Rechtssache C-200/04
Finanzamt Heidelberg
gegen
iSt internationale Sprach- und Studienreisen GmbH
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter – Artikel 26 Absatz 1 – Anwendungsbereich – Pauschalpreis, der den Transfer in das Bestimmungsland und/oder den Aufenthalt in diesem Land sowie Sprachunterricht umfasst – Hauptleistung und Nebenleistungen – Begriff – Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen“
Schlussanträge des Generalanwalts M. Poiares Maduro vom 16. Juni 2005
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 13. Oktober 2005
Leitsätze des Urteils
Steuerrecht – Harmonisierung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Sonderregelung für Reisebüros – Anwendungsbereich – Andere Wirtschaftsteilnehmer als Reisebüros, die in der Durchführung von Sprach- und Studienreisen ins Ausland bestehende Dienstleistungen anbieten – Einbeziehung
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 26)
Nach der Rechtsprechung gelten die Gründe, auf denen die Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter in Artikel 26 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern beruht, auch für den Fall, dass der Wirtschaftsteilnehmer kein Reisebüro oder Reiseveranstalter im üblichen Wortsinne ist, sondern gleichartige Umsätze im Rahmen einer anderen Tätigkeit erbringt. Ein Wirtschaftsteilnehmer unterliegt jedoch nicht der Besteuerung nach diesem Artikel, wenn die Leistungen, die bei Dritten zur Erbringung von Dienstleistungen bezogen werden, die mit diesen Umsätzen im Allgemeinen verbunden sind, gegenüber den Eigenleistungen reine Nebenleistungen bleiben.
Bietet ein Wirtschaftsteilnehmer jedoch seinen Kunden außer den Leistungen im Zusammenhang mit ihrer Sprachausbildung und -erziehung gewöhnlich Reiseleistungen wie den Transfer in das Bestimmungsland und/oder den Aufenthalt in diesem Land an, deren Erbringung nicht ohne spürbare Auswirkung auf den Pauschalpreis bleiben kann, so können diese Leistungen nicht mit reinen Nebenleistungen gleichgesetzt werden. Denn solche Leistungen stellen keinen bloß marginalen Teil gegenüber dem Betrag dar, der der von diesem Wirtschaftsteilnehmer seinen Kunden angebotenen Leistung im Zusammenhang mit der Sprachausbildung und -erziehung entspricht.
Unter diesen Umständen ist Artikel 26 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass er auf einen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, der in der Durchführung von Sprach- und Studienreisen ins Ausland bestehende Dienstleistungen anbietet und seinen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalpreises im eigenen Namen einen drei- bis zehnmonatigen Auslandsaufenthalt bietet und dabei Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt.
(vgl. Randnrn. 22, 24, 27-29, 48 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
13. Oktober 2005(*)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter – Artikel 26 Absatz 1 – Anwendungsbereich – Pauschalpreis, der den Transfer in das Bestimmungsland und/oder den Aufenthalt in diesem Land sowie Sprachunterricht umfasst – Hauptleistung und Nebenleistungen – Begriff – Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen“
In der Rechtssache C-200/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 18. März 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Mai 2004, in dem Verfahren
Finanzamt Heidelberg
gegen
iSt internationale Sprach- und Studienreisen GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kūris und G. Arestis (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der iSt internationale Sprach- und Studienreisen GmbH, vertreten durch die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater H.-J. Philipp und R. Binder im Beistand von Rechtsanwalt G. Wegscheider,
– der deutschen Regierung, vertreten durch A. Tiemann und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,
– der griechischen Regierung, vertreten durch S. Spyropoulos, D. Kalogiros und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
– der zyprischen Regierung, vertreten durch E. Simeonidou als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou und K. Gross als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juni 2005
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Heidelberg (im Folgenden: Finanzamt) und der iSt internationale Sprach- und Studienreisen GmbH (im Folgenden: iSt) wegen der Zahlung von Mehrwertsteuer nach der Prüfung des Umsatzes dieser Gesellschaft in den Jahren 1995 bis 1997 durch die zuständigen Stellen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 In Abschnitt X, „Steuerbefreiungen“, der Sechsten Richtlinie heißt es in dem mit „Steuerbefreiungen im Inland“ überschriebenen Artikel 13:
„A. Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten
(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
i) die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;
…“
4 Abschnitt XIV, „Sonderregelungen“, der Sechsten Richtlinie enthält den mit „Sonderregelung für Reisebüros“ überschriebenen Artikel 26, dessen Absätze 1 und 3 lauten:
„(1) Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c) anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.
…
(3) Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der Gemeinschaft entfällt.“
5 Nach Artikel 1 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. L 158, S. 59) ist Zweck dieser Richtlinie „die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Pauschalreisen (einschließlich Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen), die in der Gemeinschaft verkauft oder zum Kauf angeboten werden“.
6 Nach Artikel 2 dieser Richtlinie bedeutet „Pauschalreise“ „die im Voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, wenn diese Leistung länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung einschließt:
a) Beförderung,
b) Unterbringung,
c) andere touristische Dienstleistungen, die nicht Nebenleistungen von Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen“.
Nationales Recht
7 Die auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften sind § 4 Nummer 23 und § 25 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (BGBl. 1993 I S. 565, im Folgenden: UStG 1993).
8 Nach § 4 Nummer 23 UStG 1993 sind steuerfrei die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen durch Personen und Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, soweit die Leistungen an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung, Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen ausgeführt werden.
9 § 25 UStG 1993 über die Besteuerung von Reiseleistungen bestimmt:
„(1) Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen.
(2) Die sonstige Leistung ist steuerfrei, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden. …
(3) Die sonstige Leistung bemisst sich nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. …
(4) Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten Steuerbeträge als Vorsteuer abzuziehen. Im Übrigen bleibt § 15 unberührt.
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
10 iSt ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht. Im Rahmen ihrer Tätigkeiten bietet sie ihren Kunden u. a. so genannte „High-School-Programme“ und „College-Programme“ an.
11 Das „High-School-Programm“ wendet sich an Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 bis 18 Jahren, die für drei, fünf oder zehn Monate eine High School oder eine vergleichbare Schule im Ausland, insbesondere in anglophonen Ländern, besuchen wollen. Die Bewerber für ein solches Programm reichen ihre Bewerbung bei iSt ein, die nach einem Gespräch mit ihnen über die Annahme der Bewerbung entscheidet. Gegenüber den angenommenen Personen verpflichtet sich iSt, ihnen einen Schülerplatz an der ausgewählten High School zu verschaffen.
12 Nach den Angaben im Vorlagebeschluss wird der Schüler, wenn das „High-School-Programm“ in den Vereinigten Staaten durchgeführt wird, für die Dauer des Aufenthalts in eine Gastfamilie aufgenommen, die mit Hilfe einer örtlichen Partnerorganisation, die mit iSt zusammenarbeitet, ausgewählt wird. Ein Beauftragter dieser Organisation steht dem Schüler als Ansprechpartner an dem Ort zur Verfügung, an dem sich die High School befindet und die Gastfamilie wohnt. Über die Partnerorganisation kann der Schüler auch mit anderen Austauschschülern an einer Rundreise per Bus oder Flugzeug durch das Gastland teilnehmen.
13 Der von iSt zu diesen Bedingungen angebotene Pauschalpreis umfasst den Flug in die Vereinigten Staaten und zurück ab Frankfurt am Main mit Reiseleiter, die Anschlussflüge innerhalb Deutschlands, die Anschlussflüge innerhalb der Vereinigten Staaten bis zum Zielort und zurück, Wohnung und Verpflegung bei der Gastfamilie, Unterricht an der gewählten High School, Betreuung durch die Partnerorganisation und deren örtliche Mitarbeiter während des Aufenthalts, Vorbereitungstreffen und -material sowie Reiserücktrittsversicherung.
14 Beim „College-Programm“, das sich an Studenten und Abiturienten wendet, hat die Partnerorganisation, die mit den Beiträgen, die sie von iSt für ihre Leistungen erhält, die Gebühren für das ausgewählte College entrichtet, dafür zu sorgen, dass die Teilnehmer dort für einen bis drei Terms (Trimester) aufgenommen werden. Die Teilnehmer, die ihre Flüge selbst buchen, werden nicht bei Gastfamilien, sondern in dem ausgewählten College verpflegt und untergebracht.
15 Das Finanzamt stufte die von iSt erbrachten Umsätze zunächst als „Reiseleistungen“ im Sinne von § 25 UStG 1993 ein, meinte dann aber, es handele sich in Wirklichkeit um Leistungen zu Erziehungs- oder Ausbildungszwecken, die nach § 4 Nummer 23 dieses Gesetzes steuerfrei seien. Aufgrund der Einstufung der Leistungen als steuerfreie Umsätze, für die kein Vorsteuerabzug möglich ist, setzte das Finanzamt die von iSt für die Jahre 1995 bis 1997 angemeldeten Vorsteuerüberschüsse herab.
16 Gegen diesen Bescheid erhob iSt Klage beim zuständigen Finanzgericht und beantragte, die Vorsteuer für die drei betreffenden Jahre heraufzusetzen. Das Finanzgericht gab ihrer Klage statt, wobei es die Ansicht vertrat, dass es sich bei den erbrachten Leistungen um Reiseleistungen im Sinne von § 25 UStG 1993 handele und dass § 4 Nummer 23 UStG 1993 nicht anwendbar sei.
17 Das Finanzamt legte dagegen Revision beim Bundesfinanzhof ein, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:
Gilt die Sonderregelung für Reisebüros in Artikel 26 der Richtlinie 77/388/EWG auch für Umsätze eines Veranstalters von so genannten „High-School-Programmen“ und „College-Programmen“ mit Auslandsaufenthalt von drei bis zehn Monaten, die den Teilnehmern im eigenen Namen angeboten werden und für deren Durchführung Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch genommen werden?
Zur Vorlagefrage
18 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie im Fall eines Wirtschaftsteilnehmers erfüllt sind, der seinen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalpreises so genannte „High-School-Programme“ und „College-Programme“ anbietet, die u. a. einen drei- bis zehnmonatigen Sprachaufenthalt im Ausland umfassen.
19 Um die vorgelegte Frage beantworten zu können, ist zu prüfen, ob eine Gesellschaft wie iSt im eigenen Namen handelt und ob sie als Wirtschaftsteilnehmer einzustufen ist, der unter die Sonderregelung für Reisebüros fällt und für seine Umsätze Lieferungen und Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt.
20 Erstens ist es nach der Rechtsprechung Sache des nationalen Gerichts, bei dem ein Rechtsstreit über die Anwendung von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie anhängig ist, unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts und insbesondere der Natur der vertraglichen Verpflichtungen des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers gegenüber seinen Kunden zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-163/91, Van Ginkel, Slg. 1992, I-5723, Randnr. 21). Wie im Übrigen aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, handelt iSt bei den Umsätzen, auf die sich dieser Beschluss hauptsächlich bezieht, unstreitig nicht als Bevollmächtigte.
21 Was zweitens die Eigenschaft als Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie betrifft, so sind nach der Rechtsprechung die Leistungen von Reisebüros und Reiseveranstaltern dadurch gekennzeichnet, dass sie sich meist aus mehreren Leistungen, insbesondere Beförderungs- und Unterbringungsleistungen, zusammensetzen, die teils im Ausland und teils in dem Mitgliedstaat erbracht werden, in dem das Reisebüro seinen Sitz oder eine feste Niederlassung hat. Die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Besteuerungsgrundlage und den Vorsteuerabzug würde aufgrund der Vielzahl und der Lokalisierung der erbrachten Leistungen bei diesen Unternehmen zu praktischen Schwierigkeiten führen, die die Ausübung ihrer Tätigkeit behindern würden. Um das anwendbare Recht den besonderen Merkmalen dieser Tätigkeit anzupassen, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 26 Absätze 2, 3 und 4 der Sechsten Richtlinie eine Mehrwertsteuer-Sonderregelung eingeführt (vgl. Urteil Van Ginkel, Randnrn. 13 bis 15, sowie Urteile vom 22. Oktober 1998 in den Rechtssachen C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998, I-6229, Randnr. 18, und vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C-149/01, First Choice Holidays, Slg. 2003, I-6289, Randnrn. 23 und 24).
22 Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Gründe, auf denen die Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter beruht, auch für den Fall gelten, dass der Wirtschaftsteilnehmer kein Reisebüro oder Reiseveranstalter im üblichen Wortsinne ist, sondern gleichartige Umsätze im Rahmen einer anderen Tätigkeit erbringt. Eine Auslegung, nach der Artikel 26 der Sechsten Richtlinie nur auf die Wirtschaftsteilnehmer Anwendung fände, die Reisebüros oder Reiseveranstalter im üblichen Wortsinne sind, hätte nämlich zur Folge, dass gleiche Leistungen je nach der formalen Eigenschaft des Wirtschaftsteilnehmers verschiedenen Bestimmungen unterlägen (Urteil Madgett und Baldwin, Randnrn. 20 und 21).
23 Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass iSt kein Reisebüro oder Reiseveranstalter im üblichen Wortsinne ist. Zu klären ist jedoch, ob sie gleichartige Umsätze wie ein Reisebüro oder Reiseveranstalter erbringt.
24 Im Rahmen ihrer Tätigkeiten in Bezug auf die „High-School-“ und „College-Programme“ erbringt iSt gleichartige oder zumindest vergleichbare Umsätze wie ein Reisebüro oder Reiseveranstalter. Sie bietet Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Transfer ihrer Kunden per Flugzeug in das Bestimmungsland und/oder deren Aufenthalt in diesem Land an und greift zur Erbringung der mit dieser Art von Tätigkeit im Allgemeinen verbundenen Leistungen auf andere Steuerpflichtige im Sinne von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie zurück, und zwar auf eine örtliche Partnerorganisation und auf Fluggesellschaften.
25 Unter diesen Umständen ist zu klären, ob die von iSt erbrachten Umsätze, für die sie Lieferungen und Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt, gemäß Artikel 26 der Mehrwertsteuer unterliegen.
26 Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gewöhnlich mit Reisen verbundene Dienstleistungen erbringen, bei Dritten bezogene Reiseleistungen in Anspruch nehmen, die einen im Vergleich zu den übrigen Leistungen dieser Wirtschaftsteilnehmer geringeren Teil des Pauschalbetrags ausmachen. Diese von Dritten bezogenen Leistungen stellen somit für die Kundschaft keinen Selbstzweck dar, sondern ein Mittel, um die Hauptdienstleistung dieses Wirtschaftsteilnehmers zu besseren Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil Madgett und Baldwin, Randnr. 24).
27 In einem solchen Fall bleiben die bei Dritten bezogenen Leistungen gegenüber den Eigenleistungen reine Nebenleistungen, so dass der Wirtschaftsteilnehmer nicht der Besteuerung nach Artikel 26 der Sechsten Richtlinie unterliegt (Urteil Madgett und Baldwin, Randnr. 25).
28 Bietet ein Wirtschaftsteilnehmer wie iSt jedoch seinen Kunden außer den Leistungen im Zusammenhang mit ihrer Sprachausbildung und -erziehung gewöhnlich Reiseleistungen wie den Transfer in das Bestimmungsland und/oder den Aufenthalt in diesem Land an, deren Erbringung nicht ohne spürbare Auswirkung auf den Pauschalpreis bleiben kann, so können diese Leistungen nicht mit reinen Nebenleistungen gleichgesetzt werden. Denn wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, stellen die fraglichen Leistungen keinen bloß marginalen Teil gegenüber dem Betrag dar, der der von iSt ihren Kunden angebotenen Leistung im Zusammenhang mit der Sprachausbildung und -erziehung entspricht.
29 Unter diesen Umständen ist Artikel 26 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass er auf einen Wirtschaftsteilnehmer wie iSt Anwendung findet, der seinen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalpreises außer den Leistungen im Zusammenhang mit ihrer Sprachausbildung und -erziehung gewöhnlich auch von anderen Steuerpflichtigen bezogene Leistungen wie den Transfer in das Bestimmungsland und/oder den Aufenthalt in diesem Land anbietet.
30 Gegen diese Anwendung wird jedoch von einigen Mitgliedstaaten, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, eingewandt, dass die von iSt erbrachten Umsätze in keiner Weise unter die Umsätze fielen, die von dem genannten Artikel erfasst werden.
31 Erstens wendet die deutsche Regierung gegen die Anwendung von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie ein, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes Reisen in Form eines etwa halb- oder einjährigen Schüleraustauschs, die bezweckten, dass der Schüler im Gastland eine Schule besuche, um dessen Bevölkerung und Kultur kennen zu lernen, und in deren Rahmen der Schüler unentgeltlich bei einer Gastfamilie wie ein Familienmitglied untergebracht sei, keine Reisen im Sinne der Richtlinie 90/314 darstellten (Urteil vom 11. Februar 1999 in der Rechtssache C-237/97, AFS Intercultural Programs Finland, Slg. 1999, I-825, Randnr. 34). Die zyprische Regierung fügt hinzu, unter Berücksichtigung des Gesamtcharakters der von iSt erbrachten Umsätze bestehe die angebotene Hauptleistung in der Möglichkeit, eine Sprachausbildung zu absolvieren, und diese Leistung gehöre nicht zu den üblichen Reiseleistungen im Sinne von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie.
32 Die deutsche und die zyprische Regierung machen mit ihren Argumenten im Wesentlichen geltend, dass der von iSt im Rahmen der „High-School-“ und „College-Programme“ angebotene Sprachaufenthalt nicht unter den Begriff der Reise im Sinne von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie falle.
33 Insoweit ist festzustellen, dass die Beurteilung des Gerichtshofes im Urteil AFS Intercultural Programs Finland keine Frage nach der Anwendung der Sechsten Richtlinie betraf und dass die Ausführungen in diesem Urteil keinen Einfluss auf die Anwendung von Artikel 26 der Richtlinie haben.
34 Zwar enthält dieser Artikel keine Definition des Reisebegriffs. Doch ist es für seine Anwendung nicht erforderlich, dass die Bestandteile der Reisen vorher näher angegeben werden. Er ist nämlich anwendbar, sofern der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Eigenschaft eines Wirtschaftsteilnehmers im Sinne der Sonderregelung für Reisebüros besitzt, dass er im eigenen Namen auftritt und dass er für seine Umsätze Lieferungen und Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt. Insbesondere ist bei den nach Artikel 26 der Sechsten Richtlinie zu besteuernden Umsätzen eines Wirtschaftsteilnehmers das einzige relevante Kriterium für die Anwendung dieses Artikels der Haupt- oder Hilfscharakter der Reiseleistung.
35 Außerdem wäre Artikel 26 der Sechsten Richtlinie, würde man den insoweit insbesondere von der deutschen Regierung abgegebenen Erklärungen folgen, nach Maßgabe des Zweckes der angebotenen Reise sowie der Aufenthaltsdauer im Bestimmungsland anwendbar. Eine solche Auslegung hätte zur Folge, dass eine zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung dieses Artikels aufgestellt würde.
36 Nichts lässt darauf schließen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Anwendungsbereich von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie anhand von zwei zusammen oder getrennt anzuwendenden Merkmalen, nämlich anhand des Zweckes der Reise und der Dauer des Aufenthalts im Bestimmungsland, begrenzen wollte. Eine andere Schlussfolgerung in dieser Hinsicht wäre mit der Gefahr verbunden, dass die Tragweite dieses Artikels offenkundig eingeschränkt würde, und wäre mit der durch ihn eingeführten Sonderregelung unvereinbar.
37 Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass eine solche zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie eine Unterscheidung zwischen den Wirtschaftsteilnehmern nach dem Zweck des von ihnen angebotenen Aufenthalts im Bestimmungsland bewirken könnte und unbestreitbar zu einer Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern führen und die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie beeinträchtigen würde.
38 Zweitens vertritt die deutsche Regierung die Ansicht, dass Artikel 26 der Sechsten Richtlinie im Ausgangsrechtsstreit keine Anwendung finden könne, da die von iSt getätigten Umsätze in Bezug auf die Sprachausbildung und -erziehung ihrer Kunden zu den nach § 4 Nummer 23 UStG 1993 steuerfreien Umsätzen gehörten. Die Regierung trägt im Wesentlichen vor, falls der getätigte Umsatz der Sache nach unter die in der Sechsten Richtlinie, insbesondere in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i, vorgesehenen Steuerbefreiungen falle, sei die Sonderregelung für die Besteuerung im Sinne von Artikel 26 nicht anwendbar.
39 In dieser Hinsicht lässt nichts darauf schließen, dass die Anwendung des Artikels 26 von einer solchen Hypothese abhängt. Es ist darauf hinzuweisen, dass bei Umsätzen in Bezug auf Lieferungen und Leistungen Dritter, die ein Wirtschaftsteilnehmer nach diesem Artikel zu versteuern hat, das einzige relevante Kriterium der Haupt- oder Hilfscharakter der Reiseleistung ist.
40 Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die mit Artikel 26 der Sechsten Richtlinie eingeführte Regelung, die zur Anpassung der Mehrwertsteuerregeln an Reisebüros und Wirtschaftsteilnehmer mit gleichartigen oder vergleichbaren Umsätzen dient, eine Sonderregelung für die Besteuerung und keine spezielle Regelung für die Befreiung bestimmter Tätigkeiten dieser Wirtschaftsteilnehmer von der Steuer darstellt.
41 Unter diesen Umständen ist das Argument der deutschen Regierung nicht erheblich und kann daher die Nichtanwendung des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie im Ausgangsverfahren nicht rechtfertigen.
42 Diese Feststellung bedeutet jedoch nicht, dass sich aus der Regelung über die Steuerbefreiungen in Abschnitt X der Sechsten Richtlinie keine Argumente für die Frage einer eventuellen Anwendung des Artikels 26 herleiten ließen.
43 Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach Artikel 26 Absatz 3 für den Fall, dass die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht werden, die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14 der Sechsten Richtlinie befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt wird. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat es folglich nicht ausgeschlossen, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Mehrwertsteuerbefreiung im Rahmen von Umsätzen gemäß Artikel 26 der Richtlinie angewandt werden können.
44 Aus Artikel 26 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie kann jedoch kein Argument dafür hergeleitet werden, dass die in der Richtlinie vorgesehene Sonderregelung für Reisebüros im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, weil die von iSt erbrachten Umsätze ihrem Gegenstand oder ihrer Natur nach von der Steuer befreit sind. Gemäß Artikel 26 Absatz 3 stellt nämlich das relevante Kriterium, nach dem ein Umsatz im Rahmen dieser Bestimmung von der Mehrwertsteuer befreit werden kann, nicht – wie die deutsche Regierung geltend macht – auf den Gegenstand oder die Natur dieses Umsatzes ab, sondern auf den Ort der Leistungserbringung.
45 Selbst wenn die von iSt in Bezug auf die Sprachausbildung und -erziehung ihrer Kunden erbrachten Umsätze zu den nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie befreiten Umsätzen gehören würden, könnte dieser Artikel jedenfalls doch keine Anwendung finden, weil iSt nach den Angaben im Vorlagebeschluss eine Handelsgesellschaft ist, während sich die fragliche Bestimmung auf Einrichtungen des öffentlichen Rechts und vergleichbare Einrichtungen bezieht. Ihre Anwendung auf eine Gesellschaft wie iSt würde eine weite Auslegung der in der Richtlinie vorgesehenen Befreiungsregelung bedeuten.
46 Nach ständiger Rechtsprechung sind aber die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben sind, eng auszulegen (vgl. u. a. Urteil vom 3. März 2005 in der Rechtssache C-472/03, Arthur Andersen, Slg. 2005, I-1719, Randnr. 24 und die dort genannte Rechtsprechung).
47 Folglich ist das Argument der deutschen Regierung auf jeden Fall zurückzuweisen.
48 Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 26 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er auf einen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, der Dienstleistungen wie die „High-School-Programme“ und „College-Programme“, die in der Durchführung von Sprach- und Studienreisen ins Ausland bestehen, anbietet und der seinen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalpreises im eigenen Namen einen drei- bis zehnmonatigen Auslandsaufenthalt bietet und dabei Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt.
Kosten
49 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er auf einen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, der Dienstleistungen wie die „High-School-Programme“ und „College-Programme“, die in der Durchführung von Sprach- und Studienreisen ins Ausland bestehen, anbietet und der seinen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalpreises im eigenen Namen einen drei- bis zehnmonatigen Auslandsaufenthalt bietet und dabei Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt.
Unterschriften.
* Verfahrenssprache: Deutsch.