Avis juridique important
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 26. Juni 2003. - KapHag Renditefonds 35 Spreecenter Berlin-Hellersdorf 3. Tranche GbR gegen Finanzamt Charlottenburg. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Anwendungsbereich - Dienstleistung gegen Entgelt - Aufnahme eines Gesellschafters in eine Personengesellschaft gegen eine Bareinlage. - Rechtssache C-442/01.
Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-06851
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
In der Rechtssache C-442/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom deutschen Bundesfinanzhof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
KapHag Renditefonds 35 Spreecenter Berlin-Hellersdorf 3. Tranche GbR
gegen
Finanzamt Charlottenburg
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, des Richters C. Gulmann, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie des Richters J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter),
Generalanwalt: D. Ruíz-Jarabo Colomer,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der KapHag Renditefonds 35 Spreecenter Berlin-Hellersdorf 3. Tranche GbR, vertreten durch Rechtsanwalt D. Ulrich,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch K. Gross im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke, in der Sitzung vom 15. Januar 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Februar 2003
folgendes
Urteil
1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 27. September 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 16. November 2001, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der KapHag Renditefonds 35 Spreecenter Berlin-Hellersdorf 3. Tranche GbR (im Folgenden: Klägerin) und dem Finanzamt Charlottenburg über die mehrwertsteuerliche Behandlung der Aufnahme eines Gesellschafters in eine Gesellschaft gegen Bareinlage.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Nach Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer.
4 Artikel 4 Absätze 1 und 2 dieser Richtlinie lautet:
"(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst."
5 Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten ... von der Steuer:
...
d) die folgenden Umsätze:
...
5. die Umsätze - einschließlich der Vermittlung, jedoch mit Ausnahme der Verwahrung und der Verwaltung - die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere beziehen ..."
6 Artikel 17 Absätze 2 und 5 der Richtlinie bestimmt:
"(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,
...
(5) Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.
Dieser Pro-rata-Satz wird nach Artikel 19 für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.
Jedoch können die Mitgliedstaaten
a) dem Steuerpflichtigen gestatten, für jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden, wenn für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen geführt werden;
b) den Steuerpflichtigen verpflichten, für jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden und für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen zu führen;
c) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihn verpflichten, den Abzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen;
d) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihm vorschreiben, den Vorsteuerabzug nach der in Unterabsatz 1 vorgesehenen Regel bei allen Gegenständen und Dienstleistungen vorzunehmen, die für die dort genannten Umsätze verwendet wurden;
e) vorsehen, dass der Betrag der Mehrwertsteuer, der vom Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden kann, nicht berücksichtigt wird, wenn er geringfügig ist."
7 Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie lautet:
"(1) Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach Artikel 17 Absatz 5 Unterabsatz 1 ergibt sich aus einem Bruch; dieser enthält:
- im Zähler den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der zum Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absätze 2 und 3 berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer;
- im Nenner den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der im Zähler stehenden sowie der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer. Die Mitgliedstaaten können in den Nenner auch die Subventionen einbeziehen, die nicht in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a) genannt sind.
Der Pro-rata-Satz wird auf Jahresbasis in Prozent festgesetzt und auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet.
(2) In Abweichung von Absatz 1 bleibt der Umsatzbetrag bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs außer Ansatz, der auf die Lieferung von Investitionsgütern entfällt, die vom Steuerpflichtigen in seinem Unternehmen verwendet werden. Außer Ansatz bleiben auch die Hilfsumsätze im Bereich der Grundstücks- und Finanzgeschäfte sowie die in Artikel 13 Teil B Buchstabe d) genannten Umsätze, wenn es sich um Hilfsumsätze handelt ..."
Deutsches Recht
8 § 1 des Umsatzsteuergesetzes (BGBl. 1991 I S. 351, im Folgenden: UStG) bestimmt:
"Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. Die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. ...
..." 9 In § 4 UStG heißt es:
"Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
...
8. ...
f) die Umsätze und die Vermittlung der Umsätze von Anteilen an Gesellschaften und anderen Vereinigungen.
..."
10 § 15 UStG sieht vor:
"...
(2) Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für die Lieferungen und die Einfuhr von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet:
1. steuerfreie Umsätze;
...
(4) Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten oder eingeführten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.
..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11 Die Klägerin ist eine deutsche Gesellschaft bürgerlichen Rechts, an der die LOGOS Grundstücks-Treuhand GmbH (im Folgenden: GmbH I), die LOGOS Zweite Grundstücks-Treuhand GmbH (im Folgenden: GmbH II) sowie die Herren Moegelin (A), Tiemann (B) und Mehnert (C) als Gesellschafter beteiligt sind.
12 Zweck der Klägerin waren der Erwerb eines Erbbaurechts an einem Grundstück in Berlin (Deutschland), dessen Bebauung mit Gebäuden eines Einkaufszentrums und die Nutzung der Bauten durch Vermietung und Verpachtung sowie deren Instandhaltung. Das Erbbaurecht erwarben die GmbH I und die GmbH II in Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der A und B am 2. August 1991 beitraten.
13 Die Klägerin sollte als geschlossener Immobilienfonds geführt werden. Es sollten Gesellschafter mit Bareinlagepflichten in Höhe von insgesamt 38 402 000 DM zuzüglich 5 % Agio aufgenommen werden. In den Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) mit Datum vom 1. Oktober 1991 waren der Gesellschaftsvertrag der Klägerin sowie weitere von ihr abzuschließende bzw. abgeschlossene Verträge erwähnt.
14 Am 12. November 1991 erklärte C, er beteilige sich an der Klägerin mit einer Einlage in Höhe des Gesamtbetrags von 38 402 000 DM. Am 13. November 1991 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin die Aufhebung von Teilen der AVB sowie die endgültige Fassung des Gesellschaftsvertrags der Klägerin und weiterer Teile der AVB.
15 Mit Rechnung vom 19. Dezember 1991 stellte Rechtsanwalt Severin der Klägerin 75 000 DM zuzüglich 10 500 DM Umsatzsteuer für rechtliche Beratung einschließlich der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags in Rechnung; die rechtliche Beratung betraf das Fondskonzept und die Gesellschaftsgründung.
16 Die Klägerin machte diese Steuer in ihrer Umsatzsteuererklärung für 1991 als Vorsteuer geltend.
17 Nach einer Betriebsprüfung versagte das Finanzamt Charlottenburg mit Bescheid vom 17. Februar 1998 den Vorsteuerabzug unter Hinweis auf § 4 Nummer 8 Buchstabe f und § 15 Absatz 2 UStG.
18 Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
19 Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Revision zum Bundesfinanzhof.
20 Der Bundesfinanzhof neigt zu der Ansicht, dass eine Personengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Sach- oder Bareinlage eine Dienstleistung gegen Entgelt nach Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie erbringe, die nach Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Richtlinie steuerfrei sei. Diese Auffassung sei aber zweifelhaft, da die Aufnahme des Gesellschafters nicht aufgrund eines gegenseitigen Vertrages des neuen Gesellschafters mit der Gesellschaft, sondern aufgrund eines Gesellschaftsvertrags der Gesellschafter untereinander erfolge, so dass der neue Gesellschafter seinen Gesellschaftsanteil bei einer am Zivilrecht orientierten Betrachtungsweise möglicherweise nicht von der Gesellschaft, sondern von seinen Mitgesellschaftern erhalte. Im Schrifttum werde jedenfalls unter anderem deshalb eine Leistung der Gesellschaft gegen Entgelt verneint.
21 Nehme man eine Leistung der Gesellschaft und weiter an, dass diese nach Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie steuerfrei sein dürfte, so stelle sich die Frage, ob es sich dabei um einen Umsatz handele, für den gemäß den Artikeln 17 und 19 der Sechsten Richtlinie ein Recht auf Vorsteuerabzug bestehe. Dies sei nicht der Fall, wenn die Ausgabe der Gesellschaftsanteile ein Hilfsumsatz im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 Satz 2 der Sechsten Richtlinie sei. Der Bundesfinanzhof neigt dazu, im vorliegenden Fall einen derartigen Hilfsumsatz anzunehmen, weist aber darauf hin, dass es einem gemeinsamen Markt mit einem freien Kapitalverkehr widerspräche, wenn die Aufnahme von Eigenkapital durch Ausgabe von Anteilen an Personengesellschaften in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Konsequenzen hätte.
22 Da die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nach Ansicht des Bundesfinanzhofs eine Auslegung der Sechsten Richtlinie erfordert, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden beiden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erbringt eine Personengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Zahlung einer Bareinlage an diesen eine Leistung gegen Entgelt im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Richtlinie 77/388/EWG?
2. Liegt in diesem Fall ein Hilfsumsatz gemäß Artikel 19 Absatz 2 Satz 2 der Richtlinie 77/388 vor und kann sich der Steuerpflichtige auf die Regelung des Artikels 19 Absatz 2 Satz 2 der Richtlinie 77/388 berufen, wonach derartige Hilfsumsätze den Vorsteuerabzug nicht ausschließen?
Zur ersten Vorlagefrage
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
23 Die Klägerin trägt vor, dass eine Personengesellschaft nicht in der Lage sei, eigene Anteile zu halten und erst recht nicht zu übertragen oder zu gewähren. Bei Personengesellschaften hätten ausschließlich die Gesellschafter die Gesellschaftsanteile inne. Nur diese könnten daher einem neuen Gesellschafter Anteile gewähren. Dem Beitritt eines Gesellschafters zu einer bestehenden Personengesellschaft liege nicht etwa ein zwischen diesem Gesellschafter und der Gesellschaft, sondern ein zwischen dem Beitretenden und den übrigen Gesellschaftern geschlossener Vertrag zugrunde. Die Gewährung von Gesellschaftsanteilen an einen neuen Gesellschafter einer Personengesellschaft stelle folglich keine Erbringung von Dienstleistungen durch die Gesellschaft dar.
24 Auch die durch den Gesellschaftsanteil vermittelten Gewinnchancen könnten nicht Gegenstand einer Dienstleistung der Gesellschaft sein. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes stelle die Erzielung von Einnahmen in Form von Gewinnbeteiligungen keine Gegenleistung für den Erwerb einer Beteiligung dar.
25 Außerdem sei der Beitrag des neuen Gesellschafters kein Entgelt. Dieser Beitrag werde nämlich nicht als "Entgelt" für den Erhalt des Gesellschaftsanteils gezahlt, sondern in Erfuellung der erst in Folge dieses Erwerbs entstandenen allgemeinen Pflicht, den Zweck der Gesellschaft zu fördern.
26 Deshalb sei die erste Vorlagefrage zu verneinen.
27 Die deutsche Regierung trägt vor, dass eine Personengesellschaft eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Artikels 2 der Sechsten Richtlinie erbringe, wenn sie neue Anteile ausgebe.
28 Denn zum einen bestehe zwischen dem Erbringer der Dienstleistung und deren Empfänger eine Rechtsbeziehung, in deren Rahmen ein gegenseitiger Austausch von Leistungen erfolge. Die vom Empfänger gezahlte Vergütung, nämlich die Barzahlung, stelle die Gegenleistung für die Leistung des Erbringers, nämlich die Gewährung eines Gesellschaftsanteils, dar. Zum anderen bestehe ein logischer Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und der erhaltenen Vergütung. Der neue Gesellschafter erbringe eine Zahlung zugunsten der Gesellschaft mit dem Ziel, sich an ihrer Tätigkeit als Unternehmen zu beteiligen. Die Erbringung seiner Bareinlage bedinge den Erwerb der Gesellschafterstellung. Es handele sich deshalb um einen steuerbaren Umsatz im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie.
29 Dieser Umsatz sei jedoch nach Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie steuerfrei, wonach "die Umsätze ..., die sich auf ... Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen ... beziehen" von der Steuer befreit seien.
30 Daher sei ein Vorsteuerabzug nicht möglich. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebe sich nämlich, dass ein Steuerpflichtiger, der eine ihm von einem anderen Steuerpflichtigen erbrachte Dienstleistung für einen steuerfreien Umsatz verwende, die bereits entrichtete Mehrwertsteuer nicht abziehen dürfe.
31 Die Kommission trägt vor, dass nach ständiger Rechtsprechung der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen nicht als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie anzusehen seien. Auch wenn diese Rechtsprechung im Zusammenhang mit Holdinggesellschaften ergangen sei, so gelte wie hier, für die Aufnahme eines Gesellschafters in eine Personengesellschaft, doch dasselbe.
32 Fraglich sei, ob im Fall eines unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffs in die Verwaltung der Gesellschaft, an der die Beteiligung bestehe, etwas anderes gelte. Ein derartiger Eingriff könne sich nicht allein aus dem Erwerb oder der Ausübung der Gesellschafterstellung ergeben. Dazu sei erforderlich, dass der Gesellschafter zusätzliche Tätigkeiten ausübe, an denen es im Ausgangsrechtsstreit fehle.
33 Außerdem sei Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie für den bloßen Beteiligungserwerb nicht einschlägig. Diese Bestimmung gelte nicht für die Schaffung von Gesellschaftsanteilen beim Ersterwerb, sondern betreffe Umsätze in bestehenden Gesellschaftsanteilen.
34 Die Kommission schlägt dem Gerichtshof daher vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass eine Personengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Zahlung einer Bareinlage an diesen keine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie erbringe.
Würdigung durch den Gerichtshof
35 Die erste Vorlagefrage geht dahin, ob eine Personengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Zahlung einer Bareinlage an diesen eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie erbringt.
36 Nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie, der den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer festlegt, unterliegen lediglich diejenigen im Inland ausgeführten Tätigkeiten dieser Steuer, die wirtschaftlicher Natur sind. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer selbständig eine dieser wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt. Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten umschließt gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, insbesondere auch Leistungen, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfassen.
37 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 20. Juni 1991 in der Rechtssache C-60/90, Polysar Investments Netherlands, Slg. 1991, I-3111, Randnr. 12, und vom 6. Februar 1997 in der Rechtssache C-80/95, Harnas & Helm, Slg. 1997, I-745, Randnrn. 13 und 14) ist der in Artikel 4 der Sechsten Richtlinie für die Mehrwertsteuer festgelegte Anwendungsbereich sehr weit. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass sich der Begriff "Nutzung" im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 entsprechend den Erfordernissen des Grundsatzes der Neutralität des Mehrwertsteuersystems ohne Rücksicht auf deren Rechtsform auf alle Vorgänge bezieht, die darauf abzielen, mit dem betreffenden Gegenstand nachhaltig Einnahmen zu erzielen.
38 Der Gerichtshof hat allerdings auch ausgeführt, dass der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen werden können, die den Erwerber bzw. Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würden. Der bloße Erwerb von Beteiligungen an einem Unternehmen stellt nämlich keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dar, weil eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung Ausfluss des bloßen Innehabens des Gegenstands ist (vgl. Urteil Harnas & Helm, Randnr. 15).
39 Der Beitritt eines neuen Gesellschafters zu einer Personengesellschaft gegen Zahlung einer Bareinlage stellt folglich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens keine wirtschaftliche Tätigkeit des Gesellschafters im Sinne der Sechsten Richtlinie dar.
40 Wenn der Erwerb von Beteiligungen als solcher keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie darstellt, so muss dasselbe auch für die Veräußerung solcher Beteiligungen gelten (Urteil vom 20. Juni 1996 in der Rechtssache C-155/94, Wellcome Trust, Slg. 1996, I-3013, Randnr. 33).
41 Die Aufnahme eines neuen Gesellschafters in eine Personengesellschaft stellt daher keine Erbringung einer Dienstleistung an diesen dar.
42 Somit kommt es nicht darauf an, ob die Aufnahme des neuen Gesellschafters als Handlung der Gesellschaft als solcher oder der Mitgesellschafter anzusehen ist; die Aufnahme eines neuen Gesellschafters stellt in keinem Fall eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne der Richtlinie dar.
43 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass eine Personengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Zahlung einer Bareinlage an diesen keine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie erbringt.
Zur zweiten Vorlagefrage
44 In Anbetracht der Antwort auf die erste Vorlagefrage braucht die zweite Vorlagefrage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
45 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27. September 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Eine Personengesellschaft erbringt bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Zahlung einer Bareinlage an diesen keine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.