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Rechtssache C-318/05

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 18 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG – Einkommensteuerrecht – Schulgeld – Abzugsrecht nur für Schulgeldzahlungen an private inländische Einrichtungen“

Leitsätze des Urteils

1.        Freier Dienstleistungsverkehr – Dienstleistungen – Begriff

(Art. 50 EG)

2.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht

(Art. 49 EG)

3.        Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Niederlassungsfreiheit – Steuerrecht

(Art. 39 EG und 43 EG)

4.        Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Steuerrecht

(Art. 18 EG)

1.        Unterricht in Einrichtungen, die zu einem staatlichen Bildungssystem gehören und ganz oder hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, ist vom Begriff der Dienstleistung im Sinne von Art. 50 EG ausgeschlossen. Durch die Errichtung und Erhaltung eines solchen staatlichen Bildungssystems, das in der Regel aus dem Staatshaushalt und nicht von den Schülern oder ihren Eltern finanziert wird, will der Staat nämlich keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen, sondern erfüllt vielmehr auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet seine Aufgaben gegenüber seinen Bürgern.

Unterricht an Bildungseinrichtungen, die im Wesentlichen aus privaten Mitteln, insbesondere durch die Studenten oder deren Eltern, finanziert werden, ist dagegen eine Dienstleistung im Sinne von Art. 50 EG, da das von diesen Einrichtungen verfolgte Ziel darin besteht, eine Leistung gegen Entgelt anzubieten. Diese private Finanzierung braucht nicht hauptsächlich durch die Schüler oder ihre Eltern zu erfolgen. Art. 50 EG verlangt nämlich nicht, dass die Dienstleistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugutekommt.

(vgl. Randnrn. 68-70)

2.        Schicken in einem Mitgliedstaat steuerpflichtige Personen ihre Kinder in eine Schule, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet und im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert wird, verstößt der erstgenannte Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 EG, wenn er Schulgeldzahlungen für den Besuch solcher Schulen generell vom Abzug als zur Einkommensteuerminderung berechtigende Sonderausgaben ausschließt.

Eine solche Regelung beeinträchtigt die in Art. 49 EG gewährleistete Dienstleistungsfreiheit, da sie im betreffenden Mitgliedstaat wohnende Steuerpflichtige davon abhält, ihre Kinder in Schulen in einem anderen Mitgliedstaat zu schicken. Darüber hinaus beeinträchtigt sie auch das Bildungsangebot privater Bildungseinrichtungen in anderen Mitgliedstaaten, das an die Kinder von im erstgenannten Mitgliedstaat wohnenden Steuerpflichtigen gerichtet ist.

Die Versagung der fraglichen steuerlichen Vergünstigung für Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten kann nicht durch das Ziel gerechtfertigt werden, die Deckung der Kosten für den Betrieb von Privatschulen zu gewährleisten, ohne dass dadurch der Staat unangemessen belastet wird, da dieses Ziel durch mildere Mittel erreicht werden könnte. Zur Vermeidung einer übermäßigen finanziellen Belastung ist es einem Mitgliedstaat nämlich möglich, die Abzugsfähigkeit des Schulgelds auf einen bestimmten Betrag zu beschränken, der der steuerlichen Vergünstigung entspricht, die dieser Staat gemäß bestimmten eigenen Wertvorstellungen für den Besuch von Schulen im Inland gewährt, was ein milderes Mittel als die Versagung der fraglichen Steuervergünstigung wäre. Es ist jedenfalls offenkundig unverhältnismäßig, Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten von der steuerlichen Vergünstigung unabhängig davon vollständig auszuschließen, ob die betreffenden Schulen objektive Kriterien erfüllen, die nach innerstaatlichen Grundsätzen aufgestellt worden sind und anhand deren sich bestimmen lässt, welche Arten von Schulgeld einen Anspruch auf die Steuervergünstigung geben.

(vgl. Randnrn. 80-81, 97-100, 139, Tenor 1)

3.        Ein Mitgliedstaat, der Schulgeldzahlungen für den Besuch von Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell vom Abzug als zur Einkommensteuerminderung berechtigende Sonderausgaben ausschließt, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 39 EG und 43 EG.

Eine solche Regelung benachteiligt insbesondere Arbeitnehmer und Selbständige, die in den betreffenden Mitgliedstaat gezogen sind oder dort ihren Arbeitsplatz besitzen und deren Kinder weiterhin eine kostenpflichtige Schule in einem anderen Mitgliedstaat besuchen. Sie kann auch eigene Staatsangehörige benachteiligen, wenn sie in einen anderen Mitgliedstaat ziehen, in dem ihre Kinder eine kostenpflichtige Schule besuchen.

(vgl. Randnrn. 116, 118, 121, 139, Tenor 1)

4.        Werden Kinder von Steuerpflichtigen eines Mitgliedstaats in eine Schule in einem anderen Mitgliedstaat geschickt, deren Leistungen nicht unter Art. 49 EG fallen, verstößt der erstgenannte Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 18 EG, wenn er Schulgeldzahlungen für den Besuch solcher Schulen generell vom Abzug als zur Einkommensteuerminderung berechtigende Sonderausgaben ausschließt.

Durch eine solche Regelung werden diese Kinder gegenüber Kindern, die nicht durch den Besuch einer Schule in einem anderen Mitgliedstaat von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, ungerechtfertigt benachteiligt und in ihren Rechten aus Art. 18 Abs. 1 EG verletzt.

(vgl. Randnrn. 137, 139, Tenor 1)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

11. September 2007(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 18 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG – Einkommensteuerrecht – Schulgeld – Abzugsrecht nur für Schulgeldzahlungen an private inländische Einrichtungen“

In der Rechtssache C-318/05

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 17. August 2005,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Gross und R. Lyal als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma und U. Forsthoff als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas (Berichterstatter) und K. Lenaerts, des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Schiemann, J. Makarczyk, G. Arestis, A. Borg Barthet, M. Ilešič und J. Malenovský,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Mai 2006,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. September 2006

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 18 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG verstoßen hat, dass sie Schulgeldzahlungen für den Besuch von Schulen in anderen Mitgliedstaaten ausnahmslos von dem in § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 19. Oktober 2002 (BGBl. 2002 I S. 4210) (im Folgenden: EStG) vorgesehenen Sonderausgabenabzug ausgeschlossen hat.

 Einschlägiges nationales Recht

2        Nach deutschem Recht sind Aufwendungen für den Besuch einer Privatschule durch die Kinderfreibeträge und durch das Kindergeld abgegolten. Soweit darüber hinaus ausbildungsbedingte Mehrkosten durch eine auswärtige Unterbringung entstehen, werden diese durch den Ausbildungsfreibetrag im Sinne des § 33a Abs. 2 EStG pauschal abgegolten. Dies gilt auch für die aufgrund des Besuchs einer ausländischen Schule anfallenden Mehraufwendungen.

3        Hinsichtlich des Abzugs von Schulgeld als Sonderausgaben bestimmt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG:

„Sonderausgaben [die zum Abzug im Rahmen der Einkommensteuer berechtigen] sind die folgenden Aufwendungen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind:

1.       …

9.      30 vom Hundert des Entgelts, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält, für den Besuch einer gemäß Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemein bildenden Ergänzungsschule entrichtet mit Ausnahme des Entgelts für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung.“

4        Der in Bezug genommene Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (im Folgenden: Grundgesetz) lautet:

„(4)       Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.“

 Vorverfahren

5        Da die Kommission der Ansicht war, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 18 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG verstoßen, dass sie Schulgeldzahlungen für den Besuch von Schulen in anderen Mitgliedstaaten ausnahmslos von dem in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG vorgesehenen Sonderausgabenabzug ausgeschlossen habe, leitete sie das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 Abs. 1 EG ein. Nachdem sie der Bundesrepublik Deutschland am 19. Juli 2002 Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte, forderte sie sie gemäß dieser Vorschrift mit einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 7. Januar 2004 auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den genannten Verpflichtungen binnen zwei Monaten nach Eingang der Stellungnahme nachzukommen.

6        Die Antwort der deutschen Behörden auf die mit Gründen versehene Stellungnahme erschien der Kommission nicht befriedigend. Sie hat deshalb die vorliegende Klage erhoben.

7        Die Vereinbarkeit einer Regelung wie der des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG mit dem Gemeinschaftsrecht ist inzwischen auch zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens geworden (Urteil vom heutigen Tag, Schwarz und Gootjes-Schwarz, C-76/05, Slg. 2007, I-0000).

 Zur Klage

8        Die Kommission trägt in ihrer Klageschrift vor, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG, wonach die Abzugsfähigkeit von Schulgeldzahlungen auf das Schuldgeld für den Besuch bestimmter inländischer Schulen begrenzt sei, für die betreffenden Steuerpflichtigen im Ergebnis zu einer günstigeren Besteuerung führe, da sie zu einer Verringerung der steuerpflichtigen Einkünfte und somit zu einer Verringerung ihrer Steuerlast führe. Anspruch auf die Steuerermäßigung gäben Schulgeldzahlungen an die staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschulen, die als Ersatz für eine in dem jeweiligen Bundesland vorhandene oder vorgesehene öffentliche Schule dienen sollten, sowie an die Ergänzungsschulen, d. h. inländische Schulen, die keine Ersatzschulen seien und nach Landesrecht als allgemeinbildende Ergänzungsschulen anerkannt sein müssten.

9        Die Kommission begründet ihre Klage damit, dass die Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Schulgeldzahlungen auf das Schulgeld für den Besuch bestimmter inländischer Schulen mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei. Eine solche Begrenzung verletze zum einen das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit (erster Teil der ersten Rüge) sowie zum anderen das allgemeine Recht von deutschen und nichtdeutschen Unionsbürgern auf Freizügigkeit (zweiter Teil der ersten Rüge). Darüber hinaus würden die Dienstleistungsfreiheit von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten und die der betroffenen, in Deutschland wohnhaften Eltern verletzt (zweite Rüge). Schließlich werde die Niederlassungsfreiheit von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten unzulässig eingeschränkt (dritte Rüge).

10      Die Bundesrepublik Deutschland trägt in ihrer Klagebeantwortung vor, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Diese Regelung, die nur den Besuch von Privatschulen erfasse, die bestimmte verfassungs- und landesrechtliche Voraussetzungen erfüllten und deshalb staatlich genehmigt, erlaubt oder anerkannt seien, verletze weder die Dienstleistungsfreiheit von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten noch die der Eltern. Die Regelung verletze das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit ebenso wenig wie die Niederlassungsfreiheit oder das allgemeine Freizügigkeitsrecht der Eltern. Auch die Niederlassungsfreiheit von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten werde nicht verletzt.

11      In ihrer Erwiderung hält die Kommission in vollem Umfang an den in ihrer Klageschrift enthaltenen Anträgen fest.

12      Sie führt aus, dass die Klagebeantwortung der Bundesrepublik Deutschland nahezu ausschließlich die mögliche Verletzung des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit betreffe. Hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und des allgemeinen Freizügigkeitsrechts der betroffenen Eltern sowie der Niederlassungsfreiheit von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten werde die Möglichkeit einer Verletzung der entsprechenden Bestimmungen des EG-Vertrags ohne weitere Begründung verneint. Da die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 50 EG subsidiär zu den anderen Grundfreiheiten sei, hält die Kommission diese Argumentation nicht für überzeugend und verweist auf die Punkte ihrer Klageschrift, in denen sie die Verletzung der übrigen Freizügigkeitsrechte detailliert dargelegt habe.

13      In Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit erläutert die Kommission, sie habe in ihrer Klageschrift eingeräumt, dass die Schulgebühren, die von den in Deutschland genehmigten, anerkannten oder erlaubten Privatschulen erhoben würden, zu niedrig sein könnten, um deren Dienstleistungen als entgeltlich anzusehen. Sie habe aber darauf hingewiesen, dass es auch denkbar sei, dass ein privater Träger vollständig die Kosten trage, die nicht durch Gebühren gedeckt seien.

14      In diesem Zusammenhang trägt die Kommission vor, in einem Urteil vom 12. August 1999 (BStBl. 2000 II, 65) habe der Bundesfinanzhof entschieden, dass es sich bei Zuwendungen von Eltern an einen Förderverein zugunsten einer Privatschule um ein Leistungsentgelt und nicht um einen als Spende abziehbaren Vereinsbeitrag handele. Dies solle dann gelten, wenn der Betrieb der Schule aufgrund des niedrigen Schulgelds nur durch die Zuwendungen eines Fördervereins aufrechterhalten werden könne. Eine Aufteilung in Schulgeld, das an den Schulträger abgeführt werde, und Spenden, die dem Förderverein zukämen, sei dann nicht möglich.

15      Wenn ein derartiger Förderverein eine deutsche Privatschule unterstützt, müssen daher nach Ansicht der Kommission bei der Untersuchung der Entgeltlichkeit der von der Privatschule erbrachten Leistungen neben den eigentlichen Schulgebühren auch die Vereinsbeiträge berücksichtigt werden. Die Unterrichtsleistung dieser Privatschule könne aufgrund der Summe von Schulgeld und Zuwendungen an den Förderverein durchaus entgeltlich sein. Diese Zuwendungen könnten erheblich sein, denn für sie gelte nicht das Gebot, eine Sonderung der Schüler nach Besitzverhältnissen zu vermeiden.

16      Die von der Bundesrepublik Deutschland zur Rechtfertigung der streitigen Regelung vorgetragenen Argumente seien nicht stichhaltig. Insbesondere unterschieden sich Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten und inländische Privatschulen nicht derart voneinander, dass die von ihnen erhobenen Schulgebühren generell steuerlich unterschiedlich behandelt werden dürften.

17      Die deutsche Regierung hält in ihrer Gegenerwiderung an der in ihrer Klagebeantwortung dargelegten Auffassung fest. Der Kern des Rechtsstreits betreffe die Dienstleistungsfreiheit. Die Bundesrepublik Deutschland könne nicht verpflichtet werden, Privatschulen im Ausland zu fördern, denn ein Mitgliedstaat sei befugt, eine staatliche Förderung nur in seinem Verantwortungsbereich zu gewähren. Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten würden nicht diskriminiert, wenn ein Mitgliedstaat eine staatliche Förderung nicht europaweit ausrichte.

18      In ihren Schriftsätzen und später in der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung Besonderheiten im Zusammenhang mit den Schulgeldzahlungen an Deutsche Schulen sowie Schulen für die Kinder der Beamten und Angestellten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Europäische Schulen) in anderen Mitgliedstaaten erwähnt; für diese gelte ebenfalls § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG.

19      So habe der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 14. Dezember 2004 (XI R 32/03) festgestellt, dass Schulgeld für eine von der ständigen Konferenz der Kultusminister anerkannte Deutsche Schule in einem anderen Mitgliedstaat als Sonderausgabe im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abzugsfähig sei. Entsprechend ergebe sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. April 2006 (XI R 1/04), dass in anderen Mitgliedstaaten ansässige Europäische Schulen einen Status hätten, der dem einer in Deutschland staatlich genehmigten Schule entspreche, so dass Steuerpflichtige, die Schulgeld an derartige Schulen gezahlt hätten, abweichend von der Regel, dass Schulgeldzahlungen an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten nicht als Sonderausgaben anzusehen seien, die zur Ermäßigung nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG berechtigten, Anspruch auf diese Vergünstigung hätten.

20      Der Vorwurf der Kommission, für sämtliche Schulen, die in anderen Mitgliedstaaten angesiedelt seien, sei die Abzugsfähigkeit von Schuldgeld als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ausgeschlossen, sei daher unzutreffend.

21      Die Kommission hat die Einwände, die sich aus der von der deutschen Regierung angeführten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergeben, zur Kenntnis genommen. Diese Rechtsprechung ermöglicht es ihrer Ansicht nach, die Benachteiligung Deutscher und Europäischer Schulen, die daraus folge, dass sich ihr Sitz außerhalb Deutschlands befinde, zu beseitigen; die Diskriminierung von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Privatschulen bleibe jedoch bestehen.

 Vorbemerkungen zu Art. 18 EG und zum allgemeinen Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit

 Vorbringen der Parteien

22      Nach Ansicht der Kommission verstößt die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gegen die Freizügigkeitsrechte der betroffenen Eltern, u. a. das allgemeine Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit.

23      Zunächst könne diese Regelung in das Recht von aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Eltern eingreifen, aus privaten Gründen nach Deutschland umzuziehen. Die steuerliche Benachteiligung, die ihnen drohe, wenn sie die schulische Ausbildung ihrer Kinder im Herkunftsstaat fortsetzen wollten, könne sie nämlich davon abhalten, nach Deutschland zu ziehen. Zumindest werde ihnen der Umzug in diesen Mitgliedstaat erschwert.

24      Außerdem könne die Benachteiligung auch deutsche Staatsangehörige treffen, soweit sie trotz eines Umzugs in einen anderen Mitgliedstaat weiter in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig seien und beschlossen hätten, ihre Kinder in einem anderen Mitgliedstaat auf eine einheimische Privatschule, eine Deutsche Schule oder etwa eine Europäische Schule zu schicken.

25      Schließlich könnten sich auch in Deutschland wohnhafte deutsche Staatsbürger, die ihre Kinder zur Ausbildung auf Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten schickten, auf das allgemeine Freizügigkeitsrecht berufen. Diese Eltern hätten nämlich mittelbar über ihre Kinder von diesem Recht Gebrauch gemacht; dass sich ihre Kinder regelmäßig lediglich zum Zweck der allgemeinen Schulausbildung in einem anderen Mitgliedstaat aufhielten, stehe dem nicht entgegen.

26      Aus Art. 12 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 EG folge, dass deutsche Staatsbürger, soweit sie zumindest mittelbar über ihre Kinder von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, einen Anspruch auf gleiche Behandlung wie die übrigen Inländer geltend machen könnten.

27      Diese Verstöße gegen Art. 18 EG seien nicht gerechtfertigt.

28      Die Kommission macht insoweit geltend, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG keine objektiven Kriterien aufstelle, die es ermöglichten, zu bestimmen, unter welchen Umständen Schulgebühren deutscher und in anderen Mitgliedstaaten gelegener Schulen im Rahmen der Einkommensteuer abzugsfähig seien. Die Vorschrift knüpfe die Abzugsfähigkeit allein an die Genehmigung oder Anerkennung der jeweiligen Privatschule in Deutschland. Entscheidende Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit sei, dass die Privatschule in Deutschland ansässig sei. Jede in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Privatschule sei unabhängig davon, wie hoch ihre Schulgebühren seien, automatisch vom Privileg des Steuerabzugs ausgeschlossen, also auch dann, wenn ihre Betriebsweise mit der einer in Deutschland anerkannten oder genehmigten Privatschule weitgehend identisch sei.

29      Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, die steuerliche Privilegierung vom Besuch einer in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Privatschule abhängig zu machen, zumal es Deutschland nach dem Gemeinschaftsrecht unbenommen bleibe, die Abzugsfähigkeit von Schulgebühren auf bestimmte Schultypen oder auf Gebühren in bestimmter Höhe zu begrenzen. Voraussetzung hierfür sei lediglich, dass die Abzugsfähigkeit nach objektiven Kriterien gewährt werde und unabhängig vom Sitz der Schule erfolge.

30      § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG verletze demnach das allgemeine Recht von deutschen und nichtdeutschen Unionsbürgern auf Freizügigkeit nach Art. 18 EG.

31      Die deutsche Regierung widerspricht dem Vorbringen, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG das allgemeine Freizügigkeitsrecht der betroffenen Eltern verletze. Sollte tatsächlich der Anwendungsbereich dieses Rechts betroffen sein, wäre dieser Eingriff jedenfalls durch die objektiven Unterschiede zwischen den von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfassten deutschen Privatschulen und den Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten gerechtfertigt.

 Würdigung durch den Gerichtshof

32      In der Frage der Anwendbarkeit von Art. 18 EG auf die streitige nationale Regelung ist an die ständige Rechtsprechung zu erinnern, wonach dieser Artikel, in dem das Recht eines jeden Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, in den Bestimmungen, die die Dienstleistungsfreiheit gewährleisten, eine besondere Ausprägung findet (Urteile vom 6. Februar 2003, Stylianakis, C-92/01, Slg. 2003, I-1291, Randnr. 18, und vom 11. Januar 2007, ITC, C-208/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 64).

33      Fällt die streitige nationale Regelung in den Anwendungsbereich von Art. 49 EG, braucht der Gerichtshof somit über die Auslegung von Art. 18 EG nicht zu entscheiden (vgl. Urteile Stylianakis, Randnr. 20, und ITC, Randnr. 65).

34      Art. 18 Abs. 1 EG ist folglich nur insoweit zu erörtern, als die streitige nationale Regelung nicht in den Anwendungsbereich von Art. 49 EG fällt.

35      Art. 18 EG, in dem das Recht eines jeden Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, hat auch in Art. 43 EG hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit und in Art. 39 EG hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eine besondere Ausprägung erfahren (Urteile vom 26. Oktober 2006, Kommission/Portugal, C-345/05, Slg. 2006, I-10633, Randnr. 13, und vom 18. Januar 2007, Kommission/Schweden, C-104/06, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 15).

36      Fällt die streitige nationale Regelung in den Anwendungsbereich von Art. 39 EG oder Art. 43 EG, braucht der Gerichtshof somit über die Auslegung von Art. 18 EG nicht zu entscheiden.

37      Zu prüfen ist demnach erstens, ob Art. 49 EG, auf den sich die Erklärungen der Parteien im Wesentlichen beziehen, der nationalen Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG entgegensteht (zweite Rüge), und zweitens, ob Art. 39 EG und/oder Art. 43 EG einer solchen Regelung entgegenstehen (erster Teil der ersten Rüge und dritte Rüge).

 Zweite Rüge: Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit

 Vorbringen der Parteien

38      Die Kommission macht geltend, die Regelung des §10 Abs. 1 Nr. 9 EStG verletze sowohl die Dienstleistungsfreiheit der in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen, die ihre Kinder auf Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten schicken wollten, als auch die der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Privatschulen, die ihre Leistungen Steuerpflichtigen mit Wohnsitz in Deutschland anbieten wollten.

39      Zunächst verletze die streitige Regelung die sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit (Inanspruchnahme von Dienstleistungen), die seit Langem von der Rechtsprechung anerkannt sei. Sie betreffe den Fall, dass sich die Leistungsempfänger, d. h. die Kinder der in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen, zum Leistungserbringer, hier die in einem anderen Mitgliedstaat gelegene Privatschule, begäben.

40      Auch die sogenannte aktive Dienstleistungsfreiheit der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Privatschulen sei betroffen. Durch die streitige Abzugsregelung würden Steuerpflichtige, die ihr Kind auf eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat schickten, steuerlich schlechter behandelt als Steuerpflichtige, die sich für eine deutsche Privatschule entschieden. Es werde den Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten auf diese Weise erschwert, ihre Leistungen mit Erfolg deutschen Kunden anzubieten. Die grenzüberschreitende Erbringung der Unterrichts- und Erziehungsleistung werde so gegenüber der rein nationalen Dienstleistungserbringung benachteiligt.

41      Die Erziehung und Ausbildung von Jugendlichen könnten, wie die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätige, Dienstleistungen darstellen.

42      Aus den Urteilen vom 27. September 1988, Humbel und Edel (263/86, Slg. 1988, 5365, Randnr. 18), sowie vom 7. Dezember 1993, Wirth (C-109/92, Slg. 1993, I-6447, Randnr. 17), ergebe sich, dass das entscheidende Merkmal für die Annahme einer entgeltlichen Dienstleistung sei, dass der Schüler oder jemand anders Gebühren bezahle, die einen wesentlichen Teil der Kosten des Unterrichts deckten. Sei dies der Fall, so stelle das Angebot der Unterrichtsleistung eine geschäftliche Tätigkeit dar.

43      Staatlicher Unterricht, der der Erfüllung der sozialpolitischen Aufgabe des Staates diene und dessen Kosten überwiegend vom Staat getragen würden, könne hingegen nicht als entgeltliche Dienstleistung eingestuft werden. Der Umstand, dass sich der Schüler gegebenenfalls durch die Bezahlung einer Gebühr an den Kosten beteilige, genüge noch nicht für eine solche Einstufung.

44      Bei der Untersuchung der Entgeltlichkeit könne nicht ausschließlich auf die von der deutschen Regelung begünstigten deutschen Privatschulen geschaut werden; zu berücksichtigen sei auch die Lage der von der Begünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ausgeschlossenen Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten.

45      In den übrigen Mitgliedstaaten unterscheide sich die Organisation der Privatschulen zum Teil erheblich vom deutschen Modell. So gebe es Privatschulen, die ohne staatliche Unterstützung auskämen oder als Wirtschaftsunternehmen geführt würden. Diese Einrichtungen böten unzweifelhaft entgeltliche Dienstleistungen an. Indem die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell von der vorgesehenen steuerlichen Vergünstigung ausschließe, werde das grenzüberschreitende Angebot von Dienstleistungen seitens dieser in anderen Mitgliedstaaten ansässigen, kommerziell ausgerichteten Schulen beeinträchtigt.

46      Die Frage, ob eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat den Anforderungen der deutschen Regelung genüge oder nicht, sei nicht von Belang. Da keine dieser Privatschulen den Anforderungen von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG entsprechen könne, sei es nicht sinnvoll, bei der Frage der Benachteiligung von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten danach zu differenzieren, ob diese theoretisch mit den deutschen Privatschulen vergleichbar seien oder nicht.

47      Unter den von der streitigen Regelung benachteiligten Schulen fänden sich zumindest auch solche, die sich ausschließlich durch ihre Schulgebühren und sonstige wirtschaftliche Aktivitäten finanzierten, die also zweifelsfrei entgeltliche Dienstleistungen anböten. Ihre Schlechterstellung stelle einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit dar.

48      Der Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit sei nicht gerechtfertigt. Hierzu verweist die Kommission auf ihr Vorbringen zur allgemeinen Freizügigkeit. Sie fügt hinzu, der Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Art. 49 EG wiege umso schwerer, als die Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten und die Förderung der Mobilität von Lernenden nach Art. 149 Abs. 2 erster und zweiter Gedankenstrich EG zu den ausdrücklichen Zielen der Gemeinschaft gehörten.

49      Die deutsche Regierung macht geltend, dass die Dienstleistungsfreiheit im vorliegenden Fall nicht beeinträchtigt sei, da sie tatbestandlich nicht einschlägig sei, hilfsweise, dass eine etwaige Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit jedenfalls gerechtfertigt sei.

50      Erstens sei der Tatbestand der Dienstleistungsfreiheit nicht eröffnet, da die Schulen, die die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfüllten, keine Dienstleistung im Sinne des Vertrags erbrächten.

51      Die Dienstleistungsfreiheit setze eine wirtschaftliche Tätigkeit voraus, wie sich aus den Worten „gegen Entgelt“ in Art. 50 EG ergebe. Der Gerichtshof habe im bereits angeführten Urteil Humbel und Edel festgestellt, dass das Wesensmerkmal des Entgelts, das darin bestehe, dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstelle, bei einem im Rahmen eines nationalen Bildungssystems erteilten Unterricht fehle.

52      Allein daraus, dass eine Schule Privatschule sei, lasse sich nicht darauf schließen, dass sie eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe und Dienstleistungen im Sinne der Art. 49 EG und 50 EG erbringe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei die Tatsache, dass die Eltern Schulgeld zahlten, um in gewissem Umfang zu den Kosten für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems beizutragen, für die Qualifizierung der ausgeübten Tätigkeit im Hinblick auf den Begriff der Dienstleistung unbeachtlich (vgl. in diesem Sinne Urteile Humbel und Edel, Randnr. 19, sowie Wirth, Randnr. 15).

53      Angesichts der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Ausdruck kommenden Grundsätze sei festzustellen, dass die in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG genannten deutschen Schulen keine Dienstleistungen im Sinne der Art. 49 EG und 50 EG erbrächten und dass auch der Unterricht an diesen Schulen entsprechenden Schulen in anderen Mitgliedstaaten keine Dienstleistung im Sinne dieser Artikel darstelle.

54      Zweitens wäre eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit jedenfalls aus verschiedenen Gründen gerechtfertigt.

55      Die Dienstleistungsfreiheit könne keine Pflicht zur Finanzierung von Schulen generieren, die dem Schulsystem eines anderen Mitgliedstaats zugehörten. Die Bildungspolitik gehöre zu den Kernaufgaben jedes Staates, und deren Ausgestaltung unterscheide sich beträchtlich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat.

56      Sowenig die Bundesrepublik Deutschland Einfluss auf die organisatorische Gestaltung von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten und insbesondere auf die Gestaltung ihrer Lehrpläne habe, sowenig könne sie verpflichtet werden, durch den Verzicht auf ihr zustehende Steuergelder den Betrieb dieser Schulen zu subventionieren.

57      Der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit verpflichte die Bundesrepublik Deutschland nicht dazu, die in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG vorgesehene steuerliche Begünstigung auf Schulgeldzahlungen an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten zu erstrecken. Die unterschiedliche steuerliche Behandlung, die sich aus dem Fehlen einer solchen Verpflichtung ergebe, sei gerechtfertigt, weil sich Schulen in anderen Mitgliedstaaten, die eine Dienstleistung im Sinne der Art. 49 EG und 50 EG erbrächten, objektiv von den deutschen Schulen unterschieden, deren Besuch Anspruch auf die steuerliche Begünstigung nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gebe.

58      Erstens würden die deutschen Schulen nicht als erwerbswirtschaftlich operierende Unternehmen betrieben, während dies bei in anderen Mitgliedstaaten gelegenen Privatschulen der Fall wäre, wenn diese unter die Dienstleistungsfreiheit fielen. Solche Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten entsprächen gerade denjenigen Privatschulen in Deutschland, die durch § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht gefördert würden. Die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, über diese Vorschrift nur solche Schulen zu fördern, die mit ihrem Bildungsangebot den deutschen staatlichen Bildungsauftrag verwirklichten, in das deutsche staatliche Bildungssystem eingegliedert seien und daher nicht erwerbswirtschaftlich operierten, dürfe nicht über den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit ausgehebelt werden.

59      Zweitens entspreche die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG einer staatlichen Beihilfe, die die Lasten der von dieser Vorschrift erfassten Schulen teilweise kompensieren solle. Der Staat sei nach dem Grundgesetz dazu verpflichtet, diese Schulen als Ausgleich für die Anforderungen, die er an sie stelle, finanziell zu fördern. Die Förderung erfolge in weitem Umfang durch direkte Zuwendungen. Die fraglichen Privatschulen erhielten hierdurch ungefähr 80 % der Mittel, die einer vergleichbaren öffentlichen Schule zuteil würden. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG konkretisiere diese verfassungsrechtliche Förderpflicht, indem er dem deutschen Staat erlaube, die betreffenden Schulen mittelbar durch eine steuerliche Privilegierung der Schulgeldzahlungen zu fördern.

60      Ein Zusammenhang zwischen den staatlichen Anforderungen und der entsprechenden staatlichen Förderung bestehe nicht bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Privatschulen, die eine Dienstleistung im Sinne der Art. 49 EG und 50 EG erbrächten. Da der deutsche Staat diesen Schulen keine Lasten auferlege, habe er ihnen gegenüber auch keine Förderpflicht.

61      Wäre drittens die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die Steuervergünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG unabhängig von der Höhe des verlangten Schulgelds zu gewähren, würde sie Schulen unterstützen, die durch hohe Schulgeldforderungen eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern förderten. Sie müsste diese Schulen sogar mit höheren Beträgen fördern als die Schulen, deren Besuch Anspruch auf die Steuervergünstigung gebe, weil das betreffende Schulgeld ganz erheblich höher sei als das der letztgenannten Schulen.

62      Viertens würde eine Pflicht zur steuerlichen Förderung der Schulgeldzahlungen an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten dazu führen, dass der Betrag der Steuerermäßigung, der insgesamt nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gewährt werde, deutlich ansteige.

63      Der Gerichtshof habe im Urteil vom 15. März 2005, Bidar (C-209/03, Slg. 2005, I-2119, Randnr. 56), entschieden, dass es jedem Mitgliedstaat freistehe, darauf zu achten, dass die Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Unterhalts von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten nicht zu einer übermäßigen Belastung werde, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren könne. Ebenso ist es nach Ansicht der deutschen Regierung legitim, dass ein Mitgliedstaat für die Gewährung einer steuerlichen Vergünstigung Kriterien festlege, mit denen sich verhindern lasse, dass diese Vergünstigung unter ein Niveau abgesenkt werden müsse, das der Mitgliedstaat für erforderlich erachte.

64      Fünftens liege die steuerliche Begünstigung der Schulgeldzahlungen an bestimmte Privatschulen in Deutschland auch darin begründet, dass diese Schulen staatlich genehmigt, erlaubt oder anerkannt seien. Eine entsprechende Erlaubnis, Genehmigung oder Anerkennung von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten komme grundsätzlich nicht in Betracht (mit Ausnahme der Deutschen und der Europäischen Schulen in anderen Mitgliedstaaten). Die deutsche Schulaufsicht beschränke sich grundsätzlich auf Schulen auf dem deutschen Territorium.

 Würdigung durch den Gerichtshof

65      Bezüglich der Anwendbarkeit der Vertragsbestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit auf die streitige Steuerregelung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass zwar Art. 50 Abs. 3 EG nur die aktive Dienstleistungsfreiheit erwähnt, in deren Rahmen sich der Leistende zum Empfänger der Dienstleistungen begibt, dass aber nach ständiger Rechtsprechung der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger einschließt, sich zur Inanspruchnahme der Dienstleistungen in einen anderen Mitgliedstaat, in dem sich der Leistende aufhält, zu begeben (vgl. Urteil vom 31. Januar 1984, Luisi und Carbone, 286/82 und 26/83, Slg. 1984, 377, Randnrn. 10 und 16). Im vorliegenden Fall führt die streitige nationale Regelung dazu, dass der betreffende Mitgliedstaat eine steuerliche Vergünstigung versagt, weil eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat besucht wird. Die Möglichkeit, Bildungsangebote von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen, wird folglich vom Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit erfasst.

66      Fraglich ist jedoch, ob derartige Bildungsangebote die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. In diesem Rahmen ist zu prüfen, ob Unterricht an einer Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat eine „Leistung, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird“, im Sinne von Art. 50 Abs. 1 EG ist.

67      Nach der Rechtsprechung besteht das Wesensmerkmal des Entgelts im Sinne dieser Bestimmung darin, dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt (vgl. Urteile Humbel und Edel, Randnr. 17, vom 12. Juli 2001, Smits und Peerbooms, C-157/99, Slg. 2001, I-5473, Randnr. 58, vom 3. Oktober 2002, Danner, C-136/00, Slg. 2002, I-8147, Randnr. 26, vom 22. Mai 2003, Freskot, C-355/00, Slg. 2003, I-5263, Randnr. 55, sowie vom 26. Juni 2003, Skandia und Ramstedt, C-422/01, Slg. 2003, I-6817, Randnr. 23).

68      Dementsprechend hat der Gerichtshof Unterricht in bestimmten Einrichtungen, die zu einem staatlichen Bildungssystem gehörten und ganz oder hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden, vom Begriff der Dienstleistung im Sinne von Art. 50 EG ausgeschlossen (vgl. in diesem Sinne Urteile Humbel und Edel, Randnrn. 17 und 18, sowie Wirth, Randnrn. 15 und 16). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der Staat durch die Errichtung und Erhaltung eines solchen staatlichen Bildungssystems, das in der Regel aus dem Staatshaushalt und nicht von den Schülern oder ihren Eltern finanziert wird, keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen wollte, sondern vielmehr auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet seine Aufgaben gegenüber seinen Bürgern erfüllte.

69      Unterricht an Bildungseinrichtungen, die im Wesentlichen aus privaten Mitteln, insbesondere durch die Studenten oder deren Eltern, finanziert werden, hat der Gerichtshof dagegen als Dienstleistung im Sinne von Art. 50 EG eingestuft, da das von diesen Einrichtungen verfolgte Ziel darin besteht, eine Leistung gegen Entgelt anzubieten (Urteil Wirth, Randnr. 17).

70      Diese private Finanzierung braucht nicht hauptsächlich durch die Schüler oder ihre Eltern zu erfolgen. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Art. 50 EG nämlich nicht, dass die Dienstleistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugutekommt (vgl. u. a. Urteile vom 26. April 1988, Bond van Adverteerders u. a., 352/85, Slg. 1988, 2085, Randnr. 16, vom 11. April 2000, Deliège, C-51/96 und C-191/97, Slg. 2000, I-2549, Randnr. 56, Smits und Peerbooms, Randnr. 57, sowie Skandia und Ramstedt, Randnr. 24).

71      Es steht fest, dass parallel zu den Schulen, die zu einem staatlichen Bildungssystem gehören, in dessen Rahmen der Staat auf sozialem, bildungspolitischem und kulturellem Gebiet seine Aufgaben erfüllt, und die im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, in einigen Mitgliedstaaten Schulen existieren, die nicht Teil eines solchen staatlichen Bildungssystems sind und deren Finanzierung im Wesentlichen durch private Mittel erfolgt.

72      Der Unterricht an solchen Schulen ist als gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen.

73      Hinzuzufügen ist, dass es für die Frage der Anwendbarkeit von Art. 49 EG auf die streitige nationale Regelung keine Rolle spielt, ob die Schulen im Mitgliedstaat des Leistungsempfängers, hier in der Bundesrepublik Deutschland, die in diesem Staat im Sinne der Regelung genehmigt, erlaubt oder anerkannt sind, Dienstleistungen gemäß Art. 50 Abs. 1 EG erbringen. Es kommt allein darauf an, dass die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Privatschule als Erbringer entgeltlicher Dienstleistungen angesehen werden kann.

74      Im Urteil vom 16. Mai 2006, Watts (C-372/04, Slg. 2006, I-4325, Randnr. 90), das medizinische Leistungen – und damit Dienstleistungen – betrifft, hat der Gerichtshof nämlich festgestellt, dass Art. 49 EG auf den Fall einer im Vereinigten Königreich wohnenden Patientin anwendbar ist, deren Gesundheitszustand eine Krankenhausbehandlung erforderlich machte und die, nachdem sie sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben hatte, um dort gegen Entgelt die betreffende Behandlung zu erhalten, Kostenerstattung beim nationalen Gesundheitsdienst beantragte, obwohl im Rahmen des nationalen Gesundheitssystems des Vereinigten Königreichs gleiche Sachleistungen kostenfrei erbracht wurden.

75      In Randnr. 91 des Urteils Watts hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Situation, in der eine Person, deren Gesundheitszustand eine Krankenhausbehandlung erforderlich macht, sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt und dort gegen Entgelt die fragliche Behandlung erhält, in den Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr fällt, ohne dass im betreffenden Fall geprüft werden müsste, ob die Leistungen der Krankenhausversorgung, die im Rahmen eines nationalen Gesundheitsdienstes wie des im Ausgangsverfahren in der Rechtssache Watts in Rede stehenden erbracht werden, selbst Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmungen darstellen.

76      Art. 49 EG ist demnach auf die streitige nationale Regelung anwendbar, wenn sich die Privatschule, in die Steuerpflichtige eines bestimmten Mitgliedstaats ihre Kinder schicken, in einem anderen Mitgliedstaat befindet und als Erbringer entgeltlicher Dienstleistungen angesehen werden kann, d. h., im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert wird.

77      Zu prüfen ist, ob unter diesen Umständen die streitige Steuerregelung entsprechend der Auffassung der Kommission die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt.

78      Die betreffende Regelung macht die Gewährung einer steuerlichen Vergünstigung davon abhängig, dass das Schulgeld an Privatschulen gezahlt wird, die in der Bundesrepublik Deutschland staatlich genehmigt oder nach dem Recht eines ihrer Länder erlaubt oder anerkannt sind, was bereits voraussetzt, dass die Schulen in Deutschland ansässig sind.

79      Diese Regelung schließt generell die Möglichkeit aus, dass in Deutschland steuerpflichtige Personen einen Teil des Schulgelds für den Privatschulbesuch ihrer Kinder im Ausland von ihren der Steuer unterliegenden Einkünften abziehen – es sei denn, das Schulgeld wird in einem anderen Mitgliedstaat an von der ständigen Konferenz der Kultusminister anerkannte Deutsche Schulen oder an Europäische Schulen gezahlt –, während diese Möglichkeit in Bezug auf Schulgeldzahlungen an bestimmte deutsche Privatschulen besteht. Die Regelung führt also für die Steuerpflichtigen zu einer höheren steuerlichen Belastung, wenn sie ihre Kinder in eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat und nicht in eine Privatschule im Inland schicken.

80      Die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG hält in Deutschland wohnende Steuerpflichtige davon ab, ihre Kinder in Schulen in einem anderen Mitgliedstaat zu schicken. Darüber hinaus beeinträchtigt sie auch das Bildungsangebot privater Bildungseinrichtungen in anderen Mitgliedstaaten, das an die Kinder von in Deutschland wohnenden Steuerpflichtigen gerichtet ist.

81      Eine solche Regelung beeinträchtigt die in Art. 49 EG gewährleistete Dienstleistungsfreiheit. Art. 49 EG schließt die Anwendung einer nationalen Regelung aus, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen innerhalb nur eines Mitgliedstaats erschwert (vgl. u. a. Urteile vom 28. April 1998, Safir, C-118/96, Slg. 1998, I-1897, Randnr. 23, Smits und Peerbooms, Randnr. 61, Danner, Randnr. 29, vom 4. März 2004, Kommission/Frankreich, C-334/02, Slg. 2004, I-2229, Randnr. 23, Watts, Randnr. 94, und vom 19. April 2007, Stamatelaki, C-444/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 25).

82      Nachdem eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit feststeht, ist zu prüfen, ob sie objektiv gerechtfertigt sein kann.

83      Die deutsche Regierung trägt mehrere Argumente zur Rechtfertigung dieser Beschränkung vor.

84      Zunächst sei eine etwaige Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit dadurch gerechtfertigt, dass dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit keine Verpflichtung entnommen werden könne, die steuerliche Vorzugsbehandlung bestimmter dem Schulsystem eines Mitgliedstaats zugehörender Schulen auf einem anderen Mitgliedstaat zugehörende Schulen zu erstrecken (vgl. Randnr. 55 des vorliegenden Urteils).

85      Hierzu ist festzustellen, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG die steuerliche Behandlung von Schulgeld betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (vgl. u. a. Urteile Danner, Randnr. 28, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 36, und vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 25).

86      Ebenso steht zwar fest, dass das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zum einen für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie die Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen (Art. 149 Abs. 1 EG) und zum anderen für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung (Art. 150 Abs. 1 EG) unberührt lässt; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten, insbesondere die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr (vgl. entsprechend Urteil Watts, Randnrn. 92 und 147).

87      Zum Vorbringen der deutschen Regierung, ein Mitgliedstaat könne nicht verpflichtet werden, Schulen, die dem Schulsystem eines anderen Mitgliedstaats zugehörten, zu subventionieren, genügt die Feststellung, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG keine Direktsubventionierung der betreffenden Schulen durch den deutschen Staat vorsieht, sondern vielmehr eine steuerliche Vergünstigung für Eltern wegen der Schulgeldzahlungen an diese Schulen.

88      Ferner ist nach Ansicht der deutschen Regierung die Nichterstreckung der steuerlichen Privilegierung nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG auf Schulgeldzahlungen an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten dadurch gerechtfertigt, dass sich die von dieser Bestimmung erfassten deutschen Schulen und die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Privatschulen, die eine Dienstleistung im Sinne der Art. 49 EG und 50 EG erbringen, nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befänden (vgl. Randnr. 57 des vorliegenden Urteils).

89      So unterlägen die von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfassten Schulen dem in Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes vorgesehenen Gebot, eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen ihrer Eltern zu vermeiden, weshalb die Schulgelder so festgesetzt würden, dass sie nicht die Ausgaben dieser Schulen decken könnten, und der deutsche Staat eine entsprechende Pflicht zur finanziellen Förderung der betreffenden Schulen habe. Dieser Zusammenhang zwischen den staatlichen Anforderungen und der entsprechenden staatlichen Förderung bestehe nicht bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Privatschulen, die eine Dienstleistung im Sinne der Art. 49 EG und 50 EG erbrächten (vgl. Randnr. 60 des vorliegenden Urteils). Eine Erstreckung der steuerlichen Privilegierung auf Schulgeld für den Besuch von Schulen, die nicht den Vorgaben des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG entsprächen, würde dem in Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes verankerten Anliegen zuwiderlaufen, eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen ihrer Eltern zu vermeiden (vgl. Randnr. 61 des vorliegenden Urteils).

90      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG macht nämlich die Teilabzugsfähigkeit des Schulgelds davon abhängig, dass die betreffende Privatschule in Deutschland genehmigt, erlaubt oder anerkannt ist, ohne objektive Kriterien aufzustellen, die es ermöglichen würden, zu bestimmen, welche Arten des von deutschen Schulen verlangten Schulgelds abzugsfähig sind.

91      Jede in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Privatschule ist somit aufgrund der bloßen Tatsache, dass sie nicht in Deutschland ansässig ist, automatisch von der streitigen steuerlichen Vergünstigung ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankäme, ob sie Kriterien erfüllt wie die Erhebung von Schulgeld in einer Höhe, die keine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen ihrer Eltern zulässt.

92      Zur Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit durch die streitige nationale Regelung macht die deutsche Regierung unter Berufung auf das Urteil Bidar außerdem geltend, es sei legitim, dass ein Mitgliedstaat für die Gewährung einer Beihilfe oder einer steuerlichen Vergünstigung Kriterien festlege, mit denen sich verhindern lasse, dass diese Beihilfen oder Vergünstigungen unter ein Niveau abgesenkt werden müssten, das der Mitgliedstaat für erforderlich erachte (vgl. Randnrn. 62 und 63 des vorliegenden Urteils).

93      Nach Ansicht der deutschen Regierung sind die Ausführungen im Urteil Bidar zur Gewährung von Beihilfen zur Deckung der Unterhaltskosten von Studenten und zur Freizügigkeit der Unionsbürger vor dem allgemeinen Hintergrund zu sehen, dass bei beschränkten staatlichen Finanzmitteln die Ausweitung einer Steuerermäßigung notwendigerweise bedeute, dass die Höhe der individuell für den Einzelnen gewährten Steuerbegünstigung gesenkt werden müsste, um eine Aufkommensneutralität zu erreichen. Durch eine Erstreckung von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG auf Schulgeldzahlungen an bestimmte Schulen in anderen Mitgliedstaaten würde der Staatshaushalt zusätzlich belastet.

94      Diesem Vorbringen kann jedoch aus den nachstehenden Gründen nicht gefolgt werden.

95      Erstens zählt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vermeidung einer Verringerung des Steueraufkommens nicht zu den in Art. 46 EG in Verbindung mit Art. 55 EG genannten Gründen und kann auch nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses angesehen werden.

96      Soweit zweitens die deutsche Regierung vorträgt, es stehe jedem Mitgliedstaat frei, darauf zu achten, dass die Förderung im Zusammenhang mit Schulgeld nicht zu einer übermäßigen Belastung werde, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Förderung haben könnte, das dieser Staat gewähren könne, ergibt sich aus ihren Angaben, dass die übermäßige finanzielle Belastung, zu der es ihrer Ansicht nach bei Erstreckung der steuerlichen Vergünstigung auf Schulgeldzahlungen an bestimmte Schulen in anderen Mitgliedstaaten käme, daraus resultieren würde, dass die diesen Schulen mittelbar gewährten Förderbeträge sehr viel höher wären als die Förderbeträge für in Deutschland genehmigte, erlaubte oder anerkannte Bildungseinrichtungen, da sich diese in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Schulen durch hohe Schulgelder selbst finanzieren müssten.

97      Selbst wenn in Bezug auf eine steuerliche Begünstigung von Schulgeld die gleichen Überlegungen zuträfen, wie sie das Urteil Bidar enthält, wäre doch mit der Kommission festzustellen, dass das Ziel, das mit der Versagung der streitigen steuerlichen Vergünstigung für Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten verfolgt wird, nämlich – entsprechend dem Gedankengang im Urteil Bidar – die Gewährleistung der Deckung der Kosten für den Betrieb von Privatschulen, ohne dass dadurch der Staat unangemessen belastet wird, durch mildere Mittel erreicht werden könnte.

98      Wie die Generalanwältin in Nr. 62 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist es einem Mitgliedstaat zur Vermeidung einer übermäßigen finanziellen Belastung nämlich möglich, die Abzugsfähigkeit des Schulgelds auf einen bestimmten Betrag zu beschränken, der der steuerlichen Vergünstigung entspricht, die dieser Staat gemäß bestimmten eigenen Wertvorstellungen für den Besuch von Schulen im Inland gewährt, was ein milderes Mittel als die Versagung der betreffenden Steuervergünstigung wäre.

99      Schließlich ist es jedenfalls offenkundig unverhältnismäßig, Schulgeldzahlungen von in Deutschland einkommensteuerpflichtigen Personen an Schulen, die in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, von der steuerlichen Vergünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG vollständig auszuschließen. Dadurch werden nämlich die Schulgeldzahlungen dieser Steuerpflichtigen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten von der steuerlichen Vergünstigung unabhängig davon ausgeschlossen, ob die betreffenden Schulen objektive Kriterien erfüllen, die nach innerstaatlichen Grundsätzen aufgestellt worden sind und anhand deren sich bestimmen lässt, welche Arten von Schulgeld einen Anspruch auf die Steuervergünstigung geben.

100    Nach alledem ist die zweite Rüge, auf die die Kommission ihre Klage stützt, als begründet anzusehen und festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland in den Fällen, in denen in Deutschland einkommensteuerpflichtige Personen ihre Kinder in eine Schule schicken, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet und im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert wird, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG verstoßen hat, dass sie Schulgeldzahlungen für den Besuch solcher Schulen generell von dem in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG vorgesehenen Sonderausgabenabzug ausgeschlossen hat.

 Erster Teil der ersten Rüge und dritte Rüge: Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

 Vorbringen der Parteien

101    Nach Ansicht der Kommission verletzt die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG die Rechte, die den betroffenen Steuerpflichtigen aus der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Niederlassungsfreiheit erwüchsen (erster Teil der ersten Rüge).

102    Zunächst könne diese Regelung die Ausübung des Rechts von aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Eltern, in Deutschland eine abhängige Erwerbstätigkeit aufzunehmen (Art. 39 EG) oder sich dort als Selbständige niederzulassen (Art. 43 EG), beeinträchtigen. Die steuerliche Benachteiligung, die ihnen drohe, wenn sie die schulische Ausbildung ihrer Kinder im Herkunftsstaat fortsetzen wollten, könne sie nämlich davon abhalten, nach Deutschland zu ziehen oder dort als Grenzpendler eine Tätigkeit auszuüben. Zumindest werde ihnen der Umzug oder die Arbeitsaufnahme in Deutschland erheblich erschwert.

103    Außerdem würden auch deutsche Staatsangehörige, die trotz eines Umzugs in einen anderen Mitgliedstaat weiter in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig seien, benachteiligt, wenn sie beschlössen, ihre Kinder in diesem anderen Mitgliedstaat auf eine einheimische Privatschule zu schicken.

104    Diese Verstöße gegen die Art. 39 EG und 43 EG seien nicht gerechtfertigt.

105    § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG stelle keine objektiven Kriterien auf, die es ermöglichten, zu bestimmen, unter welchen Umständen Schulgebühren deutscher und in anderen Mitgliedstaaten ansässiger Schulen abzugsfähig seien. Die Vorschrift knüpfe die Abzugsfähigkeit dieser Gebühren allein an die Genehmigung oder Anerkennung der jeweiligen Privatschule in Deutschland. Entscheidende Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit sei demnach, dass die Privatschule in Deutschland gelegen sei. Jede in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Privatschule sei unabhängig davon, wie hoch ihre Schulgebühren seien, automatisch vom Steuerabzug ausgeschlossen, also auch dann, wenn ihre Betriebsweise mit der einer in Deutschland anerkannten oder genehmigten Privatschule weitgehend identisch sei.

106    Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, die steuerliche Privilegierung vom Besuch einer in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Privatschule abhängig zu machen, zumal es Deutschland nach dem Gemeinschaftsrecht unbenommen bleibe, die Abzugsfähigkeit von Schulgebühren auf bestimmte Schultypen oder auf Gebühren in bestimmter Höhe zu begrenzen. Voraussetzung hierfür sei lediglich, dass die Abzugsfähigkeit nach objektiven Kriterien gewährt werde und unabhängig vom Sitz der Schule erfolge.

107    Entsprechend macht die Kommission im Rahmen ihrer dritten Rüge geltend, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG die Niederlassungsfreiheit der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Privatschulen beschränke. Die Regelung nötige diese Schulen dazu, sich in Deutschland zumindest in Form einer Zweigstelle niederzulassen. Nur wenn sie von Deutschland aus ihre Leistungen anböten, könnten sie nämlich den Status einer staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule oder einer nach Landesrecht anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschule erlangen. Wollten sie daher im Wettbewerb mit deutschen Privatschulen nicht benachteiligt werden, müssten sie in Deutschland ansässig sein.

108    Diese Einschränkung der Ortswahl stelle eine gegen Art. 43 EG verstoßende, nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.

109    § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG beeinträchtige demnach die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG und die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG.

110    Die deutsche Regierung stellt in Abrede, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit verletze. Sollte tatsächlich der Anwendungsbereich der genannten Freiheitsrechte betroffen sein, wäre dieser Eingriff jedenfalls durch die dargestellten objektiven Unterschiede zwischen den von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfassten deutschen Privatschulen und den Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten gerechtfertigt.

111    Die deutsche Regierung verneint auch einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit der in anderen Mitgliedstaaten gelegenen Schulen. Es sei nicht zu erkennen, inwiefern die Niederlassungsfreiheit dieser Schulen durch die streitige Abzugsregelung beeinträchtigt wäre. Sollte jedoch eine Verletzung dieses Freiheitsrechts festgestellt werden, wäre sie jedenfalls durch die erwähnten objektiven Unterschiede zwischen den von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfassten deutschen Privatschulen und den Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten gerechtfertigt.

 Würdigung durch den Gerichtshof

112    Zu prüfen ist, ob die Art. 39 EG und 43 EG der Regelung entgegenstehen, die sich aus § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ergibt.

113    Mit dem ersten Teil ihrer ersten Rüge macht die Kommission geltend, dass eine solche Regelung, die die betroffenen Steuerpflichtigen steuerlich benachteilige, sowohl abhängig Beschäftigte aus anderen Mitgliedstaaten oder eine selbständige Tätigkeit ausübende Steuerpflichtige beeinträchtige, die aus privaten Gründen nach Deutschland gezogen seien und die schulische Ausbildung ihrer Kinder im Herkunftsstaat fortsetzen wollten, als auch deutsche Steuerpflichtige, die aufgrund ihres Umzugs in einen anderen Mitgliedstaat ihre Kinder dort in eine Privatschule gegeben hätten. Die Regelung verstoße insoweit gegen die Art. 39 EG und 43 EG.

114    Sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit sollen den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen (vgl. Urteile vom 15. September 2005, Kommission/Dänemark, C-464/02, Slg. 2005, I-7929, Randnr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung, Kommission/Portugal, Randnr. 15, und Kommission/Schweden, Randnr. 17).

115    Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden (Urteile Kommission/Dänemark, Randnr. 35, Kommission/Portugal, Randnr. 16, und Kommission/Schweden, Randnr. 18).

116    Wie die Generalanwältin in Nr. 83 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, benachteiligt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG insbesondere Arbeitnehmer und Selbständige, die nach Deutschland gezogen sind oder dort ihren Arbeitsplatz besitzen und deren Kinder weiterhin eine kostenpflichtige Schule in einem anderen Mitgliedstaat besuchen. Arbeitnehmer und Selbständige, die im Inland einen Wohnsitz haben, sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Grenzgänger, die ihre Tätigkeit in Deutschland ausüben, ohne dort einen Wohnsitz zu haben, unterliegen gemäß § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag ebenfalls der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG verwehrt all diesen Personen den Sonderabzug für einen Teil des entrichteten Schulgelds, anders als wenn ihre Kinder eine Schule in Deutschland besuchten.

117    Diese Ungleichbehandlung kann den betreffenden Arbeitnehmern und Selbständigen die Ausübung ihrer Rechte aus den Art. 39 EG und 43 EG erschweren.

118    § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG kann auch deutsche Staatsangehörige benachteiligen, wenn sie in einen anderen Mitgliedstaat ziehen, in dem ihre Kinder eine kostenpflichtige Schule besuchen.

119    Zwar sind diese deutschen Staatsangehörigen, wenn sie Deutschland verlassen, dort im Allgemeinen nicht mehr steuerpflichtig, so dass eine Anwendung der streitigen Steuerregelung zu ihren Lasten ausgeschlossen ist. Nach § 1 Abs. 2 EStG gilt diese Regel jedoch nicht für in einem anderen Mitgliedstaat arbeitende Beamte und nach Art. 14 des Protokolls vom 8. April 1965 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1967, Nr. 152, S. 13) nicht für die Beamten der Europäischen Gemeinschaften. Schicken solche Beamte deutscher Staatsangehörigkeit ihre Kinder in kostenpflichtige Schulen in anderen Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Deutscher und Europäischer Schulen –, erlaubt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ihnen nicht, einen Teil des gezahlten Schulgelds von ihren der Steuer unterliegenden Einkünften abzuziehen.

120    Aus den in den Randnrn. 85 bis 99 des vorliegenden Urteils dargestellten Gründen lassen sich derartige Ungleichbehandlungen nicht mit den Argumenten rechtfertigen, die die deutsche Regierung zur Rechtfertigung einer Beeinträchtigung einer Grundfreiheit vorgetragen hat.

121    Somit ist der erste Teil der ersten Rüge der Kommission als begründet anzusehen und festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 39 EG und 43 EG verstoßen hat, dass sie Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell von der in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG vorgesehenen steuerlichen Vergünstigung ausgeschlossen hat.

122    Zur dritten Rüge – Verletzung der Niederlassungsfreiheit von Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten – ist entsprechend den Ausführungen der Generalanwältin in Nr. 85 ihrer Schlussanträge festzustellen, dass der Umstand, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG die steuerliche Begünstigung des Schulgelds vom Sitz der Schule abhängig macht, nicht unmittelbar die Niederlassungsfreiheit der in anderen Mitgliedstaaten gelegenen Privatschulen beeinträchtigt. Der betreffende Umstand als solcher erschwert die Niederlassung dieser Schulen in Deutschland nicht.

123    Die dritte Rüge der Kommission ist daher zurückzuweisen.

 Zweiter Teil des ersten Klagegrundes: Verletzung des allgemeinen Rechts der Unionsbürger auf Freizügigkeit

124    Die streitige nationale Regelung ist schließlich in Bezug auf alle Fälle, die nicht unter die Art. 39 EG, 43 EG und 49 EG fallen, anhand von Art. 18 Abs. 1 EG zu prüfen.

125    Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, im sachlichen Geltungsbereich des Vertrags unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen (vgl. u. a. Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk, C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Randnr. 31, vom 11. Juli 2002, D’Hoop, C-224/98, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 28, vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello, C-148/02, Slg. 2003, I-11613, Randnrn. 22 und 23, sowie vom 29. April 2004, Pusa, C-224/02, Slg. 2004, I-5763, Randnr. 16).

126    Zu den Situationen, die in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, gehören diejenigen, die sich auf die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beziehen, und insbesondere auch die, in denen es um das durch Art. 18 EG verliehene Recht geht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. u. a. Urteile Grzelczyk, Randnr. 33, D’Hoop, Randnr. 29, Garcia Avello, Randnr. 24, und Pusa, Randnr. 17).

127    Da ein Unionsbürger in allen Mitgliedstaaten Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie die eigenen Staatsangehörigen dieser Mitgliedstaaten hat, die sich in der gleichen Situation befinden, wäre es mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar, wenn der Mitgliedstaat, dem er angehört, ihn weniger günstig behandeln könnte, als wenn er nicht von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hätte, die ihm der Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit gewährt (Urteile D’Hoop, Randnr. 30, und Pusa, Randnr. 18).

128    Diese Erleichterungen könnten nämlich ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die sich aus einer nationalen Regelung ergeben, die Nachteile daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juli 1992, Singh, C-370/90, Slg. 1992, I-4265, Randnr. 23, D’Hoop, Randnr. 31, und Pusa, Randnr. 19).

129    Wenn sich die Kinder der betroffenen deutschen Staatsangehörigen zur Schulausbildung in einen anderen Mitgliedstaat begeben, machen sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch. Nach dem Urteil vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen (C-200/02, Slg. 2004, I-9925, Randnr. 20), kann sich ein Kind selbst im Kleinkindalter auf die gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte auf Freizügigkeit und auf Aufenthalt berufen.

130    Die streitige nationale Regelung begründet eine Ungleichbehandlung von in Deutschland einkommensteuerpflichtigen Personen je nachdem, ob sie ihre Kinder in eine Schule in diesem Mitgliedstaat gegeben oder zum Schulbesuch in einen anderen Mitgliedstaat geschickt haben.

131    Da diese Regelung die steuerliche Begünstigung des Schulgelds davon abhängig macht, dass es an Privatschulen gezahlt worden ist, die bestimmte Voraussetzungen in Deutschland erfüllen, und dazu führt, dass die Vergünstigung den Eltern von Kindern versagt wird, die eine Schule in einem anderen Mitgliedstaat besuchen, benachteiligt sie die Kinder bestimmter eigener Staatsangehöriger allein deswegen, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, indem sie sich zur Schulausbildung in einen anderen Mitgliedstaat begeben haben.

132    Nach ständiger Rechtsprechung stellt eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheiten dar, die Art. 18 Abs. 1 EG jedem Unionsbürger verleiht (Urteile vom 18. Juli 2006, De Cuyper, C-406/04, Slg. 2006, I-6947, Randnr. 39, sowie vom 26. Oktober 2006, Tas-Hagen und Tas, C-192/05, Slg. 2006, I-10451, Randnr. 31).

133    Eine solche Beschränkung wäre nach Gemeinschaftsrecht allenfalls dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck stünde (Urteile D’Hoop, Randnr. 36, De Cuyper, Randnr. 40, sowie Tas-Hagen und Tas, Randnr. 33).

134    Zur Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit durch die streitige Regelung hat die deutsche Regierung die Argumente vorgetragen, die in den Randnrn. 55 bis 64 des vorliegenden Urteils dargestellt sind. Sie hat sich insbesondere auf die Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Bidar zur Auslegung von Art. 18 EG bezogen.

135    In Randnr. 56 des Urteils Bidar hat der Gerichtshof entschieden, dass es jedem Mitgliedstaat freisteht, darauf zu achten, dass die Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Unterhalts von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten nicht zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann.

136    Selbst wenn jedoch in Bezug auf eine steuerliche Begünstigung von Schulgeld die gleichen Überlegungen zuträfen, stünde eine Regelung wie § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG aus den in Randnr. 99 des vorliegenden Urteils im Rahmen der Prüfung der Regelung anhand des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit genannten Gründen jedenfalls offenkundig außer Verhältnis zu den mit ihr verfolgten Zielen.

137    Werden somit Kinder von Steuerpflichtigen eines Mitgliedstaats in eine Schule in einem anderen Mitgliedstaat geschickt, deren Leistungen nicht unter Art. 49 EG fallen, werden sie durch § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gegenüber Kindern, die nicht durch den Besuch einer Schule in einem anderen Mitgliedstaat von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, ungerechtfertigt benachteiligt und in ihren Rechten aus Art. 18 Abs. 1 EG verletzt.

138    Auch der zweite Teil der ersten Rüge der Kommission ist demnach als begründet anzusehen.

139    Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 18 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG verstoßen hat, dass sie Schulgeldzahlungen für den Besuch von Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell von dem in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG vorgesehenen Sonderausgabenabzug ausgeschlossen hat. Im Übrigen, d. h. in Bezug auf die Rüge einer Verletzung der Niederlassungsfreiheit von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Schulen, ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

140    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 18 EG, 39 EG, 43 EG und 49 EG verstoßen, dass sie Schulgeldzahlungen für den Besuch von Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell von dem in § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 19. Oktober 2002 vorgesehenen Sonderausgabenabzug ausgeschlossen hat.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.