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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 25. Juni 20091(1)

Rechtssache C-247/08

Gaz de France – Berliner Investissement SA

gegen

Bundeszentralamt für Steuern

(Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Köln [Deutschland])

„Niederlassungsfreiheit – Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435/EWG – Begriff ‚Gesellschaft eines Mitgliedstaats’ – ‚Société par actions simplifiée’ französischen Rechts“





1.        Aufgrund der vom Finanzgericht Köln (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen hat sich der Gerichtshof einmal mehr mit der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten(2) zu befassen.

2.        Es geht dieses Mal um die Frage der Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit ihrem Anhang sowie gegebenenfalls – je nachdem, wie die Antwort auf diese erste Frage ausfällt – um die Vereinbarkeit der Richtlinie mit dem primären Gemeinschaftsrecht.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

Richtlinie 90/435

3.        Nach Art. 2 der Richtlinie 90/435 ist „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne der Richtlinie jede Gesellschaft, die kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt. Erstens muss die Gesellschaft eine der im Anhang der Richtlinie 90/435 aufgeführten Formen aufweisen. Zweitens muss es sich um eine Gesellschaft handeln, die nach dem Steuerrecht eines Mitgliedstaats in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in diesem Staat ansässig und nicht aufgrund eines mit einem dritten Staat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als außerhalb der Europäischen Gemeinschaft ansässig betrachtet wird. Drittens muss die Gesellschaft ohne Wahlmöglichkeit einer der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 90/435 genannten Steuern oder irgendeiner Steuer, die eine dieser Steuern ersetzt, unterliegen, ohne davon befreit zu sein.

4.        Für Frankreich waren in Buchst. f des Anhangs der Richtlinie 90/435 in ihrer ursprünglichen Fassung die „société anonyme“, die „société en commandite par actions“, die „société à responsabilité limitée“ sowie die staatlichen Industrie- und Handelsbetriebe und -unternehmen aufgeführt.

5.        Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 gilt eine Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats besitzt, als „Muttergesellschaft“ im Sinne dieser Richtlinie. Infolgedessen sind die von ihrer Tochtergesellschaft an sie ausgeschütteten Gewinne nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie „vom Steuerabzug an der Quelle befreit“.

Richtlinie 2003/123/EG

6.        Gemäß Art. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Änderung der Richtlinie 90/435(3) ist der Anhang der Richtlinie 90/435 durch den Wortlaut des Anhangs der Richtlinie 2003/123 ersetzt worden. Nach dieser Änderung lautet der die Französische Republik betreffende Buchst. f(4) des Anhangs nunmehr:

„die Gesellschaften französischen Rechts mit der Bezeichnung ‚société anonyme’, ‚société en commandite par actions’ und ‚société à responsabilité limitée’ sowie die ‚sociétés par actions simplifiées’, ‚sociétés d’assurances mutuelles’, ‚caisses d’épargne et de prévoyance’, ‚sociétés civiles’, die automatisch der Körperschaftsteuer unterliegen, ‚coopératives’, ‚unions de coopératives’, die öffentlichen Industrie- und Handelsbetriebe und -unternehmen und andere nach französischem Recht gegründete Gesellschaften, die der französischen Körperschaftsteuer unterliegen“.

7.        Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/123 heißt es zu dieser Änderung der Richtlinie 90/435:

„Artikel 2 der Richtlinie 90/435/EWG legt fest, welche Gesellschaften in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Der Anhang enthält eine Liste der Gesellschaftsformen, für die die Richtlinie gilt. Bestimmte Rechtsformen sind nicht in der Liste im Anhang aufgeführt, obwohl die betreffenden Gesellschaften steuerlich in einem Mitgliedstaat ansässig sind und dort der Körperschaftsteuer unterliegen. Daher sollte der Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435/EWG auf weitere Körperschaften, die in der Gemeinschaft grenzüberschreitend tätig sein können und alle Voraussetzungen der Richtlinie erfüllen, ausgedehnt werden.“

8.        Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/123 hatten die Mitgliedstaaten diese Richtlinie bis spätestens 1. Januar 2005 umzusetzen.

B –    Nationales Recht

Einkommensteuergesetz

9.        In § 44d des Einkommensteuergesetzes in der im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: EStG 1999) heißt es:

„(1)      Auf Antrag wird die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge …, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes oder aus der Vergütung von Körperschaftsteuer zufließen, nicht erhoben.

(2)      Muttergesellschaft im Sinne des Abs. 1 ist eine Gesellschaft, die die in der Anlage 7 zu diesem Gesetz bezeichneten Voraussetzungen des Artikels 2 der Richtlinie [90/435] erfüllt und die im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 nachweislich mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Weitere Voraussetzung ist, dass die Beteiligung nachweislich ununterbrochen zwölf Monate besteht.“

10.      In der Anlage zum EStG 1999 sind der Inhalt von Art. 2 und des Anhangs der Richtlinie 90/435 wiedergegeben.

II – Sachverhalt

11.      Die Gaz de France – Berliner Investissement SA (im Folgenden: Klägerin des Ausgangsverfahrens), eine Gesellschaft mit Sitz in Frankreich, hatte bis 2002 die Rechtsform einer „société par actions simplifiée“ (SAS)(5). Seit 2002 ist sie eine „société anonyme“ (SA). Sie ist alleinige Anteilseignerin der Gaz de France Deutschland GmbH mit Sitz in Berlin (Deutschland) (im Folgenden: G-GmbH).

12.      1999 nahm die G-GmbH eine Gewinnausschüttung an die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor. Von dem ausgeschütteten Gewinn behielt die G-GmbH die Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag ein und führte diese Beträge an das zuständige Finanzamt ab.

13.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens stellte sodann beim Bundesamt für Finanzen (im Folgenden: BfF)(6) einen Antrag auf Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer und des einbehaltenen Solidaritätszuschlags.

14.      Mit Bescheid vom 6. September 1999 lehnte das BfF die beantragte Erstattung mit der Begründung ab, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens keine Muttergesellschaft im Sinne von § 44d Abs. 2 EStG 1999 in Verbindung mit Art. 2 der Richtlinie 90/435 sei, weil die Rechtsform der SAS nicht in der Liste der unter Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 fallenden Gesellschaften aufgeführt sei, die dort abschließend aufgezählt würden.

15.      Der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen den Bescheid des BfF eingelegte Einspruch wurde vom BfF mit Bescheid vom 27. Mai 2002 als unbegründet zurückgewiesen.

16.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob vor dem Finanzgericht Köln Klage gegen den Bescheid des BfF vom 27. Mai 2002; sie ist der Auffassung, dass die SAS nur einen Unterfall der SA darstelle und deshalb – auch wenn sie im Anhang der Richtlinie 90/435 nicht ausdrücklich erwähnt werde – unter Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs falle.

III – Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

17.      Das Finanzgericht Köln hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof nach Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.         Ist Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435/EWG in Verbindung mit Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass auch eine französische Gesellschaft in der Rechtsform einer „société par actions simplifiée“ bereits in den Jahren vor 2005 als „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden kann und ihr somit für einen von ihrer deutschen Tochtergesellschaft im Jahr 1999 ausgeschütteten Gewinn nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle zu gewähren ist?

2.         Für den Fall, dass die Frage 1 zu verneinen ist: Verstößt Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie insoweit gegen Art. 43 EG und Art. 48 EG oder Art. 56 Abs. 1 EG und Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG, als er in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 zwar für eine französische Muttergesellschaft in der Rechtsform einer société anonyme, société en commandite par actions oder société à responsabilité limitée, nicht aber für eine französische Muttergesellschaft in der Rechtsform einer société par actions simplifiée bei Gewinnausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle vorschreibt?

18.      Schriftliche Erklärungen sind abgegeben worden von der Klägerin des Ausgangsverfahrens, der deutschen Regierung, der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie von der Kommission.

19.      In der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2009 sind die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die deutsche Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission vertreten gewesen.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

20.      Die italienische Regierung meint, das Vorabentscheidungsersuchen sei möglicherweise unzulässig, da der Gerichtshof nicht über die erforderlichen Angaben verfüge, um beurteilen zu können, ob das Vorabentscheidungsersuchen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erheblich sei. Die Vorlagefragen beruhten auf der Prämisse, dass die SAS Merkmale aufweise, die denen der Gesellschaften französischen Rechts entsprächen, die nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 stets von der Quellensteuer auf Dividenden befreit gewesen seien. Das vorlegende Gericht liefere jedoch weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht Erläuterungen zur Struktur und Rechtsnatur der SAS oder der anderen Gesellschaftsformen, mit denen diese verglichen werde.

21.      Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich gehalten ist, über die ihm von einem nationalen Gericht vorgelegten Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen(7). Er kann ein Vorabentscheidungsersuchen nur in Ausnahmefällen zurückweisen, unter anderem wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(8).

22.      Meines Erachtens ist dies hier nicht der Fall. Wie ich bereits in Nr. 2 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, betreffen die Vorlagefragen die Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit ihrem Anhang. Dazu verfügt der Gerichtshof über genügend tatsächliche und rechtliche Angaben. Der von der italienischen Regierung erwähnte Vergleich zwischen der SAS und den anderen Gesellschaften französischen Rechts, die stets nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 von der Quellensteuer auf Dividenden befreit waren, würde eine Auslegung des nationalen Rechts erfordern, die nicht Sache des Gerichtshofs ist.

23.      Mithin ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

B –    Zur ersten Vorlagefrage

24.      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die SAS, die im französischen Recht erst 1994 eingeführt worden ist, als „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 angesehen werden kann, obwohl sie zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, also 1999, in Buchst. f des Anhangs der Richtlinie 90/435 nicht ausdrücklich erwähnt wurde.

25.      Nach Ansicht der deutschen Regierung, der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs ist diese Frage zu verneinen. Sie gehen übereinstimmend im Wesentlichen davon aus, dass die Liste von Gesellschaften im Anhang der Richtlinie 90/435 nach dem allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit als abschließend zu betrachten sei.

26.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Kommission schlagen dem Gerichtshof dagegen vor, die erste Vorlagefrage zu bejahen. Sie teilen die Auffassung, dass eine bejahende Antwort bei einer Auslegung allein anhand des Wortlauts der Richtlinie 90/435 nicht möglich sei. Eine solche Auslegung, nach der die SAS in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle, sei aber wegen des Zwecks, der Ziele und des Systems der Richtlinie geboten.

Würdigung

27.      Damit Gewinnausschüttungen einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft nach Art. 5 der Richtlinie 90/435 vom Steuerabzug an der Quelle befreit sind, müssen die Gesellschaften alle drei in Art. 2 der Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllen. Im vorliegenden Fall geht es um die Voraussetzung, dass die Gesellschaft eine der im Anhang der Richtlinie 90/435 aufgeführten Formen aufweisen muss.

28.      Die Rechtsform der SAS gehörte unstreitig nicht zu den für die Französische Republik in der ursprünglichen Fassung des Anhangs der Richtlinie 90/435 aufgeführten Rechtsformen, denn sie wurde erst 1994 in das französische Gesellschaftsrecht aufgenommen. Unstreitig ist auch, dass diese Gesellschaftsform durch die Richtlinie 2003/123 ausdrücklich in den Wortlaut des Anhangs aufgenommen wurde. Es stellt sich die Frage, ob man ungeachtet dessen durch eine Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs zu dem Ergebnis kommen kann, dass die SAS auch in den Anwendungsbereich der Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung fällt.

29.      Würde man die Richtlinie 90/435 nur anhand ihres Wortlauts auslegen, wäre diese Frage zu verneinen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Auslegung anhand des Wortlauts aber nicht ausreichend. Bei der Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage sind sowohl der Wortlaut der Bestimmung, um deren Auslegung ersucht wird, als auch die Ziele und das System der Richtlinie zu berücksichtigen(9).

30.      Der Gerichtshof hat, gestützt auf die Präambel der Richtlinie 90/435, mehrmals ihre Ziele beschrieben. Er hat ausgeführt, dass die Richtlinie 90/435, wie sich insbesondere aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, bezweckt, durch die Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats zu beseitigen und damit den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene zu erleichtern(10).

31.      Die Richtlinie 90/435 zielt allerdings nicht darauf ab, dieses gemeinsame Steuersystem für alle Gesellschaften der Mitgliedstaaten einzuführen. Insoweit bildet Art. 2 der Richtlinie 90/435 gewissermaßen einen Filter. Die Kommission erläutert in ihren schriftlichen Erklärungen das mit diesem Filter verfolgte Ziel. Sie sieht den Zweck von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs in seiner ursprünglichen Fassung darin, Personengesellschaften vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen.

32.      Man kann sich fragen, ob die Verfasser der Richtlinie 90/435 mit der Aufzählung konkreter Rechtsformen von Gesellschaften der verschiedenen Mitgliedstaaten gesetzestechnisch das geeignete Mittel zur Erreichung dieses Ziels herangezogen haben, auch wenn sie diese Gesetzestechnik der Aufzählung gewählt haben, um zu verhindern, dass die Begriffe „Kapitalgesellschaft“ und „Personengesellschaft“ in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt werden.

33.      Die Gesetzestechnik der Aufzählung verleiht der Gemeinschaftsregelung nämlich keine hinreichende Prognosekraft. Sie ist zu wenig zukunftsorientiert, da sie keine Anpassung der Gemeinschaftsregelung an Änderungen nationaler Bestimmungen ermöglicht. Diese Gesetzestechnik lässt außer Acht, dass sich die interne Rechtsordnung der Mitgliedstaaten ständig fortentwickelt.

34.      Dieser Mangel der in der Richtlinie 90/435 angewandten Gesetzestechnik der Aufzählung kann meiner Ansicht nach weder im Wege der Auslegung noch im Wege der Analogie behoben werden. Daher muss mit jeder Änderung der einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts eine Änderung der Gemeinschaftsvorschriften einhergehen. Andernfalls würde meines Erachtens das Gesetzgebungsverfahren letztlich durch die Auslegungsmethoden ersetzt.

35.      Den Verfassern der Richtlinie 90/435 waren die Grenzen der Gesetzestechnik der Aufzählung offenbar bewusst, denn sie haben im Rahmen der Aktualisierung der Richtlinie 90/435 durch die Richtlinie 2003/123 in Buchst. f des Anhangs der Richtlinie 90/435 nicht nur neue Rechtsformen von Gesellschaften hinzugefügt, sondern auch die Wendung „und andere nach französischem Recht gegründete Gesellschaften, die der französischen Körperschaftsteuer unterliegen“(11), dank der es künftig möglich sein wird, ähnliche Schwierigkeiten wie im Ausgangsverfahren mit der SAS zu vermeiden.

36.      Auch der Vorschlag der Kommission, auf den die Richtlinie 2003/123 zurückgeht(12), könnte für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage hilfreich sein. In Nr. 12 der Begründung dieses Vorschlags weist die Kommission darauf hin, dass die Richtlinie 90/435 nur für Unternehmen mit einer in der Liste im Anhang der Richtlinie aufgeführten Rechtsform gilt. Aus Nr. 13 der Begründung des Vorschlags geht hervor, dass mit dem Vorschlag für die Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 90/435 deren Anwendungsbereich dadurch erweitert werden soll, dass die im Anhang enthaltene Liste um bestimmte, bisher nicht erfasste Rechtsformen ergänzt wird.

37.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Kommission stützen ihre Argumentation darauf, dass die SAS im französischen Recht der SA nachempfunden worden sei, einer Gesellschaftsform, die von Anfang an im Anhang der Richtlinie 90/435 aufgeführt gewesen sei, so dass die SAS als Sonderfall der SA anzusehen sei. Darüber hat der Gerichtshof meines Erachtens nicht zu befinden, denn er müsste dazu nationales Recht auslegen. Vielleicht sollte aber dennoch angemerkt werden, dass im französischen Schrifttum selbst die Auffassung vertreten wird, dass „… die neue Gesellschaft offenbar nicht unter das europäische Gesellschaftsrecht im engeren Sinne – die aufgeführten Richtlinien – fällt, weil dieses nie Aktiengesellschaften generell betrifft, sondern nur die ‚sociétés anonymes‘ und die ‚sociétés en commandite par action‘. Auch wenn es sich bei der neuen Gesellschaft, wie ihr Name zeigt, durchaus um eine Aktiengesellschaft handelt, ist sie weder eine ‚société anonyme‘ noch eine Kommanditgesellschaft.“(13)

38.      Mithin sollte der Gerichtshof meines Erachtens auf die erste Vorlagefrage antworten, dass Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne der Richtlinie nur eine Gesellschaft sein kann, die eine der in Buchst. f des Anhangs der Richtlinie 90/435 ausdrücklich genannten Formen aufweist.

C –    Zur zweiten Vorlagefrage

39.      Die zweite Frage, die für den Fall gestellt worden ist, dass der Gerichtshof die erste Frage verneinen sollte, betrifft die Zweifel des vorlegenden Gerichts an der Vereinbarkeit von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs mit den Art. 43 EG und 48 EG oder mit den Art. 56 Abs. 1 EG und 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG, soweit Art. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 zwar für eine französische Muttergesellschaft in der Rechtsform einer SA, einer société en commandite par actions oder einer société à responsabilité limitée, nicht aber für eine französische Muttergesellschaft in der Rechtsform einer SAS bei Gewinnausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle vorschreibt.

40.      Von den Beteiligten, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, ist nur die Klägerin des Ausgangsverfahrens der Auffassung, dass die zweite Frage zu bejahen sei. Sie macht geltend, Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 verstoße in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs gegen die Niederlassungsfreiheit. Der Ausschluss der SAS vom Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435 würde ihrer Ansicht nach zu einer willkürlichen Benachteiligung der SAS gegenüber der SA und der société á responsabilité limitée sowie den in der Richtlinie für andere Mitgliedstaaten aufgeführten Rechtsformen von Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung führen.

41.      Die deutsche Regierung, die italienische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission sind übereinstimmend der Auffassung, dass die zweite Frage zu verneinen sei. Sie sind allerdings verschiedener Meinung darüber, welche Bestimmungen des EG-Vertrags im vorliegenden Fall einschlägig sind. Nach Ansicht der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs ist die Richtlinie 90/435 unter dem Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit, also anhand der Art. 43 EG und 48 EG zu prüfen. Die italienische Regierung hingegen hält allein Art. 56 EG über den freien Kapitalverkehr für einschlägig. Die Kommission stützt ihre Prüfung sowohl auf die Niederlassungsfreiheit als auch auf den freien Kapitalverkehr.

Würdigung

42.      Vorab ist festzustellen, dass Gegenstand der zweiten Vorlagefrage die Würdigung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs anhand der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags ist und nicht, wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens meint, die Prüfung der Sachlage, die in Deutschland in Bezug auf die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle im Fall von Dividenden besteht, die eine deutsche Gesellschaft an Muttergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausschüttet, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435 fallen. Dennoch erscheint mir der Hinweis angebracht, dass die Art. 43 EG und 48 EG nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die eine Diskriminierung einer gebietsfremden Muttergesellschaft darstellen(14) – unabhängig davon, ob die Muttergesellschaft in den Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435 fällt. Über die Frage, ob dies hier der Fall ist, hat jedoch das vorlegende Gericht zu befinden.

43.      Was die bei der Prüfung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs heranzuziehenden Bestimmungen des Vertrags angeht, teile ich die Auffassung der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs, wonach die einschlägigen Bestimmungen von Art. 2 der Richtlinie und ihres Anhangs nur anhand der Art. 43 EG und 48 EG zu beurteilen sind.

44.      Zwar wirkt sich die Befreiung der von einer Tochtergesellschaft an eine Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden vom Steuerabzug an der Quelle auch auf den freien Kapitalverkehr aus, doch besteht das entscheidende Kriterium bei der Bestimmung der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags nach der Rechtsprechung(15) im Vorliegen einer Beteiligung, die der Muttergesellschaft einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen ihrer Tochtergesellschaft verschafft und es ihr ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen. Der Gerichtshof hat bereits ausgeführt, dass eine Bestimmung, die eine Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft in Höhe von mindestens 25 % voraussetzt – wie es bei der Richtlinie 90/435 der Fall ist –, in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt(16).

45.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs soll die Niederlassungsfreiheit die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern, indem sie jede Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften verbietet(17).

46.      Zweifellos sind nach der Richtlinie 90/435 in ihrer ursprünglichen Fassung gewisse Vorteile bestimmten, eine konkrete Rechtsform aufweisenden Gesellschaften vorbehalten. Dies allein bedeutet jedoch nicht, dass die Richtlinie 90/435 die Mitgliedstaaten daran hindert, gebietsfremden Muttergesellschaften, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435 fallen, die Inländerbehandlung zuteilwerden zu lassen. Aus der bereits in Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs geht vielmehr hervor, dass nationale Rechtsvorschriften, die eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle für die von einer deutschen Gesellschaft an gebietsansässige Muttergesellschaften ausgeschütteten Dividenden vorsehen, dies auch für die von einer deutschen Gesellschaft an gebietsfremde Muttergesellschaften ausgeschütteten Dividenden vorsehen müssen.

47.      Außerdem liegt es auf der Hand, dass von einer Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften keine Rede sein kann, wenn nach der Richtlinie 90/435 in ihrer ursprünglichen Fassung die von einer deutschen Tochtergesellschaft an eine französische Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle befreit sind, sofern die Muttergesellschaft die Rechtsform einer SA, einer société en commandite par actions oder einer société à responsabilité limitée hat, nicht aber, wenn es sich um eine französische Muttergesellschaft mit der Rechtsform einer SAS handelt.

48.      Mithin sollte der Gerichtshof meines Erachtens auf die zweite Frage antworten, dass Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie nicht dadurch gegen die Art. 43 EG und 48 EG verstößt, dass er bei Gewinnausschüttungen einer Tochtergesellschaft an eine französische Muttergesellschaft, die eine der in Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie ausdrücklich genannten Rechtsformen aufweist, eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle vorschreibt.

V –    Ergebnis

49.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Finanzgericht Köln zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.         Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in Verbindung mit Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne dieser Richtlinie nur eine Gesellschaft sein kann, die eine der in Buchst. f des Anhangs der Richtlinie ausdrücklich genannten Formen aufweist.

2.         Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie verstößt nicht dadurch gegen die Art. 43 EG und 48 EG, dass er bei Gewinnausschüttungen einer Tochtergesellschaft an eine französische Muttergesellschaft, die eine der in Buchst. f des Anhangs dieser Richtlinie ausdrücklich genannten Rechtsformen aufweist, eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle vorschreibt.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 225, S. 6.


3 – ABl. 2004, L 7, S. 41.


4 – Nach der Änderung der Richtlinie 90/435 durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 129) ist diese Aufzählung in Buchst. j des Anhangs zu finden.


5 – Die Rechtsform der SAS gibt es im französischen Gesellschaftsrecht erst seit 1994.


6 – Seit 1. Januar 2006: „Bundeszentralamt für Steuern“.


7 – Vgl. jüngst Urteil vom 23. April 2009, Rüffler (C-544/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


8 – Vgl. Urteile vom 5. März 2009, Apis-Hristovich (C-545/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 30) und Rüffler (in Fn. 7 angeführt, Randnr. 38).


9 – Vgl. Urteil vom 3. April 2008, Banque Fédérative du Crédit Mutuel (C-27/07, Slg. 2008, I-2067, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10 – Vgl. Urteil vom 22. Dezember 2008, Les Vergers du Vieux Tauves (C-48/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11 – Eine entsprechende Änderung wurde auch in Bezug auf Belgien und die Niederlande vorgenommen.


12 – Vorschlag vom 29. Juli 2003 für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/435, KOM(2003) 462 endg.


13 – Guyon, Y., „La société par actions simplifiée et le droit communautaire“, in: Société par actions simplifiée, Paris 1994, S. 147.


14 – Vgl. Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C-170/05, Slg. 2006, I-11949).


15 – Vgl. Urteil vom 26. Juni 2008, Burda (C-284/06, Slg. 2008, I-4571, Randnr. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16 – Vgl. Beschluss vom 10. Mai 2007, Lasertec (C-492/04, Slg. 2007, I-3775, Randnrn. 20 bis 26).


17 – Vgl. Urteil vom 22. Dezember 2008, Truck Center (C-282/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).