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61999J0141

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 14. Dezember 2000. - Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (AMID) gegen Belgische Staat. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Hof van Beroep Gent - Belgien. - Niederlassungsfreiheit - Steuerrecht - Direkte Steuern - Abzug von Betriebsverlusten - Vorhergehendes Wirtschaftsjahr. - Rechtssache C-141/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-11619


Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


Freizügigkeit - Niederlassungsfreiheit - Steuerrecht - Körperschaftsteuer - Verlustabzug - Nationale Vorschriften, die die Möglichkeit, in dem betreffenden Staat erlittene Verluste abzuziehen, für solche Gesellschaften einschränken, die eine feste Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat haben - Unzulässigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 52 [nach Änderung jetzt Artikel 43 EG])

Leitsätze


$$Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) steht einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der eine Gesellschaft innerstaatlichen Rechts mit Sitz im Inland bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer einen in einem bestimmten Jahr erlittenen Verlust nur dann vom steuerpflichtigen Gewinn des darauf folgenden Jahres abziehen kann, wenn dieser Verlust nicht dem Gewinn einer ihrer festen Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat in dem ersten der beiden Jahre hat zugeordnet werden können, insofern entgegen, als ein so zugeordneter Verlust in keinem der betroffenen Mitgliedstaaten vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden kann, während dies sehr wohl möglich wäre, wenn sich die Betriebsstätten der Gesellschaft ausschließlich in dem Mitgliedstaat befänden, in dem sie ihren Sitz hat. Eine solche Regelung behandelt Gesellschaften innerstaatlichen Rechts, die nur im Inland Betriebsstätten haben, nämlich steuerlich anders als Gesellschaften, die feste Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat unterhalten.

(vgl. Randnrn. 23, 33 und Tenor)

Parteien


In der Rechtssache C-141/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Hof van Beroep Gent (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (AMID)

gegen

Belgische Staat

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG)

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann (Berichterstatter) sowie der Richter V. Skouris und J.-P. Puissochet,

Generalanwalt: S. Alber

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (AMID), vertreten durch Rechtsanwalt F. Marck, Antwerpen,

- der belgischen Regierung, vertreten durch P. Rietjens, Generaldirektor im Juristischen Dienst des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und H. Speyart, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der belgischen Regierung, vertreten durch Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke, Brüssel, und der Kommission, vertreten durch H. Speyart, in der Sitzung vom 13. April 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Juni 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe


1 Der Hof van Beroep Gent hat mit Urteil vom 13. April 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 21. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Artikels 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Algemene Maatschappij voor Investering en Dienstverlening NV (im Folgenden: AMID) und dem belgischen Staat wegen dessen Entscheidung, AMID den steuerlichen Abzug der Verluste ihrer belgischen Betriebsstätte in einem bestimmten Wirtschaftsjahr von dem Gewinn, den dieselbe Betriebsstätte im darauf folgenden Wirtschaftsjahr erzielte, mit der Begründung zu versagen, dass diese Verluste dem Gewinn hätten zugeordnet werden müssen, den die luxemburgische Betriebsstätte von AMID im ersten der beiden Wirtschaftsjahre erzielt hatte.

Das innerstaatliche Recht

3 Nach Artikel 114 des belgischen Einkommensteuergesetzes in der koordinierten Fassung des Arrêté royal portant coordination des dispositions légales en matière d'impôts sur les revenus vom 26. Februar 1964 (Belgisch Staatsblad vom 10. April 1964, S. 3809; im Folgenden: Einkommensteuergesetz 1964) werden vom Gewinn des Steuerzeitraums die Betriebsverluste abgezogen, die während der fünf vorhergehenden Steuerzeiträume entstanden sind.

4 Artikel 66 der Königlichen Verordnung vom 4. März 1965 zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes 1964 (Belgisch Staatsblad vom 30. April 1965, S. 4722; im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt:

"Der gemäß Artikel 65 ermittelte Gesamtgewinn wird gegebenenfalls nach seiner Herkunft aufgeschlüsselt in

1. in Belgien erzielten Gewinn, im Folgenden bezeichnet als

belgischer Gewinn`;

2. im Ausland erzielten Gewinn, der einer ermäßigten Steuer unterliegt, im Folgenden bezeichnet als $zum ermäßigten Satz besteuerter Gewinn`;

3. im Ausland erzielten Gewinn, der aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung befreit ist, im Folgenden bezeichnet als $durch Abkommen befreiter Gewinn`.

Vor dieser Aufschlüsselung werden die Verluste, die der Gesellschaft eventuell während des Steuerzeitraums in einer oder mehreren der von ihr in Belgien und im Ausland unterhaltenen Betriebsstätten entstanden sind, in folgender Reihenfolge nacheinander dem Gesamtgewinn der anderen Betriebsstätten zugeordnet:

a) die in einem Land, für das die Gewinne durch Abkommen befreit sind, entstandenen Verluste: zunächst mit dem durch Abkommen befreiten Gewinn, sodann, falls dieser nicht ausreicht, mit dem zum ermäßigten Satz besteuerten Gewinn, und schließlich mit dem belgischen Gewinn;

b) die in einem Land, für das die Gewinne zum ermäßigten Satz besteuert werden, entstandenen Verluste: zunächst mit dem zum ermäßigten Satz besteuerten Gewinn, sodann, falls dieser nicht ausreicht, mit dem durch Abkommen befreiten Gewinn, und schließlich mit dem belgischen Gewinn;

c) die in Belgien entstandenen Verluste: zunächst mit dem belgischen Gewinn, sodann, falls dieser nicht ausreicht, mit dem zum ermäßigten Satz besteuerten Gewinn, und schließlich mit dem durch Abkommen befreiten Gewinn."

5 Nach Artikel 69 der Durchführungsverordnung werden die in Artikel 114 des Einkommensteuergesetzes 1964 genannten vorhergehenden Betriebsverluste abgezogen, soweit sie nicht früher abgezogen werden konnten oder vorher nicht von durch Abkommen befreitem Gewinn abgedeckt waren.

6 Das Königreich Belgien hat mit allen anderen Mitgliedstaaten bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Alle diese Abkommen folgen dem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erarbeiteten Musterabkommen. Das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem Königreich Belgien und dem Großherzogtum Luxemburg (im Folgenden: Doppelbesteuerungsabkommen) wurde am 17. September 1970 geschlossen.

7 Artikel 7 des Doppelbesteuerungsabkommens lautet: "Die Gewinne eines Unternehmens eines vertragschließenden Staates werden nur in diesem Staat besteuert, es sei denn, das Unternehmen verrichtet seine Tätigkeit in dem anderen vertragschließenden Staat durch eine dort gelegene feste Betriebsstätte. Verrichtet das Unternehmen seine Tätigkeit auf diese Weise, so werden seine Gewinne in dem anderen Staat besteuert, jedoch nur insoweit, als sie der betreffenden festen Betriebsstätte zuzuordnen sind." Nach Artikel 5 Absatz 2 Nummer 3 des Abkommens bezeichnet der Begriff "feste Betriebsstätte" namentlich ein Büro oder eine Zweigniederlassung.

8 Nach Artikel 23 Absatz 2 Nummer 1 des Doppelbesteuerungsabkommens sind die in Luxemburg erzielten Einkünfte, die aufgrund des Abkommens in diesem Staat besteuert werden, in Belgien von der Steuer befreit.

Der Ausgangsrechtsstreit

9 AMID ist eine Aktiengesellschaft belgischen Rechts mit Sitz und Steuersitz in Belgien. Sie unterhält außerdem eine feste Betriebsstätte im Großherzogtum Luxemburg. Aufgrund des Abkommens sind die Einkünfte von AMID aus ihrer festen Betriebsstätte in Luxemburg in Belgien von der Steuer befreit.

10 Im Wirtschaftsjahr 1981 entstand AMID in Belgien ein Verlust von 2 126 926 BFR, während ihre luxemburgische Zweigniederlassung in demselben Wirtschaftsjahr einen Gewinn von 3 541 118 LFR erzielte.

11 Da die Verrechnung des belgischen Verlustes mit dem luxemburgischen Gewinn im Rahmen der luxemburgischen Körperschaftsteuer nicht möglich war, zog AMID in ihrer belgischen Körperschaftsteuererklärung für das Wirtschaftsjahr 1982 ihren belgischen Verlust von 1981 von ihren belgischen Gewinnen von 1982 ab.

12 Die belgische Verwaltung für direkte Steuern lehnte diesen Abzug durch Änderungsbescheid mit der Begründung ab, der belgische Verlust von 1981 hätte nach Artikel 66 Absatz 2 Buchstabe c der Durchführungsverordnung dem im selben Jahr in Luxemburg erzielten Gewinn zugeordnet werden müssen. Deshalb könne er gemäß Artikel 69 der Durchführungsverordnung nicht von dem belgischen Gewinn von 1982 abgezogen werden.

13 AMID legte am 8. März 1985 Einspruch gegen den Steuerbescheid vom 8. Oktober 1984 ein, der aufgrund des Änderungsbescheids erlassen worden war. Der Einspruch wurde am 11. Juli 1990 vom Gewestelijke directeur der directe belastingen (Bezirksdirektor für direkte Steuern) zurückgewiesen. AMID erhob gegen den ablehnenden Bescheid Klage beim vorlegenden Gericht.

14 Sie machte geltend, dass die auf sie angewandten Bestimmungen mit dem Doppelbesteuerungsabkommen unvereinbar seien und zudem unter Verstoß gegen den EG-Vertrag Gesellschaften mit Zweigniederlassungen im Ausland gegenüber Gesellschaften, die nur in Belgien Zweigniederlassungen hätten, benachteiligten.

15 Das vorlegende Gericht hielt zwar den streitigen Steuerbescheid für mit dem Doppelbesteuerungsabkommen vereinbar. Es stellte jedoch fest, dass AMID sowohl für den in Belgien als auch für den in ihrer festen Betriebsstätte in Luxemburg erzielten Gewinn zur Körperschaftsteuer veranlagt worden sei, ohne die 1981 in Belgien erlittenen Verluste jemals von ihrem steuerpflichtigen Gewinn abziehen zu können. Hätte sie dagegen ihre Zweigniederlassung nicht in Luxemburg, sondern in Belgien gehabt, so hätte sie die ihr 1981 in Belgien entstandenen Verluste von ihrem steuerpflichtigen Einkommen abziehen können. Es stelle sich die Frage, ob das belgische Steuerrecht nicht auf diese Weise die vom EG-Vertrag gewährleistete Niederlassungsfreiheit beeinträchtige.

16 Deshalb hat das vorlegende Gericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofes über folgende Vorabentscheidungsfrage ausgesetzt:

Steht Artikel 52 des Vertrages vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der Betriebsverluste, die einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat in einem bestimmten Steuerzeitraum in diesem Mitgliedstaat entstanden sind, bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer nur insoweit von dem von dieser Gesellschaft in einem späteren Steuerzeitraum erzielten Gewinn abgezogen werden können, als sie nicht dem Gewinn einer festen Betriebsstätte dieser Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat in dem vorhergehenden Steuerzeitraum zugeordnet werden können, und die zur Folge hat, dass die so zugeordneten Betriebsverluste bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer weder in diesem Mitgliedstaat noch in dem anderen Mitgliedstaat von dem steuerpflichtigen Einkommen dieser Gesellschaft abgezogen werden können, während dies sehr wohl möglich wäre, wenn sich die feste Betriebsstätte im Mitgliedstaat des Sitzes der Gesellschaft befände?

Die Vorabentscheidungsfrage

17 Die Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der eine Gesellschaft innerstaatlichen Rechts mit Sitz im Inland bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer einen in einem bestimmten Jahr erlittenen Verlust nur dann vom steuerpflichtigen Gewinn des darauf folgenden Jahres abziehen kann, wenn dieser Verlust nicht dem Gewinn einer ihrer festen Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat in dem ersten der beiden Jahre hat zugeordnet werden können, insofern Artikel 52 EG-Vertrag entgegensteht, als ein so zugeordneter Verlust, in keinem der betroffenen Mitgliedstaaten vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden kann, während dies sehr wohl möglich wäre, wenn sich die Betriebsstätten der Gesellschaft ausschließlich in dem Mitgliedstaat befänden, in dem sie ihren Sitz hat.

18 Die Kommission hat in ihren Erklärungen Zweifel daran geäußert, ob die im vorliegenden Fall angewandten belgischen Vorschriften mit dem Doppelbesteuerungsabkommen vereinbar sind. Es ist jedoch nicht erforderlich, auf diesen Punkt einzugehen, da das nationale Gericht insoweit keine Frage vorgelegt hat (u. a. Urteil vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-435/97, WWF u. a., Slg. 1999, I-5613, Randnr. 29) und da der Gerichtshof ohnehin nicht befugt ist, im Rahmen des Artikels 177 EG-Vertrag über die Auslegung von anderen als gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu entscheiden (u. a. Beschluss vom 12. November 1998 in der Rechtssache C-162/98, Hartmann, Slg. 1998, I-7083, Randnrn. 8, 9, 11 und 12).

19 Die direkten Steuern unterliegen zwar der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch haben diese ihre Befugnisse unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts auszuüben (u. a. Urteile vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 21, vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-264/96, ICI, Slg. 1998, I-4695, Randnr. 19, und vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C-35/98, Verkooijen, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 32).

20 Nach ständiger Rechtsprechung ist mit der Niederlassungsfreiheit, die Artikel 52 den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten nach den gleichen Bestimmungen wie den im Niederlassungsstaat für dessen eigene Angehörigen festgelegten umfasst, gemäß Artikel 58 (jetzt Artikel 48 EG)des Vertrages für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben. In Bezug auf die Gesellschaften ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass ihr Sitz im genannten Sinn, ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen, dazu dient, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen (u. a. Urteile vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 270/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Randnr. 18, und vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993, I-4017, Randnr. 13, sowie Urteil ICI, Randnr. 20).

21 Zwar sollen die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern. Sie enthalten aber auch das Verbot für den Herkunftsstaat, die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften, die im Übrigen die Voraussetzungen des Artikels 58 EG-Vertrag erfuellen, in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern (u. a. Urteile vom 27. September 1988 in der Rechtssache 81/87, Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483, Randnr. 16, und vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-200/98, X und Y, Slg. 1999, I-8261, Randnr. 26).

22 Die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung beschränkt bei der Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens von Gesellschaften für Gesellschaften des innerstaatlichen Rechts mit Sitz im Inland, die in Ausübung ihres Rechts auf freie Niederlassung Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten errichtet haben, die Möglichkeit, die in einem früheren Steuerzeitraum im Herkunftsmitgliedstaat entstandenen Verluste zu übertragen, wenn sie in demselben Steuerzeitraum in einem anderen Mitgliedstaat durch eine feste Betriebsstätte Gewinne erzielt haben, während die Verrechnung dieser Verluste möglich wäre, wenn sich die Betriebsstätten dieser Gesellschaften ausschließlich im Herkunftsmitgliedstaat befänden.

23 Somit behandelt die Regelung dieses Mitgliedstaats durch die Zuordnung der inländischen Verluste zu den durch Abkommen befreiten Gewinnen Gesellschaften innerstaatlichen Rechts, die nur im Inland Betriebsstätten haben, steuerlich anders als Gesellschaften, die feste Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat unterhalten. Denn wie die belgische Regierung selbst einräumt, laufen die letztgenannten Gesellschaften bei Vorliegen eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen den betreffenden beiden Staaten Gefahr, einen steuerlichen Nachteil zu erleiden, den sie nicht erleiden würden, wenn sich alle ihre Betriebsstätten im Herkunftsmitgliedstaat befänden.

24 Nach Auffassung der belgischen Regierung stellt die im Ausgangsverfahren streitige Regelung kein gegen Artikel 52 EG-Vertrag verstoßendes Hemmnis dar. Sie müsse nämlich in dem Gesamtzusammenhang, in den sie sich einfüge, beurteilt werden. Zwar treffe es zu, dass AMID in der besonderen Situation, über die das vorlegende Gericht zu entscheiden habe, ein Nachteil entstehe; ebenso richtig sei aber auch, dass, wenn dasselbe Unternehmen in Belgien Gewinne erzielen und seine Betriebsstätte in Luxemburg einen Verlust erleiden würde, die Besteuerungsgrundlage des Unternehmens in Belgien niedriger wäre; der Verlust könnte außerdem in Luxemburg dem später dort erzielten Gewinn zugeordnet werden. In diesem Fall befände sich das Unternehmen in einer besseren Lage als Unternehmen, die keine Betriebsstätte im Ausland hätten. Um der Komplexität der Lage aufgrund der zahlreichen Situationen, in denen sich Unternehmen in steuerrechtlicher Hinsicht befinden könnten, Rechnung zu tragen, habe Artikel 66 der Durchführungsverordnung deshalb ein wirksames System der Zuordnung der Verluste vorgesehen und dabei in Kauf genommen, eine belgische Gesellschaft, die eine oder mehrere Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten habe, in bestimmten Fällen zu benachteiligen und in anderen Fällen zu bevorzugen. In Wirklichkeit habe dieses System keinen Einfluss auf die Entscheidung der Unternehmen, eine Betriebsstätte im Ausland zu errichten. Da ein Unternehmen zu dem Zeitpunkt, in dem es beschließe, eine feste Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat zu errichten, nicht wisse, ob es auf Dauer Verluste erleiden oder Gewinne erzielen werde, und überdies gewiss nicht, ob die Verluste in der neuen festen Betriebsstätte oder am Hauptsitz eintreten würden, bringe die fragliche Regelung keine vertragswidrige Beeinträchtigung mit sich.

25 Im Übrigen befänden sich die belgischen Unternehmen, die eine feste Betriebsstätte im Ausland hätten, nicht in der gleichen Lage wie die Unternehmen, die ihre gesamte Geschäftstätigkeit in Belgien abwickelten. Bei den Letzteren werde das Gesamteinkommen global berechnet und zu dem in Belgien geltenden Satz besteuert. Die belgischen Gesellschaften, die ausländische Betriebsstätten hätten, würden hinsichtlich der von diesen erzielten Einkünfte unbeschadet der Bestimmungen von Doppelbesteuerungsabkommen nach dem Steuerrecht des Mitgliedstaats besteuert, in dem sich diese Betriebsstätten befänden. Diese beiden Kategorien von Unternehmen würden steuerlich immer verschieden behandelt werden, so dass die Anwendung einer Regelung, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führe, nicht zwangsläufig eine Diskriminierung darstelle.

26 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

27 Selbst wenn man unterstellt, dass die belgische Steuerregelung für Gesellschaften mit Betriebsstätten im Ausland zumeist günstiger ist, bringt sie doch immer dann, wenn sie sich für diese Gesellschaften nachteilig auswirkt, eine Ungleichbehandlung gegenüber den Gesellschaften mit sich, die keine Betriebsstätte außerhalb Belgiens haben, und bewirkt dadurch eine Beschränkung der durch Artikel 52 EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit (in diesem Sinn das vorgenannte Urteil Kommission/Frankreich , Randnr. 21).

28 Die von der belgischen Regierung angeführten Unterschiede zwischen belgischen Gesellschaften, die eine feste Betriebsstätte im Ausland haben, und solchen, die keine derartige Betriebsstätte unterhalten, können in keiner Weise erklären, warum die Ersteren hinsichtlich des Abzugs von Verlusten nicht ebenso behandelt werden können wie die Letzteren.

29 Denn eine belgische Gesellschaft, die keine Betriebsstätte außerhalb Belgiens hat und in einem bestimmten Geschäftsjahr einen Verlust erleidet, befindet sich in steuerlicher Hinsicht in der gleichen Situation wie eine belgische Gesellschaft, die eine Betriebsstätte in Luxemburg hat und in ein und demselben Wirtschaftsjahr in Belgien einen Verlust erleidet und in Luxemburg einen Gewinn erzielt.

30 Da keine objektiv verschiedene Situation vorliegt, ist eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Abzugs von Verlusten bei der Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens der Gesellschaften unzulässig.

31 Für diese Ungleichbehandlung gibt es keine Rechtfertigung. Sie verstößt daher gegen die Vorschriften des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit.

32 Die belgische Regierung hat auch nicht versucht, diese Ungleichbehandlung hinsichtlich der Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit mit einer anderen als der in Randnummer 25 dieses Urteils angegebenen Begründung zu rechtfertigen.

33 Aufgrund dieser Erwägungen ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der eine Gesellschaft innerstaatlichen Rechts mit Sitz im Inland bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer einen in einem bestimmten Jahr erlittenen Verlust nur dann vom steuerpflichtigen Gewinn des darauf folgenden Jahres abziehen kann, wenn dieser Verlust nicht dem Gewinn einer ihrer festen Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat in dem ersten der beiden Jahre hat zugeordnet werden können, insofern Artikel 52 EG-Vertrag entgegensteht, als ein so zugeordneter Verlust, in keinem der betroffenen Mitgliedstaaten vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden kann, während dies sehr wohl möglich wäre, wenn sich die Betriebsstätten der Gesellschaft ausschließlich in dem Mitgliedstaat befänden, in dem sie ihren Sitz hat.

Kostenentscheidung


Kosten

34 Die Auslagen der belgischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Hof van Beroep Gent mit Urteil vom 13. April 1999 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der eine Gesellschaft innerstaatlichen Rechts mit Sitz im Inland bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer einen in einem bestimmten Jahr erlittenen Verlust nur dann vom steuerpflichtigen Gewinn des darauf folgenden Jahres abziehen kann, wenn dieser Verlust nicht dem Gewinn einer ihrer festen Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat in dem ersten der beiden Jahre hat zugeordnet werden können, steht insofern Artikel 52 EG-Vertrag entgegen, als ein so zugeordneter Verlust, in keinem der betroffenen Mitgliedstaaten vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden kann, während dies sehr wohl möglich wäre, wenn sich die Betriebsstätten der Gesellschaft ausschließlich in dem Mitgliedstaat befänden, in dem sie ihren Sitz hat.