Rechtssache C-284/03
Belgischer Staat
gegen
Temco Europe SA
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel Brüssel)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 13 Teil B Buchstabe b – Befreite Umsätze – Vermietung von Grundstücken – Widerrufliches Nutzungsrecht“
Leitsätze des Urteils
Steuerrecht – Harmonisierung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befreiungen nach der Sechsten Richtlinie – Befreiung der Vermietung von Grundstücken – Begriff – Übertragung eines widerruflichen Nutzungsrechts gegen eine Vergütung, die im Wesentlichen nach der genutzten Fläche festgesetzt wird – Einbeziehung – Bedingung – Vereinbarungen, die im Wesentlichen die passive Bereitstellung von Gebäuden oder Flächen gegen eine Vergütung zum Gegenstand haben, die nach dem Zeitablauf bemessen ist
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 13 Teil B Buchstabe b)
Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ist dahin auszulegen, dass Umsätze, durch die eine Gesellschaft gleichzeitig durch verschiedene Verträge mehreren mit ihr verbundenen Gesellschaften gegen eine Vergütung, die im Wesentlichen nach der genutzten Fläche festgesetzt wird, ein widerrufliches Nutzungsrecht an ein und demselben Gebäude überträgt, Umsätze aus der „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen und dass diese Verträge, so wie sie durchgeführt werden, im Wesentlichen die Übertragung des passiven Nutzungsrechts an Gebäuden oder Flächen gegen eine Vergütung zum Gegenstand haben, die nach dem Zeitablauf bemessen ist, und nicht eine anders einzustufende Dienstleistung.
(vgl. Randnr. 28 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
18. November 2004(1)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 13 Teil B Buchstabe b – Befreite Umsätze – Vermietung von Grundstücken – Widerrufliches Nutzungsrecht“
In der Rechtssache C-284/03betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,eingereicht von der Cour d'appel Brüssel (Belgien) mit Beschluss vom 19. Juni 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Juli 2003, in dem Verfahren Belgischer Staatgegen
Temco Europe SA erlässtDER GERICHTSHOF (Erste Kammer),
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Mai 2004,
folgendes
Gemeinschaftsregelung
3 Unter Abschnitt X „Steuerbefreiungen“ enthält Artikel 13 der Sechsten Richtlinie „Steuerbefreiungen im Inland“ folgende Bestimmungen:
„…
B. Sonstige Steuerbefreiungen
Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
b) die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme
1.der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe entsprechend den gesetzlichen Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf als Campingplätze erschlossenen Grundstücken,
2.der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen,
3.der Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen,
4.der Vermietung von Schließfächern.
Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen;
…“
Nationale Regelung
4 Artikel 1709 des belgischen Code Civil (Zivilgesetzbuch) lautet:
„Bei der Vermietung von Gegenständen handelt es sich um einen Vertrag, durch den sich die eine Partei verpflichtet, der anderen den Gegenstand gegen Zahlung eines bestimmten Preises für eine bestimmte Zeit zu überlassen.“
5 Artikel 44 Absatz 3 Nummer 2 des Code de la taxe sur la valeur ajoutée (Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: MwStG) sieht eine Befreiung von der Mehrwertsteuer u. a. für „die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken und die Übertragung von Ansprüchen aus Pacht- oder Mietverträgen über Grundstücke sowie die Nutzung von Grundstücken unter den Voraussetzungen von Artikel 19 § 1 …“ vor.
6 Das vorlegende Gericht schildert den Sachverhalt, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, wie folgt:
„Die Temco Europe SA ist für ihre Tätigkeit der Gebäudereinigung und -unterhaltung … mehrwertsteuerpflichtig.
Sie ist Eigentümerin des Grundstücks Chaussée de Ruisbroek 107 bis 117. Von Ende 1993 bis Anfang 1994 ließ sie am Gebäude mit der Hausnummer 111 Umbauarbeiten vornehmen und zog die Mehrwertsteuer, die ihr für diese Umbauarbeiten berechnet wurde, als Vorsteuer ab. Sie hat in diesem Gebäude keine geschäftliche Niederlassung.
Die Temco energy management company SA, die Publiround SA und die Petrus SA gehören demselben Konzern an; sie sind mit der Temco Europe SA von einer gemeinsamen zentralen Leitung abhängig.
Am 1. Februar 1994 schloss die Temco Europe SA mit diesen drei Gesellschaften drei Vereinbarungen, die von den Parteien als Übertragungen bezeichnet werden [im Folgenden: Vereinbarungen] und mit denen die Temco Europe SA jedem Empfänger gestattet, gemäß einer vom Verwaltungsrat des Übertragenden vorgenommenen Zuteilung seine Geschäftstätigkeit in dem Gebäude auszuüben, ohne dass der Empfänger ein besonderes Recht an einem bestimmten Teil des Gebäudes hat. Dem Gericht liegen weder Belege für die Geschäftstätigkeit der Empfänger noch die Entscheidungen des Verwaltungsrats des Übertragenden über die Zuteilung vor.
Die Vereinbarungen sind für die Dauer der Geschäftstätigkeit des Empfängers geschlossen, der gehalten ist, die Räume ausschließlich für seine Geschäftstätigkeit und unter Beachtung der vom Übertragenden erlassenen Hausordnung zu nutzen; der Verwaltungsrat des Übertragenden kann jedoch jederzeit und ohne Vorankündigung vom Empfänger die Räumung der überlassenen Räumlichkeiten verlangen.
Der Empfänger trägt alle für seine Geschäftstätigkeit erforderlichen Kosten. Gas und Elektrizität werden nach Verbrauch berechnet, die Gemeinschaftskosten nach der genutzten Fläche. Er ist außerdem gehalten, Schäden in den von ihm genutzten Räumlichkeiten nach Maßgabe der vom Verwaltungsrat des Übertragenden beschlossenen Kriterien zu beheben.
Die Miete ist jährlich zahlbar, auf 3 500 BEF pro m² für Büroräume und auf 1 000 BEF pro m² für Lagerräume festgesetzt und erhöht sich um 0,4 % des Umsatzes ohne Mehrwertsteuer des Empfängers sowie um 5 000 BEF jährlich pro angestellter Person.
Die Parteien haben die Anwendung von Artikel 1709 des Code Civil ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Hausordnung sieht Regeln für den Zugang zum Gebäude, die Reinigung, die Möglichkeit der Anbringung von Werbeschildern, den unbeschränkten Zugang der Beauftragten des Übertragenden und die Verpflichtung der Empfänger zur Sicherstellung des Folgenden vor:
–der Anschlüsse für Telefon, Wasser, Gas, Elektrizität, Heizung, gegebenenfalls in Absprache mit den anderen Nutzern;
–des Zugangs der Gesamtheit der Nutzer zu den Getränkeautomaten, dem Speisesaal und den Duschen;
– der Zugänglichkeit der Zufahrtswege und der Parkplätze;
–einer verantwortungsvollen Benutzung von Lager und Kanalisation.
Die Temco Europe SA macht zur Durchführung dieser Vereinbarungen keinerlei Angaben.
Der Hilfsprüfer (Vérificateur adjoint) der Mehrwertsteuerverwaltung stellte in dem am 30. September 1996 aufgenommenen Protokoll Folgendes fest:
–Die Vereinbarungen für zwei Nutzer wurden unterzeichnet, nachdem die Verlegung ihres Sitzes in das streitige Gebäude bekannt gemacht wurde.
–Keine Bestimmung der Vereinbarungen beschreibt die Geschäftstätigkeit der Empfänger oder die vorgesehene Nutzung der Räumlichkeiten.
–Es gibt keine Kontrolle des Anteils der Miete, der an den Umsatz gekoppelt ist, und dieser Anteil beträgt für die Petrus SA 7 %, für die Publiround SA 6 % und für die Temco energy SA 0 % der Miete.
–Die Nutzer besitzen einen Zugangsschlüssel zum Gebäude, und das Gebäude verfügt weder über einen Wachdienst noch über einen Hausmeister, so dass die von der Hausordnung vorgesehene Zugangsbeschränkung rein theoretisch ist.
Es ist unstreitig, dass die Gesellschaften die Gebäude noch während des Rechtsstreits nutzten.“
7 Die Verwaltung für Mehrwertsteuer, Registrierung und Staatsbesitz (administration de la TVA, de l’Enregistrement et des Domaines, im Folgenden: Verwaltung) kam nach einer Kontrolle zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Vereinbarungen in Wirklichkeit um die Vermietung von Grundstücken handele, die nach Artikel 44 Absatz 3 Nummer 2 MwStG, durch den Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie umgesetzt wurde, von der Mehrwertsteuer befreit seien, und dass deshalb der Vorsteuerabzug für die Umbauarbeiten des Gebäudes in der Chaussée de Ruisbroek 111 unbegründet sei.
8 Daher verlangte die Verwaltung von Temco Europe die Zahlung von 137 125,53 Euro (5 531 639 BEF) wegen angeblich zu Unrecht vorgenommen Vorsteuerabzugs und von 13 708,51 Euro (553 000 BEF) als Steuerstrafe zuzüglich der gesetzlichen Zinsen.
9 Da Temco Europe sich weigerte, diese Beträge zu zahlen, erließ die Verwaltung gegen sie einen Beitreibungsbescheid. Auf den dagegen eingelegten Rechtsbehelf von Temco Europe hob das Tribunal de première instance Brüssel (Belgien) den Zahlungsbefehl mit Urteil vom 29. November 2000 auf. Der belgische Staat legte gegen diese Entscheidung Berufung ein.
10 Die Cour d’appel Brüssel hat Zweifel hinsichtlich des Begriffes „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie im Hinblick auf die Vereinbarungen, die im Ausgangsverfahren geschlossen und durchgeführt wurden. Sie führt hierzu Folgendes aus:
„Im vorliegenden Fall wurden zwischen der übertragenden Berufungsbeklagten und den Empfängern missbräuchliche Verträge geschlossen, durch die den Empfängern ein widerrufliches Nutzungsrecht an dem Gebäude gewährt wurde. Diese Verträge sind offensichtlich zu dem Zweck erstellt worden, die Begriffe des Mietvertrags und der Vermietung von Grundstücken zu umgehen.
Diese Verträge können jedoch nicht geprüft werden, ohne die enge Verbindung der genannten Gesellschaften miteinander zu berücksichtigen, die alle von derselben Leitung abhängen, wodurch für die Empfänger eine dauerhafte Nutzung und eine angemessene Durchführung der Vereinbarungen gesichert sind.
Die Durchführung der Verträge zeigt, dass die Empfänger über ein dauerndes und unbeschränktes Zugangsrecht zu den Räumlichkeiten verfügen und dass die Nutzung ihrer Büros und Lager von großer Kontinuität geprägt ist.“
11 Die Cour d’appel Brüssel hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kann Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass Umsätze, die nach belgischem Recht einem nicht typisierten Vertrag entsprechen, durch den eine Gesellschaft gleichzeitig durch verschiedene Verträge mehreren mit ihr verbundenen Gesellschaften gegen eine Vergütung, die zu einem wesentlichen Teil nach der genutzten Fläche festgesetzt wird, ein widerrufliches Nutzungsrecht an ein und demselben Grundstück gewährt, wobei die Widerruflichkeit durch eine für die Empfänger und den Übertragenden gemeinsame Leitung neutralisiert wird, im Sinne des Gemeinschaftsrechts eine Vermietung von Grundstücken darstellen, oder, mit anderen Worten, umfasst der gemeinschaftsrechtliche autonome Begriff der „Vermietung von Grundstücken“ in Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie die – der Definition in Artikel 44 § 3 Nr. 2 a. E. (MwStG) entsprechende – entgeltliche Verwendung eines Grundstücks für außerhalb der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen liegende Zwecke, nämlich die widerrufliche Bereitstellung auf unbestimmte Zeit und gegen Zahlung eines monatlichen Entgelts, auch wenn dieses schwankt und zum Teil von den Geschäftsergebnissen des Vertragspartners abhängt, der ein nicht ausschließliches Nutzungsrecht hat, wobei die Widerruflichkeit durch eine für die Vertragsparteien gemeinsame Leitung neutralisiert wird?
12 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass Umsätze, durch die eine Gesellschaft gleichzeitig durch verschiedene Verträge mehreren mit ihr verbundenen Gesellschaften gegen eine Vergütung, die im Wesentlichen nach der genutzten Fläche festgesetzt wird, ein widerrufliches Nutzungsrecht an ein und demselben Gebäude überträgt, Umsätze aus der „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen.
Erklärungen der Verfahrensbeteiligten vor dem Gerichtshof
13 Temco Europe trägt vor, dass die Vereinbarungen, von denen anerkannt sei, dass es sich nach belgischem Recht nicht um Mietverträge handele, nicht der Definition des Mietvertrags nach Gemeinschaftsrecht entsprächen, weil in Bezug auf den Gegenstand kein ausschließliches Nutzungsrecht bestehe, dieses außerdem widerruflich sei und das Entgelt dafür nicht allein nach der Nutzungsdauer festgesetzt werde.
14 Der belgische Staat macht geltend, dass für die Beurteilung der Natur eines Vertrages unabhängig von der Formulierung der Vertragsbestimmungen die Umstände seiner Durchführung zu berücksichtigen seien. Außerdem seien der Normzweck der Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, der Kontext, in dem diese Befreiung stehe, sowie die Zielsetzungen und die Systematik der Richtlinie zu berücksichtigen. Das sich auf die Vertragsdauer beziehende Kriterium könne nicht dahin ausgelegt werden, dass diese stets bei Vertragsschluss festgelegt werden müsse. Bei der Widerruflichkeit handele es sich um eine Modalität des Erlöschens der Verpflichtung, die das Wesen der erbrachten Leistung nicht in Frage stelle.
15 Die Kommission weist darauf hin, dass das vorlegende Gericht die Verträge selbst als missbräuchlich und fiktiv angesehen habe und dass sie offensichtlich erstellt worden seien, um den Begriff „Vermietung von Grundstücken“ zu umgehen. Es sei Sache des nationalen Gerichts, den tatsächlichen Sachverhalt zu berücksichtigen und nicht beim Wortlaut der Vereinbarungen stehen zu bleiben. Da beim Abschluss der Vereinbarungen keine vernünftigen wirtschaftlichen Gründe für eine solche Gestaltung vorgelegen hätten, sei von einem Willen zur Steuerumgehung auszugehen. Das Gericht, das im Ausgangsverfahren zu entscheiden habe, könne sich auf den vom Gerichtshof in einem anderen Zusammenhang entwickelten Begriff des Rechtsmissbrauchs stützen.
Antwort des Gerichtshofes
16 Erstens stellen die in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen nach ständiger Rechtsprechung eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts dar und erfordern daher eine gemeinschaftsrechtliche Definition (vgl. Urteile vom 12. September 2000 in der Rechtssache C-358/97, Kommission/Irland, Slg. 2000, I-6301, Randnr. 51, vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache C-315/00, Maierhofer, Slg. 2003, I-563, Randnr. 25, und vom 12. Juni 2003 in der Rechtssache C-275/01, Sinclair Collis, Slg. 2003, I-5965, Randnr. 22).
17 Zweitens sind die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben werden, eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (vgl. u. a. Urteil Kommission/Irland vom 12. September 2000, Randnr. 52, sowie die Urteile vom 18. Januar 2001 in der Rechtssache C-150/99, Stockholm Lindöpark, Slg. 2001, I-493, Randnr. 25, und Sinclair Collis, Randnr. 23). Wie der Generalanwalt in Nummer 37 seiner Schlussanträge zu Recht ausführt, bedeutet dieses Erfordernis einer engen Auslegung jedoch nicht, dass die zur Erläuterung der Befreiungen verwendeten Begriffe so eng auszulegen sind, dass sie den Befreiungen ihre intendierte Wirkung nehmen.
18 In Bezug auf die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ist zunächst festzustellen, dass diese Vorschrift den Begriff „Vermietung“ nicht definiert und auch nicht auf dessen jeweilige Definition in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verweist (vgl. Urteile vom 4. Oktober 2001 in der Rechtssache C-326/99, „Goed Wonen“, Slg. 2001, I-6831, Randnr. 44, und Sinclair Collis, Randnr. 24). Diese Vorschrift ist nach ihrem Sachzusammenhang sowie nach den Zielsetzungen und der Systematik der Sechsten Richtlinie auszulegen, wobei insbesondere der Normzweck der vorgesehenen Steuerbefreiung zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil „Goed Wonen“, Randnr. 50).
19 Der Gerichtshof hat den Begriff der Vermietung von Grundstücken im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in zahlreichen Urteilen dahin definiert, dass diese im Wesentlichen darin besteht, dem Mieter auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht einzuräumen, ein Grundstück so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer wäre, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteile „Goed Wonen“, Randnr. 55, vom 9. Oktober 2001 in der Rechtssache C-409/98, Mirror Group, Slg. 2001, I-7175, Randnr. 31, und in der Rechtssache C-108/99, Cantor Fitzgerald International, Slg. 2001, I-7257, Randnr. 21, vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache C-269/00, Seeling, Slg. 2003, I-4101, Randnr. 49, und Sinclair Collis, Randnr. 25).
20 Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen mehrfach auf das Kriterium der Mietdauer hingewiesen, um den Umsatz aus der Vermietung eines Grundstücks, der normalerweise eine verhältnismäßig passive Tätigkeit darstellt, die allein an den Zeitablauf gebunden ist und nicht zu einer signifikanten Wertschöpfung führt (vgl. in diesem Sinne das Urteil „Goed Wonen“, Randnr. 52), von anderen Tätigkeiten zu unterscheiden, die entweder gewerblichen Zwecken dienen, wie die in Artikel 13 Teil B Buchstabe b Nummer 1 bis 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen, oder einen Gegenstand haben, der eher durch die Erbringung einer Dienstleistung als durch die bloße Bereitstellung einer Sache charakterisiert wird, wie etwa das Recht, einen Golfplatz (Urteil Stockholm Lindöpark, Randnrn. 24 bis 27) oder – gegen Zahlung einer Maut – eine Brücke zu nutzen (Urteil Kommission/Irland vom 12. September 2000), oder das Recht, in Geschäftsräumen Zigarettenautomaten aufzustellen (Urteil Sinclair Collis, Randnrn. 27 bis 30).
21 Die Mietdauer ist also nicht das allein entscheidende Kriterium, mit dem ein Vertrag als Vermietung eines Grundstücks im Sinne des Gemeinschaftsrechts eingestuft werden kann, selbst wenn die Unterkunft für eine so kurze Dauer gewährt wird, dass dies ein geeignetes Kriterium darstellen kann, um die Gewährung von Unterkunft in einem Hotel von der Vermietung von Wohnräumen zu unterscheiden (Urteil vom 12. Februar 1998 in der Rechtssache C-346/95, Blasi, Slg. 1998, I-481, Randnrn. 23 und 24).
22 Jedenfalls ist es nicht unerlässlich, diese Dauer beim Vertragsschluss festzulegen. Denn zu berücksichtigen sind die tatsächlich bestehenden Vertragsbeziehungen (Urteil Blasi, Randnr. 26). Die Mietdauer kann aber während der Durchführung des Vertrages einvernehmlich durch die Parteien verkürzt oder verlängert werden.
23 Außerdem scheint zwar die strikte Bindung der Bezahlung des Vermieters an die Dauer der Nutzung der Sache durch den Mieter die Passivität des Umsatzes aus Vermietung am besten widerzuspiegeln, doch kann daraus nicht geschlossen werden, dass bei einer Vergütung, bei der andere Faktoren berücksichtigt werden, zwangsläufig die Einstufung als „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ausgeschlossen ist, insbesondere, wenn die anderen berücksichtigten Faktoren angesichts des Teils der Vergütung, der mit dem Zeitablauf verbunden ist, offensichtlich von untergeordneter Bedeutung sind oder mit ihnen keine andere Leistung als die bloße Bereitstellung der Sache vergütet wird.
24 Schließlich kann das ausschließliche Nutzungsrecht des Mieters in der mit dem Vermieter geschlossenen Vereinbarung beschränkt werden und bezieht sich nur auf die in der Vereinbarung bestimmte Immobilie. So kann sich der Vermieter das Recht vorbehalten, die vermietete Immobilie regelmäßig zu besichtigen. Außerdem kann sich ein Mietvertrag auf bestimmte Teile einer Immobilie beziehen, die gemeinsam mit anderen Mietern zu nutzen sind.
25 Solche vertragliche Beschränkungen des an der Mietsache bestehenden Nutzungsrechts schließen nicht aus, dass es sich gegenüber allen anderen Personen, die nicht im Gesetz oder im Vertrag als Personen genannt sind, die ein Recht an der Sache, die Gegenstand des Mietvertrags ist, geltend machen können, um ein ausschließliches Nutzungsrecht handelt.
26 In Bezug auf den im Ausgangsverfahren streitigen Umsatz hat das vorlegende Gericht alle Umstände zu berücksichtigen, unter denen er erzielt wird, um die für ihn charakteristischen Merkmale festzustellen und zu beurteilen, ob er als „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie eingestuft werden kann.
27 Ebenso hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die Vereinbarungen, so wie sie durchgeführt werden, im Wesentlichen die passive Bereitstellung von Gebäuden oder Flächen gegen eine Vergütung zum Gegenstand haben, die nach dem Zeitablauf bemessen ist, oder ob sie auf die Erbringung einer anders einzustufenden Dienstleistung gerichtet sind.
28 Die Vorlagefrage ist daher wie folgt zu beantworten:
Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, dass Umsätze, durch die eine Gesellschaft gleichzeitig durch verschiedene Verträge mehreren mit ihr verbundenen Gesellschaften gegen eine Vergütung, die im Wesentlichen nach der genutzten Fläche festgesetzt wird, ein widerrufliches Nutzungsrecht an ein und demselben Gebäude überträgt, Umsätze aus der „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen und dass diese Verträge, so wie sie durchgeführt werden, im Wesentlichen die Übertragung des passiven Nutzungsrechts an Gebäuden oder Flächen gegen eine Vergütung zum Gegenstand haben, die nach dem Zeitablauf bemessen ist, und nicht eine anders einzustufende Dienstleistung.
29 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass Umsätze, durch die eine Gesellschaft gleichzeitig durch verschiedene Verträge mehreren mit ihr verbundenen Gesellschaften gegen eine Vergütung, die im Wesentlichen nach der genutzten Fläche festgesetzt wird, ein widerrufliches Nutzungsrecht an ein und demselben Gebäude überträgt, Umsätze aus der „Vermietung von Grundstücken“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen und dass diese Verträge, so wie sie durchgeführt werden, im Wesentlichen die Übertragung des passiven Nutzungsrechts an Gebäuden oder Flächen gegen eine Vergütung zum Gegenstand haben, die nach dem Zeitablauf bemessen ist, und nicht eine anders einzustufende Dienstleistung.
Unterschriften.
1 – Verfahrenssprache: Französisch.