Rechtssache C-182/08
Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG
gegen
Finanzamt München II
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)
„Niederlassungsfreiheit und freier Kapitalverkehr – Körperschaftsteuer – Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft – Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Wertminderung der Anteile durch Ausschüttung von Dividenden bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Erwerbers“
Leitsätze des Urteils
1. Freier Kapitalverkehr – Bestimmungen des Vertrags – Geltungsbereich
(EG-Vertrag, Art. 52 und 73 B [jetzt Art. 43 EG und 56 EG])
2. Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Körperschaftsteuer
(EG-Vertrag, Art. 73 B [jetzt Art. 56 EG])
1. Eine Regelung eines Mitgliedstaats, wonach die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen ausgeschlossen wird, wenn dieser Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb solcher Anteile von einem gebietsansässigen Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert, ist ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen. Da das Ziel der fraglichen Regelung darin besteht, gebietsfremde Anteilseigner daran zu hindern, einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen, der unmittelbar durch Anteilsveräußerungen entsteht, die möglicherweise allein zum Zweck der Erlangung dieses Vorteils erfolgen und nicht zum Zweck oder infolge der Ausübung der Niederlassungsfreiheit, ist nämlich davon auszugehen, dass der den freien Kapitalverkehr betreffende Aspekt der Regelung Vorrang vor dem Aspekt der Niederlassungsfreiheit hat. Sollte diese Regelung zu Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit führen, wären derartige Auswirkungen folglich die unvermeidliche Folge einer eventuellen Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und rechtfertigten damit keine eigenständige Prüfung der Regelung im Hinblick auf Art. 52 EG-Vertrag.
(vgl. Randnrn. 50-52)
2. Art. 73b EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen ausgeschlossen wird, wenn dieser Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb von einem gebietsansässigen Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert. Dies gilt in den Fällen, in denen eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und um rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob sich diese Regelung auf das beschränkt, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
Dass einem Steuerpflichtigen nur dann die Möglichkeit gegeben wird, von seinen der Steuer unterliegenden Gewinnen die mit der Teilwertabschreibung verbundenen Verluste abzuziehen, wenn er Anteile von einem gebietsansässigen Anteilseigner erwirbt, macht nämlich die von Gebietsfremden gehaltenen Anteile weniger attraktiv und kann den betreffenden Steuerpflichtigen folglich davon abhalten, derartige Anteile zu erwerben. Darüber hinaus kann eine solche Ungleichbehandlung gebietsfremde Investoren davon abhalten, Anteile an der gebietsansässigen Gesellschaft zu erwerben, und damit die Beschaffung von Kapital aus anderen Mitgliedstaaten durch diese Gesellschaft behindern, so dass eine solche Regelung eine grundsätzlich nach Art. 73b EG-Vertrag verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.
Diese Ungleichbehandlung spiegelt keinen Unterschied in den objektiven Situationen der Anteilseigner wider, da sich diese hinsichtlich der Verluste, die sich aus der Teilwertabschreibung auf Anteile an einer gebietsansässigen Gesellschaft ergeben, in einer vergleichbaren Situation befinden, gleichgültig, ob es sich um von einem Gebietsansässigen oder einem Gebietsfremden erworbene Anteile handelt. Die Ausschüttung der Gewinne mindert nämlich den Wert eines Anteils unabhängig davon, ob dieser von einem Gebietsansässigen oder einem Gebietsfremden erworben wurde, und in beiden Fällen wird die Wertminderung vom gebietsansässigen Anteilseigner getragen.
Die fragliche Verordnung kann in Ermangelung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung auch nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Kohärenz der Steuerregelung der Vollanrechnung zu wahren. Die Nachteile aus dieser Regelung entstehen dabei ummittelbar dem gebietsansässigen Anteilseigner, der die betreffenden Anteile von einem Gebietsfremden erworben hat. Für diesen gebietsansässigen Anteilseigner wird die fehlende Möglichkeit, von seinen steuerpflichtigen Gewinnen die mit der Teilabschreibung auf die Anteile an der gebietsansässigen Gesellschaft verbundenen Verluste abzuziehen, wenn die Wertminderung der Anteile durch die Gewinnausschüttung bedingt ist, nicht durch einen Steuervorteil ausgeglichen.
Eine solche Regelung kann jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, da Vorgänge anderer Art als eine Dividendenausschüttung, die es dem gebietsfremden Anteilseigner ermöglichen würden, wirtschaftlich dasselbe Ergebnis zu erzielen, als würde ihm eine Steuergutschrift für die Körperschaftsteuer gewährt, die von der Gesellschaft, an der er Anteile hält, entrichtet wird, die Möglichkeit für den Sitzstaat der betreffenden Gesellschaft, von seinem Recht zur Besteuerung eines Einkommens, das durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wurde, Gebrauch zu machen, genauso beeinträchtigen könnten. Indem diese Regelung das Recht des neuen Anteilseigners auf Abzug des Betrags der durch die Wertminderung der Anteile bedingten Verluste von seinen der Steuer unterliegenden Gewinnen beschränkt, soweit die Verluste einen Sperrbetrag, der der Differenz zwischen dem vom gebietsansässigen Anteilseigner gezahlten Anschaffungspreis und dem Nominalwert der Anteile entspricht, nicht übersteigen, lassen sich mit ihr Praktiken verhindern, die allein zum Ziel hätten, den gebietsfremden Anteilseigner in den Genuss einer Steuergutschrift für die von der gebietsansässigen Gesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer kommen zu lassen. Darüber hinaus kann die aus dieser Beschränkung folgende Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Steuer des neuen, gebietsansässigen Anteilseigners verhindern, dass normalerweise im betreffenden Mitgliedstaat der Steuer unterliegende Einkünfte als Teil des Überschusses, den der frühere, gebietsfremde Anteilseigner in Höhe der ungerechtfertigten Steuergutschrift erzielt hat, transferiert werden, ohne in diesem Mitgliedstaat besteuert zu werden. Eine solche Regelung ist daher geeignet, die Ziele der Wahrung der Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Verhinderung rein künstlicher, jeder wirtschaftlichen Realität barer Gestaltungen, die auf die Erlangung eines Steuervorteils ausgerichtet sind, zu erreichen.
Zu prüfen ist allerdings, ob eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Es ist insoweit Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass, soweit der Sperrbetrag anhand der Kosten für die Anschaffung der betreffenden Anteile errechnet wird, die Folgen dieser Regelung nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um sicherzustellen, dass dem gebietsfremden Anteilseigner nicht ungerechtfertigt ein der Steuergutschrift entsprechender Betrag gewährt wird. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass die Anteile aus anderen Gründen als der Absicht, den Anteilseigner in den Genuss einer Steuergutschrift für die von der gebietsansässigen Gesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer kommen zu lassen, zu einem höheren Betrag als ihrem Nominalwert veräußert werden oder dass jedenfalls die nicht ausgeschütteten Gewinne und die Möglichkeit, in den Genuss einer mit den Anteilen zusammenhängenden Steuergutschrift zu kommen, nur ein Bestandteil des Verkaufspreises der Anteile sind. Zudem kann die Berücksichtigung des Sperrbetrags und die Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Steuer des gebietsansässigen Anteilseigners auch für andere Steuern, denen der Anteilseigner unterliegen kann, insbesondere für die Berechnung der von ihm geschuldeten Gewerbesteuer, Folgen haben, die weit über das hinausgehen würden, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die mit der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung verfolgt werden.
Es ist ebenfalls Sache des nationalen Gerichts, sich zu vergewissern, dass die Anwendung der Beschränkung der Berücksichtigung der Wertminderung der Anteile infolge der Dividendenausschüttung im Jahr des Erwerbs der Anteile und in den folgenden neun Jahren, wie in der Regelung vorgesehen, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die mit ihr verfolgt werden. Schließlich müsste eine Maßnahme, mit der das Ziel verfolgt wird, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen, dem nationalen Gericht ermöglichen, eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Falles durchzuführen und sich dabei für die Berücksichtigung von missbräuchlichem oder betrügerischem Verhalten der betroffenen Personen auf objektive Elemente zu stützen.
Wenn die Regelung nicht zulässt, dass ihre Anwendung auf rein künstliche Gestaltungen, die anhand objektiver Elemente festgestellt werden, beschränkt wird, sondern alle Fälle erfasst, in denen ein gebietsansässiger Steuerpflichtiger Anteile an einer gebietsansässigen Gesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner zu einem Preis erworben hat, der, aus welchen Gründen auch immer, den Nominalwert der Anteile übersteigt, gehen die Wirkungen der Regelung über das hinaus, was erforderlich ist, um das Ziel der Verhinderung rein künstlicher, jeder wirtschaftlichen Realität barer Gestaltungen zu erreichen, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen.
(vgl. Randnrn. 56-59, 73-74, 78, 80-81, 84, 88, 91-94, 96-102 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
17. September 2009(*)
„Niederlassungsfreiheit und freier Kapitalverkehr – Körperschaftsteuer – Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft – Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Wertminderung der Anteile durch Ausschüttung von Dividenden bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Erwerbers“
In der Rechtssache C-182/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. Januar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 2008, in dem Verfahren
Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG
gegen
Finanzamt München II
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Glaxo Wellcome GmbH & Co KG, vertreten durch Rechtsanwälte H.-M. Pott und T. Englert,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juli 2009
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und 73b EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG, einer Kommanditgesellschaft deutschen Rechts, deren Komplementäre Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind, und dem Finanzamt München II (im Folgenden: Finanzamt) wegen Feststellung der Gewinne der Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG in den Jahren 1995 bis 1998.
Rechtlicher Rahmen
Nationales Recht
3 Im Rahmen des in Deutschland im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Steuersystems der „Vollanrechnung“ wurde die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der von in Deutschland ansässigen Gesellschaften an in Deutschland ansässige Steuerpflichtige ausgeschütteten Gewinne nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 49 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) dadurch vermieden, dass den Steuerpflichtigen ein Anspruch auf volle Anrechnung der von den ausschüttenden Gesellschaften entrichteten Körperschaftsteuer auf ihre Einkommen- oder Körperschaftsteuer gewährt wurde.
4 Nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG verwandelte sich der Anspruch des gebietsansässigen Anteilseigners auf Anrechnung der Körperschaftsteuer in einen Vergütungsanspruch, soweit seine eigene Steuerschuld niedriger war als die Vorbelastung der ausgeschütteten Summe mit Körperschaftsteuer. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG wurde dieser Anspruch wiederum als Teil der Einkünfte angesehen.
5 Gehörte die Beteiligung an einer juristischen Person zum Betriebsvermögen des gebietsansässigen Steuerpflichtigen, konnte dieser nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG zeitgleich mit der Dividendenausschüttung den Wert der Anteile in seiner Steuerbilanz herabsetzen. Diese Wertminderung, die als „Teilwertabschreibung“ bezeichnet wird, beruhte auf dem Gedanken, dass die Ausschüttung nur eine Vermögensumschichtung darstelle. Der Wert eines Anteils verminderte sich dementsprechend um den Wert der auf diesen Anteil entfallenden Ausschüttung.
6 Die Bruttoausschüttung, die den Anspruch nach § 36 EStG auf Anrechnung der Körperschaftsteuer einschloss, und die entsprechende Teilwertabschreibung beliefen sich daher normalerweise auf denselben Betrag und neutralisierten einander.
7 Die Ausschüttungen führten somit im Ergebnis nicht zu Einkünften. Folglich entsprach der Steuergutschrift, die einen Teil der durch die Ausschüttung entstandenen Einnahmen bildete, keine Steuerschuld. Wenn der Steuerpflichtige im betreffenden Jahr keine anderen Einnahmen hatte, wandelte sich die Steuergutschrift infolgedessen in einen Erstattungsanspruch um.
8 Der aus einem Überschuss des Kaufpreises über den Nominalwert der Anteile bestehende Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen stellte Einkünfte im Sinne des Steuerrechts dar und unterlag bei gebietsansässigen Steuerpflichtigen der Einkommensteuer nach Maßgabe des § 17 EStG oder der Körperschaftsteuer nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 KStG.
9 Im Fall von gebietsfremden Steuerpflichtigen unterlagen die Einkünfte aus Gewinnausschüttungen gebietsansässiger Gesellschaften sowie die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an solchen Gesellschaften nicht der deutschen Einkommen- oder Körperschaftsteuer.
10 Gebietsfremde Steuerpflichtige hatten auch keinen Anspruch auf Anwendung des Systems der Vollanrechnung auf die von gebietsansässigen Gesellschaften an sie ausgeschütteten Gewinne und konnten damit nicht in den Genuss einer Steuergutschrift in Höhe der von der ausschüttenden gebietsansässigen Gesellschaft entrichteten Steuer kommen.
11 § 50c Abs. 1 und 4 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt vom 13. September 1993 (Standortsicherungsgesetz) (BGBl. 1993 I S. 1569) lautete:
„(1) Hat ein zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigter Steuerpflichtiger einen Anteil an einer … unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft von einem nichtanrechnungsberechtigten Anteilseigner … erworben, sind Gewinnminderungen, die
1. durch den Ansatz des niedrigeren Teilwerts oder
2. durch Veräußerung oder Entnahme des Anteils
im Jahr des Erwerbs oder in einem der folgenden neun Jahre entstehen, bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen, soweit der Ansatz des niedrigeren Teilwerts oder die sonstige Gewinnminderung nur auf Gewinnausschüttungen oder auf organschaftliche Gewinnabführungen zurückgeführt werden kann und die Gewinnminderungen insgesamt den Sperrbetrag im Sinne des Absatzes 4 nicht übersteigen. …
…
(4) Sperrbetrag ist der Unterschiedsbetrag zwischen den Anschaffungskosten und dem Nennbetrag des Anteils. …“
12 Das Gesetz zur Änderung des Umwandlungssteuerrechts vom 28. Oktober 1994 (UmwStG) (BGBl. 1994 I S. 3267) hatte im deutschen Recht die Möglichkeit eingeführt, eine Kapitalgesellschaft unter Fortführung der steuerlichen Buchwerte der übergegangenen Wirtschaftsgüter in eine Personengesellschaft umzuwandeln, ohne dass es zu einer Aufdeckung der stillen Reserven kommt.
13 Ging das Vermögen einer Körperschaft durch Umwandlung auf eine Personengesellschaft über, war nach § 4 Abs. 4 UmwStG auf der Ebene der Personengesellschaft durch Gegenüberstellung des Wertes, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu übernehmen waren, und des Buchwerts der Anteile an der übertragenden Körperschaft der Übernahmegewinn oder -verlust zu ermitteln. Nach § 14 UmwStG galt dies entsprechend für den Fall, dass eine Körperschaft formwechselnd in eine Personengesellschaft umgewandelt wurde.
14 Der so ermittelte Übernahmegewinn oder -verlust („1. Stufe“) war gemäß § 4 Abs. 5 UmwStG um die nach § 10 Abs. 1 UmwStG anzurechnende Körperschaftsteuer und um einen Sperrbetrag im Sinne des § 50c EStG zu erhöhen bzw. zu mindern, soweit die Anteile an der übertragenden Körperschaft am steuerlichen Übertragungsstichtag zum Betriebsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft gehörten.
15 Ergab sich danach weiterhin ein Übernahmeverlust („2. Stufe“), waren die Wertansätze der übergegangenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter bis zu ihren Teilwerten aufzustocken; ein dann immer noch verbleibender Betrag minderte nach § 4 Abs. 6 UmwStG den Gewinn der übernehmenden Personengesellschaft.
16 § 10 Abs. 1 UmwStG lautete:
„Die Körperschaftsteuer, die auf den Teilbeträgen des für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapitals der übertragenden Körperschaft im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [KStG] lastet, ist vorbehaltlich des Absatzes 2 auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter der übernehmenden Personengesellschaft oder auf die Einkommensteuer der übernehmenden natürlichen Person anzurechnen.“
Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland
17 Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 (BGBl. 1966 II S. 358) bestimmt in Art. III Abs. 1: „Gewerbliche Gewinne eines Unternehmens eines der Gebiete werden nur in diesem Gebiete besteuert, es sei denn, dass das Unternehmen in dem anderen Gebiet eine gewerbliche Tätigkeit durch eine dort gelegene Betriebstätte ausübt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
18 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens entstand am 1. Juli 1995 im Rahmen der Umstrukturierung des Glaxo-Wellcome-Konzerns durch formwechselnde Umwandlung der Glaxo Wellcome GmbH (im Folgenden: GW GmbH), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts.
19 Die Stufen der Umstrukturierung des Glaxo-Wellcome-Konzerns lassen sich wie folgt darstellen.
20 Am 26. Juni 1995 erwarb die Gesellschaft deutschen Rechts Glaxo Verwaltungs-GmbH (im Folgenden: GV GmbH), die bereits 95 % der Anteile an der GW GmbH besaß, von ihrer im Vereinigten Königreich ansässigen Muttergesellschaft Glaxo Group Limited (im Folgenden: GG Ltd) die restlichen 5 % der Anteile an der GW GmbH und wurde deren alleinige Muttergesellschaft.
21 Am 27. Juni 1995 und 7. Juli 1995 erwarben die GW GmbH und später die Klägerin des Ausgangsverfahrens sämtliche Anteile an der Wellcome GmbH (im Folgenden: W GmbH). Die anteilsübertragenden Gesellschaften waren die GG Ltd, die 99,98 % der Anteile an der W GmbH hielt, und die Muttergesellschaft der GG Ltd, die Burroughs Wellcome Ltd, die 0,02 % der Anteile besaß.
22 Durch Verschmelzungsvertrag vom 25. August 1995 wurde die W GmbH rückwirkend zum 29. Juni 1995 mit ihrer alleinigen Anteilseignerin, der GW GmbH, verschmolzen.
23 Am 30. Juni 1995 verkaufte die GV GmbH 1 % ihrer Anteile an der GW GmbH an die Seftonpharm GmbH, die sie zu 100 % besaß.
24 Am 1. Juli 1995 wurde die GW GmbH in eine Kommanditgesellschaft deutschen Rechts umgewandelt und heißt nunmehr Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG.
25 Zum Umwandlungsstichtag waren die Anteile an der GW GmbH bei der GV GmbH (einschließlich der Seftonpharm GmbH) mit 500 Mio. DM bilanziert. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens errechnete gemäß § 4 Abs. 4 und 5 UmwStG einen Übernahmeverlust von 328 096 563 DM unter Ansatz eines Sperrbetrags nach § 50c EStG von 22 887 706 DM, der durch den Erwerb der 5%igen Beteiligung an der GW GmbH von der GG Ltd entstanden war.
26 Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass nicht nur der Erwerb der Anteile an der GW GmbH durch die GV GmbH von der GG Ltd einen die erworbenen Anteile belastenden Sperrbetrag ausgelöst habe. Auch die Anteile an der W GmbH, die die Klägerin des Ausgangsverfahrens von der GG Ltd und der Burroughs Wellcome Ltd erworben habe, seien mit einem Sperrbetrag von 322 565 500 DM belastet gewesen. Dieser zweite Sperrbetrag sei im Zuge der Verschmelzung der W GmbH mit der GW GmbH nicht untergegangen, sondern auf die von der GV GmbH gehaltenen Anteile an der GW GmbH „übergesprungen“. Der sich aus dem Formwechsel der GW GmbH ergebende Übernahmeverlust reduziere sich daher unter Berücksichtigung der Sperrbeträge auf 5 531 063 DM.
27 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens streitet mit dem Finanzamt im Wesentlichen über die Frage, ob der Übernahmeverlust der W GmbH anlässlich der Verschmelzung um einen Sperrbetrag im Sinne von § 50c EStG gemindert wird, der auf dem Erwerb der Anteile an der W GmbH durch die GW GmbH beruht.
28 Nachdem die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Finanzgericht München in dieser Frage obsiegt hatte, legte das Finanzamt Revision beim Bundesfinanzhof ein.
29 Im Gegensatz zum Finanzgericht München ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass der betreffende Verlust nach deutschem Recht um den Sperrbetrag zu mindern sei, der auf dem Erwerb der Anteile an der W GmbH durch die GW GmbH beruhe.
30 Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht erachtet der Bundesfinanzhof die Rechtmäßigkeit des Ansatzes eines Sperrbetrags gemäß § 50c EStG jedoch nicht als zweifelsfrei, da der Steuerpflichtige unterschiedlich behandelt werde, je nachdem, ob er Anteile von einem anrechnungsberechtigten oder von einem nicht anrechnungsberechtigten Anteilseigner erwerbe.
31 Der Bundesfinanzhof hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen Art. 52 EG-Vertrag oder Art. 73b EG-Vertrag der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach welcher im Rahmen eines nationalen Systems der Körperschaftsteueranrechnung die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer ausgeschlossen wird, wenn ein zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigter Steuerpflichtiger einen Anteil an einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft von einem nicht anrechnungsberechtigten Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb von einem anrechnungsberechtigten Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert?
Zur Vorlagefrage
32 Zunächst ist festzustellen, dass nach den Angaben der deutschen Regierung gebietsfremde Anteilseigner in Deutschland in der Regel nur beschränkt steuerpflichtig und nicht zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigt waren. § 50c EStG erfasste deshalb hauptsächlich die Veräußerung von Anteilen an einer gebietsansässigen und folglich unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft durch einen gebietsfremden und damit nicht anrechnungsberechtigten Anteilseigner an einen gebietsansässigen und damit anrechnungsberechtigten Anteilseigner.
33 Demnach ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen möchte, ob Art. 52 oder Art. 73b EG-Vertrag einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen ausgeschlossen wird, wenn dieser Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb solcher Anteile von einem gebietsansässigen Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert.
34 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, diese ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (vgl. u. a. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C-446/03, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 29, vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 40, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 36, und vom 8. November 2007, Amurta, C-379/05, Slg. 2007, I-9569, Randnr. 16).
35 Da das vorlegende Gericht seine Frage sowohl im Hinblick auf Art. 52 EG-Vertrag als auch im Hinblick auf Art. 73b EG-Vertrag gestellt hat, ist einleitend zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche geeignet ist, die in diesen Artikeln gewährleisteten Freiheiten zu beeinträchtigen.
Zu der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Freiheit
36 Um festzustellen, ob eine nationale Regelung unter die eine oder unter die andere Verkehrsfreiheit fällt, ist nach ständiger Rechtsprechung auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen (vgl. Urteil vom 24. Mai 2007, Holböck, C-157/05, Slg. 2007, I-4051, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Aus der Rechtsprechung ergibt sich weiter, dass der Gerichtshof die in Rede stehende Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten prüft, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Ausgangsfalls eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann (Urteil vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz, C-452/04, Slg. 2006, I-9521, Randnr. 34).
38 Erstens ist somit zu prüfen, ob der Erwerb von Anteilen an einer gebietsansässigen Gesellschaft durch einen Gebietsansässigen von einem gebietsfremden Anteilseigner, um den es im Ausgangsverfahren geht, eine Kapitalbewegung im Sinne von Art. 73b EG-Vertrag darstellt.
39 In Ermangelung einer Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ im Vertrag hat der Gerichtshof der Nomenklatur im Anhang der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (dieser Artikel wurde durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben) (ABl. L 178, S. 5) Hinweischarakter zuerkannt, auch wenn diese Richtlinie auf der Grundlage der Art. 69 und 70 Abs. 1 EWG-Vertrag (die Art. 67 bis 73 EWG-Vertrag wurden durch die Art. 73b bis 73g EG-Vertrag ersetzt, jetzt Art. 56 EG bis 60 EG) erlassen worden ist, wobei die in ihr enthaltene Liste gemäß ihrer Einleitung nicht erschöpfend ist (vgl. u. a. Urteile vom 23. Februar 2006, van Hilten-van der Heijden, C-513/03, Slg. 2006, I-1957, Randnr. 39, vom 14. September 2006, Centro di Musicologia Walter Stauffer, C-386/04, Slg. 2006, I-8203, Randnr. 22, vom 11. September 2008, Eckelkamp u. a., C-11/07, Slg. 2008, I-6845, Randnr. 38, und vom 27. Januar 2009, Persche, C-318/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 24).
40 Kapitalbewegungen im Sinne von Art. 73b Abs. 1 EG-Vertrag sind danach insbesondere Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen (sogenannte Direktinvestitionen), sowie der Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen (sogenannte Portfolioinvestitionen) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. März 1999, Trummer und Mayer, C-222/97, Slg. 1999, I-1661, Randnr. 21, vom 4. Juni 2002, Kommission/Frankreich, C-483/99, Slg. 2002, I-4781, Randnrn. 36 und 37, vom 13. Mai 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-98/01, Slg. 2003, I-4641, Randnrn. 39 und 40, sowie vom 28. September 2006, Kommission/Niederlande, C-282/04 und C-283/04, Slg. 2006, I-9141, Randnr. 19).
41 Weiter hat der Gerichtshof entschieden, dass der Rückverkauf von Aktien durch einen gebietsfremden Aktionär an die emittierende gebietsansässige Gesellschaft eine Kapitalbewegung im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 88/361 und der Nomenklatur des Kapitalverkehrs in Anhang I dieser Richtlinie darstellt (vgl. Urteil vom 19. Januar 2006, Bouanich, C-265/04, Slg. 2006, I-923, Randnr. 29).
42 Nach Anhang I Abs. 2 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 88/361 wird die Liquidation oder Abtretung der gebildeten Guthaben nämlich vom freien Kapitalverkehr erfasst.
43 Die Veräußerung von Beteiligungen an gebietsansässigen Gesellschaften durch gebietsfremde Investoren stellt demnach eine Kapitalbewegung im Sinne von Art. 1 dieser Richtlinie und der Nomenklatur des Kapitalverkehrs in Anhang I der Richtlinie dar.
44 Folglich ist der Erwerb von Anteilen an einer gebietsansässigen Gesellschaft durch einen Gebietsansässigen von einem gebietsfremden Anteilseigner, obwohl er, wie die deutsche Regierung vorträgt, in der Nomenklatur des Kapitalverkehrs in Anhang I der Richtlinie 88/361 nicht ausdrücklich genannt ist, eine Kapitalbewegung im Sinne von Art. 1 dieser Richtlinie und fällt in den Geltungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften über den freien Kapitalverkehr.
45 Was zweitens Art. 52 EG-Vertrag betrifft, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs mit der Niederlassungsfreiheit, die dieser Artikel den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen zu den gleichen Bedingungen wie den in den Rechtsvorschriften des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörige festgelegten umfasst, für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteile vom 23. Februar 2006, Keller Holding, C-471/04, Slg. 2006, I-2107, Randnr. 29, Centro di Musicologia Walter Stauffer, Randnr. 17, und vom 11. Oktober 2007, ELISA, C-451/05, Slg. 2007, I-8251, Randnr. 62).
46 Der Begriff der Niederlassung im Sinne des Vertrags ist sehr weit gefasst und impliziert die Möglichkeit für einen Gemeinschaftsangehörigen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Gemeinschaft im Bereich der selbständigen Tätigkeiten gefördert wird (vgl. u. a. Urteile Centro di Musicologia Walter Stauffer, Randnr. 18, und ELISA, Randnr. 63).
47 Nach ständiger Rechtsprechung fallen in den sachlichen Geltungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nationale Vorschriften, die anzuwenden sind, wenn ein Angehöriger eines Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (vgl. Urteile vom 13. April 2000, Baars, C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Randnr. 22, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 31, vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Randnr. 27, und vom 17. Juli 2008, Kommission/Spanien, C-207/07, Randnr. 60).
48 Wie aus den Erklärungen der deutschen Regierung hervorgeht, soll die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung u. a. dann zur Anwendung kommen, wenn ein gebietsfremder Anteilseigner mehrere in Deutschland ansässige Tochtergesellschaften beherrscht und die Anteile an einer dieser Gesellschaften an eine andere von ihnen verkauft.
49 Die Anwendung dieser Regelung hängt jedoch nicht vom Umfang der vom gebietsfremden Anteilseigner erworbenen Beteiligungen ab und beschränkt sich nicht auf Situationen, in denen der Anteilseigner einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft ausüben und deren Tätigkeiten bestimmen kann.
50 Da zudem das Ziel der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung darin besteht, gebietsfremde Anteilseigner daran zu hindern, einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen, der unmittelbar durch Anteilsveräußerungen entsteht, die möglicherweise allein zum Zweck der Erlangung dieses Vorteils erfolgen und nicht zum Zweck oder infolge der Ausübung der Niederlassungsfreiheit, ist davon auszugehen, dass der den freien Kapitalverkehr betreffende Aspekt der Regelung Vorrang vor dem Aspekt der Niederlassungsfreiheit hat.
51 Sollte diese Regelung zu Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit führen, wären derartige Auswirkungen folglich die unvermeidliche Folge einer eventuellen Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und rechtfertigten damit keine eigenständige Prüfung der Regelung im Hinblick auf Art. 52 EG-Vertrag (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Oktober 2004, Omega, C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Randnr. 27, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 33, Fidium Finanz, Randnr. 48, und Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 34).
52 Die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung ist demnach ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen.
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs
53 Wie das vorlegende Gericht ausführt, hat die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung zur Folge, dass, wenn ein gebietsansässiger Steuerpflichtiger Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, die Wertminderung dieser Anteile durch Dividendenausschüttung keinen Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers hat, während die Wertminderung im Fall des Erwerbs derartiger Anteile von einem gebietsansässigen Anteilseigner die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert.
54 Diese Beschränkung der Berücksichtigung der Wertminderung der Anteile durch Dividendenausschüttung gilt im Jahr des Erwerbs der Anteile und in den folgenden neun Jahren und betrifft nur Gewinnminderungen, die auf Gewinnausschüttungen oder auf organschaftliche Gewinnabführungen zurückgeführt werden können, soweit die Gewinnminderungen einen bestimmten Betrag, den sogenannten Sperrbetrag, nicht übersteigen.
55 Dieser Sperrbetrag, der der Differenz zwischen dem vom gebietsansässigen Anteilseigner gezahlten Anschaffungspreis und dem Nominalwert der Anteile entspricht, belastet somit die bei einem Gebietsfremden erworbenen Anteile, indem er die Wirkungen der auf der Gewinnausschüttung beruhenden Teilwertabschreibung im Wesentlichen abblockt.
56 Die Möglichkeit für den Steuerpflichtigen, von seinen der Steuer unterliegenden Gewinnen die mit der Teilwertabschreibung verbundenen Verluste abzuziehen, wenn die Wertminderung der Anteile durch die Gewinnausschüttung bedingt ist, stellt zweifellos einen Steuervorteil dar.
57 Dass dieser Vorteil einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen nur dann gewährt wird, wenn er Anteile an einer gebietsansässigen Gesellschaft von einem gebietsansässigen Anteilseigner erwirbt, macht die von Gebietsfremden gehaltenen Anteile weniger attraktiv und kann den betreffenden Steuerpflichtigen folglich davon abhalten, derartige Anteile zu erwerben.
58 Darüber hinaus kann eine solche Ungleichbehandlung gebietsfremde Investoren davon abhalten, Anteile an der gebietsansässigen Gesellschaft zu erwerben, und damit die Beschaffung von Kapital aus anderen Mitgliedstaaten durch diese Gesellschaft behindern.
59 Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche stellt somit eine grundsätzlich nach Art. 73b EG-Vertrag verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.
Zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs
60 Zu prüfen ist jedoch, ob eine solche Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nach den Vertragsbestimmungen gerechtfertigt sein kann.
61 Nach den Ausführungen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften soll die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung verhindern, dass ein gebietsfremder Anteilseigner durch bestimmte Praktiken, insbesondere die vom Generalanwalt in Nr. 100 seiner Schlussanträge beschriebenen, wirtschaftlich dasselbe Ergebnis erzielt, als würde ihm eine Steuergutschrift gewährt.
62 Die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung solle somit die Kohärenz des deutschen Vollanrechnungsverfahrens wahren und sei gerechtfertigt, weil sich aus dem Urteil Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation und dem Urteil vom 26. Juni 2008, Burda (C-284/06, Slg. 2008, I-4571), ergebe, dass es nicht als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht angesehen werden könne, wenn gebietsfremden Anteilseignern, die Dividenden gebietsansässiger Gesellschaften bezögen, keine Steuergutschrift gewährt werde, die der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung diene.
63 Sowohl die deutsche Regierung als auch die Kommission machen darüber hinaus geltend, dass, wenn einem gebietsfremden Anteilseigner, der im Mitgliedstaat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft nicht steuerpflichtig sei, eine Steuergutschrift gewährt werde, ohne dass eine Steuerschuld bestehe, dieser Mitgliedstaat letztlich bezüglich eines Teils der in seinem Hoheitsgebiet erzielten Gewinne auf die Besteuerung verzichten müsse. Die Kommission ergänzt insoweit, dass die Auszahlung eines Steuerguthabens an einen gebietsfremden Anteilseigner nicht die Funktion des Steuerguthabens erfüllen könne, die darin bestehe, die zuvor auf der Ebene der Gesellschaft erhobene Steuer an den individuellen Satz anzupassen, dem der Steuerpflichtige unterliege, sondern nur zur Wirkung hätte, dass nationales Steuersubstrat in einen anderen Mitgliedstaat verschoben werde.
64 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist hingegen der Auffassung, dass weder die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit des Anrechnungsverfahrens zu gewährleisten, noch die, eine kohärente Besteuerung zu sichern oder die Einmalbesteuerung in Deutschland zu gewährleisten, die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung rechtfertigen könnten.
65 Diese Regelung stelle keinerlei technischen Zusammenhang zwischen dem Anrechnungsverfahren und dem aus der Regelung resultierenden Nachteil her und führe überdies zu einer Erhöhung der Gewerbesteuer des gebietsansässigen Erwerbers, weil die Gewinnermittlung auch für diese Steuer maßgeblich sei, die ebenfalls keinen Zusammenhang mit der Anrechnung der Körperschaftsteuer aufweise.
66 Angesichts dieses Vorbringens der Klägerin des Ausgangsverfahrens, der deutschen Regierung und der Kommission ist daran zu erinnern, dass nach Art. 73d Abs. 1 Buchst. a EG-Vertrag (jetzt Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG) Art. 73b EG-Vertrag nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln.
67 Art. 73d Abs. 1 Buchst. a EG-Vertrag, der als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen ist, kann jedoch nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Mitgliedstaat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre. Denn die in Art. 73d Abs. 1 Buchst. a EG-Vertrag vorgesehene Ausnahme wird ihrerseits durch Art. 73d Abs. 3 EG-Vertrag eingeschränkt, wonach die in Art. 73d Abs. 1 genannten nationalen Maßnahmen „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 73b darstellen [dürfen]“ (vgl. Urteile vom 7. September 2004, Manninen, C-319/02, Slg. 2004, I-7477, Randnr. 28, und Centro di Musicologia Walter Stauffer, Randnr. 31).
68 Daher muss zwischen unterschiedlichen Behandlungen, die nach Art. 73d Abs. 1 Buchst. a EG-Vertrag erlaubt sind, und Diskriminierungen, die nach Art. 73d Abs. 3 EG-Vertrag verboten sind, unterschieden werden. Nach der Rechtsprechung kann eine nationale Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. Urteile vom 6. Juni 2000, Verkooijen, C-35/98, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 43, Manninen, Randnr. 29, und vom 8. September 2005, Blanckaert, C-512/03, Slg. 2005, I-7685, Randnr. 42).
69 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass im Hinblick auf die Anwendung der Steuervorschriften des Mitgliedstaats, in dem die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz hat und in dem ein System zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der Dividendenausschüttungen durch gebietsansässige Gesellschaften an ebenfalls Gebietsansässige besteht, die Situation eines Dividenden beziehenden Anteilseigners, der in diesem Mitgliedstaat ansässig ist, nicht zwangsläufig mit der eines Dividenden beziehenden Anteilseigners, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, vergleichbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnrn. 55 und 57).
70 Sind nämlich die Dividenden ausschüttende Gesellschaft und der Dividenden beziehende Anteilseigner nicht im selben Mitgliedstaat ansässig, so befindet sich der Mitgliedstaat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft, d. h. der Mitgliedstaat der Quelle der Gewinne, in Bezug auf die Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung und der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung nicht in der gleichen Lage wie der Mitgliedstaat, in dem der die Dividenden beziehende Anteilseigner ansässig ist (Urteil Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 58).
71 Die im Ausgangsverfahren fragliche Ungleichbehandlung bezieht sich jedoch nicht darauf, ob ein Anteilseigner gebietsansässig oder gebietsfremd ist, und folglich nicht auf seine Möglichkeit, die Steuer, die von der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft entrichtet wird, anzurechnen.
72 Die Ungleichbehandlung bezieht sich lediglich darauf, ob Anteilseigner ihre Anteile an einer gebietsansässigen Gesellschaft von einem gebietsansässigen Anteilseigner oder von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben haben.
73 Wie der Generalanwalt in Nr. 139 seiner Schlussanträge erläutert hat, befinden sich aber die Anteilseigner hinsichtlich der Verluste, die sich aus der Teilwertabschreibung auf Anteile an einer gebietsansässigen Gesellschaft ergeben, in einer vergleichbaren Situation, gleichgültig, ob es sich um von einem Gebietsansässigen oder einem Gebietsfremden erworbene Anteile handelt. Die Ausschüttung der Gewinne mindert nämlich den Wert eines Anteils unabhängig davon, ob dieser von einem Gebietsansässigen oder einem Gebietsfremden erworben wurde, und in beiden Fällen wird die Wertminderung vom gebietsansässigen Anteilseigner getragen.
74 Eine solche Ungleichbehandlung spiegelt also keinen Unterschied in den objektiven Situationen der betreffenden Anteilseigner wider.
75 Zu prüfen ist sodann, ob eine Beschränkung wie die im Ausgangsverfahren fragliche durch die von der deutschen Regierung und der Kommission angeführten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann.
76 Das in den Randnrn. 61 bis 63 des vorliegenden Urteils dargestellte Vorbringen der deutschen Regierung und der Kommission lässt sich als Berufung auf die Notwendigkeit verstehen, die Kohärenz der deutschen Steuerregelung zu wahren, die Besteuerung der in Deutschland erzielten Einkünfte zu gewährleisten und künstliche Gestaltungen zu verhindern, die eine Umgehung der deutschen Rechtsvorschriften bezwecken.
77 Was zunächst das Argument angeht, die Kohärenz der deutschen Steuerregelung müsse gewahrt werden, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits anerkannt hat, dass die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu wahren, eine Beschränkung der Ausübung der vom Vertrag gewährleisteten Verkehrsfreiheiten rechtfertigen kann (Urteile vom 28. Januar 1992, Bachmann, C-204/90, Slg. 1992, I-249, Randnr. 28, Manninen, Randnr. 42, und vom 27. November 2008, Papillon, C-418/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 43).
78 Ein auf diesen Rechtfertigungsgrund gestütztes Argument kann jedoch nur Erfolg haben, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht, wobei die Unmittelbarkeit dieses Zusammenhangs im Hinblick auf das mit der fraglichen Regelung verfolgte Ziel beurteilt werden muss (vgl. Urteil Papillon, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
79 Wie die deutsche Regierung und die Kommission vorgetragen haben, soll die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung verhindern, dass ein gebietsfremder Anteilseigner durch einen anderen Vorgang als eine Dividendenausschüttung wirtschaftlich in den Genuss desselben Ergebnisses kommen kann, wie es die Steuergutschrift für die Körperschaftsteuer darstellt, die von der Gesellschaft, an der er Anteile hält, entrichtet wird.
80 Es steht aber fest, dass die Nachteile aus der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung ummittelbar dem gebietsansässigen Anteilseigner entstehen, der die betreffenden Anteile von einem Gebietsfremden erworben hat. Für diesen gebietsansässigen Anteilseigner wird die fehlende Möglichkeit, von seinen steuerpflichtigen Gewinnen die mit der Teilabschreibung auf die Anteile an der gebietsansässigen Gesellschaft verbundenen Verluste abzuziehen, wenn die Wertminderung der Anteile durch die Gewinnausschüttung bedingt ist, nicht durch einen Steuervorteil ausgeglichen. Die Erwägung, dass der Überschuss, den der Gebietsfremde erzielt hat, der die Anteile an den Anteilseigner veräußert hat, in Deutschland nicht der Steuer unterliegt, ist nämlich in Bezug auf den gebietsansässigen Anteilseigner, der den Nachteil erleidet, unbeachtlich.
81 Ein unmittelbarer Zusammenhang, wie ihn die in Randnr. 78 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung verlangt, fehlt somit im vorliegenden Fall, und die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung kann nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Kohärenz der Steuerregelung der Vollanrechnung zu wahren.
82 Was sodann das Argument betrifft, es müsse die Möglichkeit für die Bundesrepublik Deutschland gewahrt werden, ihre Besteuerungszuständigkeit in Bezug auf die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten auszuüben, ist darauf hinzuweisen, dass zwar nach ständiger Rechtsprechung die Verringerung von Steuereinnahmen nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses betrachtet werden kann, der zur Rechtfertigung einer grundsätzlich gegen eine Grundfreiheit verstoßenden Maßnahme angeführt werden kann (vgl. u. a. Urteil Manninen, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung), dass der Gerichtshof aber auch festgestellt hat, dass es Verhaltensweisen geben kann, die das Recht der Mitgliedstaaten, ihre Besteuerungszuständigkeit in Bezug auf die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten auszuüben, gefährden und so die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können (vgl. Urteil Marks & Spencer, Randnr. 46) und die eine Beschränkung der im Vertrag gewährleisteten Freiheiten rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnrn. 55 und 56, sowie vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz, C-347/04, Slg. 2007, I-2647, Randnr. 42).
83 Der Gerichtshof hat zudem entschieden, dass, wenn vom Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft verlangt würde, dass er dafür sorgt, dass die an einen gebietsfremden Anteilseigner ausgeschütteten Gewinne nicht einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung unterworfen werden – indem er entweder der ausschüttenden Gesellschaft hinsichtlich dieser Gewinne Steuerfreiheit oder aber diesem Anteilseigner eine Steuervergünstigung gewährt, die der von der ausschüttenden Gesellschaft auf diese Gewinne entrichteten Steuer entspricht –, dies letztlich bedeuten würde, dass dieser Staat auf sein Recht zur Besteuerung eines Einkommens, das durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wurde, verzichten muss (Urteil Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 59).
84 Vorgänge anderer Art als eine Dividendenausschüttung, die es dem gebietsfremden Anteilseigner ermöglichen würden, wirtschaftlich dasselbe Ergebnis zu erzielen, als würde ihm eine Steuergutschrift für die Körperschaftsteuer gewährt, die von der Gesellschaft, an der er Anteile hält, entrichtet wird, könnten die Möglichkeit für den Sitzstaat der betreffenden Gesellschaft, von seinem Recht zur Besteuerung eines Einkommens, das durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wurde, Gebrauch zu machen, genauso beeinträchtigen.
85 Würde ein Betrag in Höhe der Steuergutschrift, die der gebietsansässige Erwerber von Anteilen wird beanspruchen können, in den Verkaufspreis dieser Anteile einbezogen und die Wertminderung der Anteile infolge der Dividendenausschüttung auf den Betrag der vom Erwerber dieser Anteile bezogenen Dividenden angerechnet, führte das nämlich für diesen gebietsansässigen Erwerber entweder zu der Berechtigung, die Steuergutschrift auf andere von ihm geschuldete Steuern anzurechnen, oder, wenn er keine weiteren der Steuer unterliegenden Einkünfte hat, zur Erstattung eines Betrags in Höhe der Steuergutschrift für die von der Gesellschaft auf die Gewinne entrichteten Steuer.
86 Wenn der Preis der Anteile einen der Steuergutschrift entsprechenden Betrag einschlösse, hätte aber die Gewährung einer Steuergutschrift oder die Erstattung eines dieser Gutschrift entsprechenden Betrags an den neuen, gebietsansässigen Anteilseigner zur Folge, dass der gebietsfremde Anteilseigner mittelbar in den Genuss einer Steuergutschrift für die auf der Ebene der Gesellschaft erhobene Steuer käme.
87 Diese Folgen würden sich nicht auf eine Verringerung der Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland beschränken, sondern bedeuten, dass durch die mittelbare Gewährung eines finanziellen Vorteils, der der Steuergutschrift für die auf die Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft erhobenen Steuer entspricht, an einen Gebietsfremden die normalerweise im Mitgliedstaat des Sitzes dieser Gesellschaft der Steuer unterliegenden Einkünfte in den Mitgliedstaat verschoben würden, der für die Besteuerung des vom Gebietsfremden erzielten Überschusses zuständig ist, wodurch die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt würde.
88 Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche kann folglich durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.
89 Zum Vorbringen, es bestehe die Notwendigkeit, Steuerumgehungen zu verhindern und künstliche Gestaltungen, mit denen die deutsche Steuerregelung umgangen werden solle, zu bekämpfen, ist festzustellen, dass eine nationale Maßnahme, die den freien Kapitalverkehr beschränkt, gerechtfertigt werden kann, wenn sie sich speziell auf rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen bezieht, die allein auf die Erlangung einer Steuerbegünstigung ausgerichtet sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnrn. 51 und 55, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnrn. 72 und 74, sowie vom 4. Dezember 2008, Jobra, C-330/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 35).
90 Im Ausgangsverfahren hat die dort fragliche Regelung, wie sich aus den Ausführungen der deutschen Regierung ergibt, die durch die Begründung des Gesetzes zur Einführung dieser Regelung in das deutsche Recht bestätigt werden, zum Ziel, Gestaltungen zu begegnen, durch die gebietsfremde Anteilseigner anlässlich des Verkaufs der Anteile einen Betrag in Höhe der Steuergutschrift für die von der gebietsansässigen Gesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer erlangen, indem sie sich auf Praktiken wie die in Nr. 100 der Schlussanträge des Generalanwalts beschriebenen stützen, die allein auf Erlangung dieses Steuervorteils ausgerichtet sind.
91 Indem die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung das Recht des neuen Anteilseigners auf Abzug des Betrags der durch die Wertminderung der Anteile bedingten Verluste von seinen der Steuer unterliegenden Gewinnen beschränkt, soweit die Verluste den Sperrbetrag nicht übersteigen, lassen sich mit ihr Praktiken verhindern, die allein zum Ziel hätten, den gebietsfremden Anteilseigner in den Genuss einer Steuergutschrift für die von der gebietsansässigen Gesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer kommen zu lassen. Darüber hinaus kann die aus dieser Beschränkung folgende Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Steuer des neuen, gebietsansässigen Anteilseigners verhindern, dass normalerweise in Deutschland der Steuer unterliegende Einkünfte als Teil des Überschusses, den der frühere, gebietsfremde Anteilseigner in Höhe der ungerechtfertigten Steuergutschrift erzielt hat, transferiert werden, ohne in Deutschland besteuert zu werden.
92 Eine solche Regelung ist daher geeignet, die Ziele der Wahrung der Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Verhinderung rein künstlicher, jeder wirtschaftlichen Realität barer Gestaltungen, die auf die Erlangung eines Steuervorteils ausgerichtet sind, zu erreichen.
93 Zu prüfen ist allerdings, ob eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
94 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass, soweit der Sperrbetrag anhand der Kosten für die Anschaffung der betreffenden Anteile errechnet wird, die Folgen der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um sicherzustellen, dass dem gebietsfremden Anteilseigner nicht ungerechtfertigt ein der Steuergutschrift entsprechender Betrag gewährt wird.
95 Wie auch der Generalanwalt in Nr. 170 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, findet die Regelung Anwendung, wenn ein gebietsansässiger Steuerpflichtiger seine Anteile an einer gebietsansässigen Gesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner zu einem Preis erworben hat, der, aus welchen Gründen auch immer, den Nominalwert der Anteile übersteigt.
96 Eine solche Regelung beruht folglich auf der Vermutung, dass jede Erhöhung des Verkaufspreises unweigerlich die Berücksichtigung der Steuergutschrift umfasst und allein zu diesem Zweck erfolgt. Wie aber der Generalanwalt in Nr. 172 seiner Schlussanträge festgestellt hat, lässt sich nicht ausschließen, dass die Anteile aus anderen Gründen als der Absicht, den Anteilseigner in den Genuss einer Steuergutschrift für die von der gebietsansässigen Gesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer kommen zu lassen, zu einem höheren Betrag als ihrem Nominalwert veräußert werden oder dass jedenfalls die nicht ausgeschütteten Gewinne und die Möglichkeit, in den Genuss einer mit den Anteilen zusammenhängenden Steuergutschrift zu kommen, nur ein Bestandteil des Verkaufspreises der Anteile sind.
97 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat vor dem Gerichtshof außerdem geltend gemacht, dass die Berücksichtigung des Sperrbetrags und die Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Steuer des gebietsansässigen Anteilseigners auch für andere Steuern, denen der Anteilseigner unterliegen könne, insbesondere für die Berechnung der von ihm geschuldeten Gewerbesteuer, Folgen haben könne. Derartige Folgen gingen aber über das hinaus, was zur Erreichung der Ziele erforderlich sei, die mit der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung verfolgt würden.
98 Es ist ebenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass die Anwendung der Beschränkung der Berücksichtigung der Wertminderung der Anteile infolge der Dividendenausschüttung im Jahr des Erwerbs der Anteile und in den folgenden neun Jahren nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die mit der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung verfolgt werden.
99 Was schließlich das Ziel angeht, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen, ist entsprechend den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 174 seiner Schlussanträge festzustellen, dass eine dieses Ziel verfolgende Maßnahme, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen, dem nationalen Gericht ermöglichen müsste, eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Falles durchzuführen und sich dabei für die Berücksichtigung von missbräuchlichem oder betrügerischem Verhalten der betroffenen Personen auf objektive Elemente zu stützen.
100 Wenn eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren fragliche nicht zulässt, dass ihre Anwendung auf rein künstliche Gestaltungen, die anhand objektiver Elemente festgestellt werden, beschränkt wird, sondern alle Fälle erfasst, in denen ein gebietsansässiger Steuerpflichtiger Anteile an einer gebietsansässigen Gesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner zu einem Preis erworben hat, der, aus welchen Gründen auch immer, den Nominalwert der Anteile übersteigt, gehen die Wirkungen der Regelung über das hinaus, was erforderlich ist, um das Ziel der Verhinderung rein künstlicher, jeder wirtschaftlichen Realität barer Gestaltungen zu erreichen, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen.
101 Auf die vorgelegte Frage ist somit zu antworten, dass Art. 73b EG-Vertrag dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen ausgeschlossen wird, wenn dieser Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb von einem gebietsansässigen Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert.
102 Dies gilt in den Fällen, in denen eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und um rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob sich die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung auf das beschränkt, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
Kosten
103 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 73b EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen ausgeschlossen wird, wenn dieser Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb von einem gebietsansässigen Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert.
Dies gilt in den Fällen, in denen eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und um rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob sich die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung auf das beschränkt, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.