Rechtssache C-282/07
État belge – SPF Finances
gegen
Truck Center SA
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'appel de Liège)
„Niederlassungsfreiheit – Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG) – Freier Kapitalverkehr – Art. 73b und 73d EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG und 58 EG) – Besteuerung juristischer Personen – Einkünfte aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern – Steuerabzug an der Quelle – Mobiliensteuervorabzug – Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf die gebietsfremden Gesellschaften gezahlten Zinsen – Keine Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf die gebietsansässigen Gesellschaften gezahlten Zinsen – Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Keine Beschränkung“
Leitsätze des Urteils
Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Kapitalverkehr – Steuerrecht – Körperschaftsteuer
(EG-Vertrag, Art. 52 [nach Änderung jetzt Art. 43 EG], Art. 58 [jetzt Art. 48 EG], Art. 73b und 73d [jetzt Art. 56 EG und 58 EG)
Die Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG), 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG), 73b EG-Vertrag und 73d EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG und 58 EG) sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der die Steuer auf die von einer Gesellschaft mit Sitz in diesem Staat an eine Empfängergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Zinsen an der Quelle einbehalten wird, während die Zinsen, die an eine Empfängergesellschaft mit Sitz im ersten Mitgliedstaat fließen, deren Einkünfte dort der Körperschaftsteuer unterliegen, von diesem Einbehalt freigestellt sind.
Die unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften, denen Kapitalerträge zufließen, durch eine solche Steuerregelung, die in der Anwendung unterschiedlicher Besteuerungstechniken besteht, je nachdem, ob diese Gesellschaften ihren Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat haben, betrifft nämlich Sachverhalte, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind. Erstens ist, wenn die zinszahlende und die zinsempfangende Gesellschaft ihren Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben, die Stellung dieses Staats eine andere als in dem Fall, in dem eine gebietsansässige Gesellschaft Zinsen an eine gebietsfremde Gesellschaft zahlt, weil der Mitgliedstaat im ersten Fall in seiner Eigenschaft als Sitzstaat der betroffenen Gesellschaften und im zweiten Fall als Quellenstaat hinsichtlich der Zinsen handelt. Zweitens führen die Zahlung von Zinsen durch eine gebietsansässige Gesellschaft an eine andere gebietsansässige Gesellschaft und die Zahlung von Zinsen durch eine gebietsansässige Gesellschaft an eine gebietsfremde Gesellschaft zu unterschiedlichen Besteuerungen, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen aufbauen. So werden zum einen die von einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine andere gebietsansässige Gesellschaft gezahlten Zinsen von dem betreffenden Staat besteuert, weil sie bei der letztgenannten Gesellschaft wie deren andere Einkünfte auch der Körperschaftsteuer unterliegen. Zum anderen erfolgt der Einbehalt des Mobiliensteuervorabzugs an der Quelle gemäß der Befugnis, die sich dieser Staat und der andere Mitgliedstaat mit einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei der Aufteilung ihrer Steuerhoheit gegenseitig zugestanden haben. Diese unterschiedlichen Steuererhebungsmodalitäten sind somit die logische Folge der unterschiedlichen Besteuerung von gebietsansässigen und gebietsfremden Empfängergesellschaften. Schließlich spiegeln diese unterschiedlichen Erhebungstechniken die unterschiedliche Lage dieser Gesellschaften im Hinblick auf die Einziehung der Steuer wider, da die gebietsansässigen Gesellschaften unmittelbar der Kontrolle der Steuerverwaltung des betreffenden Mitgliedstaats unterliegen, was bei den gebietsfremden Empfängergesellschaften nicht der Fall ist, weil bei ihnen für die Steuereinziehung die Unterstützung der Steuerverwaltung ihres Sitzstaats erforderlich ist.
Die unterschiedliche Behandlung, die sich aus einer solchen Steuerregelung ergibt, verschafft außerdem den gebietsansässigen Empfängergesellschaften nicht unbedingt einen Vorteil, da zum einen diese Gesellschaften Körperschaftsteuervorauszahlungen leisten müssen und zum anderen der Satz des Mobiliensteuervorabzugs, der auf die an eine gebietsfremde Gesellschaft gezahlten Zinsen erhoben wird, deutlich niedriger ist als der Körperschaftsteuersatz, der auf die Einkünfte der zinsempfangenden gebietsansässigen Gesellschaften erhoben wird.
Unter diesen Umständen stellt die besagte unterschiedliche Behandlung weder eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 52 EG-Vertrag noch eine Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne des Art. 73b EG-Vertrag dar.
(vgl. Randnrn. 41-52 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
22. Dezember 2008(*)
„Niederlassungsfreiheit – Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG) – Freier Kapitalverkehr – Art. 73b und 73d EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG und 58 EG) – Besteuerung juristischer Personen – Einkünfte aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern – Steuerabzug an der Quelle – Mobiliensteuervorabzug – Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf die gebietsfremden Gesellschaften gezahlten Zinsen – Keine Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf die gebietsansässigen Gesellschaften gezahlten Zinsen – Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Keine Beschränkung“
In der Rechtssache C-282/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour d’appel de Liège (Belgien) mit Entscheidung vom 6. Juni 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2007, in dem Verfahren
État belge – SPF Finances
gegen
Truck Center SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters T. von Danwitz, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis und J. Malenovský,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Truck Center SA, vertreten durch X. Thiebaut und X. Pace, avocats,
– der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch J.-C. Gracia als Bevollmächtigten,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. I. Fernandes und V. B. Guimarães als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch T. Harris als Bevollmächtigte im Beistand von K. Bacon, Barrister,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-P. Keppenne und R. Lyal als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 18. September 2008
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 73b und 73d EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG und 58 EG).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem belgischen Staat und der in Belgien ansässigen Truck Center SA (vormals Truck Restaurant Habay, im Folgenden: Truck Center) über die Besteuerung von Zinsen, die diese Gesellschaft in den Jahren 1994 bis 1996 auf ein von der in Luxemburg ansässigen SA Wickler Finances (im Folgenden: Wickler Finances) gewährtes Darlehen schuldete.
Rechtlicher Rahmen
3 Nach Angabe des vorlegenden Gerichts sind auf den Ausgangsrechtsstreit folgende Bestimmungen des nationalen Rechts anwendbar.
4 In Art. 266 des Code des impôts sur les revenus (Einkommensteuergesetzbuch) 1992 (im Folgenden: CIR 1992) heißt es:
„Der König kann unter Bedingungen und in Grenzen, die Er bestimmt, ganz oder teilweise von der Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf Einkünfte aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern und auf verschiedene Einkünfte absehen, sofern es sich um Einkünfte handelt, die von Empfängern bezogen werden, deren Identität festgestellt werden kann, …“
5 Art. 267 CIR 1992 bestimmt:
„Die Zuerkennung oder Ausschüttung der Einkünfte in bar oder in Sachleistungen bewirkt die Fälligkeit des Mobiliensteuervorabzugs. Als Zuerkennung gilt insbesondere die Buchung eines Einkommens auf einem Konto, das zugunsten des Empfängers eröffnet ist, selbst wenn dieses Konto unverfügbar ist, sofern die Unverfügbarkeit auf einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis des Empfängers beruht. …“
6 Die Art. 105 bis 119 des Arrêté royal d’exécution du Code des impôts sur les revenus 1992 (Königliche Durchführungsverordnung zum Einkommensteuergesetzbuch 1992) vom 27. August 1993 (im Folgenden: AR/CIR 1992) regeln das ganze oder teilweise Absehen von der Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs (an der Quelle einbehaltene Steuer auf Einkünfte aus beweglichem Vermögen).
7 Nach Art. 105 Nr. 3 Buchst. b AR/CIR 1992 gelten für die Zwecke der Anwendung dieser Artikel als „gewerbliche Anleger“ die inländischen Gesellschaften.
8 Nach Art. 107 § 2 Nr. 9 Buchst. c AR/CIR 1992 wird von der Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf die Einkünfte gewerblicher Anleger aus Forderungen und Darlehen ganz abgesehen.
9 In dem Abkommen zwischen Belgien und Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und dem dazugehörigen Schlussprotokoll, beide am 17. September 1970 in Luxemburg unterzeichnet (im Folgenden: belgisch-luxemburgisches Abkommen), ist die Aufteilung der Steuerhoheit zwischen dem Königreich Belgien und dem Großherzogtum Luxemburg geregelt.
10 Art. 11 dieses Abkommens bestimmt:
„§ 1. Zinsen, die aus einem Vertragsstaat stammen und einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Person zuerkannt werden, können in dem anderen Staat besteuert werden.
§ 2. Diese Zinsen können jedoch in dem Vertragsstaat, aus dem sie stammen, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; die Steuer darf aber 15 vom Hundert des Zinsbetrags nicht übersteigen.
§ 3. Abweichend von § 2 dürfen Zinsen nicht in dem Vertragsstaat besteuert werden, aus dem sie stammen, wenn sie einem Unternehmen des anderen Vertragsstaats zuerkannt werden.
Der vorstehende Unterabsatz ist nicht anzuwenden auf:
1. Zinsen aus Schuldverschreibungen und anderen Anleihepapieren, ausgenommen Wechsel über Handelsforderungen;
2. Zinsen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Gesellschaft zuerkennt, der unmittelbar oder mittelbar mindestens 25 vom Hundert der stimmberechtigten Anteile der erstgenannten Gesellschaft gehören.“
11 In Art. 23 dieses Abkommens heißt es:
„§ 1. Bei Personen, die in Luxemburg ansässig sind, wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden:
…
2. Die in Übereinstimmung mit diesem Abkommen in Belgien erhobene Steuer
…
b) auf Zinsen, die unter Art. 11 § 2 fallen, wird auf die auf diese Einkünfte in Luxemburg erhobene Steuer angerechnet. Der so abgezogene Betrag darf jedoch weder den Teil der Steuer übersteigen, der anteilig auf diese in Belgien bezogenen Einkünfte entfällt, noch den Betrag, der der Steuer entspricht, die an der Quelle in Luxemburg auf entsprechende Einkünfte einbehalten wird, die in Belgien ansässigen Personen zuerkannt werden. Diese in Belgien erhobene Steuer ist von den in Luxemburg besteuerten Einkünften nur abziehbar, soweit sie die Steuer übersteigt, die an der Quelle in Luxemburg auf entsprechende Einkünfte einbehalten wird, die in Belgien ansässigen Personen zuerkannt werden.
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
12 Am 25. Februar 1992 gewährte Wickler Finances, die 48 % des Kapitals von Truck Center hält, dieser ein Darlehen in Höhe von 50 Millionen BEF.
13 Von 1994 bis 1996 wurden die Darlehenszinsen verbucht, aber nicht gezahlt, und es wurde kein Mobiliensteuervorabzug einbehalten.
14 Am 11. Dezember 1997 erging ein Bescheid an Truck Center, mit dem sie von Amts wegen zum Mobiliensteuervorabzug zum Satz von 13,39 % für die Jahre 1994 und 1995 und zum Satz von 15 % für das Jahr 1996 veranlagt wurde.
15 Am 17. Dezember 1998 legte Truck Center beim zuständigen Regionaldirektor für Steuern Einspruch gegen diese Veranlagung von Amts wegen ein.
16 Mit Entscheidung vom 15. Dezember 2004 bestätigte der Regionaldirektor das Bestehen der Mobiliensteuervorabzugsschuld hinsichtlich der Zinsen dem Grunde nach.
17 Am 15. März 2005 erhob Truck Center Klage beim Tribunal de première instance Arlon.
18 Das Tribunal de première instance Arlon war der Ansicht, dass das belgische Recht gegen Art. 56 EG verstoße, weil es nur bei Gesellschaften mit Sitz im Königreich Belgien von der Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs absehe, und gab der Klage von Truck Center mit Urteil vom 17. Mai 2006 statt.
19 Dagegen legte der belgische Staat am 7. Juli 2006 Berufung beim vorlegenden Gericht ein.
20 Dieses hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Verstoßen die Art. 105 Nr. 3 Buchst. b und 107 § 2 Nr. 9 des in Anwendung von Art. 266 CIR 1992 ergangenen AR/CIR 1992 in Verbindung mit Art. 23 des belgisch-luxemburgischen Abkommens dadurch gegen Art. 73 des Vertrags, dass sie, weil nach Art. 107 § 2 Nr. 9 vom Mobiliensteuervorabzug nur hinsichtlich der gebietsansässigen Gesellschaften zuerkannten Zinsen abgesehen wird, zum einen insbesondere bewirken, dass gebietsansässige Gesellschaften davon abgehalten werden, Kapital bei Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat aufzunehmen, und zum anderen für Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ein Hindernis dafür darstellen, durch Vergabe von Darlehen Kapital in Gesellschaften mit Sitz in Belgien anzulegen?
Zur Vorlagefrage
21 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 73b und 73d EG-Vertrag einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der die Steuer auf die von einer Gesellschaft mit Sitz in diesem Staat an eine Empfängergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Zinsen an der Quelle einbehalten wird, während die an eine Empfängergesellschaft mit Sitz im ersten Mitgliedstaat gezahlten Zinsen von diesem Einbehalt freigestellt sind.
22 Eingangs ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung von Maßnahmen zur Vereinheitlichung oder zur gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung insbesondere nach Art. 293 zweiter Gedankenstrich EG befugt bleiben, namentlich zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (vgl. Urteile vom 12. Mai 1998, Gilly, C-336/96, Slg. 1998, I-2793, Randnrn. 24 und 30, vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN, C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 57, vom 5. Juli 2005, D., C-376/03, Slg. 2005, I-5821, Randnr. 52, vom 19. Januar 2006, Bouanich, C-265/04, Slg. 2006, I-923, Randnr. 49, vom 7. September 2006, N, C-470/04, Slg. 2006, I-7409, Randnr. 44, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 52, und vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C-170/05, Slg. 2006, I-11949, Randnr. 43).
23 Gleichwohl dürfen die Mitgliedstaaten aber bei der Ausübung der auf diese Weise aufgeteilten Steuerhoheit die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nicht außer Acht lassen (vgl. Urteile Saint-Gobain ZN, Randnr. 58, sowie Denkavit Internationaal und Denkavit France, Randnr. 44). Insbesondere erlaubt es ihnen die Aufteilung der Steuerhoheit nicht, eine gegen die Gemeinschaftsvorschriften verstoßende Diskriminierung einzuführen (Urteile Bouanich, Randnr. 50, sowie Denkavit Internationaal und Denkavit France, Randnr. 44).
24 Unter diesen Umständen ist zu bestimmen, ob eine Regelung wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende unter Art. 73b EG-Vertrag, der den freien Kapitalverkehr betrifft, oder unter die Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG), die die Niederlassungsfreiheit betreffen, fällt.
25 Hierzu ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung in den materiellen Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit die nationalen Vorschriften fallen, die anzuwenden sind, wenn ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 31, vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Randnr. 27, und vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services, C-298/05, Slg. 2007, I-10451, Randnr. 29).
26 Im vorliegenden Fall hängt die Anwendung von Art. 11 § 3 Abs. 2 Nr. 2 des belgisch-luxemburgischen Abkommens vom Umfang der Beteiligung ab, die die zinsempfangende Gesellschaft am Kapital der zinszahlenden Gesellschaft hält.
27 Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass die Zinsen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Gesellschaft zuerkennt, der unmittelbar oder mittelbar mindestens 25 vom Hundert der stimmberechtigten Anteile der erstgenannten Gesellschaft gehören, in dem Vertragsstaat, aus dem sie stammen, besteuert werden können.
28 Außerdem ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass Wickler Finances 48 % des Kapitals von Truck Center hält.
29 Eine solche Beteiligungsrate ist grundsätzlich so geartet, dass sie Wickler Finances einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen und Tätigkeiten von Truck Center gewährt.
30 Somit ist die betreffende Regelung in Ansehung der Art. 52 und 58 EG-Vertrag zu prüfen.
31 Mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 52 EG-Vertrag den Gemeinschaftsangehörigen zuerkennt und die ihnen die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Mitgliedstaat der Niederlassung für dessen eigene Angehörige festgelegten erlaubt, ist gemäß Art. 58 EG-Vertrag für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (vgl. Urteil vom 16. Juli 1998, ICI, C-264/96, Slg. 1998, I-4695, Randnr. 20, sowie Urteile Saint-Gobain ZN, Randnr. 35, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 41, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 42, sowie Denkavit Internationaal und Denkavit France, Randnr. 20).
32 Bei Gesellschaften dient der Sitz im Sinne des Art. 58 EG-Vertrag ebenso wie bei natürlichen Personen die Staatsangehörigkeit dazu, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen. Könnte der Mitgliedstaat der Ansässigkeit nach seinem Belieben eine ungleiche Behandlung allein deshalb vornehmen, weil sich der Sitz einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet, würde Art. 52 EG-Vertrag seines Sinnes entleert. Die Niederlassungsfreiheit will daher die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern, indem sie jede Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften verbietet (vgl. Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 43, Denkavit Internationaal und Denkavit France, Randnr. 22, und vom 26. Juni 2008, Burda, C-284/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 77).
33 Außerdem sind nach ständiger Rechtsprechung als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. Urteile vom 30. November 1995, Gebhard, C-55/94, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France, C-442/02, Slg. 2004, I-8961, Randnr. 11, und Columbus Container Services, Randnr. 34).
34 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Regelung, dass die Modalitäten der Steuererhebung je nach dem Ort des Sitzes der zinsempfangenden Gesellschaft unterschiedlich sind.
35 Nach dieser Regelung wird nämlich auf die Zinsen, die einer gebietsfremden Empfängergesellschaft zufließen, der Mobiliensteuervorabzug erhoben, während dies bei den einer gebietsansässigen Empfängergesellschaft zufließenden Zinsen nicht geschieht, die gegebenenfalls im Rahmen der Körperschaftsteuer, der die letztgenannte Gesellschaft unterliegt, besteuert werden.
36 Um feststellen zu können, ob eine unterschiedliche steuerliche Behandlung diskriminierend ist, ist jedoch zu prüfen, ob sich die betroffenen Gesellschaften im Hinblick auf die betreffende nationale Maßnahme in einer objektiv vergleichbaren Lage befinden (Urteil Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 46).
37 Nach ständiger Rechtsprechung besteht eine Diskriminierung in der Anwendung unterschiedlicher Vorschriften auf vergleichbare Sachverhalte oder in der Anwendung derselben Vorschrift auf unterschiedliche Sachverhalte (vgl. Urteile vom 14. Februar 1995, Schumacker, C-279/93, Slg. 1995, I-225, Randnr. 30, vom 11. August 1995, Wielockx, C-80/94, Slg. 1995, I-2493, Randnr. 17, und Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 46).
38 Im Hinblick auf die direkten Steuern befinden sich Gebietsansässige und Gebietsfremde aber in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation (Urteile Schumacker, Randnr. 31, und Wielockx, Randnr. 18).
39 Eine unterschiedliche Behandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen kann daher als solche nicht als Diskriminierung im Sinne des Vertrags eingestuft werden (vgl. Urteile Wielockx, Randnr. 19, sowie Denkavit Internationaal und Denkavit France, Randnr. 24).
40 Zu prüfen ist, ob es sich im Ausgangsverfahren so verhält.
41 Insoweit ist festzustellen, dass die unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften, denen Kapitalerträge zufließen, durch die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Steuerregelung, die in der Anwendung unterschiedlicher Besteuerungstechniken besteht, je nachdem, ob diese Gesellschaften ihren Sitz in Belgien oder in einem anderen Mitgliedstaat haben, Sachverhalte betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind.
42 Erstens nämlich ist, wenn die zinszahlende und die zinsempfangende Gesellschaft ihren Sitz in Belgien haben, die Stellung des belgischen Staats eine andere als in dem Fall, in dem eine gebietsansässige Gesellschaft Zinsen an eine gebietsfremde Gesellschaft zahlt, weil der belgische Staat im ersten Fall in seiner Eigenschaft als Sitzstaat der betroffenen Gesellschaften und im zweiten Fall als Quellenstaat hinsichtlich der Zinsen handelt.
43 Zweitens führen die Zahlung von Zinsen durch eine gebietsansässige Gesellschaft an eine andere gebietsansässige Gesellschaft und die Zahlung von Zinsen durch eine gebietsansässige Gesellschaft an eine gebietsfremde Gesellschaft zu unterschiedlichen Besteuerungen, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen aufbauen.
44 Somit werden zum einen, obschon der Mobiliensteuervorabzug nicht auf die von einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine andere gebietsansässige Gesellschaft gezahlten Zinsen erhoben wird, diese Zinsen nach dem CIR 1992 doch vom belgischen Staat besteuert, weil sie bei der letztgenannten Gesellschaft wie deren andere Einkünfte auch der Körperschaftsteuer unterliegen.
45 Zum anderen behält der belgische Staat den Mobiliensteuervorabzug auf die von einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine gebietsfremde Gesellschaft gezahlten Zinsen an der Quelle gemäß der Befugnis ein, die sich dieser Staat und das Großherzogtum Luxemburg mit dem belgisch-luxemburgischen Abkommen bei der Aufteilung ihrer Steuerhoheit gegenseitig zugestanden haben.
46 Diese unterschiedlichen Steuererhebungsmodalitäten sind somit die logische Folge der unterschiedlichen Besteuerung von gebietsansässigen und gebietsfremden Empfängergesellschaften.
47 Schließlich spiegeln diese unterschiedlichen Erhebungstechniken die unterschiedliche Lage dieser Gesellschaften im Hinblick auf die Einziehung der Steuer wider.
48 Während nämlich die gebietsansässigen Empfängergesellschaften unmittelbar der Kontrolle der belgischen Steuerverwaltung mit der Möglichkeit einer Zwangsbeitreibung der Steuer unterliegen, verhält es sich bei den gebietsfremden Empfängergesellschaften anders, weil bei ihnen für die Steuereinziehung die Unterstützung der Steuerverwaltung ihres Sitzstaats erforderlich ist.
49 Abgesehen davon, dass die unterschiedliche Behandlung, die sich aus der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Steuerregelung ergibt, Sachverhalte betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind, verschafft sie außerdem den gebietsansässigen Empfängergesellschaften nicht unbedingt einen Vorteil, da zum einen, wie die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, diese Gesellschaften Körperschaftsteuervorauszahlungen leisten müssen und zum anderen der Satz des Mobiliensteuervorabzugs, der auf die an eine gebietsfremde Gesellschaft gezahlten Zinsen erhoben wird, deutlich niedriger ist als der Körperschaftsteuersatz, der auf die Einkünfte der zinsempfangenden gebietsansässigen Gesellschaften erhoben wird.
50 Unter diesen Umständen stellt die besagte unterschiedliche Behandlung keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 52 EG-Vertrag dar.
51 Zum Vorliegen einer Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne des Art. 73b EG-Vertrag genügt der Hinweis, dass die in der vorstehenden Randnummer gezogene Schlussfolgerung auch für die Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr gilt (Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Randnr. 60, und Columbus Container Services, Randnr. 56).
52 Nach alledem ist deshalb auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 52, 58, 73b und 73d EG-Vertrag dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsrechtsstreit fraglichen nicht entgegenstehen, nach der die Steuer auf die von einer Gesellschaft mit Sitz in diesem Staat an eine Empfängergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Zinsen an der Quelle einbehalten wird, während die Zinsen, die an eine Empfängergesellschaft mit Sitz im ersten Mitgliedstaat fließen, deren Einkünfte dort der Körperschaftsteuer unterliegen, von diesem Einbehalt freigestellt sind.
Kosten
53 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG), 58 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG), 73b EG-Vertrag und 73d EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG und 58 EG) sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsrechtsstreit fraglichen nicht entgegenstehen, nach der die Steuer auf die von einer Gesellschaft mit Sitz in diesem Staat an eine Empfängergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Zinsen an der Quelle einbehalten wird, während die Zinsen, die an eine Empfängergesellschaft mit Sitz im ersten Mitgliedstaat fließen, deren Einkünfte dort der Körperschaftsteuer unterliegen, von diesem Einbehalt freigestellt sind.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.