URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
26. April 2012 ( *1 )
„Art. 18 EG und 56 EG — Kraftfahrzeuge — Benutzung eines geliehenen Personenkraftwagens in einem Mitgliedstaat, wenn dieser Wagen in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist — Besteuerung dieses Fahrzeugs im erstgenannten Mitgliedstaat bei seiner erstmaligen Ingebrauchnahme auf dem inländischen Straßennetz“
In den verbundenen Rechtssachen C-578/10 bis C-580/10
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidungen vom 12. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 6., 8. und 9. Dezember 2010, in dem Verfahren
Staatssecretaris van Financiën
gegen
L. A. C. van Putten (C-578/10),
P. Mook (C-579/10),
G. Frank (C-580/10)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Juhász, T. von Danwitz und D. Šváby,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
— |
der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und J. Langer als Bevollmächtigte, |
— |
der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten, |
— |
der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani, L. Lozano Palacios und R. Troosters als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 1. Dezember 2011
folgendes
Urteil
1 |
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 18 EG und 56 EG. |
2 |
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär der Finanzen) einerseits und Frau van Putten, Herrn Mook und Frau Frank andererseits über an Letztere gerichtete Nacherhebungsbescheide, weil sie die Steuer auf Personenkraftwagen und Motorräder (im Folgenden: PM-Steuer) bei der kurzzeitigen Nutzung solcher Fahrzeuge, die ihnen unentgeltlich von in anderen Mitgliedstaaten wohnhaften natürlichen Personen überlassen worden waren, nicht gezahlt hatten. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) – Letzterer wurde durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben – bestimmt: „Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.“ |
4 |
Der in Anhang I der Richtlinie 88/361 angeführte Kapitalverkehr umfasst unter der Rubrik XI des Anhangs „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“, zu dem u. a. Darlehen, Schenkungen und Erbschaften gehören. |
Nationales Recht
5 |
Art. 1 Abs. 1 der Wet op de belasting van personenauto’s en motorrijwielen 1992 (Gesetz über die Steuer auf Personenkraftwagen und Motorräder von 1992, Stb. 1992, Nr. 709, im Folgenden: Gesetz von 1992) bestimmt, dass die PM-Steuer auf diese Kraftfahrzeuge erhoben wird. |
6 |
Gemäß Art. 1 Abs. 2 und 5 des Gesetzes von 1992 wird die PM-Steuer mit Eintragung des Fahrzeugs in das niederländische Zulassungsregister fällig. Wird jedoch einer in den Niederlanden wohnhaften natürlichen Person oder einer dort ansässigen juristischen Person ein nicht in den Niederlanden zugelassener Personenkraftwagen oder ein dort nicht zugelassenes Motorrad zur Verfügung gestellt, so wird diese Steuer bei der erstmaligen Ingebrauchnahme dieses Kraftfahrzeugs auf dem niederländischen Straßennetz im Sinne dieses Gesetzes fällig. |
7 |
Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes von 1992 bestimmt, dass die PM-Steuer für nicht zugelassene Personenkraftwagen und Motorräder von dem geschuldet wird, dem das Kraftfahrzeug tatsächlich zur Verfügung steht. |
8 |
Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes von 1992 beträgt der Steuersatz für einen Personenkraftwagen – vorbehaltlich der in dieser Bestimmung vorgesehenen Zu- und Abschläge – 45,2 % des Nettokatalogpreises. Dieser Preis entspricht dem den Händlern vom Hersteller oder Importeur empfohlenen Verkaufspreis abzüglich der Mehrwertsteuer. |
9 |
Der Nettokatalogpreis für Neufahrzeuge bestimmt sich nach dem Tag ihrer Zulassung in den Niederlanden. Bei Gebrauchtfahrzeugen bestimmt sich der Nettokatalogpreis nach dem Tag ihrer erstmaligen Ingebrauchnahme innerhalb oder außerhalb der Niederlande. |
10 |
Bei der erstmaligen Ingebrauchnahme von Personenkraftwagen oder Motorrädern auf dem niederländischen Straßennetz, die nicht in den Niederlanden zugelassen und einer in den Niederlanden wohnhaften natürlichen Person oder dort ansässigen juristischen Person zur Verfügung gestellt worden sind, sieht die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Rechtsvorschrift für die Zahlung der PM-Steuer die Anwendung des Nettokatalogpreises für Gebrauchtfahrzeuge vor. |
11 |
Bei der Erhebung dieser Steuer auf Gebrauchtfahrzeuge wird die Dauer der bisherigen Benutzung berücksichtigt, wobei die Steuer um einen bestimmten Prozentsatz ermäßigt wird. Bis zum 1. Februar 2007 wurde die Steuer in einem Betrag und endgültig geschuldet, ohne dass die Möglichkeit einer Erstattung bestand; dies galt selbst dann, wenn das Fahrzeug nach einer gewissen Zeit nicht mehr auf dem niederländischen Straßennetz benutzt wurde. |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
12 |
Frau van Putten und Herr Mook besitzen die niederländische Staatsangehörigkeit. Frau Frank ist Deutsche. Sie alle wohnten zu dem für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in den Niederlanden. |
13 |
Die Beamten des Belastingdienst (Finanzverwaltung) stellten bei einer Kontrolle fest, dass die Beklagten der Ausgangsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat zugelassene Personenkraftwagen auf dem niederländischen Straßennetz benutzen, ohne dass die PM-Steuer gezahlt worden wäre. Sie wurden infolgedessen darauf hingewiesen, dass bei einer späteren Kontrolle ein Nacherhebungsbescheid über diese Steuer gegen sie erlassen werden könne. |
14 |
Bei einer erneuten Kontrolle wurden die Beklagten der Ausgangsverfahren unter denselben Umständen angetroffen. |
15 |
Daher wurden entsprechende Nacherhebungsbescheide gegen sie erlassen, und zwar über 5955 Euro für Frau van Putten, über 1859 Euro für Herrn Mook und über 6709 Euro für Frau Frank. Der Belastingdienst wies die von den Betroffenen eingelegten Einsprüche zurück. Er war der Auffassung, dass die Beklagten der Ausgangsverfahren ihre Kraftfahrzeuge im Sinne von Art. 1 Abs. 5 des Gesetzes vom 1992 in Gebrauch genommen hätten, so dass mit dieser erstmaligen Ingebrauchnahme die PM-Steuer mit dem Satz und der Bemessungsgrundlage von Art. 9 des Gesetzes fällig geworden sei. Im Übrigen wurde die Steuer von den Beklagten der Ausgangsverfahren ohne Berücksichtigung der Nutzungsdauer dieser Fahrzeuge erhoben, da die Bescheide vor dem 1. Februar 2007 ergingen. |
16 |
Da die von den Beklagten der Ausgangsverfahren erhobenen Klagen als unbegründet abgewiesen worden waren, legten sie Berufung zum Gerechtshof te ‘s-Hertogenbosch (Berufungsgericht von ‘s-Hertogenbosch) ein. Dieser gab ihren Anträgen statt und hob die Bescheide des Belastingdienst sowie die Nacherhebungsbescheide auf. Er war der Ansicht, dass diese Bescheide ein ungerechtfertigtes Hemmnis für das von Art. 18 EG gewährleistete Recht darstellten, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten |
17 |
Der Staatssecretaris van Financiën legte in allen drei Rechtssachen beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerechtshof te ‘s-Hertogenbosch ein. Er ist der Auffassung, dass die in den Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalte mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats, nämlich der Niederlande, hinauswiesen, so dass sie nicht unter Art. 18 EG fielen. |
18 |
Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sich der Gerichtshof bereits zur Vereinbarkeit der PM-Steuer mit dem Unionsrecht geäußert habe, allerdings im Zusammenhang mit Sachverhalten, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit oder den freien Dienstleistungsverkehr betroffen hätten. |
19 |
Dagegen gehe es in den Ausgangsverfahren um natürliche Personen, die in den Niederlanden wohnten, dort zu privaten Zwecken ein in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenes Kraftfahrzeug benutzten, das ihnen von natürlichen Personen, die in diesem anderen Mitgliedstaat wohnten und zu denen sie in einer familiären oder freundschaftlichen Beziehung stünden, unentgeltlich überlassen worden sei. |
20 |
Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden diese drei Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: |
Rechtssache C-578/10:
Handelt es sich, wenn ein Mitgliedstaat die Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs auf dem Straßennetz in seinem Hoheitsgebiet, in einem Fall, in dem dieses Fahrzeug in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist, bei einem Einwohner dieses anderen Mitgliedstaats ausgeliehen worden ist und von einem Einwohner des erstgenannten Mitgliedstaats für Fahrten im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats benutzt wird, einer Steuer unterwirft, unter Berücksichtigung von Art. 18 EG um eine Situation, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegt?
Rechtssache C-579/10:
Handelt es sich, wenn ein Mitgliedstaat die Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs auf dem Straßennetz in seinem Hoheitsgebiet in einem Fall, in dem dieses Fahrzeug in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist, bei einem Einwohner dieses anderen Mitgliedstaats ausgeliehen worden ist und von einem Einwohner des erstgenannten Mitgliedstaats für Privatfahrten zwischen diesen beiden Mitgliedstaaten benutzt wird, einer Steuer unterwirft, unter Berücksichtigung von Art. 18 EG um eine Situation, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegt?
Rechtssache C-580/10:
Handelt es sich, wenn ein Mitgliedstaat die Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs auf dem Straßennetz in seinem Hoheitsgebiet in einem Fall, in dem dieses Fahrzeug in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist, bei einem Einwohner dieses anderen Mitgliedstaats ausgeliehen worden ist und für Privatfahrten im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats von einer Person benutzt wird, die dort wohnt, aber die Staatsangehörigkeit des anderen Mitgliedstaats besitzt, einer Steuer unterwirft, unter Berücksichtigung von Art. 18 EG um eine Situation, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegt?
21 |
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Februar 2011 sind die Rechtssachen C-578/10 bis C-580/10 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden. |
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
22 |
Mit seinen Fragen, die gemeinsam zu untersuchen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es sich angesichts von Art. 18 EG um einen unionsrechtlich relevanten Sachverhalt handelt, wenn ein Mitgliedstaat die erstmalige Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs auf seinem Straßennetz durch einen seiner Einwohner besteuert, der das in einem anderen Mitgliedstaat zugelassene Fahrzeug von einem Einwohner dieses anderen Mitgliedstaats ausgeliehen hat und damit entweder nur im Inland oder im Inland und in einem anderen Mitgliedstaat fährt. |
23 |
Auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen formell auf die Auslegung von Art. 18 EG beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, ihm alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2007, ING. AUER, C-251/06, Slg. 2007, I-9689, Randnr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
24 |
Die Lösung der vorgelegten Fragen muss im Licht sämtlicher Bestimmungen des Vertrags und des abgeleiteten Rechts erfolgen, die für das betreffende Problem von Bedeutung sein können (vgl. Urteil vom 11. Juli 1985, Mutsch, 137/84, Slg. 1985, 2681, Randnr. 10). |
25 |
Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts wurde von den Beklagten der Ausgangsverfahren die fragliche Steuer in voller Höhe erhoben, ohne dass die tatsächliche Benutzungsdauer der Kraftfahrzeuge auf dem niederländischen Straßennetz berücksichtigt worden wäre und ohne dass die Beklagten ein Recht auf Befreiung von dieser Steuer oder auf deren Erstattung hätten geltend machen können. |
26 |
Demnach sind die Vorlagefragen so zu verstehen, dass mit ihnen geklärt werden soll, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der dessen Einwohner, wenn sie ein in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenes Kraftfahrzeug von einem Einwohner dieses Mitgliedstaats geliehen haben, bei der erstmaligen Ingebrauchnahme dieses Fahrzeugs auf diesem nationalen Straßennetz die Steuer, die normalerweise bei der Zulassung eines Fahrzeugs im erstgenannten Mitgliedstaat fällig wird, in voller Höhe zahlen müssen, ohne dass die Benutzungsdauer des Fahrzeugs auf dem Straßennetz berücksichtigt wird und ohne dass diese Personen ein Recht auf Befreiung oder Erstattung geltend machen können. |
Zur Kapitalverkehrsfreiheit
27 |
Was die Vorschriften des Unionsrechts betrifft, die auf die Umstände der Ausgangsverfahren anwendbar sein können, so ist festzustellen, dass in diesen Rechtssachen die Besteuerung nicht darauf beruht, dass die Beklagten der Ausgangsverfahren ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, sondern darauf, dass sie als Einwohner der Niederlande auf dem dortigen Straßennetz ein in einem anderem Mitgliedstaat zugelassenes Fahrzeug benutzt haben, das ihnen geliehen worden war. |
28 |
Bei einer zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Bürgern vereinbarten Leihe ist zunächst der Anwendungsbereich von Art. 56 EG zu prüfen. Nach ständiger Rechtsprechung hat in Ermangelung einer Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG im Vertrag die Nomenklatur im Anhang I der Richtlinie 88/361 Hinweischarakter behalten, auch wenn die Richtlinie auf der Grundlage der Art. 69 und 70 Abs. 1 EWG-Vertrag (die Art. 67 bis 73 EWG-Vertrag wurden durch die Art. 73b bis 73g EG-Vertrag ersetzt, die zu den Art. 56 EG bis 60 EG wurden) erlassen worden ist; dabei ist nach dem dritten Absatz der Einleitung dieses Anhangs die darin enthaltene Nomenklatur aber keine erschöpfende Aufzählung zur Definition des Begriffs des Kapitalverkehrs (vgl. u. a. Urteile vom 27. Januar 2009, Persche, C-318/07, Slg. 2009, I-359, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome, C-182/08, Slg. 2009, I-8591, Randnr. 39, vom 15. Oktober 2009, Busley und Cibrian Fernandez, C-35/08, Slg. 2009, I-9807, Randnr. 17, sowie vom 10. Februar 2011, Missionswerk Werner Heukelbach, C-25/10, Slg. 2011, I-497, Randnr. 15). |
29 |
So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es sich bei Erbschaften und Schenkungen, die unter die Rubrik XI („Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“) des Anhangs I der Richtlinie 88/361 fallen, um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG handelt; ausgenommen sind die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. Urteil vom 31. März 2011, Schröder, C-450/09, Slg. 2011, I-2497, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dasselbe gilt für „Darlehen“, die unter dieselbe Rubrik des Anhangs I der Richtlinie fallen. |
30 |
In Situationen wie den in den Ausgangsverfahren fraglichen steht fest, dass das zwischen dem Eigentümer und dem Nutzer des Kraftfahrzeugs bestehende Rechtsverhältnis mit seinen wesentlichen Elementen über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist, obwohl die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Bestimmung sich nur an die Einwohner der Niederlande richtet. Die PM-Steuer ist nämlich von den Einwohnern der Niederlande zu entrichten, die ein Kraftfahrzeug auf dem inländischen Straßennetz benutzen, auch wenn es sich dabei um eine zwischen ihnen und den Einwohnern anderer Mitgliedstaaten vereinbarte kurzfristige unentgeltliche Gebrauchsüberlassung von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen handelt. |
31 |
Sodann ist zu prüfen, ob die Rechtsverhältnisse in den Ausgangsverfahren, also der unentgeltliche grenzüberschreitende Verleih eines Kraftfahrzeugs, als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG und insbesondere als Darlehen im Sinne der Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361 qualifiziert werden können. |
32 |
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass „Darlehen“ unter diese Rubrik fallen, ohne dass Angaben zu ihrer Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit oder zu ihrem besonderen Gegenstand gemacht werden. |
33 |
Des Weiteren hat der Gerichtshof zu Schenkungen bereits ausgeführt, dass für die Frage, ob die steuerliche Behandlung bestimmter Transaktionen durch einen Mitgliedstaat unter die Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr fällt, nicht zwischen Geldtransaktionen und Sachtransaktionen zu unterscheiden ist (vgl. Urteil Persche, Randnr. 26). |
34 |
Schließlich ergibt sich aus der Aufnahme von Erbschaften und Vermächtnissen in die Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361, dass die Unentgeltlichkeit eines Vorgangs als solche nicht seiner Qualifizierung als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG entgegensteht. |
35 |
Ferner stellt der unentgeltliche Verleih eines Kraftfahrzeugs zum Zwecke seiner Benutzung einen Vorteil mit einem bestimmten wirtschaftlichen Wert dar, der den Kosten für die Nutzung eines Mietfahrzeugs derselben Art und für dieselbe Dauer entspricht. |
36 |
Daher handelt es sich, wie die Generalanwältin in Nr. 31 ihrer Schlussanträge ausführt, beim grenzüberschreitenden unentgeltlichen Verleih eines Kraftfahrzeugs um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG. |
Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und etwaige Rechtfertigung derselben
37 |
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Besteuerung von Kraftfahrzeugen, abgesehen von bestimmten Ausnahmen, die für die Ausgangsverfahren nicht einschlägig sind, auf Unionsebene nicht harmonisiert ist. Die Mitgliedstaaten sind daher in der Ausübung ihrer Steuerhoheit auf diesem Gebiet frei, sofern sie dabei das Unionsrecht beachten (vgl. Urteile vom 21. März 2002, Cura Anlagen, C-451/99, Slg. 2002, I-3193, Randnr. 40, vom 15. September 2005, Kommission/Dänemark, C-464/02, Slg. 2005, I-7929, Randnr. 74, vom 15. Dezember 2005, Nadin und Nadin-Lux, C-151/04 und C-152/04, Slg. 2005, I-11203, Randnr. 40, vom 23. Februar 2006, Kommission/Finnland, C-232/03, Randnr. 46, sowie Beschlüsse vom 27. Juni 2006, van de Coevering, C-242/05, Slg. 2006, I-5843, Randnr. 23, vom 22. Mai 2008, Ilhan, C-42/08, Randnr. 17, und vom 24. Oktober 2008, Vandermeir, C-364/08, Slg. 2008, I-8087, Randnr. 22). |
38 |
Gemäß dem Gesetz von 1992 wird die PM-Steuer bei nicht in den Niederlanden zugelassenen Personenkraftwagen und Motorrädern, die einer in den Niederlanden wohnenden Person zur Verfügung gestellt werden, ab deren erstmaliger Ingebrauchnahme auf dem niederländischen Straßennetz geschuldet. Steuerschuldner ist, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug hat. |
39 |
Da das Wesentliche einer Leihe die Möglichkeit ist, die geliehenen Sachen zu benutzen, ist festzustellen, dass die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung dadurch, dass sie die Einwohner der Niederlande bei der erstmaligen Ingebrauchnahme eines in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugs auf dem niederländischen Straßennetz zur Zahlung einer Steuer verpflichtet, auch dann, wenn das Fahrzeug unentgeltlich von einem Einwohner eines anderen Mitgliedstaats verliehen wurde, dazu führt, dass der grenzüberschreitende unentgeltliche Verleih von Kraftfahrzeugen besteuert wird. |
40 |
Dagegen unterliegt der unentgeltliche Verleih eines Kraftfahrzeugs nicht dieser Steuer, wenn es um ein in den Niederlanden zugelassenes Kraftfahrzeug geht. Eine solche Ungleichbehandlung, die jedenfalls augenfällig nach dem Staat unterscheidet, in dem das geliehene Fahrzeug zugelassen ist, kann diesen grenzüberschreitenden Kapitalverkehr somit weniger attraktiv gestalten, indem sie die Einwohner der Niederlande davon abhält, den ihnen von Einwohnern eines anderen Mitgliedstaats angebotenen Verleih eines dort zugelassenen Kraftfahrzeugs anzunehmen. Maßnahmen eines Mitgliedstaats bilden insbesondere dann Beschränkungen des Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 56 EG, wenn sie geeignet sind, die Gebietsansässigen davon abzuhalten, in einem anderen Mitgliedstaat Darlehen aufzunehmen oder Anlagen zu tätigen (vgl. Urteil vom 26. September 2000, Kommission/Belgien, C-478/98, Slg. 2000, I-7587, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
41 |
Eine solche nationale Regelung stellt damit eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG dar. |
42 |
Es ist jedoch zu prüfen, ob eine solche Ungleichbehandlung tatsächlich vorliegt, und, wenn ja, ob sie dennoch als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden kann. |
43 |
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt das Diskriminierungsverbot, unabhängig davon, ob es auf Art. 12 EG, Art. 39 EG, Art. 43 EG oder Art. 56 EG gestützt wird, dass vergleichbare Sachverhalte nicht ungleich und ungleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2011, Kommission/Griechenland, C-155/09, Slg. 2011, I-65, Randnr. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
44 |
Daher ist erstens zu prüfen, ob unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren die Situation eines Einwohners der Niederlande, der auf dem niederländischen Straßennetz ein in diesem Mitgliedstaat zugelassenes Fahrzeug benutzt, das ihm unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde, objektiv mit der Situation eines Einwohners der Niederlande vergleichbar ist, der unter denselben Umständen ein in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenes Fahrzeug benutzt. Selbst wenn ein solcher Sachverhalt vergleichbar wäre, wäre zweitens zu prüfen, ob er gleich behandelt wird oder, falls eine Ungleichbehandlung vorliegt, ob diese durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und ob die fragliche Maßnahme schließlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. |
45 |
Zwar haben die Eigentümer der in den Niederlanden zugelassenen Fahrzeuge die PM-Steuer bereits bei der Eintragung des Fahrzeugs in das niederländische Zulassungsregister gezahlt, doch sind diese Fahrzeuge grundsätzlich dazu bestimmt, im Wesentlichen dauerhaft im Hoheitsgebiet der Niederlande benutzt zu werden oder werden tatsächlich so benutzt. |
46 |
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass ein Mitgliedstaat ein Kraftfahrzeug, das in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist, mit einer Zulassungssteuer belegen kann, wenn dieses Kraftfahrzeug im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats im Wesentlichen dauerhaft benutzt werden soll oder tatsächlich so benutzt wird (vgl. u. a. Urteile Cura Anlagen, Randnr. 42, Kommission/Dänemark, Randnrn. 75 bis 78, Nadin und Nadin-Lux, Randnr. 41, und Kommission/Finnland, Randnr. 47, sowie Beschlüsse van de Coevering, Randnr. 24, und Vandermeir, Randnr. 32). |
47 |
Sind dagegen diese Bedingungen nicht erfüllt, ist die Bindung des im anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugs an den erstgenannten Mitgliedstaat schwächer, so dass eine weitere Rechtfertigung der fraglichen Beschränkung erforderlich ist (vgl. Urteile Kommission/Dänemark, Randnr. 79, und Kommission/Finnland, Randnr. 48, sowie Beschlüsse van de Coevering, Randnr. 26, und Vandermeir, Randnr. 33). |
48 |
Aus den Vorlageentscheidungen geht hervor, dass die Beklagten der Ausgangsverfahren die PM-Steuer in voller Höhe zahlen mussten, ohne dass bei ihrer Berechnung die Benutzungsdauer der betreffenden Fahrzeuge berücksichtigt wurde und ohne dass die Benutzer dieser Fahrzeuge ein Recht auf Befreiung oder Erstattung hätten geltend machen können. Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht nicht hervor, dass diese Fahrzeuge dazu bestimmt sind, im Wesentlichen dauerhaft im Hoheitsgebiet der Niederlande benutzt zu werden oder tatsächlich so benutzt werden. |
49 |
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die Dauer des in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verleihs und die Art der tatsächlichen Verwendung der ausgeliehenen Fahrzeuge zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Beschluss van de Coevering, Randnr. 25). |
50 |
Wenn also die in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht in den Niederlanden zugelassenen Fahrzeuge dazu bestimmt sind, im Wesentlichen dauerhaft in den Niederlanden benutzt zu werden, oder wenn sie tatsächlich so benutzt werden, besteht keine wirklich ungleiche Behandlung zwischen einem Einwohner in den Niederlanden, der ein solches Fahrzeug unentgeltlich benutzt, und einer Person, die unter denselben Voraussetzungen ein in den Niederlanden zugelassenes Fahrzeug benutzt, da das letztgenannte Fahrzeug, das ebenfalls dazu bestimmt ist, im Wesentlichen dauerhaft in den Niederlanden benutzt zu werden, bereits bei seiner Zulassung in den Niederlanden mit der PM-Steuer belegt worden ist. |
51 |
Unter diesen Umständen wäre die Erhebung der PM-Steuer anlässlich der erstmaligen Ingebrauchnahme von nicht in den Niederlanden zugelassenen Fahrzeugen auf dem niederländischen Straßennetz ebenso gerechtfertigt wie die oben in Randnr. 46 erwähnte Steuer, die anlässlich der Zulassung des Fahrzeugs in den Niederlanden geschuldet wird, sofern diese Steuer den Wertverlust des Fahrzeugs zum Zeitpunkt dieser erstmaligen Ingebrauchnahme berücksichtigt, wie das beim Gesetz von 1992 der Fall zu sein scheint. |
52 |
Wenn dagegen, wie aus Randnr. 47 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die in den Ausgangsverfahren fraglichen Fahrzeuge nicht dazu bestimmt sind, im Wesentlichen dauerhaft im Hoheitsgebiet der Niederlande benutzt zu werden oder tatsächlich nicht so benutzt werden, läge eine tatsächliche Ungleichbehandlung zwischen den beiden in Randnr. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Personengruppen vor und die fragliche Steuer wäre nicht gerechtfertigt. Unter diesen Umständen wäre der Bezug der Fahrzeuge zum niederländischen Hoheitsgebiet nicht ausreichend, um die Erhebung einer Steuer zu rechtfertigen, die normalerweise bei der Zulassung eines Fahrzeugs in den Niederlanden geschuldet wird. |
53 |
Selbst wenn eine solche Ungleichbehandlung gegebenenfalls durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein könnte, müsste die Steuer auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (vgl. in diesem Sinne Beschluss van de Coevering, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
54 |
Da zum einen aus den Vorlageentscheidungen nicht hervorgeht, dass im Rahmen der Ausgangsverfahren festgestellt wurde, ob die fraglichen Fahrzeuge dazu bestimmt sind, im Wesentlichen dauerhaft auf niederländischem Hoheitsgebiet benutzt zu werden, oder ob sie tatsächlich so benutzt werden, und zum anderen weder das vorlegende Gericht noch die niederländische Regierung andere zwingende Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung der fraglichen Beschränkung angegeben hat, ist Art. 56 EG dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der dessen Einwohner, wenn sie ein in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenes Fahrzeug von einem Einwohner dieses Mitgliedstaats geliehen haben, bei der erstmaligen Ingebrauchnahme dieses Fahrzeugs auf dem nationalen Straßennetz eine Steuer, die normalerweise bei der Zulassung eines Fahrzeugs im erstgenannten Mitgliedstaat fällig wird, in voller Höhe zahlen müssen, ohne dass die Benutzungsdauer des Fahrzeugs auf diesem Straßennetz berücksichtigt wird und ohne dass diese Personen ein Recht auf Befreiung oder Erstattung geltend machen können, wenn das Fahrzeug weder dazu bestimmt ist, im Wesentlichen dauerhaft im erstgenannten Mitgliedstaat benutzt zu werden, noch tatsächlich so benutzt wird. |
55 |
Da die Ausgangsrechtsstreitigkeiten unter Art. 56 EG fallen, ist eine Auslegung von Art. 18 EG nicht erforderlich. |
56 |
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 56 EG dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der dessen Einwohner, wenn sie ein in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenes Fahrzeug von einem Einwohner dieses anderen Mitgliedstaats geliehen haben, bei der erstmaligen Ingebrauchnahme dieses Fahrzeugs auf dem nationalen Straßennetz die Steuer, die normalerweise bei der Zulassung eines Fahrzeugs im erstgenannten Mitgliedstaat fällig wird, in voller Höhe zahlen müssen, ohne dass die Benutzungsdauer des Fahrzeugs auf diesem Straßennetz berücksichtigt wird und ohne dass diese Personen ein Recht auf Befreiung oder Erstattung geltend machen können, wenn das Fahrzeug weder dazu bestimmt ist, im Wesentlichen dauerhaft im erstgenannten Mitgliedstaat benutzt zu werden, noch tatsächlich so benutzt wird. |
Kosten
57 |
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 56 EG ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der dessen Einwohner, wenn sie ein in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenes Fahrzeug von einem Einwohner dieses anderen Mitgliedstaats geliehen haben, bei der erstmaligen Ingebrauchnahme dieses Fahrzeugs auf dem nationalen Straßennetz die Steuer, die normalerweise bei der Zulassung eines Fahrzeugs im erstgenannten Mitgliedstaat fällig wird, in voller Höhe zahlen müssen, ohne dass die Benutzungsdauer des Fahrzeugs auf diesem Straßennetz berücksichtigt wird und ohne dass diese Personen ein Recht auf Befreiung oder Erstattung geltend machen können, wenn das Fahrzeug weder dazu bestimmt ist, im Wesentlichen dauerhaft im erstgenannten Mitgliedstaat benutzt zu werden, noch tatsächlich so benutzt wird. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.