Rechtssache C-504/10
Tanoarch s.r.o.
gegen
Daňové riaditeľstvo Slovenskej republiky
(Vorabentscheidungsersuchen des Najvyšší súd Slovenskej republiky)
„Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Recht auf Vorsteuerabzug – Übertragung eines Anteils an mehreren Unternehmen zustehenden Rechten an einer Erfindung auf ein Unternehmen, das bereits das Recht hat, diese Erfindung insgesamt zu nutzen – Missbräuchliche Praxis“
Leitsätze des Urteils
1. Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Vorsteuerabzug
(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 9 Abs. 1 und Art. 168)
2. Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Vorsteuerabzug – Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug
(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 168)
1. Ein Steuerpflichtiger kann grundsätzlich ein Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer geltend machen, die für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung entrichtet worden ist oder geschuldet wird, wenn das anwendbare nationale Recht die Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, mit dem Rechte an der Erfindung verliehen werden, zulässt.
Der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ umfasst nämlich alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden. Die Begriffe „Lieferungen von Gegenständen“ und „Dienstleistungen“ haben sämtlich objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar. Daher kann die Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, auch wenn für diese noch kein Patent eingetragen wurde, grundsätzlich eine wirtschaftliche Tätigkeit sein, die der Mehrwertsteuer unterliegt. Daraus folgt, dass ein solcher Umsatz ein Recht auf Abzug der entrichteten oder geschuldeten Mehrwertsteuer entstehen lassen kann.
Für die Feststellung, ob die in Rede stehende Übertragung eine Dienstleistung und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem darstellt, kommt es nicht darauf an, ob sie ausschließlich zur Erlangung eines steuerlichen Vorteils getätigt wurde.
(vgl. Randnrn. 45-48, Tenor 1)
2. Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer setzt zum einen voraus, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird.
Was die steuerliche Behandlung einer Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, mit dem Rechte an der Erfindung verliehen werden, angeht, ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand sämtlicher tatsächlicher Umstände, die für eine solche Dienstleistung kennzeichnend sind, festzustellen, ob hinsichtlich des Rechts auf Vorsteuerabzug ein Rechtsmissbrauch vorliegt oder nicht.
(vgl. Randnrn. 52, 54, Tenor 2)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)
27. Oktober 2011(*)
„Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Recht auf Vorsteuerabzug – Übertragung eines Anteils an mehreren Unternehmen zustehenden Rechten an einer Erfindung auf ein Unternehmen, das bereits das Recht hat, diese Erfindung insgesamt zu nutzen – Missbräuchliche Praxis“
In der Rechtssache C-504/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Najvyšší súd Slovenskej republiky (Slowakei) mit Entscheidung vom 28. September 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 2010, in dem Verfahren
Tanoarch s. r. o.
gegen
Daňové riaditeľstvo Slovenskej republiky
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Siebten Kammer sowie der Richter E. Juhász und D. Šváby,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2011,
aufgrund der Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Tanoarch s. r. o. (im Folgenden: Tanoarch) und dem Daňové riaditeľstvo Slovenskej republiky wegen des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer für die Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, für die noch kein Patent eingetragen wurde.
Unionsrecht
3 Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer u. a. Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt.
4 Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
5 Nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie gilt als Dienstleistung jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen darstellt.
6 Art. 25 der Richtlinie bestimmt:
„Eine Dienstleistung kann unter anderem in einem der folgenden Umsätze bestehen:
a) Übertragung eines nicht körperlichen Gegenstands, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht;
b) Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden;
c) Erbringung einer Dienstleistung auf Grund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes.“
7 Art. 62 der Richtlinie sieht vor, dass als „Steuertatbestand“ im Sinne der Richtlinie der Tatbestand gilt, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden.
8 Nach Art. 63 der Richtlinie treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.
9 Gemäß Art. 167 der Richtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
10 Art. 168 der Richtlinie lautet:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
Nationales Recht
11 Nach § 49 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 222/2004 über die Mehrwertsteuer (im Folgenden: Gesetz über die Mehrwertsteuer) in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung entsteht das Recht des Steuerpflichtigen auf Abzug der Mehrwertsteuer für einen Gegenstand oder eine Dienstleistung, wenn der Anspruch auf die Steuer für diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung entsteht.
12 Nach § 49 Abs. 2 dieses Gesetzes kann der Steuerpflichtige von der Steuer, die er zu entrichten hat, vorbehaltlich der Ausnahmen nach den Abs. 3 und 7 die Steuer für Gegenstände und Lieferungen abziehen, die er für die Zwecke seines Unternehmens als Steuerpflichtiger verwendet. Der Steuerpflichtige kann die Steuer abziehen, wenn sie von einem anderen Steuerpflichtigen im Inland für Gegenstände und Dienstleistungen geltend gemacht wird, die dem Steuerpflichtigen geliefert werden oder zu liefern sind.
13 Nach § 51 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes über die Mehrwertsteuer kann der Steuerpflichtige sein Recht auf Vorsteuerabzug nach § 49 dieses Gesetzes geltend machen, wenn er beim Abzug der Steuer nach § 49 Abs. 2 über eine Rechnung des anderen Steuerpflichtigen verfügt.
14 § 10 des Gesetzes Nr. 435/2001 über Patente (im Folgenden: Patentgesetz) in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung sieht vor:
„(1) Das Recht an der Erfindung einschließlich des Rechts auf Anmeldung … steht dem Erfinder zu …
(2) Erfinder ist, wer die Erfindung durch seine eigene schöpferische Tätigkeit hervorgebracht hat.
(3) Miterfinder … haben ein Recht an der Erfindung im Umfang ihres Anteils an der Erfindung. Sofern die Miterfinder nichts anderes vereinbart haben oder sofern ein Gericht nichts anderes entscheidet, gilt der Anteil der Miterfinder an der Erfindung als gleich.“
15 § 12 dieses Gesetzes sieht vor:
„(1) Das Recht an der Erfindung steht auch den … Rechtsnachfolgern zu.
(2) Das Recht an der Erfindung geht in den durch besondere Regelung festgelegten Fällen auf eine andere Person über.
(3) Ein Vertrag über die Übertragung des Rechts an der Erfindung bedarf der Schriftform; andernfalls ist er ungültig.
(4) Die Übertragung oder der Übergang des Rechts an der Erfindung, die nach der Anmeldung erfolgen, stellt gleichzeitig auch eine Übertragung oder einen Übergang der Rechte aus der Anmeldung dar. Die Übertragung oder der Übergang der Rechte aus der Anmeldung erlangt gegenüber Dritten jedoch erst ab dem Tag der Eintragung der Patentanmeldungen in das Register … Gültigkeit; dies gilt nicht für Personen, die von den Tatsachen der Übertragung oder des Übergangs Kenntnis hatten oder nach den Umständen Kenntnis hätten haben müssen.“
16 Die Beziehungen der Miteigentümer eines Patents zueinander sind in § 20 Abs. 1 bis 3 dieses Gesetzes wie folgt geregelt:
„(1) Sofern in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, gelten für die Regelung der Beziehungen der Miteigentümer eines Patents zueinander besondere Bestimmungen.
(2) Der Anteil an einem gemeinschaftlichen Recht am Patent leitet sich aus dem Umfang des Rechts an der Erfindung ab, der auf jeden Miterfinder … in seiner Eigenschaft als Patentinhaber oder Rechtsnachfolger des Patentinhabers entfällt.
(3) Jeder der Mitinhaber hat das Recht, die Erfindung, die Gegenstand des Patents ist, zu nutzen; ausgenommen ist die Gewährung von Nutzungsrechten an der Erfindung an Dritte, sofern die Mitinhaber nichts anderes vereinbaren.“
17 Nach § 37 Abs. 1 und 5 des Patentgesetzes kann die Anmeldung von der Person oder den Personen, die ein Recht an der Erfindung haben, eingereicht werden. Die Anmeldung muss Angaben zur Person des Erfinders oder der Miterfinder und, wenn der Anmelder nicht der Erfinder ist, einen Nachweis über den Erwerb der Rechte an der Erfindung enthalten.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
18 Am 26. Februar 2007 meldeten eine Reihe natürlicher und juristischer Personen, darunter Tanoarch und die VARS Slovakia s. r. o. (im Folgenden: VARS), zwei Gesellschaften mit Sitz in Banská Bystrica (Slowakei), beim Amt für geistiges Eigentum der Slowakischen Republik in Banská Bystrica ein Patent mit der Bezeichnung „Verfahren zur Zubereitung eines fetthaltigen Erzeugnisses mit hohem Reinheitsgrad“ an.
19 Am 5. Juli 2007 schlossen Tanoarch und VARS einen Vertrag über die Übertragung geistigen Miteigentums. Nach diesem Vertrag, bei dessen Abschluss beide Parteien durch dieselbe natürliche Person, Herrn Kovanda, vertreten wurden, trat VARS 50 % ihres Anteils an dem gemeinschaftlichen Recht an dem noch nicht eingetragenen Patent an Tanoarch ab.
20 Laut dem Vertrag wurde das Entgelt für die Übertragung des Anteils an den gemeinschaftlichen Rechten aus der Erfindung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens auf 258 Millionen SKK und auf der Grundlage einer ergänzenden Wertermittlung auf 774 Millionen SKK festgesetzt. Das Entgelt für die Übertragung der Hälfte der Rechte aus der Mitinhaberschaft wurde folglich gemäß dem Vertrag auf 387 Millionen SKK ohne Mehrwertsteuer festgesetzt. Nach dem Vertrag sollte die Übertragung der Rechte an der Erfindung gegen ein in Form von Geld- oder Sachleistungen zu zahlendes Entgelt erfolgen, sofern die Vertragsparteien nichts anderes bestimmten.
21 Auf der Grundlage einer Rechnung vom 5. Juli 2007 reichte Tanoarch am 27. August 2007 eine Erklärung über die Mehrwertsteuer für den Besteuerungszeitraum Juli 2007 ein. In dieser Steuererklärung wurde ein Betrag von etwa 73 530 000 SKK als Vorsteuerabzug entsprechend der von VARS für die Übertragung des Anteils an den gemeinschaftlichen Rechten ausgestellten Rechnung ausgewiesen. VARS hatte die in dieser Höhe geschuldete Umsatzsteuer nicht abgeführt. Sie wurde 2008 ohne Liquidation aufgelöst.
22 Tanoarch nahm auch aufgrund anderer von VARS wegen Übertragung der Rechte an der Erfindung für die Besteuerungszeiträume August und September 2007 ausgestellter Rechnungen einen Vorsteuerabzug vor.
23 Unter diesen Umständen führte der Daňový úrad (Finanzamt) von Banská Bystrica in seiner Eigenschaft als zuständige Steuerverwaltung bei Tanoarch eine Steuerprüfung durch, um die Begründetheit des Antrags auf Vorsteuerabzug festzustellen. Mit Bescheid vom 24. Juni 2008 lehnte das Finanzamt die Anerkennung des von Tanoarch in der Steuererklärung vorgenommenen Vorsteuerabzugs ab.
24 Die Gesellschaft erhob hiergegen Einspruch. Mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 wies das Daňové riaditeľstvo Slovenskej republiky (Generaldirektion für Steuern der Slowakischen Republik) als die für die Entscheidung über diesen Einspruch zuständige Verwaltungsbehörde den Einspruch von Tanoarch zurück und bestätigte den Bescheid des Finanzamts.
25 Im Rahmen der Steuerprüfung wurde festgestellt, dass fünf der Gesellschaften, darunter Tanoarch und VARS, die die Patentanmeldung eingereicht hatten, unter derselben Anschrift in Banská Bystrica ansässig waren. Zudem war dieselbe Person, Herr Kovanda, als Geschäftsführer dieser Gesellschaften benannt worden.
26 Tanoarch erhob am 13. Januar 2009 Klage beim Krajský súd v Banskej Bystrici (Regionalgericht Banská Bystrica) auf Aufhebung des Bescheids vom 23. Oktober 2008. Mit Urteil vom 1. April 2009 wies das Gericht die Klage ab.
27 Tanoarch legte daher Rechtsmittel beim Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberster Gerichtshof der Slowakischen Republik) ein.
28 Der Najvyšší súd Slovenskej republiky hegt Zweifel, ob die Bestimmungen des Gesetzes über die Mehrwertsteuer und des Patentgesetzes, wonach die Einkünfte aus der Erfindung auf die Einkünfte aus ihrer Verwertung beschränkt sind, mit den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) vereinbar sind. Er hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist mit Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 eine Bestimmung vereinbar, wonach ein Steuerpflichtiger von der Steuer, die er zu entrichten hat, die Steuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die er für die Zwecke seines Unternehmens als Steuerpflichtiger verwendet, abziehen kann, sofern ihm die Steuer von einem anderen Steuerpflichtigen im Inland für ihm gelieferte oder zu liefernde Gegenstände und Dienstleistungen in Rechnung gestellt wird, wenn die Klägerin als Mitanmelderin einer Erfindung, für die noch kein Patent erteilt wurde, bereits ex lege ein Recht hat, die Erfindung selbständig zu nutzen, die Gegenstand des Patents insgesamt ist?
2. Lässt die Sechste Richtlinie eine Auslegung dahin gehend zu, dass ein ex lege bereits bestehendes Recht des Steuerpflichtigen zur selbständigen Nutzung des Patents die rechtliche Unmöglichkeit bewirkt, die Dienstleistung zur Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen als Steuerpflichtiger zu verwenden, und dass es dadurch zu einem rechtlichen Verbrauch der erworbenen Dienstleistung kommt?
3. Hat auch der Umstand, dass im Ausgangsverfahren die Erfindung noch nicht als Patent registriert ist und nur Anteile übertragen werden, Einfluss auf den Missbrauch des Rechts des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug im Sinne des Urteils des Gerichtshofs vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C-255/06, Slg. 2006, I-1609)?
Zum Vorabentscheidungsersuchen
Zur Zulässigkeit
29 Der Beklagte des Ausgangsverfahrens und die slowakische Regierung rügen die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, weil es weder den Gegenstand der Auslegung und die Gründe für die Anrufung des Gerichtshofs hinreichend klar bezeichne, noch alle erheblichen tatsächlichen Umstände anführe.
30 Im Übrigen führe das vorlegende Gericht nicht näher aus, in welcher Weise die im Ausgangsverfahren erbrachte Dienstleistung für steuerpflichtige Umsätze habe verwendet werden können. Es habe auch nicht angegeben, worin die Tätigkeit von Tanoarch bestehe oder ob diese Gesellschaft tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe.
31 Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen. Folglich ist der Gerichtshof grundsätzlich zu einer Entscheidung verpflichtet, wenn die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen (vgl. Urteile vom 13. März 2001, PreussenElektra, C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38, vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital, C-390/99, Slg. 2002, I-607, Randnr. 18, und vom 27. Februar 2003, Adolf Truley, C-373/00, Slg. 2003, I-1931, Randnr. 21).
32 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich auch, dass die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann abgelehnt werden kann, wenn offensichtlich ist, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteile PreussenElektra, Randnr. 39, Canal Satélite Digital, Randnr. 19, und Adolf Truley, Randnr. 22).
33 Im Ausgangsverfahren ist nicht ersichtlich, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts einen dieser Fälle darstellen.
34 Das vorlegende Gericht gibt nämlich den tatsächlichen Rahmen des Rechtsstreits, die anwendbaren Vorschriften des nationalen Rechts und die Fragen im Hinblick auf die Auslegung der Richtlinienbestimmungen über das Recht auf Vorsteuerabzug, einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, ausführlich wieder.
35 Zu den Bemerkungen bezüglich der Natur der Tätigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens genügt der Hinweis, dass es nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des vorlegenden Gerichts ist, sich dazu zu äußern, da es sich um eine Tatsachenfeststellung handelt.
36 Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist daher zulässig.
Zur Begründetheit
Zur ersten und zur zweiten Frage
37 Mit der ersten und der zweiten Frage, die gemeinsam zu beantworten sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Steuerpflichtiger ein Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer geltend machen kann, die für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung entrichtet worden ist oder geschuldet wird, die in der Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht besteht, das Rechte an einer Erfindung namentlich in der Weise verleiht, dass diese Rechte mehreren Personen, darunter dem Veräußerer und dem Erwerber, zustehen.
38 Vorweg ist klarzustellen, dass das vorlegende Gericht in diesen Fragen zwar die Sechste Richtlinie anführt, der Vorlageentscheidung jedoch zu entnehmen ist, dass sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nach dem 1. Januar 2007 ereignet hat, d. h. nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/112, die die Sechste Richtlinie aufgehoben und ersetzt hat. Unter diesen Umständen sind die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 zugrunde zu legen.
39 Die Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen den Umfang der Rechte eines Miterfinders und somit die Frage, ob diese Rechte Gegenstand eines mehrwertsteuerpflichtigen Umsatzes sein können. Ferner stellt sich die Frage, wie es sich auswirkt, dass für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Erfindung kein Patent eingetragen wurde.
40 Um diese Fragen zu beantworten, ist daran zu erinnern, dass der Unternehmer durch die in der Richtlinie vorgesehene Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sucht daher, völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten zu gewährleisten, und zwar unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. Urteil vom 22. Februar 2001, Abbey National, C-408/98, Slg. 2001, I-1361, Randnr. 24, vom 8. Februar 2007, Investrand, C-435/05, Slg. 2007, I-1315, Randnr. 22, und vom 29. Oktober 2009, NCC Construction Danmark, C-174/08, Slg. 2009, I-10567, Randnr. 27).
41 Das Recht auf Vorsteuerabzug ist daher als Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ein grundlegendes Prinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden (vgl. Urteile vom 8. Januar 2002, Metropol und Stadler, C-409/99, Slg. 2002, I-81, Randnr. 42, vom 26. Mai 2005, Kretztechnik, C-465/03, Slg. 2005, I-4357, Randnr. 33, sowie vom 15. April 2010, X Holding und Oracle Nederland, C-538/08 und C-33/09, Slg. 2010, I-3129, Randnr. 37).
42 Der Steuerpflichtige kann folglich die Mehrwertsteuer auf Gegenstände oder Dienstleistungen, die er für die Ausübung seiner besteuerten Tätigkeit erworben hat, vollständig als Vorsteuer geltend machen (vgl. Urteil NCC Construction Danmark, Randnr. 39).
43 Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens ergibt sich aus den Akten, dass Tanoarch einen Anteil des gemeinschaftlichen Rechts an einer Erfindung erworben hat. Was die sich aus diesem Erwerb ergebenden Rechtsfolgen angeht, ist darauf hinzuweisen, dass in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV die Aufgaben des Gerichtshofs und diejenigen des vorlegenden Gerichts klar getrennt sind und es ausschließlich Sache des Letztgenannten ist, sein nationales Recht auszulegen (vgl. Urteil vom 17. Juli 2008, Corporación Dermoestética, C-500/06, Slg. 2008, I-5785, Randnr. 21). Folglich ist es im vorliegenden Fall Sache des vorlegenden Gerichts, über die Frage zu entscheiden, ob die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften einem Miterfinder die Übertragung seines Anteils an dem gemeinschaftlichen Recht erlauben.
44 Dagegen kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht Hinweise zu den mehrwertsteuerrechtlichen Folgen dieses Erwerbs für den Fall geben, dass die Übertragung eines Anteils an dem gemeinschaftlichen Recht nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften rechtmäßig ist.
45 Zur wirtschaftlichen Realität dieses Erwerbs ist daran zu erinnern, dass nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ u. a. alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden umfasst. Die Begriffe „Lieferungen von Gegenständen“ und „Dienstleistungen“ haben sämtlich objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar (vgl. Urteil vom 21. Februar 2006, University of Huddersfield, C-223/03, Slg. 2006, I-1751, Randnr. 48).
46 Daher kann die Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, auch wenn für diese noch kein Patent eingetragen wurde, grundsätzlich eine wirtschaftliche Tätigkeit sein, die der Mehrwertsteuer unterliegt. Daraus folgt, dass ein solcher Umsatz ein Recht auf Abzug der entrichteten oder geschuldeten Mehrwertsteuer entstehen lassen kann.
47 Was die von den beteiligten Wirtschaftsteilnehmern verfolgten Absichten angeht, ist hinzuzufügen, dass es für die Feststellung, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Übertragung eine Dienstleistung und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie darstellt, nicht darauf ankommt, ob sie ausschließlich zur Erlangung eines steuerlichen Vorteils getätigt wurde (vgl. Urteil University of Huddersfield, Randnr. 51).
48 Somit sind die erste und die zweite Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass ein Steuerpflichtiger grundsätzlich ein Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer geltend machen kann, die für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung entrichtet worden ist oder geschuldet wird, wenn das anwendbare nationale Recht die Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, mit dem Rechte an der Erfindung verliehen werden, zulässt.
Zur dritten Frage
49 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich aus einer Reihe besonderer Umstände ein Missbrauch des Vorsteuerabzugsrechts ergeben kann.
50 Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Richtlinie anerkannt und gefördert wird (vgl. Urteile Halifax u. a., Randnr. 71, und vom 29. April 2004, Gemeente Leusden und Holin Groep, C-487/01 und C-7/02, Slg. 2004, I-5337, Randnr. 76).
51 Somit sind nach dem Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen verboten, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erhalten (vgl. Urteil vom 22. Mai 2008, Ampliscientifica und Amplifin, C-162/07, Slg. 2008, I-4019, Randnr. 28).
52 Insoweit hat der Gerichtshof in den Randnrn. 74 und 75 des Urteils Halifax u. a. entschieden, dass die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zum einen voraussetzt, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird.
53 Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens ist es Sache des vorlegenden Gerichts, anhand sämtlicher erheblicher Umstände des Rechtsstreits zu entscheiden, ob im Licht der oben angeführten Rechtsprechung ein Geschäft wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende im Rahmen der Mehrwertsteuererhebung als Teil einer missbräuchlichen Praxis angesehen werden kann. Erheblich ist insbesondere, dass für die fragliche Erfindung noch kein Patent eingetragen wurde, dass das Recht an der Erfindung mehreren Personen zusteht, von denen fast alle unter derselben Anschrift ansässig sind und von ein und derselben natürlichen Person vertreten werden, dass die Vorsteuer nicht entrichtet wurde und dass die Gesellschaft, die den Anteil an dem gemeinschaftlichen Recht übertragen hat, ohne Liquidation aufgelöst wurde.
54 Somit ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, anhand sämtlicher tatsächlicher Umstände, die für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dienstleistung kennzeichnend sind, festzustellen, ob hinsichtlich des Rechts auf Vorsteuerabzug ein Rechtsmissbrauch vorliegt oder nicht.
Kosten
55 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
1. Ein Steuerpflichtiger kann grundsätzlich ein Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer geltend machen, die für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung entrichtet worden ist oder geschuldet wird, wenn das anwendbare nationale Recht die Übertragung eines Anteils an einem gemeinschaftlichen Recht an einer Erfindung, mit dem Rechte an der Erfindung verliehen werden, zulässt.
2. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand sämtlicher tatsächlicher Umstände, die für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dienstleistung kennzeichnend sind, festzustellen, ob hinsichtlich des Rechts auf Vorsteuerabzug ein Rechtsmissbrauch vorliegt oder nicht.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Slowakisch.