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Rechtssache C-321/05

Hans Markus Kofoed

gegen

Skatteministeriet

(Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret)

„Richtlinie 90/434/EWG – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen – Nationale Entscheidung, mit der ein Anteilstausch besteuert wird – Anteilstausch – Kurz danach erfolgende Gewinnausschüttung – Rechtsmissbrauch“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Richtlinie 90/434

(Richtlinie 90/434 des Rates, Art. 2 Buchst. d)

2.        Handlungen der Organe – Richtlinien – Umsetzung durch die Mitgliedstaaten

(Art. 249 Abs. 3 EG)

3.        Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Richtlinie 90/434

(Richtlinie 90/434 des Rates, Art. 11 Abs. 1 Buchst. a)

1.        Die Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass das darin vorgesehene gemeinsame Steuersystem, das verschiedene steuerliche Vorteile umfasst, gleichermaßen auf alle Fusionen, Spaltungen, Einbringungen von Unternehmensteilen und Austausche von Anteilen anzuwenden ist, ungeachtet ihrer Gründe (seien diese finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art).

Der Begriff der „baren Zuzahlung“, die den Gesellschaftern der im Zuge eines Austauschs von Anteilen erworbenen Gesellschaft erbracht wird, im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie bezieht sich auf Geldleistungen, die den Charakter einer echten Gegenleistung im Erwerbsvorgang haben, nämlich Leistungen, die verbindlich zusätzlich zur Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der erwerbenden Gesellschaft vereinbart worden sind, und zwar unabhängig von den etwaigen dem Vorgang zugrunde liegenden Motiven. Eine Geldleistung, die den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft von einer erwerbenden Gesellschaft erbracht wird, ist somit nicht allein deshalb als „bare Zuzahlung“ im Sinne der genannten Vorschrift zu qualifizieren, weil ein gewisser zeitlicher oder anderweitiger Zusammenhang mit dem Erwerbsvorgang besteht oder eventuell eine betrügerische Absicht vorliegt. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Umstände zu prüfen, ob die fragliche Leistung den Charakter einer verbindlichen Gegenleistung im Erwerbsvorgang aufweist.

Daraus folgt, dass eine Gewinnausschüttung, die von einer erwerbenden Gesellschaft den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft kurze Zeit nach dem Austausch der Anteile gezahlt wird, aber nicht integraler Bestandteil der von der erwerbenden Gesellschaft zu entrichtenden Gegenleistung ist, nicht in die Berechnung der „baren Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie einzubeziehen ist.

(vgl. Randnrn. 27-31, 33, 48 und Tenor)

2.        Sämtliche Stellen eines Mitgliedstaats sind bei der Anwendung des nationalen Rechts dazu angehalten, dieses so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und der Zielsetzung der gemeinschaftlichen Richtlinien auszulegen, um das mit diesen verfolgte Ziel zu erreichen. Auch wenn dieses Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung nicht so weit reichen kann, dass eine Richtlinie selbst und unabhängig von einem nationalen Umsetzungsakt Einzelnen Verpflichtungen auferlegt oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit der ihren Bestimmungen Zuwiderhandelnden bestimmt oder verschärft, so kann doch der Staat grundsätzlich Einzelnen eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts entgegenhalten.

(vgl. Randnr. 45)

3.        Gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, können die Mitgliedstaaten ausnahmsweise in besonderen Fällen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn der Austausch von Anteilen insbesondere als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat.

Liegen bestimmte Hinweise vor, die womöglich eine Anwendung des genannten Artikels rechtfertigen könnten, enthält aber das nationale Recht des betreffenden Mitgliedstaats keine spezifische Bestimmung zu seiner Umsetzung, so lässt sich die Besteuerung des fraglichen Austauschs von Anteilen rechtfertigen, wenn das nationale Recht eine Bestimmung oder einen allgemeinen Grundsatz kennt, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist, oder andere Vorschriften über Steuerhinterziehung oder -umgehung, die im Einklang mit dem genannten Artikel ausgelegt werden könnten.

(vgl. Randnrn. 37, 39, 46, 48 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

5. Juli 2007(*)

„Richtlinie 90/434/EWG – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen – Nationale Entscheidung, mit der ein Anteilstausch besteuert wird – Anteilstausch – Kurz danach erfolgende Gewinnausschüttung – Rechtsmissbrauch“

In der Rechtssache C-321/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Østre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 3. August 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 23. August 2005, in dem Verfahren

Hans Markus Kofoed

gegen

Skatteministeriet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Hans Markus Kofoed, vertreten durch L. Melchior Kjeldsen, advokat,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten im Beistand von K. Lundgaard Hansen, advokat,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, vertreten durch C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von J. Stratford, Barrister,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Støvlbæk und R. Lyal als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Februar 2007

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 Buchst. d, 8 und 11 der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Kofoed und dem Skatteministeriet (Ministerium für Steuern) über die Frage, ob ein Anteilstausch der Einkommensteuer unterliegt.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3        Ihrem ersten Erwägungsgrund zufolge besteht das Ziel der Richtlinie 90/434 darin, sicherzustellen, dass Umstrukturierungsvorgänge (wie Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen), die Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten betreffen, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden.

4        Hierzu schafft die Richtlinie ein System, nach dem die genannten Vorgänge als solche nicht Anlass zu einer Besteuerung geben dürfen. Etwaige mit diesen Vorgängen zusammenhängende Wertzuwächse können grundsätzlich besteuert werden, aber nur zu dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich realisiert werden.

5        Art. 2 Buchst. d der Richtlinie definiert den „Austausch von Anteilen“ als den „Vorgang, durch den eine Gesellschaft am Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung erwirbt, die ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, und zwar gegen Gewährung von Anteilen an der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der anderen Gesellschaft sowie gegebenenfalls einer baren Zuzahlung; Letztere darf 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts der gewährten Anteile nicht überschreiten“.

6        Nach Art. 2 Buchst. g und h der Richtlinie sind unter „erworbener Gesellschaft“ die „Gesellschaft, an der beim Austausch von Anteilen eine Beteil[ig]ung erworben wurde“, und unter „erwerbender Gesellschaft“ die „Gesellschaft, die beim Austausch von Anteilen eine Beteiligung erwirbt“, zu verstehen.

7        Art. 8 Abs. 1 und 4 der Richtlinie lautet:

„(1) Die Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden oder erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund der Fusion, der Spaltung oder des Austausches von Anteilen darf für sich allein keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns auslösen.

(4) Die Absätze 1, 2 und 3 hindern die Mitgliedstaaten nicht, eine bare Zuzahlung anlässlich einer Fusion, einer Spaltung oder eines Austausches von Anteilen an die Gesellschafter zu besteuern.“

8        Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a kann ein Mitgliedstaat die Anwendung der Titel II, III und IV der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn ein Austausch von Anteilen „als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat“.

 Nationales Recht

9        Im dänischen Recht wird die steuerliche Behandlung des Austauschs von Anteilen zum einen durch das Aktieavancebeskatningslov (Aktiengewinnbesteuerungsgesetz) vom 15. September 1993 (Lovtidende 1993, S. 4171) und zum anderen durch das Fusionsskattelov (Fusionssteuergesetz) vom 27. August 1992 (Lovtidende 1992, S. 3374) geregelt.

10      § 13 des Aktieavancebeskatningslov sieht vor:

„(1) Beim Austausch von Anteilen steht dem Anteilseigner der erworbenen Gesellschaft die Möglichkeit einer Besteuerung nach den §§ 9 und 11 des Fusionsskattelov offen, wenn sowohl die erwerbende als auch die erworbene Gesellschaft unter den Begriff ‚Gesellschaft eines Mitgliedstaats‘ im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 90/434/EWG fallen. Der Zeitpunkt des Austausches der Anteile gilt insoweit als Zeitpunkt der Fusion. Voraussetzung hierfür ist, dass der Austausch der Anteile innerhalb von höchstens sechs Monaten nach dem ersten Austauschtag vollzogen wird.

(2) Austausch von Anteilen im Sinne von Abs. 1 ist der Vorgang, durch den eine Gesellschaft am Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung erwirbt, die ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, und zwar gegen Gewährung von Anteilen an der erwerbenden Gesellschaft an die Anteilseigner der anderen Gesellschaft sowie gegebenenfalls einer baren Zuzahlung; Letztere darf 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts der gewährten Anteile nicht überschreiten.

…“

11      In § 9 des Fusionsskattelov, auf den § 13 Abs. 1 des Aktieavancebeskatningslov verweist, heißt es:

„(1) Anteile der einbringenden Gesellschaft [erworbenen Gesellschaft] gelten als vom Gesellschafter an einen Dritten veräußert, soweit sie anders als durch Anteile der übernehmenden Gesellschaft [erwerbenden Gesellschaft] vergütet werden. …“

12      § 11 des Fusionsskattelov bestimmt:

„(1) Anteile der übernehmenden Gesellschaft [erwerbenden Gesellschaft], die die Gesellschafter als Entgelt für Anteile der einbringenden Gesellschaft [erworbenen Gesellschaft] übernehmen, werden … so behandelt, als wären sie zum selben Zeitpunkt und zum selben Preis erworben wie die eingetauschten Anteile. …“

13      Es steht fest, dass das dänische Recht zu der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgebenden Zeit keine spezifische Vorschrift zur Umsetzung von Art. 11 der Richtlinie 90/434 enthielt.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

14      Herr Kofoed und Herr Toft waren jeweils zur Hälfte am Kapital der Cosmopolit Holding ApS (im Folgenden: Cosmopolit) beteiligt, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung dänischen Rechts mit einem Gesellschaftskapital von 240 000 DKK.

15      Am 26. Oktober 1993 erwarben sie jeweils eine von zwei Aktien zu jeweils 1 IEP des Gesellschaftskapitals der Dooralong Ltd (im Folgenden: Dooralong), einer Gesellschaft mit Haftungsbeschränkung irischen Rechts.

16      Die Dooralong erhöhte daraufhin ihr Gesellschaftskapital und gab 21 000 neue Aktien zu jeweils 1 IEP aus.

17      Am 29. Oktober 1993 tauschten Herr Kofoed und Herr Toft alle ihre Anteile an der Cosmopolit gegen sämtliche neu ausgegebenen Aktien an der Dooralong. Jeder von ihnen hielt infolge dieses Austauschs 10 501 Aktien an der Dooralong. Die Dooralong ihrerseits verfügte nunmehr über das gesamte Gesellschaftskapital der Cosmopolit.

18      Am 1. November 1993 floss der Dooralong eine Gewinnausschüttung in Höhe von 2 742 616 IEP (ungefähr 26 000 000 DKK) seitens ihrer neu erworbenen Tochtergesellschaft Cosmopolit zu, deren Eigenkapital sich dadurch auf 1 709 806 DKK verringerte.

19      Am 3. November 1993 wurde auf der Hauptversammlung (annual general meeting) der Dooralong beschlossen, einen Gewinn in Höhe von 2 742 116 IEP an die beiden Gesellschafter Kofoed und Toft auszuschütten.

20      Im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1993 gab Herr Kofoed bei der Erklärung seiner Einkünfte an, dass der Tausch der Cosmopolitbeteiligung gegen die neuen Dooralong-Aktien von der Steuer freigestellt werden müsse. Die dänische Steuerverwaltung wies diese Erklärung zurück und vertrat die Ansicht, dass die Gewinnausschüttung als Bestandteil des Anteilstauschvorgangs anzusehen sei, so dass die in der Richtlinie 90/434 für eine etwaige Zuzahlung in bar vorgesehene Höchstgrenze von 10 % des Nennwerts der gewährten Anteile überschritten sei. Der Anteilstausch könne daher nicht in den Genuss der von dieser Richtlinie vorgesehenen Freistellung kommen.

21      Herr Kofoed focht sodann vor dem Landsskatteret (Landesfinanzgericht) die Entscheidung der Steuerverwaltung an, wonach der fragliche Anteilstausch nach der Richtlinie 90/434 nicht freigestellt werden müsse. Da die Entscheidung aufrechterhalten wurde, wandte sich Herr Kofoed an das Østre Landsret.

22      Vor diesem Hintergrund hat das Østre Landsret (Landgericht Ost) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen, dass kein Austausch von Anteilen im Sinne der Fusionsbesteuerungsrichtlinie vorliegt, wenn die am Austausch der Anteile Beteiligten gleichzeitig mit der Vereinbarung über diesen Austausch, ohne sich rechtlich zu verpflichten, ihre gemeinsame Absicht zu erkennen geben, in der auf den Austausch folgenden ersten Hauptversammlung der erwerbenden Gesellschaft für die Ausschüttung eines Gewinns zu stimmen, der 10 % des Nominalwerts der beim Austausch der Anteile übergebenen Wertpapiere übersteigt, und wenn dieser Gewinn auch tatsächlich ausgeschüttet wird?

 Zur Vorlagefrage

23      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens der Besteuerung eines Anteilstauschs wie des hier fraglichen entgegensteht.

In diesem Zusammenhang fragt das vorlegende Gericht erstens, ob ein solcher Anteilstausch ein „Austausch von Anteilen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie ist, und möchte insbesondere wissen, ob eine Gewinnausschüttung wie die hier gezahlte in die Berechnung der in diesem Artikel vorgesehenen baren Zuzahlung einbezogen werden muss.

Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Steuerverwaltung auf einen etwaigen Rechtsmissbrauch reagieren kann, obwohl der nationale Gesetzgeber keine spezifischen Maßnahmen zur Umsetzung von Art. 11 der Richtlinie 90/434 getroffen hat.

 Zur Einstufung als „Austausch von Anteilen“ im Sinne der Richtlinie 90/434

24      Eingangs ist daran zu erinnern, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434 es verbietet, bei den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft die Zuteilung von Anteilen anlässlich eines Austauschs von Anteilen zu besteuern.

25      Nach der Definition in Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie liegt ein „Austausch von Anteilen“ in dem „Vorgang, durch den eine Gesellschaft am Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung erwirbt, die ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, und zwar gegen Gewährung von Anteilen an der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der anderen Gesellschaft sowie gegebenenfalls einer baren Zuzahlung; Letztere darf 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts der gewährten Anteile nicht überschreiten.“

26      Im Ausgangsverfahren steht fest, dass der fragliche Anteilstausch grundsätzlich im Zusammenhang mit einem Erwerbsvorgang im Sinne der vorgenannten Bestimmung erfolgt ist.

27      Jedoch sind sich die Parteien in der Frage uneins, ob die von der Dooralong an Herrn Kofoed und Herrn Toft kurz nach diesem Anteilstausch geflossene Gewinnausschüttung als Bestandteil dieses Erwerbsvorgangs betrachtet werden muss. Bejahendenfalls wäre der in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 für eine bare Zuzahlung vorgesehene Schwellenwert von 10 % überschritten, was zu einer Besteuerung des Anteilstauschs führen würde.

28      Hierbei ist festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in den Nrn. 44 bis 47 sowie 52 und 53 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, der Begriff „bare Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 sich auf Geldleistungen bezieht, die den Charakter einer echten Gegenleistung im Erwerbsvorgang haben, nämlich Leistungen, die verbindlich zusätzlich zur Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der erwerbenden Gesellschaft vereinbart worden sind, und zwar unabhängig von den etwaigen dem Vorgang zugrunde liegenden Motiven.

29      Denn aus dem Regelungszusammenhang und der Systematik der Richtlinie 90/434 geht hervor, dass die bare Zuzahlung und der Erwerbsvorgang Teile derselben Transaktion sind. Die Zuzahlung ist nämlich integraler Bestandteil der Gegenleistung, die die erwerbende Gesellschaft den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft erbringt, um an Letzterer eine Mehrheitsbeteiligung zu erlangen.

30      Außerdem hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass Art. 2 Buchst. d sowie der allgemeinen Systematik der Richtlinie 90/434 zu entnehmen ist, dass das darin vorgesehene gemeinsame Steuersystem, das verschiedene steuerliche Vorteile umfasst, gleichermaßen auf alle Fusionen, Spaltungen, Einbringungen von Unternehmensteilen und Austausche von Anteilen anzuwenden ist, ungeachtet ihrer Gründe (seien diese finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art) (vgl. Urteil vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C-28/95, Slg. 1997, I-4161, Randnr. 36).

31      Eine Geldleistung, die den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft von einer erwerbenden Gesellschaft erbracht wird, ist somit nicht allein deshalb als „bare Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 zu qualifizieren, weil ein gewisser zeitlicher oder anderweitiger Zusammenhang mit dem Erwerbsvorgang besteht oder eventuell eine betrügerische Absicht vorliegt. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Umstände zu prüfen, ob die fragliche Leistung den Charakter einer verbindlichen Gegenleistung im Erwerbsvorgang aufweist.

32      Diese Auslegung wird durch das Ziel der Richtlinie 90/434 bestätigt, das darin besteht, steuerliche Hindernisse für grenzüberschreitende Unternehmensumstrukturierungen zu beseitigen, indem zum einen sichergestellt wird, dass etwaige Wertzuwächse von Anteilen nicht vor ihrer tatsächlichen Realisierung besteuert werden, und zum anderen vermieden wird, dass Vorgänge mit sehr bedeutenden, bei einem Anteilstausch realisierten Wertzuwächsen allein deshalb einer Besteuerung entgehen, weil sie im Rahmen einer Umstrukturierung erfolgen.

33      Im Ausgangsverfahren ist festzustellen, dass in der Akte nichts darauf hindeutet, dass die fragliche Gewinnausschüttung integraler Bestandteil der von der Dooralong für den Erwerb der Cosmopolit zu erbringenden Gegenleistung gewesen wäre, was die notwendige Voraussetzung für eine Einstufung der Gewinnausschüttung als „bare Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 wäre. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts steht vielmehr fest, dass zu keiner Zeit eine Vereinbarung zwischen Herrn Kofoed und Herrn Toft sowie der Dooralong bestanden hat, wonach Letztere zur Gewinnausschüttung verpflichtet gewesen wäre.

34      Unter diesen Umständen kann die im Ausgangsverfahren fragliche Gewinnausschüttung nicht in die Berechnung der in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 vorgesehenen „baren Zuzahlung“ einbezogen werden.

35      Folglich fällt der fragliche Anteilstausch unter Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434, was bedeutet, dass es grundsätzlich verboten ist, diesen zu besteuern.

36      Da das vorlegende Gericht und die dänische Regierung mehrfach betont haben, dass der im Ausgangsverfahren fragliche Anteilstausch ohne jeden geschäftlichen Grund und mit dem einzigen Ziel durchgeführt wurde, Steuern zu sparen, stellt sich allerdings noch die Frage nach der Anwendung des genannten Art. 8 Abs. 1 im Fall eines etwaigen Rechtsmissbrauchs.

 Zur Möglichkeit der Berücksichtigung eines etwaigen Rechtsmissbrauchs

37      Gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 können die Mitgliedstaaten ausnahmsweise in besonderen Fällen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn der Austausch von Anteilen insbesondere als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. In der gleichen Vorschrift wird außerdem klargestellt, dass die Tatsache, dass der Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen wie etwa der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften beruht, eine Vermutung dafür begründen kann, dass mit diesem Vorgang ein derartiges Ziel verfolgt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Leur-Bloem, Randnrn. 38 und 39).

38      Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 spiegelt somit den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wider, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist. Die betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf die Normen des Gemeinschaftsrechts ist nicht gestattet. Die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften kann nicht so weit reichen, dass missbräuchliche Praktiken, d. h. Vorgänge geschützt werden, die nicht im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs, sondern nur zu dem Zweck durchgeführt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 1999, Centros, C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Randnr. 24, vom 21. Februar 2006, Halifax u. a., C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 68 und 69, vom 6. April 2006, Agip Petroli, C-456/04, Slg. 2006, I-3395, Randnrn. 19 und 20, sowie vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 35).

39      Wie die Generalanwältin in Nr. 59 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, liegen im Ausgangsverfahren bestimmte Hinweise vor, die womöglich eine Anwendung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 rechtfertigen könnten.

40      Allerdings stellt sich vorab die Frage, ob Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 ohne eine spezifische Norm zur Umsetzung in das dänische Recht im Ausgangsverfahren überhaupt Anwendung finden kann.

41      Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach den Art. 10 EG und 249 EG jeder Mitgliedstaat, der Adressat einer Richtlinie ist, die Verpflichtung hat, in seiner nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (vgl. u. a. Urteile vom 10. März 2005, Kommission/Deutschland, C-531/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 16, und vom 16. Juni 2005, Kommission/Italien, C-456/03, Slg. 2005, I-5335, Randnr. 50).

42      Außerdem verbietet es der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Richtlinien selbst Verpflichtungen für Einzelne begründen können. Einzelnen gegenüber kann sich ein Mitgliedstaat deshalb nicht auf Richtlinien als solche berufen (vgl. insbesondere Urteile vom 11. Juni 1987, Pretore di Salò/X, 14/86, Slg. 1987, 2545, Randnrn. 19 und 20, vom 8. Oktober 1987, Kolpinghuis Nijmegen, 80/86, Slg. 1987, 3969, Randnrn. 9 und 13, vom 26. September 1996, Arcaro, C-168/95, Slg. 1996, I-4705, Randnrn. 36 und 37, sowie vom 3. Mai 2005, Berlusconi u. a., C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565, Randnrn. 73 und 74).

43      Dennoch ist erstens zu betonen, dass die Mitgliedstaaten nach dem Wortlaut von Art. 249 Abs. 3 EG für die Umsetzung der Richtlinien die Form und die Mittel wählen können, mit denen sich das mit den Richtlinien angestrebte Ergebnis am besten gewährleisten lässt (vgl. in diesem Sinne Kommission/Italien, Randnr. 51).

44      Die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht erfordert daher nicht unbedingt ein gesetzgeberisches Tätigwerden in jedem Mitgliedstaat, soweit die sich aus den nationalen Umsetzungsmaßnahmen ergebende Rechtslage so hinreichend bestimmt und klar ist, dass die betroffenen Einzelnen Kenntnis vom Umfang ihrer Rechte und Pflichten erlangen können. Außerdem kann der Umsetzung einer Richtlinie, wie die Generalanwältin in Nr. 62 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, in bestimmten Fällen (je nach ihrem Inhalt) bereits durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan sein, so dass eine förmliche, ausdrückliche Übernahme von Richtlinienbestimmungen in spezifische nationale Rechtsvorschriften nicht erforderlich ist (vgl. Urteile Kommission/Italien, Randnr. 51, und vom 6. April 2006, Kommission/Österreich, C-428/04, Slg. 2006, I-3325, Randnr. 99).

45      Zweitens ist daran zu erinnern, dass sämtliche Stellen eines Mitgliedstaats bei der Anwendung des nationalen Rechts dazu angehalten sind, dieses so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und der Zielsetzung der gemeinschaftlichen Richtlinien auszulegen, um das mit diesen verfolgte Ziel zu erreichen. Auch wenn dieses Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung nicht so weit reichen kann, dass eine Richtlinie selbst und unabhängig von einem nationalen Umsetzungsakt Einzelnen Verpflichtungen auferlegt oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit der ihren Bestimmungen Zuwiderhandelnden bestimmt oder verschärft, so ist doch anerkannt, dass der Staat grundsätzlich Einzelnen eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts entgegenhalten kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Kolpinghuis Nijmegen, Randnrn. 12 bis 14, und Arcaro, Randnrn. 41 und 42).

46      Im Ausgangsverfahren ist es daher, wie die Generalanwältin in Nr. 63 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das dänische Recht eine Bestimmung oder einen allgemeinen Grundsatz kennt, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist, oder andere Vorschriften über Steuerhinterziehung oder -umgehung, die im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 ausgelegt werden könnten und somit die Besteuerung des fraglichen Anteilstauschs rechtfertigen könnten (vgl. auch Urteil vom 19. Januar 1982, Becker, 8/81, Slg. 1982, 53, Randnr. 34).

47      Gegebenenfalls wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob die Anwendungsvoraussetzungen dieser innerstaatlichen Vorschriften im Ausgangsverfahren gegeben sind.

48      Nach alledem ist somit auf die Vorlagefrage zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Gewinnausschüttung von der Art der dort gezahlten nicht in die Berechnung der „baren Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 einzubeziehen ist und somit ein Anteilstausch wie der in Rede stehende einen „Austausch von Anteilen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie darstellt.

Folglich steht Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434 grundsätzlich der Besteuerung eines derartigen Anteilstauschs entgegen, es sei denn, dass Vorschriften des innerstaatlichen Rechts über Rechtsmissbrauch, Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie ausgelegt werden können und somit eine Besteuerung des Austauschs rechtfertigen können.

 Kosten

49      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Auf die Vorlagefrage ist zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Gewinnausschüttung von der Art der dort gezahlten nicht in die Berechnung der „baren Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, einzubeziehen ist und somit ein Anteilstausch wie der in Rede stehende einen „Austausch von Anteilen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie darstellt.

Folglich steht Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434 grundsätzlich der Besteuerung eines derartigen Anteilstauschs entgegen, es sei denn, dass Vorschriften des innerstaatlichen Rechts über Rechtsmissbrauch, Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie ausgelegt werden können und somit eine Besteuerung des Austauschs rechtfertigen können.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Dänisch.