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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 28. Juni 2012(1)

Rechtssache C-38/10

Europäische Kommission

gegen

Portugiesische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Niederlassungsfreiheit – Art. 49 AEUV – Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum – Steuerrecht – Wegzugssteuer – Sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse beim Vermögen von Gesellschaften bei der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung – Einstellung der Tätigkeiten einer Betriebsstätte – Übertragung von Vermögenswerten – Besteuerung der Gesellschafter – Aufteilung der Besteuerungsbefugnis – Verhältnismäßigkeit“






I –    Einführung

1.        Mit der vorliegenden Vertragsverletzungsklage rügt die Europäische Kommission, die Portugiesische Republik habe gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV)(2) und Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR-Abkommen)(3) dadurch verstoßen, dass sie nationale Vorschriften erlassen und beibehalten habe, durch die sie die latenten Wertzuwächse einer sofortigen Besteuerung unterwerfe, d. h. die eingetretenen, aber nicht realisierten Wertzuwächse

–        beim Vermögen portugiesischer Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Vertragsstaat des EWR-Abkommens verlegten;

–        bei dem der portugiesischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zugeordneten Vermögen, wenn die Tätigkeit dieser Betriebsstätte im portugiesischen Hoheitsgebiet eingestellt werde, und

–        bei dem einer portugiesischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zugeordneten Vermögen, das in das Ausland übertragen werde.

2.        Die Kommission rügt ferner, die Portugiesische Republik habe dadurch gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen, dass sie die latenten Wertzuwächse bei den Gesellschafteranteilen an einer Gesellschaft besteuere, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Vertragsstaat des EWR-Abkommens verlege.

3.        Die Portugiesische Republik sowie die acht Mitgliedstaaten, die als Streithelfer zur Unterstützung ihrer Anträge zugelassen worden sind(4), stellen die gerügte Vertragsverletzung in Abrede.

4.        Die Portugiesische Republik macht geltend, die streitigen Bestimmungen, nämlich die Art. 76 A (sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse bei Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes oder der tatsächlichen Leitung der Gesellschaft in das Ausland), 76 B (sofortige Besteuerung des Vermögens einer Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft bei Einstellung der Tätigkeiten der Betriebsstätte in Portugal und sofortige Besteuerung des in das Ausland übertragenen Vermögens einer solchen Betriebsstätte) und 76 C (Besteuerung der Gesellschafter bei Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes oder der tatsächlichen Leitung der Gesellschaft) des Código do Imposto sobre o Rendimento Pessoas Colectivas (Körperschaftsteuergesetzbuch, im Folgenden: CIRC), verstießen nicht gegen die Art. 43 EG und 31 EWR-Abkommen.

5.        Vor Prüfung der Zulässigkeit und der Begründetheit der Klage ist darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Rechtssache die erste von vier Vertragsverletzungsklagen der Kommission ist, die im Wesentlichen die sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse beim Gesellschaftsvermögen bei Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung in andere Mitgliedstaaten betreffen(5).

6.        Diese Problematik war zudem Gegenstand des Urteils National Grid Indus, das die Große Kammer des Gerichtshofs am 29. November 2011 verkündete(6), also nachdem das schriftliche Verfahren in der vorliegenden Rechtssache abgeschlossen war.

7.        In diesem Urteil, auf das ich in den vorliegenden Schlussanträgen ausführlicher zurückkommen werde, hat der Gerichtshof insbesondere festgestellt, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die sofortige Einziehung der Steuer auf die latenten Wertzuwächse bei den Vermögensgegenständen einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, zum Zeitpunkt dieser Verlegung vorschreibt(7).

8.        Nach Verkündung des Urteils National Grid Indus hat der Gerichtshof die Beteiligten aufgefordert, sich schriftlich zu der Frage zu äußern, welche Folgen sich für die vorliegende Rechtssache aus dem genannten Urteil ergeben.

9.        Alle Beteiligten mit Ausnahme der finnischen Regierung haben diese Frage beantwortet.

10.      Mit Ausnahme der niederländischen und der finnischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs, die in der Sitzung vom 30. April 2012 nicht vertreten waren, haben die Beteiligten dort mündliche Ausführungen gemacht.

II – Würdigung

A –    Zulässigkeit bestimmter Rügen

11.      Zwar macht die portugiesische Regierung in ihren Schriftsätzen keinen Grund geltend, aus dem die vorliegende Klage – auch nur teilweise – unzulässig sein könnte, doch erinnere ich daran, dass der Gerichtshof von Amts wegen prüfen kann, ob die gemäß Art. 226 EG für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage geltenden Voraussetzungen erfüllt sind(8).

12.      Diese Prüfung erstreckt sich insbesondere auf den ordnungsgemäßen Ablauf des vorprozessualen Verfahrens, der nach ständiger Rechtsprechung eine durch den Vertrag vorgeschriebene wesentliche Garantie nicht nur für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür darstellt, dass das eventuelle streitige Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat(9).

13.      Hierzu hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Aufforderungsschreiben sowie ihre mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand abgrenzen, so dass dieser nicht mehr erweitert werden kann(10). Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben Rügen gestützt werden wie das Aufforderungsschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird(11). Ist dies nicht der Fall, kann dieser Fehler nicht dadurch als beseitigt angesehen werden, dass sich der beklagte Mitgliedstaat zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme geäußert hat(12).

14.      Im vorliegenden Fall ist zum einen unstreitig, dass, wie die Kommission in der Sitzung eingeräumt hat, das Aufforderungsschreiben vom 29. Februar 2008 keinen Bezug auf einen angeblichen Verstoß gegen Art. 31 EWR-Abkommen nahm.

15.      Die Klage ist daher für unzulässig zu erklären, soweit sie sich auf die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 31 EWR-Abkommen bezieht.

16.      Wie zum anderen die portugiesische Regierung in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme ausführte(13), enthielt das Mahnschreiben außer der Bezugnahme auf Art. 76 C CIRC im Abschnitt „Sachverhalt“ auch keine eigenständige Rüge betreffend die Besteuerung der Gesellschafter einer portugiesischen Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt.

17.      Die Klage ist, soweit sie diese Rüge betrifft, ebenfalls unzulässig.

18.      Selbst wenn die Rüge nicht aus dem genannten Grund unzulässig sein sollte, erinnere ich daran, dass die Klageschrift gemäß Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 38 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs jedenfalls den Klagegegenstand angeben und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Folglich hat die Kommission in einer gemäß Art. 226 EG eingereichten Klageschrift die Rügen, über die der Gerichtshof entscheiden soll, genau anzugeben und zumindest in gedrängter Form die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darzulegen, auf die diese Rügen gestützt sind(14).

19.      Vorliegend jedoch hat die Kommission in ihrer Klageschrift ebenso wenig wie in ihrem Aufforderungsschreiben, nicht einmal summarisch, einen Grund für ihre Schlussfolgerung genannt, dass die Besteuerung der Gesellschafter einer Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in das Ausland verlegt, gegen Art. 43 EG verstößt.

20.      Eine solche Darstellung wäre meines Erachtens umso dringender erforderlich gewesen, als sich die Besteuerung einer Gesellschaft oder Betriebsstätte nicht mit der Besteuerung ihrer Gesellschafter deckt und bei einer Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung verlegt, der Inhalt eines etwaigen Verstoßes gegen Art. 43 EG wegen der Besteuerung ihrer Gesellschafter von dem Ort abhängig sein könnte, an dem diese ansässig sind, je nachdem ob sie ihren Wohnsitz in der Union oder in einem Drittstaat haben.

21.      Ich weise ferner darauf hin, dass keiner der Mitgliedstaaten, die als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der portugiesischen Regierung beigetreten sind, zu der gerügten Vertragsverletzung, die aus Art. 76 C CIRC hergeleitet wird, Stellung genommen hat, wobei die niederländische Regierung in Beantwortung der schriftlichen Frage des Gerichtshofs u. a. ausgeführt hat, dass sie angesichts der summarischen Angaben in den Akten der vorliegenden Rechtssache nicht in der Lage sei, sich zur Situation der Gesellschafter unter Berücksichtigung des Urteils National Grid Indus zu äußern.

22.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, sich zur Begründetheit der Klage nur insoweit zu äußern, als mit dieser die Feststellung begehrt wird, dass die Portugiesische Republik gegen Art. 43 EG verstoßen hat, weil sie die latenten Wertzuwächse erstens beim Vermögen portugiesischer Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, und zweitens bei dem Vermögen, das der portugiesischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zugeordnet ist, einer sofortigen Besteuerung unterwirft, sobald das Vermögen in das Ausland verlagert wird und die Tätigkeit dieser Betriebsstätte eingestellt wird.

B –    Begründetheit

 Sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse beim Vermögen einer portugiesischen Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt (Art. 76 A CIRC)

a)      Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten

23.      Die Kommission ist der Auffassung, Art. 76 A CIRC enthalte eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit, da er die Gesellschaften, die diese Freiheit in Anspruch nähmen, in Bezug auf die Liquidität offensichtlich ungünstiger behandele als die, die ihren Sitz innerhalb des portugiesischen Hoheitsgebiets verlegten. Nach der portugiesischen Rechtsvorschrift habe nämlich die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat zur Folge, dass die Steuer auf die latenten Wertzuwächse sofort erhoben werde.

24.      Diese unterschiedliche Behandlung könne, da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt werde, weder durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, einen besonderen Schutz der Rechte bestimmter Beteiligter, insbesondere der Gläubiger, zu gewährleisten, noch durch den an sich legitimen Zweck, eine wirksame Steueraufsicht sowie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht zu gewährleisten. Die Kommission erkennt zwar insoweit das legitime Recht eines Mitgliedstaats an, die Wertzuwächse zu besteuern, die zu einer Zeit entstanden sind, in der der betreffende Steuerpflichtige der Steuerhoheit dieses Mitgliedstaats unterlag, ist jedoch der Auffassung, dass es eine die Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigende Maßnahme sei, die Einziehung der Steuern auf den Zeitpunkt zu verlegen, zu dem die Wertzuwächse realisiert würden. Die Mitgliedstaaten verfügten nämlich aufgrund des Unionsrechts über hinreichende Mechanismen zur gegenseitigen Unterstützung, die sie in die Lage versetzten, Informationen über die Besteuerung zu erhalten und die Steuerforderungen von Gesellschaften einzuziehen, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten hätten.

25.      In ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs führt die Kommission ferner aus, Art. 76 A CIRC sei unter Berücksichtigung des Urteils National Grid Indus offensichtlich unvereinbar mit Art. 43 EG.

26.      Die portugiesische Regierung führt aus, das Urteil National Grid Indus sei für die Situation einer nach portugiesischem Recht errichteten Gesellschaft, die unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtspersönlichkeit ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in einen anderen Mitgliedstaat verlege, ohne in Portugal eine Betriebsstätte beizubehalten, unmittelbar relevant; sie räumt jedoch angesichts des genannten Urteils und entgegen ihren bisherigen Ausführungen in den Schriftsätzen ein, dass die Niederlassungsfreiheit auf die Situation einer solchen Gesellschaft Anwendung finde.

27.      Die portugiesische Regierung stellt jedoch eine Beschränkung dieser in Abrede.

28.      Unabhängig davon, ob die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und des tatsächlichen Verwaltungssitzes innerhalb Portugals oder in einen anderen Mitgliedstaat erfolge, fänden nämlich dieselbe Regelung und dieselben Steuertatbestände Anwendung. So gehe aus Art. 43 Abs. 2 und 3 CIRC hervor, dass die latenten Wertzuwächse beim Vermögen unter Berücksichtigung des Marktwerts dieser Vermögenswerte immer dann besteuert würden, wenn der Steuerpflichtige die Vermögenswerte „auf Dauer anderen Zwecken als denen der ausgeübten Tätigkeit [zuordne]“, d. h., wenn das genannte Gesellschaftsvermögen der bisher ausgeübten Wirtschaftstätigkeit, die die steuerbaren Einkünfte hervorbringe, entzogen werde. Die Besteuerung der Wertzuwächse finde somit nicht nur statt, wenn die Wertzuwächse anlässlich einer entgeltlichen Übertragung tatsächlich realisiert würden, sondern – bei latenten Wertzuwächsen – auch dann, wenn Vermögenswerte außerhalb eines Verkaufsvorgangs oder einer Verkaufsverhandlung und somit ohne Gegenleistung aus irgendeinem Grund nicht mehr der Unternehmenstätigkeit zugeordnet seien.

29.      Die portugiesische Regierung betont ferner, dass die nationalen Rechtsvorschriften – auch in den reinen Inlandsfällen – für die betreffenden Vermögensgegenstände die steuerliche Registrierung der latenten Wertzuwächse und der Wertverluste in dem Rechnungsjahr verlangten, in dem die fraglichen Vorgänge stattfänden, obwohl die Gesellschaft in keinem dieser Fälle Liquidität erlange, die ihre Grundlage in der Realisierung der Vermögenswerte durch Veräußerung hätten. Es gebe somit eine Registrierung der latenten Wertzuwächse immer dann, wenn die betreffenden Vermögensgegenstände dem Unternehmen und der Wirtschaftstätigkeit, die im Inland steuerpflichtige Einkünfte hervorbringe, nicht mehr zugeordnet seien. Die Gesellschaften, die ihre Niederlassungsfreiheit in Anspruch nähmen, unterlägen somit keiner vorgezogenen oder höheren steuerlichen Belastung als die, der die Gesellschaften ausgesetzt seien, die ihren Sitz in Portugal beibehielten.

30.      Sollte Art. 76 A CIRC eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit beinhalten, wäre die sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlege, jedenfalls erforderlich, um die Ziele der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle und der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung zu erreichen.

31.      Bezüglich der Verhältnismäßigkeit der sofortigen Besteuerung der latenten Wertzuwächse bei Verlegung des Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat räumt die portugiesische Regierung in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs jedoch ein, dass, sollte der Gerichtshof vorliegend eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit feststellen, die portugiesische Regierung verpflichtet wäre, Art. 76 A CIRC so abzuändern, dass die betreffenden Gesellschaften gemäß dem Urteil National Grid Indus zwischen der sofortigen Zahlung und der aufgeschobenen Einziehung der fraglichen Steuer wählen könnten.

32.      Während die meisten Streithelfer die Anwendbarkeit des Art. 43 EG in ihren jeweiligen Streithilfeschriftsätzen in Abrede gestellt haben, räumen sie inzwischen – ebenso wie die portugiesische Regierung – ein, dass nach Erlass des Urteils National Grid Indus die Niederlassungsfreiheit auf den von Art. 76 A CIRC geregelten Fall Anwendung findet. Die deutsche Regierung legt Wert auf den Hinweis, dass die Frage der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit in dem Fall, dass eine Gesellschaft ihren Sitz in einem Mitgliedstaat habe, der der sogenannten Sitztheorie folge und nach dessen Vorschriften es bei der Verlegung der tatsächlichen Leitung zur Auflösung der Gesellschaft komme, nicht beantwortet worden sei.

33.      Die dänische, die deutsche, die spanische, die französische und die schwedische Regierung sind jedenfalls der Auffassung, dass auch nach Erlass des Urteils National Grid Indus die sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse in dem von Art. 76 A CIRC geregelten Fall durch ein oder mehrere der von der Portugiesischen Republik angeführten Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei. Die genannten Streithelfer weisen darauf hin, dass die Rechtssache National Grid Indus einen atypischen Fall betroffen habe, in dem bei der Gesellschaft, die ihre tatsächliche Leitung verlege, ein nicht realisierter Wertzuwachs nur bei einem finanziellen Vermögenswert besteuert worden sei. Die Feststellungen des Gerichtshofs über die Unverhältnismäßigkeit der sofortigen Besteuerung dieses Wertzuwachses bei der Verlegung der tatsächlichen Leitung von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich erstreckten sich somit nicht auf die häufiger anzutreffenden Fälle, in denen die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat die nichtfinanziellen Vermögenswerte wie Betriebsmittel und immaterielle Güter erfasse, die nicht veräußert werden sollten. Die spanische Regierung führt insoweit aus, es sei nicht zwangsläufig eine Lösung, die die Niederlassungsfreiheit weniger als die sofortige Zahlung der Steuern bei Wegzug beeinträchtige, wenn den Gesellschaften, wie der Gerichtshof im Urteil National Grid Indus entschieden habe, die Möglichkeit eingeräumt werde, sich für die aufgeschobene Einziehung der Steuern zu entscheiden, die durch eine hinreichende Bankgarantie gesichert werde. Die deutsche Regierung macht geltend, der nationale Gesetzgeber solle sich selbst für die richtige Lösung entscheiden und nicht gezwungen werden, dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht einzuräumen. Es wäre weniger einschneidend und effizienter, dem Steuerpflichtigen das Recht auf gestaffelte Entrichtung der Steuer einzuräumen, statt ihm eine Stundung bis zur tatsächlichen Realisierung der Vermögenswerte zu gewähren.

34.      Die niederländische Regierung dagegen trägt in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs vor, aus dem Urteil National Grid Indus ergebe sich, dass die Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegten, die Möglichkeit einräumen müssten, zwischen der sofortigen Zahlung der Steuern auf die latenten Wertzuwächse bei Wegzug und der bis zur Realisierung der Vermögenswerte aufgeschobenen Zahlung entscheiden zu können.

b)      Würdigung

35.      Wie alle Beteiligten des vorliegenden Verfahrens vortragen, kann aufgrund des Urteils National Grid Indus über die erste Rüge der Vertragsverletzung großenteils entschieden werden.

36.      In der genannten Rechtssache war National Grid Indus, eine nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Inhaberin einer auf Pfund Sterling lautenden Forderung gegenüber einer derselben Gruppe angehörenden Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich. Aufgrund einer Steigerung des Kurses des Pfund Sterling gegenüber dem niederländischen Gulden entstand bei dieser Forderung ein nicht realisierter Kursgewinn. Im Dezember 2000 verlegte National Grid Indus ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in das Vereinigte Königreich, behielt jedoch ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre Rechtspersönlichkeit in den Niederlanden, die in Bezug auf das Gesellschaftsrecht die sogenannte Gründungstheorie anwenden. Da National Grid Indus nach dem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen dem Königreich der Niederlande und dem Vereinigten Königreich sowie nach dem niederländischen Steuerrecht in den Niederlanden keinen steuerpflichtigen Gewinn mehr erzielte, mussten die nicht realisierten Wertzuwächse, die durch den Kursgewinn im Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes entstanden waren, einer Schlussrechnung durch die niederländischen Finanzbehörden unterzogen werden und sofort bei Wegzug aus den Niederlanden besteuert werden.

37.      Der um Vorabentscheidung ersuchte Gerichtshof hatte über die Fragen zu entscheiden, ob sich National Grid Indus auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann und, wenn ja, ob Art. 49 AEUV einer nationalen Steuermaßnahme entgegensteht, mit der die nicht realisierten Wertzuwächse bei den Vermögenswerten einer Gesellschaft, die ihre tatsächliche Geschäftsleitung (und ihre Steueransässigkeit) in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, mit sofortiger Wirkung besteuert wird.

38.      In Bezug auf die Anwendbarkeit des Art. 49 AEUV prüfte der Gerichtshof zunächst, ob in Anbetracht des Fehlens einer einheitlichen unionsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit(15) zugutekommt, und der Befugnis der Mitgliedstaaten, die Anknüpfung zu bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können(16), eine Gesellschaft in der Lage von National Grid Indus die Niederlassungsfreiheit der Anwendung des nationalen Steuerrechts entgegenhalten kann.

39.      Unter Hinweis darauf, dass im Ausgangsverfahren die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich die Eigenschaft dieses Unternehmens als Gesellschaft nach niederländischem Recht nicht berührt hat, da das Königreich der Niederlande die sogenannte Gründungstheorie anwenden, und dass sich folglich die nationale Rechtsvorschrift darauf beschränkt, für die nach nationalem Recht gegründeten Gesellschaften steuerliche Folgen an eine Sitzverlegung zwischen Mitgliedstaaten zu knüpfen(17), gelangte der Gerichtshof zum Ergebnis, dass diese Verlegung für die Gesellschaft keine Auswirkung auf ihre Möglichkeit hat, sich auf Art. 49 AEUV zu berufen(18).

40.      Sodann stellte der Gerichtshof das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit fest. Eine Gesellschaft nach niederländischem Recht, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aus den Niederlanden wegverlegen will, erleidet im Vergleich zu einer ähnlichen Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in den Niederlanden belässt, einen Liquiditätsnachteil angesichts der sofortigen Besteuerung der erstgenannten Gesellschaft, die geeignet ist, diese Gesellschaft davon abzuhalten, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen(19).

41.      Diese unterschiedliche Behandlung lässt sich nicht durch eine objektiv unterschiedliche Situation erklären. Der Gerichtshof stellte nämlich allgemein fest, dass, was die Regelung eines Mitgliedstaats über die Besteuerung der auf seinem Hoheitsgebiet entstandenen Wertzuwächse betrifft, die Situation einer Gesellschaft, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats gegründet wurde und ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, in Bezug auf die Besteuerung der Wertzuwächse beim Vermögen, die im ersten Mitgliedstaat vor der Verlegung des Sitzes erzielt wurden, der Situation einer ebenfalls nach dem Recht des ersten Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft gleicht, die ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat belässt(20).

42.      Schließlich prüfte der Gerichtshof im Einzelnen die grundsätzliche Rechtfertigung, die die Regierungen, die Erklärungen in der Rechtssache National Grid Indus abgegeben hatten, vorgebracht hatten, nämlich die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten; er vertrat zwar die Auffassung, dass die niederländische Regelung geeignet ist, die Erreichung dieses im Allgemeininteresse liegenden Ziels zu gewährleisten(21), und räumte auch ein, dass die endgültige Festsetzung des Betrags der Steuer zu dem Zeitpunkt, zu dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegt, in Bezug auf das genannte Ziel verhältnismäßig ist(22), hielt die sofortige Einziehung der Steuer jedoch für unverhältnismäßig im Hinblick auf dieses Ziel.

43.      Während insoweit die Kommission und National Grid Indus sich für eine bis zum Zeitpunkt der Realisierung des Vermögenswerts (hier der Abtretung) aufgeschobene Einziehung der Steuerschuld, verbunden mit verschiedenen von der betreffenden Gesellschaft unterzeichneten Erklärungen, einsetzten(23), machten die Mitgliedstaaten geltend, nur die sofortige Einziehung der Steuer zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes gebe die Möglichkeit, die Ausübung ihrer Besteuerungsbefugnis ohne übermäßigen Verwaltungsaufwand zu sichern(24).

44.      Der Gerichtshof vertrat eine ausgewogene Lösung. Angesichts der Schwierigkeiten und des Verwaltungsaufwands, die eine grenzüberschreitende Nachverfolgung der Vermögenswerte für die betreffende Gesellschaft mit sich bringen würde, wenn sich die Vermögenssituation der Gesellschaft komplex darstellt, wies der Gerichtshof die systematische Anwendung einer mit verschiedenen Erklärungen verbundenen aufgeschobenen Einziehung, wie sie die Kommission vorgeschlagen hatte, zurück. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass eine derartige Lösung die Niederlassungsfreiheit nicht unbedingt weniger beeinträchtigt als die sofortige Einziehung der Steuerschuld, die dem nicht realisierten Wertzuwachs entspricht(25).

45.      Dagegen ermöglichen nach Auffassung des Gerichtshofs die Art und der Umfang des Gesellschaftsvermögens in anderen Fällen leicht die grenzüberschreitende Nachverfolgung der Vermögensgegenstände, bei denen zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der betreffenden Gesellschaft ein Wertzuwachs festgestellt wurde(26).

46.      Der Gerichtshof stellte daher in Randnr. 73 des Urteils National Grid Indus fest, dass „eine nationale Regelung, die einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, die Wahl lässt zwischen einerseits der sofortigen Zahlung des Steuerbetrags, was zu einem Liquiditätsnachteil führt, die Gesellschaft aber vom späteren Verwaltungsaufwand befreit, und andererseits einer Aufschiebung der Zahlung dieses Steuerbetrags, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der geltenden nationalen Regelung, was für die betreffende Gesellschaft notwendigerweise einen Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Nachverfolgung des verlegten Vermögens mit sich bringt, eine Maßnahme darstellen [würde], die die Niederlassungsfreiheit weniger stark beeinträchtigt als die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme und dabei die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet. Denn wenn eine Gesellschaft meint, dass der Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der aufgeschobenen Einziehung übermäßig ist, könnte sie sich für die sofortige Zahlung der Steuer entscheiden.“

47.      Er fügt in Randnr. 74 des Urteils hinzu, dass auch das Risiko der Nichteinziehung der Steuer zu bedenken ist, das sich mit der Zeit erhöht. Diesem Risiko kann der Wegzugsstaat im Rahmen seiner für aufgeschobene Zahlungen von Steuerschulden geltenden nationalen Regelung durch Maßnahmen wie die Stellung einer Bankgarantie begegnen.

48.      Die Gesichtspunkte, die sich für die erste Rüge der vorliegenden Klage aus dem Urteil National Grid Indus ergeben, folgen aus den drei Ebenen der vom Gerichtshof in diesem Urteil vorgenommenen Analyse, nämlich derjenigen der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit, der Beschränkung dieser Freiheit und der Rechtfertigung des Art. 76 A CIRC.

49.      Hinsichtlich des ersten Punktes ist es offensichtlich, dass vom Rechtlichen her Unterschiede zwischen dem der Rechtssache National Grid Indus zugrunde liegenden Sachverhalt und der streitigen portugiesischen Regelung bestehen. Während nämlich das Königreich der Niederlande der Gründungstheorie folgt und daher seine Rechtsvorschriften, wie der Sachverhalt dieser Rechtssache zeigt, ohne Vorbehalt die Möglichkeit einräumen, die tatsächliche Leitung einer niederländischen Gesellschaft ohne Änderung ihrer Rechtspersönlichkeit zu verlegen, wenn der satzungsmäßige Sitz in den Niederlanden verbleibt, wendet die Republik Portugal diese Theorie nicht an.

50.      Anders als die deutsche Regierung in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs zu meinen scheint, verlangt das portugiesische Recht dennoch nicht die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft vor der Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat, weshalb sich vorliegend die Frage nach der Auswirkung eines solchen Erfordernisses auf die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit nicht stellt. Unstreitig nämlich gestattet insbesondere Art. 3 Abs. 4 des Código das sociedades comercias (Gesetzbuch über Handelsgesellschaften) den Gesellschaften portugiesischen Rechts, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in ein anderes Land unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit zu verlegen, vorausgesetzt allerdings, die Rechtsvorschriften dieses Landes lassen dies zu.

51.      Die in Art. 3 Abs. 4 des Código das sociedades comercias aufgestellte Voraussetzung kann es meines Erachtens einer portugiesischen Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, aus den folgenden drei Gründen nicht verwehren, sich gegenüber dem Wegzugsstaat auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen.

52.      Zunächst deswegen, weil die von den portugiesischen Rechtsvorschriften vorgesehene Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit der wegziehenden Gesellschaft es dieser Gesellschaft gerade ermöglichen soll, sich in eine Gesellschaft des nationalen Rechts des Aufnahmestaats umzuwandeln und sich damit auf die Niederlassungsfreiheit gegenüber dem Wegzugs- (oder Gründungs-) Mitgliedstaat zu berufen. In Randnr. 112 des Urteils Cartesio(27), auf die sich das Urteil National Grid Indus in Randnr. 30 im Übrigen ausdrücklich bezieht, stellte der Gerichtshof daher fest, dass die Befugnis eines Mitgliedstaats, einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich in einem anderen Mitgliedstaat neu organisieren möchte „– die keinesfalls irgendeine Freistellung des nationalen Rechts über die Gründung und Auflösung von Gesellschaften von der Beachtung der Vorschriften des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit impliziert – insbesondere nicht rechtfertigen [kann], dass der Gründungsmitgliedstaat die Gesellschaft … daran hindert, sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht dieses anderen Mitgliedstaats umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich ist“.

53.      Sodann, weil die portugiesische Regierung, worauf ich bereits in der Darstellung des Vorbringens der Beteiligten hingewiesen habe, in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs nunmehr einräumt, dass Art. 43 EG sehr wohl auf die Situation einer Gesellschaft, die in den Anwendungsbereich des Art. 76 A CIRC fällt, Anwendung findet, da dieser Gesellschaft nach dem portugiesischen Gesellschaftsrecht die Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit gestattet ist.

54.      Schließlich, weil die Frage einer eventuellen Beschränkung der grenzüberschreitenden Neugründung einer Gesellschaft durch den Aufnahmemitgliedstaat in Bezug auf das Recht des Letzteren geregelt werden muss – eine Frage, die im Übrigen in der gegenwärtig beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache VALE aufgeworfen wird(28) – und nicht von dem Herkunftsmitgliedstaat geltend gemacht werden könnte, um eine Gesellschaft daran zu hindern, sich ihm gegenüber auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen.

55.      In Bezug auf den zweiten Punkt, d. h. bezüglich des beschränkenden Charakters der sofortigen Besteuerung der latenten Wertzuwächse zum Zeitpunkt der Sitzverlegung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat, bestreiten die portugiesische Regierung und die zu ihrer Unterstützung beigetretenen Regierungen im Licht des Urteils National Grid Indus grundsätzlich nicht mehr, dass im Hinblick auf das Recht des Wegzugsstaats eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, sich bezüglich der Besteuerung der Wertzuwächse beim Vermögen, das im ersten Mitgliedstaat vor der Sitzverlegung entstanden ist, in einer Lage befindet, die objektiv der Lage einer Gesellschaft entspricht, die ebenfalls nach dem Recht des ersten Mitgliedstaats gegründet wurde und die ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat beibehält.

56.      Die portugiesische Regierung macht jedoch im Wesentlichen geltend, dass beide Gesellschaften im Rahmen des portugiesischen Rechts derselben Steuerregelung unterlägen und dass daher, anders als in dem dem Urteil National Grid Indus zugrunde liegenden Sachverhalt, eine portugiesische Gesellschaft, die sich auf Art. 43 EG berufen möchte, im Vergleich zu einer Gesellschaft, die ihren Sitz in Portugal beibehalte, keinen Liquiditätsnachteil erleiden würde.

57.      Dieses Argument überzeugt mich nicht, aus dem einfachen Grund, dass, wie aus der Zusammenfassung in Nr. 28 dieser Schlussanträge hervorgeht, die portugiesische Regierung, um das Vorliegen einer Ungleichbehandlung zu verneinen, Sachverhalte vergleicht, die sich nicht entsprechen. Es kann nämlich bezüglich der streitigen Besteuerung nicht davon ausgegangen werden, dass die Situation einer Gesellschaft, die zwar ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, gleichwohl aber ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit vollständig mit Hilfe der dieser Tätigkeit zugerechneten Vermögenswerte nachgeht, mit der einer Gesellschaft objektiv vergleichbar ist, die ihren Sitz in Portugal beibehält, deren Vermögenswerte aber nicht mehr der steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit zugerechnet werden. Der Steuertatbestand ist in den beiden Fällen verschieden.

58.      Für den Fall eines Inlandssachverhalts dagegen, bei dem die Vermögenswerte der wirtschaftlichen Tätigkeit der portugiesischen Gesellschaft, die ihren Sitz innerhalb Portugals verlegt, zugeordnet bleiben, ist die portugiesische Regierung der Behauptung der Kommission, dass die Wertzuwächse bei diesen Vermögenswerten erst im Augenblick ihrer tatsächlichen Realisierung besteuert würden, nicht entgegengetreten.

59.      Mich überzeugt ferner nicht das vor allem in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument der portugiesischen Regierung, wonach auch die Berücksichtigung der in Portugal bis zum Zeitpunkt der Verlegung entstandenen Wertverluste durch die portugiesischen Rechtsvorschriften dazu führe, dass das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu verneinen sei.

60.      Hierzu genügt nämlich der Hinweis, dass dies auch bei der niederländischen Regelung so war, die zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat eine „Schlussrechnung“ vorschrieb, die aufgrund des steuerpflichtigen Gewinns der betreffenden Gesellschaft in den Niederlanden erstellt wird(29). Dass sich der Gerichtshof aufgrund der besonderen Umstände der Rechtssache National Grid Indus nicht mit der Frage der in den Niederlanden entstandenen nicht realisierten Wertverluste befasste, bedeutet nicht, dass die portugiesischen Rechtsvorschriften nicht geeignet sind, die Niederlassungsfreiheit zu beeinträchtigen. Zudem finden diese Rechtsvorschriften auch Anwendung, wenn, wie in der Rechtssache National Grid Indus, eine portugiesische Gesellschaft, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen möchte, in Portugal ausschließlich nicht realisierte Wertzuwächse bei ihren Vermögenswerten akkumuliert hat.

61.      Ich gelange somit zu dem Ergebnis, dass Art. 76 A CIRC eine nach Art. 43 EG grundsätzlich verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit beinhaltet.

62.      In Bezug auf den dritten Punkt, der die Rechtfertigung dieser Beschränkung betrifft, möchte ich daran erinnern, dass die portugiesische Regierung in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs nach Erlass des Urteils National Grid Indus einräumt, dass, wenn der Gerichtshof, wie ich vorschlage, feststellen sollte, dass Art. 76 A CIRC tatsächlich die Ausübung der Niederlassungsfreiheit beschränkt, es ihre Aufgabe wäre, in ihr nationales Recht die Möglichkeit aufzunehmen, dass die Gesellschaften, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen möchten, zwischen der sofortigen Zahlung und der aufgeschobenen Einziehung der Steuer auf die in Portugal entstandenen latenten Wertzuwächse beim Vermögen dieser Gesellschaften wählen können.

63.      Da Art. 76 A CIRC die Ausübung dieses Wahlrechts tatsächlich behindert, könnte das Eingeständnis der portugiesischen Regierung als ausreichend angesehen werden, um der Rüge der Kommission, wonach das Erfordernis in der genannten Bestimmung in Bezug auf das im Allgemeininteresse liegende Ziel der Sicherung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten unverhältnismäßig sei, stattzugeben.

64.      Zuvor ist jedoch noch auf das Vorbringen einiger am Verfahren beteiligter Regierungen einzugehen, wonach die Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil National Grid Indus über die Erforderlichkeit eines solchen Wahlrechts durch die Besonderheit des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts bedingt gewesen seien und die Gesetzgeber anderer Mitgliedstaaten nicht verpflichten würden, diese Möglichkeit in ihre innerstaatliche Rechtsordnung aufzunehmen.

65.      Das Verfahren National Grid Indus war zwar sicher insofern ungewöhnlich, als die betreffende Gesellschaft nur einen finanziellen Vermögenswert besaß. Die grenzüberschreitende Nachverfolgung eines solchen Vermögenswerts der Gesellschaft, die die Entscheidung für die aufgeschobene Einziehung der Steuerschuld hinsichtlich eines vor der Sitzverlegung entstandenen und zum Zeitpunkt der genannten Verlegung festgestellten Wertzuwachses mit sich bringt, ist daher im Allgemeinen einfach.

66.      In seiner aktuellen Fassung lässt Art. 76 A CIRC jedoch selbst in einem Fall, der mit dem des Urteils National Grid Indus identisch oder vergleichbar ist, die in Randnr. 73 des Urteils - wiedergegeben in Nr. 46 dieser Schlussanträge - angeführte Wahl nicht zu. Gegenwärtig wäre eine portugiesische Gesellschaft in einem Fall, der mit dem des Urteils National Grid Indus identisch oder vergleichbar wäre, somit gezwungen, die sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse bei einem oder mehreren finanziellen Vermögenswerten gerichtlich anzufechten.

67.      Folglich sehe ich entgegen den Ausführungen einiger am Verfahren beteiligter Regierungen nicht, wie die Portugiesische Republik Art. 76 A CIRC aufrechterhalten kann.

68.      Dies bedeutet nicht, dass die Portugiesische Republik bei der Entscheidung über Maßnahmen, die die Niederlassungsfreiheit weniger als die sofortige Entrichtung der streitigen Steuer beschränken, gezwungen wäre, der betreffenden Gesellschaft nur die Möglichkeit einzuräumen, sich für die aufgeschobene Zahlung der zum Zeitpunkt der Sitzverlegung festgestellten Steuerschuld zu entscheiden. Insbesondere ist es nicht ausgeschlossen, wie die deutsche Regierung in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs ausgeführt hat, dass es eine im Hinblick auf das Ziel der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten angemessene und verhältnismäßige Maßnahme darstellen kann, den Gesellschaften auch die Wahl zu lassen, die zum Zeitpunkt der Sitzverlegung festgestellte Steuerschuld in Raten zu begleichen, z. B. in jährlich fällig werdenden Beträgen oder entsprechend der Realisierung der Wertzuwächse.

69.      Abgesehen davon jedoch, dass die Kommission in ihrer Klage einen solchen Vorschlag nicht gemacht hat und die Entscheidung über Alternativmaßnahmen für eine Regelung, die eine der vertraglichen Grundfreiheiten beschränkt, dem betreffenden Mitgliedstaat obliegt, genügt, um der ersten Rüge der Kommission stattzugeben, die Feststellung, dass Art. 76 A CIRC keine Alternative zu dem Erfordernis bietet, dass die Steuer auf die Wertzuwächse bei einem oder in mehreren Vermögensgegenständen einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, sofort zu entrichten ist, einschließlich Fällen, in denen die Art und der Umfang des Gesellschaftsvermögens die grenzüberschreitende Nachverfolgung der Vermögensgegenstände, bei denen zum Zeitpunkt der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung der betreffenden Gesellschaft ein Wertzuwachs festgestellt wurde, leicht ermöglichen(30).

70.      In Anbetracht meiner vorstehenden Ausführungen braucht der Gerichtshof auch nicht unbedingt auf die im Übrigen sehr lebhafte Debatte einzugehen, die die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung über zwei im Urteil National Grid Indus angestellte Erwägungen im Zusammenhang mit der Option einer aufgeschobenen Zahlung der Steuer geführt haben.

71.      Sollte jedoch der Gerichtshof beschließen, über diese Aspekte zu entscheiden, ist Folgendes auszuführen.

72.      Ich erinnere daran, dass der Gerichtshof in den Randnrn. 73 bzw. 74 des Urteils National Grid Indus zum einen anerkannte, dass die Aufschiebung der Zahlung „gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der geltenden nationalen Regelung“ erfolgen kann, und zum anderen einräumte, dass „der [Wegzugs-]Mitgliedstaat im Rahmen seiner für aufgeschobene Zahlungen von Steuerschulden geltenden nationalen Regelung durch Maßnahmen wie die Stellung einer Bankgarantie [dem mit der aufgeschobenen Zahlung verbundenen Risiko der Nichteinziehung der Steuer, das sich mit der Zeit erhöht] begegnen [kann]“.

73.      Während die portugiesische Regierung und die meisten der am Verfahren beteiligten Regierungen im Wesentlichen ausführen, dass diese Erfordernisse in allen Fällen gelten müssten, in denen von der Option der aufgeschobenen Zahlung Gebrauch gemacht werde, ist die Kommission der Auffassung, dass die Erhebung von Verzugszinsen ihrem Wesen nach diskriminierend sei, da von den gebietsansässigen Steuerpflichtigen die Zahlung der Steuer erst später ohne Zinsen verlangte werde, und meint bezüglich der Stellung einer Bankgarantie ebenso wie die dänische Regierung, dass diese nur gefordert werden könne, wenn ein reales und nachgewiesenes Risiko der Nichteinziehung der Steuer bestehe.

74.      Bezüglich der Zinsen – und unabhängig von der semantischen Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor allem zwischen der deutschen Regierung und der Kommission, in deren Rahmen die Erstgenannte sich auf Stundungs- oder Beitreibungszinsen berufen und die Würdigung der Zweitgenannten in Frage gestellt hat – weise ich darauf hin, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten zulasten der Steuerpflichtigen auf den Betrag der Steuerforderung gelegentlich als „Verzugszinsen“ bezeichnete Zinsen erhebt, und zwar auch in dem Fall, dass für die Steuerschuld ein Zahlungsaufschub gewährt wird(31). Ohne dessen sicher zu sein, ist dies meines Erachtens der Fall, auf den sich die Ausführung des Gerichtshofs in Randnr. 73 des Urteils National Grid Indus bezieht.

75.      Die Kritik der Kommission, dieses Erfordernis sei diskriminierend, hat meines Erachtens keine Aussicht auf Erfolg.

76.      Wenn nämlich in einem Fall, in dem der Sitz im Inland verlegt wird, derartige Zinsen nicht verlangt werden, so ganz einfach deshalb, weil der Betrag dieser Steuerschuld erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung der Wertzuwächse festgestellt und fällig wird. Zu diesem Zeitpunkt ist die Steuerschuld zu bezahlen, ohne dass grundsätzlich ein Zahlungsaufschub gewährt wird(32). Da demgegenüber die Mitgliedstaaten bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, wie das Urteil National Grid Indus bestätigt, den Betrag der fälligen Steuerschuld, die im Zusammenhang mit den latenten Wertzuwächsen beim Vermögen einer ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegenden Gesellschaft steht, zum Zeitpunkt dieser Verlegung festsetzen dürfen, die tatsächliche Zahlung jedoch aufgeschoben ist, können die auf diesen Betrag zu leistenden Zinsen den Zinsen gleichgesetzt werden, die für einen dieser Gesellschaft gewährten Kredit zu zahlen sind.

77.      Sieht folglich ein Mitgliedstaat in der für die Einziehung der Steuerforderungen allgemein geltenden Regelung vor, dass die Entscheidung für eine aufgeschobene Zahlung mit Zinsen verbunden ist, ist nach dem Äquivalenzgrundsatz kein sachlicher Grund ersichtlich, hiervon den Fall einer Gesellschaft auszunehmen, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und deren Steuerschuld im Wegzugsmitgliedstaat zum Zeitpunkt dieser Verlegung festgestellt wurde.

78.      Die Stellung einer Bankgarantie ist eine Frage, die meines Erachtens schwieriger zu beantworten ist. Der Gerichtshof zieht sie in Randnr. 74 des Urteils National Grid Indus zwar nur als eine Maßnahme unter mehreren in Betracht, doch könnte die systematische Anwendung dieser Anforderung mit dem Ziel, die Einziehung der Steuer im Zusammenhang mit ihrer aufgeschobenen Zahlung zu gewährleisten, eine genauso beschränkende Wirkung haben wie ihre sofortige Zahlung zum Zeitpunkt der Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat, da sie dazu führen kann, dass der Steuerpflichtige an der Nutzung der als Sicherheit geleisteten Vermögenswerte gehindert wird.

79.      Im Übrigen erinnere ich daran, dass in den Urteilen Lasteyrie du Saillant(33) und N(34) der Gerichtshof die Stellung von Sicherheiten, die von natürlichen Personen gefordert worden waren, die ihren steuerlichen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hatten und einen Zahlungsaufschub für die Steuer auf die latenten Wertzuwächse bei Wertpapieren erhalten wollten, im Hinblick auf die von den Mitgliedstaaten verfolgten Ziele des Allgemeininteresses für unverhältnismäßig erklärte(35). Im Urteil N erläuterte der Gerichtshof, dass es Mittel gibt, die die Grundfreiheiten weniger einschränken, wie die Verfahren der gegenseitigen Unterstützung auf Unionsebene, insbesondere im Bereich der Beitreibung der Steuerforderungen(36).

80.      Der Gerichtshof hat diese Verfahren in Randnr. 74 des Urteils National Grid Indus nicht erwähnt, doch bedeutet dieses Schweigen nicht, dass er den Mitgliedstaaten eine Blankovollmacht erteilen wollte, aufgrund deren sie eine Maßnahme (Zahlungsaufschub verbunden mit einer Bankgarantie) einführen konnten, deren Wirkungen genauso beschränkend wie die (sofortige Zahlung) sein können, die er in den vorhergehenden Randnummern des Urteils als eine unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreit angesehen hatte.

81.      Um sowohl die innere Kohärenz der Erwägungen des Gerichtshofs im Urteil National Grid Indus als auch ihre äußere Kohärenz mit den Urteilen Lasteyrie du Saillant und N zu wahren, ist daher das Erfordernis der Stellung einer Bankgarantie, mit der die Option der aufgeschobenen Einziehung der Steuerschuld verbunden werden kann, eng auszulegen.

82.      Ich teile insoweit im Wesentlichen die von der Kommission und der dänischen Regierung vertretene Auffassung, wonach eine solche Garantie nur gefordert werden kann, wenn eine reale und ernsthafte Gefahr einer Nichteinziehung der Steuerforderung besteht. Entgegen der Ansicht, die die französische Regierung in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs und in der mündlichen Verhandlung vertreten hat, bin ich überdies der Meinung, dass die Höhe der erforderlichen Bankgarantie nicht der gestundeten Steuerforderung entsprechen darf, da sonst faktisch eine ebenso beschränkende Maßnahme wie die der sofortigen Zahlung der Steuer zum Zeitpunkt der Sitzverlegung eingeführt würde. Die Garantie muss allerdings gemessen an den Umständen des Einzelfalls ausreichend sein.

83.      In Anbetracht dieser Überlegungen schlage ich, wie bereits ausgeführt, vor, der ersten von der Kommission in ihrer Klage erhobenen Rüge stattzugeben.

2.      Sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse bei dem Vermögen, das der portugiesischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zugeordnet ist, wenn die Tätigkeit dieser Betriebsstätte im portugiesischen Hoheitsgebiet eingestellt wird oder das Vermögen in das Ausland verlagert wird (Art. 76 B CIRC)

a)      Sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse bei dem Vermögen, das der portugiesischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zugeordnet ist, wenn die Tätigkeit dieser Betriebsstätte im portugiesischen Hoheitsgebiet eingestellt wird (Art. 76 B Buchst. a CIRC)

i)      Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten

84.      Die Kommission ist der Auffassung, die Ausführungen über den beschränkenden Charakter und die Unverhältnismäßigkeit des Art. 76 A CIRC gälten auch für den von Art. 76 B Buchst. a CIRC erfassten Sachverhalt. Es sei daher nicht gerechtfertigt, die latenten Wertzuwächse bei dem Vermögen, das einer portugiesischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zugeordnet sei, ausnahmslos einer sofortigen Besteuerung zu unterwerfen, wenn die Tätigkeit dieser Betriebsstätte im portugiesischen Hoheitsgebiet eingestellt werde.

85.      Die portugiesische Regierung verweist ebenfalls auf ihre schriftsätzlichen Ausführungen zu Art. 76 A CIRC. In ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs trägt sie ergänzend vor, das Urteil National Grid Indus erfasse zwar nicht unmittelbar den von Art. 76 B Buchst. a CIRC geregelten Sachverhalt, doch sei Randnr. 57 dieses Urteils einschlägig. Sollte der Gerichtshof das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit feststellen, dürfte die Portugiesische Republik, wenn sie nicht die sofortige Einziehung der Steuer verlangen könne, jedenfalls die aufgeschobene Zahlung einführen, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen und, mit Rücksicht auf das Risiko der Nichteinziehung, gegen Stellung einer Bankgarantie.

86.      Die am Verfahren beteiligten Regierungen nehmen bezüglich der Bedeutung, die das Urteil National Grid Indus für den von Art. 76 B Buchst. a CIRC geregelten Sachverhalt hat, unterschiedliche Standpunkte ein. Während die spanische und die niederländische Regierung der Auffassung sind, das Urteil finde in vollem Umfang auf den genannten Sachverhalt Anwendung, und Erstere hinzufügt, dem Steuerpflichtigen müsse die Wahl zwischen der sofortigen Zahlung und der aufgeschobenen Zahlung des Steuerbetrags gelassen werden, sind die deutsche und die schwedische Regierung der Meinung, dass das genannte Urteil diesen Sachverhalt nicht berühre, da in dem Fall, dass die Tätigkeit einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat eingestellt werde, nur die sofortige Einziehung des Steuerbetrags angemessen sei.

ii)    Würdigung

87.      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass mit der Niederlassungsfreiheit für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht verbunden ist, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, eine Zweigniederlassung oder eine Agentur auszuüben(37).

88.      Ferner können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Behinderungen der Niederlassungsfreiheit insbesondere entstehen, wenn ein Unternehmen aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften davon abgehalten werden könnte, untergeordnete Einheiten – wie etwa Betriebsstätten – in anderen Mitgliedstaaten zu gründen und seine Tätigkeiten über diese Einheiten auszuüben(38).

89.      Diese Beurteilung erfolgte in Bezug auf die Steuerregelung des Herkunftsmitgliedstaats der Gesellschaft, nicht aber in Bezug auf die des Aufnahmemitgliedstaats ihrer Betriebsstätte.

90.      Anders als in dem vorstehend untersuchten Fall, in dem eine portugiesische Gesellschaft, für die die Portugiesische Republik ihre Besteuerungsbefugnisse als Herkunftsmitgliedstaat ausübt, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, gehört die in Art. 76 B Buchst. a CIRC geregelte Erhebung einer Abgabe auf die latenten Wertzuwächse bei Einstellung der Tätigkeit der in Portugal gelegenen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zur Ausübung der Befugnisse dieses Mitgliedstaats in seiner Eigenschaft als Aufnahmestaat der genannten Betriebsstätte.

91.      Nach Art. 43 EG ist der Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet, die Inländerbehandlung zu sichern(39).

92.      Folglich ist der Inlandssachverhalt zu ermitteln, der mit dem Sachverhalt einer gebietsfremden Gesellschaft, deren Betriebsstätte ihre Tätigkeiten in Portugal einstellt, vergleichbar ist und in Bezug auf den gegebenenfalls eine diskriminierende Ungleichbehandlung festgestellt werden könnte.

93.      Die Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits haben diese Frage kaum erörtert.

94.      Mir scheint allerdings, dass der Sachverhalt einer Betriebsstätte nach Art. 76 B Buchst. a CIRC mit dem Sachverhalt einer in Portugal ansässigen Betriebsstätte einer in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft objektiv vergleichbar ist.

95.      Mir ist zwar durchaus bewusst, dass, wie die deutsche Regierung betont hat, die die Vergleichbarkeit dieser Sachverhalte bestreitet, bei einem reinen Inlandssachverhalt Betriebsstätte und Stammhaus ein Steuersubjekt bilden, wohingegen die Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft nach internationaler Rechtspraxis, wie sich insbesondere in den Art. 5 und 7 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (im Folgenden: OECD-MA) zeigt, als eine selbständige steuerliche Einheit angesehen wird(40). Daher geht die portugiesische Regierung auch entsprechend der in Art. 7 des OECD-MA geregelten Zuständigkeitsaufteilung davon aus, dass die Republik Portugal ihre Besteuerungsbefugnis grundsätzlich nur für die Gewinne ausübt, die der Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats zugeordnet sind. Das Unionsrecht untersagt weder diese Art der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten noch insoweit die Einordnung einer Betriebsstätte als selbständige steuerliche Einheit(41), d. h. entsprechend einem Unternehmen, das den geschäftlichen Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte es ist, in völliger Unabhängigkeit abwickelt.

96.      Dies bedeutet meines Erachtens jedoch nicht, dass der Sachverhalt der beiden Betriebsstätten – die eine im grenzüberschreitenden Zusammenhang, die andere im innerstaatlichen Zusammenhang – objektiv nicht vergleichbar sein kann, weil die Portugiesische Republik ihre Besteuerungsbefugnis letztlich nur im ersten Fall verliert, sobald das Vermögen in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wird.

97.      Wäre dies der Fall, hätte der Gerichtshof diese Überlegungen auch im Urteil National Grid Indus im Hinblick auf den Sachverhalt einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats anstellen müssen, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und für die der Herkunftsmitgliedstaat aufgrund der Sitzverlegung seine Besteuerungsbefugnis verliert, im Vergleich zu dem Sachverhalt einer Gesellschaft, die ihren Sitz innerhalb des Hoheitsgebiets des ersten Mitgliedstaats verlegt und für die die Besteuerungsbefugnis dieses Mitgliedstaats erhalten bleibt. Wie bereits vorgetragen, hat der Gerichtshof diese beiden Sachverhalte jedoch als objektiv vergleichbar angesehen.

98.      Ferner ist der Gerichtshof im Urteil Lidl Belgium nicht davon ausgegangen, dass die Bestimmungen des OECD-MA es verbieten, den Sachverhalt einer Betriebsstätte einer in demselben Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft mit dem Sachverhalt einer Betriebsstätte einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft zu vergleichen, um eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu erkennen(42). Außerdem ist die Verleihung der Eigenschaft einer selbständigen steuerlichen Einheit an die Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft unstreitig eine Fiktion, die allein zu dem Zweck erfolgt, die Ausübung der zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten aufgeteilten Besteuerungsbefugnis zu erleichtern(43).

99.      Angesichts des herangezogenen Vergleichskriteriums ist somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit festzustellen, denn anders als bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt führt die Einstellung der Tätigkeit der nationalen Betriebsstätte einer portugiesischen Gesellschaft nicht zur Besteuerung der latenten Wertzuwächse bei den Vermögenswerten, die auf die genannte Gesellschaft übertragen werden.

100. Die portugiesische Regierung vertritt die Auffassung, dass die Einstellung der Tätigkeit einer Betriebsstätte und die Übertragung ihrer Vermögenswerte in einen anderen Mitgliedstaat dem Fall gleiche, dass bei einem reinen Inlandssachverhalt die Zuordnung der betreffenden Vermögenswerte zu einer Wirtschaftstätigkeit aufgehoben werde. Da in beiden Fällen die latenten Wertzuwächse besteuert würden, fehle es an einer Ungleichbehandlung.

101. Dieses Argument überzeugt mich aus denselben Gründen nicht, die ich vorstehend zu dem Fall einer Gesellschaft dargelegt habe, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt: Die Vermögenswerte, die einer Betriebsstätte zuzuordnen sind, die das portugiesische Hoheitsgebiet verlässt, werden weiterhin der Wirtschaftstätigkeit dieser Betriebsstätte zugeordnet, selbst wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt wird. Meines Erachtens kann daher für die Anwendung der vom Vertrag geschützten Niederlassungsfreiheit nicht davon ausgegangen werden, dass die Einstellung jeder wirtschaftlichen Tätigkeit mit der Einstellung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines bestimmten Mitgliedstaats vergleichbar ist.

102. Entgegen den Ausführungen der portugiesischen Regierung in der mündlichen Verhandlung bin ich nicht der Meinung, dass die Feststellung in Randnr. 57 des Urteils National Grid Indus diese Schlussfolgerung in Frage stellen kann. Zwar stellte der Gerichtshof dort fest, dass „[d]ie Vermögenswerte einer Gesellschaft … unmittelbar wirtschaftlichen Tätigkeiten zugewiesen [sind], die auf Gewinn ausgerichtet sind“, doch erfolgte diese Erwägung nicht im Zusammenhang mit dem beschränkenden Charakter der niederländischen Regelung, sondern im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, da die Regelung nicht die Wertminderungen berücksichtigte, die nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft eingetreten waren. Daher lässt Randnr. 57 des Urteils National Grid Indus nicht den Schluss zu, dass die Aufhebung der Zuordnung der Vermögenswerte einer Betriebsstätte zu einer Wirtschaftstätigkeit in einem Mitgliedstaat einerseits und die Überführung der Vermögenswerte bei der Einstellung der Tätigkeit der genannten Betriebsstätte im ersten Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat vergleichbare Sachverhalte sind.

103. Wie die Kommission und die niederländische Regierung in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichtshofs vorgetragen haben, können ähnliche Erwägungen wie zu den Gesellschaften, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, auch zu dem Sachverhalt angestellt werden, dass nicht realisierte Wertzuwächse, die aus den einer Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerten entstanden sind, bei Einstellung der Tätigkeit dieser Betriebsstätte im portugiesischen Hoheitsgebiet einer sofortigen Besteuerung unterliegen.

104. Bezüglich insbesondere der Verhältnismäßigkeit der nationalen Maßnahme ist festzustellen, dass unabhängig von Art und Umfang des der Betriebsstätte zugeordneten Vermögens die Einstellung ihrer Tätigkeit in Portugal in jedem Fall die sofortige Entrichtung der Steuer auf die latenten Wertzuwächse bei den dieser Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerten nach sich zieht.

105. Diese Feststellung genügt meines Erachtens, um der Rüge der Kommission bezüglich Art. 76 B Buchst. a CIRC stattzugeben.

b)      Sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse bei dem Vermögen, das der portugiesischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft zugeordnet ist, wenn das Vermögen in das Ausland verlagert wird (Art. 76 B Buchst. b CIRC)

i)      Zusammenfassung des Vorbringens der Beteiligten

106. Nach Auffassung der Kommission unterscheidet sich dieser Sachverhalt nicht grundsätzlich von den bereits untersuchten Sachverhalten. Da die gebietsfremde Gesellschaft eine Betriebsstätte in Portugal beibehalte und die Vermögenswerte am Sitz oder in einer anderen in der Union ansässigen Betriebsstätte erhalten blieben, gebe es keinen Grund, die Steuer sofort einzuziehen. Das Recht der Portugiesischen Republik, in ihrem Hoheitsgebiet akkumulierte Wertzuwächse bei Vermögenswerten zu besteuern, werde hinreichend durch Maßnahmen geschützt, die die Berechnung des Steuerbetrags zum Zeitpunkt der Überführung von Wirtschaftsgütern gewährleisteten, wobei die Steuer bei der tatsächlichen Realisierung der Wertzuwächse entrichtet werde.

107. Die portugiesische Regierung wiederholt ihre Ausführungen zu den bereits untersuchten Sachverhalten und fügt hinzu, das Urteil National Grid Indus erfasse nicht den Fall, dass die latenten Wertzuwächse bei der Übertragung von Vermögenswerten zwischen einer in Portugal ansässigen Betriebsstätte und dem gebietsfremden Stammhaus oder einer anderen, in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte der gebietsfremden Gesellschaft besteuert würden.

108. Die am Verfahren beteiligten Regierungen teilen im Wesentlichen die Auffassung der portugiesischen Regierung.

109. Die deutsche und die schwedische Regierung führen in erster Linie aus, dass die Übertragung von Vermögensgegenständen zwischen einer portugiesischen Betriebsstätte und dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Stammhaus nicht mit einer entsprechenden Übertragung zwischen einer portugiesischen Betriebsstätte und ihrer portugiesischen Gesellschaft vergleichbar sei.

110. Jedenfalls sind u. a. die deutsche, die niederländische und die schwedische Regierung der Auffassung, dass die sofortige Besteuerung zum Zeitpunkt der Übertragung unbedingt erforderlich sei, um die Aufteilung von Besteuerungsbefugnissen zu erhalten und, nach Auffassung der schwedischen Regierung, um der Gefahr der Steuerumgehung vorzubeugen. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Gewinn- oder Verlustübertragungen sei anwendbar. Die niederländische und die schwedische Regierung weisen ferner darauf hin, dass, anders als in dem Sachverhalt, der dem Urteil National Grid Indus zugrunde liege und in dem nur ein Vermögensgegenstand zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft betroffen gewesen sei, die Übertragung von Vermögenswerten einer Betriebsstätte in einen anderen Mitgliedstaat einen kontinuierlichen Prozess darstelle, der im Allgemeinen sehr schwierig zu verfolgen sei, nicht nur wegen der großen Anzahl der betreffenden Vermögensgegenstände, sondern auch wegen der unterschiedlichen Natur der Vermögensgegenstände, von denen einige, wie die Anlagen, der Abschreibung unterlägen, andere dagegen, wie das Öl, in Waren enthalten seien, die selbst Gegenstand der Übertragung seien. Folglich sei der Aufschub der Steuereinziehung manchmal unmöglich oder jedenfalls sehr schwer durchzuführen.

ii)    Würdigung

111. Bezüglich des beschränkenden Charakters des Art. 76 B Buchst. b CIRC und des Vorbringens der deutschen und der schwedischen Regierung zu der mangelnden Vergleichbarkeit der Vermögensübertragung zum einen zwischen einer in Portugal ansässigen Betriebsstätte und ihrer gebietsfremden Gesellschaft oder einer anderen, in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Betriebsstätte dieser Gesellschaft und zum anderen zwischen einer Betriebsstätte und ihrem Stammhaus, die beide in Portugal ansässig sind, möchte ich auf die hierzu gemachten Ausführungen in den Nrn. 94 bis 99 dieser Schlussanträge verweisen.

112. Auch wenn der Gerichtshof, zumindest implizit, einem Vergleich derartiger Sachverhalte zurückhaltend gegenübersteht(44), möchte ich für alle Fälle darauf hinweisen, dass, wenn man, wie dies mitunter in der Steuerrechtsliteratur vertreten wurde(45), zwei grenzüberschreitende Sachverhalte vergleichen müsste, d. h. denjenigen einer Betriebsstätte, die ihre Vermögensgegenstände auf ihr Stammhaus oder eine andere Betriebsstätte, die beide in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, überträgt, und denjenigen einer portugiesischen Gesellschaft, die ihre Vermögensgegenstände auf eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Betriebsstätte überträgt, die portugiesische Regierung in dem vorliegenden Verfahren deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die Vermögensübertragung im zweiten Fall nicht die Entrichtung einer Steuer auf die latenten Wertzuwächse bei den betreffenden Vermögensgegenständen, die in Portugal entstanden sind, nach sich ziehe.

113. Bezüglich der Rechtfertigung der Beschränkung weise ich darauf hin, dass die Kommission nicht in Frage stellt, dass Art. 76 B Buchst. b CIRC geeignet ist, die Förderung des im Allgemeininteresse liegenden Ziels, das die portugiesische Regierung und die meisten der am Verfahren beteiligten Regierungen angeführt haben, nämlich die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten, zu gewährleisten, ohne dass dieses Ziel zusammen mit dem der Verhütung von Steuerumgehungen gesehen werden muss(46). Die Kommission räumt auch besonders nach dem Urteil National Grid Indus ein, dass die endgültige Feststellung des Steuerbetrags zu dem Zeitpunkt erfolgen könne, zu dem die Vermögensgegenstände in einen anderen Mitgliedstaat verlegt würden.

114. Ich denke, dass der Gerichtshof dies zur Kenntnis nehmen kann.

115. Dagegen verneint die Kommission genauso wie in den vorstehend geprüften Fällen die Verhältnismäßigkeit der sich aus Art. 76 B Buchst. b CIRC ergebenden Beschränkung und vertritt die Auffassung, dass die aufgeschobene Einziehung der Steuer ein geeigneteres Mittel sei.

116. Insoweit haben die portugiesische Regierung und die am Verfahren beteiligten Regierungen im Wesentlichen die Schwierigkeiten und die administrativen Belastungen dargestellt, denen die betreffenden Betriebsstätten, aber auch die Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten bei der Berechnung der geschuldeten Steuer und der Nachverfolgung der übertragenen Vermögensgegenstände angesichts von deren Natur, deren Unterschiedlichkeit und deren Anzahl ausgesetzt wären, wenn die aufgeschobene Einziehung eingeführt würde.

117. Ebenso wie der Gerichtshof im Urteil National Grid Indus(47) habe ich Verständnis für diese Überlegungen. Sie können nämlich in einer Reihe von Fällen, die im Übrigen die große Mehrheit sein können, die Anwendung einer sofortigen Besteuerung rechtfertigen.

118. Wie in den anderen Fällen, die vorstehend geprüft worden sind, stellen diese Überlegungen jedoch auch hier kein Hemmnis dar, das dem Erfolg der dritten Rüge der Kommission entgegenstehen würde.

119. Art. 76 B Buchst. b CIRC findet nämlich allgemein auf die Übertragung eines oder mehrerer Vermögensgegenstände Anwendung, unabhängig von Art und Umfang des Vermögens, das der Betriebsstätte einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft zugeordnet ist. Daher würden auch die latenten Wertzuwächse bei einem einzigen finanziellen Vermögenswert dieser Betriebsstätte, der auf ihr Stammhaus oder eine andere Betriebsstätte dieser Gesellschaft, beide ansässig in einem anderen Mitgliedstaat, übertragen würde, einer sofortigen Besteuerung zum Zeitpunkt der Übertragung unterzogen.

120. Diese Beurteilung genügt meines Erachtens, um der Klage auch in diesem Punkt stattzugeben.

121. Im Übrigen bin ich nicht der Ansicht, dass im Fall des Art. 76 B Buchst. b CIRC, anders als bei der Sitzverlegung einer Gesellschaft oder bei der Einstellung der Tätigkeiten einer Betriebsstätte, die Option der aufgeschobenen Einziehung von der Stellung einer Bankgarantie abhängig gemacht werden kann, da der Mitgliedstaat, in dem die Betriebsstätte ansässig bleibt, seine Besteuerungsbefugnis insoweit behält, und zwar auch nach der Übertragung der genannten Vermögensgegenstände. Die Anwesenheit dieser Betriebsstätte im Hoheitsgebiet des Wegzugsmitgliedstaats wird somit für die Einziehung der Steuerforderung grundsätzlich Sicherheit genug sein können.

122. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, der Klage der Kommission teilweise stattzugeben und sie im Übrigen abzuweisen.

III – Kosten

123. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, schlage ich vor, der Portugiesischen Republik die Kosten aufzuerlegen. Im Einklang mit Art. 69 § 4 der Verfahrensordnung rege ich an, dass die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.

IV – Ergebnis

124. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 43 EG verstoßen hat, dass sie die Rechtsvorschriften der Art. 76 A und 76 B Buchst. a und b des portugiesischen Código do Imposto sobre o Rendimento Pessoas Colectivas (Körperschaftsteuergesetzbuch) erlassen und beibehalten hat, die für die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat bzw. die Einstellung der Tätigkeiten einer Betriebsstätte in Portugal bzw. die Übertragung ihres Vermögens aus Portugal in einen anderen Mitgliedstaat gelten und die in allen Fällen die sofortige Besteuerung der latenten Wertzuwächse beim Vermögen dieser Unternehmenseinheiten zum Zeitpunkt des Wegzugs aus Portugal unabhängig von Art und Umfang des Vermögens der betreffenden Gesellschaften und Betriebsstätten vorsehen;

–        die Klage im Übrigen abzuweisen;

–        der Portugiesischen Republik die Kosten der Europäischen Kommission aufzuerlegen;

–        über die Kosten des Königreichs Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, des Königreichs Spanien, der Französischen Republik, des Königreichs der Niederlande, der Republik Finnland, des Königreichs Schweden sowie des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland nach Rechtslage zu entscheiden.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Da die Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission gesetzt worden war, im Februar 2009 ablief, muss auf die Bestimmungen des EG-Vertrags Bezug genommen werden.


3 – Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994, L 1, S. 3).


4 – Das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland.


5 – Vgl. die beim Gerichtshof anhängigen Rechtssachen Kommission/Spanien (C-64/11, ABl. C 113, S. 8), Kommission/Dänemark (C-261/11, ABl. C 238, S. 5) und Kommission/Niederlande (C-301/11, ABl. C 252, S. 10).


6 – C-371/10, Slg. 2011, I-12273.


7 – Urteil National Grid Indus (Randnr. 86 sowie Nr. 2 zweiter Gedankenstrich des Tenors).


8 – Vgl. u. a. Urteile vom 31. März 1992, Kommission/Italien (C-362/90, Slg. 1992, I-2353, Randnr. 8), vom 26. April 2007, Kommission/Finnland (C-195/04, Slg. 2007, I-3351, Randnr. 21), vom 3. Juni 2010, Kommission/Spanien (C-487/08, Slg. 2010, I-4843, Randnr. 70), und vom 24. Mai 2011, Kommission/Österreich (C-53/08, Slg. 2011, I-4309, Randnr. 128).


9 – Vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien (C-365/97, Slg. 1999, I-7773, Randnr. 35), vom 10. April 2003, Kommission/Portugal (C-392/99, Slg. 2003, I-3373, Randnr. 133), und vom 22. September 2005, Kommission/Belgien (C-221/03, Slg. 2005, I-8307, Randnr. 37).


10 – Vgl. Urteile vom 29. September 1998, Kommission/Deutschland (C-191/95, Slg. 1998, I-5449, Randnr. 55), vom 14. Juni 2007, Kommission/Belgien (C-422/05, Slg. 2007, I-4749, Randnr. 25), vom 18. Dezember 2007, Kommission/Spanien (C-186/06, Slg. 2007, I-12093, Randnr. 15), vom 10. September 2009, Kommission/Portugal (C-457/07, Slg. 2009, I-8091, Randnr. 55), und vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich (C-535/07, Slg. 2010, I-9483, Randnr. 41).


11 – Ebd.


12 – Vgl. Urteile vom 11. Juli 1984, Kommission/Italien (51/83, Slg. 1984, 2793, Randnrn. 6 und 7), vom 18. Dezember 2007, Kommission/Spanien (Randnr. 15), und vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich (Randnr. 41).


13 – Vgl. Randnr. 2 der Antwort vom 6. April 2009, die der Klageschrift als Anlage beigefügt ist.


14 – Vgl. Urteile vom 10. Dezember 2009, Kommission/Vereinigtes Königreich (C-390/07, Randnr. 339), und vom 3. Juni 2010, Kommission/Spanien (Randnr. 71).


15 – Randnr. 26 des Urteils.


16 – Randnr. 27 des Urteils.


17 – Randnrn. 28 und 31 des Urteils.


18 – Randnr. 32 des Urteils.


19 – Vgl. Randnr. 37 des Urteils.


20 – Randnr. 38 des Urteils.


21 – Randnr. 48 des Urteils.


22 – Vgl. insbesondere Randnrn. 56 und 64 des Urteils.


23 – Vgl. Randnrn. 65 und 66 des Urteils.


24 – Randnr. 67 des Urteils.


25 – Vgl. Randnrn. 70 und 71 des Urteils.


26 – Vgl. Randnr. 72 des Urteils.


27 – Urteil vom 16. Dezember 2008 (C-210/06, Slg. 2008, I-9641).


28 – C-378/10. Ich teile insoweit die von Generalanwalt Jääskinen in den Nrn. 70 bis 73 seiner Schlussanträge vom 15. Dezember 2011 in der genannten Rechtssache dargelegte Auffassung, wonach angesichts des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, wie ihn der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung angewandt hat, der Aufnahmemitgliedstaat die grenzüberschreitende Neugründung einer Gesellschaft auch nicht willkürlich allein aus dem Grund verbieten oder verhindern könnte, dass das nationale Gesellschaftsrecht eine solche grenzüberschreitende Neugründung nicht vorsieht.


29 – Vgl. insbesondere Randnr. 22 der Erklärungen der niederländischen Regierung in der Rechtssache National Grid Indus.


30 – Vgl. in diesem Sinne Urteil National Grid Indus (Randnr. 72).


31 – Vgl. z. B. Art. 1727 IV des französischen Code général des impôts (Steuergesetzbuch) und Art. 6 der großherzoglichen Verordnung vom 28. Dezember 1968 zur Durchführung der Art. 155 und 178 des Gesetzes über die Einkommensteuer. Vgl. auch Art. 414 des belgischen Code de l’impôt sur le revenu (Einkommensteuergesetz), der für die aufgeschobene Zahlung der Steuer gilt, sowie Art. 234 der deutschen Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002.


32 – Gewährt jedoch der Mitgliedstaat der betreffenden Gesellschaft die Möglichkeit, die Zahlung der Steuer aufzuschieben, und sieht die nationale Regelung über die Einziehung der Steuerforderungen die Zahlung von Zinsen vor, werden diese erhoben.


33 – Urteil vom 11. März 2004 (C-9/02, Slg. 2004, I-2409, Randnrn. 47, 56 und 57).


34 – Urteil vom 7. September 2006 (C-470/04, Slg. 2006, I-7409, Randnr. 51).


35 – In der Rechtssache Lasteyrie du Saillant konnten die von den französischen Finanzbehörden verlangten Sicherheiten bestehen aus: Barzahlung auf ein Interimskonto der Finanzverwaltung; Schuldverschreibungen auf die Finanzverwaltung; Begebung einer Bürgschaft; Wertpapieren; in staatlich anerkannten Lagern hinterlegten Waren, über die ein auf die Finanzverwaltung indossierter Lagerpfandschein ausgestellt ist; Bestellung einer Hypothek; Verpfändung eines Fonds de commerce. In der Rechtssache N bestand die Sicherheit in der Verpfändung der Anteile des Steuerpflichtigen an einer seiner Gesellschaften.


36 – Urteil N (Randnrn. 51 bis 53).


37 – Vgl. insbesondere Urteile vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN (C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 35), vom 14. Dezember 2000, AMID (C-141/99, Slg. 2000, I-11619, Randnr. 20), vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C-414/06, Slg. 2008, I-3601, Randnr. 18), vom 23. Oktober 2008, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt (C-157/07, Slg. 2008, I-8061, Randnr. 28), und vom 25. Februar 2010, X Holding (C-337/08, Slg. 2010, I-1215, Randnr. 17).


38 – Vgl. Urteil vom 28. Februar 2008, Deutsche Shell (C-293/06, Slg. 2008, I-1129, Randnr. 29). Vgl. auch in diesem Sinne Urteil Lidl Belgium (Randnrn. 19, 20 und 25).


39–      Vgl. insbesondere Urteil Lidl Belgium (Randnr. 19).


40 – Gemäß Art. 5 Abs. 1 des OECD-MA (in der Fassung von Juli 2008, die zur Zeit der Fristsetzung in der mit Gründen versehenen Stellungnahme galt) bezeichnet der Ausdruck „Betriebsstätte“ eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Gemäß Art. 5 Abs. 2 umfasst eine Betriebsstätte insbesondere eine Zweigniederlassung, eine Geschäftsstelle und eine Fabrikationsstätte. Art. 7 Abs. 1 des OECD-MA sieht vor, dass, wenn ein Unternehmen seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt, die Gewinne des Unternehmens im anderen Staat nur insoweit besteuert werden, als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können. Nach Art. 7 Abs. 2 werden dieser Betriebsstätte die Gewinne zugerechnet, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.


41 – Vgl. Urteil Lidl Belgium (Randnr. 22).


42 – Randnrn. 23 bis 25.


43 – Diese Qualifizierung kommt bei der Mehrwertsteuer auf Transaktionen zwischen einer Gesellschaft und ihrer Betriebsstätte nicht zum Tragen, vgl. Urteil vom 23. März 2006, FCE Bank (C-210/04, Slg. 2006, I-2803, Randnrn. 35 bis 41).


44 – Vgl. hierzu Urteil vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services (C-298/05, Slg. 2007, I-10451), im Vergleich zu meinen Schlussanträgen in jener Rechtssache (Nrn. 109 bis 122).


45 – Vgl. u. a. M. Tenore, „The Transfer of Assets From a Permanent Establishment to its General Enterprise in the Light of European Tax Law“, Intertax, 2006, 8/9, S. 389.


46 – Bezüglich des letztgenannten Ziels, das die schwedische Regierung angeführt hat, genügt der Hinweis, dass es als selbständige Rechtfertigung nur in Betracht kommt, wenn das spezifische Ziel der Beschränkung die Verhinderung von Verhaltensweisen ist, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck zu errichten, die Steuer zu umgehen, die normalerweise auf die durch Tätigkeiten im Inland erzielten Gewinne zu zahlen ist, was nicht dargetan worden ist; vgl. u. a. Urteile vom 18. Juni 2009, Aberdeen Property Fininvest Alpha (C-303/07, Slg. 2009, I-5145, Randnr. 63), und vom 21. Januar 2010, SGI (C-311/08, Slg. 2010, I-487, Randnr. 65).


47 – Randnr. 70.