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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 5. März 2009 (1)

Rechtssache C-397/07

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Königreich Spanien

„Richtlinie 69/335/EWG – Indirekte Steuern – Ansammlung von Kapital – Umstrukturierungsmaßnahmen – Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft“





I –    Einleitung

1.        Im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren wirft die Kommission dem Königreich Spanien vor, gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital(2) verstoßen zu haben.

2.        Dabei geht es erstens einen um Bestimmungen des spanischen Rechts, mit denen nach der Richtlinie obligatorisch zu gewährende Steuerbefreiungen von der Option für ein bestimmtes Steuerregime abhängig gemacht werden. Zweitens stehen Bestimmungen über die Besteuerung der Verlegung des Gesellschaftssitzes aus einem anderen Mitgliedstaat nach Spanien auf dem Prüfstand. Drittens rügt die Kommmission spanische Bestimmungen, nach denen das Kapital besteuert wird, das der Geschäftstätigkeit ausländischer Gesellschaften in Spanien zugeordnet wird.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Die Richtlinie 69/335

3.        Die Richtlinie 69/335 dient gemäß ihrem ersten und zweiten Erwägungsgrund der Förderung des freien Kapitalverkehrs. Zu diesem Zweck sieht die Richtlinie, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 6 bis 8 ergibt, eine Harmonisierung der Abgaben auf Kapitalzuführungen an Gesellschaften durch die Einführung einer einheitlichen Steuer auf die Ansammlung von Kapital (im Folgenden: Gesellschaftsteuer) vor. Diese soll innerhalb des gemeinsamen Marktes nur einmal erhoben werden.

4.        Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

„(1) Die der Gesellschaftsteuer unterliegenden Vorgänge werden ausschließlich in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft in dem Zeitpunkt befindet, in dem diese Vorgänge erfolgen.

[…]

(3) Befinden sich der satzungsmäßige Sitz und der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft in einem Drittland, so kann die Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital an eine in einem Mitgliedstaat gelegene Niederlassung in dem Mitgliedstaat besteuert werden, in dem die Niederlassung liegt.“

5.        Art. 3 der Richtlinie definiert, welche Gesellschaften als Kapitalgesellschaften im Sinne der Richtlinie anzusehen sind.

6.        Art. 4 der Richtlinie listet die Vorgänge auf, die der Gesellschaftsteuer unterliegen. Hierzu gehören neben der Gründung einer Kapitalgesellschaft und der Erhöhung ihres Kapitals auch:

„g)      die Verlegung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, wenn sie für die Erhebung der Gesellschaftsteuer in letzterem als Kapitalgesellschaft, im anderen Mitgliedstaat hingegen nicht als Kapitalgesellschaft angesehen wird;

h)      die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person, die den Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung in einem Drittland hat, von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, wenn sie für die Erhebung der Gesellschaftsteuer in letzterem als Kapitalgesellschaft, im anderen Mitgliedstaat hingegen nicht als Kapitalgesellschaft angesehen wird.“

7.        In der ursprünglichen Fassung des Art. 7 der Richtlinie 69/335 war zur Höhe der Gesellschaftsteuer Folgendes bestimmt:

„(1) Bis zum Inkrafttreten der vom Rat gemäß Absatz 2 zu erlassenden Bestimmungen

a) darf der Satz der Gesellschaftsteuer nicht über 2 v. H. und nicht unter 1 v. H. liegen;

b) wird dieser Satz um 50 v. H. oder mehr ermäßigt, wenn eine oder mehrere Kapitalgesellschaften ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen oder einen oder mehrere Zweige ihrer Tätigkeit in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften einbringen, die gegründet werden oder bereits bestehen.

[…]“

8.        Mit der Richtlinie 73/80/EWG(3) wurde der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung vorgesehene Satz der Gesellschaftsteuer auf 0 bis 0,5 v. H. reduziert.

9.        Der Geltungsbereich für die ermäßigten Sätze der Gesellschaftsteuer wurde durch die Richtlinie 73/79/EWG des Rates vom 9. April 1973(4) erweitert. Hierdurch wurde in Art. 7 Abs. 1 ein Buchst. bb eingefügt, der weitere Umstrukturierungsmaßnahmen umfasst. Danach kann der Satz der Gesellschaftsteuer ebenfalls ermäßigt werden, wenn

„eine Kapitalgesellschaft, die gegründet wird oder bereits besteht, Anteile erhält, die mindestens 75 v. H. des früher von einer anderen Kapitalgesellschaft ausgegebenen Gesellschaftskapitals ausmachen. Wird dieser Vomhundertsatz infolge mehrerer Vorgänge erreicht, so gilt der ermässigte Satz nur für den Vorgang, durch den dieser Vomhundertsatz erreicht wurde, sowie für die darauf folgenden Vorgänge, durch die dieser Vomhundertsatz sich erhöht.“

10.      Weitere Änderungen wurden durch die Richtlinie 85/303(5) eingeführt. Diese hat die Zielsetzung der Richtlinie erweitert, wie sich aus ihrem zweiten und dritten Erwägungsgrund ergibt:

„Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gesellschaftsteuer sind für den Zusammenschluss und die Entwicklung der Unternehmen ungünstig. Besonders negativ sind sie bei der derzeitigen Konjunktur, in der die Belebung der Investitionen als vordringlich zu gelten hat.

Um dies zu erreichen, erscheint als beste Lösung die Abschaffung der Gesellschaftsteuer. […]“

11.      In seiner durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung lautet Art. 7 nunmehr wie folgt:

„(l) Mit Ausnahme der in Artikel 9 genannten Vorgänge befreien die Mitgliedstaaten von der Gesellschaftsteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.

[…]

(2) Die Mitgliedstaaten können entweder alle anderen als die in Absatz 1 bezeichneten Vorgänge von der Gesellschaftsteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v. H. erheben.“

B –    Nationales Recht

12.      Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 des spanischen Gesetzes über die Steuer auf vermögensrechtliche Übertragungen und beurkundete Rechtsakte (Ley del Impuesto sobre Transmisiones Patrimoniales y Actos Jurídicos Documentados, TRLITPAJD, im Folgenden: Steuergesetz), erlassen durch das Gesetzesdekret (Real Decreto Legislativo) Nr. 1/1993(6), bestimmt die Vorgänge, die der Gesellschaftsteuer unterliegen. Hierunter fallen die Gründung einer Gesellschaft, die Erhöhung und die Reduktion ihres Kapitals, die Fusion, die Spaltung sowie die Auflösung von Gesellschaften.

13.      Art. 45 Teil I Buchst. b Nr. 10 und Art. 21 des Steuergesetzes, in Verbindung mit der zweiten Zusatzbestimmung der konsolidierten Fassung des spanischen Körperschaftssteuergesetzes (Ley del Impuesto sobre Sociedades, TRLIS, im Folgenden: TRLIS)(7) bestimmt, dass die Vorgänge der Fusion, der Spaltung, der Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen, definiert in Kapitel 8 Titel 7 des Körperschaftssteuergesetzes, das in diesem Zusammenhang ein spezielles Regime schafft, von der Steuer befreit sind, unter dem Vorbehalt, dass dieses Regime auf den betreffenden Vorgang jeweils anwendbar ist.

14.      Art. 96 des TRLIS, betitelt mit „Anwendung der Steuerregelung“, legt die Bedingungen für die Anwendbarkeit dieses speziellen Regimes dar:

„(1)      Die Anwendung der in diesem Kapitel festgelegten besonderen Regelung setzt voraus, dass sie gemäß folgenden Bestimmungen gewählt wird:

a)      Bei Vorgängen der Fusion oder der Aufspaltung wird die Wahl in den Entwurf und die Gesellschaftsverträge betreffend die Fusion oder Aufspaltung der übertragenden und erwerbenden Unternehmen, die ihren steuerlichen Sitz in Spanien haben, aufgenommen.

[…]

b)      Im Fall von Sacheinlagen wird die Wahl vom erwerbenden Unternehmen ausgeübt und muss im entsprechenden Gesellschaftsvertrag oder, fehlt ein solcher, in der öffentlichen Urkunde, die über den Vorgang oder Vertrag erstellt wird, angegeben werden.

[…]

c)      Im Fall des Austauschs von Anteilen wird die Wahl vom erwerbenden Unternehmen ausgeübt und muss im entsprechenden Gesellschaftsvertrag oder, fehlt ein solcher, in der öffentlichen Urkunde, die über den Vorgang oder Vertrag erstellt wird, angegeben werden. Beim öffentlichen Angebot von Aktien zum Verkauf wird die Wahl von dem für das Angebot zuständigen Gesellschaftsorgan ausgeübt und ist in den Informationsunterlagen über das Angebot anzugeben.

[…]

In jedem Fall ist die Wahl in der Form und den Fristen, die die einschlägigen Vorschriften vorsehen, dem Wirtschafts- und Finanzministerium anzuzeigen.

(2)      Die in diesem Kapitel festgelegte Regelung gilt nicht, wenn mit dem vollzogenen Vorgang hauptsächlich Steuerbetrug oder Steuerflucht bezweckt werden. Die Regelung gilt insbesondere nicht, wenn der Vorgang nicht aus stichhaltigen wirtschaftlichen Gründen wie Restrukturierung oder Rationalisierung der Tätigkeiten der beteiligten Unternehmen vorgenommen wird, sondern mit ihm nur ein Steuervorteil erlangt werden soll.

[…]“

15.      Gemäß Art. 19 Abs. 3 des Steuergesetzes (TRLITPAJD) gilt als steuerlicher Entstehungstatbestand:

„die Verlegung des Sitzes der tatsächlichen Geschäftsleitung oder des Gesellschaftssitzes einer Gesellschaft nach Spanien, wenn weder Ersterer noch Letzterer zuvor in einem Mitgliedstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gelegen war oder wenn in diesen das Unternehmen nicht einer ähnlichen Steuer wie der in diesem Titel geregelten unterworfen war.“

16.      Art. 20 des Steuergesetzes (TRLITPAJD) bestimmt:

„Unternehmen, die im spanischen Hoheitsgebiet über Zweigstellen oder ständige Niederlassungen Geschäfte abwickeln und deren Gesellschaftssitz oder Sitz der tatsächlichen Geschäftsleitung sich in nicht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angehörenden Ländern befindet oder, befinden sie sich in solchen Ländern, die keiner Besteuerung wie der in diesem Titel vorgesehenen unterworfen sind, haben in gleicher Weise und zu gleichen Bedingungen wie spanische Unternehmen Steuern auf den Teil des Kapitals zu entrichten, den sie diesen Geschäften widmen.“

III – Verfahren und Anträge der Parteien

17.      Nach ordnungsgemäßer Durchführung des Vorverfahrens erhob die Kommission die vorliegende Klage, mit der sie beantragt,

festzustellen, dass das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 69/335 verstoßen hat, dass es

–        die Anwendung der zwingenden Befreiungen von der Gesellschaftsteuer von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht;

–        die Verlegung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung oder des satzungsmäßigen Sitzes der Gesellschaften, die im Herkunftsland keiner der spanischen Steuer ähnlichen Steuer unterworfen waren, mit einer indirekten Steuer belastet;

–        eine indirekte Steuer auf Kapital erhebe, das für Umsätze im Geschäftsverkehr durch Zweigstellen oder eine ständige Niederlassung von Gesellschaften verwendet wird, die ihren satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, der keine der spanischen Steuer vergleichbare Steuer erhebt;

–        sowie dem Königreich Spanien die Kosten aufzuerlegen.

18.      Das Königreich Spanien beantragt,

die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

19.      Die Hellenische Republik, die durch Beschluss vom 11. Februar 2008 als Streithelferin zugelassen wurde, beteiligte sich weder am schriftlichen noch am mündlichen Verfahren.

20.      Nach Durchführung des schriftlichen Verfahrens haben die Parteien am 15. Januar 2009 vor dem Gerichtshof mündlich verhandelt.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Erster Klagegrund

21.       Mit ihrem ersten Klagegrund rügt die Kommission, dass das spanische Recht die Steuerbefreiung für bestimmte Vorgänge, für die nach der Richtlinie die Steuerbefreiung obligatorisch vorgesehen sei, einer unzulässigen Bedingung unterwerfe.

1.      Zu den unterschiedlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung von Vorgängen nach Art. 7 Abs. 1 b und bb

22.      Bevor auf die Frage eingegangen werden kann, ob es der Richtlinie widerspricht, Bedingungen für die Gewährung von Steuerbefreiungen einzuführen, ist zunächst zu klären, ob die Richtlinie für die streitgegenständlichen Vorgänge überhaupt eine obligatorische Steuerbefreiung vorsieht. Diese Frage kann nicht etwa dahingestellt bleiben, weil die Parteien sie stillschweigend bejahen. Es handelt sich vielmehr um eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage, die der Gerichtshof von sich aus zu prüfen hat.

23.      Gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung sind diejenigen Vorgänge obligatorisch von der Steuer zu befreien, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.

24.      In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Spanien erst mit Wirkung zum 1. Januar 1986 Mitglied der Europäischen Gemeinschaften wurde. Der Gerichtshof hat jedoch bereits festgestellt, dass der nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 als maßgeblicher Zeitpunkt festgesetzte 1. Juli 1984 auch für der Gemeinschaft nach diesem Datum beigetretene Mitgliedstaaten gilt.(8)

25.      In ihrem Klageantrag spricht die Kommission unspezifisch von obligatorisch zu befreienden Vorgängen. Aus ihrer Klagebegründung ergibt sich aber, dass die Kommission diejenigen Umstrukturierungsvorgänge von Gesellschaften meint, die in Art. 7 Abs. 1 b bzw. bb der älteren Fassungen der Richtlinie definiert sind.

26.      Für die weitere Prüfung ist – wie auch die Kommission zu Recht vorträgt – zwischen den Umstrukturierungsvorgängen, die unter Art. 7 Abs. 1 b und denjenigen, die unter Art. 7 Abs. 1 bb fallen, zu differenzieren.

27.      Für die Vorgänge im Sinne von Art. 7 Abs. 1 b ist es nämlich, wie im Folgenden dargelegt wird, irrelevant, ob und in welcher Höhe diese in Spanien am 1. Juli 1984 faktisch besteuert waren.

28.      Art. 7 Abs. 1 b hatte in seiner ursprünglichen Fassung einen Steuersatz von 1 v. H. vorgesehen, der durch die Richtlinie 73/80 auf 0 bis 0,5 v. H. reduziert worden war. Alle Mitgliedstaaten waren somit am 1. Juli 1984 bereits verpflichtet, die Vorgänge im Sinne des Art. 7 Abs. 1 b mit höchstens 0,5 v. H. zu besteuern. Indem die Richtlinie 85/303 anordnete, dass alle Vorgänge obligatorisch zu befreien sind, die einem Gesellschaftsteuersatz von 0,5 oder weniger unterlagen, ergab sich für die Vorgänge im Sinne des Art. 7 Abs. 1 b auf Grund der vorangegangenen Absenkung des Steuersatzes die automatische Verpflichtung zur Steuerbefreiung.

29.      Spanien kann insofern nicht einwenden, dass es erst zum 1. Januar 1986 der Europäischen Gemeinschaft beigetreten ist und daher die Richtlinie 73/80, mit der der Steuersatz auf die Vorgänge nach Art. 7 Abs. 1 b zum 1. Januar 1976(9) auf 0,5 v. H. reduziert wurde, unmittelbar auf Spanien keine Anwendung fanden. Denn für Spanien entfaltet die Richtlinie 85/303 denselben Regelungsinhalt wie für die alten Mitgliedsstaaten. Der durch die Änderungen der Richtlinie 69/335 reduzierte Steuersatz gehörte zum Zeitpunkt des Beitritts Spaniens zum durch Spanien zu gewährleistenden gemeinsamen Besitzstand, auf dessen Basis diese Richtlinie hinsichtlich der Vorgänge nach Artikel 7 Abs. 1 b eine obligatorische Steuerbefreiung entfaltet.

30.      Ein anderes Verständnis würde hinsichtlich der Vorgänge nach Artikel 7 Abs. 1 b entgegen der Intention der Richtlinie zu einer uneinheitlichen Anwendung der Gesellschaftbesteuerung in der Gemeinschaft in alten und neuen Mitgliedstaaten führen. Die alten Mitgliedstaaten waren am 1. Juli 1984 verpflichtet, einen reduzierten Steuersatz auf die Vorgänge nach Art. 7 Abs. 1 b anzuwenden, weshalb diese Vorgänge gemäß der Richtlinie 85/303 von der Gesellschaftsteuer obligatorisch zu befreien waren. Würde man bezüglich später beigetretener Mitgliedstaaten für die Vorgänge gemäß Art. 7 Abs. 1 b auf deren faktische Besteuerung zum 1. Juli 1984 und nicht hypothetisch auf die in diesem Zeitpunkt dem gemeinsamen Besitzstand entsprechende Besteuerung abstellen, würde das erklärte Ziel der Richtlinie verfehlt, eine Vereinheitlichung herbeizuführen.

31.      Die Umstrukturierungsvorgänge nach Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie sind somit in Spanien obligatorisch von der Steuer zu befreien.

32.      Bezüglich der Vorgänge nach Art. 7 Abs. 1 bb bleibt es hingegen bei dem Grundsatz, dass diese nur dann obligatorisch von der Steuer zu befreien sind, wenn sie am 1. Juli 1984 tatsächlich von der Steuer befreit oder einer Steuer von höchstens 0,5 % unterlagen. Für diese sah die ursprüngliche Fassung der Richtlinie nämlich nur eine fakultative, aber keine obligatorische Steuerreduzierung vor.(10)

33.      Die Vorgänge nach Art. 7 Abs. 1 bb waren daher, anders als die Vorgänge nach Art. 7 b, nicht einheitlich und obligatorisch am 1. Juli 1984 mit einem Steuersatz belegt, der aufgrund der Richtlinie 85/303 zu einer obligatorischen Steuerbefreiung führte.

2.      Zur Schlüssigkeit der Klage bezüglich der Vorgänge im Sinne von Art. 7 Abs. 1 bb

34.      Für eine Schlüssigkeit der Klage hätte die Kommission daher bezüglich der Vorgänge nach Art. 7 Abs. 1 bb vortragen müssen, dass diese Vorgänge am 1. Juli 1984 in Spanien von der Steuer befreit waren. Nur dann wären diese Vorgänge nach der Richtlinie obligatorisch von der Steuer zu befreien.

35.      Fraglich ist, ob die Kommission insoweit ihrer Darlegungslast genügt hat.

36.      In der mündlichen Verhandlung hat die spanische Regierung angedeutet, dass die streitgegenständlichen Vorgänge 1984 mit einer Steuer von 1 v. H. belegt waren. Damit wären sie nicht obligatorisch von der Steuer zu befreien. Auf den Einwand der Kommission hin, dass dieser Vortrag Spaniens verspätet sei, äußerte Spanien, dass es sich mit seiner Aussage nicht in Widerspruch zur Position der Kommission setzen wolle. Auf Nachfrage des Gerichts einigten sich die Parteien darauf, dass insofern auf die Aussagen in den Schriftsätzen abzustellen sei.

37.      Die Kommission hat in ihrer Klageschrift zur Besteuerung der Vorgänge nach Artikel 7 Abs. 1 bb am 1. Juli 1984 in Spanien nichts dargelegt. Die spanische Regierung erwähnte in ihrer Klagebeantwortung(11), dass sich Spanien nicht für die Anwendung einer reduzierten Steuer auf die Vorgänge im Sinne von Art. 7 Abs. 1 bb entschieden habe. Vor diesem Hintergrund hätte die Kommission spätestens in ihrer Klageerwiderung substantiiert vortragen müssen, dass die betreffenden Vorgänge in Spanien gleichwohl einer Besteuerung von 0,5 v. H. oder weniger unterlagen. Die Kommission hat jedoch nichts dergleichen dargelegt. Es bleibt daher unklar, ob die Vorgänge nach Artikel 7 Abs. 1 bb am 1. Juli 1984 mit einem Steuersatz von höchstens 0,5 v. H. besteuert waren oder einer höheren Gesellschaftsteuer unterlagen. Somit kann für die Entscheidung des vorliegenden Falls nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorgänge im Sinne des Artikels 7 Abs. 1 bb in Spanien obligatorisch von der Steuer zu befreien waren. Die Klage der Kommission ist insofern als unschlüssig zurückzuweisen.

38.      Es könnte sich lediglich die Frage stellen, ob auch bezüglich nichtobligatorisch von der Steuer zu befreiender Vorgänge ein Mitgliedstaat eine Steuerbefreiung bedingungslos gewähren muss. Das scheint die Kommission in ihrer Klage anzudeuten, wenn sie darauf verweist, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 die Mitgliedstaaten ermächtigt, entweder alle anderen als die in Abs. 1 bezeichneten Vorgänge von der Gesellschaftsteuer zu befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v.H. zu erheben.

39.      Daraus könnte man schließen, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten nur exakt drei Handlungsoptionen lässt: Beibehaltung der Steuer, wenn sie 1984 erhoben wurde, vollständige Steuerbefreiung oder Erhebung eines reduzierten Steuersatzes. Eine Steuerbefreiung, die unter eine Bedingung gestellt wurde, wäre demnach von der Richtlinie ausgeschlossen. Ein solches Verständnis der Richtlinie würde insbesondere dem Erfordernis der Rechtssicherheit am ehesten gerecht. Man könnte allerdings auch die entgegengesetzte Position vertreten. Sinn und Zweck der Richtlinie 69/335 ist seit ihrer Änderung durch die Richtlinie 85/303 der Abbau der Gesellschaftsteuer. Daher ließe sich argumentieren, dass – bevor ein Mitgliedstaat von der Alternative Gebrauch macht, die Steuer beizubehalten – es dem Sinn und Zweck der Richtlinie entsprechen müsste, ihm freizustellen, den Vorgang bedingt von der Steuer zu befreien.

40.      Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht abschließend zu entscheiden, da die Kommission in ihrem Klageantrag lediglich gerügt hat, dass Spanien hinsichtlich obligatorisch von der Steuer zu befreiender Vorgänge eine Bedingung für die Steuerbefreiung vorsieht. Würde der Gerichtshof auch zu nicht obligatorisch befreiten Vorgängen Stellung nehmen, verstieße dies gegen den Grundsatz ne ultra petita.

41.      Da der Vortrag der Kommission bezüglich der Vorgänge im Sinne des Art. 7 Abs. 1 bb nicht schlüssig ist, hat sich die weitere Prüfung auf die Vorgänge im Sinne von Art. 7 Abs. 1 b zu beschränken.

3.      Zur Besteuerung der Vorgänge im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b

42.      Nach Ansicht der Kommission verstößt es gegen die Richtlinie, die Steuerbefreiung hinsichtlich obligatorisch von der Steuer zu befreiender Vorgänge von der Erfüllung einer Bedingung abhängig zu machen.

43.      Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie, der die obligatorische Befreiung anordnet, sieht keine Ausnahme oder Einschränkung von der Steuerbefreiung vor. Daher verstößt es gegen die Richtlinie, wenn die Steuerbefreiung erschwert oder auf bestimmte Fälle beschränkt wird. Grundsätzlich stellt auch eine Bestimmung, die die Steuerbefreiung von einer weiteren Bedingung abhängig macht, eine Erschwerung für die Steuerbefreiung dar.

44.      Das spanische Recht macht die Steuerbefreiung davon abhängig, dass das betroffene Unternehmen zuvor für ein spezielles steuerliches Regime optiert.

45.      Die spanische Regierung verteidigt diese Bestimmung zum einen damit, dass dies keine Erschwerung der Steuerbefreiung sei, da es sich bei diesem Erfordernis nur um eine Formalität handele.

46.      Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

47.      Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie nicht vorsieht, dass die Befreiung von der Gesellschaftsteuer einer Bedingung, und sei sie auch nur formal, unterworfen werden darf. Außerdem stellt die spanische Regelung mehr dar als nur eine belanglose Formalität. Dies folgt zum einen daraus, dass sie eine Frist vorgibt, bis zu der die Option für das besondere Steuerregime den Behörden mitgeteilt werden muss und darüber hinaus auch Formerfordernisse aufstellt. Zum anderen hat die Option für das besondere Steuerregime, wie die Kommission vorträgt, auch Einfluss auf die Erhebung der Körperschaft- und Einkommensteuer.

48.      Als weitere Rechtfertigung seiner Regelung beruft sich Spanien darauf, dass diese erforderlich sei, um Steuerflucht und Steuerbetrug zu vermeiden.

49.      Insofern ist zunächst festzustellen, dass die Richtlinie 69/335 keine Vorschrift enthält, die die Mitgliedstaaten ermächtigt, Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerflucht und -betrug zu erlassen. Auch in einem solchen Fall kann die Anwendung des Gemeinschaftsrechts jedoch nicht so weit gehen, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt würden, d. h. Handlungen, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen.(12) Ein Mitgliedstaat darf somit in diesem Rahmen Maßnahmen ergreifen, um missbräuchliche Praktiken zu verhindern. Diese Maßnahmen müssen jedoch verhältnismäßig sein.

50.      Die spanische Regierung hat jedoch nicht substantiiert vorgetragen, warum gerade eine Unterwerfung aller Vorgänge unter die Pflicht zur Option für ein bestimmtes Steuerregime erforderlich ist, um Steuerflucht und -betrug zu vermeiden. Die Kommission hat im Übrigen darauf verwiesen, dass die betroffenen Gesellschaften über die Optionsausübung hinaus verpflichtet sind, den Finanzbehörden die Umstrukturierungsmaßnahmen zu melden. Spanien hat nicht vorgetragen, weshalb über diese Information hinaus für eine Vermeidung von Steuerflucht und -betrug erforderlich sei, die Gesellschaften der Optionspflicht zu unterwerfen. Daher muss davon ausgegangen werden, dass es mildere Mittel gibt, um in konkreten Einzelfällen einen Steuerbetrug zu vermeiden, ohne generell alle Betroffenen zu verpflichten, eine Option für ein bestimmtes Steuerregime auszusprechen. Die spanische Regelung ist somit nicht gerechtfertigt.

51.      In ihrer Gegenerwiderung hat die spanische Regierung schließlich zur Verteidigung gegen den ersten Klagegrund auf die Richtlinie 2008/7/EG(13) verwiesen, die die Richtlinie 69/335 ändert und neu fasst.

52.      Zunächst ist daran zu erinnern, dass entscheidend für die Frage der Begründetheit eines Vertragsverletzungsverfahrens die Rechtslage zum Zeitpunkt der begründeten Stellungnahme ist. Zu diesem Zeitpunkt galt nur die Richtlinie in ihrer alten Fassung.

53.      Spanien verweist darauf, dass gemäß Art. 4 und 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/7 bestimmte Umstrukturierungsmaßnahmen von Gesellschaften explizit von der Gesellschaftsteuer ausgenommen werden. Daraus möchte die spanische Regierung schließen, dass nach den älteren Fassungen der Richtlinie alle Umstrukturierungsvorgänge nicht obligatorisch steuerfrei gewesen sein könnten.

54.      Hiergegen ist einzuwenden, dass die Richtlinie 2008/7 zu einem großen Teil lediglich eine Klarstellung und Neufassung bezüglich der älteren Fassung der Richtlinie darstellt. Deshalb stellt nicht jede in der Richtlinie 2008/7 vorgesehene Steuerbefreiung eine neu eingeführte Steuerbefreiung dar. Wie oben dargelegt waren Umstrukturierungsvorgänge nach Art. 7 Abs. 1 b der Ursprungsfassung der Richtlinie 69/335 auch zuvor bereits obligatorisch von der Steuer zu befreien.

55.      Der Verweis der spanischen Regierung auf die Richtlinie 2008/7 kann daher nichts am bisher gefundenen Ergebnis ändern.

56.      Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, dass der erste Klagegrund der Kommission insofern begründet ist, als er Vorgänge im Sinne von Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung umfasst. Im Übrigen ist der erste Klagegrund abzuweisen.

B –    Zweiter Klagegrund

57.      Mit ihrem zweiten Klagegrund rügt die Kommission, dass die Verlegung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung oder des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft nach Spanien, die in ihrem Herkunftsstaat keiner der spanischen Steuer vergleichbaren Steuer unterworfen war, mit einer indirekten Steuer belastet wird.

58.      Art. 4 der Richtlinie 69/335 enthält eine abschließende Liste der Vorgänge, die der Gesellschaftsteuer unterliegen.

59.      Nach Art. 4 Buchst. g und h unterliegt die Verlegung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung oder des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat der Gesellschaftsteuer, wenn diese für die Erhebung der Gesellschaftsteuer im Zuzugsstaat als Kapitalgesellschaft, im Herkunftsstaat hingegen nicht als Kapitalgesellschaft angesehen wird.

60.      Eine Sitzverlegung darf demnach nicht besteuert werden, wenn die Gesellschaft für die Erhebung der Gesellschaftsteuer in beiden betroffenen Mitgliedstaaten als Kapitalgesellschaft angesehen wird.(14)

61.      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kommt es für die Frage, wann die Verlegung des Sitzes oder des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung besteuert werden darf, allein darauf an, ob die Gesellschaft im Herkunftsstaat als Kapitalgesellschaft angesehen wird und nicht darauf, ob im Herkunftsstaat tatsächlich eine Gesellschaftsteuer erhoben wurde.(15) Entscheidend darf also nicht das Kriterium der Besteuerung im Herkunftsstaat sein, sondern allein das Kriterium der Qualifizierung als Kapitalgesellschaft.(16)

62.      Welche Gesellschaften als Kapitalgesellschaften im Sinne der Richtlinie anzusehen sind, legt Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie zwingend und für alle Mitgliedstaaten einheitlich fest.

63.      Verzichtet demnach ein Mitgliedstaat gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 bezüglich einer Gesellschaft, die als Kapitalgesellschaft im Sinne der Richtlinie anzusehen ist, auf die Erhebung der Gesellschaftsteuer, darf dies nicht dazu führen, dass bei der Verlegung des Sitzes aus diesem Mitgliedstaat in einen anderen der Zuzugsstaat die Sitzverlegung besteuert.

64.      Das in der spanischen Regelung über die Sitzverlegung verwendete Kriterium der „Besteuerung im Herkunftsstaat“ entspricht somit nicht dem in der Richtlinie vorgesehenen Kriterium der „Qualifizierung als Kapitalgesellschaft“. Denn dies kann dazu führen, dass eine Gesellschaft, die Kapitalgesellschaft im Sinne der Richtlinie ist, bei der Sitzverlegung nach Spanien besteuert wird, weil der Herkunftsstaat entschieden hat, keine Gesellschaftsteuer zu erheben. Die spanischen Bestimmungen sind somit als fehlerhafte Umsetzung von Art. 4 Buchst. g und h der Richtlinie 69/335 anzusehen.

65.      Diese Feststellung wird auch nicht durch das Verteidigungsvorbringen der spanischen Regierung entkräftet, die vorträgt, dass die Regelung erforderlich sei, um Steuerflucht und -betrug zu vermeiden. Spanien sieht die Gefahr, dass sich Gesellschaften in einem Mitgliedstaat gründen, der keine Gesellschaftsteuer erhebt und anschließend ihren Sitz nach Spanien verlegen, um so der spanischen Gesellschaftsteuer zu entgehen.

66.      Wie schon erwähnt, enthält die Richtlinie 69/335 keine ausdrückliche Bestimmung, die die Mitgliedstaaten ermächtigen würde, allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerumgehung zu treffen.(17) Daher dürfen sich die Mitgliedstaaten der Anwendung des Gemeinschaftsrechts nur unter besonderen, eine missbräuchliche und betrügerische Praxis bildenden Umständen widersetzen.(18)

67.      Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht so weit gehen kann, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt würden, d. h. Handlungen, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen.(19)

68.      Allerdings reicht der Umstand, dass eine Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat mit dem Ziel gegründet wurde, in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen, als solcher nicht aus, um auf das Bestehen einer missbräuchlichen Ausnutzung des Gemeinschaftsrechts zu schließen. Sondern es fällt nur die Gründung einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat im Rahmen rein künstlicher, jeder wirtschaftlichen Realität barer Konstruktionen zu dem Zweck, die normalerweise zu zahlende Steuer zu umgehen, nicht mehr unter den Schutz, den die Richtlinie 69/335 den von ihr erfassten Gesellschaften bieten muss.(20)

69.      Die streitgegenständliche Regelung beschränkt sich allerdings nicht auf die Missbrauchsbekämpfung in diesen besonderen Fällen, sondern sieht eine generelle Besteuerung von Vorgängen vor, die nach der Richtlinie steuerfrei zu bleiben haben. Damit genügt die spanische Regelung nicht den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts.(21)

70.      Auch zur Verteidigung gegen diesen Klagegrund verweist die spanische Regierung in ihrer Gegenerwiderung auf die Richtlinie 2008/7, mit der die Richtlinie 69/335 geändert und neu gefasst wird.

71.      Die Spanischen Regierung möchte aus der Tatsache, dass mit der neuen Richtlinie die in Art. 4 Buchst. g und h vorgesehene Besteuerung der Sitzverlegung wegfällt, im Umkehrschluss schließen, dass die Besteuerung der Sitzverlegung nach der früheren Fassung unbegrenzt zulässig war.

72.      Gerade das ist aber nicht der Fall. Nach Art. 4 Buchst. g und h war die Besteuerung einer Sitzverlegung nur unter der engen Voraussetzung zulässig, dass die betroffene Gesellschaft im Herkunftsstaat nicht als Kapitalgesellschaft im Sinne der Richtlinie angesehen wurde. Nicht zulässig war auch bereits vor den Änderungen durch die Richtlinie 2008/7, wie oben dargelegt, die Besteuerung der Sitzverlegung davon abhängig zu machen, ob die betroffene Gesellschaft im Herkunftsstaat bereits einer Gesellschaftsteuer unterworfen wurde, wie das die spanischen Bestimmungen vorsehen.

73.      Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der zweite Klagegrund der Kommission begründet ist.

C –    Dritter Klagegrund

74.      Mit ihrem dritten Klagegrund rügt die Kommission, dass das spanische Recht dasjenige Kapital besteuert, das dem Geschäftsverkehr spanischer Zweigstellen oder ständiger Niederlassungen von Gesellschaften gewidmet ist, die ihren Gesellschaftssitz oder den Sitz der tatsächlichen Geschäftsleitung in einem anderen Mitgliedstaat haben, wenn diese Mitgliedstaaten keine der spanischen vergleichbare Steuer erheben. Nach Ansicht der Kommission verstößt die spanische Bestimmung gegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 69/335.

75.      Gemäß Artikel 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 38 Abs. 1 Buchst. c der Verfahrensordnung ist es Aufgabe der Kommission, in jeder aufgrund von Artikel 226 EG erhobenen Klage genau die Rügen anzugeben, über die der Gerichtshof entscheiden soll, und zumindest in gedrängter Form die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darzulegen, auf die diese Rügen gestützt sind, um dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe zu ermöglichen.(22)

76.      Im vorliegenden Fall genügt die Klageschrift hinsichtlich des dritten Klagegrundes diesen Anforderungen nicht.

77.      Die Kommission beschränkt sich in dem Teil der Klageschrift, der die rechtliche Würdigung enthält, darauf, einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie zu behaupten. Art. 2 Abs. 1 bestimmt, dass die der Gesellschaftsteuer unterliegenden Vorgänge ausschließlich in dem Mitgliedstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft in dem Zeitpunkt befindet, in dem diese Vorgänge erfolgen.

78.      Aus der Klageschrift der Kommission ergibt sich jedoch nicht, aus welchen Tatsachen und Umständen sich ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie ergeben soll.

79.      Denn Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie enthält zwar eine Regelung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten, die demjenigen Mitgliedstaat das Besteuerungsrecht einräumt, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung einer Gesellschaft befindet. Die Regelung des Art. 2 Abs. 1 gilt jedoch, wie bereits aus ihrem Wortlaut folgt, nur für die der Gesellschaftsteuer unterliegenden Vorgänge.

80.      Welche Vorgänge der Gesellschaftsteuer unterliegen, bestimmt Art. 4 der Richtlinie. Zu diesen Vorgängen gehören u. a. die Gründung einer Kapitalgesellschaft und die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft.

81.      Die Kommission hat nicht präzisiert, welche Vorgänge nach dem spanischen Recht konkret besteuert werden. Die Kommission spricht nur von der Besteuerung des der Geschäftstätigkeit von Betriebsstätten und Zweigstellen zugeordneten Kapitals. So ist beispielsweise nicht klar, ob diese Steuer einmalig erhoben wird oder periodisch.

82.      Daher ist es nicht möglich, den Besteuerungsvorgang eindeutig einem der Vorgänge des Art. 4 der Richtlinie 69/335 zuzuordnen.

83.      Ist der besteuerte Vorgang nicht unter einen der Vorgänge des Art. 4 der Richtlinie 69/335 zu subsumieren, wäre auch der von der Kommission gerügte Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie nicht möglich, weil die Regelung nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 69/335 fiele. In Betracht käme dann möglicherweise ein Verstoß der spanischen Bestimmungen gegen die Niederlassungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit. Einen Verstoß gegen Grundfreiheiten hat die Kommission jedoch nicht gerügt.

84.      Bei einer solchen Unklarheit in der Darlegung des von der Kommission für ihre Vertragsverletzungsklage geltend gemachten Klagegrundes ist den Anforderungen nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 38 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung nicht genügt.

85.      Der dritte Klagegrund ist folglich als unzulässig zurückzuweisen.

V –    Zu den Kosten

86.      Nach Art. 69 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann der Gerichtshof beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Spanien unterliegt hinsichtlich des zweiten Klagegrundes und die Kommission hinsichtlich des dritten; hinsichtlich des ersten Klagegrundes obsiegt die Kommission nur teilweise. Da die Parteien somit hinsichtlich der gleich zu gewichtenden Klagegründe in gleichem Umfang obsiegen und unterliegen, hat jede der Parteien ihre eigenen Kosten zu tragen.

87.      Die Hellenische Republik trägt nach Art. 69 § 4 der Verfahrensordnung die Kosten, die ihr durch die Streithilfe entstanden sind, selbst.

VI – Ergebnis

88.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1.         Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 69/336/EWG des Rates vom 17. Juli 1968 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung verstoßen,

–        dass es die Steuerbefreiung von Vorgängen im Sinne von Art. 7 Abs.1 Buchst. b der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 69/335 einer zusätzlichen Bedingung unterworfen hat und

–        dass es die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes bzw. des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung einer Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nach Spanien der Steuer unterwirft, wenn diese im Herkunftsstaat nicht mit einer der spanischen Steuer vergleichbaren Steuer belegt wurden.

2.         Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.         Das Königreich Spanien und die Kommission tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

4.         Die Hellenische Republik trägt ihre eigenen Kosten.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 zur Änderung der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 156, S. 23), im Folgenden: Richtlinie 69/335.


3 – Richtlinie 73/80/EWG des Rates vom 9. April 1973 betreffend die Festsetzung gemeinsamer Sätze der Gesellschaftsteuer, ABl. L 103, S. 15.


4 – Richtlinie 73/79/EWG des Rates vom 9. April 1973 zur Änderung des Anwendungsbereichs des ermäßigten Satzes der Gesellschaftsteuer, der zugunsten bestimmter Umstrukturierungen von Gesellschaften in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vorgesehen ist, ABl. L 103, S. 13.


5 – Zitiert in Fn. 2.


6 – Gesetzesdekret vom 24. September 1993, BOE (Spanisches Amtsblatt) vom 20. Oktober 1993.


7 – Erlassen durch das Gesetzesdekret (Real Decreto Legislativo) Nr. 4/2004 vom 5. März 2004, BOE vom 11. März 2004.


8 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2007, Optimus – Telecomunicações (C-366/05, Slg. 2007, I-4985, Randnr. 32).


9 – Siehe Art. 2 der Richtlinie 73/80 (zitiert in Fn. 3).


10 – Es heißt in Art. 7 Abs. 1 bb, dass ein reduzierter Steuersatz angewendet werden kann.


11 – Randnr. 11.


12 – Vgl. Urteile vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Randnr. 69), vom 8. November 2007, ING. AUER (C-251/06, Slg. 2007, I-9689, Randnr. 41).


13 – Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, ABl. L 46, S. 11 (im Folgenden: Richtlinie 2008/7).


14 – Dieses Verständnis wird bestätigt durch Art. 4 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie, der feststellt, dass solche Verlegungen auch nicht als Gesellschaftsgründungen nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Gesellschaftsteuer unterworfen werden können.


15 – Siehe Urteil vom 7. Juni 2007, Kommission/Hellenische Republik (C-178/05, Slg. 2007, I-4185) und meine Schlussanträge vom 15. Februar 2007 in dieser Rechtssache (C-178/05, Slg. 2007, I-4185), sowie Urteil ING. AUER (zitiert in Fn. 12, Randnr. 35).


16 – Vgl. Urteile Kommission/Hellenische Republik (zitiert in Fn. 15, Randnr. 30) und ING. AUER (zitiert in Fn. 12, Randnr. 33).


17 – Urteile Kommission/Hellenische Republik (zitiert in Fn.15, Randnr. 32) und ING. AUER (zitiert in Fn. 12, Randnr. 40).


18 – Urteil Kommission/Hellenische Republik (zitiert in Fn. 15, Randnr. 32).


19 – Vgl. Urteile Kommission/Hellenische Republik (zitiert in Fn. 15, Randnr. 32), ING. AUER (zitiert in Fn. 12, Randnr. 41), Halifax (zitiert in Fn. 12, Randnr. 69) und die dort angeführte Rechtsprechung.


20 – Vgl. Urteile Kommission/Hellenische Republik (zitiert in Fn. 15, Randnr. 32) und ING. AUER (zitiert in Fn. 12, Randnrn. 43 f.).


21 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Hellenische Republik (zitiert in Fn. 15, Randnr. 32).


22 – Vgl. Urteile vom 13. Dezember 1990, Kommission/Hellenische Republik (C-347/88, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 28), vom 31. März 1992, Kommission/Dänemark (C-52/90, Slg. 1992, I-2187, Randnr. 17), vom 29. November 2001, Kommission/Italien (C-202/99, Slg. 2001, I-9319, Randnr. 20), und vom 14. Oktober 2004, Kommission/Spanien (C-55/03, nicht in der Sammlung veröffentlicht, Randnr. 23).