URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
10. Februar 2011(*)
„Direkte Besteuerung – Freier Kapitalverkehr – Erbschaftsteuer – Testamentarische Zuwendung an Organisationen ohne Gewinnzweck – Ablehnung der Anwendung eines ermäßigten Satzes, wenn diese Organisationen ihren Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen haben, in dem der Erblasser tatsächlich gewohnt oder gearbeitet hat – Beschränkung – Rechtfertigung“
In der Rechtssache C-25/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de première instance de Liège (Belgien) mit Entscheidung vom 7. Januar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Januar 2010, in dem Verfahren
Missionswerk Werner Heukelbach e.V.
gegen
État belge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Arabadjiev, U. Lõhmus (Berichterstatter) und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– des Missionswerk Werner Heukelbach e.V., vertreten durch J. Roseleth, avocat,
– der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte im Beistand von E. Jacubowitz, avocat,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und J.-P. Keppenne als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV und 54 AEUV.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits des Missionswerk Werner Heukelbach e.V. (im Folgenden: Missionswerk) gegen den Belgischen Staat, bei dem es um dessen Weigerung geht, den ermäßigten Satz der Steuern anzuwenden, die anlässlich eines Erbfalls geschuldet werden, in dessen Rahmen dieser Verein begünstigt worden ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] (ABl. L 178, S. 5) lautet:
„(1) Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.
(2) Die mit dem Kapitalverkehr zusammenhängenden Zahlungstransaktionen erfolgen zu den gleichen Devisenbedingungen, die bei Zahlungen für laufende Transaktionen gelten.“
4 Zum in Anhang I der Richtlinie 88/361 aufgeführten Kapitalverkehr gehört die Rubrik XI „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“. Darunter fallen Erbschaften und Vermächtnisse.
Nationales Recht
5 Art. 59 Nr. 2 des Code des droits de succession (Erbschaftsteuergesetzbuch), eingeführt durch Arrêté royal (Königlicher Erlass) Nr. 308 vom 31. März 1936 (Moniteur belge vom 7. April 1936, S. 2403), bestätigt durch Gesetz vom 4. Mai 1936 (Moniteur belge vom 7. Mai 1936, S. 3426, im Folgenden: Code), bestimmt, dass die Steuern auf Erbschaft und Erwerb von Todes wegen ermäßigt werden „auf 7 % für Vermächtnisse zugunsten von Vereinigungen ohne Gewinnzweck, Genossenschaften oder nationalen Genossenschaftsverbänden, Berufsverbänden und internationalen Vereinen ohne Gewinnzweck, privaten Stiftungen und gemeinnützigen Stiftungen“.
6 Nach Art. 60 Abs. 1 des Code in der durch Décret-programme (Programmerlass) der wallonischen Regierung vom 18. Dezember 2003 mit verschiedenen Maßnahmen im Bereich der Regionalabgaben, der Finanzverwaltung und der Schulden, der Marktorganisation für Energie, Umwelt, Landwirtschaft, örtliche und untergeordnete Behörden, des Vermögens, des Wohnungswesens und des öffentlichen Dienstes (Moniteur belge vom 6. Februar 2004, S. 7196) geänderten Fassung ist der ermäßigte Satz im Sinne von Art. 59 Nr. 2 des Code nur auf Organisationen und Einrichtungen anwendbar, die die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
„a. die Organisation oder Einrichtung muss einen Geschäftssitz
– entweder in Belgien
– oder in dem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat oder in dem er vorher tatsächlich gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat,
haben;
b. die Organisation oder Einrichtung muss an diesem Geschäftssitz zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls bzw. der Eröffnung des Nachlasses hauptsächlich und uneigennützig Zwecke umweltschützerischer, philanthropischer, philosophischer, religiöser, wissenschaftlicher, künstlerischer, pädagogischer, kultureller, sportlicher, politischer, gewerkschaftlicher, beruflicher, humanitärer, patriotischer oder staatsbürgerlicher Art, des Unterrichts, der Pflege von Personen oder Tieren, des sozialen Beistands oder der Betreuung von Personen verfolgen;
c. die Organisation oder Einrichtung muss ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihren Hauptsitz im Gebiet der Europäischen Union haben.“
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage
7 Das Missionswerk ist ein religiöser Verein mit satzungsmäßigem Sitz in Deutschland. Mit eigenhändigem Testament vom 5. November 2003 wurde dieser Verein zum Gesamtvermächtnisnehmer von Frau Renardie, einer belgischen Staatsangehörigen, bestellt. Die Erblasserin, die ihr ganzes Leben lang in Belgien gewohnt hatte, verstarb am 12. Juni 2004 in Malmedy (Belgien).
8 Am 14. Juni 2005 reichte das Missionswerk bei der Register- und Domänenverwaltung Malmedy (im Folgenden: Verwaltung) die Anmeldung des Erbfalls im Namen der Verstorbenen ein und entrichtete sodann die von dieser Verwaltung geforderte Erbschaftsteuer zum Grenzsatz von 80 % in Höhe von 60 038,51 Euro.
9 Mit Schreiben vom 1. Dezember 2005 beantragte das Missionswerk bei der Verwaltung die Bewilligung des ermäßigten Erbschaftsteuersatzes gemäß Art. 59 Nr. 2 des Code. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dieser Verein nicht die Voraussetzungen in Art. 60 Abs. 1 des Code erfülle.
10 Am 7. August 2006 beantragte das Missionswerk bei der Verwaltung die Erstattung des Unterschiedsbetrags der Steuer aufgrund der Anwendung des ermäßigten Satzes. Sein Antrag wurde von der Verwaltung mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht ausreichend nachgewiesen, dass Frau Renardie in Deutschland gewohnt oder gearbeitet habe.
11 Mit seiner Klage beim vorlegenden Gericht beantragt das Missionswerk die Erstattung der Erbschaftsteuern, deren Betrag den Betrag übersteigt, der sich aus der Anwendung des ermäßigten Satzes ergibt, dessen Bewilligung es verlangt. Der Verein macht geltend, dass die Art. 59 Nr. 2 und 60 Abs. 1 des Code eine Diskriminierung zum Nachteil der Einwohner der wallonischen Region schafften, die ihr Vermögen an wohltätige Vereine oder Organisationen mit Sitz in Mitgliedstaaten der Union vererbten, in denen sie niemals gewohnt oder gearbeitet hätten.
12 Das Tribunal de première instance de Liège hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind die Art. 18 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV und 54 AEUV dahin auszulegen, dass sie den Erlass oder die Beibehaltung einer Bestimmung durch den Gesetzgeber eines Mitgliedstaats untersagen, mit der eine Besteuerung zum ermäßigten Satz von 7 % Vereinigungen ohne Gewinnzweck, Genossenschaften oder nationalen Genossenschaftsverbänden, Berufsverbänden und internationalen Vereinigungen ohne Gewinnzweck, privaten Stiftungen und gemeinnützigen Stiftungen vorbehalten wird, die einem Mitgliedstaat angehören, in dem der Erblasser – der in Wallonien ansässig war – zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich wohnte oder seinen Arbeitsort hatte oder in dem er vorher tatsächlich gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat?
Zur Vorlagefrage
Zur Ermittlung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts
13 Das vorlegende Gericht hat seine Frage in Bezug auf die Art. 18 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV und 54 AEUV vorgelegt. Die Europäische Kommission vertritt jedoch die Ansicht, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unter den freien Kapitalverkehr falle.
14 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass bei einer Frage nach der Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen über die Besteuerung von Erbschaften mit dem Unionsrecht weder die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 45 AEUV) noch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV und 54 AEUV) einschlägig sind.
15 Was sodann den freien Kapitalverkehr angeht, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Ermangelung einer Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ im AEU-Vertrag der Nomenklatur im Anhang der Richtlinie 88/361 Hinweischarakter zuerkannt hat, auch wenn diese Richtlinie auf der Grundlage der Art. 69 und 70 Abs. 1 EWG-Vertrag (die Art. 67 bis 73 EWG-Vertrag wurden durch die Art. 73b bis 73g EG-Vertrag ersetzt, die zu den Art. 56 EG bis 60 EG wurden) erlassen worden ist, wobei die in ihr enthaltene Liste gemäß ihrer Einleitung nicht erschöpfend ist (vgl. Urteile vom 23. Februar 2006, van Hilten-van der Heijden, C-513/03, Slg. 2006, I-1957, Randnr. 39, vom 14. September 2006, Centro di Musicologia Walter Stauffer, C-386/04, Slg. 2006, I-8203, Randnr. 22, vom 11. September 2008, Eckelkamp u. a., C-11/07, Slg. 2008, I-6845, Randnr. 38, vom 11. September 2008, Arens-Sikken, C-43/07, Slg. 2008, I-6887, Randnr. 29, und vom 22. April 2010, Mattner, C-510/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 19).
16 Der Gerichtshof hat insoweit u. a. festgestellt, dass Erbschaften, mit denen das Vermögen eines Erblassers auf eine oder mehrere Personen übergeht, unter die Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361 mit der Überschrift „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“ fallen und dass es sich beim Erwerb von Todes wegen, gleichviel, ob er Geldbeträge, unbewegliche Güter oder bewegliche Güter betrifft, um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 AEUV handelt; ausgenommen sind die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil Eckelkamp u. a., Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens, bei dem eine in Belgien wohnhafte Person eine Organisation ohne Gewinnzweck mit satzungsmäßigem Sitz in Deutschland mit einem Vermächtnis bedacht hat, ist jedoch kein rein inländischer Sachverhalt.
17 Somit finden die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr auf eine Angelegenheit wie die des Ausgangsverfahrens Anwendung.
18 Was schließlich die Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV, der ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens betrifft, ist festzustellen, dass diese Bestimmung als eigenständige Grundlage nur auf unionsrechtlich geregelte Fallgestaltungen angewandt werden kann, für die der AEU-Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht (Urteil vom 21. Januar 2010, SGI, C-311/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 26. Oktober 2010, Schmelz, C-97/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 44).
19 Da die Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr anwendbar sind, die besondere Diskriminierungsverbote vorsehen, findet Art. 18 AEUV somit keine Anwendung.
20 Infolgedessen ist die Frage des vorlegenden Gerichts so zu verstehen, dass dieses wissen möchte, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Möglichkeit, in den Genuss des ermäßigten Erbschaftsteuersatzes zu gelangen, Organisationen ohne Gewinnzweck vorbehält, die ihren Geschäftssitz in diesem Mitgliedstaat oder dem Mitgliedstaat haben, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich wohnte oder seinen Arbeitsort hatte oder in dem er vorher tatsächlich gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat.
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs
21 Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet allgemein alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten.
22 Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den Maßnahmen, die durch Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten sind, solche, die eine Wertminderung des Nachlasses dessen bewirken, der in einem anderen Staat als dem ansässig ist, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und der deren Erwerb von Todes wegen besteuert (Urteil van Hilten-van der Heijden, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Im vorliegenden Fall behält die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung die Möglichkeit, in den Genuss des ermäßigten Satzes der Erbschaftsteuer zu gelangen, Organisationen ohne Gewinnzweck vor, die ihren Geschäftssitz in Belgien oder dem Mitgliedstaat haben, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich wohnte oder seinen Arbeitsort hatte oder in dem er vorher tatsächlich gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat.
24 Somit läuft diese Regelung darauf hinaus, dass eine Erbschaft höher besteuert wird, wenn der durch sie Begünstigte eine Organisation ohne Gewinnzweck mit Geschäftssitz in einem Mitgliedstaat ist, in dem der Erblasser weder tatsächlich gewohnt noch gearbeitet hat, und bewirkt dadurch eine Beschränkung des Kapitalverkehrs, weil sie den Wert dieses Nachlasses mindert (vgl. entsprechend Urteil Eckelkamp u. a., Randnr. 45).
25 Im Übrigen kann, wie die Kommission ausgeführt hat, die Anwendung eines höheren Steuersatzes auf bestimmte Vorgänge des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs als auf Kapitalverkehr innerhalb Belgiens den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr dadurch weniger attraktiv gestalten, dass sie Gebietsansässige in Belgien davon abhält, Personen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten, in denen sie nicht tatsächlich gewohnt oder gearbeitet haben, zu Vermächtnisnehmern zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Januar 2009, Persche, C-318/07, Slg. 2009, I-359, Randnr. 38).
26 Eine solche nationale Regelung stellt damit eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV dar.
Zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs
27 Nach Ansicht der belgischen Regierung ist die unterschiedliche Behandlung aufgrund der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden wallonischen Regelung gerechtfertigt, da in Anbetracht des mit der belgischen Regelung verfolgten Zwecks Organisationen ohne Gewinnzweck wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens sich nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation wie Organisationen mit Geschäftssitz in Belgien befänden. Die Mitgliedstaaten seien zum einen berechtigt, zu verlangen, dass für die Zwecke der Gewährung bestimmter steuerlicher Vergünstigungen eine hinreichend enge Verbindung zwischen den Organisationen ohne Gewinnzweck und den von ihnen ausgeübten Tätigkeiten bestünde, und zum anderen, zu entscheiden, welche Interessen der Allgemeinheit sie durch die Gewährung der steuerlichen Vergünstigungen für diese Organisationen fördern wollten. Im vorliegenden Fall ziehe die belgische Allgemeinheit einen Vorteil aus dieser Regelung.
28 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Art. 63 AEUV nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 AEUV das Recht der Mitgliedstaaten nicht berührt, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohn- oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln, sofern diese Bestimmungen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 63 darstellen.
29 Nach der Rechtsprechung kann nämlich eine nationale Steuerregelung nur dann als mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. Urteile vom 6. Juni 2000, Verkooijen, C-35/98, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 43, vom 7. September 2004, Manninen, C-319/02, Slg. 2004, I-7477, Randnr. 29, vom 8. September 2005, Blanckaert, C-512/03, Slg. 2005, I-7685, Randnr. 42, und vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome, C-182/08, Slg. 2009, I-8591, Randnr. 68).
30 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat zwar für die Gewährung bestimmter Steuervergünstigungen verlangen darf, dass eine hinreichend enge Verbindung zwischen den Organisationen, bei denen er anerkennt, dass sie bestimmte seiner Gemeinwohlziele verfolgen, und den Tätigkeiten besteht, die diese ausüben (vgl. in diesem Sinne Urteil Centro di Musicologia Walter Stauffer, Randnr. 37), doch kann er die Gewährung solcher Vergünstigungen nicht Einrichtungen vorbehalten, die in seinem Hoheitsgebiet ansässig sind und deren Tätigkeiten ihn daher von bestimmten seiner Aufgaben entlasten können (Urteil Persche, Randnr. 44).
31 Insbesondere erlaubt es die Möglichkeit für einen Mitgliedstaat von bestimmten seiner Aufgaben entlastet zu werden, diesem nicht, eine Ungleichbehandlung von inländischen und in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen als gemeinnützig anerkannten Einrichtungen mit der Begründung einzuführen, die Vermächtnisse zugunsten der letztgenannten Einrichtung könnten selbst dann, wenn ihre Tätigkeiten den Zielen der Regelung des ersten Mitgliedstaats entsprächen, nicht zu einem solchen Haushaltsausgleich führen. Nach ständiger Rechtsprechung zählt nämlich das Erfordernis, einen Rückgang der Steuereinnahmen zu vermeiden, weder zu den in Art. 65 AEUV genannten Zielen noch zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die eine Beschränkung einer vom AEU-Vertrag eingeräumten Freiheit rechtfertigen können (Urteil Persche, Randnr. 46).
32 Wie der Gerichtshof ebenfalls entschieden hat, können, wenn eine in einem Mitgliedstaat als gemeinnützig anerkannte Einrichtung die dafür nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt und ihr Ziel die Förderung identischer Interessen der Allgemeinheit ist, so dass sie auch im letztgenannten Mitgliedstaat als gemeinnützig anerkannt werden könnte, was die nationalen Stellen dieses Mitgliedstaats einschließlich der Gerichte zu beurteilen haben, die Stellen dieses Mitgliedstaats der Einrichtung das Recht auf Gleichbehandlung nicht allein aus dem Grund verwehren, dass sie nicht im Inland ansässig ist (Urteil Persche, Randnr. 49).
33 Eine Einrichtung, die in einem Mitgliedstaat ansässig ist und die von einem anderen Mitgliedstaat aufgestellten Voraussetzungen für die Gewährung von Steuervergünstigungen erfüllt, befindet sich im Hinblick auf die Gewährung von Steuervergünstigungen zur Förderung gemeinnütziger Tätigkeiten durch diesen Mitgliedstaat in einer Situation, die derjenigen von in diesem Mitgliedstaat ansässigen als gemeinnützig anerkannten Einrichtungen vergleichbar ist (Urteil Persche, Randnr. 50).
34 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende wallonische Regelung den Geschäftssitz der Organisation ohne Gewinnzweck, der sich entweder in Belgien oder einem Mitgliedstaat befinden muss, in dem der Erblasser gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat, als Kriterium dafür heranzieht, ob ein ermäßigter Erbschaftsteuersatz anwendbar ist. Unter diesen Umständen können, wie sich aus der in den Randnrn. 31 bis 33 dieses Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, wenn die als gemeinnützig anerkannte Organisation die anderen Voraussetzungen als die nach der wallonischen Regelung geltende Voraussetzung des Geschäftssitzes für den Genuss von Steuervergünstigungen erfüllt, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Behörden dieses Mitgliedstaats dieser Organisation nicht das Recht auf Gleichbehandlung mit der Begründung versagen, dass sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder dem Mitgliedstaat, in dem der Erblasser gearbeitet oder gewohnt hat, keinen Geschäftssitz hat.
35 Auf alle Fälle ist festzustellen, dass es die im Ausgangsverfahren in Rede stehende belgische Regelung nicht erlaubt, den verfolgten Zweck zu erreichen, der darin besteht, nur Organisationen, deren Tätigkeiten der belgischen Allgemeinheit zugutekommen, steuerlich zu begünstigen.
36 Indem die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nämlich als Kriterium für die Feststellung des Vorliegens einer engen Verbindung mit der belgischen Allgemeinheit auf den Ort des Geschäftssitzes der betreffenden Organisation abstellt, führt sie nicht nur dazu, dass Organisationen, die ihren Sitz in Belgien haben, und solche, die dieses Kriterium nicht erfüllen, dabei aber eine enge Verbindung mit der belgischen Allgemeinheit aufweisen, unterschiedlich behandelt werden, sondern auch dazu, dass Organisationen mit Geschäftssitz in Belgien unabhängig davon, ob sie eine enge Verbindung mit dieser Allgemeinheit aufweisen, ähnlich behandelt werden.
37 Nach allem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 63 AEUV einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Möglichkeit, in den Genuss des ermäßigten Erbschaftsteuersatzes zu gelangen, Organisationen ohne Gewinnzweck vorbehält, die ihren Geschäftssitz in diesem Mitgliedstaat oder dem Mitgliedstaat haben, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich wohnte oder seinen Arbeitsort hatte oder in dem er vorher tatsächlich gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat.
Kosten
38 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 63 AEUV steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Möglichkeit, in den Genuss des ermäßigten Erbschaftsteuersatzes zu gelangen, Organisationen ohne Gewinnzweck vorbehält, die ihren Geschäftssitz in diesem Mitgliedstaat oder dem Mitgliedstaat haben, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich wohnte oder seinen Arbeitsort hatte oder in dem er vorher tatsächlich gewohnt oder seinen Arbeitsort gehabt hat.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.