Verbundene Rechtssachen C-18/05 und C-155/05
Casa di cura privata Salus SpA
gegen
Agenzia delle Entrate – Ufficio di Napoli 4
und
Agenzia delle Entrate – Ufficio di Firenze 1
gegen
Villa Maria Beatrice Hospital Srl
(Vorabentscheidungsersuchen der Commissione tributaria provinciale di Napoli und der Commissione tributaria regionale di Firenze)
„Artikel 104 § 3 Absatz 2 der Verfahrensordnung – Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 13 Teil B Buchstabe c – Befreiungen – Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren und für die kein Recht auf Vorsteuerabzug geltend gemacht werden konnte“
Beschluss des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 6. Juli 2006
Leitsätze des Beschlusses
Steuerrecht – Harmonisierung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befreiungen nach der Sechsten Richtlinie
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 13 Teil B Buchstabe c)
Artikel 13 Teil B Buchstabe c erster Teil der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ist dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Befreiung nur für den Wiederverkauf von Gegenständen gilt, die zuvor von einem Steuerpflichtigen für Zwecke einer aufgrund dieses Artikels von der Steuer befreiten Tätigkeit erworben wurden, sofern für die anlässlich des ersten Erwerbs dieser Gegenstände entrichtete Mehrwertsteuer kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte.
(vgl. Randnr. 31 und Tenor)
BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
6. Juli 2006(*)
„Artikel 104 § 3 Absatz 2 der Verfahrensordnung – Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 13 Teil B Buchstabe c – Befreiungen – Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren und für die kein Recht auf Vorsteuerabzug geltend gemacht werden konnte“
In den verbundenen Rechtssachen C-18/05 und C-155/05
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Commissione tributaria provinciale Neapel (C-18/05) und von der Commissione tributaria regionale Florenz (C-155/05) (Italien) mit Entscheidungen vom 15. Juli 2004 und 23. März 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Januar 2005 und 6. April 2005, in den Verfahren
Casa di cura privata Salus SpA (C-18/05)
gegen
Agenzia delle Entrate – Ufficio di Napoli 4
und
Agenzia delle Entrate – Ufficio di Firenze 1 (C-155/05)
gegen
Villa Maria Beatrice Hospital Srl
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Makarczyk (Berichterstatter) sowie der Richter R. Schintgen und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
nach Mitteilung an die vorlegenden Gerichte, dass der Gerichtshof gemäß Artikel 104 § 3 Absatz 2 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden beabsichtigt,
nach Aufforderung der Beteiligten im Sinne von Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes zur Einreichung etwaiger Stellungnahmen,
nach Anhörung der Generalanwältin
folgenden
Beschluss
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen in erster Linie die Auslegung von Artikel 13 Teil B Buchstabe c erster Teil der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
2 In Artikel 13 der Sechsten Richtlinie heißt es:
„A. Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten
(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
b) die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
...
B. Sonstige Steuerbefreiungen
Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
c) die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine auf Grund dieses Artikels oder des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b) von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte, sowie die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung nach Artikel 17 Absatz 6 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war;
…“
3 Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,
b) die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände geschuldet wird oder entrichtet worden ist;
...“
Nationales Recht
4 Nach Artikel 10 des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 633 vom 26. Oktober 1972 über die Einführung und das System der Mehrwertsteuer (decreto del Presidente della Repubblica n. 633, recante istituzione e disciplina dell’imposta sul valore aggiunto) (Supplemento ordinario Nr. 1 zu GURI Nr. 292 vom 11. November 1972; im Folgenden: DPR Nr. 633/1972) sind von der Mehrwertsteuer befreit:
„...
18) medizinische Leistungen der Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation gegenüber Personen im Rahmen der Ausübung der reglementierten Heilberufe im Sinne von Artikel 99 des testo unico der Gesetze über die Gesundheit, verabschiedet durch Regio decreto [Königliches Dekret] Nr. 1265 vom 27. Juli 1934 in der später geänderten Fassung, oder die in einem Dekret des Gesundheitsministers im Einvernehmen mit dem Finanzminister vorgesehen sind;
19) Unterbringungs- und Pflegeleistungen von Vertragskrankenhäusern, -kliniken oder -pflegeheimen, von Hilfsvereinen auf Gegenseitigkeit mit Rechtspersönlichkeit und von [sozialen Organisationen ohne Erwerbszweck] einschließlich der Verabreichung von Arzneimitteln, medizinischer Hilfsmittel und Verpflegung sowie Kurleistungen von Badeanstalten“.
5 Artikel 1 Absatz 4 des Decreto legislativo Nr. 313 vom 2. September 1997 (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 313/1997) fügte in Artikel 10 des DPR Nr. 633/1972 einen Absatz 27 quinquies ein, der bestimmt, dass „Lieferungen von Gegenständen, die ohne ein Recht auf vollen Vorsteuerabzug im Sinne der Artikel 19, 19bis Absatz 1 und 19bis Absatz 2 erworben oder eingeführt worden sind“, von der Mehrwertsteuer befreit sind.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-18/05
6 Die Casa di cura privata Salus SpA (im Folgenden: Salus) ist eine medizinische Einrichtung, die ihre Tätigkeiten im Gesundheitswesen im Rahmen von mit dem Servizio Sanitario Nazionale (staatlicher Gesundheitsdienst) abgeschlossenen Vereinbarungen ausübt. Diese Tätigkeiten sind nach der nationalen Regelung, die Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie umsetzte, von der Mehrwertsteuer befreit.
7 Salus trug vor, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichte, auch die Lieferungen von Gegenständen von der Steuer zu befreien, die ausschließlich für von der Steuer befreite Tätigkeiten bestimmt seien, und beantragte daher bei der Agenzia delle Entrate – Ufficio di Napoli 4 (Finanzamt Neapel 4) die Erstattung des Betrages von 2 880 535 000 ITL (1 487 672,17 Euro), die sie in den Jahren 1998 bis 2000 als Mehrwertsteuer gezahlt hatte. Gegen die stillschweigende ablehnende Entscheidung der Finanzverwaltung erhob Salus am 13. März 2003 eine Klage bei der Commissione tributaria provinciale Neapel.
8 Das vorlegende Gericht weist auf Divergenzen der italienischen Rechtsprechung bei der Anwendung der in Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung von Lieferungen von Gegenständen, die für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt sind, hin.
9 Der überwiegende Teil der Rechtsprechung lege diese Vorschrift so aus, dass sie eine Befreiung mit objektivem Charakter vorsehe, die allein aufgrund der Tatsache erfolge, dass die erworbenen Gegenstände bei steuerbefreiten Umsätzen verwendet würden, so dass Erstattungsanträgen für nicht abgezogene Steuern in ähnlichen Fällen wie dem vorliegenden stattgegeben werde.
10 Nach einer Mindermeinung der Rechtsprechung dagegen, der das vorlegende Gericht sich anschließe, betreffe die genannte Vorschrift nur die Steuerbefreiung der Lieferung von Gegenständen durch Personen, die wegen der Befreiung ihrer Tätigkeit kein Abzugsrecht hätten, soweit der gelieferte Gegenstand ausschließlich für eine befreite Tätigkeit bestimmt sei.
11 Die Commissione tributaria provinciale Neapel hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Bezieht sich die Befreiung nach Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie auf die entrichtete Vorsteuer für die Anschaffung von Gegenständen, die für von der Steuer befreite Umsätze bestimmt waren, oder auf Sachverhalte, bei denen derjenige, der für solche Umsätze bestimmte Gegenstände erworben hat, sie später an Dritte liefert?
2. Enthält diese Vorschrift unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen, die deshalb in der nationalen Rechtsordnung unmittelbar anwendbar sind?
3. Welche Bedeutung hat für die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Vorschrift (Teil B Buchstabe c) die Bedingungen „zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen“ festzusetzen haben?
Rechtssache C-155/05
12 Am 16. September 2002 stellte die Villa Maria Beatrice Hospital Srl (im Folgenden: VMB Hospital) bei der Agenzia delle Entrate – Ufficio di Firenze 1 (Finanzamt Florenz 1) neun Anträge auf Erstattung, zum einen über den Betrag von 1 799 779,46 Euro nebst angefallenen und anfallenden Zinsen für in den Jahren 1998 bis 2000 rechtsgrundlos gezahlte Mehrwertsteuer und zum anderen über einen Gesamtbetrag von 1 987 090,64 Euro für in den Jahren 1992 bis 1997 entrichtete Mehrwertsteuer. Die genannten Anträge wurden stillschweigend abgelehnt. VMB Hospital erhob am 15. April 2003 eine Klage bei der Commissione tributaria provinciale Florenz.
13 VMB Hospital trug vor, dass ihre Haupttätigkeit Unterbringungs- und Pflegeleistungen im Gesundheitsbereich entsprechend der Zulassungsregelung des Servizio Sanitario Nazionale sei, was eine nach der nationalen Regelung, die Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie umsetzte, von der Mehrwertsteuer befreite Tätigkeit sei.
14 VMB Hospital machte insbesondere geltend, dass die Lieferung von Gegenständen, die ausschließlich für in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie genannte Tätigkeiten bestimmt seien, vom italienischen Gesetzgeber nicht von der Steuer befreit worden sei, so dass sie keinen vollen Vorsteuerabzug für die betreffenden Lieferungen der Jahre 1992 bis 2000 habe vornehmen können. VMB Hospital brachte zudem vor, dass das Decreto legislativo Nr. 313/1997, das nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juni 1997 in der Rechtssache C-45/95 (Kommission/Italien, Slg. 1997, I-3605) erlassen worden sei, die Sechste Richtlinie nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt habe.
15 Mit Urteil vom 3. Dezember 2003 – 19. Januar 2004 gab die Commissione tributaria provinciale Florenz der Klage statt.
16 Am 20. Mai 2004 legte das Finanzamt Florenz 1 bei dem vorlegenden Gericht Berufung gegen dieses Urteil ein und trug insbesondere vor, dass das erstinstanzliche Gericht Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie falsch ausgelegt habe.
17 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Änderung von Artikel 10 des DPR Nr. 633/1972 durch das Decreto legislativo Nr. 313/1997 nicht etwa eine generelle Befreiung für alle Gegenstände bewirke, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder sonst vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen seien, wie im genannten Urteil Kommission/Italien festgestellt worden sei, sondern die Befreiung auf Veräußerungen von Gegenständen beschränke, die ohne ein Recht auf entsprechenden vollen Vorsteuerabzug erworben oder eingeführt worden seien. Die Befreiung gelte deshalb nur für Gegenstände, die ohne ein Recht auf Vorsteuerabzug erworben, für von der Steuer befreite Umsätze verwendet und anschließend wiederverkauft würden.
18 Die Commissione tributaria regionale Florenz hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist nach der Einführung von Artikel 10 Absatz 27 quinquies des DPR Nr. 633/1972 davon auszugehen, dass die Italienische Republik ihren Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie, insbesondere aus deren Artikel 13 Teil B Buchstabe c, noch immer nicht nachgekommen ist?
Zur Verbindung der Rechtssachen C-18/05 und C-155/05
19 Da diese beiden Rechtssachen in Zusammenhang stehen, sind sie nach Artikel 43 in Verbindung mit Artikel 103 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.
Zur ersten Vorlagefrage in der Rechtssache C-18/05 und zur Vorlagefrage in der Rechtssache C-155/05
20 Der Gerichtshof hat in der Erwägung, dass die Antwort auf diese Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, die vorlegenden Gerichte gemäß Artikel 104 § 3 Absatz 2 seiner Verfahrensordnung davon unterrichtet, dass er durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden beabsichtigt, und den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung hierzu gegeben.
21 Salus und VMB Hospital bleiben in ihren Stellungnahmen bei ihren jeweiligen Positionen und schlagen vor, die vorgelegte Frage in dem Sinne zu beantworten, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie bedeute, dass die an eine Person, die ausschließlich eine befreite Tätigkeit ausübt, gelieferten Gegenstände, für die kein Vorsteuerabzug vorgenommen wurde, selbst auch von der Steuer befreit sein oder ein Vorsteuerabzugsrecht eröffnen müssten.
Vorbemerkungen
22 Zunächst ist zu der in der Rechtssache C-155/05 vorgelegten Frage darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen von Artikel 234 EG weder zur Auslegung innerstaatlicher Rechts- oder Verwaltungsvorschriften noch zu Äußerungen zu deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht befugt ist (in diesem Sinne Urteile vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121, Randnr. 33, und vom 4. März 2004 in den Rechtssachen C-19/01, C-50/01 und C-84/01, Barsotti u. a., Slg. 2004, I-2005, Randnr. 30).
23 Jedoch obliegt es dem Gerichtshof, im Fall ungenau formulierter oder den Rahmen seiner Befugnisse nach Artikel 234 EG überschreitender Fragen aus dem gesamten von dem vorlegenden Gericht vorgelegten Material (insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung) diejenigen Elemente des Gemeinschaftsrechts herauszuarbeiten, die angesichts des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (in diesem Sinne Urteile vom 29. November 1978 in der Rechtssache 83/78, Pigs Marketing Board, Slg. 1978, 2347, Randnr. 26; vom 17. Juni 1997 in der Rechtssache C-105/96, Codiesel, Slg. 1997, I-3465, Randnr. 13, und vom 26. Mai 2005 in der Rechtssache C-536/03, António Jorge, Slg. 2005, I-4463, Randnr. 16).
24 Im Licht der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C-155/05 ist davon auszugehen, dass das nationale Gericht um Auslegung von Artikel 13 Teil B Buchstabe c erster Teil der Sechsten Richtlinie ersucht.
Zu den Vorlagefragen
25 Mit ihren Fragen wollen die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die in Artikel 13 Teil B Buchstabe c erster Teil der Sechsten Richtlinie vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung die für die Anschaffung von Gegenständen, die ausschließlich einer der in diesem Artikel vorgesehenen Tätigkeiten zugeordnet sind, entrichtete Vorsteuer betrifft oder ob diese Befreiung nur für den Wiederverkauf solcher Gegenstände gilt.
26 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Steuerbefreiungen in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung oder Lieferung eines Gegenstands, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt oder vornimmt, der Mehrwertsteuer unterliegt (in diesem Sinne Urteile vom 26. Mai 2005 in der Rechtssache C-498/03, Kingscrest Associates und Montecello, Slg. 2005, I-4427, Randnr. 29, und vom 9. Februar 2006 in der Rechtssache C-415/04, Kinderopvang Enschede, Slg. 2006, I-1385, Randnr. 13).
27 Diese Steuerbefreiungen sind autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen, und erfordern daher eine gemeinschaftsrechtliche Definition (in diesem Sinne Urteile vom 20. November 2003 in der Rechtssache C-8/01, Taksatorringen, Slg. 2003, I-13711, Randnr. 37; vom 18. November 2004 in der Rechtssache C-284/03, Temco Europe, Slg. 2004, I-11237, Randnr. 16, und vom 1. Dezember 2005 in den Rechtssachen C-394/04 und C-395/04, Ygeia, Slg. 2005, I-10373, Randnr. 15).
28 Des Näheren verpflichtet der erste Teil des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten, Gegenstände, die ausschließlich für eine aufgrund dieses Artikels von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, von der Steuer zu befreien, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte (in diesem Sinne Urteil Kommission/Italien, Randnr. 12).
29 Überdies hat der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie eine Doppelbesteuerung verhindern soll, die dem Grundsatz der Steuerneutralität zuwiderliefe, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt (Urteil Kommission/Italien, Randnr. 15).
30 Die im ersten Teil des Artikels 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung ermöglicht es, zu vermeiden, dass der Wiederverkauf von Gegenständen, die zuvor von einem Steuerpflichtigen für Zwecke einer aufgrund dieses Artikels befreiten Tätigkeit erworben wurden, wobei die Mehrwertsteuer endgültig und ohne Abzugsmöglichkeit entrichtet wurde, zu einer erneuten Besteuerung führt.
31 Folglich ist auf die erste Vorlagefrage in der Rechtssache C-18/05 und auf die einzige Vorlagefrage in der Rechtssache C-155/05 zu antworten, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe c erster Teil der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Befreiung nur für den Wiederverkauf von Gegenständen gilt, die zuvor von einem Steuerpflichtigen für Zwecke einer aufgrund dieses Artikels von der Steuer befreiten Tätigkeit erworben wurden, sofern für die anlässlich des ersten Erwerbs dieser Gegenstände entrichtete Mehrwertsteuer kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte.
Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage in der Rechtssache C-18/05
32 Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die zweite und die dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C-18/05 unter Berücksichtigung der Antwort auf die in dieser Rechtssache gestellte erste Frage für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht mehr erheblich sind. Demnach erübrigt sich ihre Beantwortung.
Kosten
33 Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 13 Teil B Buchstabe c erster Teil der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Befreiung nur für den Wiederverkauf von Gegenständen gilt, die zuvor von einem Steuerpflichtigen für Zwecke einer aufgrund dieses Artikels von der Steuer befreiten Tätigkeit erworben wurden, sofern für die anlässlich des ersten Erwerbs dieser Gegenstände entrichtete Mehrwertsteuer kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Italienisch.