäudeteile und der dazugehörige Grund und Boden, um die es im Ausgangsverfahren geht, zu gewerblichen Zwecken verwendet werden sollten, ist hinsichtlich des Optionsrechts nicht zwischen dem Teil der Gebäude oder Gebäudeteile und des dazugehörigen Grund und Bodens, der der Ausübung gewerblicher Tätigkeiten zugewiesen war, und dem Teil, der der privaten Nutzung des Steuerpflichtigen vorbehalten war, zu trennen.

55 Aufgrund dessen ist auf die zweite Frage zu antworten, daß nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bei der Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden die Option für eine Besteuerung nur zusammen für die Gebäude oder Gebäudeteile und den dazugehörigen Grund und Boden ausgeübt werden kann.

Kostenentscheidung


Kosten

56 Die Auslagen der deutschen und der griechischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 27. August 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Artikel 4 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, daß das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Umsätze entrichtet worden ist, die im Hinblick auf die Ausübung geplanter wirtschaftlicher Tätigkeiten getätigt wurden, selbst dann fortbesteht, wenn der Steuerverwaltung bereits bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer bekannt ist, daß die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren Umsätzen führen sollte, nicht ausgeübt werden wird.

2. Nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388 kann bei der Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden die Option für eine Besteuerung nur zusammen für die Gebäude oder Gebäudeteile und den dazugehörigen Grund und Boden ausgeübt werden.