Rechtssache C-581/08
EMI Group Ltd
gegen
The Commissioners of Her Majesty's Revenue and Customs
(Vorabentscheidungsersuchen des VAT and Duties Tribunal, London Tribunal Centre)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 5 Abs. 6 Satz 2 – Begriff ‚Warenmuster‘ – Begriff ‚Geschenke von geringem Wert‘ – Musikaufnahmen – Unentgeltliche Abgabe zu Werbezwecken“
Leitsätze des Urteils
1. Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerbare Umsätze – Entnahme eines Betriebsgegenstands, der unentgeltlich weitergegeben wird – Ausschluss von Geschenken von geringem Wert und von Warenmustern
(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 5 Abs. 6 Satz 2)
2. Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerbare Umsätze – Entnahme eines Betriebsgegenstands, der unentgeltlich weitergegeben wird – Ausschluss von Geschenken von geringem Wert und von Warenmustern
(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 5 Abs. 6 Satz 2)
3. Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerbare Umsätze – Entnahme eines Betriebsgegenstands, der unentgeltlich weitergegeben wird – Ausschluss von Geschenken von geringem Wert und von Warenmustern
(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 5 Abs. 6 Satz 2)
1. Ein Warenmuster im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ist ein Probeexemplar eines Produkts, durch das dessen Absatz gefördert werden soll und das eine Bewertung der Merkmale und der Qualität dieses Produkts ermöglicht, ohne zu einem anderen als dem mit solchen Werbeumsätzen naturgemäß verbundenen Endverbrauch zu führen. Dieser Begriff kann nicht durch eine nationale Regelung allgemein auf Probeexemplare beschränkt werden, die in einer nicht im Verkauf erhältlichen Form abgegeben werden, oder auf das erste Exemplar einer Reihe identischer Probeexemplare, die von einem Steuerpflichtigen an denselben Empfänger übergeben werden, ohne dass diese Regelung es erlaubt, die Art des repräsentierten Produkts und den kommerziellen Kontext jedes einzelnen Vorgangs, in dessen Rahmen diese Probeexemplare übergeben werden, zu berücksichtigen. Der steuerliche Status des Empfängers von Warenmustern ist insoweit nicht relevant.
Insbesondere Musikaufnahmen, die im Rahmen von Werbeumsätzen unentgeltlich verteilt werden, können Gegenstände darstellen, die als Warenmuster übergeben werden, selbst wenn sie mit dem vertriebsfertigen Endprodukt identisch sind. Wird nämlich eine solche Aufnahme an eine Person übergeben, damit diese im Rahmen ihrer Tätigkeit dafür sorgt, dass sie bei der Öffentlichkeit Beachtung findet, kann diese Person ihren Wert nur dann umfassend beurteilen, wenn sie die Möglichkeit hat, den gesamten Inhalt der Aufnahme so zu hören, wie er auf dem Markt vertrieben werden wird. Außerdem ist es mit dem Zweck von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie nicht unvereinbar, dass Gegenstände als Warenmuster an andere Personen als potenzielle oder tatsächliche Käufer des von ihnen repräsentierten Produkts übergeben werden können, vorausgesetzt, dass eine solche Abgabe den mit der Abgabe von Warenmustern verfolgten Zielen entspricht. Insoweit beruht auf dem Gebiet künstlerischer Erzeugnisse die Abgabe von Gratisexemplaren neuer Werke an eine Mittelsperson, die die Aufgabe hat, die Qualität dieser Werke einer kritischen Beurteilung zu unterziehen, und die daher den Grad der Marktpräsenz des Produkts beeinflussen kann – wie Journalisten oder Radiomoderatoren –, auf einem Werbemechanismus, bei dem die Benutzung des Warenmusters eine mit dem Bewerbungs- und Bewertungsprozess naturgemäß verbundene Folge ist.
Was ferner die spezifische Praxis im künstlerischen Bereich anbelangt, Musikaufnahmen durch die Abgabe sehr vieler Exemplare einer Aufnahme an einen „Plugger“ zu bewerben, kann es für die Zwecke der kritischen Besprechung und der Bewerbung einer Musikaufnahme erforderlich sein, zahlreiche Exemplare dieser Aufnahme an Mittelspersonen abzugeben, damit diese sie anschließend an Personen weitergeben können, die nach ihrer Fähigkeit, den Absatz einer Musikaufnahme zu fördern, bestimmt werden. Die bloße Tatsache, dass die Zahl der abgegebenen Exemplare mehrere hundert Stück betragen kann, wenn eine mit der Herstellung und dem Verkauf von Tonträgern befasste Gesellschaft für die Verteilung von Exemplaren ihrer neuen Aufnahmen „Plugger“ einsetzt, ist für sich allein nicht unvereinbar mit dem Ziel, das mit der Ausnahme für Warenmuster verfolgt wird, vorausgesetzt, dass diese Zahl von Exemplaren in Relation zur Art des repräsentierten Produkts und zu dem Gebrauch steht, den der „Plugger“ als Mittelsperson von ihm machen soll, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Ebenso wenig kann die Möglichkeit, dass ein „Plugger“ die ihm zur Verfügung gestellten Gratiskopien von Musikaufnahmen nicht ihrer vereinbarten Bestimmung zuführt, sondern sie missbräuchlich verwendet, indem er sie z. B. in die gewöhnlichen Absatzkanäle einführt, für sich allein keine Auswirkung auf die rechtliche Einstufung dieser Gratiskopien als Warenmuster haben. Um umfassend zu gewährleisten, dass die Grenzen der Ausnahme nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie beachtet werden, können die Mitgliedstaaten jedoch Steuerpflichtigen, die Warenmuster für Zwecke ihres Unternehmens verteilen, das Ergreifen von Vorsichtsmaßnahmen vorschreiben, um der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung dieser Warenmuster vorzubeugen. Führt die Abgabe von Warenmustern dennoch zu einem Endverbrauch, der mit der Bewertung des durch diese Warenmuster repräsentierten Produkts nicht naturgemäß verbunden ist, stellt ein solcher Verbrauch einen Missbrauch dar.
(vgl. Randnrn. 29-31, 35-40, 53, Tenor 1, 4)
2. Der Begriff „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der für Geschenke, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten oder auch als Teil einer Reihe oder Folge von Geschenken gemacht werden, eine monetäre Obergrenze in einer Größenordnung von 50 GBP festgelegt wird.
Die Mitgliedstaaten verfügen nämlich bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie über einen gewissen Ermessensspielraum, vorausgesetzt, sie verkennen nicht den Sinn und Zweck der fraglichen Vorschrift und ihre Stellung im Gefüge der Sechsten Richtlinie. Insoweit wird dadurch, dass in einer nationalen Regelung eine solche monetäre Obergrenze festgelegt wird, dieser Ermessensspielraum nicht überschritten. Das Gleiche gilt für eine Vorschrift, wonach eine solche Obergrenze kumulativ für Geschenke gilt, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten oder auch als Teil einer Reihe oder Folge von Geschenken gemacht werden. Solche Obergrenzen sind nämlich mit den Zielen von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie vereinbar, ohne dass sie der Ausnahme, die darin für Geschenke von geringem Wert vorgesehen ist, ihre praktische Wirksamkeit nehmen.
(vgl. Randnrn. 42, 44-45, Tenor 2)
3. Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der vermutet wird, dass Gegenstände, die Geschenke von geringem Wert im Sinne dieser Bestimmung darstellen und von einem Steuerpflichtigen an verschiedene Personen übergeben werden, die einen gemeinsamen Arbeitgeber haben, als Geschenke an ein und dieselbe Person gelten.
Die Einstufung der Übergabe eines Gegenstands als Geschenk von geringem Wert hängt davon ab, wer nach der Vorstellung des Schenkers der letztlich Beschenkte sein sollte, ohne dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Beschenkten und seinem Arbeitgeber oder der Umstand, dass mehrere Beschenkte einen gemeinsamen Arbeitgeber haben, Auswirkungen auf diese Einstufung hätten.
(vgl. Randnrn. 49-50, Tenor 3)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
30. September 2010(*)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 5 Abs. 6 Satz 2 – Begriff ‚Warenmuster‘ – Begriff ‚Geschenke von geringem Wert‘ – Musikaufnahmen – Unentgeltliche Abgabe zu Werbezwecken“
In der Rechtssache C-581/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom VAT and Duties Tribunal, London Tribunal Centre (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 2008, in dem Verfahren
EMI Group Ltd
gegen
The Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis, T. von Danwitz (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der EMI Group Ltd, vertreten durch R. Cordara, QC, und P. Key, Barrister,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth als Bevollmächtigten im Beistand von P. Mantle, Barrister,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2010
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Begriffe „Warenmuster“ und „Geschenke von geringem Wert“ in Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der EMI Group Ltd (im Folgenden: EMI) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (im Folgenden: Commissioners) über den Antrag von EMI auf Erstattung von zu Unrecht abgeführten Mehrwertsteuerbeträgen für Gratiskopien von Musikaufnahmen, die sie im Zeitraum von April 1987 bis Juni 2003 an verschiedene Personen zum Zweck der Bewerbung ihrer Musikveröffentlichungen abgegeben hat, sowie über die von den Commissioners an EMI gerichtete Zahlungsaufforderung betreffend die Mehrwertsteuer für die Abgabe solcher Kopien im Zeitraum von Juli 2003 bis Dezember 2004.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 2 der Sechsten Richtlinie lautet:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
2. die Einfuhr von Gegenständen.“
4 Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. Jedoch fallen Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu Zwecken des Unternehmens nicht darunter.“
5 Die Sechste Richtlinie ist durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) aufgehoben worden, deren Art. 16 Abs. 2 ähnlich lautet wie Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie.
Nationales Recht
6 Die einschlägigen nationalen Bestimmungen in Section 5(1) des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz von 1994) sowie in Paragraf 5(1), (2), (2ZA) und (3) des Anhangs 4 dieses Gesetzes wurden im für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum mehrfach geändert.
7 In ihrer aktuellen Fassung sehen sie im Wesentlichen vor, dass die entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung oder Zuwendung von Gegenständen eines steuerpflichtigen Unternehmens eine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung darstellt; davon ausgenommen ist die Abgabe von Werbegeschenken und Warenmustern. In Bezug auf Geschenke steht die Ausnahme unter der Bedingung, dass ihr Wert den Betrag von 50 GBP pro Person und Jahr nicht übersteigt. Bis Oktober 2003 waren von dieser Ausnahme Geschenke, die Teil einer Serie von Geschenken waren, nicht gedeckt. Bei Warenmustern ist, wenn mehrere identische Warenmuster ein und derselben Person übergeben werden, nur das erste Warenmuster befreit. Bis Juli 1993 waren von der Befreiung nur gewerbliche Warenmuster in einer im Verkauf gewöhnlich nicht erhältlichen Form erfasst.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8 EMI ist eine Gesellschaft englischen Rechts, die mit der Herstellung und dem Verkauf von Musikaufnahmen sowie mit dem Verlegen von Musik befasst ist. Seit 1987 bewirbt EMI die von ihr produzierten neuen Aufnahmen durch die Abgabe von Gratiskopien dieser Aufnahmen auf Vinylplatte, Musikkassette und Compact Disk (im Folgenden: CD) an verschiedene Personen, die die kommerzielle Qualität der Aufnahme beurteilen und das Ausmaß, in dem ein Künstler Beachtung findet, beeinflussen können.
9 Im Rahmen dieser Werbestrategie werden solche Gratiskopien u. a. an Personen verteilt, die für die Presse, Radiosender, Fernsehsendungen, Werbeagenturen, Einzelverkaufsstellen oder Kinos arbeiten. Ferner setzt EMI Werbeleute ein, sogenannte „Pluggers“, die in der Lage sind, die Aufnahmen in den audiovisuellen Medien und in der Presse zu bewerben, und die diese Aufnahmen – ebenfalls unentgeltlich – gezielt an ihre eigenen Kontakte weitergeben, die ihrerseits in Listen aufgeführt sind, die jeweils speziell im Hinblick auf die Herausgabe einer neuen CD erstellt werden.
10 Zu diesem Zweck gibt EMI Musikaufnahmen in verschiedenen Formen ab, nämlich als zur Verteilung vor Herausgabe des Albums bestimmte bespielbare CDs mit einem digitalen Wasserzeichen, das den Namen des Empfängers ausweist und es erlaubt, etwaige Kopien zurückzuverfolgen, als bespielbare CDs ohne Wasserzeichen, die in einer weißen Kartonhülle vor Herausgabe des Albums verteilt werden, als herkömmliche CDs ohne Wasserzeichen in einer Kartonhülle, die grafisch gleich gestaltet ist wie das für den allgemeinen Verkauf bestimmte Album, und als CDs in ihrer endgültigen, zum Verkauf bestimmten Form. Auf den Letztgenannten ist ein Aufkleber mit dem Text „Kopie für Werbezwecke – Nicht für den Weiterverkauf“ angebracht. Die anderen Arten von zu Werbezwecken verteilten Aufnahmen sind mit dem Hinweis versehen, dass EMI Eigentümerin bleibt.
11 Ausweislich der Vorlageentscheidung werden rund 90 % der Werbe-CDs an namentlich bezeichnete Personen versandt, wobei die Hauptausnahme hiervon im Versand an Personen besteht, die nach ihrer Funktion bezeichnet werden, die sie an einer Universität oder anderen höheren Lehranstalt ausüben. Insgesamt gibt es knapp 7 000 potenzielle Empfänger solcher Gratiskopien von Musikaufnahmen, die EMI im Musikbereich für einflussreich hält. Anlässlich der Bewerbung einer bestimmten Aufnahme wird eine eigene Liste mit 200 bis 500 Empfängern erstellt. Sie enthält die Namen der Personen, von denen angenommen wird, dass sie den Verkauf von Aufnahmen des jeweiligen spezifischen Musiktyps am meisten fördern können. Steht eine neue Aufnahme kurz vor ihrer Freigabe für den Handel, verteilt EMI im Allgemeinen zwischen 2 500 und 3 750 Kopien, ohne dafür ein Entgelt zu verlangen. Ein einzelner „Plugger“ kann bis zu 600 Gratiskopien erhalten, die er seinerseits weiterverteilen soll. Umgekehrt können Kopien gesondert an mehrere Personen verschickt werden, die für ein und dieselbe Einrichtung, z. B. die BBC, arbeiten.
12 Von April 1987 bis Juni 2003 wies EMI für die Kopien, die wie vorstehend beschrieben verteilt wurden, Mehrwertsteuer aus. Da sie jedoch in der Folge zu der Auffassung gelangte, dass die nationalen Rechtsvorschriften mit Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie, wonach für solche Verteilungen keine Mehrwertsteuer geschuldet werde, unvereinbar seien, beantragte sie bei den Commissioners die Erstattung der für diese Verteilungen abgeführten Mehrwertsteuerbeträge. Da der Erstattungsantrag von den Commissioners abgelehnt wurde, erhob EMI Klage beim vorlegenden Gericht.
13 Da EMI außerdem ab Juli 2003 auf die Verteilung von CDs zu Werbezwecken keine Mehrwertsteuer mehr auswies, übermittelten ihr die Commissioners einen diese Umsätze betreffenden Veranlagungsbescheid für die Monate Juli 2003 bis Dezember 2004, den EMI ebenfalls beim vorlegenden Gericht anfocht; die beiden Verfahren wurden in der Folge miteinander verbunden.
14 Unter diesen Umständen hat das VAT and Duties Tribunal, London Tribunal Centre beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Wie ist Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles auszulegen?
2. Was sind insbesondere die wesentlichen Merkmale eines „Warenmusters“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie?
3. Darf ein Mitgliedstaat den Begriff „Warenmuster“ nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie dahin auslegen, dass er beschränkt ist auf
a) ein gewerbliches Warenmuster in einer im allgemeinen Verkauf gewöhnlich nicht erhältlichen Form, das an einen tatsächlichen oder potenziellen Kunden des Unternehmens abgegeben wird (bis 1993),
b) nur ein oder nur das erste einer Reihe von Warenmustern, die von derselben Person an denselben Empfänger abgegeben werden, wenn diese Warenmuster identisch sind oder sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden (ab 1993)?
4. Darf ein Mitgliedstaat den Begriff „Geschenke von geringem Wert“ nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie einschränkend dahin auslegen, dass davon
a) Warengeschenke als Teil einer Reihe oder einer Folge von Geschenken, die derselben Person von Zeit zu Zeit gemacht werden (bis Oktober 2003),
b) Werbegeschenke, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten gemacht werden, wenn die Gesamtkosten 50 GBP übersteigen (ab Oktober 2003),
ausgeschlossen sind?
5. Bei Bejahung der Frage 3 Buchst. b oder (eines Teils) der Frage 4: Wenn ein Steuerpflichtiger ähnliche oder identische Tonträger schenkweise an zwei oder mehrere verschiedene Personen übergibt wegen ihrer persönlichen Einflussmöglichkeiten auf das Ausmaß, in dem der betreffende Künstler Beachtung findet, darf dann der Mitgliedstaat diese Gegenstände allein deshalb so behandeln, als wären sie ein und derselben Person übergeben worden, weil diese Personen von derselben Person beschäftigt werden?
6. Würde es für die Beantwortung der Fragen 1 bis 5 einen Unterschied machen, wenn der Empfänger eine voll steuerpflichtige Person wäre oder von einer solchen Person beschäftigt würde, die in der Lage wäre (oder gewesen wäre), für die Lieferung der in dem Warenmuster bestehenden Gegenstände zu bezahlende Vorsteuer in Abzug zu bringen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage, soweit sie den Warenmusterbegriff betrifft, sowie zur zweiten und zur dritten Frage
15 Mit seiner ersten Frage, soweit sie den Warenmusterbegriff betrifft, sowie mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, wie der Begriff „Warenmuster“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie auszulegen ist, und insbesondere, ob dieser Begriff nur Gegenstände erfasst, die in einer im Verkauf nicht erhältlichen Form abgegeben werden, und nur das erste Exemplar einer Reihe identischer Gegenstände, die an denselben Empfänger abgegeben werden.
16 Vorab ist festzustellen, dass die Sechste Richtlinie keine Definition des Warenmusterbegriffs enthält. Bei dessen Auslegung sind daher der Wortlaut, der Zusammenhang und die Ziele von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2008, Nordania Finans und BG Factoring, C-98/07, Slg. 2008, I-1281, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).
17 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie bestimmte Umsätze, für die der Steuerpflichtige keine tatsächliche Gegenleistung erhalten hat, entgeltlich ausgeführten Lieferungen von Gegenständen gleichstellt, die nach Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegen. Nach gefestigter Rechtsprechung besteht der Zweck dieser Bestimmung darin, sicherzustellen, dass der Steuerpflichtige, der für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals einen Gegenstand entnimmt, und der Endverbraucher, der einen Gegenstand gleicher Art erwirbt, gleichbehandelt werden (vgl. u. a. Urteil vom 20. Januar 2005, Hotel Scandic Gåsabäck, C-412/03, Slg. 2005, I-743, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
18 Die Besteuerung der in Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie erwähnten Entnahmen dient nämlich, worauf die deutsche Regierung hinweist, zur Verhinderung von unversteuertem Endverbrauch.
19 Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar, da er Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu Zwecken des Unternehmens gleichwohl von der Besteuerung ausnimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 1999, Kuwait Petroleum, C-48/97, Slg. 1999, I-2323, Randnr. 23).
20 Die Begriffe in Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie sind daher eng auszulegen, damit die Ziele von Art. 5 Abs. 6 Satz 1 nicht beeinträchtigt werden, wobei darauf zu achten ist, dass der Ausnahme für Warenmuster und Geschenke von geringem Wert nicht ihre praktische Wirksamkeit genommen wird (vgl. entsprechend Urteile vom 18. November 2004, Temco Europe, C-284/03, Slg. 2004, I-11237, Randnr. 17, und vom 14. Juni 2007, Horizon College, C-434/05, Slg. 2007, I-4793, Randnr. 16).
21 In Anbetracht der Unmöglichkeit, die unbegrenzte Zahl von Gegenständen unterschiedlichster Art, die potenziell von mehrwertsteuerpflichtigen Umsätzen betroffen sind, mit einer einheitlichen und abschließenden Definition zu erfassen, sowie unter Berücksichtigung des kommerziellen Kontextes jedes Vorgangs, in dessen Rahmen solche Gegenstände von einem Steuerpflichtigen als Warenmuster übergeben werden können, ist eine Prüfung in zwei Schritten vorzunehmen. Erstens ist zu prüfen, ob die Abgabe der fraglichen Gegenstände die wesentlichen Merkmale aufweist, die jeder Art von Warenmuster gemein sind, und zweitens sind die konkreten Umstände zu untersuchen, unter denen diese Gegenstände von einem Steuerpflichtigen übergeben werden.
22 Zum ersten Aspekt ist darauf hinzuweisen, dass die Ausnahme in Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie für „Entnahmen … für Warenmuster“ die kommerzielle Realität widerspiegeln soll, dass Warenmuster abgegeben werden, um das Produkt, von dem die Warenmuster Probeexemplare sind, dadurch zu bewerben, dass es einem potenziellen oder tatsächlichen Käufer ermöglicht wird, die Qualität dieses Produkts zu bewerten und zu überprüfen, ob es die nachgefragten Eigenschaften aufweist.
23 Zudem zielt die Ausnahme für Warenmuster in Anbetracht von Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie nicht darauf ab, die Lieferung von Gegenständen, deren Zweck es ist, den Bedarf eines Verbrauchers in Bezug auf das betreffende Produkt zu befriedigen, von einer Mehrwertsteuerbelastung zu befreien.
24 Was den zweiten Aspekt anbelangt, ist erstens die Frage zu untersuchen, ob der Warenmusterbegriff auf Gegenstände beschränkt werden kann, die in einer im allgemeinen Verkauf gewöhnlich nicht erhältlichen Form abgegeben werden.
25 Wie aus Randnr. 23 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kann das Ziel der Ausnahme nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie nicht darin bestehen, Gegenstände von der Mehrwertsteuer zu befreien, die zu einem anderen Endverbrauch als dem führen, der mit solchen Werbeumsätzen naturgemäß verbunden ist.
26 Zwar können als Warenmuster übergebene Gegenstände, die mit dem vertriebsfertigen Endprodukt identisch sind, dem Endverbrauch zugeführt werden.
27 Dieser Umstand kann es jedoch nicht rechtfertigen, dass von der erwähnten Ausnahme für Warenmuster nur Probeexemplare erfasst sein sollen, die sich von dem Produkt, für das sie stehen, unterscheiden, da in vielen Fällen die Zurverfügungstellung von Probeexemplaren des Produkts in seiner endgültigen Form notwendige Voraussetzung für den Bewertungsprozess ist.
28 Es ist festzustellen, dass es für die Bewertung von als Warenmuster gelieferten Gegenständen erforderlich ist, dass diese alle wesentlichen Merkmale des von ihnen repräsentierten Produkts in seiner endgültigen Form aufweisen. Zwar können die Probeexemplare in bestimmten Fällen alle wesentlichen Merkmale des repräsentierten Produkts aufweisen, ohne dass sie dessen endgültige Form haben, doch kann es sich in anderen Fällen – in Abhängigkeit vom Wesen dieses Produkts – als notwendig erweisen, dass die Probeexemplare dem Endprodukt genau entsprechen, damit der potenzielle oder tatsächliche Käufer diese Merkmale erkennen kann.
29 Dies gilt u. a. für Erzeugnisse auf künstlerischem Gebiet, insbesondere für CDs wie die des Ausgangsverfahrens, die in ihrer endgültigen Form übergeben werden müssen, damit sie der Empfänger einer vollständigen Bewertung unterziehen kann. Wird nämlich eine CD an eine Person übergeben, die im Rahmen ihrer Tätigkeit dafür sorgt, dass sie bei der Öffentlichkeit Beachtung findet, kann diese Person ihren Wert nur dann umfassend beurteilen, wenn sie die Möglichkeit hat, den gesamten Inhalt der CD so zu hören, wie er auf dem Markt vertrieben werden wird.
30 Was zweitens die Frage anbelangt, ob der Warenmusterbegriff impliziert, dass der unmittelbare Empfänger der Warenmuster ein potenzieller oder tatsächlicher Käufer des von ihnen repräsentierten Produkts ist, ist festzustellen, dass es mit dem Zweck von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie nicht unvereinbar ist, wenn Waren als „Warenmuster“ an eine andere Person als einen solchen Käufer abgegeben werden können, vorausgesetzt, dass eine solche Abgabe den mit der Abgabe von Warenmustern verfolgten Zielen entspricht, wie sie in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils dargelegt wurden.
31 Insbesondere auf dem Gebiet künstlerischer Erzeugnisse beruht die Abgabe von Gratisexemplaren neuer Werke an eine Mittelsperson, die die Aufgabe hat, die Qualität dieser Werke einer kritischen Beurteilung zu unterziehen, und die daher den Grad der Marktpräsenz des Produkts beeinflussen kann – wie Journalisten oder Radiomoderatoren –, auf einem Werbemechanismus, bei dem die Benutzung des Warenmusters eine mit dem Bewerbungs- und Bewertungsprozess naturgemäß verbundene Folge ist.
32 Was drittens die spezifische Praxis auf dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebiet betrifft, Musikaufnahmen durch die Abgabe sehr vieler Exemplare einer CD an einen „Plugger“ zu bewerben, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Warenmusterbegriff dahin auszulegen ist, dass, wenn ein Steuerpflichtiger eine bestimmte Zahl von Gegenständen ein und demselben Empfänger übergibt und sich keiner dieser Gegenstände von den übrigen in einem wesentlichen Punkt unterscheidet, jeder einzelne dieser Gegenstände als für Warenmuster entnommen anzusehen ist, oder ob nur das erste übergebene Exemplar in dieser Weise zu qualifizieren ist.
33 Auch wenn für die Bewertung eines Gegenstands die Abgabe von nur einem Probeexemplar ausreichen könnte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Abgabe mehrerer Probeexemplare als Warenmuster grundsätzlich vom Anwendungsbereich der Ausnahme für Warenmuster nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie ausgeschlossen ist, da die Zahl der Warenmuster, die ein Steuerpflichtiger ein und demselben Empfänger – d. h. im vorliegenden Fall einer Mittelsperson – übergeben kann, von der Art des repräsentierten Produkts sowie davon abhängt, welchen Gebrauch der Empfänger davon machen soll.
34 In bestimmten Fällen kann nämlich die Abgabe mehrerer oder sogar einer erheblichen Zahl von Probeexemplaren ein und desselben Produkts an einen bestimmten Empfänger erforderlich sein, um den mit der Abgabe von Warenmustern verfolgten Zielen gerecht zu werden.
35 So kann es im Fall von Musikaufnahmen für die Zwecke der kritischen Besprechung und der Bewerbung einer CD erforderlich sein, zahlreiche Exemplare dieser CD an Mittelspersonen abzugeben, damit diese sie anschließend an Personen weitergeben können, die nach ihrer Fähigkeit, den Absatz einer Musikaufnahme zu fördern, bestimmt werden.
36 Die bloße Tatsache, dass die Zahl der in einem solchen Zusammenhang abgegebenen Exemplare mehrere hundert Stück betragen kann, wenn eine mit der Herstellung und dem Verkauf von Tonträgern befasste Gesellschaft wie EMI für die Verteilung von Exemplaren ihrer neuen Aufnahmen „Plugger“ einsetzt, ist für sich allein nicht unvereinbar mit dem Ziel, das mit der Ausnahme für Warenmuster verfolgt wird, vorausgesetzt, dass diese Zahl von Exemplaren in Relation zur Art des repräsentierten Produkts und zu dem Gebrauch steht, den der „Plugger“ als Mittelsperson von ihm machen soll, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
37 Ebenso wenig kann die Möglichkeit, dass ein „Plugger“ die ihm zur Verfügung gestellten Gratiskopien nicht ihrer vereinbarten Bestimmung zuführt, sondern sie missbräuchlich verwendet, indem er sie z. B. in die gewöhnlichen Absatzkanäle einführt, für sich allein keine Auswirkung auf die rechtliche Einstufung dieser Gratiskopien als „Warenmuster“ haben.
38 Um umfassend zu gewährleisten, dass die Grenzen der Ausnahme nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie beachtet werden, können die Mitgliedstaaten jedoch Steuerpflichtigen, die Warenmuster für Zwecke ihres Unternehmens verteilen, das Ergreifen von Vorsichtsmaßnahmen vorschreiben, um der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung dieser Warenmuster vorzubeugen. Solche Vorsichtsmaßnahmen könnten z. B. in einer Verpflichtung zur Etikettierung, die die Warenmustereigenschaft des Gegenstands erkennen lässt, oder in Vertragsklauseln über die zivilrechtliche Haftung der Mittelspersonen bestehen, die – wie die „Pluggers“ – die Warenmuster im Hinblick auf ihre Weitergabe an andere Personen erhalten.
39 Führt die Abgabe von Warenmustern dennoch zu einem Endverbrauch, der mit der Bewertung des durch diese Warenmuster repräsentierten Produkts nicht naturgemäß verbunden ist, stellt ein solcher Verbrauch einen Missbrauch dar.
40 Nach alledem ist auf die erste Frage, soweit sie den Warenmusterbegriff betrifft, und auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass ein „Warenmuster“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie ein Probeexemplar eines Produkts ist, durch das dessen Absatz gefördert werden soll und das eine Bewertung der Merkmale und der Qualität dieses Produkts ermöglicht, ohne zu einem anderen als dem mit solchen Werbeumsätzen naturgemäß verbundenen Endverbrauch zu führen. Dieser Begriff kann nicht durch eine nationale Regelung allgemein auf Probeexemplare beschränkt werden, die in einer nicht im Verkauf erhältlichen Form abgegeben werden, oder auf das erste Exemplar einer Reihe identischer Probeexemplare, die von einem Steuerpflichtigen an denselben Empfänger übergeben werden, ohne dass diese Regelung es erlaubt, die Art des repräsentierten Produkts und den kommerziellen Kontext jedes einzelnen Vorgangs, in dessen Rahmen diese Probeexemplare übergeben werden, zu berücksichtigen.
Zur ersten Frage, soweit sie den Begriff der Geschenke von geringem Wert betrifft, sowie zur vierten Frage
41 Mit seiner ersten Frage, soweit sie den Begriff „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie betrifft, und seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die für die Zahl oder den Wert der Geschenke, die ein und derselben Person von Zeit zu Zeit oder in einem vorbestimmten Zeitraum gemacht werden dürfen, quantitative Beschränkungen vorschreibt.
42 Ohne dass zu prüfen wäre, ob der Ausdruck „geringer Wert“ einen Begriff des Unionsrechts darstellt oder stillschweigend auf das nationale Recht verweist, wobei die letztgenannte Auslegung von den Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, und von der Europäischen Kommission vertreten wird, ist dazu festzustellen, dass Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie unter Berücksichtigung seines Wortlauts, seines Zusammenhangs und seiner Ziele nicht die Angaben enthält, die für eine einheitliche und präzise Definition dieses Ausdrucks erforderlich sind. Die Mitgliedstaaten verfügen daher hinsichtlich der Auslegung des Ausdrucks über einen gewissen Ermessensspielraum, vorausgesetzt, sie verkennen nicht den Sinn und Zweck der fraglichen Vorschrift und ihre Stellung im Gefüge der Sechsten Richtlinie (vgl. entsprechend Urteil vom 14. September 2006, Wollny, C-72/05, Slg. 2006, I-8297, Randnr. 28).
43 Infolgedessen ist zu prüfen, ob quantitative Beschränkungen wie die nach der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung diese Voraussetzungen erfüllen.
44 Wie alle Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission geltend machen, wird dadurch, dass in einer nationalen Regelung eine monetäre Obergrenze in einer Größenordnung, wie sie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften vorgesehen ist, d. h. in einer Größenordnung von 50 GBP, festgelegt wird, der den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessensspielraum nicht überschritten. Das Gleiche gilt für eine Vorschrift, wonach eine solche Obergrenze kumulativ für Geschenke gilt, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten oder auch als Teil einer Reihe oder Folge von Geschenken gemacht werden. Solche Obergrenzen sind nämlich mit den Zielen von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie vereinbar, ohne dass sie der Ausnahme, die darin für Geschenke von geringem Wert vorgesehen ist, ihre praktische Wirksamkeit nehmen.
45 Nach alledem ist auf die erste Frage, soweit sie den Begriff „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie betrifft, und auf die vierte Frage zu antworten, dass dieser Begriff dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der für Geschenke, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten oder auch als Teil einer Reihe oder Folge von Geschenken gemacht werden, eine monetäre Obergrenze in einer Größenordnung, wie sie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften vorgesehen ist, d. h. in einer Größenordnung von 50 GBP, festgelegt wird.
Zur fünften Frage
46 Mit seiner fünften Frage, die ihrem Wortlaut nach nur den Begriff „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie betrifft, möchte das Gericht wissen, ob nach einer nationalen Regelung Geschenke, die von einem Steuerpflichtigen an verschiedene Personen, die denselben Arbeitgeber haben, übergeben werden, im Hinblick auf die Anwendung bestimmter Obergrenzen als Geschenke an ein und dieselbe Person gelten dürfen.
47 Auch wenn die Mitgliedstaaten, wie in Randnr. 42 des vorliegenden Urteils festgestellt, hinsichtlich der Auslegung des Ausdrucks „geringer Wert“ über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen, ist insoweit festzustellen, dass eine nationale Regelung, wonach Geschenke, die von einem Steuerpflichtigen an verschiedene Personen, die denselben Arbeitgeber haben, übergeben werden, als Geschenke an ein und dieselbe Person, nämlich den gemeinsamen Arbeitgeber, gelten, nicht mit den Zielen von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie vereinbar ist.
48 Eine solche nationale Regelung würde nämlich – erst recht, wenn sie eine kumulative monetäre Obergrenze für alle Geschenke vorsieht, die derselben Person innerhalb eines bestimmten Zeitraums gemacht werden – der Bestimmung, wonach Geschenke von geringem Wert zu Zwecken des Unternehmens von der Mehrwertsteuer befreit sind, ihre praktische Wirksamkeit nehmen.
49 Die Einstufung der Übergabe eines Gegenstands als „Geschenk von geringem Wert“ hängt davon ab, wer nach der Vorstellung des Schenkers der letztlich Beschenkte sein sollte, ohne dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Beschenkten und seinem Arbeitgeber oder der Umstand, dass mehrere Beschenkte einen gemeinsamen Arbeitgeber haben, Auswirkungen auf diese Einstufung hätten.
50 Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach vermutet wird, dass Gegenstände, die „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen und von einem Steuerpflichtigen an verschiedene Personen übergeben werden, die einen gemeinsamen Arbeitgeber haben, als Geschenke an ein und dieselbe Person gelten.
Zur sechsten Frage
51 Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Umstand, dass der Empfänger von „Warenmustern“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie eine voll steuerpflichtige Person ist, die in der Lage wäre, für die Lieferung der in dem Warenmuster bestehenden Gegenständen zu zahlende Vorsteuer in Abzug zu bringen, Auswirkungen auf die Antworten auf die ersten fünf Fragen hat.
52 Insoweit ist festzustellen, dass sich aus dieser Bestimmung ergibt, dass nicht nach dem steuerlichen Status des Empfängers von Warenmuster differenziert wird.
53 Daher ist auf die sechste Frage zu antworten, dass der steuerliche Status des Empfängers von Warenmustern keine Auswirkungen auf die Antworten auf die übrigen Fragen hat.
Kosten
54 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
1. Ein „Warenmuster“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist ein Probeexemplar eines Produkts, durch das dessen Absatz gefördert werden soll und das eine Bewertung der Merkmale und der Qualität dieses Produkts ermöglicht, ohne zu einem anderen als dem mit solchen Werbeumsätzen naturgemäß verbundenen Endverbrauch zu führen. Dieser Begriff kann nicht durch eine nationale Regelung allgemein auf Probeexemplare beschränkt werden, die in einer nicht im Verkauf erhältlichen Form abgegeben werden, oder auf das erste Exemplar einer Reihe identischer Probeexemplare, die von einem Steuerpflichtigen an denselben Empfänger übergeben werden, ohne dass diese Regelung es erlaubt, die Art des repräsentierten Produkts und den kommerziellen Kontext jedes einzelnen Vorgangs, in dessen Rahmen diese Probeexemplare übergeben werden, zu berücksichtigen.
2. Der Begriff „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der für Geschenke, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten oder auch als Teil einer Reihe oder Folge von Geschenken gemacht werden, eine monetäre Obergrenze in einer Größenordnung, wie sie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften vorgesehen ist, d. h. in einer Größenordnung von 50 GBP, festgelegt wird.
3. Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach vermutet wird, dass Gegenstände, die „Geschenke von geringem Wert“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen und von einem Steuerpflichtigen an verschiedene Personen übergeben werden, die einen gemeinsamen Arbeitgeber haben, als Geschenke an ein und dieselbe Person gelten.
4. Der steuerliche Status des Empfängers von Warenmustern hat keine Auswirkungen auf die Antworten auf die übrigen Fragen.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Englisch.