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Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 19. Juni 2003. - Commissioners of Customs & Excise gegen First Choice Holidays plc. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) - Vereinigtes Königreich. - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 26 Absatz 2 - Sonderregelung für die Besteuerung von Reisebüros und Reiseveranstaltern - Besteuerungsgrundlage - Marge - Vom Reisenden zu entrichtender Gesamtbetrag. - Rechtssache C-149/01.
Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-06289
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
In der Rechtssache C-149/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Commissioners of Customs & Excise
gegen
First Choice Holidays plc
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer R. Schintgen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter) und V. Skouris, der Richterin F. Macken und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der First Choice Holidays plc, vertreten durch K. Prosser, QC, beauftragt durch M. Whitehouse, Solicitor,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill als Bevollmächtigte im Beistand von P. Sales, Barrister,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der First Choice Holidays plc, vertreten durch K. Prosser, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch P. Ormond als Bevollmächtigte im Beistand von P. Sales, und der Kommission, vertreten durch R. Lyal, in der Sitzung vom 14. März 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. September 2002
folgendes
Urteil
1 Der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) hat mit Entscheidung vom 13. März 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 26. März 2001, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABL. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den im Vereinigten Königreich für die Erhebung der Mehrwertsteuer zuständigen Commissioners of Customs & Excise (im Folgenden: Commissioners) und dem Reiseveranstalter First Choice Holidays plc (im Folgenden: First Choice Holidays) über einen Antrag dieser Gesellschaft auf Rückerstattung von Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
3 Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bestimmt:
"Die Besteuerungsgrundlage ist:
a) bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b, c und d genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen".
4 Artikel 26 der Sechsten Richtlinie mit der Überschrift "Sonderregelung für Reisebüros" bestimmt in seinen Absätzen 1 und 2:
"(1) Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an ... Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.
(2) Die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden ... Für diese Dienstleistung gilt als Besteuerungsgrundlage und als Preis ohne Steuer im Sinne des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen."
5 Artikel 26 der Sechsten Richtlinie wurde im Vereinigten Königreich durch Section 53 des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz 1994) und die Value Added Tax (Tour Operators) Order 1987 (Verordnung über die Mehrwertsteuer bei Reiseveranstaltern 1987) umgesetzt. Die Bestimmungen der nationalen Regelung wurden im Merkblatt 709/5/88 der Commissioners näher ausgeführt, das den Titel "Tour Operators' Margin Scheme" (TOMS) (Regelung über die Marge von Reiseveranstaltern) trägt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
6 First Choice Holidays stellt Pauschalurlaube zusammen, indem sie einzelne Bestandteile kauft. Im Rahmen von Handelsvertretungsverträgen überträgt sie Reisebüros die Aufgabe, das Endprodukt an Kunden zu verkaufen.
7 Die Handelsvertretungsverträge zwischen First Choice Holidays und den Reisebüros enthalten keine Bestimmungen über den Preis, zu dem die Reisebüros die Urlaube verkaufen dürfen. Es steht ihnen frei, Urlaube zu Preisen zu verkaufen, die gegenüber den Preisen reduziert sind, die in den Katalogen von First Choice Holidays veröffentlicht werden. Üblicherweise räumen die Reisebüros Preisnachlässe für die Urlaube ein, ohne jeweils die vorherige Zustimmung von First Choice Holidays einzuholen.
8 Nach den Handelsvertretungsverträgen erhält First Choice Holidays jedoch vom Reisebüro den vollen Katalogpreis, und das Reisebüro hat Anspruch auf eine Provision in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes, der üblicherweise auf 10 % dieses Preises festgesetzt ist.
9 Wenn der volle Preis z. B. 1 000 GBP beträgt und das Reisebüro dem Kunden einen Nachlass von 50 GBP gewährt, muss der Kunde 950 GBP an First Choice Holidays zahlen. In der Praxis erhält First Choice Holidays den Betrag von 950 GBP über das Reisebüro, das darüber hinaus 50 GBP an First Choice Holidays zahlen muss, was der Differenz zwischen dem Katalogpreis und dem tatsächlich vereinbarten Preis entspricht. Im Übrigen stellt das Reisebüro First Choice Holidays eine Provision in Höhe von 100 GBP, also 10 % des Katalogpreises, in Rechnung.
10 Wurde ein Urlaub verkauft, so erstellte First Choice Holidays eine Kundenrechnung und sandte sie an das Reisebüro. In der für den Kunden bestimmten Ausfertigung war der im Katalog genannte Urlaubspreis ausgewiesen, über einen Nachlass oder eine Provision aber nichts enthalten. Bei der Weiterleitung an den Kunden fügte das Reisebüro entweder ein Dokument mit der Angabe des sich durch Abzug des Nachlasses ergebenden tatsächlichen Urlaubspreises bei, oder es veränderte die Kundenrechnung handschriftlich, um den letztgenannten Preis auszuweisen. First Choice Holidays kannte die Höhe des gegebenenfalls eingeräumten Nachlasses und damit auch den vom Kunden gezahlten Preis oft nicht.
11 1998 beantragte First Choice Holidays bei den Commissioners die Rückzahlung von 921 456 GBP und stützte sich dabei darauf, dass sie auf die Nachlässe, die die Reisebüros beim Verkauf der Urlaube gewährt hätten, irrtümlich Mehrwertsteuer entrichtet habe.
12 Die Commissioners lehnten ihren Antrag ab.
13 First Choice Holidays focht diese Entscheidung beim VAT and Duties Tribunal, London (Vereinigtes Königreich), an. Mit Entscheidung vom 22. November 1999 erklärte dieses die Klage für zulässig und begründet. Es entschied, dass die Zahlungen von Reisebüros hinsichtlich der Differenz zwischen dem Katalogpreis und dem reduzierten Preis nicht unter die in Artikel 26 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Regelung fielen.
14 Die Commissioners legten beim High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), Rechtsmittel gegen die Entscheidung jenes Gerichts ein. Mit Entscheidung vom 28. Juni 2000 entschied der High Court, dass Artikel 26 der Sechsten Richtlinie im obigen Beispielsfall nicht auf den vom Reisebüro geschuldeten Betrag von 50 GBP anwendbar sei, da er kein "vom Reisenden zu zahlender" Betrag gewesen sei. Jedenfalls sei es vertretbar, diesen Betrag entweder als Zahlung für den Urlaub oder als Zahlung für eine Dienstleistung von First Choice an das Reisebüro anzusehen, nämlich für die Einräumung der Befugnis, den Urlaub zu jedem beliebigen Preis zu verkaufen, den es für angemessen halte. Unter Hinweis darauf, dass das VAT and Duties Tribunal, London, von der zweiten Beurteilung ausgegangen sei, entschied der High Court, dass dies eine im Rechtsmittelverfahren nicht überprüfbare Tatsachenfeststellung sei.
15 Die Commissioners legten gegen die Entscheidung des High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, Rechtsmittel beim Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) ein. Sie trugen vor, dass in obigem Beispielsfall der zusätzliche Betrag von 50 GBP, den das Reisebüro zugunsten oder im Namen des Reisenden oder zu dessen unmittelbarem Vorteil an First Choice Holidays gezahlt habe, einen von einem Dritten gezahlten Teil der Gesamtgegenleistung dargestellt habe, die der Reiseveranstalter erhalten habe, so dass dieser Betrag für die Berechnung der Mehrwertsteuer zu berücksichtigen sei.
16 Da der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) der Auffassung ist, dass die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit von der Auslegung der Sechsten Richtlinie abhänge, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Wenn ein Reiseveranstalter im Sinne von Artikel 26 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates
a) Kunden über Reisebüros, deren Vertretereigenschaft offen gelegt ist, Pauschalurlaube verkauft;
b) es dem Reisebüro gestattet, den Verkauf von Pauschalurlauben mit einem Nachlass vom Katalogpreis des Reiseveranstalters zu vereinbaren (wobei der Kunde nur den Discountpreis für den Urlaub zahlen muss);
c) vom Reisebüro, das den Verkauf eines Pauschalurlaubs zum Discountpreis vereinbart, nicht nur fordert, den dem Kunden tatsächlich berechneten Preis an den Reiseveranstalter abzuführen, sondern ihm auch einen zusätzlichen Betrag in Höhe des Nachlasses zu zahlen, der dem Kunden (dem die finanziellen Vereinbarungen zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisebüro unbekannt sind) gewährt wird, so dass das Reisebüro dem Reiseveranstalter den vollen Katalogpreis des Urlaubs schuldet;
d) sich verpflichtet, dem Reisebüro eine Provision auf der Grundlage des Katalogpreises des Urlaubs zu zahlen, die in der Praxis mit den Beträgen verrechnet wird, die das Reisebüro nach der Darstellung unter Buchstabe c schuldet;
e) nicht weiß, ob ein Reisebüro den Verkauf eines bestimmten Urlaubs zu einem Discountpreis vereinbart hat und auch die Höhe eines etwaigen Nachlasses nicht kennt;
f) in seinem Verhältnis zum Reisebüro bei der Abrechnung den vollen Katalogpreis für den Verkauf des Urlaubs zugrunde legt:
1. Wie ist bei diesem Sachverhalt der (unter Buchstabe c genannte) Zusatzbetrag, der vom Reisebüro an den Reiseveranstalter gezahlt wird, für die Zwecke des Artikels 26 Absatz 2 einzuordnen?
2. Umfasst der "vom Reisenden zu zahlende Gesamtbetrag" nach Artikel 26 Absatz 2 den oben unter Buchstabe c genannten Zusatzbetrag?
Zu den Vorlagefragen
17 Mit seinen beiden Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Wendung "vom Reisenden zu zahlender Gesamtbetrag" im Sinne dieser Bestimmung den zusätzlichen Betrag umfasst, den ein als Vermittler für Rechnung eines Reiseveranstalters tätiges Reisebüro unter den in der Vorlageentscheidung dargestellten Umständen zusätzlich zu dem vom Reisenden entrichteten Preis an den Reiseveranstalter zahlen muss, und zwar in Höhe des dem Reisenden von dem Reisebüro gewährten Nachlasses auf den im Katalog des Reiseveranstalters festgesetzten Preis.
Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen
18 First Choice Holidays trägt vor, mit Artikel 26 der Sechsten Richtlinie werde eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlage eingeführt. Er stelle keinen einfachen Anwendungsfall der allgemeinen Regeln für diese Grundlage nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie dar, der u. a. die Gegenleistung erfasse, die der Lieferer oder Dienstleistende von einem Dritten erhalte. Der Wortlaut des Artikels 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie unterscheide sich erheblich von dem der letztgenannten Bestimmung. Die Betonung liege auf dem Reisenden und auf seinem Verhältnis zum Reiseveranstalter. Die fehlende Bezugnahme auf einen "Dritten" könne nicht das Ergebnis eines Versäumnisses sein. Diese Beurteilung werde durch den Wortlaut dieses Artikels 26 Absatz 2 gestützt, wonach zu den in der Marge des Reiseveranstalters enthaltenen Kosten nur diejenigen für "Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger [zählen], soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen". Von den Kosten des Reiseveranstalters könnten demnach in die Berechnung der Marge nur diejenigen der einzelnen Bestandteile einbezogen werden, aus denen sich die an den Kunden verkauften Pauschalurlaube zusammensetzten.
19 Selbst wenn man annehme, dass die Wendung "vom Reisenden zu zahlender Gesamtbetrag" einen von einem Dritten gezahlten Betrag einschließe, dürfe der von dem Reisebüro an den Reiseveranstalter gezahlte zusätzliche Betrag nicht in die Besteuerungsgrundlage einbezogen werden. Das Reisebüro werde nicht als Vertreter des Kunden tätig, der nur verpflichtet sei, für die Reise den um den Nachlass verminderten Preis zu zahlen. Der einzige für Artikel 26 der Sechsten Richtlinie maßgebende Umsatz sei der, der zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden für die Bereitstellung des Pauschalurlaubs getätigt worden sei. Von diesem Artikel werde der Betrag erfasst, den der Reiseveranstalter für den diese Bereitstellung betreffenden Umsatz in Rechnung stelle, und nicht der Betrag, der als ein anderer Umsatz für eine andere Leistung in Rechnung gestellt werde. Da aber - wie das VAT and Duties Tribunal, London, entschieden habe - der zusätzliche Betrag ausschließlich für eine Dienstleistung geschuldet gewesen sei, die der Reiseveranstalter an das Reisebüro erbracht habe, könne dieser Betrag nicht in die Marge des Reiseveranstalters im Sinne des Artikels 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie einbezogen werden.
20 Die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die deutsche Regierung und die Kommission vertreten anders als First Choice Holidays die Ansicht, dass der vom Reisebüro gezahlte zusätzliche Betrag als von einem Dritten gezahlte Gegenleistung gemäß der in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie aufgestellten Regel in den "vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag" im Sinne des Artikels 26 Absatz 2 dieser Richtlinie einzubeziehen sei.
Antwort des Gerichtshofes
21 Artikel 26 der Sechsten Richtlinie sieht eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung der Besteuerungsgrundlage für bestimmte Umsätze von Reisebüros und Reiseveranstaltern vor (Urteil vom 22. Oktober 1998 in den Rechtssachen C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998, I-6229, Randnr. 5).
22 Als Ausnahme von der allgemeinen Regelung der Sechsten Richtlinie darf dieser Artikel nur angewandt werden, soweit dies zur Erreichung des Zieles der Richtlinie erforderlich ist (Urteil Madgett und Baldwin, Randnr. 34).
23 Die durch Artikel 26 der Sechsten Richtlinie eingeführte Mehrwertsteuer-Sonderregelung hat zum Ziel, das anwendbare Recht den besonderen Merkmalen der Tätigkeit von Reisebüros und Reiseveranstaltern anzupassen (Urteile vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-163/91, Van Ginkel, Slg. 1992, I-5723, Randnr. 15, und Madgett und Baldwin, Randnr. 18).
24 Die Leistungen dieser Unternehmen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich regelmäßig aus mehreren Leistungen, insbesondere Beförderungs- und Unterbringungsleistungen, zusammensetzen, die teils im Ausland, teils in dem Land erbracht werden, in dem das Reisebüro seinen Sitz oder eine feste Niederlassung hat. Die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Besteuerungsgrundlage und den Vorsteuerabzug würde aufgrund der Vielzahl und der Lokalisierung der erbrachten Leistungen bei diesen Unternehmen zu praktischen Schwierigkeiten führen, die die Ausübung ihrer Tätigkeit behindern würden (Urteile Van Ginkel, Randnrn. 13 und 14, und Madgett und Baldwin, Randnr. 18).
25 Durch die Festlegung eines einheitlichen Ortes der Besteuerung und die Wahl der Marge des Reisebüros oder des Reiseveranstalters als Besteuerungsgrundlage, d. h. der Differenz zwischen dem "vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag" ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten einschließlich Mehrwertsteuer, die dem Reisebüro oder dem Reiseveranstalter durch die Inanspruchnahme von Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, sollen mit Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie die in der vorstehenden Randnummer genannten Schwierigkeiten vermieden und speziell ein vereinfachter Abzug der gezahlten Vorsteuer, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie erhoben wurde, gewährleistet werden.
26 Für die Verwirklichung dieses Zieles ist es keineswegs erforderlich, von der allgemeinen Regelung in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie abzuweichen, die für die Zwecke der Bestimmung der Besteuerungsgrundlage auf die Wendung "Gegenleistung ... die der ... Dienstleistende ... vom ... Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll" abstellt.
27 Diese "Gegenleistung" entspricht derselben wirtschaftlichen Gegebenheit wie der "vom Reisenden zu zahlende Gesamtbetrag", auf den in Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie abgestellt wird. Sowohl in der allgemeinen Regelung als auch in der Sonderregelung entspricht diese Gegebenheit dem an den Dienstleistungserbringer gezahlten Preis. Unabhängig von dem mit Artikel 26 Absatz 2 verfolgten Zweck muss der betreffende Begriff in beiden Regelungen die gleiche rechtliche Definition behalten.
28 In diesem Zusammenhang kann der in Artikel 26 Absatz 2 verwendete Ausdruck "vom Reisenden zu zahlen" nicht wörtlich dahin ausgelegt werden, dass damit ein Teil der von einem Dritten im Sinne des Artikels 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a erhaltenen "Gegenleistung" von der Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer ausgeschlossen wäre.
29 Die "Gegenleistung" im Sinne der letztgenannten Bestimmung stellt den subjektiven, nämlich im konkreten Fall tatsächlich erlangten Wert dar (Urteile vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-288/94, Argos Distributors, Slg. 1996, I-5311, Randnr. 16, und in der Rechtssache C-317/94, Elida Gibbs Ltd, Slg. 1996, I-5339, Randnr. 27).
30 Besteuerungsgrundlage einer Dienstleistung ist alles, was als Gegenleistung für den Dienst erhalten wird; es muss daher ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert bestehen (vgl. u. a. Urteil vom 23. November 1988 in der Rechtssache 230/87, Naturally Yours Cosmetics, Slg. 1988, 6365, Randnr. 11).
31 Dieser unmittelbare Zusammenhang muss daher auch dann bestehen, wenn ein Teil der Gegenleistung von einem Dritten erlangt wird.
32 Unter Umständen, wie sie das vorlegende Gericht beschrieben hat, stellt der vom Reisebüro an den Reiseveranstalter gezahlte zusätzliche Betrag eine Bedingung dar, von der dieser die Bereitstellung seiner Dienstleistung abhängig macht, und wird die dem Reisebüro geschuldete Provision aus dem vollen Katalogpreis des Urlaubs berechnet.
33 Ein solcher von einem Dritten gezahlter zusätzlicher Betrag weist somit einen unmittelbaren Zusammenhang mit der an den Kunden erbrachten Dienstleistung auf. Folglich gehört er mit zu der Gegenleistung, die der Reiseveranstalter für diese Leistung erhält, und damit auch zu dem "vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag" im Sinne des Artikels 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie. Er kann nicht als Gegenleistung für eine vom Reiseveranstalter gegenüber dem Reisebüro erbrachte Dienstleistung angesehen werden, die darin besteht, diesem die Befugnis einzuräumen, den Urlaub zu einem ermäßigten Preis zu verkaufen.
34 Auf die Vorlagefragen ist daher zu antworten, dass Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Wendung "vom Reisenden zu zahlender Gesamtbetrag" im Sinne dieser Bestimmung den zusätzlichen Betrag umfasst, den ein als Vermittler für Rechnung eines Reiseveranstalters tätiges Reisebüro unter den in der Vorlageentscheidung dargestellten Umständen zusätzlich zu dem vom Reisenden entrichteten Preis an den Reiseveranstalter zahlen muss, und zwar in Höhe des dem Reisenden von dem Reisebüro gewährten Nachlasses auf den im Katalog des Reiseveranstalters festgesetzten Preis.
Kosten
35 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der deutschen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
auf die ihm vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) mit Entscheidung vom 13. März 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass die Wendung "vom Reisenden zu zahlender Gesamtbetrag" im Sinne dieser Bestimmung den zusätzlichen Betrag umfasst, den ein als Vermittler für Rechnung eines Reiseveranstalters tätiges Reisebüro unter den in der Vorlageentscheidung dargestellten Umständen zusätzlich zu dem vom Reisenden entrichteten Preis an den Reiseveranstalter zahlen muss, und zwar in Höhe des dem Reisenden von dem Reisebüro gewährten Nachlasses auf den im Katalog des Reiseveranstalters festgesetzten Preis.