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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 19. Juli 2012(1)

Rechtssache C-123/11

A Oy

(Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus [Finnland])

„Steuerrecht – Niederlassungsfreiheit – Richtlinie 2009/133/EG – Nationales Ertragsteuerrecht – Fusion zweier in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften – Abzugsfähigkeit von Verlusten der übertragenden Gesellschaft im Mitgliedstaat der übernehmenden Gesellschaft“





I –    Einleitung

1.        Die Namen Marks & Spencer stehen eigentlich für eine Warenhauskette. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Steuerrecht stehen diese Namen jedoch für das ausdrückliche Anerkenntnis, dass die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse unter den Mitgliedstaaten Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann.(2) In Rechtsprechung und Literatur der Mitgliedstaaten hingegen scheinen die Namen Marks & Spencer auch ein Synonym zu sein für Chaos und Verzweiflung.(3)

2.        Dies liegt an einem Satz mit rund 100 Worten, den der Gerichtshof in der nach Marks & Spencer benannten Entscheidung formuliert hat und der die Umstände beschreibt, unter denen die Mitgliedstaaten ausnahmsweise gezwungen sein können, Verluste gebietsfremder Tochtergesellschaften bei der Besteuerung ihrer gebietsansässigen Muttergesellschaft zu berücksichtigen. Trotz so vieler Worte herrscht keine Klarheit, wie weit diese Ausnahme reicht und ob sie – angesichts späterer Rechtsprechung des Gerichtshofs – überhaupt noch existiert.

3.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen könnte nun Gelegenheit bieten, die aufgrund dieser Ausnahme entstandene Verwirrung zu beseitigen. Die finnische Steuerpflichtige des Ausgangsverfahrens beruft sich im Ausgangsverfahren nämlich auf die vom Gerichtshof formulierte Ausnahme. Sie will mit einer schwedischen Tochtergesellschaft fusionieren und deren schwedischen Verlustvortrag künftig in Finnland nutzen, was die finnischen Steuerregeln ihr jedoch verweigern.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Die Niederlassungsfreiheit

4.        Art. 49 AEUV regelt die Niederlassungsfreiheit wie folgt:

„Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.

Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.“

5.        Art. 54 AEUV erweitert den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit folgendermaßen:

„Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.

...“

2.      Die Fusionsrichtlinie

6.        Die Richtlinie 2009/133/EG(4) (im Folgenden: Fusionsrichtlinie) regelt steuerliche Folgen bestimmter grenzüberschreitender Zusammenschlüsse von Gesellschaften. Der 2. und der 3. Erwägungsgrund erläutern den Zweck der Fusionsrichtlinie auszugsweise wie folgt:

„(2)      Fusionen …, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, können notwendig sein, um binnenmarktähnliche Verhältnisse in der Gemeinschaft zu schaffen und damit das Funktionieren eines solchen Binnenmarktes zu gewährleisten. Sie sollten nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden. …

(3)      Gegenwärtig werden diese Vorgänge im Vergleich zu entsprechenden Vorgängen bei Gesellschaften desselben Mitgliedstaats durch Bestimmungen steuerlicher Art benachteiligt. Diese Benachteiligung muss beseitigt werden.“

7.        Der 4. Erwägungsgrund beschreibt den dafür mit der Fusionsrichtlinie eingeschlagenen Weg:

„Dieses Ziel lässt sich nicht dadurch erreichen, dass man die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden nationalen Systeme auf Gemeinschaftsebene ausdehnt, da die Unterschiede zwischen diesen Systemen Wettbewerbsverzerrungen verursachen können. Nur eine gemeinsame steuerliche Regelung kann deshalb eine befriedigende Lösung darstellen.“

8.        Speziell zum Umgang mit steuerlichen Verlusten von Gesellschaften sieht der 9. Erwägungsgrund vor:

„Für bestimmte Rücklagen, Rückstellungen und Verluste der einbringenden Gesellschaft ist es erforderlich, die anzuwendenden steuerlichen Regelungen festzulegen und die steuerlichen Probleme zu lösen, die auftreten, wenn eine der beiden Gesellschaften eine Beteiligung am Kapital der anderen besitzt.“

9.        Dem 14. Erwägungsgrund ist schließlich zu entnehmen:

„Mit der vorliegenden Richtlinie wird u. a. bezweckt, Hindernisse für das Funktionieren des Binnenmarkts – wie die Doppelbesteuerung – zu beseitigen. Soweit dieses Ziel mit der vorliegenden Richtlinie nicht vollständig erreicht werden kann, sollten die Mitgliedstaaten die hierfür erforderlichen Maßnahmen treffen.“

10.      Der Anwendungsbereich der Fusionsrichtlinie erstreckt sich nach ihrem Art. 1 Buchst. a auf „Fusionen …, wenn daran Gesellschaften aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten beteiligt sind“. Art. 2 Buchst. a Nr. iii der Richtlinie definiert als „Fusion“ unter anderem einen Vorgang, durch den „eine Gesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf die Gesellschaft überträgt, die sämtliche Anteile an ihrem Gesellschaftskapital besitzt“. Art. 3 der Fusionsrichtlinie legt fest, welche Gesellschaften im Sinne der Richtlinie als „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ gelten.

11.      In Bezug auf Verluste der einbringenden Gesellschaft trifft die Fusionsrichtlinie nur in ihrem Art. 6 eine Regelung:

„Wenden die Mitgliedstaaten für den Fall, dass die in Artikel 1 Buchstabe a genannten Vorgänge zwischen Gesellschaften des Mitgliedstaats der einbringenden Gesellschaft erfolgen, Vorschriften an, die die Übernahme der bei der einbringenden Gesellschaft steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste durch die übernehmende Gesellschaft gestatten, so dehnen sie diese Vorschriften auf die Übernahme der bei der einbringenden Gesellschaft steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste durch die in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen Betriebsstätten der übernehmenden Gesellschaft aus.“

B –    Finnisches Recht

12.      Gemäß Art. 7 Abs. 1 des zwischen der Republik Finnland und dem Königreich Schweden geltenden Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen kann der Gewinn einer in Schweden ansässigen Gesellschaft in Finnland nur insoweit besteuert werden, wie er einer in Finnland ansässigen Betriebsstätte zuzuordnen ist.

13.      Nach dem finnischen Einkommensteuerrecht können in einem Steuerzeitraum festgestellte Verluste auf nachfolgende Steuerzeiträume übertragen werden. § 119 Abs. 1 und 2 des finnischen Tuloverolaki (im Folgenden: finnisches Einkommensteuergesetz) sieht dafür die folgende Regelung vor:

„Ein im Steuerjahr eingetretener Verlust aus gewerblicher Tätigkeit und der Landwirtschaft wird vom Ertrag aus gewerblicher Tätigkeit und der Landwirtschaft in den folgenden zehn Steuerjahren in Abzug gebracht, soweit ein Ertrag erzielt wird.

Mit Verlust aus gewerblicher Tätigkeit ist das gemäß dem Gesetz über die Besteuerung der Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit ermittelte Verlustergebnis und mit Verlust aus der Landwirtschaft das gemäß dem Einkommensteuergesetz für die Landwirtschaft ermittelte Verlustergebnis gemeint.“

14.      Im Fall einer Fusion von Gesellschaften trifft § 123 Abs. 2 des finnischen Einkommensteuergesetzes auszugsweise die folgende Bestimmung für das Schicksal des festgestellten Verlustes einer übertragenden Gesellschaft:

„Bei der Fusion von Gesellschaften oder der Spaltung einer Gesellschaft hat die übernehmende Gesellschaft das Recht, von ihrem zu versteuernden Einkommen einen Verlust der fusionierten oder gespaltenen Gesellschaft gemäß §§ 119 und 120 in Abzug zu bringen, sofern die übernehmende Gesellschaft oder deren Anteilseigner oder Mitglieder oder die Gesellschaft und deren Anteilseigner oder Mitglieder zusammen von Beginn des Verlustjahres an mehr als die Hälfte der Aktien oder Anteile der fusionierten oder gespaltenen Gesellschaft besessen haben …“

15.      Außerdem ist nach der finnischen Rechtsprechung dieses Recht zur Übernahme eines Verlustes der einbringenden Gesellschaft von der Voraussetzung abhängig, dass die Fusion nicht einzig zu diesem Zweck durchgeführt wird.

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

16.      Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist ein Vorbescheid zur finnischen Körperschaftsteuer (yhteisöjen tulovero). Diesen hatte die A Oy (im Folgenden: die Steuerpflichtige) beim Keskusverolautakunta (im Folgenden: Zentraler Steuerausschuss) beantragt, um eine steuerrechtliche Frage zur Übertragung von Verlusten verbindlich zu klären.

17.      Die in Finnland ansässige Steuerpflichtige hält sämtliche Anteile an der schwedischen Gesellschaft B AB. Diese Tochtergesellschaft hat ihre Geschäftstätigkeit mittlerweile eingestellt, nachdem sie in Schweden zuvor drei Einzelhandelsgeschäfte betrieben hatte. Sie hat allerdings noch Verpflichtungen aus zwei langfristigen Mietverträgen für Geschäftslokale. Aufgrund dieser Tätigkeit wurden für die Tochtergesellschaft im schwedischen Steuerverfahren für die Jahre 2001 bis 2007 Verluste in Höhe von 44,8 Mio. Schwedischen Kronen festgestellt, die nach aktuellem Wechselkurs rund 5 Mio. Euro entsprechen.

18.      Die Steuerpflichtige plant nun eine Fusion mit ihrer schwedischen Tochtergesellschaft. Durch die Fusion würde die schwedische Tochtergesellschaft aufgelöst und ihr gesamtes Vermögen durch die Steuerpflichtige übernommen.

19.      In seinem Vorbescheid vom 25. März 2009 vertrat der Zentrale Steuerausschuss die Auffassung, dass die Steuerpflichtige nach der Fusion die Verluste ihrer schwedischen Tochtergesellschaft im Rahmen der finnischen Körperschaftsteuer nicht zum Abzug bringen kann.

20.      Dementsprechend hat der mit dem Rechtsstreit nunmehr befasste Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof) festgestellt, dass die finnischen Bestimmungen die Übernahme des Verlustes einer fusionierten Gesellschaft nicht gestatten, wenn diese ihren Sitz im Ausland hat und ihre Verluste auch keiner finnischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Er hat jedoch Zweifel, ob diese Auslegung mit dem Unionsrecht, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, zu vereinbaren ist. Vor diesem Hintergrund hat er dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Beinhalten die Art. 49 und 54 AEUV, dass eine übernehmende Gesellschaft im Rahmen ihrer Besteuerung die Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig gewesenen und mit ihr fusionierten Gesellschaft aus deren dort ausgeübten Tätigkeit, die aus den Jahren vor der Fusion stammen, in Abzug bringen darf, wenn für die übernehmende Gesellschaft im Sitzstaat der fusionierten Gesellschaft keine Betriebsstätte verbleibt und sie nach den nationalen Rechtsvorschriften Verluste der fusionierten Gesellschaft nur in Abzug bringen darf, wenn die fusionierte Gesellschaft eine inländische Gesellschaft ist oder die Verluste in der in diesem Staat belegenen Betriebsstätte entstanden sind?

2.      Wenn die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Art. 49 und 54 AEUV von Bedeutung dafür, ob die Höhe eines abzuziehenden Verlustes nach dem Steuerrecht des Sitzstaates der übernehmenden Gesellschaft zu berechnen ist oder ob als abziehbare Verluste die im Sitzstaat der zu fusionierenden Gesellschaft nach dem Recht dieses Staates festgestellten Verluste anzusehen sind?

IV – Rechtliche Würdigung

21.      Die Vorlagefragen werden – zulässigerweise(5) – vor dem Hintergrund eines Ausgangsverfahrens gestellt, das die steuerlichen Konsequenzen eines noch nicht realisierten Sachverhaltes betrifft. Deshalb werde ich ihrer Beantwortung das aktuell geltende Unionsrecht zugrunde legen.

A –    Zur ersten Vorlagefrage: Übernahme des Verlustvortrags

22.      Mit seiner ersten Vorlagefrage will das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die im Fall einer Fusion der übernehmenden Gesellschaft grundsätzlich die Nutzung des Verlustvortrags der einbringenden Gesellschaft gestattet, dies aber hinsichtlich Verlusten aus einer Tätigkeit ausschließt, die nicht der finnischen Besteuerung unterliegt (ausländischer Verlustvortrag).

23.      Um dem vorlegenden Gericht eine nützliche Antwort in Bezug auf das anzuwendende Unionsrecht zu geben,(6) werde ich meine Untersuchung nicht auf die in den Art. 49 und 54 AEUV geregelte Niederlassungsfreiheit beschränken. Denn das Unionsrecht enthält für die steuerlichen Konsequenzen grenzüberschreitender Zusammenschlüsse von Gesellschaften eine eigene Rechtsnorm: die Fusionsrichtlinie. Mit dieser spezielleren Norm beginne ich meine Prüfung.

1.      Anwendung der Fusionsrichtlinie

24.      Nach ihrem Art. 1 Buchst. a haben die Mitgliedstaaten die Fusionsrichtlinie auf jegliche Fusionen anzuwenden, wenn daran Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sind. Gemäß Art. 2 Buchst. a Nr. iii der Fusionsrichtlinie liegt eine Fusion bei der Übernahme einer 100%-igen Tochtergesellschaft vor. Die in Finnland ansässige Steuerpflichtige plant die Übernahme ihrer schwedischen Tochtergesellschaft, an der sie sämtliche Anteile besitzt. Das vorlegende Gericht hat darüber hinaus festgestellt, dass die beiden Gesellschaften den Bestimmungen über die Gesellschaftsform genügen, so dass auch die Voraussetzungen des Art. 3 Buchst. a der Fusionsrichtlinie gegeben sind, der in Verbindung mit Anhang I Teil A die Formen aufführt, die im Sinne der Richtlinie als „Gesellschaften eines Mitgliedstaats“ anzusehen sind. Darüber hinaus dürften im vorliegenden Verfahren auch die Voraussetzungen der Buchst. b und c dieser Bestimmung im Hinblick auf die Steueransässigkeit und die Steuerpflicht nach dem finnischen Einkommensteuergesetz erfüllt sein. Damit ist auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens die Fusionsrichtlinie anzuwenden.

25.      Somit schließt sich die Frage an, welche Rechtsfolgen die Fusionsrichtlinie in Bezug auf die grenzüberschreitende Berücksichtigung von Verlusten vorsieht. Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass die Fusionsrichtlinie keine Bestimmungen dazu enthalte, wie der Mitgliedstaat der übernehmenden Gesellschaft die Verluste zu behandeln hat, die ein anderer Mitgliedstaat für die einbringende Gesellschaft festgestellt hat. In vergleichbarer Weise haben sich Verfahrensbeteiligte geäußert. Damit verbunden scheint die Schlussfolgerung, dass die Fusionsrichtlinie den Fall des Ausgangsverfahrens nicht regelt und ihr damit auch keine Erkenntnisse für die unionsrechtliche Zulässigkeit der finnischen Regelung entnommen werden können.

26.      Diese Sichtweise bedarf einer Korrektur. Wie bereits festgestellt fällt ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich der Fusionsrichtlinie. Diese Richtlinie soll nach ihrem 2. bis 4. Erwägungsgrund eine gemeinsame Regelung treffen, um zum Wohle des Binnenmarkts eine steuerliche Benachteiligung grenzüberschreitender gegenüber innerstaatlichen Fusionen zu beseitigen. Der 9. Erwägungsgrund bezieht in dieses Ziel ausdrücklich die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten mit ein.

27.      Dementsprechend enthält die Richtlinie in ihrem Art. 6 auch eine Regelung zur Übernahme steuerlich noch nicht berücksichtigter Verluste der einbringenden Gesellschaft durch die übernehmende Gesellschaft. Danach kann die übernehmende Gesellschaft Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen einbringenden Gesellschaft auf eine Betriebsstätte in diesem Mitgliedstaat übertragen, sofern eine solche Übertragung auch zwischen Gesellschaften dieses Mitgliedstaates möglich ist.

28.      Art. 6 der Fusionsrichtlinie sieht somit die Berücksichtigung eines Verlustvortrags der einbringenden Gesellschaft nur in ihrem eigenen Mitgliedstaat vor und nicht im Mitgliedstaat der übernehmenden Gesellschaft. Gemäß dieser Vorschrift hätte die Steuerpflichtige des Ausgangsverfahrens unter den Bedingungen der schwedischen Steuerregelungen das Recht, den Verlustvortrag ihrer schwedischen Tochtergesellschaft nach einer Fusion durch eine in Schweden belegene Betriebsstätte im Rahmen des schwedischen Steuerverfahrens zu nutzen. Dieses in Schweden bestehende Recht ist allerdings für die Steuerpflichtige offenbar ohne Wert, da sie nach den Angaben des vorlegenden Gerichts nach der Fusion nicht über eine Betriebsstätte in Schweden verfügen wird. Denn weder unterhält sie danach bereits eine solche Betriebsstätte in Schweden, noch wird sie eine Betriebsstätte der einbringenden Gesellschaft übernehmen können, da diese ihre Geschäftstätigkeit in Schweden eingestellt hat.

29.      Im Ergebnis ist jedoch festzustellen, dass die Fusionsrichtlinie den Fall des Ausgangsverfahrens regelt. Sie sieht nur nicht die von der Steuerpflichtigen gewünschte Rechtsfolge vor, nämlich die Nutzung des schwedischen Verlustvortrags für die Zwecke der finnischen Besteuerung. Nach der Fusionsrichtlinie ist nur eine Nutzung des schwedischen Verlustvortrags im Rahmen der schwedischen Besteuerung möglich. Der Mitgliedstaat der übernehmenden Gesellschaft ist folglich nach der Fusionsrichtlinie gerade nicht verpflichtet, den Verlustvortrag der einbringenden Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat zu berücksichtigen.

2.      Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit

30.      Allerdings ist mit dieser Erkenntnis noch nicht darüber befunden, ob das Unionsrecht insgesamt einer nationalen Regelung entgegensteht, welche die Übernahme ausländischer Verlustvorträge ausschließt. Ein solcher Ausschluss könnte nämlich mit der durch die Art. 49 und 54 AEUV gewährten Niederlassungsfreiheit der übernehmenden Gesellschaft unvereinbar sein.

31.      In diesem Fall hätte der Unionsgesetzgeber durch den Erlass der Fusionsrichtlinie nicht alles nach dem Vertrag Erforderliche getan, um das Funktionieren des Binnenmarktes durch die Beseitigung der steuerlichen Benachteiligungen grenzüberschreitender Fusionen zu gewährleisten. Dass der Unionsgesetzgeber dies zumindest als Möglichkeit in Betracht zieht, hat er bereits im 14. Erwägungsgrund der Fusionsrichtlinie zum Ausdruck gebracht. Danach werden die Mitgliedstaaten aufgerufen, erforderlichenfalls einseitige Maßnahmen zur Beseitigung der Hindernisse für das Funktionieren des Binnenmarkts zu treffen.

32.      Im Folgenden ist deshalb zu klären, ob die im finnischen Steuerrecht im Fall einer Fusion vorgesehene Versagung der Übernahme ausländischer Verlustvorträge gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt.

a)      Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

33.      Nach den Art. 49 und 54 AEUV sind Beschränkungen der freien Niederlassung von Gesellschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet worden sind, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates grundsätzlich verboten.

34.      Nach ständiger Rechtsprechung sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen.(7) Auch wenn die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, verbieten sie nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert.(8) Eine solche Behinderung sieht der Gerichtshof dann als gegeben an, wenn der Herkunftsmitgliedstaat diese Gesellschaft im Vergleich zu rein inländisch tätigen Gesellschaften unterschiedlich behandelt und diese unterschiedliche Behandlung geeignet ist, diese Gesellschaft von der Ausübung ihres Niederlassungsrechts in einem anderen Mitgliedstaat abzuhalten.(9)

35.      Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts schließen die §§ 119 und 123 des finnischen Einkommensteuergesetzes eine Übertragung von Verlusten aus, die aus einer Tätigkeit stammen, die nicht der finnischen Besteuerung unterliegt. Während eine Muttergesellschaft den Verlustvortrag einer inländischen Tochtergesellschaft im Fall einer Fusion in Finnland steuerlich nutzen kann, ist dies für den Verlustvortrag einer ausländischen Tochtergesellschaft aus ihrer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nicht möglich. Eine finnische Gesellschaft könnte sich angesichts dieser fehlenden Möglichkeit, die Verluste, die im Rahmen einer in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Tätigkeit anfallen, in Finnland steuerlich geltend zu machen, bereits von der Gründung oder dem Erwerb einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat abschrecken lassen. Die finnische Steuerregelung kann die finnischen Gesellschaften daher davon abhalten, in anderen Mitgliedstaaten einer Erwerbstätigkeit mittels einer Tochtergesellschaft nachzugehen. Die Niederlassungsfreiheit wird deshalb durch die finnische Steuerregelung beschränkt.

36.      Von dieser Feststellung zu unterscheiden ist die Frage, ob sich die Steuerpflichtige in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auf ihr Niederlassungsrecht berufen könnte. Insbesondere die Regierung des Vereinigten Königreichs hat vorgetragen, dass es im vorliegenden Fall aufgrund der Einstellung der Geschäftstätigkeit der schwedischen Tochtergesellschaft nicht um die Ausübung des Niederlassungsrechts gehe, sondern eher um das Gegenteil. Zwar ist eine Antwort auf diese Frage nur dann von Bedeutung, wenn die finnische Steuerregelung im Ergebnis einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt. Mir erscheint es jedoch von vornherein klar, dass Beschränkungen durch die abstrakten steuerlichen Rechtsfolgen einer Fusion, welche bereits die Aufnahme einer grenzüberschreitenden Tätigkeit behindern, erst zum Zeitpunkt der Fusion konkret verhindert werden können. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Niederlassungsfreiheit trotz der bestehenden Beschränkung durch die Steuerpflichtige bereits ausgeübt. Damit die ausgeübte Niederlassungsfreiheit nun aber ihre volle Wirkung entfalten kann, kann sich die Steuerpflichtige auch gegen die konkrete Anwendung der Beschränkung wenden. Die Steuerpflichtige kann sich deshalb auch im vorliegenden Fall auf die Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit berufen.

37.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in den Fällen nicht anzunehmen ist, in denen das finnische Recht bei der Übernahme von Verlustvorträgen nicht zwischen inländischen und ausländischen Verlustvorträgen differenziert. Dies ist nach den Angaben des vorlegenden Gerichts dann der Fall, wenn die Übernahme eines Verlustvortrags der einzige Grund der Fusion ist. Denn das finnische Recht untersagt hier die Übernahme für jegliche Gesellschaft. Insoweit wäre – mangels unterschiedlicher Behandlung – eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und damit ein etwaiger Verstoß der nationalen Bestimmung gegen die Art. 49 und 54 AEUV ausgeschlossen.

38.      Die Feststellung, ob im Ausgangsverfahren ein solcher Fall vorliegt und für dieses daher die Auslegung der Art. 49 und 54 AEUV unerheblich wäre, ist Sache des nationalen Gerichts. Für die Beantwortung der Vorlagefragen werde ich vor diesem Hintergrund jedoch davon ausgehen, dass sich die Frage des vorlegenden Gerichts zur Auslegung der Niederlassungsfreiheit auf Fälle beschränkt, in denen die Übernahme des Verlustvortrags nicht der einzige Grund der Fusion ist.

39.      Deshalb erübrigen sich im vorliegenden Fall auch weitere Ausführungen zur Bedeutung eines etwaigen missbräuchlichen Vorgehens der Steuerpflichtigen, wie sie von mehreren Verfahrensbeteiligten vorgetragen wurden. Denn jedenfalls kann der Umstand allein, dass eine wirtschaftlich begründete Fusionsentscheidung die Übernahme eines Verlustvortrags der einbringenden Gesellschaft zur Folge hat, keinen Missbrauchsvorwurf begründen, wenn eben dies das finnische Recht für Fusionen mit Bezug auf inländische Verlustvorträge vorsieht.

40.      Im Anschluss an die Feststellung einer unterschiedlichen Behandlung prüft der Gerichtshof im Rahmen der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit teilweise noch die objektive Vergleichbarkeit der Situationen.(10) Mir erscheint es jedoch zunehmend unklar, welchen Inhalt der Gerichtshof mit dieser Bedingung in Fällen verbindet, in denen – wie vorliegend – eine Beschränkung des Niederlassungsrechts durch den Herkunftsmitgliedstaat und damit die Vergleichbarkeit der Situation Gebietsansässiger zu untersuchen ist. Wenn der Gerichtshof es hier ausreichen lässt, dass in beiden Fällen gebietsansässige Steuerpflichtige den Vorteil einer steuerlichen Regelung in Anspruch nehmen wollen,(11) dann ist die Prüfung dieser Bedingung nur noch formal, da sie in jedem Fall – wie auch im vorliegenden – erfüllt sein wird. Gleiches gilt, wenn der Gerichtshof die objektive Vergleichbarkeit der Situationen ohne Begründung feststellt.(12)

41.      Vor diesem Hintergrund erscheint es mir sinnvoll, dem Beispiel einiger Urteile des Gerichtshofs zu folgen und auf eine Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen im Rahmen der Feststellung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Herkunftsmitgliedstaat zu verzichten.(13) Hierfür spricht zudem, dass eine Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen aus meiner Sicht nicht erschöpfend sein kann, ohne sich mit dem Grund für die unterschiedliche Behandlung zu beschäftigen. Eben dies ist jedoch eine Frage der Rechtfertigung einer Beschränkung, der ich mich im folgenden Abschnitt zuwenden werde.

42.      Es bleibt zunächst als Zwischenergebnis festzuhalten, dass eine nationale Regelung, die im Fall einer Fusion der übernehmenden Gesellschaft grundsätzlich die Nutzung des Verlustvortrags der einbringenden Gesellschaft gestattet, dies aber hinsichtlich Verlusten aus einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausschließt, die nicht der nationalen Besteuerung unterliegt, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.

b)      Rechtfertigung

43.      Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit allerdings zulässig, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.(14) Ein solcher Rechtfertigungsgrund kann nach gefestigter Rechtsprechung darin bestehen, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.(15) Danach ist den Mitgliedstaaten das Ergreifen von Maßnahmen gestattet, um die Ausübung ihrer Besteuerungszuständigkeit zu sichern.(16) Dazu kann es erforderlich sein, auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem dieser Staaten niedergelassenen Gesellschaften sowohl in Bezug auf Gewinne als auch auf Verluste nur dessen Steuerrecht anzuwenden.(17)

44.      Wie ich bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Philips Electronics dargelegt habe, wird die Besteuerungszuständigkeit eines Mitgliedstaats durch die Berücksichtigung von Verlusten beeinträchtigt, die im Rahmen der alleinigen Besteuerungsbefugnis eines anderen Mitgliedstaats entstanden sind.(18) Die Verluste, um deren Berücksichtigung es im vorliegenden Fall geht, sind aufgrund der Tätigkeit einer schwedischen Gesellschaft in Schweden entstanden. Diese Tätigkeit unterliegt nach Art. 7 Abs. 1 des hier anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommens der alleinigen Besteuerungsbefugnis des Königreichs Schweden. Durch die Berücksichtigung dieser Verluste würde somit die finnische Besteuerungszuständigkeit beeinträchtigt. Die Republik Finnland würde Verluste aus einer Tätigkeit berücksichtigen, die sie nicht besteuern kann. Grundsätzlich ist die Republik Finnland deshalb berechtigt, der Steuerpflichtigen die Berücksichtigung der Verluste der schwedischen Tochtergesellschaft insoweit zu verweigern.

45.      Die Frage, die das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bestimmt, ist jedoch, ob dies auch für den Fall einer Fusion gilt, mit der die übertragende Gesellschaft ihre rechtliche Existenz verliert und damit jede Möglichkeit zur Nutzung ihres Verlustvortrags im Rahmen der schwedischen Besteuerung.

i)      Erforderlichkeit der finnischen Regelung

46.      Insofern könnte die finnische Regelung über das zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten Erforderliche hinausgehen. Nach ständiger Rechtsprechung darf eine beschränkende Maßnahme nämlich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen.(19)

–       Zur Anwendbarkeit der „Marks & Spencer-Ausnahme“

47.      Im Urteil Marks & Spencer hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Erforderlichkeit und in Auseinandersetzung mit weniger belastenden Maßnahmen einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ausnahmsweise für den Fall angenommen, dass die gebietsfremde Tochtergesellschaft die in ihrem Sitzstaat vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat und keine Möglichkeit besteht, dass ihre Verluste dort künftig berücksichtigt werden.(20) Der gebietsansässigen Muttergesellschaft sei deshalb der Abzug von Verlusten einer gebietsfremden Tochtergesellschaft aus ihrer dortigen Tätigkeit zu gewähren, „wenn … die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und … keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden“.(21)

48.      Aus meiner Sicht ist diese Ausnahme nur vor dem Hintergrund der im Urteil Marks & Spencer geprüften Rechtfertigungsgründe zu verstehen. Der Gerichtshof hatte die Rechtfertigung dort nicht nur auf das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten gestützt, sondern unter anderem auch auf die Berechtigung der Mitgliedstaaten zur Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung.(22) Eine doppelte Verlustberücksichtigung ist aber nicht mehr zu befürchten, wenn die Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft in ihrem Sitzstaat nicht mehr berücksichtigt werden können. Eine nationale Regelung, die auch in einem solchen Fall die Nutzung des Verlusts durch die Muttergesellschaft verweigert, geht deshalb über das hinaus, was zur Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung erforderlich ist.

49.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat sich nach dem Urteil Marks & Spencer jedoch weiterentwickelt. Wie ich bereits in meinen Schlussanträgen zur Rechtssache Philips Electronics dargelegt habe, ist nach dieser fortentwickelten Rechtsprechung für die Rechtfertigung letztlich allein entscheidend, dass mit einer nationalen Regelung das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis verfolgt wird.(23) Das Ziel der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung hat demgegenüber keine eigenständige Bedeutung.(24)

50.      Für den Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis, der durch die Rechtsprechung mittlerweile als eigenständig anerkannt wurde,(25) ist die im Urteil Marks & Spencer entwickelte Ausnahme des Gerichtshofs aber nicht mehr passend. Denn für die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten ist es unerheblich, ob die Möglichkeit einer Verlustberücksichtigung in dem Mitgliedstaat besteht, dem die Besteuerungsbefugnis für eine bestimmte Tätigkeit zusteht. Es kommt allein darauf an, welcher Tätigkeit und damit welcher Besteuerungsbefugnis ein Verlust zuzuordnen ist.

51.      Eine Orientierung am Rechtfertigungsgrund der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten ergibt für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer nationalen Maßnahme eine völlig andere Perspektive. Im Hinblick auf diesen Rechtfertigungsgrund stellt es nämlich keine weniger belastende Maßnahme dar, wenn der Mitgliedstaat, dem die Besteuerungsbefugnis nicht zusteht, Verluste, die unter der Steuerhoheit eines anderen Mitgliedstaates entstanden sind, für den Fall berücksichtigen muss, dass eine solche Möglichkeit dort nicht mehr besteht. In einem solchen Fall wird das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse nämlich überhaupt nicht mehr erreicht.

52.      Die Weiterentwicklung der Bedeutung der Rechtfertigungsgründe, die im Urteil Marks & Spencer zunächst parallel herangezogen wurden, hat deshalb auch den Anwendungsbereich der dort entwickelten Ausnahme verschoben. Diese Ausnahme kann für die Prüfung der Erforderlichkeit einer nationalen Maßnahme nur noch herangezogen werden, sofern die Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung als eigenständiger Rechtfertigungsgrund anerkannt wird. Stützt sich die Rechtfertigung hingegen allein auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten, kann die „Marks & Spencer-Ausnahme“ aufgrund der fortentwickelten Rechtsprechung keine Anwendung mehr finden.

53.      Dieser Sichtweise entsprechend hat der Gerichtshof auch sein jüngstes Urteil zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung begründet. Während er im Urteil X Holding die Rechtfertigung allein auf das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gründete, erwähnte er die im Urteil Marks & Spencer aufgestellte Ausnahme konsequenterweise nicht mehr, obwohl er sich ausführlich mit der Erforderlichkeit der nationalen Regelung beschäftigte.(26)

54.      Damit ist die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Verweigerung der Übernahme ausländischer Verlustvorträge im Hinblick auf das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erforderlich, ohne dass es auf die Frage ankommt, ob die schwedische Tochtergesellschaft in ihrem Sitzstaat noch eine Möglichkeit zur Berücksichtigung ihres Verlustvortrages hat.

–       Zur Anwendung der „Marks & Spencer-Ausnahme“

55.      Selbst wenn man dieser Frage jedoch weiterhin Bedeutung beimäße, ist festzustellen, dass im Fall einer Fusion wie der vorliegenden die nach dem Urteil Marks & Spencer aufgestellten Voraussetzungen für die ausnahmsweise Berücksichtigung eines Verlustes der gebietsfremden Tochtergesellschaft im Mitgliedstaat der Muttergesellschaft nicht erfüllt sind.

56.      Der Gerichtshof wollte im Urteil Marks & Spencer erkennbar eine Ausnahme nur ultima ratio annehmen. Dies zeigt sich auch daran, dass der Gerichtshof die Möglichkeit weiterer, weniger belastender Maßnahmen sah, deren Regelung aber explizit dem Unionsgesetzgeber überließ.(27) Aus diesem Grund ist die Ausnahme sehr restriktiv formuliert. Nach dem Urteil muss im Sitzstaat der Tochtergesellschaft selbst die bloße Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass ein Verlust bei ihr oder einem Dritten in vergangenen oder künftigen Steuerzeiträumen berücksichtigt wird.(28)

57.      Zwar ist im vorliegenden Fall einer Fusion festzustellen, dass die Tochtergesellschaft durch die Aufgabe ihrer rechtlichen Existenz jede Möglichkeit der Verlustberücksichtigung im schwedischen Steuerverfahren verlöre. Dies wäre aber nur die Folge der Fusionsentscheidung. Die Fusion selbst beruhte hingegen auf einer freien Entscheidung der Muttergesellschaft. Wollte man die fehlende Möglichkeit zur Verlustberücksichtigung allein an den Folgen der Fusionsentscheidung orientieren, so müsste auch jede Verfahrenshandlung der Tochtergesellschaft im schwedischen Steuerverfahren – wie etwa eine bewusst verfristete Antragstellung zur Geltendmachung eines Verlustvortrags oder der Verzicht auf die Geltendmachung – den Ausschluss der Verlustnutzungsmöglichkeit im Sinne der „Marks & Spencer-Ausnahme“ begründen können.

58.      Vor diesem Hintergrund begäbe sich die Steuerpflichtige also selbst der Möglichkeit zur Verlustberücksichtigung im Königreich Schweden, indem sie sich für eine Fusion mit ihrer Tochtergesellschaft entscheidet. Der Gerichtshof hat aber mehrfach betont, dass einem Steuerpflichtigen nicht die freie Wahl zusteht, welches Steuersystem auf Verluste seiner Tochtergesellschaften anwendbar ist und wo die Verluste berücksichtigt werden.(29) Wie die finnische Regierung zu Recht vorgetragen hat, würde im vorliegenden Fall jedoch eine solche freie Wahl bestehen, wenn die Verluste der schwedischen Tochtergesellschaft nach einer Fusion auch für die Zwecke der finnischen Besteuerung berücksichtigt werden müssten.

59.      Darüber hinaus kann die Steuerpflichtige aus meiner Sicht auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass bereits vor der Fusion eine Nutzung des schwedischen Verlustvortrags aufgrund der Aufgabe des Geschäftsbetriebs der schwedischen Tochtergesellschaft nicht mehr möglich ist. Denn ihr steht im Gegenteil weiterhin die Möglichkeit offen, durch die Wiederaufnahme einer Geschäftstätigkeit und dadurch entstehende Gewinne die schwedischen Verlustvorträge zukünftig zu nutzen. Wollte man hier hingegen allein die Aufgabe des Geschäftsbetriebs durch den Steuerpflichtigen als entscheidend ansehen, würde dies wiederum eine Wahlmöglichkeit bedeuten, die dem Steuerpflichtigen wie gesehen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht zusteht. Denn es ist regelmäßig nicht objektiv feststellbar, ob die Aufgabe einer Geschäftstätigkeit wirtschaftlich zwingend ist, weil ihre Fortführung nicht mehr zu Gewinnen führen kann.

60.      Schließlich hat die Steuerpflichtige im Verfahren vor dem Gerichtshof selbst vorgetragen, dass unter bestimmten Bedingungen die Verluste ihrer schwedischen Tochtergesellschaft auch auf eine andere ihrer schwedischen Tochtergesellschaften übertragen werden könnten. Inwieweit dies eine tatsächliche Möglichkeit der Verlustberücksichtigung in Schweden darstellt, hätte gegebenenfalls das vorlegende Gericht zu klären. Eine solche Möglichkeit kann jedenfalls nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil die Bedingungen einer Verlustübertragung nach schwedischem Recht ungünstiger sind als nach dem finnischen Recht. Denn der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Verlusten einer ausländischen Betriebsstätte bereits festgestellt, dass ein Staat für die Zwecke seines eigenen Steuerrechts nicht verpflichtet sein kann, die eventuell ungünstigen Auswirkungen der Besonderheiten einer Regelung eines anderen Staates zu berücksichtigen.(30)

ii)    Angemessenheit der finnischen Regelung

61.      Von der somit festzustellenden Erforderlichkeit der finnischen Regelung zur Erreichung des Ziels der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten ist die Frage zu unterscheiden, ob die im Rahmen der Niederlassungsfreiheit verursachten Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne).(31)

62.      Dies könnte fraglich sein, da nach der bisherigen Prüfung im Ergebnis ein ausländischer Verlustvortrag durch eine Fusion nie durch die übernehmende Gesellschaft im Rahmen des finnischen Steuerverfahrens genutzt werden kann. Es verblieben keine Fälle, in denen im Rahmen einer Fusion ausnahmsweise eine solche Übertragung von Verlustvorträgen aus einer anderen Steuerhoheit möglich wäre.

63.      Zunächst erscheint mir jedoch die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im vorliegenden Fall nicht als besonders schwerwiegend. Im Ergebnis hat ein Steuerpflichtiger in bestimmten Fällen wirtschaftlich einen steuerlichen Verlust endgültig zu tragen. Dieses Schicksal ist in den Steuersystemen der Mitgliedstaaten nichts Außergewöhnliches und kann sich schon aus dem bloßen Ablauf der Fristen für den Verlustvortrag ergeben. Es sind im Fall der finnischen Regelung auch nur wenige Gesellschaften betroffen, nämlich nur solche, bei denen, obwohl sie nach der Fusion nicht über eine Betriebsstätte im anderen Mitgliedstaat verfügen und daher eine Verlustnutzung nach Art. 6 der Fusionsrichtlinie ausgeschlossen ist, die Verlustnutzung nicht der einzige Grund der Fusion ist.

64.      Zwar könnte man dem letzten Gesichtspunkt entgegnen, dass damit auch das Gewicht der Beeinträchtigung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten nicht groß ist. Hier ist jedoch zu beachten, dass der Unionsgesetzgeber im Bereich der Aufteilung dieser Besteuerungsbefugnisse durch die Fusionsrichtlinie bereits gewisse Grundentscheidungen getroffen hat, die aus meiner Sicht zu respektieren sind.

65.      Im 4. Erwägungsgrund der Fusionsrichtlinie hat der Unionsgesetzgeber zunächst deutlich gemacht, dass er zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen eine gemeinsame steuerliche Regelung in der Union der Ausdehnung der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden nationalen Steuersysteme vorzieht. Eine derartige Ausdehnung des finnischen Steuersystems würde aber die Übernahme von ausländischen Verlustvorträgen im Fall einer Fusion bedeuten. Im Ergebnis würden sämtliche in der Union ansässigen Tochtergesellschaften finnischer Muttergesellschaften in den Genuss der finnischen Regelungen zur Verlustnutzung bei einer Fusion kommen. Außerhalb Finnlands würde dies jedoch zu Wettbewerbsverzerrungen führen, da nicht alle Mitgliedstaaten die gleiche Verlustübernahmeregelung wie das finnische Steuerrecht vorsehen.(32) Deshalb würden beispielsweise in Schweden ansässige Tochtergesellschaften im Hinblick auf die Übernahme eines Verlustvortrags im Fall einer Fusion je nach dem Steuersystem des Mitgliedstaats, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, unterschiedlich behandelt.

66.      Aus diesem Grund sieht Art. 6 der Fusionsrichtlinie unionsweit einheitlich eine Nutzung des Verlustvortrags in dem Mitgliedstaat vor, in dem die einbringende Gesellschaft ansässig war. Der Unionsgesetzgeber hat sich damit bewusst im Fall einer Fusion für die grundsätzliche Berücksichtigung von Verlusten im Mitgliedstaat der einbringenden Gesellschaft entschieden. Wenn die Voraussetzungen dieser grundsätzlichen Möglichkeit aber im Einzelfall nicht erfüllt sind, würde die anstelle dessen angeordnete Verlustberücksichtigung im Mitgliedstaat der übernehmenden Gesellschaft sowohl die Grundentscheidung des Unionsgesetzgebers konterkarieren als auch die Geltung der in Art. 6 der Fusionsrichtlinie angeordneten Bedingungen in Frage stellen.(33)

67.      Schließlich scheint es mir der Rechtssicherheit zu dienen, im vorliegenden Fall das überwiegende Gewicht auf eine klare Abgrenzung zwischen den Besteuerungsbefugnissen der Mitgliedstaaten zu legen. Detaillierte Differenzierungen, wie sie beispielsweise im Urteil Marks & Spencer unternommen wurden, sind nicht im Interesse der Niederlassungsfreiheit, wenn sie in der Rechtswirklichkeit zu Unsicherheit und Streit führen. Die Steuerpflichtige hat hierzu in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll dargelegt, wie komplex die steuer- und gesellschaftsrechtlichen Fragen sind, die eine solche Ausnahmeregelung hervorrufen kann. Es stellte aber die einheitliche Geltung des Unionsrechts in Frage, wenn die Klärung dieser Fragen – wie von der Kommission vorgeschlagen – allein den nationalen Gerichten überlassen würde.

68.      Nach alledem stehen aus meiner Sicht die durch die finnische Regelung im Rahmen der Niederlassungsfreiheit verursachten Nachteile auch in einem angemessenen Verhältnis zur damit beabsichtigten Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten.

3.      Zwischenergebnis

69.      Auf die erste Vorlagefrage ist deshalb zu antworten, dass weder die Fusionsrichtlinie noch die Art. 49 und 54 AEUV einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine inländische übernehmende Gesellschaft im Rahmen ihrer Besteuerung die Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig gewesenen und mit ihr fusionierten Gesellschaft aus deren dort ausgeübten Tätigkeit, die dem alleinigen Besteuerungsrecht des anderen Mitgliedstaats unterlag, nicht in Abzug bringen darf.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage: Berechnung des Verlustes

70.      Mit seiner zweiten Frage will das vorlegende Gericht wissen, ob der gegebenenfalls zu berücksichtigende ausländische Verlustvortrag nach dem Steuerrecht des Sitzstaats der übernehmenden oder der einbringenden Gesellschaft zu berechnen ist.

71.      Vor dem Hintergrund meiner Antwort auf die erste Vorlagefrage muss die zweite Vorlagefrage nicht mehr beantwortet werden. Denn der Mitgliedstaat der übernehmenden Gesellschaft ist durch das Unionsrecht nicht verpflichtet, den ausländischen Verlustvortrag zu berücksichtigen.

72.      Für den Fall jedoch, dass der Gerichtshof meinem Vorschlag zur Beantwortung der ersten Vorlagefrage nicht folgen und statt dessen annehmen sollte, dass die übernehmende Gesellschaft Verluste der einbringenden Gesellschaft in Abzug bringen kann, ist die zweite Vorlagefrage ebenfalls zu beantworten.

73.      Die Antwort auf die zweite Vorlagefrage sollte dann aus meiner Sicht in der Weise erfolgen, dass die zu berücksichtigenden Verluste grundsätzlich nach dem Steuerrecht des Sitzstaats der übernehmenden Gesellschaft zu berechnen sind. Denn nur eine solche Berechnung führte, wie auch die französische Regierung vorgetragen hat, zu einer Gleichbehandlung von inländischem und grenzüberschreitendem Sachverhalt, also der steuerlichen Gleichbehandlung einer Fusion mit einer inländischen Tochtergesellschaft und einer Fusion mit einer ausländischen Tochtergesellschaft. Durch diese Gleichbehandlung würde die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit beseitigt, die wie gesehen gerade auf der unterschiedlichen Behandlung der beiden Sachverhalte beruht.(34)

74.      Vor diesem Hintergrund ist dem Vortrag der Kommission sowie der finnischen Regierung nicht zu folgen, die den Verlust maximal in der nach dem Steuerrecht des Sitzstaats der einbringenden Gesellschaft, vorliegend also im Königreich Schweden, ermittelten Höhe berücksichtigen wollen. In diesem Fall wäre eine Gleichbehandlung der steuerrechtlichen Folgen einer inländischen und einer grenzüberschreitenden Fusion gerade nicht gewährleistet. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bestünde fort, da die Verlustberücksichtigung bei grenzüberschreitenden Fusionen in geringerem Umfang erfolgte als bei rein inländischen Fusionen.

75.      Der Grundsatz einer Berechnung der zu berücksichtigenden Verluste nach dem Steuerrecht des Sitzstaats der übernehmenden Gesellschaft kann jedoch je nach der Ursache einer vom betriebswirtschaftlichen Ergebnis abweichenden Verlustberechnung einzuschränken sein. Ausnahmen könnten beispielsweise für steuerrechtliche Förderregelungen des Sitzstaats der übernehmenden Gesellschaft gelten, die – wie etwa erhöhte Abschreibungen – einen höheren Verlust zur Folge haben. Hier ist nicht auszuschließen, dass die Begrenzung der Anwendung derartiger Regelungen auf inländische Tätigkeiten für sich genommen gerechtfertigt ist. Dies hätte zur Folge, dass insoweit eine Verlustberechnung nicht nach dem Steuerrecht des Sitzstaats der übernehmenden Gesellschaft erfolgen müsste.

76.      Da das Vorabentscheidungsersuchen jedoch keine Angaben dazu enthält, worin etwaige Abweichungen der Verlustberechnung nach finnischem und schwedischem Recht bestehen oder welche Bestimmungen der Verlustberechnung in ihrer Anwendung zweifelhaft sind, kann dem vorlegenden Gericht insoweit keine abschließende Antwort gegeben werden.

V –    Ergebnis

77.      Im Ergebnis schlage ich dem Gerichtshof jedoch vor, die Vorlagefragen des Korkein hallinto-oikeus wie folgt zu beantworten:

Weder die Fusionsrichtlinie noch die Art. 49 und 54 AEUV stehen einer nationalen Regelung entgegen, nach der eine inländische übernehmende Gesellschaft im Rahmen ihrer Besteuerung die Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig gewesenen und mit ihr fusionierten Gesellschaft aus deren dort ausgeübten Tätigkeit, die dem alleinigen Besteuerungsrecht des anderen Mitgliedstaats unterlag, nicht in Abzug bringen darf.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Vgl. Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C-446/03, Slg. 2005, I-10837.


3 – Vgl. beispielhaft Cordewener, Cross-Border Loss Relief and the 'Effet Utile' of EU Law: Are We Losing It?, EC Tax Review 2011, 58.


4 – Richtlinie 2009/133/EG des Rates vom 19. Oktober 2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensanteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat (ABl. L 310, S. 34), durch die die Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 mit gleich lautendem Titel (ABl. L 225, S. 1) neu gefasst wurde. Diese Richtlinie ist nicht zu verwechseln mit der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (ABl. L 310, S. 1), die sich mit den gesellschaftsrechtlichen Aspekten bestimmter grenzüberschreitender Zusammenschlüsse befasst.


5 – Vgl. Urteil vom 18. November 1999, X und Y (C-200/98, Slg. 1999, I-8261, Randnrn. 21 und 22), das zum insoweit vergleichbaren schwedischen Recht erging.


6 – Vgl. insoweit zur Möglichkeit einer weiten Auslegung eines Vorabentscheidungsersuchens u. a. Urteile vom 12. Juli 1979, Union Laitière Normande (244/78, Slg. 1979, 2663, Randnr. 5), und vom 26. April 2012, Van Putten (C-578/10 bis C-580/10, Randnr. 23).


7 – So u. a. Urteile vom 15. Januar 2002, Kommission/Italien (C-439/99, Slg. 2002, I-305, Randnr. 22), und vom 29. November 2011, National Grid Indus (C-371/10, Slg. 2011, I-12273, Randnr. 36).


8 – So u. a. Urteile vom 27. September 1988, Daily Mail and General Trust (81/87, Slg. 1988, 5483, Randnr. 16), und National Grid Indus (zitiert in Fn. 7, Randnr. 35).


9 – Vgl. u. a. Urteile vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C-9/02, Slg. 2004, I-2409, Randnr. 46), und National Grid Indus (zitiert in Fn. 7, Randnr. 37).


10 – Vgl. u. a. Urteile vom 25. Februar 2010, X Holding (C-337/08, Slg. 2010, I-1215, Randnrn. 20 bis 24), und National Grid Indus (zitiert in Fn. 7, Randnr. 38).


11 – Vgl. Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnr. 24).


12 – Vgl. Urteil National Grid Indus (zitiert in Fn. 7, Randnr. 38).


13 – Vgl. u. a. Urteile vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C-414/06, Slg. 2008, I-3601, Randnr. 18 bis 25), und vom 23. Oktober 2008, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt (C-157/07, Slg. 2008, I-8061, Randnrn. 27 bis 39).


14 – So u. a. Urteile vom 18. Juli 2007, Oy AA (C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Randnr. 44), und vom 13. Oktober 2011, Waypoint Aviation (C-9/11, Slg. 2011, I-9697, Randnr. 27).


15 – Vgl. u. a. Urteile Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnr. 45) und National Grid Indus (zitiert in Fn. 7, Randnr. 45).


16 – Vgl. u. a. Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 56), und National Grid Indus (zitiert in Fn. 7, Randnr. 46).


17 – Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnr. 28).


18 – Vgl. Schlussanträge vom 19. April 2012, Philips Electronics (C-18/11, beim Gerichtshof anhängig, Nrn. 50 f.).


19 – So u. a. Urteile vom 21. November 2002, X und Y (C-436/00, Slg. 2002, I-10829, Randnr. 49), Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnr. 53) und Waypoint Aviation (zitiert in Fn. 14, Randnr. 27).


20 – Vgl. Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 54 f.).


21 – Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnr. 55).


22 – Vgl. Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 47 f.).


23 – Vgl. Schlussanträge Philips Electronics (zitiert in Fn. 18, Nrn. 40 bis 42).


24 – Vgl. Schlussanträge Philips Electronics (zitiert in Fn. 18, Nrn. 58 ff.).


25 – Vgl. Urteile X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnrn. 28 bis 33) und National Grid Indus (zitiert in Fn. 7, Randnrn. 45 bis 49); in diesem Sinne bereits Urteil vom 7. September 2006, N (C-470/04, Slg. 2006, I-7409, Randnr. 42).


26 – Vgl. Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnrn. 27 ff.).


27 – Vgl. Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 58).


28 – Vgl. Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnr. 55).


29 – Vgl. Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnrn. 29 bis 32); vgl in diesem Sinne ebenfalls Urteil Oy AA (zitiert in Fn. 14, Randnrn. 64 f.).


30 – Vgl. Urteil Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt (zitiert in Fn. 13, Randnr. 49).


31 – Vgl. hierzu Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 8. März 2011, Kommission/Österreich (C-10/10, Slg. 2011, I-5389, Nr. 67 f.) und meine Schlussanträge vom 12. September 2006, Oy AA (C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Nrn. 32 und 66); vgl. auch Urteil vom 9. März 2010, ERG u. a. (C-379/08 und C-380/08, Slg. 2010, I-2007, Randnr. 86).


32 – Vgl. auch den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über eine Regelung für Unternehmen zur Berücksichtigung der Verluste ihrer in anderen Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten und Tochtergesellschaften vom 24. Januar 1991, KOM(90) 595 endg., Randnr. 12 der Begründung.


33 – Vgl. zur abschließenden Verbindlichkeit von Tatbestandsvoraussetzungen das Urteil vom 11. Dezember 2008, A.T. (C-285/07, Slg. 2008, I-9329, Randnr. 27), zu Art. 8 der Fusionsrichtlinie.


34 – Siehe oben, Nrn. 33 ff.