Rechtssache C-345/05
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Portugiesische Republik
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Steuerrecht – Voraussetzungen für die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien – Artikel 18 EG, 39 EG und 43 EG – Artikel 28 und 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum – Kohärenz des Steuersystems – Wohnungspolitik“
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 26. Oktober 2006
Leitsätze des Urteils
Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Niederlassungsfreiheit – Unionsbürgerschaft – Steuerrecht
(Artikel 18 EG, 39 EG und 43 EG; EWR-Abkommen, Artikel 28 und 31)
Ein Mitgliedstaat, der Steuervorschriften beibehält, in denen die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, die dem Steuerpflichtigen oder Angehörigen seines Haushalts dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken dienen sollen, davon abhängig gemacht wird, dass die erzielten Gewinne in den Erwerb von im Inland gelegenen Immobilien reinvestiert werden, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 18 EG, 39 EG und 43 EG sowie aus den Artikeln 28 und 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).
Denn Steuerpflichtige, die sich dazu entschließen, die zu Wohnzwecken genutzte Immobilie, die sie in diesem Mitgliedstaat besitzen, zu verkaufen, um in Ausübung des Rechts jedes Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, das in Artikel 43 EG hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit und in Artikel 39 EG hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eine besondere Ausprägung erfahren hat, sowie ihrer Rechte aus den Artikeln 28, betreffend die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, und 31, betreffend die Niederlassungsfreiheit, des EWR-Abkommens ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dort eine neue Immobilie zu Wohnzwecken zu erwerben, erfahren eine steuerliche Behandlung, die sie im Vergleich zu der steuerlichen Behandlung von Personen, die ihren Wohnsitz im betreffenden Mitgliedstaat beibehalten, benachteiligt.
Die Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren, kann diese unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen, da ein auf diesen Rechtfertigungsgrund gestütztes Argument nur dann Erfolg haben kann, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht, was vorliegend nicht der Fall ist.
Da die Bestimmungen des EG-Vertrags und des EWR-Abkommens über die Freizügigkeit einer solchen Regelung entgegenstehen, braucht diese nicht gesondert anhand des Artikels 56 Absatz 1 EG und des Artikels 40 des EWR-Abkommens geprüft zu werden, die beide den freien Kapitalverkehr zum Gegenstand haben.
(vgl. Randnrn. 13, 21, 43, 45, Tenor 1)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
26. Oktober 2006(*)
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Steuerrecht – Voraussetzungen für die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien – Artikel 18 EG, 39 EG und 43 EG – Artikel 28 und 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum – Kohärenz des Steuersystems – Wohnungspolitik“
In der Rechtssache C-345/05
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 21. September 2005,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Portugiesische Republik, vertreten durch L. Fernandes und J. Menezes Leitão als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter R. Schintgen, P. Kūris, G. Arestis (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2006,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 In ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 18 EG, 39 EG, 43 EG und 56 Absatz 1 EG sowie den Artikeln 28, 31 und 40 des Abkommens vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass sie die Steuervorschriften beibehalten hat, in denen die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, die dem Steuerpflichtigen oder Angehörigen seines Haushalts dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken dienen sollen, davon abhängig gemacht wird, dass die erzielten Gewinne in den Erwerb von in Portugal gelegenen Immobilien reinvestiert werden.
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen
2 Artikel 6 des EWR-Abkommens sieht vor:
„Unbeschadet der künftigen Entwicklungen der Rechtsprechung werden die Bestimmungen dieses Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie der aufgrund dieser beiden Verträge erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat.“
3 Artikel 28 des EWR-Abkommens bestimmt:
„(1) Zwischen den EG-Mitgliedstaaten [den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft] und den EFTA-Staaten [den Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation] wird die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hergestellt.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der EG-Mitgliedstaaten und der EFTA-Staaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
(3) Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht,
a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;
b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der EG-Mitgliedstaaten und der EFTA-Staaten frei zu bewegen;
c) sich im Hoheitsgebiet eines EG-Mitgliedstaats oder eines EFTA-Staates aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;
d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines EG-Mitgliedstaats oder eines EFTA-Staates zu verbleiben.
…“
4 Artikel 31 Absatz 1 des EWR-Abkommens lautet:
„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt die freie Niederlassung von Staatsangehörigen eines EG-Mitgliedstaats oder eines EFTA-Staates im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten keinen Beschränkungen. Das gilt gleichermaßen für die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines EG-Mitgliedstaats oder eines EFTA-Staates, die im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten ansässig sind.
… [D]ie Niederlassungsfreiheit [umfasst] die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 34 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.“
Nationales Recht
5 Artikel 10 des Código do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Singulares (Einkommensteuergesetzes), der durch das Decreto-Lei Nr. 442/88 vom 30. November 1988 gebilligt wurde, in der Fassung des Decreto-Lei Nr. 198/2001 vom 3. Juli 2001 (Diário da República I, Serie A, Nr. 152 vom 3. Juli 2001) (im Folgenden: CIRS) sieht vor:
„1. Veräußerungsgewinne sind die erzielten Gewinne, die keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb und kein Erwerbseinkommen, keine Kapitalerträge oder Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen darstellen und sich aus Folgendem ergeben:
a) aus der entgeltlichen Veräußerung dinglicher Rechte an Immobilien und der Verwendung von Gütern des Privatvermögens für die unternehmerische oder Erwerbstätigkeit, die ihr Eigentümer persönlich ausübt;
…
3. Die Gewinne gelten unbeschadet der Bestimmungen der folgenden Unterabsätze im Zeitpunkt der Vornahme der in Absatz 1 vorgesehenen Rechtsakte als erzielt.
a) Im Fall einer Kauf- und Verkaufs- oder Tauschzusage gilt der Gewinn als in dem Zeitpunkt erzielt, in dem die Güter, die den Gegenstand des Vertrages bilden, übertragen oder in Besitz genommen werden.
b) Im Fall der Verwendung von Gütern des Privatvermögens für die unternehmerische oder Erwerbstätigkeit, die ihr Eigentümer persönlich ausübt, gilt der Gewinn erst in dem Zeitpunkt als erzielt, in dem die betreffenden Güter später entgeltlich veräußert werden oder ein anderer Umstand eintritt, der zur Erzielung von Ergebnissen unter entsprechenden Bedingungen führt.
4. Der der Einkommensteuer unterliegende Gewinn besteht in:
a) der Differenz zwischen dem Veräußerungspreis und dem Wert beim Erwerb, beide in den Fällen des Absatzes 1 Buchstaben a, b und c gegebenenfalls abzüglich des als Kapitalertrag anzusehenden Teils;
…
5. Unter den folgenden Voraussetzungen sind Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, die dem Steuerpflichtigen oder Angehörigen seines Haushalts dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken dienen sollen, von der Steuer befreit:
a) Der Veräußerungserlös wird innerhalb von 24 Monaten nach der Veräußerung in den Erwerb einer anderen Immobilie, eines Grundstücks für den Bau einer Immobilie oder in die Errichtung, den Ausbau oder den Umbau einer anderen Immobilie, die ausschließlich denselben Zweck hat, reinvestiert, sofern sie in Portugal gelegen ist;
b) der Veräußerungserlös wird für die Finanzierung des im vorstehenden Buchstaben erwähnten Erwerbs verwendet, sofern dieser in den vorhergehenden 12 Monaten erfolgte;
c) für die Anwendung der Bestimmungen des Buchstabens a muss der Steuerpflichtige die Absicht bekunden, reinvestieren zu wollen, sei es auch nur teilweise, und in der Einkommensteuererklärung für das Jahr, in dem die Veräußerung stattfand, den Betrag angeben, den er reinvestieren möchte;
d) im Fall der Reinvestition eines anderen Betrages als des nach dem vorstehenden Buchstaben angegebenen ist der Steuerpflichtige gehalten, innerhalb der ersten normalen Frist nach Ablauf des im Buchstaben a vorgesehenen 24-Monats-Zeitraums eine die frühere ersetzende Erklärung abzugeben, die die tatsächlich reinvestierten Beträge ausweist.
6. Die im vorstehenden Absatz vorgesehene Vergünstigung wird nicht gewährt, wenn:
a) der Erwerber bei der Reinvestition in den Erwerb einer anderen Immobilie diese nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Frist, innerhalb deren die Reinvestition zu erfolgen hat, für eigene Wohnzwecke oder die der Angehörigen seines Haushalts nutzt;
…“
Vorverfahren
6 Da nach Ansicht der Kommission die Bestimmungen der portugiesischen Regelung über die Besteuerung der Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien und insbesondere Artikel 10 Absatz 5 CIRS die Verpflichtungen der Portugiesischen Republik aus den Artikeln 18 EG, 39 EG, 43 EG und 56 Absatz 1 EG sowie aus den Artikeln 28, 31 und 40 des EWR-Abkommens verletzen, gab sie diesem Mitgliedstaat mit Schreiben vom 20. Februar 2003 Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
7 Die portugiesischen Behörden wiesen die Auffassung der Kommission zurück und machten geltend, dass die streitigen Bestimmungen des CIRS keine Beschränkung der Grundfreiheiten darstellten, nicht diskriminierend seien und jedenfalls durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, genauer: durch das Ziel des Schutzes des Rechts auf Wohnraum, oder aus Gründen der Kohärenz des nationalen Steuersystems gerechtfertigt seien.
8 Die Kommission war vom Vorbringen der portugiesischen Behörden nicht überzeugt und gab deshalb am 9. Juli 2004 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie ihre Ansicht wiederholte, dass die portugiesische Steuerregelung über die Voraussetzungen der Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien gegen die Freizügigkeit und die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße, und die Portugiesische Republik aufforderte, die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.
9 Da die portugiesischen Behörden in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme an ihrem Standpunkt festhielten, dass die nationale Regelung, die durch sozialpolitische Ziele gerechtfertigt sei, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
10 Zunächst ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass diese ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (vgl. Urteile vom 4. März 2004 in der Rechtssache C-334/02, Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-2229, Randnr. 21, und vom 13. Dezember 2005 in der Rechtssache C-446/03, Marks & Spencer, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 29).
11 Es ist zu untersuchen, ob die Bestimmungen der portugiesischen Regelung über die Besteuerung der Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, insbesondere Artikel 10 Absatz 5 CIRS, wie die Kommission geltend macht, die Freizügigkeit und den freien Kapitalverkehr, wie sie in den Artikeln 18 EG, 39 EG, 43 EG und 56 Absatz 1 EG sowie den Artikeln 28, 31 und 40 des EWR-Abkommens niedergelegt sind, beschränken.
Zur Freizügigkeit
12 Im Rahmen dieser Rüge macht die Kommission erstens geltend, dass die Portugiesische Republik ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 18 EG, 39 EG und 43 EG verletzt habe.
13 Artikel 18 EG, in dem das Recht eines jeden Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, hat in Artikel 43 EG hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit (Urteil vom 7. September 2006 in der Rechtssache C-470/04, N, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 22) und in Artikel 39 EG hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eine besondere Ausprägung erfahren.
14 Es ist daher zunächst zu prüfen, ob die Artikel 39 EG und 43 EG einer nationalen Regelung wie Artikel 10 Absatz 5 CIRS entgegenstehen, in der die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, die dem Steuerpflichtigen oder Angehörigen seines Haushalts dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken dienen sollen, davon abhängig gemacht wird, dass die erzielten Gewinne in den Erwerb von in Portugal gelegenen Immobilien reinvestiert werden.
15 Sämtliche Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit sollen den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen (vgl. Urteil vom 15. September 2005 in der Rechtssache C-464/02, Kommission/Dänemark, Slg. 2005, I-7929, Randnr. 34 und die dort zitierte Rechtsprechung).
16 Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden (Urteil vom 13. November 2003 in der Rechtssache C-209/01, Schilling und Fleck-Schilling, Slg. 2003, I-13389, Randnr. 25, sowie Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 35).
17 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, dass die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, auch wenn sie nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, es doch auch verbieten, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert (Urteil vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C-385/00, De Groot, Slg. 2002, I-11819, Randnr. 79).
18 Gleiches gilt für die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit. Denn nach dieser Rechtsprechung sollen diese Bestimmungen nach ihrem Wortlaut zwar insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern, verbieten es aber auch, dass der Herkunftsstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (Urteile vom 11. März 2004 in der Rechtssache C-9/02, De Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409, Randnr. 42, und vom 23. Februar 2006 in der Rechtssache C-471/04, Keller Holding, Slg. 2006, I-2107, Randnr. 30).
19 Im vorliegenden Fall trägt die Portugiesische Republik vor, dass Artikel 10 Absatz 5 CIRS die Steuerpflichtigen, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen wollten, nicht benachteilige. Diese Bestimmung sehe eine Ad-hoc-Steuerbefreiung vor, indem sie von der allgemeinen Regel der Gewinnbesteuerung eine Ausnahme mache. Unter diesen Umständen könne die Kommission nicht behaupten, dass eine solche Bestimmung die Artikel 39 EG und 43 EG missachte.
20 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Auch wenn Artikel 10 Absatz 5 CIRS einem in Portugal Einkommensteuerpflichtigen nicht verbietet, eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben oder, ganz allgemein, sein Niederlassungsrecht auszuüben, so beschränkt er doch die Ausübung dieser Rechte, da er auf Steuerpflichtige, die ihre Immobilien verkaufen möchten, um sich in einem anderen Mitgliedstaat als der Portugiesischen Republik niederzulassen, zumindest abschreckend wirkt.
21 Offensichtlich erfahren nämlich Steuerpflichtige, die sich dazu entschließen, die zu Wohnzwecken genutzte Immobilie, die sie in Portugal besitzen, zu verkaufen, um in Ausübung ihrer Rechte aus den Artikeln 39 EG und 43 EG ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dort eine neue Immobilie zu Wohnzwecken zu erwerben, eine steuerliche Behandlung, die sie im Vergleich zu der steuerlichen Behandlung von Personen, die ihren Wohnsitz in Portugal beibehalten, benachteiligt.
22 Diese Ungleichbehandlung bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen, die Auswirkungen auf das Vermögen eines Steuerpflichtigen haben kann, der seinen Wohnsitz ins Ausland verlegen möchte, ist deshalb geeignet, ihn von einer solchen Verlegung abzuhalten.
23 Daraus folgt, dass die Bestimmungen des CIRS und insbesondere Artikel 10 Absatz 5 CIRS dadurch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Niederlassungsfreiheit, wie sie durch die Artikel 39 EG und 43 EG gewährleistet werden, behindern können, dass sie die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, die dem Steuerpflichtigen oder Angehörigen seines Haushalts dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken dienen sollen, von der Voraussetzung abhängig machen, dass die erzielten Gewinne in den Erwerb von in Portugal gelegenen Immobilien reinvestiert werden.
24 Nach gefestigter Rechtsprechung können nationale Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, jedoch zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist (Urteil De Lasteyrie du Saillant, Randnr. 49, und Urteil N, Randnr. 40).
25 Hierzu macht die Portugiesische Republik geltend, da es zwischen der veräußerten Immobilie und der Immobilie, die mittels der Reinvestition des Verkaufserlöses für diese Immobilie erworben werde, einen untrennbaren Zusammenhang aufgrund funktioneller Identität gebe, sei Artikel 10 Absatz 5 CIRS aus Gründen der Kohärenz des Steuersystems gerechtfertigt. Denn es bestehe eine direkte Korrelation zwischen dem Steuervorteil und der Besteuerung im Rahmen derselben Veranlagung, die ein- und denselben Steuerpflichtigen betreffe.
26 Es ist zum einen festzustellen, dass das Vorbringen der Portugiesischen Republik nicht auszuschließen vermag, dass einem vorher in Portugal ansässigen Steuerpflichtigen eine in einem anderen Mitgliedstaat als der Portugiesischen Republik erworbene Immobilie ebenso gut dauerhaft für eigene Wohnzwecke dienen kann. Für den Fall, dass diese Immobilie mithilfe des Erlöses aus dem Verkauf der dem Steuerpflichtigen zu Wohnzwecken dienenden Immobilie in Portugal erworben werden sollte, tritt außerdem entgegen dem, was die portugiesischen Behörden im Kern vortragen, die erworbene an die Stelle der veräußerten Immobilie und erfüllt innerhalb des Vermögens des Steuerpflichtigen dieselbe Funktion wie die ursprünglich in seinem Besitz befindliche Immobilie.
27 Zum anderen ergibt eine Prüfung des Artikels 10 Absatz 5 CIRS, dass entgegen der von der Portugiesischen Republik im vorliegenden Fall geäußerten Ansicht der behauptete Zusammenhang zwischen dem Vorteil, der dem Steuerpflichtigen gewährt wird, und seiner Besteuerung fraglich ist. Die zukünftige Besteuerung der Veräußerungsgewinne kann nämlich nur dann stattfinden, wenn diese Gewinne tatsächlich realisiert werden. Solange der Betroffene neues Wohneigentum erwirbt, um in Portugal zu wohnen, kann er zudem stets die Befreiung nach Artikel 10 Absatz 5 CIRS in Anspruch nehmen.
28 Unter diesen Umständen können die portugiesischen Behörden nicht behaupten, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem in der genannten nationalen Bestimmung vorgesehenen Steuervorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung gebe.
29 Zwar hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu wahren, eine Beschränkung der Ausübung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann. Ein auf diesen Rechtfertigungsgrund gestütztes Argument kann aber nur dann Erfolg haben, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil Keller Holding, Randnr. 40 und die dort zitierte Rechtsprechung), was vorliegend nicht der Fall ist.
30 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass das Vorbringen, dass die nationale Regelung über die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Immobiliengeschäften durch die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Kohärenz des Steuersystems gerechtfertigt sei, zurückzuweisen ist.
31 Die Portugiesische Republik trägt außerdem vor, dass Artikel 10 Absatz 5 CIRS den Schutz und den Fortbestand der eigenen Wohnung des Steuerpflichtigen und der seinem Haushalt angehörenden Personen sicherstellen solle und sie dem Steuerpflichtigen deshalb ein Recht auf Wohnraum gewähre, das verfassungsrechtlich geboten sei.
32 Selbst wenn ein solches Argument geeignet wäre, die Behinderung der Freizügigkeit zu rechtfertigen, geht die in Artikel 10 Absatz 5 CIRS aufgestellte Voraussetzung der Reinvestition in Portugal jedenfalls über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist.
33 Wenn nämlich das Ziel dieser nationalen Bestimmung in der Sicherstellung eines Rechts auf Wohnraum besteht, kann es verfolgt werden, ohne dass eine Reinvestition im Inland vorgeschrieben werden muss.
34 Die Portugiesische Republik trägt hierzu allerdings vor, dass die Abschaffung der Voraussetzung der Reinvestition der Veräußerungsgewinne im Inland eine mittelbare Finanzierung der Wohnungspolitik anderer Mitgliedstaaten zur Folge hätte.
35 Selbst wenn dieses Argument stichhaltig wäre, beweist es jedoch nicht, dass die streitige Bestimmung zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist. Im Gegenteil wird das in Randnummer 31 des vorliegenden Urteils erwähnte Ziel, ein Recht auf Wohnraum sicherzustellen, ebenso gut erreicht, wenn der Steuerpflichtige sich dazu entschließt, seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, anstatt in Portugal zu bleiben. Daher ist der Umstand der angeblichen mittelbaren Finanzierung der Wohnungspolitik anderer Mitgliedstaaten in Bezug auf dieses Ziel unerheblich.
36 Da nicht nachgewiesen ist, dass die in Rede stehende nationale Regelung, nämlich Artikel 10 Absatz 5 CIRS, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, verstößt sie gegen die Artikel 39 EG und 43 EG.
37 Dies gilt aus denselben Gründen hinsichtlich der nicht wirtschaftlich tätigen Personen auch für die auf Artikel 18 EG gestützte Rüge.
38 Die Kommission macht zweitens geltend, dass die Portugiesische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 28 und 31 des EWR-Abkommens verstoßen habe, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Niederlassungsfreiheit betreffen.
39 Nach Artikel 6 des EWR-Abkommens werden dessen Bestimmungen, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des EG-Vertrags und der aufgrund dieses Vertrages erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat.
40 Zudem haben sowohl der Gerichtshof als auch der EFTA-Gerichtshof die Notwendigkeit anerkannt, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWR-Abkommens, die im Wesentlichen mit denen des Vertrages identisch sind, einheitlich ausgelegt werden (Urteil Keller Holding, Randnr. 48 und die dort zitierte Rechtsprechung).
41 Die Regelungen der Artikel 28 und 31 des EWR-Abkommens, die Beschränkungen der Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit verbieten, sind mit denen der Artikel 39 EG und 43 EG identisch.
42 Unter diesen Umständen ist die Klage der Kommission, was die Rüge des Verstoßes gegen die Bestimmungen des EWR-Abkommens über die Freizügigkeit angeht, begründet.
43 Daher ist festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 18 EG, 39 EG und 43 EG sowie aus den Artikeln 28 und 31 des EWR-Abkommens verstoßen hat, dass sie Steuervorschriften wie Artikel 10 Absatz 5 CIRS beibehalten hat, in denen die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, die dem Steuerpflichtigen oder Angehörigen seines Haushalts dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken dienen sollen, davon abhängig gemacht wird, dass die erzielten Gewinne in den Erwerb von in Portugal gelegenen Immobilien reinvestiert werden.
Zum freien Kapitalverkehr
44 Die Kommission beantragt außerdem, festzustellen, dass die Portugiesische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 56 Absatz 1 EG und Artikel 40 des EWR-Abkommens verstoßen hat.
45 Da die Bestimmungen des EG-Vertrags und des EWR-Abkommens über die Freizügigkeit der streitigen Regelung entgegenstehen, braucht diese nicht gesondert anhand des Artikels 56 Absatz 1 EG und des Artikels 40 des EWR-Abkommens geprüft zu werden, die beide den freien Kapitalverkehr zum Gegenstand haben (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2002 in der Rechtssache C-483/99, Kommission/Frankreich, Slg. 2002, I-4781, Randnr. 56).
Kosten
46 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Portugiesische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 18 EG, 39 EG und 43 EG sowie aus den Artikeln 28 und 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, dass sie Steuervorschriften wie Artikel 10 Absatz 5 des Código do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Singulares beibehalten hat, in denen die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von Immobilien, die dem Steuerpflichtigen oder Angehörigen seines Haushalts dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken dienen sollen, davon abhängig gemacht wird, dass die erzielten Gewinne in den Erwerb von in Portugal gelegenen Immobilien reinvestiert werden.
2. Die Republik Portugal trägt die Kosten.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Portugiesisch.