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Rechtssache C-9/11

Waypoint Aviation SA

gegen

État belge – SPF Finances

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel de Bruxelles)

„Freier Dienstleistungsverkehr – Steuerrecht – Steuergutschrift auf die Einkünfte aus Darlehen, die für den Erwerb von im Inland genutzten Wirtschaftsgütern gewährt werden – Ausschluss von Wirtschaftsgütern, bei denen das Nutzungsrecht einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dritten übertragen wird“

Leitsätze des Urteils

Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Innerstaatliche Regelung, die eine Steuergutschrift auf die Einkünfte aus Darlehen gewährt, die bestimmten Unternehmen für den Erwerb von neuen, im Inland genutzten Wirtschaftsgütern gewährt werden

(Art. 49 EG)

Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Gewährung einer Steuergutschrift auf die Einkünfte aus Darlehen, die bestimmten Unternehmen für den Erwerb von neuen, im Inland genutzten Wirtschaftsgütern gewährt werden, von der Voraussetzung abhängig macht, dass das Nutzungsrecht an dem Wirtschaftsgut von dem Unternehmen, das dieses dank dem zur Steuergutschrift berechtigenden Darlehen erworben hat, oder von irgendeinem anderen Unternehmen derselben Gruppe nicht an Dritte übertragen wird, die nicht Mitglieder dieser Gruppe mit Sitz in diesem Mitgliedstaat sind.

Eine solche Bestimmung ist nämlich geeignet, die Unternehmen, die diesen Steuervorteil beanspruchen können, davon abzuhalten, Dienstleistungen zu erbringen, die der Finanzierung des Erwerbs von Wirtschaftsgütern dienen, bei denen das Nutzungsrecht an Wirtschaftsteilnehmer übertragen werden soll, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind. Außerdem ist eine solche Bestimmung angesichts der möglichen Auswirkung des Steuervorteils auf die vom Darlehensnehmer getragenen Darlehenskosten geeignet, die Unternehmen, die ein Wirtschaftsgut mit einem Darlehen erwerben möchten, davon abzuhalten, Wirtschaftsteilnehmern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen anzubieten, die eine Übertragung des Nutzungsrechts an diesem Wirtschaftsgut mit sich bringen, wie etwa Vermietungsdienstleistungen. Kann das Nutzungsrecht solchen Wirtschaftsteilnehmern nicht nur durch das Unternehmen übertragen werden, das das Wirtschaftsgut mit dem zum Steuervorteil berechtigenden Darlehen erwirbt, sondern auch durch alle Unternehmen, die zur selben Gruppe wie dieses gehören, ist diese Bestimmung außerdem geeignet, auch diese Unternehmen davon abzuhalten, grenzüberschreitende Tätigkeiten auszuüben, die mit der Übertragung dieses Nutzungsrechts einhergehen.

(vgl. Randnrn. 23-25, 29 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

13. Oktober 2011*(1)

„Freier Dienstleistungsverkehr – Steuerrecht – Steuergutschrift auf die Einkünfte aus Darlehen, die für den Erwerb von im Inland genutzten Wirtschaftsgütern gewährt werden – Ausschluss von Wirtschaftsgütern, bei denen das Nutzungsrecht einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dritten übertragen wird“

In der Rechtssache C-9/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d’appel de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 25. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Januar 2011, in dem Verfahren

Waypoint Aviation SA

gegen

État belge – SPF Finances

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer sowie der Richter K. Schiemann und E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Waypoint Aviation SA, vertreten durch A. Huyghe und B. Philippart de Foy, avocats,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und J.-P. Keppenne als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 10 EG und 49 EG.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Waypoint Aviation SA (im Folgenden: Waypoint Aviation) und dem belgischen Staat, Föderaler öffentlicher Dienst Finanzen, wegen Nichtgewährung der als „précompte mobilier fictif“ (fiktive Quellensteuer) bezeichneten Steuergutschrift für die Steuerjahre 1995 und 1996.

 Nationaler rechtlicher Rahmen

3        Nach dem Code des impôts sur les revenus (Einkommensteuergesetzbuch) wird die Steuer auf Zinsen aus Forderungen und Darlehen in Form eines als „précompte mobilier“ (Quellensteuer) bezeichneten Steuervorabzugs an der Quelle erhoben.

4        Der Arrêté royal n° 187, du 30 décembre 1982, relatif à la création de centres de coordination (Königlicher Erlass Nr. 187 vom 30. Dezember 1982 über die Schaffung von Koordinierungszentren, Moniteur belge vom 13. Januar 1983, S. 502, im Folgenden: Königlicher Erlass Nr° 187) führte eine spezifische Steuerregelung für sogenannte „Koordinierungszentren“ ein, bei denen es sich um Gesellschaften handelt, die bestimmten Kriterien entsprechen.

5        Art. 29 der Loi du 11 avril 1983 portant des dispositions fiscales et budgétaires (Gesetz vom 11. April 1983 mit Steuer- und Haushaltsvorschriften, Moniteur belge vom 16. April 1983) in der durch die Loi du 4 août 1986 portant des dispositions fiscales (Gesetz vom 4. August 1986 mit Steuervorschriften, Moniteur belge vom 20. August 1986, im Folgenden: Gesetz vom 11. April 1983) geänderten Fassung sieht vor:

„Die folgenden Steuerbefreiungen gelten für jeden Veranlagungszeitraum, für den Unternehmen in den Genuss der Vorteile kommen, die … in Art. 5 des Königlichen Erlasses Nr. 187 … vorgesehen sind:

2°       a) …

b)      Für die Ermittlung des steuerpflichtigen Nettobetrags der Begünstigten … werden … die Einkünfte aus Forderungen oder Darlehen um eine fiktive Quellensteuer, die 25/75 des eingezogenen oder erhaltenen Nettobetrags entspricht, erhöht, und diese fiktive Quellensteuer wird für die Anwendung der Art. 18, 97 und 211 des Einkommensteuergesetzbuchs der effektiven Quellensteuer im Sinne von Art. 174 dieses Gesetzbuchs gleichgestellt.

d)      Bei den Einkünften aus Forderungen oder Darlehen wird eine fiktive Quellensteuer nur insoweit angewandt, als diese Unternehmen oder Zentren oder die Mitglieder der Gruppe, zu der das Zentrum gehört, die aufgenommenen Geldmittel entweder für den Erwerb oder die Schaffung von Sachanlagen im Neuzustand verwenden, die sie in Belgien für die Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit einsetzen und bei denen das Nutzungsrecht nicht aufgrund irgendeiner Vereinbarung anderen Dritten als belgischen Mitgliedern der Gruppe eingeräumt wird …“

6        Diese Bestimmung ermöglicht es Unternehmen, die einem Koordinierungszentrum ein Darlehen gewähren, zu den erhaltenen Zinsen eine fiktive Quellensteuer hinzuzufügen, die dann auf die von ihnen geschuldete Steuer angerechnet wird. Sie gewährt also diesen Unternehmen einen Steuervorteil in der Form einer Steuergutschrift, wodurch sie es dem Koordinierungszentrum ermöglicht, eine kostengünstigere Finanzierung zu erhalten.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7        Waypoint Aviation, eine Gesellschaft belgischen Rechts, betreibt sämtliche Geschäfte, die unmittelbar oder mittelbar mit dem Erwerb, der Anmietung oder der Finanzierung von Flugzeugen für die entgeltliche Flugbeförderung von Personen und Waren zusammenhängen.

8        In den 90er Jahren erwarb Waypoint Aviation durch einen Finanzleasingvertrag mit Lizad, einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) französischen Rechts, zwei Flugzeuge der Marke Airbus. Diese wurden dann vom Koordinierungszentrum der Sabena-Gruppe, der Sabena Interservices Center SA (im Folgenden: Koordinierungszentrum), mittels eines zweiten mit Waypoint Aviation geschlossenen Finanzleasingvertrags erworben, der vorsieht, dass Waypoint Aviation die gesamte fiktive Quellensteuer an das Koordinierungszentrum rücküberträgt.

9        Durch einen dritten Finanzleasingvertrag wurden diese beiden Flugzeuge von der Atrix SA, einer Gesellschaft der Sabena-Gruppe, erworben, um an Sabena vermietet zu werden. Diese gab sie im Rahmen eines Kooperationsvertrags drei Jahre lang in Untervermietung an Air France weiter.

10      Auf der Grundlage von Art. 29, 2°, Buchst. b des Gesetzes vom 11. April 1983 beantragte Waypoint Aviation für die Steuerjahre 1995 und 1996 die Anrechnung der fiktiven Quellensteuer in Höhe von 201 229 077 BEF bzw. 82 854 305 BEF auf die Zinsen, die in den Raten, die das Koordinierungszentrum aufgrund des zwischen ihnen geschlossenen Leasingvertrags gezahlt hatte, enthalten waren.

11      Am 12. März 1997 erließ die Steuerbehörde einen Bescheid gegen Waypoint Aviation, mit dem sie es ablehnte, die fiktive Quellensteuer anzuwenden. Der gegen die auf der Grundlage dieses Bescheids festgesetzte Steuer am 29. April 1998 von Waypoint Aviation erhobene Einspruch wurde mit Entscheidung des Directeur régional des contributions (Regionaldirektor für Steuerleistungen) vom 8. Juli 2003 mit der Begründung zurückgewiesen, dass die beiden Flugzeuge von Air France, einer Gesellschaft mit Sitz in Frankreich, genutzt worden seien.

12      Waypoint Aviation rief das Tribunal de première instance de Bruxelles an, das ihre Anträge mit Urteil vom 11. Mai 2005 zurückwies. Dagegen legte sie beim vorlegenden Gericht Berufung ein, wobei sie insbesondere geltend machte, dass Art. 29, 2°, Buchst. d des Gesetzes vom 11. April 1983 zu einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zu einer Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit führe.

13      In seiner auf einer teleologischen Auslegung dieses Artikels beruhenden Entscheidung geht das vorlegende Gericht davon aus, dass nach dieser Vorschrift die Übertragung des Rechts zur Nutzung des Wirtschaftsguts, das mit der zur fiktiven Quellensteuer berechtigenden Finanzierung erworben wurde, an einen Dritten, der nicht ein belgisches Mitglied der betroffenen Gruppe ist, verboten ist, und zwar ohne Rücksicht darauf, wer das Recht überträgt.

14      Die fiktive Quellensteuer sei ein Vorteil, der für eine belgische Gesellschaft, die investieren wolle, unmittelbar die Kosten der Finanzierung beeinflusse, weil sie, wenn sie gewährt werde, eine Reduzierung des Finanzierungsaufwands des Darlehensgebers zur Folge habe.

15      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Art. 29, 2°, Buchst. d des Gesetzes vom 11. April 1983 bewirkt, dass die fiktive Quellensteuer angerechnet wird, wenn die Dienstleistung der Flugzeugvermietung einer belgischen Gesellschaft erbracht wird, hingegen versagt wird, wenn der Empfänger derselben Vermietungsdienstleistung seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Belgien hat. Das Gericht schließt daraus, dass diese Vorschrift grundsätzlich gegen Art. 49 EG verstoße, weil sie ein belgisches Unternehmen davon abhalte, einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Vermietungsdienstleistung zu erbringen, indem sie diese Dienstleistung für die Gruppe, zu der das belgische Unternehmen gehöre, kostspieliger mache, weil in diesem Fall dem Unternehmen, das das Darlehen gewähre, die fiktive Quellensteuer nicht angerechnet werde. Das vorlegende Gericht nimmt Bezug auf das Urteil vom 4. Dezember 2008, Jobra (C-330/07, Slg. 2008, I-9099).

16      Die Cour d'appel de Bruxelles hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Steht Art. 49 EG der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift wie Art. 29, 2°, Buchst. d des Gesetzes vom 11. April 1983 insoweit entgegen, als einerseits diese Vorschrift die Gewährung einer Steuergutschrift, der fiktiven Quellensteuer („précompte mobilier fictif“), für die Bezieher von Einkünften aus Forderungen gegen oder Darlehen an ein Koordinierungszentrum im Sinne des Königlichen Erlasses Nr. 187 zulässt, wenn das Unternehmen, das die von dem oder über das Koordinierungszentrum aufgenommenen Mittel für den Erwerb eines körperlichen Gegenstands verwendet, den es in Belgien für die Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit nutzt, das Recht zu dessen Nutzung an ein Unternehmen überträgt, das zur selben Unternehmensgruppe gehört und seinen Sitz in Belgien hat, während andererseits diese Vorschrift die Gewährung einer Steuergutschrift nicht zulässt, wenn dasselbe Unternehmen ein Nutzungsrecht an demselben körperlichen Gegenstand an ein Unternehmen überträgt, das ebenfalls zur selben Unternehmensgruppe gehört, aber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Belgien hat?

2.      Ist Art. 10 EG in Verbindung mit Art. 49 EG als Verbot der Auslegung einer Vorschrift wie Art. 29, 2°, Buchst. d des Gesetzes vom 11. April 1983 dahin zu verstehen, dass die Gewährung einer Steuergutschrift, der fiktiven Quellensteuer, zugunsten der Bezieher von Einkünften aus Forderungen gegen oder Darlehen an ein Koordinierungszentrum im Sinne des Königlichen Erlasses Nr. 187 von der Voraussetzung abhängig macht, dass kein Nutzungsrecht an dem durch diese Forderungen oder Darlehen finanzierten körperlichen Gegenstand einem Mitglied der Unternehmensgruppe mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat von irgendeinem Unternehmen der Gruppe ­– und nicht nur von dem Unternehmen, das diesen körperlichen Gegenstand dank dieser Finanzierung erwirbt und ihn in Belgien für die Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit nutzt – übertragen wird?

 Zu den Vorlagefragen

17      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht Art 29, 2°, Buchst. d des Gesetzes vom 11. April 1983 dahin auslegt, dass er die Übertragung des Rechts zur Nutzung des Wirtschaftsguts, das mit der zur fiktiven Quellensteuer berechtigenden Finanzierung erworben wurde, an ein Unternehmen, das seinen Sitz nicht in Belgien hat, verbietet, und zwar ohne Rücksicht darauf, wer das Recht überträgt. Es leitet daraus ab, dass Waypoint Aviation nach dieser Bestimmung nicht in den Genuss der fiktiven Quellensteuer für die Finanzierungen gelangen kann, die den Erwerb der Flugzeuge ermöglicht haben, bei denen das Nutzungsrecht im Laufe der streitigen Steuerjahre von der Sabena an die Air France übertragen wurde. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass diese Bestimmung grundsätzlich gegen Art. 49 EG verstößt.

18      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, wissen möchte, ob Art. 49 EG dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die die Gewährung einer Steuergutschrift auf die Einkünfte aus Darlehen, die bestimmten Unternehmen für den Erwerb von neuen, im Inland genutzten Wirtschaftsgütern gewährt werden, von der Voraussetzung abhängig macht, dass das Nutzungsrecht an dem Wirtschaftsgut von dem Unternehmen, das dieses dank dem zur Steuergutschrift berechtigenden Darlehen erworben hat, oder von irgendeinem anderen Unternehmen derselben Gruppe nicht an Dritte übertragen wird, die nicht Mitglieder dieser Gruppe mit Sitz in diesem Mitgliedstaat sind.

19      Nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, jedoch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (vgl. u. a. Urteil vom 22. Dezember 2010, Tankreederei I, C-287/10, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Das Leasing und die Vermietung von Flugzeugen stellen Dienstleistungen im Sinne von Art. 50 EG dar (vgl. entsprechend Urteile vom 21. März 2002, Cura Anlagen, C-451/99, Slg. 2002, I-3193, Randnr. 18, und Jobra, Randnr. 22), so dass die Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens Anwendung finden.

21      Die Dienstleistungsfreiheit kann von einem Unternehmen gegenüber dem Mitgliedstaat, in dem es seinen Sitz hat, in Anspruch genommen werden, sofern die Leistungen an Empfänger erbracht werden, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, und allgemeiner immer dann, wenn ein Leistungserbringer Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen anbietet, in dem er niedergelassen ist (vgl. u. a. Urteil Tankreederei I, Randnr. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs solche nationalen Maßnahmen sind, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. u. a. Urteile Jobra, Randnr. 19, und Tankreederei I, Randnr. 15).

23      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die die Einkünfte aus einem Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs eines Wirtschaftsguts, bei dem das Nutzungsrecht einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat übertragen wird, steuerlich ungünstiger behandelt als Einkünfte aus einem Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs eines von einem Unternehmen mit Sitz im Inland genutzten Wirtschaftsguts, geeignet ist, die Unternehmen, die diesen Steuervorteil beanspruchen können, davon abzuhalten, Dienstleistungen zu erbringen, die der Finanzierung des Erwerbs von Wirtschaftsgütern dienen, bei denen das Nutzungsrecht an Wirtschaftsteilnehmer übertragen werden soll, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Jobra, Randnr. 24, und Tankreederei I, Randnr. 17).

24      Außerdem ist eine solche Bestimmung angesichts der möglichen Auswirkung des Steuervorteils auf die vom Darlehensnehmer getragenen Darlehenskosten, die im vorliegenden Fall – wie aus Randnr. 8 des vorliegenden Urteils hervorgeht – im Übrigen festgestellt wurde, geeignet, die Unternehmen, die ein Wirtschaftsgut mit einem Darlehen erwerben möchten, davon abzuhalten, Wirtschaftsteilnehmern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen anzubieten, die eine Übertragung des Nutzungsrechts an diesem Wirtschaftsgut mit sich bringen, wie etwa Vermietungsdienstleistungen.

25      Kann das Nutzungsrecht nach dieser Bestimmung solchen Wirtschaftsteilnehmern nicht nur durch das Unternehmen übertragen werden, das das Wirtschaftsgut mit dem zum Steuervorteil berechtigenden Darlehen erwirbt, sondern auch durch alle Unternehmen, die zur selben Gruppe wie dieses gehören, ist diese Bestimmung außerdem geeignet, auch diese Unternehmen davon abzuhalten, grenzüberschreitende Tätigkeiten auszuüben, die mit der Übertragung dieses Nutzungsrechts einhergehen.

26      Folglich stellt eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 49 EG dar.

27      Eine solche Beschränkung ist nur zulässig, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Anwendung der Beschränkung außerdem geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (Urteil Tankreederei I, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Vorliegend wurde jedoch weder von der belgischen Regierung eine Rechtfertigung vorgebracht, noch wurde vom vorlegenden Gericht eine solche in Betracht gezogen.

29      Infolgedessen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 49 EG dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die die Gewährung einer Steuergutschrift auf die Einkünfte aus Darlehen, die bestimmten Unternehmen für den Erwerb von neuen, im Inland genutzten Wirtschaftsgütern gewährt werden, von der Voraussetzung abhängig macht, dass das Nutzungsrecht an dem Wirtschaftsgut von dem Unternehmen, das dieses dank dem zur Steuergutschrift berechtigenden Darlehen erworben hat, oder von irgendeinem anderen Unternehmen derselben Gruppe nicht an Dritte übertragen wird, die nicht Mitglieder dieser Gruppe mit Sitz in diesem Mitgliedstaat sind.

 Kosten

30      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die die Gewährung einer Steuergutschrift auf die Einkünfte aus Darlehen, die bestimmten Unternehmen für den Erwerb von neuen, im Inland genutzten Wirtschaftsgütern gewährt werden, von der Voraussetzung abhängig macht, dass das Nutzungsrecht an dem Wirtschaftsgut von dem Unternehmen, das dieses dank dem zur Steuergutschrift berechtigenden Darlehen erworben hat, oder von irgendeinem anderen Unternehmen derselben Gruppe nicht an Dritte übertragen wird, die nicht Mitglieder dieser Gruppe mit Sitz in diesem Mitgliedstaat sind.

Unterschriften


1 Verfahrenssprache: Französisch.