Rechtssache C-249/04
José Allard
gegen
Institut national d'assurances sociales pour travailleurs indépendants (INASTI)
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour du travail Lüttich, Section Neufchâteau)
„Artikel 48 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 43 EG) – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Selbständige, die Erwerbstätigkeiten im Gebiet zweier Mitgliedstaaten ausüben und in einem von beiden wohnen – Erfordernis eines ‚Dämpfungsbeitrags’ – Berechnungsgrundlage“
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 26. Mai 2005
Leitsätze des Urteils
1. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und -selbständigen – Anwendbare Rechtsvorschriften – Selbständiger, der Erwerbstätigkeiten im Gebiet zweier Mitgliedstaaten ausübt und in einem von beiden wohnt – Rechtsvorschriften des Wohnstaats – Erhebung einer besonderen Abgabe durch den Wohnstaat unter Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte – Zulässigkeit
(Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Artikel 13 Absatz 1, 14a Nummer 2, 14c und 14d Absatz 1)
2. Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Niederlassungsfreiheit – Selbständiger, der Erwerbstätigkeiten im Gebiet zweier Mitgliedstaaten ausübt und in einem von beiden wohnt – Erhebung einer besonderen Abgabe durch den Wohnstaat unter Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte – Nationale Maßnahme zur Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 – Maßnahme, die keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt
(Artikel 52 EG-Vertrag [nach Änderung jetzt Artikel 43 EG]; Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Artikel 13 ff.)
1. Aus dem Wortlaut der Artikels 13 Absatz 1, 14a Nummer 2, 14c und 14d Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ergibt sich, dass ein Selbständiger, für den diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegt und dass er, wenn er eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Gebiet er wohnt, wenn er seine Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt. In diesem Fall wird er so behandelt, als ob er seine gesamte Erwerbstätigkeit oder seine gesamten Erwerbstätigkeiten im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats ausübte.
Die Artikel 13 ff. verlangen es folglich, dass im Fall eines Selbständigen, der Erwerbstätigkeiten im Gebiet zweier Mitgliedstaaten ausübt und in einem von beiden wohnt, ein Beitrag wie der nach den Vorschriften des Wohnstaats geschuldete Dämpfungsbeitrag so festgesetzt wird, dass die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, dessen Sozialvorschriften anwendbar sind, erzielten Einkünfte in die Erwerbseinkünfte einbezogen werden, obwohl der Selbständige nach Zahlung dieses Beitrags keinerlei Sozialleistung oder andere Leistung von diesem Staat verlangen kann.
(vgl. Randnrn. 19, 21, 24, Tenor 1)
2. Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) schließt es nicht aus, dass ein Beitrag wie ein Dämpfungsbeitrag, der im Wohnmitgliedstaat geschuldet wird und unter Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte berechnet wird, Selbständigen, die in diesen Mitgliedstaaten Erwerbstätigkeiten ausüben, auferlegt wird.
Eine solche Berechnung erfolgt nämlich auf der Grundlage der Artikel 13 ff. der Verordnung Nr. 1408/71. Die Anwendung dieser Artikel kann die Ausübung der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten nicht behindern oder weniger attraktiv machen, sondern trägt im Gegenteil dazu bei, diese Ausübung zu erleichtern. Nationale Maßnahmen zur Durchführung dieser Vorschriften – wie der Dämpfungsbeitrag – stellen daher keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit dar.
(vgl. Randnrn. 32-34, Tenor 2)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
26. Mai 2005 (*)
„Artikel 48 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 43 EG) – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Selbständige, die Erwerbstätigkeiten im Gebiet zweier Mitgliedstaaten ausüben und in einem von beiden wohnen – Erfordernis eines ‚Dämpfungsbeitrags’ – Berechnungsgrundlage“
In der Rechtssache C-249/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Cour du travail Lüttich, Section Neufchâteau (Belgien), mit Entscheidung vom 9. Juni 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2004, in dem Verfahren
José Allard
gegen
Institut national d’assurances sociales pour travailleurs indépendants (INASTI)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kūris und J. Klučka (Berichterstatter),
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– des Institut national d’assurances sociales pour les travailleurs indépendants (INASTI), vertreten durch L. Paeme als Generalbevollmächtigten,
– der belgischen Regierung, vertreten durch E. Dominkovits als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin als Bevollmächtigten,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 13 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) sowie der Artikel 48 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 43 EG).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits vor der Cour du travail Lüttich, Section Neufchâteau, zwischen Herrn Allard und dem Institut national d’assurances pour travailleurs indépendants (im Folgenden: INASTI) wegen der Zahlung und Berechnungsweise eines gemäß dem Arrêté royal (Königliche Verordnung) Nr. 289 vom 31. März 1984 (Moniteur belge vom 7. April 1984, S. 4370, im Folgenden: Arrêté royal) geschuldeten „Dämpfungsbeitrags“.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:
„Vorbehaltlich des Artikels 14c unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. …“
4 In Artikel 14a Absatz 2 der Verordnung heißt es:
„Eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt. …“
5 Artikel 14d Absatz 1 der Verordnung sieht vor:
„Eine Person, für die … Artikel 14a Absätze 2, 3 und 4 … gilt, wird für die Anwendung der nach diesen Bestimmungen bestimmten Rechtsvorschriften so behandelt, als ob sie ihre gesamte Erwerbstätigkeit oder ihre gesamten Erwerbstätigkeiten im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats ausübte.“
Nationales Recht
6 Artikel 1 des belgischen Gesetzes vom 6. Juli 1983 (Moniteur belge vom 8. Juli 1983, S. 8939), der dem König bestimmte Sonderbefugnisse verleiht, ermächtigt ihn, alle zweckdienlichen Maßnahmen zur Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts aller Systeme der sozialen Sicherheit von Arbeitnehmern und Selbständigen zu treffen.
7 Aufgrund dieser Bestimmung führte der Arrêté royal mit bestimmten befristeten Maßnahmen zur Dämpfung der Einkünfte von Selbständigen im Hinblick auf die Verringerung der öffentlichen Lasten und das finanzielle Gleichgewicht der sozialrechtlichen Stellung der Selbständigen einen „Dämpfungsbeitrag“ ein, bei dem es sich um eine zusätzliche Erwerbsabgabe handelt, die den Selbständigen auferlegt wurde, deren Erwerbseinkünfte in den Jahren 1984, 1985 und 1986 über denen des Jahres 1983 lagen.
8 Das INASTI wurde nach Artikel 7 des Arrêté royal mit der Berechnung und Erhebung dieses Beitrags beauftragt.
9 Im Übrigen sieht Artikel 11 des Sanierungsgesetzes mit Sozialvorschriften vom 22. Januar 1985 (Moniteur belge vom 24. Januar 1985, S. 699) vor, dass das Aufkommen der gemäß dem Arrêté royal erhobenen Beiträge dem System der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Selbständigen zugeführt wird.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
10 Herr Allard, ein in Belgien wohnender belgischer Staatsangehöriger, übte sowohl in Belgien als auch in Frankreich eine selbständige Erwerbstätigkeit aus. Das INASTI verlangte von ihm die Zahlung des Dämpfungsbeitrags für die Jahre 1984 und 1985.
11 Da sich Herr Allard weigerte, diesen Beitrag zu zahlen, erhob das INASTI Klage beim Tribunal du travail Arlon, das ihn am 5. Dezember 2000 zur Zahlung des Beitrags verurteilte.
12 Herr Allard legte daraufhin Berufung beim vorlegenden Gericht ein. Er machte geltend, das INASTI habe zu Unrecht die in Frankreich bezogenen Einkünfte bei der Berechnung der Höhe des Beitrags für das Jahr 1985 berücksichtigt. Er beantragte daher die Herabsetzung dieses Betrages.
13 Unter diesen Umständen hat die Cour du travail Lüttich, Section Neufchâteau, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Schließen es die Artikel 13 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates … aus, dass ein Beitrag – wie der Dämpfungsbeitrag nach dem … [Arrêté royal] – so festgesetzt wird, dass die von einem Selbständigen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen der Besteuerung erzielten Einkünfte in die Erwerbseinkünfte einbezogen werden, obwohl der Selbständige nach Zahlung dieses Beitrags keinerlei Sozialleistung oder andere Leistung von diesem Staat verlangen kann?
2. Schließen es der Vertrag von Rom vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere seine Artikel 39 und 43 (früher Artikel 48 und 52) aus, dass ein auf dieser Grundlage berechneter Beitrag Selbständigen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, auferlegt wird?
Zur ersten Frage
14 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 13 ff. der Verordnung Nr. 1408/71 der Erhebung einer Abgabe wie des „Dämpfungsbeitrags“ auf den Gesamtbetrag der Einkünfte eines Selbständigen in einem Mitgliedstaat entgegenstehen, der im Gebiet dieses Staates wohnt, aber selbständige Erwerbstätigkeiten sowohl im Gebiet des Wohnstaats als auch in dem eines anderen Mitgliedstaats ausübt.
15 Sowohl aus dem Inhalt der Vorlageentscheidung als auch aus der Formulierung der ersten Frage ergibt sich, dass das vorlegende Gericht Zweifel an der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1408/71 auf einen Beitrag hat, dessen Erhebung nicht als Gegenleistung zu einem Anspruch auf eine Sozialleistung oder andere Leistung führt. Das Gericht ist nämlich der Ansicht, dass der Dämpfungsbeitrag eher einer „Art Krisensteuer“ als einem Sozialbeitrag ähnele, der in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71, wie er in deren Artikel 4 definiert sei, falle.
16 Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass für die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 das ausschlaggebende Kriterium darin besteht, ob eine Abgabe speziell für die Finanzierung eines Systems der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats verwendet wird. Ob Gegenleistungen erbracht werden, ist also insoweit unerheblich (vgl. Urteile vom 15. Februar 2000 in der Rechtssache C-34/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-995, Randnr. 40, und in der Rechtssache C-169/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-1049, Randnr. 38).
17 Im vorliegenden Fall steht fest, dass das Aufkommen der Dämpfungsbeiträge dem System der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Selbständigen zugeführt wird.
18 Daraus folgt, dass die Verordnung Nr. 1408/71 auf eine Abgabe wie den Dämpfungsbeitrag anwendbar ist.
19 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ergibt sich aus dem Wortlaut des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, dass Selbständige, für die diese Verordnung gilt, vorbehaltlich des Artikels 14c den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Ebenso ergibt sich klar aus dem Wortlaut des Artikels 14a Absatz 2, dass eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt (vgl. Beschluss vom 20. Oktober 2000 in der Rechtssache C-242/99, Vogler, Slg. 2000, I-9083, Randnr. 19).
20 Im vorliegenden Fall unterliegt also Herr Allard nach der Verordnung Nr. 1408/71 ausschließlich dem mit den belgischen Rechtsvorschriften eingeführten System der sozialen Sicherheit (vgl. analog Beschluss Vogler, Randnr. 20).
21 Außerdem bestimmt Artikel 14d Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, dass die in Artikel 14a Absatz 2 genannte Person so behandelt wird, als ob sie ihre gesamte Erwerbstätigkeit oder ihre gesamten Erwerbstätigkeiten im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats ausübte (vgl. analog Urteil vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-71/93, Van Poucke, Slg. 1994, I-1101, Randnr. 24).
22 Folglich muss eine Person, die sich in der in der Vorlageentscheidung beschriebenen Lage befindet und gleichzeitig selbständige Erwerbstätigkeiten in Belgien und in Frankreich ausübt, aufgrund dieser letztgenannten Tätigkeit den entsprechenden belgischen Rechtsvorschriften unter den gleichen Voraussetzungen unterliegen, als wenn sie diese selbständige Erwerbstätigkeit in Belgien ausübte (vgl. analog Urteil Van Poucke, Randnr. 25).
23 Daraus ergibt sich, dass ein Sozialbeitrag wie der von Herrn Allard in Belgien geschuldete Dämpfungsbeitrag unter Berücksichtigung der in Frankreich erzielten Einkünfte zu berechnen ist.
24 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass die Artikel 13 ff. der Verordnung Nr. 1408/71 es erfordern, dass ein Beitrag wie der Dämpfungsbeitrag so festgesetzt wird, dass die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, dessen Sozialvorschriften anwendbar sind, erzielten Einkünfte in die Erwerbseinkünfte einbezogen werden, obwohl der Selbständige nach Zahlung dieses Beitrags keinerlei Sozialleistung oder andere Leistung von diesem Staat verlangen kann.
Zur zweiten Frage
25 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob es die Artikel 48 und 52 des Vertrages ausschließen, dass ein Sozialbeitrag wie der Dämpfungsbeitrag Selbständigen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, auferlegt wird.
26 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 48 des Vertrages, der für Arbeitnehmer gilt, vorliegend nicht anwendbar ist, da Herr Allard selbständig ist. Daher hat sich der Gerichtshof nur zu dem Teil der Frage zu äußern, der Artikel 52 des Vertrages betrifft.
27 Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich, dass nach den einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 die in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte bei der Berechnung des Dämpfungsbeitrags zu berücksichtigen sind, der von einem Selbständigen in der Situation des Herrn Allard geschuldet wird.
28 Zunächst ist festzustellen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass im Bereich der sozialen Sicherheit mit dem Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines Rechts die Komplikationen vermieden werden sollen, die sich aus der gleichzeitigen Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten ergeben können, und dass die Anbindung des Selbständigen, der eine oder mehrere selbständige Erwerbstätigkeiten im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, an die Rechtsvorschriften seines Wohnstaats keineswegs unangemessen ist (vgl. Beschluss Vogler, Randnrn. 26 und 27).
29 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach Artikel 52 des Vertrages die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats verboten sind und dass die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen umfasst.
30 Schließlich sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur solche nationalen Maßnahmen als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch den Vertrag verboten, die die Ausübung der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32, und vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37).
31 Es steht fest, dass die Verordnung Nr. 1408/71 dadurch, dass sie die Selbständigen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten ausüben, bezüglich der Gesamtheit ihrer Einkünfte nur den Sozialvorschriften eines Staates unterwirft, ein allgemeines Ziel verfolgt, das darin besteht, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Selbständigen in der Gemeinschaft unter Beachtung der Eigenheiten der verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften zu sichern und die Gleichbehandlung aller im Gebiet eines Mitgliedstaats beschäftigten Arbeitnehmer und Selbständigen bestmöglich zu gewährleisten sowie diejenigen, die ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen, nicht zu bestrafen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2001 in der Rechtssache C-68/99, Kommission/Deutschland, Slg. 2001, I-1865, Randnrn. 22 und 23).
32 Daraus folgt, dass die Anwendung der Artikel 13 ff. der Verordnung Nr. 1408/71 im vorliegenden Fall die Ausübung der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten nicht behindern oder weniger attraktiv machen kann, sondern im Gegenteil dazu beiträgt, diese Ausübung zu erleichtern.
33 Nationale Maßnahmen, die diese Vorschriften durchführen, indem sie die in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte bei der Berechnung des Dämpfungsbeitrags berücksichtigen, der von einem Selbständigen in der Situation des Herrn Allard geschuldet wird, stellen daher keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit dar.
34 Dem vorlegenden Gericht ist demnach zu antworten, dass Artikel 52 des Vertrages es nicht ausschließt, dass ein Beitrag wie der Dämpfungsbeitrag, der im Wohnmitgliedstaat geschuldet wird und unter Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte berechnet wird, Selbständigen, die in diesen Mitgliedstaaten Erwerbstätigkeiten ausüben, auferlegt wird.
Kosten
35 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Artikel 13 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung verlangen es, dass ein Beitrag wie der nach dem Arrêté royal Nr. 289 vom 31. März 1984 geschuldete Dämpfungsbeitrag so festgesetzt wird, dass die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, dessen Sozialvorschriften anwendbar sind, erzielten Einkünfte in die Erwerbseinkünfte einbezogen werden, obwohl der Selbständige nach Zahlung dieses Beitrags keinerlei Sozialleistung oder andere Leistung von diesem Staat verlangen kann.
2. Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) schließt es nicht aus, dass ein Beitrag wie der Dämpfungsbeitrag, der im Wohnmitgliedstaat geschuldet wird und unter Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte berechnet wird, Selbständigen, die in diesen Mitgliedstaaten Erwerbstätigkeiten ausüben, auferlegt wird.
Unterschriften.
* Verfahrenssprache: Französisch.