Rechtssache C-540/07
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Italienische Republik
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Freier Kapitalverkehr – Art. 56 EG – Art. 31 und 40 des EWR-Abkommens – Direkte Steuern – Quellensteuer auf abfließende Dividenden – Anrechnung am Sitz des Dividendenempfängers gemäß einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“
Leitsätze des Urteils
1. Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Besteuerung von Dividenden
(Art. 56 Abs. 1 EG)
2. Völkerrechtliche Verträge – Abkommen über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums – Niederlassungsfreiheit – Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Besteuerung von Dividenden
(EWR-Abkommen, Art. 31 und 40)
1. Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG, wenn er Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer ungünstigeren Steuerregelung unterwirft, als sie für an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden gilt, indem er für Letztere eine Steuerbefreiung in Höhe von 95 % vorsieht, während Erstere einem Steuerabzug an der Quelle in Höhe von 27 % unterliegen, wovon auf Antrag ein Teil erstattet werden kann.
Dass hierin eine unterschiedliche Behandlung liegt, wird nämlich nicht durch die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in Frage gestellt. Zwar lässt nicht ausschließen, dass ein Mitgliedstaat die Beachtung seiner Verpflichtungen aus dem Vertrag dadurch sicherzustellen vermag, dass er mit einem anderen Mitgliedstaat ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung schließt. Dafür ist jedoch erforderlich, dass es die Anwendung des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erlaubt, die Wirkungen der sich aus dem nationalen Recht ergebenden unterschiedlichen Behandlung auszugleichen. Die unterschiedliche Behandlung von an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden einerseits und an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden andererseits entfällt nämlich nur dann vollständig, wenn die nach den nationalen Rechtsvorschriften erhobene Quellensteuer auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer in dem Umfang angerechnet werden kann, in dem aufgrund des nationalen Rechts eine unterschiedliche Behandlung besteht. Wird eine derartige Anrechnung auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer durch die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften nicht sichergestellt, weil die Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe Einkünfte, die aus dem betroffenen Mitgliedstaat stammen, in dem anderen Mitgliedstaat besteuert werden, nicht von dem betroffenen Mitgliedstaat, sondern von der Ausgestaltung der Besteuerung durch den anderen Mitgliedstaat abhängt, so erlaubt es die von den Vorschriften der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehene Anrechnung der Quellensteuer auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer nicht in allen Fällen, die aus der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften resultierende unterschiedliche Behandlung auszugleichen.
Dass eine unterschiedliche Behandlung vorliegt, lässt sich auch nicht mit dem Argument in Frage stellen, dass das gesamte nationale Steuersystem, mit dem unmittelbar oder mittelbar die Besteuerung natürlicher Personen, die Dividenden bezögen, gewährleistet werden solle, und insbesondere der Umstand zu berücksichtigen seien, dass eine gebietsansässige natürliche Person, die Anteilseigner sei, der Einkommensteuer unterliege, so dass die Steuerhöhe für eine gebietsansässige natürliche Person, die Anteilseigner sei, und einen gebietsfremden Anteilseigner in Wirklichkeit die gleiche sei. Denn dieses Argument läuft auf einen Vergleich nicht vergleichbarer Regelungen und Situationen hinaus, nämlich inländische Dividenden vereinnahmender natürlicher Personen und der für sie geltenden Einkommensteuerregelung einerseits und abfließende Dividenden empfangender Kapitalgesellschaften und der von dem betroffenen Mitgliedstaat erhobenen Quellensteuer andererseits. Insoweit ist der Umstand unerheblich, dass die nationalen Rechtsvorschriften eine etwaige Unausgewogenheit der Steuerlast von natürlichen Personen korrigieren sollen, die an den die Dividenden empfangenden Gesellschaften Beteiligungen halten.
Die benannte unterschiedliche Behandlung ist jedoch geeignet, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften von Investitionen in dem betroffenen Mitgliedstaat abzuhalten. Sie bildet daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die grundsätzlich durch Art. 56 Abs. 1 EG verboten wird.
Zwar befinden sich Dividenden beziehende gebietsansässige Anteilseigner in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht unbedingt in einer Situation, die der von begünstigten Anteilseignern vergleichbar wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Sobald jedoch ein Mitgliedstaat nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwirft, nähert sich die Situation der gebietsfremden Anteilseigner derjenigen der gebietsansässigen Anteilseigner an. Denn allein schon die Ausübung seiner Steuerhoheit durch diesen Mitgliedstaat birgt unabhängig von einer Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat die Gefahr einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung in sich. In einem solchen Fall hat der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfänger im Hinblick auf den in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen gleichwertig ist, damit sie sich nicht einer – nach Art. 56 EG grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen. Hat sich somit dieser Mitgliedstaat im Hinblick auf Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, für die Ausübung seiner Steuerhoheit entschieden, so befinden sich gebietsfremde Empfänger dieser Dividenden, was die Gefahr einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der von gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden angeht, in einer Situation, die der gebietsansässiger Empfänger vergleichbar ist, so dass gebietsfremde Empfänger nicht anders behandelt werden dürfen als gebietsansässige.
Die in Frage stehende ungünstigere Behandlung kann gleichfalls nicht mit dem Erfordernis, die Kohärenz des Steuersystems zu gewährleisten, oder mit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Steuerhoheit gerechtfertigt werden. Auch mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung lässt sie nicht rechtfertigen. Letztere kann nämlich nur dann als Rechtfertigungsgrund angeführt werden, wenn sie auf rein künstliche Gestaltungen abzielt, die auf eine Umgehung des Steuerrechts gerichtet sind, was jede allgemeine Vermutung einer Steuerhinterziehung ausschließt. Es werden jedoch in allgemeiner Weise sämtliche Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer ungünstigeren Steuerregelung unterworfen. Im Übrigen kann sich ein Mitgliedstaat auf die Richtlinie 77/799 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern berufen, um von den zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats alle Informationen einzuholen, die er für die zutreffende Festsetzung der von dieser Richtlinie erfassten Abgaben benötigt
Die ungünstigere Behandlung, die die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften für Dividenden vorsehen, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, bildet daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die mit Art. 56 Abs. 1 EG unvereinbar ist.
(vgl. Randnrn. 32, 36-40, 42-45, 51-54, 56, 58-61, 64, Tenor 1)
2. Ein Mitgliedstaat verstößt nicht gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 31 und 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), wenn er Dividenden, die an in anderen Vertragsstaaten des EWR ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer ungünstigeren Steuerregelung unterwirft, als sie für an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden gilt, indem er für Letztere eine Steuerbefreiung in Höhe von 95 % vorsieht, während Erstere einem Steuerabzug an der Quelle in Höhe von 27 % unterliegen, wovon ein Teil auf Antrag erstattet werden kann.
Die ungünstigere Behandlung, der die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften Dividenden unterwerfen, die an in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, stellt zwar eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 40 des EWR-Abkommens und der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 31 dieses Abkommens dar.
Diese Beschränkung wird jedoch durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, die die Bekämpfung von Steuerhinterziehung darstellt. Die Grundsätze, die sich auf Beschränkungen der Ausübung der Verkehrsfreiheiten innerhalb der Gemeinschaft beziehen, können nämlich nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten übertragen werden, da dieser sich in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt. Insoweit besteht der durch die Richtlinie 77/799 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern geschaffene Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und den zuständigen Behörden eines Drittstaats nicht, wenn dieser keine Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe eingegangen ist. Fehlt eine Regelung über gegenseitige Auskunftserteilung mit einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens und enthalten mit anderen Vertragsstaaten des EWR-Abkommens geschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung keine Bestimmungen über eine Auskunftspflicht, so sind die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften als gegenüber den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses, den die Bekämpfung von Steuerhinterziehung darstellt, gerechtfertigt und als geeignet anzusehen, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, ohne über das hierzu Erforderliche hinauszugehen.
(vgl. Randnrn. 67-72, 74-75)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
19. November 2009(*)
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Freier Kapitalverkehr – Art. 56 EG – Art. 31 und 40 des EWR-Abkommens – Direkte Steuern – Quellensteuer auf abfließende Dividenden – Anrechnung am Sitz des Dividendenempfängers gemäß einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“
In der Rechtssache C-540/07
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 30. November 2007,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und A. Aresu als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Italienische Republik, vertreten durch R. Adam als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.-C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterin C. Toader sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann und P. Kūris,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Juli 2009
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Italienische Republik im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und zwischen den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 EG und Art. 40 des EWR-Abkommens und im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 31 des EWR-Abkommens verstoßen hat, indem sie für Dividenden, die an in den anderen Mitgliedstaaten oder in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, eine ungünstigere Steuerregelung beibehalten hat, als sie für an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden gilt.
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen
2 Art. 6 des EWR-Abkommens bestimmt:
„Unbeschadet der künftigen Entwicklung der Rechtsprechung werden die Bestimmungen dieses Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie der aufgrund dieser beiden Verträge erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat.“
3 In Art. 31 Abs. 1 des EWR-Abkommens heißt es:
„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt die freie Niederlassung von Staatsangehörigen eines [Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft] oder eines [Staates der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)] im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten keinen Beschränkungen. Das gilt gleichermaßen für die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines [Mitgliedstaats der Gemeinschaft] oder eines EFTA-Staates, die im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten ansässig sind.
Vorbehaltlich des Kapitels 4 umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 34 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.“
4 Art. 40 des EWR-Abkommens sieht vor:
„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in Bezug auf Berechtigte, die in den [Mitgliedstaaten der Gemeinschaft] oder den EFTA-Staaten ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten.“
Gemeinschaftsrecht
5 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6) in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 (ABl. 2004, L 7, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 90/435) bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie gilt als
a) ‚Muttergesellschaft‘ wenigstens jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen des Artikels 2 erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 20 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats hält, die die gleichen Bedingungen erfüllt.
Unter denselben Bedingungen gilt als Muttergesellschaft ebenfalls eine Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die einen Anteil von wenigstens 20 % am Kapital einer Gesellschaft desselben Mitgliedstaats hält, der ganz oder teilweise von einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebstätte der erstgenannten Gesellschaft gehalten wird.
…“
6 Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 sieht vor:
„Fließen einer Muttergesellschaft oder ihrer Betriebstätte aufgrund ihrer Beteiligung an der Tochtergesellschaft Gewinne zu, die nicht anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, so
– besteuern der Staat der Muttergesellschaft und der Staat der Betriebstätte diese Gewinne entweder nicht oder
– lassen im Falle einer Besteuerung zu, dass die Muttergesellschaft und die Betriebstätte auf die geschuldete Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft und jegliche Enkelgesellschaft für diesen Gewinn entrichtet, bis zur Höhe der entsprechenden Steuerschuld anrechnen können, vorausgesetzt, dass die Gesellschaft und die ihr nachgeordnete Gesellschaft auf jeder Stufe die Bedingungen gemäß Artikel 2 und Artikel 3 erfüllen.“
7 Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 lautet:
„Die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sind vom Steuerabzug an der Quelle befreit.“
Nationales Recht
Regelung für inländische Dividenden
8 Die italienische Regelung für die Besteuerung inländischer Dividenden, die an in Italien der Körperschaftsteuer unterliegende Gesellschaften und gewerbliche Körperschaften ausgeschüttet werden, ergibt sich aus dem Decreto legislativo Nr. 344 vom 12. Dezember 2003 über die Reform der Körperschaftsteuer gemäß Art. 4 des Gesetzes Nr. 80 vom 7. April 2003 (Decreto legislativo recante riforma del’imposizione sul reddito delle società, a norma dell’articolo 4 della legge 7 aprile 2003, n. 80, GURI Nr. 291 vom 16. September 2003, Supplemento ordinario).
9 Seit dieser Reform ist die fragliche Regelung in Art. 89 („Dividenden und Zinsen“) der durch das Dekret Nr. 917 des Präsidenten der Republik vom 22. Dezember 1986 in Kraft gesetzten konsolidierten Fassung des Einkommensteuergesetzes (Testo unico delle imposte sui redditi) enthalten, der in seinem Abs. 2 vorsieht:
„Von den Gewinnen, die, in welcher Form und unter welcher Bezeichnung auch immer sowie auch in den Fällen des Art. 47 Abs. 7, von den in Art. 73 Abs. 1 Buchst. a und b genannten Gesellschaften und sonstigen Körperschaften ausgeschüttet werden, sind im Rahmen der Ermittlung des Betriebseinkommens der diese Gewinne beziehenden Gesellschaft oder sonstigen Körperschaft im fraglichen Steuerjahr 95 % ihres Betrags auszuscheiden.“
10 Art. 73 Abs. 1 Buchst. a und b sieht vor:
„Der Körperschaftsteuer unterliegen
„a) Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die ihren Sitz im Inland haben;
b) die öffentlichen und privaten Körperschaften, die keine Gesellschaften sind, mit Sitz im Inland, deren ausschließlicher oder hauptsächlicher Unternehmenszweck das Betreiben von Handelsgeschäften ist“.
Regelung für abfließende Dividenden
11 Art. 27 („Steuerabzug bei Dividenden“) des Dekrets Nr. 600 des Präsidenten der Republik vom 29. September 1973 über gemeinsame Bestimmungen zur Festsetzung der Einkommensteuer (Decreto del Presidente della Republica recante disposizioni comuni in materia di accertamento delle imposte sui redditi) sieht in Abs. 3 vor:
„Von Gewinnen, die an Steuerpflichtige ohne inländischen Wohnsitz ausgeschüttet werden, wird ein Steuerabzug in Höhe von 27 % vorgenommen. Für Gewinne, die an Sparaktionäre ausbezahlt werden, gilt ein verringerter Abzugssatz von 12,5 %. Nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige, ausgenommen Sparaktionäre, haben Anspruch auf Erstattung der nachweislich im Ausland auf dieselben Gewinne endgültig entrichteten Steuer bis zum Höchstbetrag von vier Neunteln der in Abzug gebrachten Steuer. Der Nachweis hat durch eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamts des ausländischen Staates zu erfolgen.“
12 Art. 27a dieses Dekrets sieht die Erstattung der gemäß Art. 27 des Dekrets erhobenen Quellensteuer oder, unter bestimmten Bedingungen, die Befreiung von dieser Steuer zugunsten von Gesellschaften vor, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und deren Beteiligung am Kapital der ausschüttenden Gesellschaft nach ihrer Höhe und Dauer die in der Richtlinie 90/435 festgelegten Voraussetzungen erfüllt.
Vorgerichtliches Verfahren
13 Da die Kommission der Auffassung war, dass die Steuerregelung für in Italien anfallende Dividenden, die an in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, mit dem freien Kapitalverkehr und der Niederlassungsfreiheit unvereinbar sei, leitete sie das Verfahren nach Art. 226 EG ein und sandte an die Italienische Republik am 18. Oktober 2005 ein Mahnschreiben.
14 Nachdem die Italienische Republik dazu in ihrem Schreiben vom 9. Februar 2006 nach Ansicht der Kommission nicht überzeugend Stellung genommen hatte, übermittelte die Kommission diesem Mitgliedstaat mit Schreiben vom 4. Juli 2006 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie ihn aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten nach ihrem Zugang nachzukommen.
15 Die Italienische Republik erwiderte auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 30. Januar 2007. Da die Kommission der Meinung war, dass die Italienische Republik die ihr zur Last gelegte Vertragsverletzung nicht behoben habe, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
Zur Zulässigkeit
16 Die Italienische Republik hält die Klage für unzulässig, da der Klagegegenstand nicht bestimmt genug sei. Die Kommission habe lediglich verschiedene Rechtsvorschriften angeführt und konstatiert, dass diese für abfließende Dividenden höhere Steuerabzüge vorsähen als für Dividenden, die an in Italien ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, ohne jede einzelne dieser Vorschriften einer genauen und vollständigen Beurteilung zu unterziehen und für jede von ihnen im Einzelnen nachzuweisen, dass sie mit den von der Kommission geltend gemachten Grundsätzen unvereinbar sei.
17 Insoweit ist zu beachten, dass nach Art. 38 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung die Klageschrift u. a. den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Folglich hat die Kommission in einer gemäß Art. 226 EG eingereichten Klageschrift die erhobenen Rügen hinreichend genau und zusammenhängend anzugeben, damit der Mitgliedstaat sich gebührend verteidigen und der Gerichtshof überprüfen kann, ob die behauptete Vertragsverletzung vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Dezember 1990, Kommission/Griechenland, C-347/88, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 28, und vom 4. Mai 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-98/04, Slg. 2006, I-4003, Randnr. 18).
18 Im vorliegenden Fall geht aus der Begründung und den Anträgen der Klageschrift der Kommission hinreichend klar und genau hervor, dass die Klage die Frage betrifft, ob die unterschiedlichen Steuerregelungen einerseits für Dividenden, die an italienische Gebietsansässige ausgeschüttet werden, und andererseits für Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten oder in Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, mit den Grundsätzen des freien Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind.
19 Folglich ist, da die Klage keine Unklarheit erkennen lässt, die von der Italienischen Republik erhobene Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen.
Zur Begründetheit
Vorbringen der Parteien
20 Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, dass Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten oder in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, ungünstiger behandelt würden als an in Italien gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden. Dies halte Gesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten oder in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässig seien, von Investitionen in in Italien ansässige Gesellschaften ab und behindere damit den freien Kapitalverkehr.
21 Da die Richtlinie 90/435 nicht auf in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften anwendbar sei und die italienische Steuerregelung für abfließende Dividenden ebenso für Beteiligungen gelte, die in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften an italienischen Gesellschaften hielten und die eine Kontrolle begründeten, liege auch ein Verstoß gegen Art. 31 des EWR-Abkommens vor, der in mit den entsprechenden Bestimmungen des EG-Vertrags vergleichbarer Weise jede Beschränkung der Niederlassungsfreiheit untersage.
22 Die Italienische Republik meint, es verstoße nicht notwendig und in allen Fällen gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn inländische Dividenden steuerfrei gestellt, in andere Mitgliedstaaten abfließende Dividenden hingegen einem Steuerabzug unterworfen würden. Eine Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht sei nur in dem einen konkreten Fall zu konstatieren, in dem die die Dividenden empfangende Gesellschaft des anderen Mitgliedstaats nach Anwendung der Vorschriften des bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in ihrem Sitzmitgliedstaat die Doppelbesteuerung nicht ausräumen könne, etwa indem sie auf ihr dort steuerpflichtiges Einkommen den Steuerabzug anrechnen dürfe, den der Mitgliedstaat der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft vorgenommen habe. Sehe also ein bilaterales Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in dem Mitgliedstaat, in den die Dividenden flössen, einen Mechanismus vor, mittels dessen in diesem Staat der vom Herkunftsmitgliedstaat vorgenommene Abzug angerechnet werde, scheide eine Art. 56 EG zuwiderlaufende Diskriminierung aus. Die in den einschlägigen bilateralen Abkommen vorgesehenen Anrechnungsklauseln entsprächen der Befugnis der Mitgliedstaaten zur Aufteilung ihrer Steuerhoheit.
23 Die Kommission habe insoweit nicht nachgewiesen, dass keines der von der Italienischen Republik geschlossenen bilateralen Abkommen es erlaube, die Wirkungen des in Italien vorgenommenen Steuerabzugs zu neutralisieren.
24 Die Italienische Republik trägt ferner vor, dass die steuerliche Behandlung von abfließenden Dividenden anhand der Gesamtregelung zu beurteilen sei, die für die Besteuerung von an gebietsansässige Empfänger ausgeschütteten Dividenden gelte. Im letzteren Fall sei die Ausschüttung von Dividenden an eine in Italien wohnhafte natürliche Person, die Anteilseigner sei, steuerpflichtig. Die steuerliche Befreiung von an Steuerpflichtige ausgeschütteten Dividenden in Höhe von 95 % bilde nur ein vorbereitendes Stadium der Besteuerung natürlicher Personen, die Anteilseigner seien. Sei der Anteilseigner eine gebietsfremde Gesellschaft, die normalerweise Dividenden an gebietsfremde natürliche Personen ausschütte, gebe es keine Besteuerung natürlicher Personen. Eine gebietsfremde Gesellschaft werde höher besteuert, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Höhe der Besteuerung von Unternehmensgewinnen mit der für natürliche Personen geltenden Besteuerungshöhe in Einklang stehen müsse. Infolgedessen sei die Steuerhöhe für eine gebietsansässige natürliche Person, die Anteilseigner sei, und für einen gebietsfremden Anteilseigner die gleiche.
25 Die italienische Regierung macht hilfsweise geltend, dass die unterschiedliche Behandlung durch die unterschiedliche Situation gerechtfertigt werde, die sich daraus ergebe, dass gebietsfremde Gesellschaften gegenüber den italienischen Steuerbehörden keinerlei Mitteilungspflicht hinsichtlich der Beteiligung von in Italien wohnhaften natürlichen Personen an ihrem Kapital hätten.
26 Selbst wenn die fraglichen Situationen nicht unterschiedlich wären, werde die unterschiedliche Behandlung durch die Erfordernisse der steuerrechtlichen Kohärenz und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -flucht gerechtfertigt.
27 Jedenfalls könne die Kommission der Italienischen Republik nicht anlasten, dass sie der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs und den Urteilen vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C-170/05, Slg. 2006, I-11949), sowie vom 8. November 2007, Amurta (C-379/05, Slg. 2007, I-9569), die erst nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist ergangen seien, nicht vorgegriffen habe.
Würdigung durch den Gerichtshof
– Zum Verstoß gegen Art. 56 Abs. 1 EG
28 Die direkten Steuern fallen zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese müssen jedoch ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (vgl. u. a. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C-446/03, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 29).
29 So bleiben in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten befugt, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Urteile vom 12. Mai 1998, Gilly, C-336/96, Slg. 1998, I-2793, Randnrn. 24 und 30, und vom 7. September 2006, N, C-470/04, Slg. 2006, I-7409, Randnr. 44).
30 Mit der Richtlinie 90/435 wird bezweckt, durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats zu beseitigen und damit den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene zu erleichtern (Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Randnr. 103).
31 Für nicht von der Richtlinie 90/435 erfasste Beteiligungen ist es Sache der Mitgliedstaaten, festzulegen, ob und in welchem Umfang die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden soll, und dazu einseitig oder durch mit anderen Mitgliedstaaten geschlossene Abkommen Mechanismen zur Vermeidung oder Abschwächung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung einzuführen. Dieser bloße Umstand erlaubt es ihnen aber nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom EG-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 54).
32 Im vorliegenden Fall sehen die italienischen Rechtsvorschriften für an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden eine Steuerbefreiung in Höhe von 95 % vor und unterwerfen die übrigen 5 % dem normalen Körperschaftsteuersatz in Höhe von 33 %. Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, unterliegen einem Steuerabzug an der Quelle in Höhe von 27 %, wovon höchstens vier Neuntel auf Antrag erstattet werden können. Nach den Bestimmungen der verschiedenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung kann, sofern hinsichtlich der Beteiligung und ihrer Dauer bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, auch ein herabgesetzter Quellensteuersatz angewandt werden, aber dieser bleibt höher als der auf Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden.
33 Letztlich ist unstreitig, dass die italienischen Rechtsvorschriften Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einem höheren Steuersatz unterwerfen als Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden.
34 Die Italienische Republik macht jedoch geltend, dass diese unterschiedliche Behandlung nur eine scheinbare sei, da zum einen die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zum anderen das gesamte italienische Steuersystem zu berücksichtigen seien.
35 Zu dem ersten Aspekt führt die Italienische Republik aus, dass Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet würden, in Wirklichkeit nicht anders behandelt würden als an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden, da die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anrechnung der in Italien erhobenen Quellensteuer auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer erlaubten.
36 Insoweit lässt sich, wie der Gerichtshof entschieden hat, zwar nicht ausschließen, dass ein Mitgliedstaat die Beachtung seiner Verpflichtungen aus dem Vertrag dadurch sicherzustellen vermag, dass er mit einem anderen Mitgliedstaat ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung schließt (vgl. in diesem Sinne Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 71, und Amurta, Randnr. 79).
37 Dafür ist jedoch erforderlich, dass es die Anwendung des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erlaubt, die Wirkungen der sich aus dem nationalen Recht ergebenden unterschiedlichen Behandlung auszugleichen. Die unterschiedliche Behandlung von an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden einerseits und an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden andererseits entfällt nämlich nur dann vollständig, wenn die nach den nationalen Rechtsvorschriften erhobene Quellensteuer auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer in dem Umfang angerechnet werden kann, in dem aufgrund des nationalen Rechts eine unterschiedliche Behandlung besteht.
38 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass eine derartige Anrechnung der in Italien erhobenen Quellensteuer auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer durch die italienischen Rechtsvorschriften nicht sichergestellt wird. Die Anrechnung setzt nämlich insbesondere voraus, dass die aus Italien stammenden Dividenden in dem anderen Mitgliedstaat hinreichend besteuert werden. Wie die Generalanwältin in den Nrn. 58 und 59 ihrer Schlussanträge dargelegt hat, kann, wenn diese Dividenden nicht oder nicht hinreichend besteuert werden, der Betrag der in Italien erhobenen Quellensteuer oder ein Teil davon nicht angerechnet werden. In diesem Fall kann die aus der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften resultierende unterschiedliche Behandlung durch die Anwendung der Bestimmungen der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht ausgeglichen werden.
39 Die Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe aus Italien stammende Einkünfte in dem anderen Mitgliedstaat besteuert werden, hängt jedoch nicht von der Italienischen Republik, sondern von der Ausgestaltung der Besteuerung durch den anderen Mitgliedstaat ab. Die Italienische Republik kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, dass die von den Vorschriften der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehene Anrechnung der in Italien erhobenen Quellensteuer auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer es in allen Fällen erlaubte, die aus der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften resultierende unterschiedliche Behandlung auszugleichen.
40 Folglich kann sich die Italienische Republik nicht darauf berufen, dass infolge der Anwendung der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, letztlich nicht anders behandelt würden als an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden.
41 Die Italienische Republik hat im Übrigen im Verlauf des Verfahrens angegeben, dass sie kein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mit Slowenien geschlossen habe. Im Hinblick auf Dividenden, die an in Slowenien ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, kann ihr Vorbringen daher auf keinen Fall durchgreifen.
42 Im Hinblick auf den zweiten Aspekt kann sich die Italienische Republik gleichfalls nicht darauf berufen, dass die in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils festgestellte unterschiedliche Behandlung nicht bestehe, weil das gesamte italienische Steuersystem, mit dem unmittelbar oder mittelbar die Besteuerung natürlicher Personen, die Dividenden bezögen, gewährleistet werden solle und insbesondere der Umstand zu berücksichtigen sei, dass eine gebietsansässige natürliche Person, die Anteilseigner sei, der Einkommensteuer unterliege, so dass die Steuerhöhe für eine gebietsansässige natürliche Person, die Anteilseigner sei, und einen gebietsfremden Anteilseigner in Wirklichkeit die gleiche sei.
43 Für die Zurückweisung dieses Arguments genügt der Hinweis, dass es auf einen Vergleich nicht vergleichbarer Regelungen und Situationen hinausläuft, nämlich inländische Dividenden vereinnahmender natürlicher Personen und der für sie geltenden Einkommensteuerregelung einerseits und abfließende Dividenden empfangender Kapitalgesellschaften und der von der Italienischen Republik erhobenen Quellensteuer andererseits. Insoweit ist der Umstand unerheblich, dass die italienischen Rechtsvorschriften nach dem Vorbringen der Italienischen Republik eine etwaige Unausgewogenheit der Steuerlast von natürlichen Personen korrigieren sollen, die an den die Dividenden empfangenden Gesellschaften Beteiligungen halten.
44 Dieser Mitgliedstaat kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, dass durch die Art und Weise, in der an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden besteuert werden, und den Besteuerungsmodus, der für an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden gilt, keine unterschiedliche Behandlung begründet werde.
45 Eine solche unterschiedliche Behandlung ist geeignet, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften von Investitionen in Italien abzuhalten. Sie bildet daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die grundsätzlich durch Art. 56 Abs. 1 EG verboten wird.
46 Es ist allerdings zu prüfen, ob diese Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nach den Bestimmungen des Vertrags gerechtfertigt werden kann.
47 Nach Art. 58 Abs. 1 EG berührt „Artikel 56 … nicht das Recht der Mitgliedstaaten, … die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort … unterschiedlich behandeln“.
48 Die in Art. 58 Abs. 1 EG vorgesehene Ausnahme wird ihrerseits durch Art. 58 Abs. 3 EG beschränkt, wonach die in Abs. 1 dieses Artikels genannten nationalen Bestimmungen „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 56 darstellen [dürfen]“.
49 Die nach Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG erlaubten unterschiedlichen Behandlungen müssen daher von den gemäß Art. 58 Abs. 3 EG verbotenen willkürlichen Diskriminierungen unterschieden werden. Nach der Rechtsprechung kann eine nationale Steuerregelung wie die hier fragliche nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. Urteile vom 6. Juni 2000, Verkooijen, C-35/98, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 43, vom 7. September 2004, Manninen, C-319/02, Slg. 2004, I-7477, Randnr. 29, und vom 8. September 2005, Blanckaert, C-512/03, Slg. 2005, I-7685, Randnr. 42).
50 Es ist demnach zu prüfen, ob Dividenden empfangende Gesellschaften, die in Italien ansässig sind, und solche, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, sich im Hinblick auf den Zweck, der mit den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird, in vergleichbaren Situationen befinden.
51 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass sich Dividenden beziehende gebietsansässige Anteilseigner in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht unbedingt in einer Situation befinden, die der von begünstigten Anteilseignern vergleichbar wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind (Urteil Denkavit Internationaal und Denkavit France, Randnr. 34).
52 Sobald jedoch ein Mitgliedstaat nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwirft, nähert sich die Situation der gebietsfremden Anteilseigner derjenigen der gebietsansässigen Anteilseigner an (Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 68, Denkavit Internationaal und Denkavit France, Randnr. 35, und Amurta, Randnr. 38).
53 Allein schon die Ausübung seiner Steuerhoheit durch diesen Mitgliedstaat birgt nämlich unabhängig von einer Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat die Gefahr einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung in sich. In einem solchen Fall hat der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfänger im Hinblick auf den in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen gleichwertig ist, damit sie sich nicht einer – nach Art. 56 EG grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen (vgl. Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 70, und Amurta, Randnr. 39).
54 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich der italienische Gesetzgeber im Hinblick auf Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, für die Ausübung seiner Steuerhoheit entschieden hat. Gebietsfremde Empfänger dieser Dividenden befinden sich folglich, was die Gefahr einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der von gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden angeht, in einer Situation, die der gebietsansässiger Empfänger vergleichbar ist, so dass gebietsfremde Empfänger nicht anders behandelt werden dürfen als gebietsansässige.
55 Die Italienische Republik macht insoweit geltend, dass die unterschiedliche Behandlung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei, die die Kohärenz des Steuersystems, die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Steuerhoheit sowie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung beträfen. Sie macht damit Gründe geltend, die vom Gerichtshof tatsächlich als Rechtfertigungsgründe für derartige Unterschiede anerkannt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Marks & Spencer, Randnr. 51, und vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium, C-414/06, Slg. 2008, I-3601, Randnr. 42, sowie hinsichtlich der Rechtfertigung durch die Kohärenz des Steuersystems Urteile vom 28. Januar 1992, Bachmann, C-204/90, Slg. 1992, I-249, Randnr. 28, und vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Randnr. 68).
56 Eine Rechtfertigung durch die Kohärenz des Steuersystems und die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Steuerhoheit scheidet schon deshalb aus, weil die Italienische Republik insoweit im Wesentlichen ihr Vorbringen zur Verteidigung ihrer Auffassung wiederholt, dass die in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils beschriebene unterschiedliche Behandlung nicht bestehe, weil auch zu berücksichtigen sei, dass gebietsansässige natürliche Personen, die Anteilseigner seien, in Italien der Einkommensteuer unterlägen. Aus den in Randnr. 43 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen kann diese Argumentation nicht durchgreifen.
57 Was die Rechtfertigung durch die Bekämpfung von Steuerhinterziehung angeht, ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur statthaft, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was dazu erforderlich ist (Urteile Marks & Spencer, Randnr. 35, vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 47, sowie Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 64).
58 Daher kann die Bekämpfung von Steuerhinterziehung nur dann als Rechtfertigungsgrund angeführt werden, wenn sie auf rein künstliche Gestaltungen abzielt, die auf eine Umgehung des Steuerrechts gerichtet sind, was jede allgemeine Vermutung einer Steuerhinterziehung ausschließt. Eine allgemeine Vermutung der Steuerflucht oder der Steuerhinterziehung genügt also nicht, um eine steuerliche Maßnahme zu rechtfertigen, die die Ziele des Vertrags beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. September 2000, Kommission/Belgien, C-478/98, Slg. 2000, I-7587, Randnr. 45, sowie Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
59 Im vorliegenden Fall werden jedoch in allgemeiner Weise sämtliche Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer ungünstigeren Steuerregelung unterworfen. Eine solche ungünstigere Behandlung kann daher nicht unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt werden.
60 Im Übrigen kann sich ein Mitgliedstaat auf die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (ABl. L 336, S. 15) in der durch die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 (ABl. L 76, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 77/799) berufen, um von den zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats alle Informationen einzuholen, die er für die zutreffende Festsetzung der von dieser Richtlinie erfassten Abgaben benötigt (vgl. Urteil Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 71).
61 Die ungünstigere Behandlung, die die italienischen Rechtsvorschriften für Dividenden vorsehen, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, bildet daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die mit Art. 56 Abs. 1 EG unvereinbar ist.
62 Die Italienische Republik kann schließlich nicht geltend machen, dass die Vertragsverletzungsklage jedenfalls deshalb abzuweisen sei, weil sich die Unvereinbarkeit ihrer Rechtsvorschriften mit Art. 56 Abs. 1 EG aus einer Auslegung dieses Artikels ergebe, die der Gerichtshof im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren in Urteilen vorgenommen habe, die erst nach der Übersendung der mit Gründen versehenen Stellungnahme in der vorliegenden Angelegenheit ergangen seien.
63 Durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 234 EG vornimmt, wird nämlich erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 1980, Denkavit italiana, 61/79, Slg. 1980, 1205, Randnr. 16), es sei denn, der Gerichtshof hat für die Vergangenheit die Möglichkeit eingeschränkt, sich auf die in dieser Weise ausgelegte Vorschrift zu berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil Denkavit italiana, Randnr. 17).
64 Nach alledem hat die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG verstoßen, dass sie Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer Steuerregelung unterworfen hat, die ungünstiger ist als die, die für an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden gilt.
– Zum Verstoß gegen das EWR-Abkommen
65 Eines der Hauptziele des EWR-Abkommens ist die möglichst umfassende Verwirklichung der Freizügigkeit und des freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), so dass der innerhalb des Gemeinschaftsgebiets verwirklichte Binnenmarkt auf die EFTA-Staaten ausgeweitet wird. Im Hinblick darauf dienen mehrere Bestimmungen des genannten Abkommens dazu, dessen möglichst einheitliche Auslegung im gesamten EWR sicherzustellen (vgl. Gutachten 1/92 vom 10. April 1992, Slg. 1992, I-2821). In diesem Rahmen ist es Sache des Gerichtshofs, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWR-Abkommens, die im Wesentlichen mit denen des Vertrags identisch sind, innerhalb der Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden (Urteil vom 23. September 2003, Ospelt und Schlössle Weissenberg, C-452/01, Slg. 2003, I-9743, Randnr. 29).
66 Sind Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs zwischen Staatsangehörigen von Vertragsstaaten des EWR-Abkommens anhand von Art. 40 und Anhang XII des EWR-Abkommens zu beurteilen, haben diese Vorschriften folglich dieselbe rechtliche Tragweite wie die im Wesentlichen identischen Bestimmungen des Art. 56 EG (vgl. Urteil vom 11. Juni 2009, Kommission/Niederlande, C-521/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 33).
67 Infolgedessen und aus den Gründen, die im Rahmen der Prüfung der Klage anhand des Art. 56 Abs. 1 EG dargelegt worden sind, ist festzustellen, dass die ungünstigere Behandlung, der die italienischen Rechtsvorschriften Dividenden unterwerfen, die an in den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 40 des EWR-Abkommens darstellt.
68 Diese Beschränkung wird jedoch durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, die die Bekämpfung von Steuerhinterziehung darstellt.
69 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann die Rechtsprechung, die sich auf Beschränkungen der Ausübung der Verkehrsfreiheiten innerhalb der Gemeinschaft bezieht, nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten übertragen werden, da dieser sich in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, A, C-101/05, Slg. 2007, I-11531, Randnr. 60).
70 Im vorliegenden Fall ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der durch die Richtlinie 77/799 geschaffene Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zwischen diesen und den zuständigen Behörden eines Drittstaats, wenn dieser keine Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe eingegangen ist, nicht besteht.
71 Die Italienische Republik hat ferner, ohne dass dies bestritten worden wäre, darauf verwiesen, dass zwischen ihr und dem Fürstentum Liechtenstein keine Regelung über gegenseitige Auskunftserteilung bestehe. Gleichfalls unwidersprochen hat sie schließlich geltend gemacht, dass ihre mit der Republik Island und dem Königreich Norwegen geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung keine Bestimmungen über eine Auskunftspflicht enthielten.
72 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die fraglichen italienischen Rechtsvorschriften gegenüber den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, den die Bekämpfung von Steuerhinterziehung darstellt, und geeignet sind, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, ohne über das hierzu Erforderliche hinauszugehen.
73 Die Klage ist daher abzuweisen, soweit mit ihr ein Verstoß der Italienischen Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 40 des EWR-Abkommens gerügt wird.
74 Die Kommission macht außerdem geltend, dass die italienischen Rechtsvorschriften eine ungerechtfertigte Beschränkung der durch Art. 31 des EWR-Abkommens gewährleisteten Niederlassungsfreiheit darstellten.
75 Aus den im Zusammenhang mit Art. 40 des EWR-Abkommens dargelegten Gründen ist jedoch davon auszugehen, dass die fraglichen italienischen Rechtsvorschriften gegenüber den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, den die Bekämpfung von Steuerhinterziehung darstellt, und geeignet sind, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, ohne über das hierzu Erforderliche hinauszugehen.
76 Die Klage ist daher ebenfalls abzuweisen, soweit mit ihr ein Verstoß der Italienischen Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 31 des EWR-Abkommens gerügt wird.
Kosten
77 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei auf Antrag die Kosten. Nach Art. 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt oder wenn ein außergewöhnlicher Grund gegeben ist.
78 Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Rügen der Kommission zurückgewiesen worden sind.
79 Der Italienischen Republik sind daher drei Viertel der gesamten Kosten aufzuerlegen. Die Kommission trägt das übrige Viertel.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG verstoßen, dass sie Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer Steuerregelung unterworfen hat, die ungünstiger ist als die, die für an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden gilt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Italienische Republik trägt drei Viertel der Kosten. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt das übrige Viertel.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Italienisch.