Rechtssache C-569/07
HSBC Holdings plc
und
Vidacos Nominees Ltd
gegen
The Commissioners of Her Majesty’s Revenue & Customs
(Vorabentscheidungsersuchen der Special Commissioners of Income Tax, London)
„Indirekte Steuern – Ansammlung von Kapital – Steuer zum Satz von 1,5 % auf die Übertragung oder die Ausgabe von Aktien auf bzw. an einen Abrechnungsdienst (‚Clearance Service‘)“
Leitsätze des Urteils
Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital
(Richtlinie 69/335 des Rates, Art. 11 Buchst. a)
Art. 11 Buchst. a der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er der Erhebung einer Steuer auf die Ausgabe von Aktien an einen Abrechnungsdienst entgegensteht.
Die Erlaubnis zur Erhebung einer Steuer oder Gebühr auf den Ersterwerb eines neu emittierten Wertpapiers läuft nämlich in Wirklichkeit auf die Besteuerung der Emission dieses Wertpapiers selbst als Bestandteil eines Gesamtumsatzes im Hinblick auf die Ansammlung von Kapital hinaus.
Dieser Ersterwerb kann nicht als ein „Umsatz“ im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335 angesehen werden, soll Art. 11 Buchst. a dieser Richtlinie nicht die praktische Wirksamkeit genommen und die klare Unterscheidung in Frage gestellt werden, die diese beiden Artikel zwischen den Begriffen „Ausgabe“ und „Umsatz“ treffen. Eine solche Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass die Emission, die notwendigerweise einen Erwerb neu ausgegebener Wertpapiere mit sich bringt, jedoch nach Art. 11 Buchst. a dieser Bestimmung keiner anderen Steuer oder Gebühr als der Wertpapiersteuer unterliegen darf, gleichwohl mit einer Steuer oder Gebühr belegt sein könnte. Demnach kann eine diesen Ersterwerb belastende Steuer nicht unter die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a enthaltene abweichende Regelung fallen. Zudem kann von dieser Steuer nicht angenommen werden, dass sie sich in Wirklichkeit auf zukünftige Umsätze beziehe, da weder die Besteuerungsgrundlage noch der Schuldner dieser Steuer in Bezug auf solche im Übrigen hypothetischen Umsätze bestimmt sind.
Daher stellt diese Steuer, soweit sie auf neue Wertpapiere im Anschluss an die Durchführung einer Kapitalerhöhung erhoben wird, eine Besteuerung im Sinne des Art. 11 Buchst. a der Richtlinie dar, deren Einführung durch diese Bestimmung untersagt ist.
(vgl. Randnrn. 32, 34-38 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
1. Oktober 2009(*)
„Indirekte Steuern – Ansammlung von Kapital – Steuer zum Satz von 1,5 % auf die Übertragung oder die Ausgabe von Aktien auf bzw. an einen Abrechnungsdienst (‚Clearance Service‘)“
In der Rechtssache C-569/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von den Special Commissioners of Income Tax, London (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 19. Dezember 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 2007, in dem Verfahren
HSBC Holdings plc,
Vidacos Nominees Ltd
gegen
The Commissioners of Her Majesty’s Revenue & Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J.-C. Bonichot, K. Schiemann, J. Makarczyk (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der HSBC Holdings plc, Prozessbevollmächtigte: R. Norton, Solicitor, I. Glick, QC, und D. Jowell, Barrister,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Hall, I. Rao und R. Thomas als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. März 2009
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 10 und 11 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie) sowie der Art. 43 EG, 49 EG oder 56 EG oder anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der HSBC Holdings plc (im Folgenden: HSBC) und der Vidacos Nominees Ltd einerseits und den Commissioners of Her Majesty’s Revenue & Customs (britische Steuerbehörde) andererseits wegen der Erhebung einer als „stamp duty reserve tax“ (im Folgenden: SDRT) bezeichneten Steuer nach Section 96 des Finanzgesetzes 1986 (Finance Act 1986, im Folgenden: Finanzgesetz 1986).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Der erste und der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie lauten:
„Ziel des Vertrags ist die Schaffung einer Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt; eine der wesentlichen Voraussetzungen zur Erreichung dieses Zieles ist die Förderung eines freien Kapitalverkehrs.
…
Die Konzeption eines Gemeinsamen Marktes mit den Eigenschaften eines Binnenmarktes setzt voraus, dass die Steuer auf die Ansammlung von Kapital innerhalb des Gemeinsamen Marktes auf Kapital, das im Rahmen einer Gesellschaft angesammelt worden ist, nur einmal erhoben werden kann und dass diese Besteuerung, wenn sie den Kapitalverkehr nicht stören soll, in allen Mitgliedstaaten gleich hoch sein muss.“
4 Art. 4 der Richtlinie führt die der Gesellschaftsteuer unterliegenden Vorgänge auf, zu denen u. a. die Gründung einer Kapitalgesellschaft und die Erhöhung ihres Kapitals durch Einlagen jeder Art zählen.
5 Art. 10 der Richtlinie untersagt die Erhebung einer anderen als der Gesellschaftsteuer auf die Vorgänge nach Art. 4 der Richtlinie.
6 Art. 11 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten erheben keine Steuer irgendwelcher Art:
a) auf die Ausfertigung, die Ausgabe, die Börsenzulassung, das Inverkehrbringen von oder den Handel mit Aktien, Anteilen oder anderen Wertpapieren gleicher Art sowie Zertifikaten derartiger Wertpapiere, ungeachtet der Person des Emittenten;
b) auf Anleihen einschließlich Renten, die durch Ausgabe von Obligationen oder anderen handelsfähigen Wertpapieren aufgenommen werden, ungeachtet der Person des Emittenten, auf alle damit zusammenhängenden Formalitäten sowie auf die Ausfertigung, Ausgabe oder Börsenzulassung, das Inverkehrbringen von oder den Handel mit diesen Obligationen oder anderen handelsfähigen Wertpapieren.“
7 Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie können die Mitgliedstaaten in Abweichung von den Art. 10 und 11 der Richtlinie „pauschal oder nicht pauschal erhobene Börsenumsatzsteuern“ erheben.
8 Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie befreien die Mitgliedstaaten die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen, von der Gesellschaftsteuer. Andere Vorgänge, auf die Gesellschaftsteuer erhoben werden kann, können befreit oder einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v. H. unterworfen werden.
Nationales Recht
9 Nach Section 87(1) des Finanzgesetzes 1986 wird auf jede Übertragung von Aktien oder anderen steuerbaren Wertpapieren SDRT zum Satz von 0,5 % des Wertes der Papiere oder des für die Übertragung gezahlten Betrags erhoben. Die SDRT fällt nicht an, wenn die Übertragung der Aktien mittels einer ordnungsgemäß abgestempelten Wertpapierübertragungsurkunde festgestellt wird.
10 Section 87(1) des Finanzgesetzes 1986 findet nur auf die Übertragung „steuerbarer Wertpapiere“ Anwendung. Der Begriff „steuerbare Wertpapiere“ ist in Section 99 des Gesetzes definiert und bezieht sich auf Aktien, die von im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaften ausgegeben werden, und auf Aktien, die von ausländischen Gesellschaften ausgegeben werden, wenn diese in einem Register des Vereinigten Königreichs geführt oder mit von im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaften ausgegebenen Aktien „gepaart“ werden, sowie auf bestimmte andere Rechte in Bezug auf solche Aktien. Nach Section 86(4) des Finanzgesetzes 1986 entsteht die Steuer unabhängig von dem Ort, an dem das Geschäft durchgeführt wird, und unabhängig vom Sitz der Beteiligten.
11 Section 96(1) und (2) des Finanzgesetzes 1986 bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich … der Sections 97 und 97A wird gemäß dieser Section [SDRT] erhoben, wenn
(a) jemand (A), dessen Geschäftstätigkeit in der Erbringung von Abrechnungsdienstleistungen für den Erwerb oder Verkauf steuerbarer Wertpapiere besteht oder solche Dienstleistungen umfasst, eine Vereinbarung zur Erbringung solcher Abrechnungsdienstleistungen an einen anderen abgeschlossen hat und
(b) gemäß dieser Vereinbarung an A oder an eine Person, deren Geschäftstätigkeit im Halten steuerbarer Wertpapiere im Auftrag von A besteht oder ein solches Halten umfasst, steuerbare Wertpapiere übertragen oder ausgegeben werden.
(2) … die Steuer gemäß dieser Section wird zum Satz von 1,5 % erhoben; dabei ist die Besteuerungsgrundlage
(a) im Falle der Ausgabe der Wertpapiere deren Ausgabekurs;
(b) im Falle der Übertragung der Wertpapiere gegen Geld oder einen geldwerten Vorteil der gezahlte Betrag oder der Wert des Vorteils;
(c) in allen anderen Fällen der Wert der Wertpapiere.“
12 Es gibt keine Legaldefinition für den Begriff „Abrechnungsdienst“. Im Handbuch der Steuerverwaltung über die Wertpapiersteuern heißt es zu diesem Begriff:
„14.10 In der Regel handelt es sich bei einem Abrechnungsdienst um eine Einrichtung zum Halten von Wertpapieren und zum Abrechnen von Geschäften mit solchen Wertpapieren durch buchmäßiges Erfassen. Die Wertpapiere können auf unbestimmte Zeit in der Einrichtung gehalten werden, auch wenn der wirtschaftlich Berechtigte wechselt; gehalten werden die Wertpapiere entweder vom Betreiber des Abrechnungsdienstes oder seinem Beauftragten, so dass sie ohne Übertragungsurkunden gehandelt werden können.
14.11 Abrechnungsdienste sind in Ländern auf dem europäischen Festland üblich. Häufig sind Gesellschaftsanteile als Inhaberpapiere ausgestaltet; die Dienste gewährleisten deren Unversehrtheit (die Inhaberscheine werden in einem Tresor aufbewahrt) und erleichtern gleichzeitig Handel und Abrechnung.
14.12 Verträge über die Übertragung von bei einem Abrechnungsdienst gehaltenen Wertpapieren unterliegen nicht der SDRT.“
13 Nach der erstmaligen Besteuerung sind nach Section 90(5) des Finanzgesetzes 1986 Übertragungen innerhalb des Abrechnungsdienstes von der in Section 87 des Gesetzes vorgesehenen gewöhnlichen Besteuerung befreit.
14 Nach Section 97A des Finanzgesetzes 1986 kann der Betreiber des Abrechnungsdienstes mit Zustimmung der Steuerverwaltung eine Option dahin ausüben, dass Wertpapiersteuer und SRDT nach dieser Vorschrift erhoben werden. Die Option des Section 97A des Finanzgesetzes 1986 wird zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem die Steuerverwaltung dem Betreiber des Abrechnungsdienstes ihre Zustimmung mitteilt. Solange diese Option gilt, werden die Wertpapiersteuer und die SDRT im Rahmen der Abrechungsdienstleistungen, die von der Option erfasst sind, (z. B. Übertragungen oder Emissionen nach Section 96[1] des Finanzgesetzes 1986) so erhoben, wie sie ohne Anwendung von Section 96 des Finanzgesetzes 1986 erhoben worden wären. Soweit also eine solche Option gewählt und bewilligt wurde, werden die innerhalb des Abrechnungsdienstes erfolgten Vorgänge zum Normalsatz von 0,5 % besteuert; auf die Aufnahme der betreffenden Wertpapiere in den Abrechnungsdienst wird keine Steuer erhoben.
15 Section 97(4) des Finanzgesetzes 1986 befreit die Ausgabe von Aktien im Tausch gegen andere, im Rahmen einer sogenannten Regelung für Abrechnungsdienste gehaltene Aktien von der in Section 96 des Finanzgesetzes 1986 vorgesehenen Steuer, wenn der Emittent entweder die andere Gesellschaft bereits beherrscht oder sie infolge des Tauschangebots beherrschen wird. Section 97(6) des Finanzgesetzes 1986 bewirkt, dass diese Regelung nur greift, wenn es sich auch bei den anderen Aktien um steuerbare Wertpapiere handelt.
Sachverhalt und Vorlagefrage
16 Ausweislich der Vorlageentscheidung legte HSBC, eine Gesellschaft, die im Vereinigten Königreich gegründet wurde und dort ihren steuerlichen Sitz hat, am 7. Juni 2000 ein Angebot zum öffentlichen Erwerb aller ausgegebenen Aktien der Crédit commercial de France (im Folgenden: CCF) vor, einer Gesellschaft, die in Frankreich gegründet wurde und dort ihren steuerlichen Sitz hat und deren Aktien an der Bourse de Paris (Pariser Börse) notiert waren.
17 Das Angebot war als Barkauf der Aktien der CCF gefasst, umfasste aber auch die Möglichkeit eines Tausches der Aktien der beiden Gesellschaften im Verhältnis von dreizehn HSBC-Aktien gegen eine CCF-Aktie. Um diese letztere Möglichkeit für die in Frankreich ansässigen CCF-Aktionäre attraktiv zu machen, veranlasste HSBC ihre Notierung an der Pariser Börse. Als Folge dieser Notierung musste HSBC ein Konto auf ihren Namen bei der Société interprofessionnelle pour la compensation des valeurs mobilières (SICOVAM) (branchenübergreifende Gesellschaft für Wertpapierabrechnung), dem französischen Abrechnungsdienst, eröffnen, der zum Zeitpunkt des Ausgangsverfahrens eine Monopolstellung für den Aktienhandel an der Pariser Börse hatte. Es gab also drei Möglichkeiten für den Bezug von HSBC-Aktien im Tausch gegen CCF-Aktien, nämlich:
– über SICOVAM, das französische Abrechnungssystem für an der Pariser Börse gehandelte Aktien,
– über CREST, das britische Abrechnungssystem für Aktien in unverbriefter Form,
– durch Registrierung im HSBC-Aktienregister in verbriefter Form.
18 HSBC erklärte sich bereit, die gesamte SDRT, die für über SICOVAM gehandelte Aktien anfallen würde, zu übernehmen. Andernfalls wäre das Angebot finanziell unvorteilhaft und folglich für viele französische Aktionäre wenig interessant gewesen.
19 Die HSBC-Aktien, die als Gegenleistung für die CCF-Aktien ausgegeben wurden, waren „steuerbare Wertpapiere“ im Sinne von Section 99(3) des Finanzgesetzes 1986. Bei ihrer Ausgabe an einen Abrechnungsdienst, d. h. im Ausgangsverfahren an Vidacos Nominees Ltd, die Beauftragte von SICOVAM für das Vereinigte Königreich, war gemäß Section 96(1) und (2) des Finanzgesetzes 1986 SDRT zum Satz von 1,5 % des Kurses oder des Wertes dieser Aktien zu entrichten. Bei den beiden anderen Möglichkeiten dagegen fiel bei der Ausgabe der Aktien keine Wertpapiersteuer oder SDRT an. Erst bei anschließenden Übertragungen der Aktien fielen Steuern zum Satz von 0,5 % an.
20 Der Vorlageentscheidung zufolge erhielten die CCF-Aktionäre entsprechend ihrer Wahl 255 607 131 HSBC-Aktien über SICOVAM. Davon wurden ungefähr 105 Millionen, also 41 %, innerhalb von zwei Wochen aus SICOVAM entnommen und an der Londoner Börse gehandelt. Anschließende Übertragungen dieser Aktien innerhalb von CREST unterlagen der SDRT zum Normalsatz von 0,5 %.
21 Darüber hinaus bietet HSBC, deren Aktien weiterhin an der Pariser Börse notiert sind, ihren Aktionären an, zu wählen, ob sie ihre Dividenden in Form von Aktien oder bar beziehen wollen. Wenn HSBC-Aktien, die zum Dividendenbezug berechtigen, bei SICOVAM gehalten werden, werden die als Dividenden ausgegebenen Aktien in SICOVAM aufgenommen, da sie im Rahmen dieses Dienstes auf den Namen dieser Gesellschaft registriert sind. Für diese Aktien war SDRT zum Satz von 1,5 % zu entrichten, die Kosten dieser steuerlichen Belastung wurden an die französischen HSBC-Aktionäre, die ihre Aktien bei SICOVAM hielten, weitergegeben, so dass diese Aktionäre 1,5 % weniger Aktien erhielten als andere Aktionäre.
22 HSBC beantragte die Erstattung der SDRT, die zu einem Satz von 1,5 % auf die an SICOVAM ausgegebenen Aktien entrichtet worden war. Da dies von der Steuerverwaltung abgelehnt wurde, legte sie ein Rechtsmittel bei den Special Commissioners ein.
23 Vor diesem Hintergrund haben die Special Commissioners das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen Art. 10 oder 11 der Richtlinie oder die Art. 43 EG, 49 EG oder 56 EG oder eine andere Bestimmung des Gemeinschaftsrechts der Erhebung einer Steuer zum Satz von 1,5 % durch einen Mitgliedstaat (im Folgenden: erster Mitgliedstaat) auf die Übertragung oder Ausgabe von Aktien an einen Abrechnungsdienst entgegen, wenn
a) eine im ersten Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft (im Folgenden: Gesellschaft A) die Übernahme der notierten und an der Börse gehandelten Aktien einer in einem anderen Mitgliedstaat (im Folgenden: zweiter Mitgliedstaat) niedergelassenen Gesellschaft (im Folgenden: Gesellschaft B) gegen an einer Börse im zweiten Mitgliedstaat auszugebende Aktien der Gesellschaft A anbietet,
b) Aktionäre der Gesellschaft B die Möglichkeit haben, die neuen Aktien der Gesellschaft A
– entweder in verbriefter Form,
– in unverbriefter Form durch ein Abrechnungssystem im ersten Mitgliedstaat oder
– in unverbriefter Form durch einen Abrechnungsdienst im zweiten Mitgliedstaat zu beziehen,
c) das Recht des ersten Mitgliedstaats zusammengefasst Folgendes vorsieht:
– Im Fall der Ausgabe von Aktien in verbriefter Form (oder in unverbriefter Form im Abrechnungssystem für unverkörperte Aktien im ersten Mitgliedstaat) wird Steuer nicht bei der Aktienausgabe, sondern bei jedem anschließenden Verkauf der Aktien erhoben, und zwar zum Satz von 0,5 % der Gegenleistung für die Übertragung; jedoch
– wird bei der Übertragung oder Ausgabe unverbriefter Aktien an den Betreiber eines Abrechnungsdienstes Steuer (im Fall einer Aktienausgabe) zum Satz von 1,5 % des Ausgabekurses oder (im Fall der entgeltlichen Aktienübertragung) zum Satz von 1,5 % des Wertes der Gegenleistung oder (in allen anderen Fällen) zum Satz von 1,5 % des Wertes der Aktien erhoben, während alle anschließenden Verkäufe der Aktien (oder der daran oder daraus bestehenden Rechte) innerhalb des Abrechnungsdienstes nicht besteuert werden;
– der Betreiber eines Abrechnungsdienstes kann mit Zustimmung der zuständigen Steuerbehörde eine Regelung wählen, wonach die Übertragung oder Ausgabe der Aktien an den Abrechnungsdienst nicht besteuert wird, sondern die Steuer stattdessen auf jeden einzelnen Verkauf der Aktien innerhalb des Abrechnungsdienstes zum Satz von 0,5 % der Gegenleistung erhoben wird. Die zuständige Steuerbehörde kann als Voraussetzung für die Zustimmung zu einer solchen Regelung verlangen (und verlangt dies derzeit auch), dass der Betreiber des Abrechnungsdienstes ein (von der Steuerbehörde als geeignet betrachtetes) Verfahren zur Erhebung der Steuer im Abrechnungsdienst und zur Einhaltung oder Gewährleistung der Einhaltung der insoweit geltenden Vorschriften einrichtet und anwendet;
d) nach den für die Börse im zweiten Mitgliedstaat geltenden Vorschriften alle in diesem Mitgliedstaat ausgegebenen Aktien in unverbriefter Form durch einen einheitlichen Abrechnungsdienst im zweiten Mitgliedstaat gehalten werden müssen und der Betreiber dieses Abrechnungsdienstes die oben genannte Wahlmöglichkeit nicht in Anspruch genommen hat?
Zur Vorlagefrage
24 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 10 und 11 der Richtlinie sowie die Art. 43 EG, 49 EG oder 56 EG oder eine andere Bestimmung des Gemeinschaftsrechts der Erhebung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bei der Ausgabe von Aktien an einen Abrechnungsdienst entgegenstehen.
25 Vorab ist daran zu erinnern, dass die Richtlinie die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten die Ansammlung von Kapital indirekten Steuern unterwerfen dürfen, abschließend harmonisiert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2007, Kommission/Griechenland, C-178/05, Slg. 2007, I-4185, Randnr. 31).
26 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass nationale Maßnahmen, die sich auf eine Frage beziehen, die Gegenstand einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene ist, anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des EG-Vertrags zu beurteilen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Dezember 2001, DaimlerChrysler, C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Randnr. 32, und vom 24. Januar 2008, Roby Profumi, C-257/06, Slg. 2008, I-189, Randnr. 14).
27 Bei der Beantwortung der Vorlagefrage muss sich der Gerichtshof daher auf die Auslegung der Richtlinie beschränken.
28 Zunächst ist hervorzuheben, dass die Richtlinie, wie aus ihren Erwägungsgründen hervorgeht, den freien Kapitalverkehr fördern will, der als wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt angesehen wird. Die Verfolgung dieses Zieles setzt hinsichtlich der Steuern auf die Ansammlung von Kapital voraus, dass die in den Mitgliedstaaten bisher geltenden indirekten Steuern aufgehoben und durch eine innerhalb des Gemeinsamen Marktes nur einmal und in allen Mitgliedstaaten in gleicher Höhe erhobene Steuer ersetzt werden.
29 Insoweit sieht die Richtlinie in ihrem letzten Erwägungsgrund die Aufhebung indirekter Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer oder die Wertpapiersteuer vor, deren Beibehaltung die von ihr verfolgten Zielsetzungen gefährdet. Die indirekten Steuern, deren Erhebung verboten ist, sind in den Art. 10 und 11 der Richtlinie aufgezählt.
30 Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie stellt eine abschließende Liste der anderen Steuern oder Abgaben als der Gesellschaftsteuer auf, die in Abweichung von den Art. 10 und 11 von Kapitalgesellschaften im Zusammenhang mit den in diesen Bestimmungen genannten Vorgängen erhoben werden können (vgl. Urteil vom 2. Februar 1988, Investeringsforeningen Dansk Sparinvest, 36/86, Slg. 1988, 409, Randnr. 9). Art. 12 der Richtlinie bezieht sich insbesondere in seinem Abs. 1 Buchst. a auf „pauschal oder nicht pauschal erhobene Börsenumsatzsteuern“.
31 Im Ausgangsverfahren liegt der Entstehungstatbestand der SDRT in der Durchführung eines spezifischen Vorgangs des Erwerbs bei einem öffentlichen Kaufangebot neu ausgegebener Wertpapiere. Wie der Generalanwalt in Nr. 23 seiner Schlussanträge dargelegt hat, stellten die HSBC-Aktien, die zwecks eines Tausches gegen CCF-Aktien in SICOVAM aufgenommen wurden, neue Aktien und somit eine Kapitalerhöhung dar.
32 Die Erlaubnis zur Erhebung einer Steuer oder Gebühr auf den Ersterwerb eines neu emittierten Wertpapiers läuft jedoch in Wirklichkeit auf die Besteuerung der Emission dieses Wertpapiers selbst als Bestandteil eines Gesamtumsatzes im Hinblick auf die Ansammlung von Kapital hinaus. Eine Emission von Wertpapieren ist nämlich kein Selbstzweck, sondern wird erst in dem Moment sinnvoll, in dem diese Wertpapiere Erwerber finden (Urteil vom 15. Juli 2004, Kommission/Belgien, C-415/02, Slg. 2004, I-7215, Randnr. 32).
33 Die praktische Wirksamkeit des Art. 11 Buchst. a der Richtlinie verlangt somit, dass die „Ausgabe“ im Sinne dieser Bestimmung den Ersterwerb von Wertpapieren umfassen muss, der im Rahmen ihrer Emission erfolgt (vgl. Urteil Kommission/Belgien, Randnr. 33).
34 Wird insoweit der Begriff „Umsatz“ in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie so ausgelegt, wie es die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften anregen, nämlich dahin, dass die SDRT zum Satz von 1,5 % eine Aktienumsatzsteuer in der Form eines „season ticket“ sei, würde Art. 11 Buchst. a dieser Richtlinie die praktische Wirksamkeit genommen und die klare Unterscheidung in Frage gestellt, die die Art. 11 Buchst. a und 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zwischen den Begriffen „Ausgabe“ und „Umsatz“ treffen. Eine solche Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass die Emission, die notwendigerweise einen Erwerb neu ausgegebener Wertpapiere mit sich bringt, jedoch nach dieser Bestimmung keiner anderen Steuer oder Gebühr als der Wertpapiersteuer unterliegen darf, gleichwohl mit einer Steuer oder Gebühr belegt sein könnte.
35 Somit kann der Ersterwerb von Wertpapieren im Rahmen ihrer Emission nicht als ein „Umsatz“ im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, und eine diesen Ersterwerb belastende Steuer kann demnach nicht unter die in dieser Bestimmung enthaltene abweichende Regelung fallen.
36 Zudem kann von einer Steuer wie der SDRT nicht angenommen werden, dass sie sich in Wirklichkeit auf zukünftige Umsätze beziehe, da, wie der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, weder die Besteuerungsgrundlage noch der Steuerschuldner dieser Steuer in Bezug auf solche im Übrigen hypothetischen Umsätze bestimmt sind.
37 Nach alledem ist festzustellen, dass eine Steuer wie die SDRT, soweit sie auf neue Wertpapiere im Anschluss an die Durchführung einer Kapitalerhöhung erhoben wird, eine Besteuerung im Sinne des Art. 11 Buchst. a der Richtlinie darstellt, deren Einführung durch diese Bestimmung untersagt ist.
38 Folglich ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 11 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er der Erhebung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bei der Ausgabe von Aktien an einen Abrechnungsdienst entgegensteht.
Kosten
39 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 11 Buchst. a der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er der Erhebung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf die Ausgabe von Aktien an einen Abrechnungsdienst entgegensteht.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Englisch.