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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61999C0073

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 23. März 2000. - Viktor Movrin gegen Landesversicherungsanstalt Westfalen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Sozialgericht Münster - Deutschland. - Soziale Sicherheit - EG-Vertrag - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates - Rentenempfänger - Krankenversicherungspflicht im Wohnmitgliedstaat - Beiträge - Zuschuß zur Krankenversicherung nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats. - Rechtssache C-73/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-05625


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Der vorliegende Fall betrifft die Frage, ob es mit der Verordnung Nr. 1408/71(1) vereinbar ist, daß die zuständige deutsche Behörde (Landesversicherungsanstalt Westfalen; nachstehend: LVA Westfalen) einen Zuschuß zu den Pflichtbeiträgen ablehnt, die der die Staatsangehörigkeit der Niederlande besitzende und dort wohnende V. Movrin, der sowohl von der LVA Westfalen als auch von der zuständigen niederländischen Behörde Altersrente erhält, an die niederländische gesetzliche Krankenversicherung zahlt. Nach deutschem Recht haben Rentner, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflicht- oder freiwillig versichert sind oder die in einer privaten Krankenversicherung versichert sind, Anspruch auf einen solchen Zuschuß, es sei denn, sie leben in einem anderen Mitgliedstaat und sind dort in der gesetzlichen Krankenversicherung dieses Staates pflichtversichert.

Nationales Recht

2 Nach dem deutschen Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I), können in der gesetzlichen Krankenversicherung Zuschüsse zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung in Anspruch genommen werden(2). Die anderen maßgeblichen Bestimmungen stehen im Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V), Gesetzliche Krankenversicherung, und im Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI), Gesetzliche Rentenversicherung. Deren Regelung läßt sich wie folgt zusammenfassen.

3 Die deutschen Rentenversicherungsträger zahlen die Hälfte der Beiträge zur Krankenversicherung, die Empfänger einer deutschen Rente, die in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, zu tragen haben, auch dann, wenn diese Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat leben(3); die genannten Beiträge werden nach der Höhe der von der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Rente bemessen(4). Die Beteiligung an den Beiträgen wird unmittelbar an den Krankenversicherungsträger gezahlt(5). Ferner zahlen die deutschen Rentenversicherungsträger die Hälfte der Beiträge zur Krankenversicherung, die Empfänger einer deutschen Rente, die freiwillig in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, zu tragen haben, auch dann, wenn diese Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat leben; diese Zahlung erfolgt unmittelbar an den Rentner(6). Für beide Arten von Zahlungen werde ich die Bezeichnung Zuschuß verwenden. Die deutschen Rentenversicherungsträger zahlen jedoch keinen Zuschuß zu den Krankenversicherungsbeiträgen, die ein Empfänger einer deutschen Rente, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und bei der gesetzlichen Krankenversicherung dieses Staates pflichtversichert ist, zu tragen hat.

Maßgebliche Vorschriften des Gemeinschaftsrechts

4 Artikel 1 Buchstabe t der Verordnung Nr. 1408/71 enthält folgende Definition:

"$Leistungen` und $Renten`: sämtliche Leistungen und Renten einschließlich aller ihrer Teile aus öffentlichen Mitteln, aller Zuschläge, Anpassungsbeträge und Zulagen, soweit Titel III nichts anderes vorsieht; ferner die Kapitalabfindungen, die an die Stelle der Renten treten können, sowie Beitragserstattungen".

5 Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

"Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erhoben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

6 Artikel 27 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

"Ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten, darunter den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet er wohnt, zum Bezug von Renten berechtigt ist und - gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Artikel 18 und Anhang VI - nach den Rechtsvorschriften dieses letztgenannten Mitgliedstaats Anspruch auf Leistungen hat, sowie seine Familienangehörigen erhalten diese Leistungen vom Träger des Wohnortes und zu dessen Lasten, als ob der Rentner nach den Rechtsvorschriften nur dieses Mitgliedstaats zum Bezug einer Rente berechtigt wäre."

Sachverhalt

7 Herr Movrin, der die Staatsangehörigkeit der Niederlande besitzt und dort wohnt, legte Versicherungszeiten sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland zurück; er hat Anspruch auf Altersrente seit dem 1. August 1995 bei den niederländischen Behörden und seit dem 1. September 1995 bei den deutschen Behörden. Nach niederländischem Recht hat er Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung zu zahlen, die nach dem Gesamtbetrag seiner niederländischen und seiner deutschen Altersrente berechnet werden. Empfänger einer niederländischen Altersrente erhalten einen Ausgleich für Krankenversicherungsbeiträge; Herr Movrin erhält diesen Ausgleich, doch wird er nur nach seiner niederländischen Altersrente bemessen.

8 Im November 1996 beantragte Herr Movrin bei der LVA Westfalen, ihm bezüglich des auf seine deutsche Altersrente entfallenden Anteils seiner niederländischen Krankenversicherungsbeiträge den Zuschuß zur Krankenversicherung zu zahlen. Die LVA Westfalen lehnte dies durch Bescheid vom 9. Januar 1997 ab. Sein Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde von der LVA Westfalen zurückgewiesen, seine Klage beim Sozialgericht Münster hatte keinen Erfolg. Auf seine Berufung hob das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen die Entscheidung des Sozialgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung zurück. Da das Sozialgericht Zweifel hat, ob die Ablehnung der Gewährung des Zuschusses mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, hat es dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

Verstößt es gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft, daß die Beklagte es ablehnt, dem Kläger, der eine Regelaltersrente von der Beklagten erhält, einen Zuschuß zu den Aufwendungen für seine niederländische Krankenversicherung zu gewähren?

Beurteilung

9 Herr Movrin trägt vor, der Zuschuß sei eine Leistung bei Alter im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 und müsse entsprechend dieser Bestimmung ins Ausland gezahl werden; ähnlich argumentiert die Kommission, der Zuschuß sei ein Zuschlag zur Altersrente im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung Nr. 1408/71 und falle daher unter Artikel 10 Absatz 1. Nach Auffassung der deutschen Regierung ist der Zuschuß jedoch keine Leistung im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung und fällt daher nicht unter Artikel 10 Absatz 1. Die LVA Westfalen geht in ihren Erklärungen dagegen von der Annahme aus, der Zuschuß zur Krankenversicherung sei eine Leistung bei Krankheit, auf die folglich Artikel 27 der Verordnung Nr. 1408/71 Anwendung finde, so daß der deutsche Träger nicht zur Zahlung des Zuschusses verpflichtet sei.

10 Hier geht es im wesentlichen darum, ob der Zuschuß eine Geldleistung bei Alter im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ist, so daß er an Herrn Movrin unabhängig davon zu zahlen ist, daß er nicht in Deutschland wohnt. Der Zuschuß kann nicht unter Artikel 10 Absatz 1 fallen, wenn er nicht unter die in Artikel 1 Buchstabe t definierten Begriffe "Leistungen" und "Renten" fällt. Ich werde daher zuerst diesen Punkt behandeln.

Fällt der Zuschuß unter Artikel 1 Buchstabe t?

11 Meines Erachtens ist der Zuschuß zur Krankenversicherung, der als Beitrag zu den Krankenversicherungsbeiträgen gedacht ist, eine Leistung im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung Nr. 1408/71.

12 Der Gerichtshof hat schon wiederholt entschieden, daß eine Leistung dann als Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden kann, wenn sie den Empfängern unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt wird und sich auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht(7). Diese Aufzählung umfaßt sowohl Leistungen bei Krankheit (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) als auch Leistungen bei Alter (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c). Die Einstufung einer Leistung in einen Zweig der sozialen Sicherheit hängt im wesentlichen von den Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung(8). Wie die Kommission ausführt, sprechen diese beiden Faktoren, so wie sie sich eindeutig aus den deutschen Vorschriften ergeben, dafür, den Zuschuß als Teil der Altersrente aufzufassen. Der Zuschuß wird von den Rentenversicherungsträgern gewährt und bemißt sich nach der Höhe des Beitrags zur Krankenversicherung, der sich wiederum nach der Höhe der bezogenen Rente richtet. Die Höhe des Zuschusses ist daher an die Höhe der Rente gebunden, ohne daß ein Ermessen der Behörden besteht. Überdies setzt die Zahlung des Zuschusses einen Rentenanspruch voraus und erfolgt, wieder ohne ein Ermessen der Behörden, kraft eines Anspruchs der Rentenempfänger. Er entspricht daher seiner Natur nach einem Zuschlag zur Rente im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung.

13 Nach Auffassung der deutschen Regierung ergibt sich daraus, daß der Rentenversicherungsträger den Zuschuß zumindest im Fall eines in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherten Rentners nicht an diesen, sondern unmittelbar an den Krankenversicherungsträger zahlt, daß der Zuschuß keine "Leistung" im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung Nr. 1408/71 darstellen kann. Wie jedoch die Kommission ausführt, wird die Zahlung nichtsdestoweniger zugunsten und für Rechnung des Rentners geleistet: sie wirkt daher in Wirklichkeit als Zuschlag zur Rente und fällt deshalb unter Artikel 1 Buchstabe t. Zu bemerken ist, daß Artikel 1 Buchstabe t der Verordnung Nr. 1408/71 in die Definition des Begriffs "Leistungen" ausdrücklich "Beitragserstattungen" einschließt. Die Zahlung eines Zuschusses zu einem Beitrag hat die gleiche Wirkung; es wäre sogar vertretbar, den Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag unter diesen Teil von Artikel 1 Buchstabe t zu subsumieren. Überdies hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung offensichtlich eingeräumt, daß der bei freiwilliger oder privater Versicherung (an den Rentner) zu zahlende Zuschuß zu Krankenversicherungsbeiträgen unter Artikel 1 Buchstabe t fällt; für mich ist jedoch kein grundsätzlicher Unterschied zwischen einem solchen Zuschuß und demjenigen erkennbar, der im Fall eines in der gesetzlichen Versicherung pflichtversicherten Rentners direkt an den Krankenversicherungsträger gezahlt wird. Das Vorbringen der deutschen Regierung überzeugt mich also nicht.

Ist der Zuschuß an Gebietsfremde zu zahlen?

14 Ist der Zuschuß ein Zuschlag zur Rente (oder einer Beitragserstattung gleichzustellen) und damit eine Leistung im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung, so ist er eindeutig eine Leistung bei Alter im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 der Verordnung. Wie der Gerichtshof entschieden hat, soll diese Vorschrift die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dadurch fördern, daß die Betroffenen gegen Nachteile geschützt werden, die sich aus der Verlegung ihres Wohnsitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen ergeben könnten: Der Schutz muß daher auch eine Vergünstigung erfassen, die zwar in einer Sonderregelung vorgesehen ist, aber auf eine Erhöhung des Rentenbetrags hinausläuft, auf den der Berechtigte sonst Anspruch hätte(9). Überdies bedeutet dies nicht nur, daß dem Betroffenen sein nach dem Recht eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erworbener Anspruch auf Renten und Leistungen selbst nach Verlegung seines Wohnortes in einen anderen Mitgliedstaat erhalten bleibt, sondern auch, daß ihm der Erwerb eines solchen Anspruchs nicht allein deshalb versagt werden kann, weil er nicht im Gebiet des Staates wohnt, in dem der verpflichtete Träger seinen Sitz hat(10): Artikel 10 will nicht nur die Zahlung, sondern auch den Erwerb des Anspruchs auf diese Leistungen gewährleisten(11). Er ist deshalb dahin auszulegen, daß weder die Entstehung noch die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die in dieser Bestimmung genannten Leistungen, Renten und Zuschläge allein deshalb verneint werden können, weil der Betroffene nicht im Gebiet des Mitgliedstaats wohnt, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat(12). Da Herr Movrin, wie die Kommission ausführt, gerade deshalb und nur deshalb keinen Anspruch auf den Zuschuß hat, weil er in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, ist die Frage des vorlegenden Gerichts zu bejahen.

15 Das implizite Vorbringen der LVA Westfalen, der Zuschuß sei eine Leistung bei Krankheit und daher gemäß Artikel 27 der Verordnung nicht von ihr zu zahlen, geht meines Erachtens fehl. Wie Herr Movrin und die Kommission ausführen, läuft dieses Vorbringen nicht dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Aulich zuwider(13). In dieser Rechtssache ging es um die Einstufung eines ähnlichen Zuschusses zu Krankenversicherungsbeiträgen nach der Reichsversicherungsordnung. Der Gerichtshof befand, daß der Zuschuß, da er nicht nach Eintritt des vom Berechtigten bezeichneten Risikos gewährt worden sei, nicht unter Artikel 27 habe fallen können, der sich nur auf Leistungen bei Krankheit (oder Mutterschaft) nach Eintritt des versicherten Risikos beziehe. Es sei zu unterscheiden zwischen Versicherungsbeitrag und Versicherungsleistung: Der fragliche Zuschuß sei keine bei Krankheit gezahlte Leistung; vielmehr stelle er eine Beteiligung an Beiträgen zur Krankenversicherung dar, die Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen des Krankenversicherungsträgers im Krankheitsfall sei. Oder wie es Generalanwalt Gand schon in der Rechtsache Dekker(14), die den gleichen Zuschuß betraf, etwas griffiger ausgedrückt hatte:

"Die Begriffe $Beitrag` und $Leistung` schließen sich gegenseitig aus. Die Beitragszahlung begründet den Leistungsanspruch, die Leistung setzt voraus, daß der Anspruch schon besteht."

16 Die deutsche Regierung hat vorgetragen, die Art und Weise, wie die Niederlande Rentner behandle, die neben der niederländischen Rente eine Rente aus einem anderen Mitgliedstaat bezögen, verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Artikel 33 der Verordnung Nr. 1408/71. Ein solches rechtswidriges Verhalten könne nicht zu einer Verpflichtung Deutschlands führen, einen Zuschuß zu den daraus resultierenden Beiträgen zu leisten, zumindest dann nicht, wenn der Kläger, wie das hier der Fall sei, finanziell besser stehe, als wenn er in Deutschland wohnte.

17 Der Gedankengang der deutschen Regierung ist folgender. Wohne der Empfänger einer deutschen Rente in einem anderen Mitgliedstaat, so sei dessen Gesundheitssystem entweder, wie z. B. im Vereinigten Königreich, ausschließlich steuerfinanziert - in diesem Fall werde von seiner Rente nichts für seinen Krankenversicherungsschutz abgezogen, so daß die Zahlung eines Zuschusses nicht gerechtfertigt wäre - oder es sei im wesentlichen beitragsfinanziert. Im letztgenannten Fall dürfe der fragliche Mitgliedstaat zur Bemessung der Beiträge nur die von ihm gezahlte Rente heranziehen; von der gesetzlichen Rentenversicherung eines anderen Mitgliedstaats gezahlte Renten müßten außer Betracht bleiben. Nach ihrem Kenntnisstand werde von allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Niederlande entsprechend verfahren. In allen diesen Mitgliedstaaten werde daher bei den Belastungen für den Krankenversicherungsschutz die bezogene deutsche Rente nicht berücksichtigt, so daß eine Entlastung in der Form eines Zuschusses zu den Krankenversicherungsbeiträgen nicht in Betracht komme.

18 Die Niederlande seien jedoch ein Sonderfall, da dort eine von der gesetzlichen Rentenversicherung eines anderen Mitgliedstaats gezahlte Rente bei der Bemessung der Beiträge zur Krankenversicherung voll herangezogen werde. Dies sei mit der Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere deren Artikel 33(15) der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

"Der Träger eines Mitgliedstaats, der eine Rente schuldet, darf, wenn die für ihn geltenden Rechtsvorschriften vorsehen, daß von dem Rentner zur Deckung der Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft Beiträge einbehalten werden, diese Beiträge von der [von](18) ihm geschuldeten Rente in der nach den betreffenden Rechtsvorschriften berechneten Höhe einbehalten, soweit die Kosten der Leistungen aufgrund der Artikel 27, 28, 28a, 29, 31 und 32 zu Lasten eines Trägers des genannten Mitgliedstaats gehen."

20 Ich kann im Verhalten der Niederlande keinen Verstoß gegen diese Bestimmung erkennen. Artikel 33 Absatz 1 soll sicherstellen, daß von einem Rentner nicht aufgrund der Tatsache, daß er in einem Mitgliedstaat wohnt, Pflichtversichertenbeiträge zur Deckung von Leistungen verlangt werden dürfen, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaats gehen. Er verbietet daher dem Träger eines Mitgliedstaats, der eine Rente schuldet, Beiträge zur Deckung von Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft zu erheben, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaats gehen.(19) Deshalb darf der Träger eines Mitgliedstaats Beiträge nur von den Renten solcher Sozialversicherten einbehalten, die von dem dafür zuständigen Träger dieses Mitgliedstaats Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft beziehen. Eine solche Einbehaltung ist dagegen unzulässig, wenn die betreffenden Leistungen nicht zu Lasten eines Trägers dieses Mitgliedstaats gehen(20). Im vorliegenden Fall kann offensichtlich keine Rede davon sein, daß die Niederlande Beiträge von Herrn Movrins Rente für Leistungen einbehalten, die zu Lasten des deutschen Krankenversicherungsträgers gehen. (Dieser betont in seinen schriftlichen Erklärungen vielmehr, daß er für Herrn Movrins Krankenversicherung nicht zuständig sei.)

21 Selbst wenn die Behauptung zuträfe, daß das Verhalten der Niederlande rechtswidrig sei, könnte dies jedenfalls die Ansprüche Herrn Movrins nach der Verordnung Nr. 1408/71, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, nicht beeinträchtigen; der richtige Weg in diesem Fall wäre die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission (oder Deutschland).

22 Mir ist auch nicht ersichtlich, wie die nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über die soziale Sicherheit bestehenden Ansprüche Herrn Movrins durch den Umstand außer Kraft gesetzt werden könnten, daß er, wie behauptet, mit Wohnsitz in den Niederlanden tatsächlich insgesamt niedrigere Beiträge zur Krankenversicherung leistet als er mit Wohnsitz in Deutschland leisten würde. Maßgeblich ist, daß er durch die Ablehnung des Zuschusses wegen seines Wohnsitzes in den Niederlanden schlechter gestellt wird, als wenn er in Deutschland wohnen würde, und daß dies eindeutig gegen den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer verstößt, auf dem die Verordnung beruht.

23 Daher gelange ich zu dem Ergebnis, daß der Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag eine "Leistung" im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung Nr. 1408/71 und eine Geldleistung bei Alter im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 der Verordnung ist. Er ist daher zu zahlen, auch wenn der Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat als dem des zur Zahlung verpflichteten Trägers wohnt. In Anbetracht dieses Ergebnisses, das für die Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ausreicht, halte ich es nicht für erforderlich, auf das Vorbringen von Herrn Movrin und der Kommission zu den Artikeln 6, 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12, 39 und 42 EG), zu Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 und zur Verordnung Nr. 1612/68(21) einzugehen.

Ergebnis

24 Aus diesen Gründen ist die Frage des Sozialgerichts Münster meines Erachtens wie folgt zu beantworten:

Ein Zuschuß zu den Krankenversicherungsbeiträgen wie der gemäß § 249a des Sozialgesetzbuches, Fünftes Buch, und § 106 Absatz 1 des Sozialgesetzbuches, Sechstes Buch, ist eine "Leistung" im Sinne des Artikels 1 Buchstabe t der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und eine Geldleistung bei Alter im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 dieser Verordnung. Er ist daher an den Empfänger einer deutschen Rente, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, zu zahlen, wenn dieser Empfänger in der gesetzlichen Krankenversicherung dieses Staates pflichtversichert ist.

(1) - Die letzte konsolidierte Fassung wurde in Anhang A Teil I der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 zur Änderung und Aktualisierung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. 1997, L 28, S. 1) veröffentlicht. Die Verordnung Nr. 118/97 ist zwar erst in Kraft getreten, nachdem die LVA Westfalen den im Ausgangsverfahren angefochtenen Bescheid erlassen hatte, doch haben die maßgeblichen Bestimmungen den gleichen Wortlaut.

(2) - § 23.

(3) - § 249a SGB V.

(4) - § 226 SGB V.

(5) - § 255 Absatz 1 SGB V.

(6) - § 106 Absatz 1 SGB VI.

(7) - So z. B. Urteil in der Rechtssache C-66/92 (Acciardi, Slg. 1993, I-4567, Randnr. 14).

(8) - Urteil in der Rechtssache 249/83 (Hoeckx, Slg. 1985, 973, Randnr. 11).

(9) - Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 51/73 (Smieja, Slg. 1973, 1213, Randnrn. 20 und 21).

(10) - Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 92/81 (Camera, Slg. 1982, 2213).

(11) - Vgl. Schlußanträge des Generalsanwalts Cruz Vilaça in den verbundenen Rechtssachen 379/85 bis 381/85 und 93/86 (Giletti, Slg. 1987, 955, Nr. 69).

(12) - Urteil Giletti, Randnr. 17.

(13) - Urteil in der Rechtssache 103/75 (Aulich, Slg. 1976, 697).

(14) - Urteil in der Rechtssache 33/65 (Dekker, Slg. 1965, 1186).

(15) - Siehe unten, Nr. (16)$$(16)19 Artikel 33 Absatz

(17) - Artikel 33 Absatz 2 ist im vorliegenden Fall nicht relevant.

(18) - Anmerkung des Übersetzers: Abweichend von der früheren deutschen Fassung der Verordnung Nr. 1408/71 wurde bei deren Aktualisierung durch die Verordnung Nr. 118/97 das Wort "von" offensichtlich aus Versehen weggelassen.

(19) - Urteil in der Rechtssache C-140/88 (Noij, Slg. 1991, I-387, Randnrn. 11 und 14).

(20) - Urteil in der Rechtssache 275/83 (Kommission/Belgien, Slg. 1985, 1097, Randnr. 3).

(21) - Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. 1968, L 257, S. 2).