URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
19. Dezember 2012(*)
„Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Zweite Richtlinie 67/228/EWG – Art. 8 Buchst. a – Sechste Richtlinie 77/388/EWG – Lieferung von Gegenständen – Besteuerungsgrundlage – Von einer Versandhandelsgesellschaft an ihren Vertreter gezahlte Provision – Drittkundenkäufe – Preisnachlass nach dem Steuertatbestand – Unmittelbare Wirkung“
In der Rechtssache C-310/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 26. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juni 2011, in dem Verfahren
Grattan plc
gegen
The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer sowie der Richter U. Lõhmus, A. Ó Caoimh, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Grattan plc, vertreten durch H. Stone und P. Lasok, QC, im Beistand von R. Haynes, Barrister,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Murrell, E. Jenkinson und L. Seeboruth als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und C. Soulay als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. September 2012
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Buchst. a und Anhang A Nr. 13 der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. Nr. 71, S. 1303, im Folgenden: Zweite Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Grattan plc (im Folgenden: Grattan) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs (im Folgenden: Commissioners) über die Rückerstattung der auf die Provisionen, die als „Vertreter“ bezeichneten Personen für die im Zeitraum von 1973 bis 1977 über sie bestellten Waren gezahlt wurden, entfallenden Mehrwertsteuerbeträge.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 5 der Zweiten Richtlinie bestimmte:
„(1) ‚Lieferung eines Gegenstands‘ ist die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
(2) Als Lieferungen im Sinne des Absatzes 1 gelten ferner:
…
c) die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrages über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission;
…
(5) Der Steuertatbestand ist zu dem Zeitpunkt verwirklicht, zu dem die Lieferung ausgeführt wird. …“
4 Anhang A Nr. 8 der Zweiten Richtlinie lautete: „Unter dem Begriff ‚Steuertatbestand‘ ist der Tatbestand zu verstehen, an den die Entstehung der Steuerschuld geknüpft ist.“
5 Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie bestimmte:
„Die Besteuerungsgrundlage ist:
a) bei Lieferungen und Dienstleistungen alles, was den Gegenwert für die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bildet, einschließlich der Kosten und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst“.
6 Unter dem Begriff „Gegenwert“ war nach Anhang A Nr. 13 der Richtlinie
„alles zu verstehen, was als Gegenleistung für die Lieferung des Gegenstands oder für die Dienstleistung erhalten wird, einschließlich der Nebenkosten (Verpackung, Beförderung, Versicherung usw.), d. h. nicht nur die vereinnahmten Geldbeträge, sondern z. B. auch der Wert der im Tausch erhaltenen Gegenstände ...“
7 Art. 11 Teil A der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie), die die Zweite Richtlinie ab dem Jahr 1978 ersetzte, bestimmte in seinem maßgeblichen Teil:
„(1) Die Besteuerungsgrundlage ist:
a) bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b), c) und d) genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen;
…
(3) In die Besteuerungsgrundlage sind nicht einzubeziehen:
a) Preisnachlässe durch Skonto für Vorauszahlungen;
b) Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird;
…“
8 Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
Jedoch können die Mitgliedstaaten im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von dieser Regel abweichen.“
Recht des Vereinigten Königreichs
9 Zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit war die einschlägige Bestimmung des nationalen Rechts Section 10(2) des Finance Act 1972, die vorsah:
„Wenn die Lieferung gegen einen Gegenwert in Geld erfolgt, ist ihr Wert mit dem Betrag anzusetzen, der dem des Gegenwerts entspricht, zuzüglich der zu erhebenden Steuer.“
10 Das First-tier Tribunal (Tax Chamber) führt aus, dass das nationale Recht keine Vorschriften enthalten habe, die rückwirkende Verminderungen des Werts von Lieferungen aufgrund von erst nach der Lieferung erfolgten Preisreduzierungen oder Nachlässen vorgesehen hätten.
11 Bis zum 1. Januar 1978 hatten die Mitgliedstaaten „ihre gegenwärtige Mehrwertsteuerregelung“ den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie anzupassen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
12 Grattan ist vertretungsberechtigtes Mitglied einer Gruppe mehrwertsteuerpflichtiger Gesellschaften, die während des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraums Versandhandelsgesellschaften waren (im Folgenden: Gesellschaften). Sie nahmen die Dienste von Vertretern in Anspruch, die u. a. für Käufe durch Dritte (im Folgenden: Drittkundenkäufe), denen sie die Kataloge einer Gesellschaft übermittelten und bei denen es sich um Endverbraucher handelte (im Folgenden: Unterkunden), Provisionen erhielten. Der Vertreter erteilte die Bestellungen der Unterkunden telefonisch im Call-Center der betreffenden Gesellschaft oder schickte ein Bestellformular. Im Allgemeinen wurden die bestellten Waren an den Vertreter zur Weiterleitung an die Unterkunden geliefert. Zahlungen für die Waren wurden durch den Vertreter von den Unterkunden eingezogen und regelmäßig an die Versandhandelsgesellschaft überwiesen.
13 Die Vertreter erhielten eine Provision von 10 % der vom Vertreter an die Gesellschaft überwiesenen Beträge sowohl für ihre eigenen Warenkäufe aus dem Versandhandelskatalog als auch für Drittkundenkäufe. Die Provision wurde einem in der Buchhaltung der Gesellschaft geführten Konto gutgeschrieben, und der Vertreter konnte sie dann auf verschiedene Weise abrufen:
– Der Vertreter konnte sie als Scheckzahlung abrufen;
– der Vertreter konnte die Gutschrift mit seinem Kontostand verrechnen lassen, so dass sich offene Forderungen der Gesellschaft gegen ihn für Waren reduzierten, die er von der Gesellschaft gekauft hatte;
– der Vertreter konnte die Gutschrift auch als Voll- oder Teilzahlung mit dem Kauf weiterer Waren verrechnen lassen.
14 Wurde die Provision als Scheckzahlung abgerufen oder als Gutschrift mit einem negativen Kontostand des Vertreters verrechnet, wurde sie als „in bar“ abgerufen bezeichnet. Wurde die Provision mit dem Kauf weiterer Waren verrechnet, wurde sie als „in Ware“ abgerufen bezeichnet. Im Verfahren vor dem Tax Tribunal geht es nur um Fälle, in denen die Provision „in bar“ abgerufen wurde.
15 Die Gesellschaften entrichteten die Mehrwertsteuer auf den vollen Katalogpreis, einschließlich des Betrags der an die Vertreter gezahlten Provision. Grattan forderte von den Commissioners die Rückerstattung der auf diese Provision entfallenden Mehrwertsteuerbeträge mit der Begründung, dass sie eine Rückvergütung darstelle, die den Gegenwert oder die Besteuerungsgrundlage von Warenlieferungen durch die Gesellschaften an die Vertreter vermindere. Die Commissioners erstatteten die Mehrwertsteuer auf diese Provisionen mit Ausnahme der für Drittkundenkäufe im Zeitraum von 1973 bis zum 1. Januar 1978 in bar abgerufenen Provisionen.
16 Beim vorlegenden Gericht hat Grattan geltend gemacht, die in bar abgerufenen Provisionen für Drittkundenkäufe seien Nachlässe auf den vom Vertreter gezahlten Preis für Waren, die er von der betreffenden Gesellschaft gekauft habe (wenn er die Provisionen zum Zeitpunkt der Lieferung erhalten habe), oder eine Rückvergütung (wenn er sie nach der Lieferung erhalten habe). Der Gegenwert, oder die Besteuerungsgrundlage, sei deshalb zu vermindern. Dies ergebe sich aus Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie und für den Zeitraum vor 1978 aus Art. 8 Buchst. a und Anhang A Nr. 13 der Zweiten Richtlinie sowie jedenfalls aus dem bereits vor 1978 bestehenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität.
17 Die Commissioners haben geltend gemacht, die Zweite Richtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten nicht, wie Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie es vorsehe, zu Maßnahmen, die die rückwirkende Verminderung der Besteuerungsgrundlage zu einem Zeitpunkt nach erfolgter Lieferung vorsähen. Darüber hinaus sei Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie nicht hinreichend präzise gewesen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten. Nach Ansicht der Commissioners bestanden relevante Unterschiede zwischen Provisionen für Drittkundenkäufe und für eigene Warenkäufe der Vertreter aus dem Versandhandelskatalog.
18 Unter diesen Umständen hat das First-tier Tribunal (Tax Chamber) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Hat ein Steuerpflichtiger für den Zeitraum vor dem 1. Januar 1978 ein unmittelbar wirksames Recht nach Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie und/oder nach den Grundsätzen der steuerlichen Neutralität und der Gleichbehandlung, die Besteuerungsgrundlage für Lieferungen von Gegenständen als rückwirkend vermindert zu behandeln, wenn der Abnehmer der Lieferung von Gegenständen nach dem Zeitpunkt dieser Lieferung eine Gutschrift des Lieferers erhalten hat, die der Abnehmer dann nach seiner Wahl entweder als Geldzahlung oder als Gutschrift auf dem Lieferer geschuldete Beträge für bereits erfolgte Lieferungen von Gegenständen an den Abnehmer abgerufen hat?
Zur Vorlagefrage
19 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einem Steuerpflichtigen das Recht einräumt, die Besteuerungsgrundlage für eine Lieferung von Gegenständen als rückwirkend vermindert zu behandeln, wenn ein Vertreter nach dem Zeitpunkt dieser Lieferung von Gegenständen eine Gutschrift des Lieferers erhalten hat, die er nach seiner Wahl entweder als Geldzahlung oder als Gutschrift auf dem Lieferer geschuldete Beträge für bereits erfolgte Lieferungen von Gegenständen abgerufen hat.
20 Zur Beantwortung dieser Frage ist daran zu erinnern, dass Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie vorsah, dass die Besteuerungsgrundlage „bei Lieferungen und Dienstleistungen alles [ist], was den Gegenwert für die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bildet, einschließlich der Kosten und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst“.
21 Der in Art. 8 Buchst. a dieser Richtlinie verwendete Begriff „Gegenwert“ wurde in Anhang A Nr. 13 definiert als „alles …, was als Gegenleistung für die Lieferung des Gegenstands oder für die Dienstleistung erhalten wird, einschließlich der Nebenkosten (Verpackung, Beförderung, Versicherung usw.), d. h. nicht nur die vereinnahmten Geldbeträge, sondern z. B. auch der Wert der im Tausch erhaltenen Gegenstände“.
22 Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Gegenwert“ in einer unionsrechtlichen Vorschrift enthalten ist, die zur Bestimmung seines Sinnes und seiner Tragweite nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist. Daraus folgt, dass die Auslegung des Begriffs in seiner allgemeinen Bedeutung nicht in das Ermessen jedes einzelnen Mitgliedstaats gestellt sein kann. Dieser Gegenwert ist ein subjektiver Wert, da die Besteuerungsgrundlage für Dienstleistungen die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und nicht ein nach objektiven Maßstäben geschätzter Wert (Urteil vom 5. Februar 1981, Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, 154/80, Slg. 1981, 445, Randnrn. 9 und 13).
23 Um festzustellen, ob Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtete, eine Änderung dieses Gegenwerts und damit eine Berichtigung der Besteuerungsgrundlage nach dem Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands zuzulassen, sind auch die Vorschriften dieser Richtlinie über die Berechnung, die Erklärung und die Zahlung der Mehrwertsteuer zu prüfen. Die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage setzt nämlich eine Bemessungsgrundlage und einen Steuertatbestand voraus.
24 Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 5 Abs. 5 der Zweiten Richtlinie vorsah: „Der Steuertatbestand ist zu dem Zeitpunkt verwirklicht, zu dem die Lieferung ausgeführt wird.“ Der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „Steuertatbestand“ wurde in Anhang A Nr. 8 der Richtlinie als „Entstehung der Steuerschuld“ definiert.
25 Keine Vorschrift der Zweiten Richtlinie sah die Festlegung des Eintritts des Steuertatbestands zu einem späteren Zeitpunkt vor oder schob diesen in anderer Weise auf. Die Richtlinie enthält zudem keine Vorschrift, die die Änderung einer einmal entstandenen Steuerschuld vorsieht.
26 Daher ist festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in Nr. 41 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Steuerschuld eines Steuerpflichtigen insbesondere gemäß Art. 5 Abs. 5 der Zweiten Richtlinie in der Höhe entstanden ist, die sich aus der zum Zeitpunkt der Lieferung festgestellten Besteuerungsgrundlage ergibt.
27 Somit ist festzustellen, dass weder Art. 8 Buchst. a noch ein anderer Artikel der Zweiten Richtlinie dahin ausgelegt werden konnte, dass eine Berichtigung der Besteuerungsgrundlage oder der entrichteten Steuer nach der Lieferung, die den Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands darstellt, zuzulassen war.
28 Was sodann den Grundsatz der steuerlichen Neutralität betrifft, ist daran zu erinnern, dass dieser Grundsatz, der ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt, Ausdruck des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der Mehrwertsteuer ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2008, Marks & Spencer, C-309/06, Slg. 2008, I-2283, Randnr. 47). Dieser Grundsatz hat insbesondere zur Folge, dass die Steuerpflichtigen bei gleichartigen und miteinander in Wettbewerb stehenden Leistungen nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, Slg. 2006, I-3617, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität ist keine Regel des Primärrechts, die für sich genommen die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage im Sinne von Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie erlaubt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2012, Zimmermann, C-174/11, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Er kann auch nicht den Umstand kompensieren, dass die Zweite Richtlinie keine mit Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie vergleichbare Vorschrift enthält.
30 Nach der anderen Bedeutung dieses Grundsatzes muss der von der Steuerverwaltung erhobene Mehrwertsteuerbetrag genau dem auf der Rechnung ausgewiesenen und vom Endverbraucher an den Steuerpflichtigen gezahlten Mehrwertsteuerbetrag entsprechen (Urteil vom 10. Juli 2008, Koninklijke Ahold, C-484/06, Slg. 2008, I-5097, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass im Ausgangsverfahren der Unterkunde in seiner Eigenschaft als Endverbraucher der Waren den Katalogpreis für die von ihm gekauften Waren zahlen musste und von der Gesellschaft keine Provision erhielt. Es war nämlich vorgesehen, diese Provision an den Vertreter und nicht an den Unterkunden zu zahlen. Nach den in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Grundsätzen entsprach daher der Gegenwert für die Lieferung dem vollen, unverminderten Katalogpreis, so dass dieser Preis die Besteuerungsgrundlage darstellte.
32 Darüber hinaus ist das Argument von Grattan zu prüfen, jeder Versuch, zwischen der Lage vor und nach dem 1. Januar 1978 zu differenzieren, gehe fehl, da dabei die Kontinuität des Mehrwertsteuersystems nicht berücksichtigt werde.
33 Insoweit ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 49 und 50 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hervorzuheben, dass der Harmonisierungsgrad der Zweiten und der Sechsten Richtlinie nicht vergleichbar ist. Insbesondere enthielt das mit der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. Nr. 71, S. 1301) eingeführte Prinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in vielerlei Hinsicht noch keine abschließende Regelung und vor allem noch keine Festlegung einer einheitlichen Besteuerungsgrundlage.
34 Wie der Gerichtshof in Randnr. 12 des Urteils vom 5. Mai 1982, Schul Douane Expediteur (15/81, Slg. 1982, 1409), ausgeführt hat, wurden durch die Sechste Richtlinie die Begriffe „Steuertatbestand“ und „Steueranspruch“ sowie die Besteuerungsgrundlage harmonisiert.
35 In diesem Kontext hat der Unionsgesetzgeber Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie erlassen, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Bedingungen festzulegen, unter denen die Besteuerungsgrundlage nachträglich vermindert wird. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten grundsätzlich dazu, die Besteuerungsgrundlage zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält (vgl. Urteile vom 3. Juli 1997, Goldsmiths, C-330/95, Slg. 1997, I-3801, Randnrn. 16 bis 18, und vom 29. Mai 2001, Freemans, C-86/99, Slg. 2001, I-4167, Randnr. 33).
36 Wie sich aus den Randnrn. 25 bis 27 des vorliegenden Urteils ergibt, fehlte in der Zweiten Richtlinie eine entsprechende Vorschrift. Dass der Rat Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie neben Art. 11 Teil A erlassen hat, bestätigt zudem die Auslegung, der zufolge Art. 11 Teil C nicht in Art. 11 Teil A der Sechsten Richtlinie oder dessen Vorgänger, Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie, enthalten war.
37 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 8 Buchst. a der zweiten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einem Steuerpflichtigen nicht das Recht einräumt, die Besteuerungsgrundlage für eine Lieferung von Gegenständen als rückwirkend vermindert zu behandeln, wenn ein Vertreter nach dem Zeitpunkt dieser Lieferung von Gegenständen eine Gutschrift des Lieferers erhalten hat, die er nach seiner Wahl entweder als Geldzahlung oder als Gutschrift auf dem Lieferer geschuldete Beträge für bereits erfolgte Lieferungen von Gegenständen abgerufen hat.
Kosten
38 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist dahin auszulegen, dass er einem Steuerpflichtigen nicht das Recht einräumt, die Besteuerungsgrundlage für eine Lieferung von Gegenständen als rückwirkend vermindert zu behandeln, wenn ein Vertreter nach dem Zeitpunkt dieser Lieferung von Gegenständen eine Gutschrift des Lieferers erhalten hat, die er nach seiner Wahl entweder als Geldzahlung oder als Gutschrift auf dem Lieferer geschuldete Beträge für bereits erfolgte Lieferungen von Gegenständen abgerufen hat.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Englisch.