Rechtssache C-337/08
X Holding BV
gegen
Staatssecretaris van Financiën
(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)
„Art. 43 EG und 48 EG – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Aus einer gebietsansässigen Muttergesellschaft und einer oder mehreren gebietsansässigen Tochtergesellschaften gebildete steuerliche Einheit – Besteuerung der Gewinne bei der Muttergesellschaft – Ausschluss gebietsfremder Tochtergesellschaften“
Leitsätze des Urteils
Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Steuerrecht – Körperschaftsteuer
(Art. 43 EG und 48 EG)
Die Art. 43 EG und 48 EG stehen nicht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die es einer Muttergesellschaft ermöglicht, mit ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft eine steuerliche Einheit zu bilden, die Bildung einer solchen steuerlichen Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft aber nicht zulässt, weil deren Gewinne nicht den Steuervorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegen.
Wird einer Muttergesellschaft mit einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dieser Vorteil verwehrt, handelt es sich zwar um eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, da es für die Muttergesellschaft weniger attraktiv werden kann, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, weil sie davon abgehalten wird, in anderen Mitgliedstaaten Tochtergesellschaften zu gründen. Die Situation einer gebietsansässigen Muttergesellschaft, die eine steuerliche Einheit mit einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft bilden will, und die Situation einer gebietsansässigen Muttergesellschaft, die eine steuerliche Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft bilden will, sind im Hinblick auf das Ziel einer solchen Steuerregelung insoweit objektiv vergleichbar, da sowohl die eine als auch die andere Muttergesellschaft danach streben, die Vorteile dieser Regelung in Anspruch zu nehmen, die es insbesondere ermöglicht, die Gewinne und Verluste der in die steuerliche Einheit einbezogenen Gesellschaften auf der Ebene der Muttergesellschaft zu konsolidieren und innerhalb der Gruppe getätigte Transaktionen steuerlich neutral zu halten.
Eine derartige Steuerregelung ist aber durch das Erfordernis gerechtfertigt, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren. Da die Muttergesellschaft nämlich nach Belieben entscheiden kann, eine steuerliche Einheit mit ihrer Tochtergesellschaft zu bilden, und es ihr ebenso freisteht, diese Einheit von einem Jahr zum anderen aufzulösen, liefe die Möglichkeit, eine gebietsfremde Tochtergesellschaft in die steuerliche Einheit einzubeziehen, darauf hinaus, dass sie die freie Wahl hätte, welches Steuersystem auf die Verluste ihrer Tochtergesellschaft anwendbar ist und wo die Verluste berücksichtigt werden. Da der Umfang der steuerlichen Einheit so verändert werden kann, hätte die Erlaubnis, eine gebietsfremde Tochtergesellschaft in sie einzubeziehen, zur Folge, dass die Muttergesellschaft frei entscheiden könnte, in welchem Mitgliedstaat sie die Verluste der Tochtergesellschaft geltend macht.
Was die Verhältnismäßigkeit der betreffenden Steuerregelung angeht, folgt aus dem Umstand, dass sich ein Mitgliedstaat dafür entschieden hat, die vorläufige Anrechnung von Verlusten einer ausländischen Betriebsstätte am Hauptsitz des Unternehmens zuzulassen, nicht, dass diese Möglichkeit auch den gebietsfremden Tochtergesellschaften einer gebietsansässigen Muttergesellschaft eröffnet werden muss. Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat und gebietsfremde Tochtergesellschaften befinden sich nämlich im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsgrundlage, wie sie sich aus einem Doppelbesteuerungsabkommen ergibt, nicht in einer vergleichbaren Situation, da die Tochtergesellschaft als selbständige juristische Person in dem Vertragsstaat eines solchen Doppelbesteuerungsabkommens, in dem sie ihren Sitz hat, unbeschränkt steuerpflichtig ist, während die Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat prinzipiell und in beschränktem Umfang weiterhin der Steuerhoheit des Herkunftsstaats unterliegt. Zwar darf die freie Wahl, die Art. 43 Abs. 1 Satz 2 EG den Wirtschaftsteilnehmern in Bezug auf die Festlegung der Rechtsform lässt, die für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat am besten geeignet ist, nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden. Dem Herkunftsmitgliedstaat steht es jedoch nach wie vor frei, Bedingungen und Höhe der Besteuerung der verschiedenen Niederlassungsformen von im Ausland tätigen inländischen Gesellschaften festzulegen, soweit er ihnen eine Behandlung gewährt, die gegenüber vergleichbaren inländischen Niederlassungen nicht diskriminierend ist. Da sich Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat und gebietsfremde Tochtergesellschaften im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis nicht in einer vergleichbaren Situation befinden, ist der Herkunftsmitgliedstaat somit nicht verpflichtet, gebietsfremde Tochtergesellschaften ausländischen Betriebsstätten steuerlich gleichzustellen. Daher ist die betreffende Steuerregelung im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Ziele verhältnismäßig.
(vgl. Randnrn. 19, 24, 31-33, 37-40, 42-43 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
25. Februar 2010(*)
„Art. 43 EG und 48 EG – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Aus einer gebietsansässigen Muttergesellschaft und einer oder mehreren gebietsansässigen Tochtergesellschaften gebildete steuerliche Einheit – Besteuerung der Gewinne bei der Muttergesellschaft – Ausschluss gebietsfremder Tochtergesellschaften“
In der Rechtssache C-337/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 11. Juli 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juli 2008, in dem Verfahren
X Holding BV
gegen
Staatssecretaris van Financiën
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.-C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der X Holding BV, vertreten durch F. A. Engelen und S. C. W. Douma, belastingadviseurs,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels, M. Noort und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, C. Blaschke und B. Klein als Bevollmächtigte,
– der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez und B. Plaza Cruz als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Gracia als Bevollmächtigte,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und J. Menezes Leitão als Bevollmächtigte,
– der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, S. Johannesson und K. Petkovska als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigten im Beistand von M. Gray, Barrister,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. November 2009
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG und 48 EG.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X Holding BV (im Folgenden: X Holding), einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, und der niederländischen Finanzverwaltung wegen deren Weigerung, die X Holding und eine im Ausland ansässige Tochtergesellschaft dieses Unternehmens als steuerliche Einheit anzuerkennen.
Rechtlicher Rahmen
Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem Königreich Belgien und dem Königreich der Niederlande
3 Das zwischen den Niederlanden und Belgien geschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vom 5. Juni 2001 (im folgenden DBA) bestimmt in Art. 7 Abs. 1 entsprechend dem Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD):
„Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats können nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus. Übt das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne des Unternehmens im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können.“
4 Bezieht ein in den Niederlanden ansässiger Steuerpflichtiger Einkünfte, die gemäß Art. 7 DBA in Belgien steuerpflichtig sind, so befreien die Niederlande diese Einkünfte nach Art. 23 Abs. 2 DBA, indem sie eine Ermäßigung ihrer Steuer einräumen, die nach den niederländischen Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehen ist.
Niederländisches Recht
5 Art. 15 des Körperschaftsteuergesetzes von 1969 bestimmt:
„(1) Verfügt ein Steuerpflichtiger (die Muttergesellschaft) über das rechtliche und das wirtschaftliche Eigentum an mindestens 95 % der Anteile am eingezahlten Nennkapital eines anderen Steuerpflichtigen (der Tochtergesellschaft), wird auf Antrag beider Steuerpflichtiger die Steuer bei ihnen so erhoben, als handelte es sich um einen Steuerpflichtigen in dem Sinne, dass die Tätigkeiten und das Vermögen der Tochtergesellschaft Teil der Tätigkeiten und des Vermögens der Muttergesellschaft sind. Die Steuer wird bei der Muttergesellschaft erhoben. In diesem Fall gelten die Steuerpflichtigen zusammen als steuerliche Einheit. Zu einer steuerlichen Einheit können mehrere Tochtergesellschaften gehören.
…
(3) Absatz 1 gilt nur, wenn
…
b) bei der Gewinnermittlung beide Steuerpflichtige denselben Bestimmungen unterliegen;
c) beide Steuerpflichtige in den Niederlanden ansässig sind und, falls die niederländische Abgabenordnung (Belastingregeling voor het Koninkrijk) oder ein Doppelbesteuerungsabkommen auf einen Steuerpflichtigen anwendbar ist, dieser Steuerpflichtige nach der Abgabenordnung oder dem betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen ebenfalls als in den Niederlanden ansässig gilt;
…
(4) Durch Verordnung kann festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen Steuerpflichtige, die bei der Gewinnermittlung nicht denselben Bestimmungen unterliegen, abweichend von Abs. 3 Buchst. b gleichwohl eine steuerliche Einheit bilden können. Abweichend von Abs. 3 Buchst. c kann ferner ein Steuerpflichtiger, der nach seinem nationalen Recht, der [niederländischen] Abgabenordnung … oder einem Doppelbesteuerungsabkommen nicht in den Niederlanden ansässig ist, aber über eine Betriebsstätte in den Niederlanden verfügt, unter durch Verordnung festgelegten Voraussetzungen zu einer steuerlichen Einheit gehören, sofern die Befugnis zur Besteuerung der Einkünfte des betreffenden Unternehmens nach der [niederländischen] Abgabenordnung oder einem Doppelbesteuerungsabkommen den Niederlanden zugewiesen ist und
a) der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung dieses Steuerpflichtigen auf den Niederländischen Antillen, auf Aruba, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat liegt, auf den ein mit den Niederlanden geschlossenes Doppelbesteuerungsabkommen anwendbar ist, das das Verbot der Diskriminierung von Betriebsstätten vorsieht,
b) der unter a) genannte Steuerpflichtige eine Aktiengesellschaft, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder eine nach Art und Aufbau vergleichbare Körperschaft ist, und,
c) wenn der unter a) genannte Steuerpflichtige als Muttergesellschaft zur steuerlichen Einheit gehört, die Beteiligung im Sinne von Abs. 1 an der Tochtergesellschaft zum Vermögen der Betriebsstätte dieser Muttergesellschaft in den Niederlanden gehört.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
6 Die X Holding mit Sitz in den Niederlanden hält sämtliche Anteile an der Gesellschaft F, die nach belgischem Recht gegründet wurde, in Belgien ansässig ist und in den Niederlanden nicht der Körperschaftsteuer unterliegt.
7 Beide beantragten, als steuerliche Einheit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 des niederländischen Körperschaftsteuergesetzes von 1969 anerkannt zu werden. Ihr Antrag wurde von der niederländischen Finanzverwaltung abgelehnt, weil F nicht, wie nach Art. 15 Abs. 3 Buchst. c dieses Gesetzes erforderlich, in den Niederlanden ansässig sei.
8 Auf die Klage gegen den ablehnenden Bescheid bestätigte die Rechtbank te Arnhem (erstinstanzliches Gericht Arnheim) dessen Rechtmäßigkeit und verwies zur Begründung u. a. auf das Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, Slg. 2005, I-10837).
9 X Holding erhob Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande). Dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 43 EG in Verbindung mit Art. 48 EG dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass durch die nationale Regelung eines Mitgliedstaats, wonach eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft die Wahl treffen können, dass die von ihnen geschuldete Steuer bei der in diesem Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft so erhoben wird, als handelte es sich um einen einzigen Steuerpflichtigen, diese Wahlmöglichkeit Gesellschaften vorbehalten wird, die hinsichtlich der Besteuerung ihres Gewinns der Steuerhoheit des betreffenden Mitgliedstaats unterliegen?
Zum Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
10 Mit Schriftsatz, der am 2. Dezember 2009 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat X Holding beantragt, der Gerichtshof möge nach Art. 61 der Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen. Nach Ansicht von X Holding beruhen die Schlussanträge der Generalanwältin auf einem fehlerhaften Verständnis des nationalen und internationalen niederländischen Steuerrechts.
11 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann dieser gemäß Art. 61 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auf Antrag der Parteien die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. u. a. Urteil vom 16. Dezember 2008, Cartesio, C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Randnr. 46).
12 Das auf das Ausgangsverfahren anwendbar niederländische Recht ist jedoch in den beim Gerichtshof abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen dargelegt und kommentiert worden. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der Ansicht, dass er über alle erforderlichen Angaben verfügt, um die Fragen des vorlegenden Gerichts beantworten zu können.
13 Außerdem wird nicht vorgetragen, dass die vorliegende Rechtssache auf der Grundlage eines nicht erörterten Vorbringens entschieden werden müsste.
14 Daher ist nach Anhörung der Generalanwältin der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zurückzuweisen.
Zur Vorlagefrage
15 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 43 EG und 48 EG der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die es einer Muttergesellschaft ermöglicht, mit ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft eine steuerliche Einheit zu bilden, aber nicht die Bildung einer solchen steuerlichen Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft zulässt, weil deren Gewinne nicht den Steuervorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegen.
16 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (vgl. u. a. Urteile Marks & Spencer, Randnr. 29, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 36, sowie vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome, C-182/08, Slg. 2009, I–0000, Randnr. 34).
17 Mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 43 EG den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörigen festgelegten umfasst, ist gemäß Art. 48 EG für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (vgl. u. a. Urteile vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN, C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 35, sowie Marks & Spencer, Randnr. 30).
18 Die durch das niederländische Recht gebietsansässigen Muttergesellschaften und ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften eröffnete Möglichkeit, so besteuert zu werden, als ob sie eine steuerliche Einheit bildeten, d. h. einer Regelung der steuerlichen Integration unterworfen zu werden, stellt für die betreffenden Gesellschaften einen Vorteil dar. Diese Regelung ermöglicht es insbesondere, die Gewinne und Verluste der in die steuerliche Einheit einbezogenen Gesellschaften auf der Ebene der Muttergesellschaft zu konsolidieren und innerhalb der Gruppe getätigte Transaktionen steuerlich neutral zu halten.
19 Wird einer Muttergesellschaft mit einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dieser Vorteil verwehrt, kann es für die Muttergesellschaft weniger attraktiv werden, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, weil sie davon abgehalten wird, in anderen Mitgliedstaaten Tochtergesellschaften zu gründen.
20 Eine solche ungleiche Behandlung ist nur dann mit den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Randnr. 167).
21 Die niederländische, die deutsche und die portugiesische Regierung machen geltend, dass diese beiden Situationen nicht objektiv miteinander vergleichbar seien, da sich gebietsansässige und gebietsfremde Tochtergesellschaften im Hinblick auf eine Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht in einer steuerlich vergleichbaren Lage befänden. Insbesondere unterliege eine Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat nicht der Steuerhoheit des Staates, in dem die Muttergesellschaft ansässig sei, so dass sie nicht in eine steuerliche Einheit einbezogen werden könne, die in dem zuletzt genannten Staat steuerpflichtig sei.
22 Hierzu ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vergleichbarkeit eines Sachverhalts mit Gemeinschaftsbezug mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2007, Oy AA, C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Randnr. 38).
23 Im Steuerrecht ist zwar der Sitz des Steuerpflichtigen ein Kriterium, das nationale Regelungen, die zu einer Ungleichbehandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen führen, rechtfertigen kann, doch ist dies nicht immer der Fall. Könnte nämlich der Mitgliedstaat der Niederlassung in allen Fällen eine Ungleichbehandlung allein deshalb vornehmen, weil sich der Sitz einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet, würde Art. 43 EG seines Sinnes entleert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich, 270/83, Slg. 1986, 273, Randnr. 18, sowie Marks & Spencer, Randnr. 37).
24 Die Situation einer gebietsansässigen Muttergesellschaft, die eine steuerliche Einheit mit einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft bilden will, und die Situation einer gebietsansässigen Muttergesellschaft, die eine steuerliche Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft bilden will, sind aber im Hinblick auf das Ziel einer Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden objektiv vergleichbar, da sowohl die eine als auch die andere Muttergesellschaft danach streben, die Vorteile dieser Regelung in Anspruch zu nehmen, die es insbesondere ermöglicht, die Gewinne und Verluste der in die steuerliche Einheit einbezogenen Gesellschaften auf der Ebene der Muttergesellschaft zu konsolidieren und innerhalb der Gruppe getätigte Transaktionen steuerlich neutral zu halten.
25 Zu prüfen ist, ob eine Ungleichbehandlung wie diejenige im Ausgangsverfahren durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
26 Um auf diese Weise gerechtfertigt zu sein, muss eine solche Ungleichbehandlung zur Erreichung des angeführten Ziels geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Mai 1997, Futura Participations und Singer, C-250/95, Slg. 1997, I-2471, Randnr. 26, vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant, C-9/02, Slg. 2004, I-2409, Randnr. 49, sowie Marks & Spencer, Randnr. 35).
27 Die Regierungen, die Erklärungen beim Gerichtshof abgegeben haben, tragen vor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ungleichbehandlung insbesondere gerechtfertigt sei, um die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.
28 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich sein kann, auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem dieser Staaten niedergelassenen Gesellschaften sowohl in Bezug auf Gewinne als auch auf Verluste nur dessen Steuerrecht anzuwenden (vgl. Urteile Marks & Spencer, Randnr. 45, sowie vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium, C-414/06, Slg. 2008, I-3601, Randnr. 31).
29 Dürften die Gesellschaften nämlich selbst entscheiden, ob ihre Verluste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder in einem anderen Mitgliedstaat berücksichtigt werden, wäre die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erheblich gefährdet, da die Steuerbemessungsgrundlage im ersten Staat um die übertragenen Verluste erweitert und im zweiten Staat entsprechend verringert würde (vgl. Urteile Marks & Spencer, Randnr. 46, Oy AA, Randnr. 55, und Lidl Belgium, Randnr. 32).
30 Das Gleiche gilt für eine Regelung der steuerlichen Integration wie sie hier in Rede steht.
31 Da die Muttergesellschaft nach Belieben entscheiden kann, eine steuerliche Einheit mit ihrer Tochtergesellschaft zu bilden, und es ihr ebenso freisteht, diese Einheit von einem Jahr zum anderen aufzulösen, liefe die Möglichkeit, eine gebietsfremde Tochtergesellschaft in die steuerliche Einheit einzubeziehen, darauf hinaus, dass sie die freie Wahl hätte, welches Steuersystem auf die Verluste ihrer Tochtergesellschaft anwendbar ist und wo die Verluste berücksichtigt werden.
32 Da der Umfang der steuerlichen Einheit so verändert werden kann, hätte die Erlaubnis, eine gebietsfremde Tochtergesellschaft in sie einzubeziehen, zur Folge, dass die Muttergesellschaft frei entscheiden könnte, in welchem Mitgliedstaat sie die Verluste der Tochtergesellschaft geltend macht (vgl. in diesem Sinne Urteile Oy AA, Randnr. 56, und Lidl Belgium, Randnr. 34).
33 Eine Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist folglich durch das Erfordernis gerechtfertigt, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.
34 Da die betreffende Regelung zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist, bleibt noch zu prüfen, ob sie nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Marks & Spencer, Randnr. 53).
35 X Holding und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften machen insoweit geltend, dass die Bildung einer steuerlichen Einheit im Inland im Ergebnis inländische Tochtergesellschaften steuerlich Betriebsstätten gleichstelle. Entsprechend könnten gebietsfremde Tochtergesellschaften im Rahmen einer grenzüberschreitenden steuerlichen Einheit wie ausländische Betriebsstätten behandelt werden. Die Verluste einer ausländischen Betriebsstätte könnten jedoch aufgrund einer Regelung, die eine vorläufige Verlustübertragung verbunden mit einer Nachversteuerung vorsehe, vorläufig mit den Gewinnen des Stammhauses verrechnet werden. Die Anwendung dieser Regelung auf gebietsfremde Tochtergesellschaften könnte ein milderes Mittel zur Erreichung des oben genannten Ziels darstellen als das an eine gebietsansässige Muttergesellschaft gerichtete Verbot, eine steuerliche Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft zu bilden.
36 Dieses Vorbringen ist jedoch zurückzuweisen.
37 Wie nämlich die Generalanwältin in Nr. 51 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, folgt aus dem Umstand, dass sich ein Mitgliedstaat dafür entschieden hat, die vorläufige Anrechnung von Verlusten einer ausländischen Betriebsstätte am Hauptsitz des Unternehmens zuzulassen, nicht, dass diese Möglichkeit auch den gebietsfremden Tochtergesellschaften einer gebietsansässigen Muttergesellschaft eröffnet werden muss.
38 Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat und gebietsfremde Tochtergesellschaften befinden sich nämlich im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis, wie sie sich aus einer Übereinkunft wie dem Doppelbesteuerungsabkommen und insbesondere dessen Art. 7 Abs. 1 und 23 Abs. 2 ergibt, nicht in einer vergleichbaren Situation. Denn während die Tochtergesellschaft als selbständige juristische Person in dem Vertragsstaat eines solchen Doppelbesteuerungsabkommens, in dem sie ihren Sitz hat, unbeschränkt steuerpflichtig ist, gilt dies nicht für die Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat, die prinzipiell und in beschränktem Umfang weiterhin der Steuerhoheit des Herkunftsstaats unterliegt.
39 Zwar hat der Gerichtshof in anderen Fallgestaltungen entschieden, dass die freie Wahl, die Art. 43 Abs. 1 Satz 2 EG den Wirtschaftsteilnehmern in Bezug auf die Festlegung der Rechtsform lässt, die für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat am besten geeignet ist, nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Frankreich, Randnr. 22, Oy AA, Randnr. 40, und vom 23. Februar 2006, CLT-UFA, C-253/03, Slg. 2006, I-1831, Randnr. 14).
40 Dem Herkunftsmitgliedstaat steht es jedoch nach wie vor frei, Bedingungen und Höhe der Besteuerung der verschiedenen Niederlassungsformen von im Ausland tätigen inländischen Gesellschaften festzulegen, soweit er ihnen eine Behandlung gewährt, die gegenüber vergleichbaren inländischen Niederlassungen nicht diskriminierend ist (Urteil vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services, C-298/05, Slg. 2007, I-10451, Randnrn. 51 und 53). Da sich Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat und gebietsfremde Tochtergesellschaften, wie in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis nicht in einer vergleichbaren Situation befinden, ist der Herkunftsmitgliedstaat somit nicht verpflichtet, gebietsfremde Tochtergesellschaften ausländischen Betriebsstätten steuerlich gleichzustellen.
41 In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren, in der der betreffende Vorteil in der den gebietsansässigen Muttergesellschaften und ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften eingeräumten Möglichkeit besteht, so besteuert zu werden, als ob sie eine steuerliche Einheit bildeten, würde nämlich jede Ausweitung dieses Vorteils auf grenzüberschreitende Sachverhalte bewirken, dass, wie in Randnr. 32 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Muttergesellschaften frei entscheiden könnten, in welchem Mitgliedstaat sie die Verluste ihrer gebietsfremden Tochtergesellschaft geltend machen (vgl. entsprechend Urteil Oy AA, Randnr. 64).
42 Nach alledem ist eine Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Ziele verhältnismäßig.
43 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 43 EG und 48 EG nicht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die es einer Muttergesellschaft ermöglicht, mit ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft eine steuerliche Einheit zu bilden, die Bildung einer solchen steuerlichen Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft aber nicht zulässt, weil deren Gewinne nicht den Steuervorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegen.
Kosten
44 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 43 EG und 48 EG stehen nicht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die es einer Muttergesellschaft ermöglicht, mit ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft eine steuerliche Einheit zu bilden, die Bildung einer solchen steuerlichen Einheit mit einer gebietsfremden Tochtergesellschaft aber nicht zulässt, weil deren Gewinne nicht den Steuervorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegen.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Niederländisch.