Avis juridique important
Urteil des Gerichtshofes vom 26. September 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Belgien. - Auslandsanleihe - Verbot der Zeichnung für in Belgien ansässige Personen. - Emprunts émis à l'étranger - Interdiction d'acquisition pour les résidents belges. - Rechtssache C-478/98.
Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-07587
Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
Freier Kapitalverkehr - Beschränkungen - Nationale Regelung, die den Erwerb von Papieren einer Auslandsanleihe durch im betreffenden Mitgliedstaat ansässige Personen verbietet - Unzulässigkeit - Kein Rechtfertigungsgrund
(EG-Vertrag, Artikel 73b und 73d Absatz 1 Buchstabe b [jetzt Artikel 56 EG und 58 Absatz 1 Buchstabe b EG])
$$Das Verbot eines Mitgliedstaat für in seinem Hoheitsgebiet ansässige Personen, Papiere einer Auslandsanleihe zu erwerben, stellt eine nach Artikel 73b Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG) verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar. Eine solche Maßnahme, die der Staat als Träger öffentlicher Gewalt getroffen hat, kann nicht durch die Notwendigkeit der Wahrung der steuerlichen Kohärenz gerechtfertigt werden, soweit kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem Steuervorteil und einem Steuernachteil besteht, den es um einer solchen Kohärenz willen aufrechtzuerhalten gälte. Außerdem kann eine solche Maßnahme nicht gemäß Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag (jetzt Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b EG) durch die Notwendigkeit, eine Steuerhinterziehung zu verhindern und die Wirksamkeit der Steueraufsicht sicherzustellen, gerechtfertigt werden, da die allgemeine Annahme, dass eine Steuerhinterziehung oder -umgehung stattfinden werde, keine Steuermaßnahme rechtfertigen kann, die in dem absoluten Verbot besteht, die durch Artikel 73b EG-Vertrag garantierte Grundfreiheit wahrzunehmen.
(vgl. Randnrn. 27, 35-36, 40, 45, 47)
In der Rechtssache C-478/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und B. Mongin, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Klägerin,
gegen
Königreich Belgien, vertreten durch A. Snoecx, beigeordnete Beraterin in der Generaldirektion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke, 15, rue des Petits Carmes, Brüssel,
Beklagter,
wegen Feststellung, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG) verstoßen hat, dass es in Belgien ansässigen Personen den Erwerb von Papieren einer Auslandsanleihe verboten hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward, L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter), C. Gulmann, A. La Pergola, J.-P. Puissochet, P. Jann und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 28. März 2000, in der die Kommission durch B. Mongin und das Königreich Belgien durch Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke im Beistand von M. Massart als Hauptinspektor in der belgischen Steuerverwaltung des Finanzministeriums vertreten war,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juni 2000,
folgendes
Urteil
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 21. Dezember 1998 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage auf Feststellung erhoben, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG) verstoßen hat, dass es in Belgien ansässigen Personen den Erwerb von Papieren einer Auslandsanleihe verboten hat.
2 Auf der Grundlage eines Königlichen Erlasses vom 4. Oktober 1994 (nachfolgend: Königlicher Erlass) nahm der belgische Finanzminister auf dem Euroanleihenmarkt eine öffentliche Anleihe in Höhe von einer Milliarde DM auf.
3 Artikel 1 des Königlichen Erlasses bestimmt:
"Der Finanzminister wird ermächtigt, bei der Dresdner Bank AG und der Schweizerischer Bankverein (Deutschland) AG in Frankfurt eine festverzinsliche öffentliche Anleihe in Höhe von einer Milliarde Deutsche Mark aufzunehmen. Diese Anleihe kann ganz oder teilweise Gegenstand von einem oder mehreren Swapgeschäften sein."
4 Artikel 2 des Königlichen Erlasses lautet:
"Die Bedingungen und Modalitäten dieser Anleihe und der etwaigen Swapgeschäfte werden in Vereinbarungen mit den betroffenen Geldinstituten festgelegt."
5 Artikel 3 des Königlichen Erlasses sieht vor:
"Von der Quellenbesteuerung der mit dieser Anleihe zusammenhängenden Zinsen wird abgesehen.
Die Zeichnung durch in Belgien ansässige Personen ist unzulässig. Von diesem Verbot ausgenommen sind unter den Bedingungen, die in den Vereinbarungen nach Artikel 2 festgelegt sind, die in diesen Vereinbarungen genannten Banken, Finanzvermittler und institutionellen Anleger.
Die endgültigen Effekten werden an die Empfänger nur gegen Vorlage einer Bescheinigung ausgegeben, die bestätigt, dass sie nicht in Belgien ansässig sind oder dass sie die im vorstehenden Absatz genannten Bedingungen erfuellen."
6 Artikel 3 Absatz 2 des Königlichen Erlasses hat in den Vereinbarungen mit den betroffenen Geldinstituten (unter dem Titel "Sales Restrictions" [Verkaufsbeschränkungen]) Niederschlag gefunden, in denen die Bedingungen und Modalitäten der fraglichen Anleihe festgelegt sind. Darin heißt es u. a.:
"The Bonds may not be offered or sold, directly or indirectly, to residents of, or corporations or other legal entities having their domicile in, The Kingdom of Belgium except, provided that the offer or sale does not constitute an offer to the public of the Kingdom of Belgium, to (i) a bank which is so resident or domiciled, (ii) a broker, similar intermediary or institution of international standing whose business involves dealing in securities or manging customers' funds, which is so resident or domiciled and (iii) an insurance company which is so resident or domiciled."
["Die Teilschuldverschreibungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar im Königreich Belgien ansässigen Personen, Gesellschaften oder anderen Rechtssubjekten angeboten oder verkauft werden. Hiervon ausgenommen sind unter der Bedingung, dass das Angebot oder der Verkauf kein Angebot an die Öffentlichkeit im Königreich Belgien ist, i) Banken mit Niederlassung oder Sitz in Belgien, ii) Makler und gleichartige Vermittler oder Einrichtungen von internationalem Rang, deren Tätigkeit u. a. im Wertpapierhandel oder in der Verwaltung von Kundenfonds besteht, mit Niederlassung oder Sitz in Belgien und iii) Versicherungsgesellschaften mit Niederlassung oder Sitz in Belgien."]
Das Vorverfahren
7 Am 6. Januar 1995 forderte die Kommission die belgischen Behörden auf, ihr nähere Angaben zu den Bestimmungen des Königlichen Erlasses zu machen. Sie war der Ansicht, das Verbot der Zeichnung einer Auslandsanleihe für in Belgien ansässige Personen nach Artikel 3 des Königlichen Erlasses stelle eine gegen Artikel 73b EG-Vertrag verstoßende Behinderung des freien Kapitalverkehrs dar.
8 Die belgischen Behörden antworteten am 13. Februar 1995, dass dieses Verbot für in Belgien ansässige Personen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Durch den Ausschluss von in Belgien ansässigen natürlichen Personen von der Zeichnung der in DM begebenen öffentlichen Anleihe ermögliche es die fragliche Maßnahme, zu verhindern, dass diese Personen die Steuer in Belgien hinterzögen, indem sie die erhaltenen Zinsen nicht deklarierten. Der Königliche Erlass stütze sich außerdem auf Artikel 73d Absatz 1 Buchstaben a und b EG-Vertrag (jetzt Artikel 58 Absatz 1 Buchstaben a und b EG).
9 Da die Kommission diese Antwort nicht für zufrieden stellend hielt, leitete sie mit Schreiben vom 11. August 1995 das Vertragsverletzungsverfahren ein und forderte die belgische Regierung auf, binnen zwei Monaten Stellung zu nehmen.
10 Sie wies darauf hin, dass zwar Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe a EG-Vertrag die Möglichkeit einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Personen mit Wohnort im Inland und solchen mit Wohnort im Ausland vorsehe, dass es im vorliegenden Fall aber nicht um eine unterschiedliche steuerliche Behandlung gehe, sondern um ein uneingeschränktes Verbot für in Belgien ansässige natürliche Personen, Papiere einer Auslandsanleihe zu erwerben.
11 Die belgischen Behörden stützten sich bei ihrem Vorbringen, dass die Notwendigkeit, für die Einhaltung der Steuerbestimmungen durch die in Belgien ansässigen Steuerpflichtigen zu sorgen, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen könne, auf Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag. Eine solche Maßnahme sei aber im Hinblick auf das angestrebte Ziel unverhältnismäßig. Die Anerkennung jenes Standpunktes würde andernfalls bewirken, dass jedes Kapitalverkehrs-Geschäft, das die Gefahr der Steuerhinterziehung in sich berge, verboten werden könnte.
12 Mit Schreiben vom 30. Oktober 1995 hielt die belgische Regierung an ihrem im Schreiben vom 13. Februar 1995 vertretenen Standpunkt fest. Sie erklärte, dass das Verbot lediglich dem Bemühen Rechnung trage, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren. Es sei weder willkürlich noch diskriminierend, und im vorliegenden Fall handele es sich nicht um eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs.
13 Am 16. April 1997 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die belgische Regierung, in der sie diese aufforderte, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen. Die Stellungnahme blieb unbeantwortet.
14 Deshalb hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründetheit
15 Zur Unterstützung ihrer Klage macht die Kommission geltend, das im Königlichen Erlass enthaltene uneingeschränkte Verbot für in Belgien ansässige Personen, auf dem Euroanleihenmarkt Papiere einer Anleihe zu erwerben (nachfolgend: streitige Maßnahme), beeinträchtige den in Artikel 73b EG-Vertrag vorgesehenen freien Kapitalverkehr; insbesondere mangels Verhältnismäßigkeit lasse es sich auch nicht im Rahmen von Artikel 73d objektiv rechtfertigen.
16 Vorab ist festzustellen, dass die streitige Maßnahme des Königreichs Belgien unstreitig den freien Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten berührt. Denn obwohl sie sich an im Inland ansässige Personen richtet, kann sie, wie der Generalanwalt in Nummer 27 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, jedenfalls nicht als rein interne Maßnahme angesehen werden, weil die betreffende Anleihe auf dem Euroanleihenmarkt in DM begeben wurde, von einem internationalen Konsortium von Banken und Geldinstituten aufgelegt wurde, an der Börse in Frankfurt notiert ist und dem deutschen Recht unterliegt.
17 Zudem stellt die streitige Maßnahme als solche gleichfalls unbestritten eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne des Artikels 73b Absatz 1 EG-Vertrag dar.
18 Denn Maßnahmen eines Mitgliedstaats stellen Beschränkungen des Kapitalverkehrs im Sinne dieser Vorschrift dar, wenn sie geeignet sind, die Gebietsansässigen davon abzuhalten, in einem anderen Mitgliedstaat Darlehen aufzunehmen oder Anlagen zu tätigen (in diesem Sinne Urteile vom 14. November 1995 in der Rechtssache C-484/93, Svensson und Gustavsson, Slg. 1995, I-3955, Randnr. 10, vom 16. März 1999 in der Rechtssache C-222/97, Trummer und Mayer, Slg. 1999, I-1661, Randnr. 26, und vom 14. Oktober 1999 in der Rechtssache C-439/97, Sandoz, Slg. 1999, I-7041, Randnr. 19), oder wenn sie eine ausländische Direktanlage von einer vorherigen Genehmigung abhängig machen (Urteile vom 14. Dezember 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-163/94, C-165/94 und C-250/94, Sanz de Lera u. a., Slg. 1995, I-4821, Randnrn. 24 und 25, und vom 14. März 2000 in der Rechtssache C-54/99, Église de scientologie, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 14).
19 Indem Artikel 3 Absatz 2 des Königlichen Erlasses für in Belgien ansässige Personen die Möglichkeit ausschließt, die fragliche Anleihe zu zeichnen, geht er noch über eine Maßnahme hinaus, die die Gebietsansässigen eines Mitgliedstaats von der Zeichnung einer Auslandsanleihe abhalten soll oder die hierfür eine vorherige Genehmigung erforderlich macht, und stellt deshalb erst recht eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Artikel 73b EG-Vertrag dar.
20 Die belgische Regierung macht jedoch in ihrer Klagebeantwortung in erster Linie geltend, dass der belgische Staat die streitige Maßnahme nicht als Träger öffentlicher Gewalt, sondern als privater Marktbeteiligter getroffen habe, so dass sie nicht unter Artikel 73b EG-Vertrag falle.
21 Für diese Ansicht trägt sie vor, dass zwischen der Rolle des Staates als Träger öffentlicher Gewalt und der als privater Marktbeteiligter zu unterscheiden sei. Dazu weist sie darauf hin, dass dem Gemeinschaftsrecht eine solche Unterscheidung in der Tat nicht fremd sei, wie u. a. aus der Richtlinie 80/723/EWG der Kommission vom 25. Juni 1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (ABl. L 195, S. 35) und den Urteilen vom 17. Oktober 1989 in den Rechtssachen 231/87 und 129/88 (Ufficio distrettuale delle imposte dirette di Fiorenzuola d'Arda u. a., Slg. 1989, 3233) und vom 14. Oktober 1976 in der Rechtssache 29/76 (LTU, Slg. 1976, 1541) ersichtlich sei.
22 Hierzu genügt im vorliegenden Fall der Hinweis, dass der Verzicht auf die Quellenbesteuerung der Kapitalerträge nach Artikel 3 Absatz 1 des Königlichen Erlasses eine normative Maßnahme darstellt, zu der nur der Staat in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt befugt ist, was im Übrigen auch von der belgischen Regierung eingeräumt wird.
23 Diese normative Maßnahme ist aber untrennbar mit dem Verbot für in Belgien ansässige Personen nach Artikel 3 Absatz 2 des Königlichen Erlasses verbunden.
24 Denn ein solches Verbot als Ergänzung des Verzichtes auf die Quellenbesteuerung der Kapitalerträge ist nur aus steuerpolitischen Erwägungen erklärbar, wie es die belgische Regierung übrigens eingeräumt hat, indem sie vorgebracht hat, dass die streitige Maßnahme es zu verhindern ermögliche, dass in Belgien ansässige Personen diesen Verzicht dazu nutzten, sich der Zahlung der Kapitalertragsteuer zu entziehen. Daraus folgt, dass das Verbot ein wesentlicher Bestandteil der Maßnahmen des Königreichs Belgien zur Regelung der steuerlichen Aspekte der vom Finanzminister aufzunehmenden Anleihe ist.
25 Die streitige Maßnahme stellt mithin eine Maßnahme dar, die der belgische Staat als Träger öffentlicher Gewalt getroffen hat.
26 Dem Vorbringen der belgischen Regierung, der Staat habe sich als Anleiheschuldner darauf beschränkt, im Einvernehmen mit den Finanzvermittlern eine in die Anleihebedingungen aufgenommene Vertragsbestimmung zu treffen, wie sie in den Verträgen privater Anleihenehmer stehe, kann daher nicht gefolgt werden.
27 Nach alledem stellt die streitige Maßnahme eine nach Artikel 73b Absatz 1 EG-Vertrag verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs dar.
28 Hilfsweise macht die belgische Regierung geltend, die streitige Maßnahme sei gerechtfertigt und im Hinblick auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig.
29 Unter Berufung auf Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag bringt sie vor, die streitige Maßnahme sei erstens durch das Erfordernis gerechtfertigt, zu verhindern, dass in Belgien ansässige Personen sich durch die Zeichnung der fraglichen Anleihe der Steuer entziehen könnten. Denn die Anleihe auf dem Euroanleihenmarkt sei vom Königreich Belgien zur gesunden Verwaltung seiner Staatsschulden unter gleichen Bedingungen wie für private Marktbeteiligte getätigt worden.
30 Die Euroanleihen seien u. a. durch die Zahlung von "Bruttozinsen" gekennzeichnet, und zwar in dem Sinne, dass von den Zinsen nichts abgezogen oder einbehalten werde. Mit der Entscheidung für die Ausgabe der Anleihe auf dem Euroanleihenmarkt habe das Königreich Belgien somit vom Vorabzug der Kapitalertragsteuer absehen müssen. Da aber habe verhindert werden sollen, dass die Freistellung von der Quellenbesteuerung der Kapitalerträge zu Steuerhinterziehung führe, sei das Verbot für in Belgien ansässige Personen, Papiere der fraglichen Anleihe zu erwerben, die einzig mögliche Maßnahme gewesen, um dem entgegenzuwirken, dass sich ein Markt für Inlandsanleihen mit Quellenbesteuerung und ein Markt für Euroanleihen ohne Quellenbesteuerung bildeten, die beide für in Belgien ansässige Privatpersonen zugänglich wären.
31 Zweitens sei die streitige Maßnahme durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, im Sinne der Urteile vom 28. Januar 1992 in den Rechtssachen C-204/90 (Bachmann, Slg. 1992, I-249) und C-300/90 (Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-305) die steuerliche Kohärenz zu wahren. Da die Freistellung von der Quellenbesteuerung der Kapitalerträge eine unabdingbare Voraussetzung dafür sei, dass der Staat auf dem Euroanleihenmarkt Geld aufnehmen könne, müsse er berechtigt sein, zu verhindern, dass dies zu Steuerhinterziehung führe. Die streitige Maßnahme ermögliche es zum einen, diese Erfordernisse miteinander in Einklang zu bringen und die Kohärenz der Anleiheausgabepolitik zu gewährleisten. Zum anderen bestehe ein Zusammenhang zwischen der Freistellung von der Quellenbesteuerung der Kapitalerträge und dem so gut wie sicheren Verlust der Kapitalertragsteuer.
32 Drittens sei das fragliche Verbot auch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Wirksamkeit der Steueraufsicht sicherzustellen, die vom Gerichtshof im Urteil vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-250/95 (Futura Participations und Singer, Slg. 1997, I-2471) als ein zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannt worden sei. Den Mitgliedstaaten stehe es frei, alles zu unternehmen, was erforderlich sei, um bei fehlender Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene dieses Allgemeininteresse zu wahren.
33 Zunächst ist das Vorbringen der belgischen Regierung zu prüfen, das auf die vom Gerichtshof in den Urteilen Bachmann und Kommission/Belgien anerkannte Notwendigkeit gestützt wird, die steuerliche Kohärenz zu wahren.
34 In den genannten Rechtssachen bestand ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den Versicherern in Erfuellung der Alters- und Lebensversicherungsverträge geschuldeten Beträge, der notwendigerweise zu wahren war, um die Kohärenz des betreffenden Steuersystems aufrechtzuerhalten. Denn der Einnahmenverlust aus dem Abzug der Lebensversicherungsbeiträge vom Gesamtbetrag der steuerbaren Einkünfte wurde durch die Besteuerung der von den Versicherern geschuldeten Pensionen, Renten oder Kapitalabfindungen ausgeglichen. Soweit solche Beiträge nicht abgezogen wurden, waren die betreffenden Beträge steuerfrei.
35 Wie der Generalanwalt in Nummer 57 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besteht im vorliegenden Fall kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem Steuervorteil und einem Steuernachteil, den es um der steuerlichen Kohärenz willen aufrechtzuerhalten gälte.
36 Folglich kann die streitige Maßnahme nicht durch die Notwendigkeit der Wahrung der steuerlichen Kohärenz gerechtfertigt sein.
37 Zum Vorbringen der belgischen Regierung über die Notwendigkeit, eine Steuerhinterziehung zu verhindern und die Wirksamkeit der Steueraufsicht sicherzustellen, ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 73b Absatz 1 nach Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, "die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind".
38 Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 23. Februar 1995 in den Rechtssachen C-358/93 und C-416/93 (Bordessa u. a., Slg. 1995, I-361, Randnrn. 21 und 22) und im Urteil Sanz de Lera u. a. (Randnr. 22) festgestellt hat, umfassen die Maßnahmen nach Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag, die unerlässlich sind, um bestimmte Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet des Steuerrechts zu verhindern, insbesondere Maßnahmen zur Sicherstellung der Wirksamkeit der Steueraufsicht und zur Bekämpfung rechtswidriger Tätigkeiten wie der Steuerhinterziehung.
39 Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die Bekämpfung der Steuerhinterziehung und die Wirksamkeit der Steueraufsicht gemäß Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag geltend gemacht werden können, um die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten zu rechtfertigen.
40 Somit ist zu prüfen, ob die streitige Maßnahme im Sinne des Artikels 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag unerlässlich ist, um eine Steuerhinterziehung zu verhindern und die Wirksamkeit der Steueraufsicht sicherzustellen.
41 Eine Maßnahme kann nur dann unter Artikel 73d EG-Vertrag fallen, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne genügt, dass sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und dass sie nicht über das dazu Notwendige hinausgeht.
42 Vorab ist festzustellen, dass weder das Recht des Königreichs Belgien, sich dieser Form der Anleihe zu bedienen noch die daraus folgende Notwendigkeit, auf die Quellenbesteuerung der Kapitalerträge zu verzichten, von der Kommission in Frage gestellt werden.
43 Die Kommission wendet sich vielmehr gegen das Vorbringen der belgischen Regierung, die streitige Maßnahme sei aus Steuergründen gerechtfertigt.
44 Mithin ist zu prüfen, ob diesem Vorbringen gefolgt werden kann.
45 Wie aus dem Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-28/95 (Leur-Bloem, Slg. 1997, I-4161, Randnr. 44) hervorgeht, kann die allgemeine Annahme, dass eine Steuerhinterziehung oder -umgehung stattfinden werde, keine Steuermaßnahme rechtfertigen, die die Ziele einer Richtlinie beeinträchtigt. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die streitige Maßnahme in dem absoluten Verbot besteht, die durch Artikel 73b EG-Vertrag garantierte Grundfreiheit wahrzunehmen.
46 Was im Übrigen das Vorbringen der belgischen Regierung anbelangt, die streitige Maßnahme sei die einzig mögliche Maßnahme, um dem entgegenzuwirken, dass sich ein Markt für Inlandsanleihen mit Quellenbesteuerung und ein Markt für Euroanleihen ohne Quellenbesteuerung bildeten, die beide für in Belgien ansässige Personen zugänglich wären, so genügt der Hinweis, dass anlagebereite in Belgien ansässige Personen durch nichts daran gehindert werden, Anleihepapiere zu zeichnen, die auf dem Euroanleihenmarkt von anderen Ausstellern als dem Königreich Belgien ausgegeben werden und die auch nicht der belgischen Quellenbesteuerung der Kapitalerträge unterliegen.
47 Folglich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der streitigen Maßnahme nicht gewahrt, so dass sie nicht unter Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag fallen kann.
48 Daher ist festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 73b EG-Vertrag verstoßen hat, dass es in Belgien ansässigen Personen den Erwerb von Papieren einer Auslandsanleihe verboten hat.
Kosten
49 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG) verstoßen, dass es durch Artikel 3 Absatz 2 des Königlichen Erlasses vom 4. Oktober 1994 in Belgien ansässigen Personen den Erwerb von Papieren einer Auslandsanleihe verboten hat.
2. Das Königreich Belgien trägt die Kosten.