Rechtssache C-539/09
Europäische Kommission
gegen
Bundesrepublik Deutschland
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Vom Rechnungshof geäußerte Absicht, in einem Mitgliedstaat Prüfungen vorzunehmen – Weigerung dieses Mitgliedstaats – Befugnisse des Rechnungshofs – Art. 248 EG – Prüfung der Zusammenarbeit der nationalen Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer – Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 – Einnahmen der Gemeinschaft – Eigenmittel, die aus der Mehrwertsteuer stammen“
Leitsätze des Urteils
Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Gemeinsames System des Informationsaustauschs – Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer – Prüfungsbefugnis des Rechnungshofs – Umfang
(Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG; Verordnung Nr. 1798/2003 des Rates)
Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG, wenn er sich weigert, dem Rechnungshof der Europäischen Union zu gestatten, in seinem Hoheitsgebiet Prüfungen hinsichtlich der in der Verordnung Nr. 1798/2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und den einschlägigen Durchführungsvorschriften geregelten Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden durchzuführen.
Art. 248 EG, der festlegt, wie der Rechnungshof seine Aufgabe der Rechnungsprüfung zu erfüllen hat, sieht vor, dass der Rechnungshof die Rechnung über alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft sowie die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit dieser Einnahmen und Ausgaben prüft und sich von der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung überzeugt. Nach Art. 248 Abs. 3 EG ist der Rechnungshof befugt, Prüfungen anhand der Rechnungsunterlagen und erforderlichenfalls an Ort und Stelle vorzunehmen, insbesondere in den Mitgliedstaaten.
Das in Umsetzung des Vertrags geschaffene System der Eigenmittel zielt hinsichtlich der Mehrwertsteuermittel darauf ab, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, einen Teil der als Mehrwertsteuer erhobenen Beträge der Gemeinschaft als Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Da die von den Mitgliedstaaten nach der Verordnung Nr. 1798/2003 anzuwendenden Mechanismen für die Zusammenarbeit dazu dienen, in allen Mitgliedstaaten Betrug und Hinterziehung im Bereich der Mehrwertsteuer zu bekämpfen, sind sie ihrerseits geeignet, die tatsächliche Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen und damit die Zurverfügungstellung der Mehrwertsteuermittel für den Gemeinschaftshaushalt unmittelbar und nachhaltig zu beeinflussen. Somit ist die tatsächliche Anwendung der mit der Verordnung Nr. 1798/2003 geschaffenen Regeln für die Zusammenarbeit durch einen Mitgliedstaat geeignet, nicht nur die Befähigung des fraglichen Mitgliedstaats zur wirksamen Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet zu beeinflussen, sondern auch die Befähigung der übrigen Mitgliedstaaten, derartige Fälle in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu bekämpfen, vor allem dann, wenn die ordnungsgemäße Anwendung der Mehrwertsteuer in den übrigen Mitgliedstaaten von Informationen abhängt, über die der genannte Staat verfügt.
Die Prüfung durch den Rechnungshof hinsichtlich der in der Verordnung Nr. 1798/2003 geregelten Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden bezieht sich daher auf die Einnahmen der Gemeinschaft unter dem Gesichtspunkt ihrer Rechtmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und steht mithin in unmittelbarem Zusammenhang mit den dem Rechnungshof durch Art. 248 EG übertragenen Befugnissen.
(vgl. Randnrn. 59-61, 71, 77, 79, 81, Tenor 1)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
15. November 2011(*)
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Vom Rechnungshof geäußerte Absicht, in einem Mitgliedstaat Prüfungen vorzunehmen – Weigerung dieses Mitgliedstaats – Befugnisse des Rechnungshofs – Art. 248 EG – Prüfung der Zusammenarbeit der nationalen Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer – Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 – Einnahmen der Gemeinschaft – Eigenmittel, die aus der Mehrwertsteuer stammen“
In der Rechtssache C-539/09
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 21. Dezember 2009,
Europäische Kommission, vertreten durch A. Caeiros und B. Conte als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
unterstützt durch
Europäisches Parlament, vertreten durch R. Passos und E. Waldherr als Bevollmächtigte,
Rechnungshof der Europäischen Union, zunächst vertreten durch R. Crowe, dann durch T. Kennedy und B. Schäfer als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch C. Blaschke und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot, J. Malenovský und M. Safjan, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), G. Arestis, A. Borg Barthet und M. Ilešič, der Richterin C. Toader und des Richters J.-J. Kasel,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2011,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Mai 2011
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG, den Art. 140 Abs. 2 und 142 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 248, S. 1) und Art. 10 EG verstoßen hat, dass sie sich geweigert hat, dem Rechnungshof der Europäischen Union zu gestatten, in Deutschland Prüfungen hinsichtlich der in der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. L 264, S. 1) und den einschlägigen Durchführungsvorschriften geregelten Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden durchzuführen.
Rechtlicher Rahmen
2 Die Verordnung Nr. 1605/2002 wurde auf der Grundlage der Art. 279 EG und 183 EA erlassen. Art. 140 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Die Prüfung der Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben durch den Rechnungshof erfolgt im Hinblick auf die Verträge, den Haushaltsplan, diese Haushaltsordnung, die Durchführungsbestimmungen und alle in Umsetzung der Verträge erlassenen Rechtsakte.
(2) Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben kann der Rechnungshof nach Maßgabe des Artikels 142 von allen Dokumenten und Informationen betreffend die Rechnungsführung der Dienststellen und sonstigen Einrichtungen hinsichtlich der von den Gemeinschaften finanzierten oder kofinanzierten Operationen Kenntnis nehmen. Er ist befugt, alle für die Abwicklung von Ausgaben- oder Einnahmenvorgängen verantwortlichen Bediensteten zu hören und von allen Prüfungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die den genannten Stellen oder Einrichtungen eingeräumt werden. Die Prüfung in den Mitgliedstaaten erfolgt im Benehmen mit den einzelstaatlichen Rechnungsprüfungsorganen oder, wenn diese nicht über die erforderliche Kompetenz verfügen, mit den zuständigen einzelstaatlichen Stellen. Der Rechnungshof und die einzelstaatlichen Rechnungsprüfungsorgane arbeiten unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit vertrauensvoll zusammen.
…“
3 Art. 142 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1605/2002 lautet:
„Die Kommission, die anderen Organe, die mit der Bewirtschaftung von Gemeinschaftseinnahmen und -ausgaben betrauten Einrichtungen sowie die Endempfänger von Zahlungen zulasten des Haushalts gewähren dem Rechnungshof jegliche Unterstützung und erteilen ihm alle Auskünfte, die er zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt. Sie halten insbesondere alle Unterlagen über die Vergabe und Ausführung von Aufträgen, die aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert werden, alle Bücher über Kassen- und Sachbestände, Buchungsunterlagen und Belege sowie damit zusammenhängende Verwaltungsdokumente, Unterlagen über die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften, Bestandsverzeichnisse und Organisationspläne zur Verfügung des Rechnungshofs, die dieser zur Prüfung des Berichts über den Haushaltsvollzug und das Finanzmanagement anhand der Rechnungsunterlagen oder an Ort und Stelle für erforderlich erachtet; Gleiches gilt auch für alle Unterlagen und Informationen, die auf magnetischen Datenträgern erstellt oder gespeichert werden.
Die verschiedenen internen Kontrolldienste und -instanzen der betreffenden einzelstaatlichen Verwaltungen stellen dem Rechnungshof alle Einrichtungen zur Verfügung, deren dieser nach seinem Dafürhalten zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf.
Unterabsatz 1 findet auch Anwendung auf die Empfänger von Zahlungen aus dem Gemeinschaftshaushalt, unabhängig davon, ob es sich dabei um natürliche oder juristische Personen handelt.“
4 Der auf der Grundlage der Art. 269 EG und 173 EA ergangene Beschluss 2000/597/EG, Euratom des Rates vom 29. September 2000 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 42) bestimmt in seinem Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und d:
„Folgende Einnahmen stellen in den Haushaltsplan der Europäischen Union einzusetzende Eigenmittel dar:
…
c) Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Satzes auf die nach Gemeinschaftsvorschriften bestimmte einheitliche MWSt-Eigenmittelbemessungsgrundlage eines jeden Mitgliedstaats ergeben. Die für diese Zwecke heranzuziehende Bemessungsgrundlage darf 50 % des nach Absatz 7 definierten [Bruttosozialprodukts, im Folgenden: BSP] eines jeden Mitgliedstaats nicht überschreiten;
d) Einnahmen, die sich ergeben aus der Anwendung eines im Rahmen des Haushaltsverfahrens unter Berücksichtigung aller übrigen Einnahmen festzulegenden Satzes auf den Gesamtbetrag des BSP aller Mitgliedstaaten.“
5 Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses 2000/597 sieht vor:
„Unbeschadet der in Artikel 248 des EG-Vertrags und in Artikel 160c des Euratom-Vertrags vorgesehenen Rechnungsprüfung und der Prüfungen der Übereinstimmung und der Ordnungsmäßigkeit – diese Rechnungsprüfung und diese Prüfungen erstrecken sich im Wesentlichen auf die Zuverlässigkeit und Effizienz der einzelstaatlichen Systeme und Verfahren zur Ermittlung der Grundlage für die MWSt- und BSP-Eigenmittel – und unbeschadet der Kontrollmaßnahmen gemäß Artikel 279 Buchstabe c) des EG-Vertrags sowie Artikel 183 Buchstabe c) des Euratom-Vertrags erlässt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig die zur Durchführung dieses Beschlusses erforderlichen Vorschriften sowie die Vorschriften über die Kontrolle der Erhebung der Einnahmen gemäß den Artikeln 2 und 5 und Vorschriften darüber, wie diese Einnahmen der Kommission zur Verfügung zu stellen und wann sie abzuführen sind.“
6 Der Beschluss 2000/597 wurde durch den Beschluss 2007/436/EG, Euratom des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 163, S. 17) ersetzt, der mit Wirkung vom 1. Januar 2007 wirksam wurde. Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und c des letztgenannten Beschlusses gehören zu den in den Gesamthaushaltsplan der Union einzusetzenden Eigenmitteln weiterhin u. a. die Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Satzes auf die nach Gemeinschaftsvorschriften bestimmte einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage eines jeden Mitgliedstaats ergeben, und die Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines im Rahmen des Haushaltsverfahrens unter Berücksichtigung aller übrigen Einnahmen festzulegenden einheitlichen Satzes auf den Gesamtbetrag der Bruttonationaleinkommen (im Folgenden: BNE) aller Mitgliedstaaten ergeben.
7 Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 des Rates vom 29. Mai 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel (ABl. L 155, S. 9) sieht vor:
Die Grundlage für die MWSt.-Eigenmittel wird anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der [Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie)] festgelegt ...
8 Art. 3 der Verordnung Nr. 1553/89 lautet:
„Unbeschadet der Artikel 5 und 6 wird die Grundlage der MWSt.-Eigenmittel für ein bestimmtes Kalenderjahr berechnet, indem die gesamten von dem Mitgliedstaat in diesem Jahr getätigten MWSt.-Nettoeinnahmen durch den Satz geteilt werden, zu dem die MWSt. in dem betreffenden Jahr erhoben wird.
Werden in einem Mitgliedstaat mehrere Mehrwertsteuersätze angewandt, so wird die Grundlage der MWSt.-Eigenmittel berechnet, indem die gesamten getätigten Nettoeinnahmen durch den gewogenen mittleren Mehrwertsteuersatz geteilt werden. …“
9 Die ersten beiden Erwägungsgründe der Verordnung Nr. 1798/2003 lauten:
„(1) Steuerhinterziehung und Steuerumgehung über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg führen zu Einnahmeverlusten, verletzen das Prinzip der Steuergerechtigkeit und können Verzerrungen des Kapitalverkehrs und des Wettbewerbs verursachen. Sie beeinträchtigen folglich das Funktionieren des Binnenmarkts.
(2) Die Bekämpfung der Mehrwertsteuer-Hinterziehung erfordert eine enge Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden, die in den einzelnen Mitgliedstaaten mit der Durchführung der einschlägigen Vorschriften betraut sind.“
10 Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1798/2003 sieht vor:
„Diese Verordnung regelt die Modalitäten, nach denen die in den Mitgliedstaaten mit der Anwendung der Vorschriften auf dem Gebiet der MWSt. auf Warenlieferungen und Dienstleistungen, den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen und die Einfuhr von Waren beauftragten Verwaltungsbehörden untereinander und mit der Kommission zusammenarbeiten, um die Einhaltung der genannten Vorschriften zu gewährleisten.
Zu diesem Zweck werden in dieser Verordnung Regeln und Verfahren festgelegt, nach denen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten untereinander zusammenarbeiten und einander Auskünfte erteilen, die für die korrekte Festsetzung der MWSt. geeignet sind.
Außerdem werden in dieser Verordnung Regeln und Verfahren für den Austausch bestimmter Informationen, vor allem MWSt.-relevanter Informationen über innergemeinschaftliche Umsätze, auf elektronischem Wege festgelegt.
…“
11 Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1798/2003 bestimmt:
„Jeder Mitgliedstaat benennt ein einziges zentrales Verbindungsbüro, das in seinem Auftrag für die Verbindung zu den anderen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden hauptverantwortlich zuständig ist. …“
12 In Kapitel II („Informationsaustausch auf Ersuchen“) der Verordnung Nr. 1798/2003 sieht ihr Art. 5 vor:
„(1) Auf Antrag der ersuchenden Behörde erteilt die ersuchte Behörde die in Artikel 1 genannten Auskünfte, einschließlich solcher, die konkrete Einzelfälle betreffen.
(2) Für die Zwecke der Auskunftserteilung gemäß Absatz 1 führt die ersuchte Behörde die zur Beschaffung dieser Auskünfte notwendigen behördlichen Ermittlungen durch.
(3) Das Ersuchen nach Absatz 1 kann einen begründeten Antrag auf spezielle behördliche Ermittlungen enthalten. …
…“
13 Kapitel IV („Informationsaustausch ohne vorheriges Ersuchen“) der Verordnung Nr. 1798/2003 sieht den automatischen Austausch bestimmter Informationen vor.
14 Nach den Bestimmungen von Kapitel V der Verordnung muss jeder Mitgliedstaat eine elektronische Datenbank schaffen, in der verschiedene Informationen über innergemeinschaftliche Transaktionen gespeichert und bearbeitet werden müssen, sowie eine elektronische Datenbank, in der ein Verzeichnis der Personen gespeichert wird, die von diesem Mitgliedstaat eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erhalten haben. In diesen Bestimmungen sind auch die Bedingungen festgelegt, unter denen die zuständige Behörde jedes Mitgliedstaats Zugang zu den genannten Informationen erlangen kann.
15 Die Verordnung (EG) Nr. 1925/2004 der Kommission vom 29. Oktober 2004 zur Regelung der Durchführung bestimmter Vorschriften der Verordnung Nr. 1798/2003 (ABl. L 331, S. 13) dient u. a. zur Festlegung der Kategorien von Informationen, bei denen der Austausch der Auskünfte ohne vorheriges Ersuchen erfolgt, sowie der Häufigkeit dieses Austauschs und der Modalitäten für die elektronische Übermittlung von Auskünften gemäß der Verordnung Nr. 1798/2003.
Sachverhalt und vorgerichtliches Verfahren
16 Mit Schreiben vom 26. Juni 2006 teilte der Rechnungshof dem deutschen Bundesrechnungshof mit, dass er beabsichtige, vom 10. bis zum 13. Oktober 2006 in Deutschland gemäß Art. 248 EG Prüfungen in Bezug auf die von der Mehrwertsteuer herrührenden Eigenmittel (im Folgenden: Mehrwertsteuermittel) und hinsichtlich der in der Verordnung Nr. 1798/2003 geregelten Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer durchzuführen. Das angekündigte Ziel bestand darin, zum einen zu überprüfen, ob die Bundesrepublik Deutschland die notwendigen administrativen und organisatorischen Strukturen für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden geschaffen hatte, und zum anderen zu ermitteln, wie sich diese Zusammenarbeit im Fall von Auskunftsersuchen nach Art. 5 der Verordnung gestaltete.
17 Die Prüfung sollte in erster Linie beim zentralen Verbindungsbüro durchgeführt werden und gegebenenfalls bei den anderen an der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden beteiligten nationalen Dienststellen. In demselben Schreiben bat der Rechnungshof den deutschen Bundesrechnungshof um Mitteilung gemäß Art. 248 Abs. 3 EG, ob er an der Prüfung teilzunehmen beabsichtige.
18 Mit Schreiben vom 7. September 2006 übermittelte der Rechnungshof dem deutschen Bundesrechnungshof ein Dokument, das nähere Einzelheiten zu dem Programm des vorgesehenen Kontrollbesuchs enthielt, und ersuchte um vorherige Übermittlung bestimmter Informationen. Der deutsche Bundesrechnungshof wurde gebeten, dieses Programm und das Ersuchen um vorherige Informationen an das zentrale Verbindungsbüro weiterzuleiten.
19 Nach dem genannten Programm sollte sich der Kontrollbesuch auf die Organisation, Ausstattung und Arbeitsweise des zentralen Verbindungsbüros, die Übersendung oder den Erhalt von Auskunftsersuchen und deren Bearbeitung, den Informationsaustausch ohne vorheriges Ersuchen sowie die Erfassung und den Austausch von Informationen über innergemeinschaftliche Umsätze mittels der elektronischen Datenbank für das Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem (MIAS), auf das sich Kapitel V der Verordnung Nr. 1798/2003 bezieht, erstrecken. Das Programm sah ferner die Prüfung der rechtlichen Hindernisse für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und der zu ihrer Überwindung getroffenen rechtlichen Maßnahmen sowie aller weiteren Maßnahmen zur Verbesserung dieser Zusammenarbeit und zur Vermeidung von Missbrauch vor, wie die Abstimmung mit den Betrugsbekämpfungsbehörden, bilaterale Vereinbarungen über den Informationsaustausch, die Löschung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern, die Anwesenheit von Bevollmächtigten der ersuchenden Behörde bei den von der ersuchten Behörde vorgenommenen Prüfungen und die in den Art. 11 und 12 der Verordnung Nr. 1798/2003 vorgesehenen gleichzeitigen Prüfungen in verschiedenen Mitgliedstaaten oder auch den Rückgriff auf die Möglichkeiten, die das Fiscalis-Programm bietet (vgl. die Entscheidung Nr. 2235/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2002 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Verbesserung der Funktionsweise der Steuersysteme im Binnenmarkt [Fiscalis-Programm 2003-2007] [ABl. L 341, S. 1]).
20 Mit Schreiben vom 18. September 2006 teilte der deutsche Bundesrechnungshof mit, dass er an der Prüfung teilnehmen wolle.
21 Da das zentrale Verbindungsbüro die Dokumente, um die im Hinblick auf die Prüfung ersucht worden war, dem Rechnungshof nicht übermittelte und den vorgesehenen Termin nicht bestätigte, teilte der Rechnungshof dem deutschen Bundesrechnungshof mit Schreiben vom 5. Oktober 2006 mit, dass die Prüfungen auf die Zeit vom 14. bis 17. November 2006 verschoben worden seien.
22 Nachdem das zentrale Verbindungsbüro auch diese neuen Termine nicht bestätigte, schlug der Rechnungshof in einem an das Bundesministerium der Finanzen gerichteten Schreiben vom 9. November 2006 vor, die beabsichtigten Prüfungen vom 4. bis 7. Dezember 2006 durchzuführen. In diesem Schreiben wies der Rechnungshof darauf hin, dass solche Prüfungen bereits in sieben anderen Mitgliedstaaten stattgefunden hätten, und betonte, dass es nicht darum gehe, die steuerbaren Umsätze und die ordnungsgemäße Festsetzung der Mehrwertsteuer zu überprüfen, sondern darum, sich zu vergewissern, dass die im Rahmen des MIAS versandten und/oder eingegangenen Auskunftsersuchen effizient und einwandfrei bearbeitet würden.
23 Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 lehnte das Bundesministerium der Finanzen die Durchführung der Prüfung in Deutschland mit der Begründung ab, dass es dafür keine angemessene Rechtsgrundlage gebe.
24 Da die Kommission, die vom Rechnungshof von dieser Weigerung unterrichtet wurde, der Ansicht war, dass der Rechnungshof zur Durchführung der beabsichtigten Prüfung berechtigt sei und die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Weigerung, die Prüfung in ihrem Hoheitsgebiet durchführen zu lassen, ihre Pflichten verletzt habe, richtete sie am 23. September 2008 ein Aufforderungsschreiben an diesen Mitgliedstaat, in dem sie ihn nach Art. 226 EG zur Stellungnahme aufforderte. Die Bundesrepublik Deutschland antwortete darauf mit Schreiben vom 23. Dezember 2008.
25 Am 23. März 2009 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, mit der sie die Bundesrepublik Deutschland aufforderte, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich seien, um ihren Pflichten binnen zwei Monaten nach Erhalt dieser Stellungnahme nachzukommen.
26 Da die Antwort, die dieser Mitgliedstaat am 22. Mai 2009 an sie richtete, die Kommission nicht zufriedenstellte, hat sie beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.
Zur Klage
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Vorbringen in Bezug auf die Zuständigkeit des Rechnungshofs für die Prüfung der Einnahmen
27 Nach Ansicht der Kommission geht aus Art. 248 EG hervor, dass der Rechnungshof als unabhängiger externer Prüfer die Aufgabe habe, zu prüfen, ob die mit der Erhebung und Verwendung von Mitteln der Gemeinschaft zusammenhängenden Finanzoperationen richtig erfasst und ausgewiesen, rechtmäßig und ordnungsgemäß ausgeführt und im Sinne eines sparsamen, wirtschaftlichen und wirksamen Mitteleinsatzes verwaltet worden seien, und Empfehlungen abzugeben, um die Haushaltsführung der Gemeinschaft zu verbessern.
28 Angesichts des grundlegenden Charakters dieser Aufgabe und zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der genannten Vorschrift müssten die Prüfungskompetenzen des Rechnungshofs weit ausgelegt werden und sich auf alle Bereiche und Akteure erstrecken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Einnahmen oder Ausgaben der Gemeinschaft stünden.
29 Zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen und den der Gemeinschaft zustehenden Mehrwertsteuermitteln bestehe ein solcher Zusammenhang. Die im Einklang mit den Bestimmungen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie erzielten Einnahmen aus dieser Steuer lieferten nämlich eine Ausgangsgröße für die Ermittlung des Betrags der genannten Mittel.
30 Auch wenn die Verordnung Nr. 1798/2003 nicht unmittelbar die Erhebung von Einnahmen der Gemeinschaft regele, betreffe sie doch die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Mehrwertsteuermittel, da die von ihr eingeführte Zusammenarbeit darauf abziele, die korrekte Festsetzung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten und es der Gemeinschaft dadurch zu ermöglichen, tatsächlich über die genannten Mittel zu verfügen.
31 Im Übrigen ergebe sich aus Art. 248 Abs. 3 Unterabs. 1 EG, aus den Art. 140 Abs. 2 Unterabs. 1 Sätze 3 und 4 sowie 142 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1605/2002 und allgemeiner aus der in Art. 10 EG verankerten Loyalitätspflicht, dass im Fall von Prüfungen in den Mitgliedstaaten diese dem Rechnungshof bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe umfassende Unterstützung anbieten müssten. Die Bundesrepublik Deutschland habe ihre dahin gehenden Pflichten verletzt, indem sie sich der streitigen Prüfung durch den Rechnungshof in Deutschland widersetzt habe.
32 Das Parlament trägt vor, die in Art. 247 Abs. 2 und 4 EG verankerte Unabhängigkeit des Rechnungshofs und die ihm durch Art. 248 Abs. 4 EG eingeräumte allgemeine Befugnis, Bemerkungen und Sonderberichte aus eigener Initiative vorzulegen, implizierten, dass er seine Prüfobjekte im Rahmen der Kontrolle der Finanzen der Gemeinschaft frei bestimmen könne, ohne dass ein Sekundärrechtsakt diese Freiheit einschränken könne.
33 Eine restriktive Auslegung der Befugnisse des Rechnungshofs sei umso weniger gerechtfertigt, als dessen Tätigkeit sowohl der Haushaltsbehörde als auch dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine wertvolle Hilfe biete, wie hinsichtlich der streitigen Prüfung der Inhalt des daraus hervorgegangenen Sonderberichts Nr. 8/2007 des Rechnungshofs (ABl. 2008, C 20, S. 1) belege. Da der Rechnungshof nur über Prüfungs- und Stellungnahmebefugnisse verfüge, stelle sich die Frage der Rechtsgrundlage für seine Tätigkeiten im Übrigen nicht in gleicher Weise wie für das normative Handeln der Gemeinschaft.
34 Betrug und Hinterziehung im Bereich der Mehrwertsteuer und die dadurch verursachten Verzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten gefährdeten das Gesamtgleichgewicht des Eigenmittelsystems, da jeder Ausfall bei den Mehrwertsteuermitteln durch eine Erhöhung der Eigenmittel aus dem BNE ausgeglichen werden müsse. Da die insoweit mit der Verordnung Nr. 1798/2003 eingeführte Zusammenarbeit so gut sein müsse, dass sie es ermögliche, betrügerische Handlungen aufzudecken und zur Erhebung zusätzlicher Mehrwertsteuerbeträge zu führen, so dass sich die Berechnungsgrundlage für die Mehrwertsteuermittel vergrößere, betreffe die Einhaltung der Verordnung sehr wohl die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen der Gemeinschaft.
35 Der Rechnungshof macht geltend, da ihm sein Auftrag und seine Befugnisse durch die Art. 246 EG und 248 EG übertragen worden seien, könne er seine Prüfungspolitik unter Beachtung des Primärrechts und vorbehaltlich der Auslegung durch den Gerichtshof frei festlegen, ohne dass insbesondere Bestimmungen des abgeleiteten Rechts diese Befugnisse einschränken oder abweichend regeln könnten.
36 Seine Prüfungsbefugnis erstrecke sich auf die Beachtung jeder Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die sich auf die Ausgaben oder Einnahmen der Gemeinschaft auswirke, damit er anhand von Jahres- und Sonderberichten, die er dem Parlament und dem Rat übermittele, die Grundlage für Debatten im Rahmen des Entlastungsverfahrens und für die Suche nach Verbesserungen liefere. Er sei insbesondere befugt, im Rahmen von Sonderberichten ein in seine Zuständigkeiten fallendes Thema oder Gebiet zu wählen, zu dem er Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der betreffenden Maßnahmen der Gemeinschaft unterbreiten wolle.
37 Die von der deutschen Regierung vorgeschlagene Auslegung, wonach sich die Befugnis des Rechnungshofs auf begrenzte Prüfungen der Rechnungsführung beschränke, ohne dass er die Möglichkeit habe, Wirtschaftlichkeitsprüfungen („performance audits“) anhand von Kriterien durchzuführen, die sich aus den Rechtsvorschriften und den Grundsätzen der wirtschaftlichen Haushaltsführung ergäben, würde Art. 248 Abs. 2 EG insofern die praktische Wirksamkeit nehmen, als in dieser Bestimmung auf die Wirtschaftlichkeit der Einnahmen- und Ausgabenverwaltung Bezug genommen werde.
38 Aus dem Vorstehenden folge, dass der Rechnungshof insbesondere zu der Prüfung berechtigt sei, ob das in der Verordnung Nr. 1798/2003 vorgesehene System der Zusammenarbeit korrekt und wirksam funktioniere, damit er sich zum einen vergewissern könne, dass die Mehrwertsteuereinnahmen tatsächlich erhoben und die daraus resultierenden Mehrwertsteuermittel wirtschaftlich verwaltet würden, und zum anderen in die Lage versetzt werde, etwaige Empfehlungen zu formulieren.
39 Die von der deutschen Regierung geäußerte Befürchtung, dass der Rechnungshof Anspruch auf die Kontrolle der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten erheben könnte, da diese zur Bildung des BNE beitrage, das wiederum die Grundlage für die Berechnung von Eigenmitteln der Union bilde, sei unbegründet, da es anders als im Mehrwertsteuersektor, in dem sich für die Mitgliedstaaten aus dem Gemeinschaftsrecht Pflichten in Bezug auf die Steuererhebung ergäben, keine solchen Pflichten hinsichtlich der Art und Weise gebe, in der die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik zu gestalten und umzusetzen hätten.
40 Hinsichtlich des Vorbringens der deutschen Regierung zu einem Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip vertreten die Kommission, das Parlament und der Rechnungshof die Ansicht, dass dieses Prinzip für die Ausübung normativer Befugnisse gelte, nicht aber für Prüfungs- oder Stellungnahmebefugnisse, wie sie der Rechnungshof habe. Die Kommission und der Rechnungshof heben ferner hervor, dass die Befugnisse des Rechnungshofs, die sich auf die gesamten Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft erstreckten, eine ausschließliche Zuständigkeit darstellten, die ihm durch den Vertrag zugewiesen worden sei, damit er insbesondere der Haushaltsbehörde der Gemeinschaft im Rahmen der Kontrolle der Ausführung des Haushaltsplans Aufschlüsse gebe; diese Befugnisse fielen daher nicht unter den Begriff der gemischten Zuständigkeit und blieben von dem Umstand unberührt, dass auch die nationalen Behörden zur Vornahme bestimmter Kontrollen befugt seien.
41 Nach Ansicht der Kommission rechtfertigt die grenzüberschreitende Natur der mit der Verordnung Nr. 1798/2003 eingeführten Zusammenarbeit jedenfalls das Tätigwerden des Rechnungshofs, dessen Zuständigkeit sich im Gegensatz zur Zuständigkeit der nationalen Stellen auf alle Mitgliedstaaten erstrecke. Im Übrigen verlange das gemeinsame Eigenmittelsystem, zentral sicherzustellen, dass jeder Mitgliedstaat angemessen zur Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts beitrage.
42 Die deutsche Regierung trägt vor, die Zuständigkeit des Rechnungshofs werde, auch wenn es sich um eine Prüfungs- und nicht um eine Entscheidungsbefugnis handele, voll und ganz durch den Vertrag eingegrenzt; dies gelte auch für die Erstellung eines Sonderberichts. Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG zeige aber, dass sich diese Zuständigkeit nur auf die Rechnung über die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft und auf ihre Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit erstrecke.
43 Die durch die Verordnung Nr. 1798/2003 geschaffene Zusammenarbeit im Bereich der Erhebung von Mehrwertsteuereinnahmen weise aber in dieser Hinsicht keinen unmittelbaren oder hinreichenden Zusammenhang mit den Einnahmen der Gemeinschaft auf. Die Mehrwertsteuereinnahmen gehörten nämlich zum nationalen Haushalt und seien von den Mehrwertsteuermitteln zu unterscheiden, die allein Einnahmen der Gemeinschaft darstellten.
44 Wie sich aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. c des Beschlusses Nr. 2000/597 und aus den Art. 2 ff. der Verordnung Nr. 1553/89 ergebe, bilde der Betrag der tatsächlich erzielten Mehrwertsteuereinnahmen nur eine Art feste Ausgangsrechengröße, anhand deren nach einer gesonderten Berechnung unter Vornahme diverser Hochrechnungen, Korrekturen oder Kompensationen der Betrag der Mehrwertsteuermittel bestimmt werde.
45 Der Umstand, dass eine Verringerung der Mehrwertsteuereinnahmen es erforderlich mache, verstärkt Eigenmittel abzurufen, die auf dem BNE der Mitgliedstaaten beruhten, könne ebenfalls nicht ausreichen, um eine Ausweitung der Kontrollbefugnisse des Rechnungshofs auf diese Einnahmen zu begründen.
46 Wie Art. 8 Abs. 2 der Entscheidung 2000/597 bestätige, könnten nur die korrekte Bestimmung der erzielten Mehrwertsteuereinnahmen durch die Mitgliedstaaten und die Korrektheit der ihnen zugrunde liegenden Berechnungen zur Bestimmung des Betrags der Mehrwertsteuermittel in die Zuständigkeit des Rechnungshofs fallen. Sie erstrecke sich dagegen nicht auf die Strukturen der nationalen Finanzverwaltungen und die von ihnen angewandten Verfahren zur Erhebung der Mehrwertsteuer, die in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen. Die Befugnis zur Kontrolle dieser Strukturen und Verfahren könne daher nur den zuständigen nationalen Stellen zustehen.
47 Würde man anders entscheiden, würde man im Übrigen hinsichtlich der auf der Grundlage des BSP berechneten Eigenmittel anerkennen, dass sich die Prüfungsbefugnis des Rechnungshofs auch auf die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten erstrecke.
48 Hilfsweise macht die deutsche Regierung ferner geltend, auch das Subsidiaritätsprinzip müsse zu dem Schluss führen, dass die Überprüfung der Maßnahmen zur Erhebung der Mehrwertsteuer und folglich der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden in diesem Bereich in die Zuständigkeit nicht des Rechnungshofs, sondern der nationalen Rechnungsprüfungsorgane falle. Eine Prüfung der grenzüberschreitenden Sachverhalte, auf die sich die Verordnung Nr. 1798/2003 beziehe, könne ohne weiteres durch gemeinsames Handeln der nationalen Rechnungsprüfungsorgane erfolgen.
Vorbringen in Bezug auf die Zuständigkeit des Rechnungshofs im Bereich der Ausgabenkontrolle
49 In ihrer Erwiderung macht die Kommission geltend, die Umsetzung der Verordnung Nr. 1798/2003 habe zu Ausgaben geführt, die den Haushalt der Union belasteten, so dass die streitige Prüfung auch in Anbetracht der Zuständigkeit des Rechnungshofs im Bereich der Ausgabenkontrolle gerechtfertigt sei. Diese Auffassung vertritt auch der Rechnungshof, der insbesondere ausführt, aus dem – in Randnr. 19 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen – Besuchsprogramm, das den deutschen Behörden übersandt worden sei, gehe hervor, dass sich die beabsichtigte Prüfung auf die Speicherung und den Austausch von Informationen sowohl mittels des CCN/CSI-Netzes als auch mittels des MIAS-Netzes erstreckt habe, die beide über das Fiscalis-Programm von der Gemeinschaft finanziert würden.
50 Die deutsche Regierung hält dieses Vorbringen für unzulässig; es sei in der Klageschrift nicht enthalten und könne daher von der Kommission im Stadium der Erwiderung nicht mehr eingeführt werden. Da dem beklagten Staat nämlich die Möglichkeit genommen worden sei, auf das Vorbringen in seiner Klagebeantwortung einzugehen, schließe Art. 42 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine solche Erweiterung des Streitgegenstands aus. Überdies könne nach Art. 93 § 4 der Verfahrensordnung der Rechnungshof als Streithelfer die auf einem Versäumnis der Klägerin beruhende teilweise Unzulässigkeit der Klage nicht heilen.
51 In der Sache trägt die deutsche Regierung vor, eine Prüfung der Ausgaben der Gemeinschaft sei überhaupt nicht Gegenstand der vom Rechnungshof angekündigten Prüfung und infolgedessen auch nicht Gegenstand der Weigerung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Rechnungshof gewesen. Im Übrigen könne der Wunsch, die Ausgaben zu prüfen, die streitige Kontrolle nicht in ihrer Gesamtheit rechtfertigen, da sie sich auch auf zahlreiche Punkte erstrecke, deren Finanzierung allein zulasten des Haushalts der Mitgliedstaaten gehe.
52 Die Kommission beantragt, die Einrede der Unzulässigkeit der deutschen Regierung zurückzuweisen. Zum einen sei die fragliche Argumentation im vorgerichtlichen Verfahren angeführt worden, so dass die Verteidigungsrechte der Bundesrepublik Deutschland gewahrt seien. Zum anderen führe diese Argumentation nicht zu einer Erweiterung des Streitgegenstands. Sowohl die Kommission als auch der Rechnungshof machen ferner geltend, dass es einem Streithelfer freistehe, Argumente anzuführen, die die von ihm unterstützte Partei nicht vorgebracht habe.
Würdigung durch den Gerichtshof
53 Zunächst ist festzustellen, dass die Weigerung der Bundesrepublik Deutschland, dem Rechnungshof die beabsichtigte Prüfung zu gestatten, Ende 2006 ausgesprochen wurde. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen, die bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission gesetzten Frist besteht. Hinsichtlich des vorliegenden Verfahrens ist diese Frist im Mai 2009 abgelaufen.
54 Aus dem Vorstehenden folgt, dass die von der Kommission gerügte Vertragsverletzung anhand der Bestimmungen der Verträge vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zu beurteilen ist.
55 Nach dieser Klarstellung ist erstens die Rüge zu prüfen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Pflichten aus Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG verletzt habe.
56 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass mit den Verträgen ein System der Zuständigkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Organen der Gemeinschaft geschaffen wurde, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben zuweist (Urteil vom 22. Mai 1990, Parlament/Rat, C-70/88, Slg. 1990, I-2041, Randnr. 21).
57 Nach Art. 7 Abs. 1 EG handelt der Rechnungshof, der durch den Vertrag von Maastricht in den Kreis der Organe aufgenommen wurde, wie die übrigen Organe nach Maßgabe der ihm im EG-Vertrag zugewiesenen Befugnisse.
58 Die Aufgabe des Rechnungshofs wird zunächst in Art. 246 EG mit ganz allgemeinen Worten umschrieben; danach nimmt er die Rechnungsprüfung wahr.
59 Art. 248 EG, der die genannte Aufgabe konkretisiert und festlegt, wie der Rechnungshof sie zu erfüllen hat, sieht in Abs. 1 u. a. vor, dass der Rechnungshof die Rechnung über alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft prüft und dem Parlament und dem Rat eine Erklärung über die Zuverlässigkeit der Rechnungsführung sowie die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Vorgänge vorlegt, die durch spezifische Beurteilungen zu allen größeren Tätigkeitsbereichen der Gemeinschaft ergänzt werden kann.
60 In Art. 248 Abs. 2 EG heißt es u. a., dass der Rechnungshof die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben prüft und sich von der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung überzeugt, wobei er insbesondere über alle Fälle von Unregelmäßigkeiten berichtet.
61 Nach Art. 248 Abs. 3 EG ist der Rechnungshof befugt, Prüfungen anhand der Rechnungsunterlagen und erforderlichenfalls an Ort und Stelle vorzunehmen, insbesondere in den Mitgliedstaaten in Verbindung mit den einzelstaatlichen Rechnungsprüfungsorganen oder, wenn diese nicht über die erforderliche Zuständigkeit verfügen, mit den zuständigen einzelstaatlichen Dienststellen.
62 Art. 248 Abs. 4 EG sieht u. a. vor, dass der Rechnungshof einen Jahresbericht erstattet, der den anderen Organen vorgelegt und im Amtsblatt der Europäischen Union zusammen mit den Antworten dieser Organe auf die Bemerkungen des Rechnungshofs veröffentlicht wird. Er kann ferner jederzeit seine Bemerkungen zu besonderen Fragen vorlegen, insbesondere in Form von Sonderberichten, und auf Antrag eines der anderen Organe der Gemeinschaft Stellungnahmen abgeben. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, soll diese Bestimmung dazu beitragen, dass die Finanzverwaltung der Gemeinschaft durch die Übermittlung der Berichte an die Organe und die Ausarbeitung ihrer Antworten verbessert wird (Urteil vom 10. Juli 2001, Ismeri Europa/Rechnungshof, C-315/99 P, Slg. 2001, I-5281, Randnr. 27). Solche Berichte sind dazu bestimmt, sowohl der Haushaltsbehörde, die Entlastung für die Rechnung zu erteilen hat, Aufschlüsse zu geben als auch allgemeiner allen öffentlichen Akteuren, die zur Beseitigung etwaiger Mängel oder Funktionsstörungen, die der Rechnungshof in diesen Bereichen festgestellt hat, beitragen können.
63 Im vorliegenden Fall sollte die vom Rechnungshof beabsichtigte Prüfung im Wesentlichen sicherstellen, dass die in der Verordnung Nr. 1798/2003 vorgesehenen Strukturen und Mechanismen für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer geschaffen wurden und ordnungsgemäß funktionieren, wobei die zu treffenden Feststellungen es im Anschluss daran ermöglichen sollten, in einem Sonderbericht etwaige Empfehlungen zur Gewährleistung einer besseren Wirtschaftlichkeit der genannten Strukturen und Mechanismen zu geben.
64 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 269 EG der Haushalt unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert wird.
65 Als die deutschen Behörden sich weigerten, die Durchführung der streitigen Prüfung zu gestatten, ergab sich das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften aus dem Beschluss 2000/597. Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Beschlusses gehören zu den Eigenmitteln u. a. Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die nach Gemeinschaftsvorschriften bestimmte einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage ergeben. Daran hat sich durch Art. 2 des Beschlusses 2007/436, der bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission galt, nichts geändert.
66 Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1553/89 wird die Grundlage für die Mehrwertsteuermittel anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegt. Diese Richtlinie ist mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) ersetzt worden.
67 Unbeschadet verschiedener durch die Bestimmungen der genannten Verordnung vorgesehener Anpassungen sieht ihr Art. 3 vor, dass die Grundlage der Mehrwertsteuermittel berechnet wird, indem die gesamten vom Mitgliedstaat in einem Jahr getätigten Mehrwertsteuernettoeinnahmen durch den Satz geteilt werden, zu dem die Mehrwertsteuer in dem betreffenden Jahr erhoben wird, wobei, wenn in einem Mitgliedstaat mehrere Mehrwertsteuersätze angewandt werden, ein gewogener mittlerer Mehrwertsteuersatz bei diesem Rechenvorgang herangezogen wird.
68 Zu den genannten Anpassungen gehört u. a. diejenige, die sich aus der Klarstellung in Art. 2 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1553/89 ergibt, wonach bei der Anwendung von Abs. 1 für die Bestimmung der Mehrwertsteuermittel die Umsätze zu berücksichtigen sind, die die Mitgliedstaaten gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie weiterhin befreien. Insoweit sieht Art. 6 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1553/89 u. a. vor, dass die Mitgliedstaaten bei der Anwendung von Art. 2 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung die Grundlage für die Mehrwertsteuermittel so berechnen, als ob diese Umsätze steuerpflichtig wären, damit die betreffenden Staaten ebenso behandelt werden wie die übrigen Mitgliedstaaten, die einen bestimmten Bereich nicht befreit haben (vgl. Urteil vom 23. Mai 1990, Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-2107, Randnr. 14).
69 Bei all diesen Gesichtspunkten trifft es zwar zu, dass die aus der Entrichtung der Mehrwertsteuer stammenden Einnahmen zum größten Teil nationale Steuereinnahmen bleiben, die in den Haushalt der Mitgliedstaaten eingesetzt werden, so dass nur ein geringer Prozentsatz dieser Einnahmen als Eigenmittel dem Gemeinschaftshaushalt zufließt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. September 1999, Kommission/Spanien, C-414/97, Slg. 1999, I-5585, Randnr. 23).
70 Es trifft auch zu, dass sich – wie die deutsche Regierung geltend gemacht hat – die Berechnung des Betrags der Mehrwertsteuermittel nicht in der Ermittlung eines Prozentsatzes der tatsächlich erzielten Mehrwertsteuereinnahmen erschöpft, sondern dass bei dieser Berechnung verschiedene Berichtigungen vorzunehmen sind, mit denen insbesondere die in Randnr. 68 des vorliegenden Urteils angesprochenen Ziele verfolgt werden.
71 Diese Feststellungen ändern jedoch nichts daran, dass das in Umsetzung des Vertrags geschaffene System der Eigenmittel hinsichtlich der Mehrwertsteuermittel darauf abzielt, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, einen Teil der als Mehrwertsteuer erhobenen Beträge der Gemeinschaft als Eigenmittel zur Verfügung zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 1990, Kommission/Frankreich, Slg. 1990, I-691, Randnr. 23). Sie ändern auch nichts daran, dass die Mitgliedstaaten, damit eine wirksame Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen gewährleistet ist und damit sie dem Gemeinschaftshaushalt in dem nach den Beschlüssen 2000/597 und 2007/346 sowie der Verordnung Nr. 1553/89 erforderlichen Umfang entsprechende Mehrwertsteuermittel zur Verfügung stellen können, verpflichtet sind, die verschiedenen die Erhebung betreffenden Gemeinschaftsvorschriften zu beachten, wie sie die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie und die Mehrwertsteuerrichtlinie oder auch die Verordnung Nr. 1798/2003 enthalten. Die Sachlage unterscheidet sich insoweit erheblich von der Situation bei den Eigenmitteln, die auf dem BNE der Mitgliedstaaten beruhen.
72 Somit besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen unter Beachtung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts einerseits und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den Gemeinschaftshaushalt, da jedes Versäumnis bei der Erhebung Ersterer potenziell zu einer Verringerung Letzterer führt.
73 Hierzu hat der Gerichtshof u. a. entschieden, dass ein Mitgliedstaat, der es entgegen den Erfordernissen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie unterlässt, eine bestimmte Art von Umsätzen der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, dadurch auch seine Pflicht verletzen kann, der Kommission die der Steuer, die auf die genannten Umsätze hätte erhoben werden müssen, entsprechenden Beträge als Mehrwertsteuermittel zur Verfügung zu stellen (vgl. u. a. Urteile vom 12. September 2000, Kommission/Frankreich, C-276/97, Slg. 2000, I-6251, Randnrn. 49, 56, 61 und 70, Kommission/Irland, C-358/97, Slg. 2000, I-6301, Randnrn. 58, 65, 69 und 78, und Kommission/Vereinigtes Königreich, C-359/97, Slg. 2000, I-6355, Randnrn. 70, 77 und 87).
74 Desgleichen hat der Gerichtshof ausgeführt, dass aus den Art. 2 und 22 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie sowie aus Art. 10 EG hervorgeht, dass jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten, und dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gehalten sind, die Beachtung der Verpflichtungen sicherzustellen, denen die Steuerpflichtigen unterliegen, und insoweit insbesondere hinsichtlich der Art des Einsatzes der ihnen zu Gebote stehenden Mittel über einen gewissen Spielraum verfügen; er hat jedoch hinzugefügt, dass dieser Spielraum u. a. durch die Verpflichtung begrenzt wird, eine wirksame Erhebung der Eigenmittel der Gemeinschaft zu garantieren (Urteil vom 17. Juli 2008, Kommission/Italien, C-132/06, Slg. 2008, I-5457, Randnrn. 37 bis 39).
75 Zu den Zielen, die der Rat mit dem Erlass der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgte, gehörte im Übrigen, wie sich insbesondere aus ihrem elften Erwägungsgrund ergibt, der mittlerweile in den 35. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie übernommen wurde, das Ziel einer gleichmäßigen Erhebung der Eigenmittel in allen Mitgliedstaaten (vgl. Urteil vom 4. Oktober 2001, „Goed Wonen“, C-326/99, Slg. 2001, I-6831, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
76 Überdies ist darauf hinzuweisen, dass jede Verringerung der Mehrwertsteuermittel durch eine Verringerung der Ausgaben oder eine Erhöhung der auf dem BNE beruhenden Eigenmittel ausgeglichen werden muss, was das Gesamtgleichgewicht des zur Deckung der Ausgaben der Gemeinschaft bestimmten Systems der Eigenmittel beeinträchtigen kann.
77 Speziell in Bezug auf die Verordnung Nr. 1798/2003 ist festzustellen, dass die von den Mitgliedstaaten nach dieser Verordnung anzuwendenden Mechanismen für die Zusammenarbeit, da sie dazu dienen, in allen Mitgliedstaaten Betrug und Hinterziehung im Bereich der Mehrwertsteuer zu bekämpfen, ihrerseits geeignet sind, die tatsächliche Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen und damit die Zurverfügungstellung der Mehrwertsteuermittel für den Gemeinschaftshaushalt unmittelbar und nachhaltig zu beeinflussen.
78 Insoweit ist zum einen hervorzuheben, dass ein erheblicher Teil der Betrugsfälle im Bereich der Mehrwertsteuer im Rahmen des tatsächlichen oder vorgeblichen innergemeinschaftlichen Handels auftritt, und zum anderen darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die gegenseitige Unterstützung und die Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden der betreffenden Mitgliedstaaten von wesentlicher Bedeutung insbesondere dafür sind, zu verhindern, dass innergemeinschaftliche Erwerbe der Zahlung der Mehrwertsteuer entzogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 2010, R., C-285/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 52).
79 Außerdem ist hervorzuheben, dass die tatsächliche Anwendung der durch die Verordnung Nr. 1798/2003 geschaffenen Regeln für die Zusammenarbeit geeignet ist, nicht nur die Befähigung des fraglichen Mitgliedstaats zur wirksamen Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet zu beeinflussen, sondern auch die Befähigung der übrigen Mitgliedstaaten, derartige Fälle in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu bekämpfen, vor allem dann, wenn die ordnungsgemäße Anwendung der Mehrwertsteuer in den übrigen Mitgliedstaaten von Informationen abhängt, über die der genannte Mitgliedstaat verfügt oder die von ihm sehr viel leichter beschafft werden können.
80 Aus dem Vorstehenden folgt, dass eine Zusammenarbeit zwischen den nationalen Verwaltungsbehörden, wie sie durch die Verordnung Nr. 1798/2003 geschaffen wurde, bei effektiver und mit den Bestimmungen der Verordnung im Einklang stehender Durchführung zu einer Verringerung der Betrugsfälle und zur wirksamen Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen beitragen kann sowie – in entsprechendem Maß – dazu, dass die Mehrwertsteuermittel auf dem Niveau bleiben, das sie nach den verschiedenen einschlägigen Rechtsakten der Gemeinschaft haben müssen, und dadurch zur Wahrung des Gesamtgleichgewichts der Eigenmittel.
81 Unter diesen Umständen ist anzuerkennen, dass der Rechnungshof zur Vornahme der in Rede stehenden geplanten Prüfung befugt war, da sie sich auf die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden im Sinne der Verordnung Nr. 1798/2003 und damit auf die Einnahmen der Gemeinschaft unter dem Gesichtspunkt ihrer Rechtmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung beziehen sollte und mithin in unmittelbarem Zusammenhang mit den dem Rechnungshof durch Art. 248 EG übertragenen Befugnissen stand.
82 Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung kann eine solche Schlussfolgerung, die aufgrund des genannten Artikels geboten ist, insbesondere nicht durch die Klausel in Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses 2000/597 in Frage gestellt werden, wonach diese Bestimmung unbeschadet der in Art. 248 EG vorgesehenen Rechnungsprüfung und der Prüfungen der Übereinstimmung und der Ordnungsmäßigkeit gilt, die sich im Wesentlichen auf die Zuverlässigkeit und Effizienz der einzelstaatlichen Systeme und Verfahren zur Ermittlung der Grundlage für die Mehrwertsteuermittel erstrecken. Überdies ist darauf hinzuweisen, dass diese Klausel mittlerweile in Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses 2007/436 entfallen ist.
83 Da die in Rede stehende geplante Prüfung, wie sich aus Randnr. 81 des vorliegenden Urteils ergibt, in ihrer Gesamtheit in die Zuständigkeit des Rechnungshofs im Bereich der Einnahmenkontrolle fällt, braucht der Gerichtshof im Übrigen nicht auf die Frage einzugehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die genannte Prüfung auch aufgrund der Zuständigkeit des Rechnungshofs im Bereich der Ausgabenkontrolle gerechtfertigt gewesen sein könnte, und muss sich daher auch nicht mit der Frage der Zulässigkeit des dahin gehenden Vorbringens der Kommission und des Rechnungshofs befassen.
84 Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache ist es auch nicht erforderlich, sich zu der Frage zu äußern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das von der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung hilfsweise angeführte Subsidiaritätsprinzip im Bereich der Prüfungen eine Rolle bei der Abgrenzung des jeweiligen Tätigwerdens des Rechnungshofs und der innerstaatlichen Rechnungsprüfungsorgane spielen könnte. Hierzu genügt die Feststellung, dass der grenzüberschreitende Aspekt der durch die Verordnung Nr. 1798/2003 geschaffenen Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden im Bereich der Mehrwertsteuer, selbst wenn das Subsidiaritätsprinzip im vorliegenden Fall anwendbar sein sollte, jedenfalls zu dem Schluss führen würde, dass die streitige Prüfung mit diesem Prinzip im Einklang steht. Da eine solche Prüfung nämlich dazu dient, sich davon zu überzeugen, dass die Zusammenarbeit, an der die Verwaltungsbehörden aller Mitgliedstaaten mitwirken, ordnungsgemäß funktioniert, was zum Teil von der Befähigung jeder dieser Behörden abhängt, Steuerbetrug und -hinterziehung in ihrem eigenen Hoheitsgebiet wirksam zu bekämpfen, wird sie zwangsläufig am besten zentral, auf Gemeinschaftsebene, durch den Rechnungshof vorgenommen, vor allem auch deshalb, weil sich sein Zuständigkeitsbereich im Unterschied zu dem der nationalen Rechnungshöfe auf alle Mitgliedstaaten erstreckt.
85 Da der Rechnungshof nach alledem aufgrund der Bestimmungen von Art. 248 EG befugt war, eine Prüfung der hier in Rede stehenden Art vorzunehmen, ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Weigerung, die Durchführung dieser Prüfung in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 248 EG und insbesondere aus dessen Abs. 3 verstoßen hat.
86 Folglich ist der Klage der Kommission in diesem Punkt stattzugeben.
87 Was zweitens die von der Kommission darüber hinaus gerügte Verletzung von Art. 10 EG angeht, genügt dagegen der Hinweis, dass kein Verstoß gegen die allgemeinen Verpflichtungen aus den Bestimmungen dieses Artikels festzustellen ist, der sich von dem festgestellten Verstoß gegen die spezifischeren Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Art. 248 EG unterschiede (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 2010, Kommission/Italien, C-334/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie bereits ausgeführt, sieht Art. 248 Abs. 3 EG ausdrücklich vor, dass die Prüfungen, zu denen der Rechnungshof nach den Abs. 1 und 2 dieses Artikels befugt ist, erforderlichenfalls an Ort und Stelle in den Mitgliedstaaten vorgenommen werden können, und zwar in Verbindung mit den einzelstaatlichen Rechnungsprüfungsorganen oder den zuständigen einzelstaatlichen Dienststellen, die in solchen Fällen vertrauensvoll mit dem Rechnungshof zusammenarbeiten sollen.
88 Drittens beantragt die Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 140 Abs. 2 und 142 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1605/2002 verstoßen hat.
89 Hierzu genügt der Hinweis, dass die Kommission, die den Nachweis für die von ihr gerügten Verstöße zu erbringen hat, nicht dargetan hat, inwiefern sich der Verstoß gegen diese beiden Bestimmungen, den sie der Bundesrepublik Deutschland zur Last legt, von dem ebenfalls von ihr gerügten Verstoß gegen Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG unterscheiden soll und inwiefern das Verhalten des Mitgliedstaats im Hinblick auf den konkreten Wortlaut der Art. 140 Abs. 2 und 142 Abs. 1 gegen diese Bestimmungen verstoßen haben soll.
90 Folglich ist die Klage der Kommission in diesem Punkt abzuweisen.
91 Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG verstoßen hat, dass sie sich geweigert hat, dem Rechnungshof zu gestatten, in Deutschland Prüfungen hinsichtlich der in der Verordnung Nr. 1798/2003 und den einschlägigen Durchführungsvorschriften geregelten Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden durchzuführen.
Kosten
92 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 69 § 4 Unterabs. 1 der Verfahrensordnung haben das Parlament und der Rechnungshof als Streithelfer ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 248 Abs. 1 bis 3 EG verstoßen, dass sie sich geweigert hat, dem Rechnungshof der Europäischen Union zu gestatten, in Deutschland Prüfungen hinsichtlich der in der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und den einschlägigen Durchführungsvorschriften geregelten Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden durchzuführen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
4. Das Europäische Parlament und der Rechnungshof der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.