URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
21. März 2013(*)
„Beihilferegelung mit regionaler Zielsetzung – Investitionen in die Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse – Entscheidung der Kommission – Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt – Aufhebung der unvereinbaren Beihilfen – Zeitpunkt der Gewährung einer Beihilfe – Grundsatz des Vertrauensschutzes“
In der Rechtssache C-129/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 2012, in dem Verfahren
Magdeburger Mühlenwerke GmbH
gegen
Finanzamt Magdeburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und J. L. da Cruz Vilaça,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und T. Maxian Rusche als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 der Entscheidung 1999/183/EG der Kommission vom 20. Mai 1998 über mögliche staatliche Beihilfen Deutschlands zur Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse Deutschlands auf der Grundlage bestehender Beihilferegelungen mit regionaler Zielsetzung (ABl. 1999, L 60, S. 61).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Magdeburger Mühlenwerke GmbH (im Folgenden: Magdeburger Mühlenwerke) und dem Finanzamt Magdeburg (im Folgenden: Finanzamt) wegen dessen Weigerung, bei der Bemessung einer Investitionszulage bestimmte Investitionen in Müllereibetriebe zu berücksichtigen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Nr. 2.1 erster Gedankenstrich des Anhangs der Entscheidung 94/173/EG der Kommission vom 22. März 1994 zur Festlegung der Auswahlkriterien für Investitionen zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsbedingungen für land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Entscheidung 90/342/EWG (ABl. L 79, S. 29) bestimmt:
„In den Sektoren Getreide und Reis (ausgenommen Saatgut) sind folgende Investitionen ausgeschlossen:
– Investitionen betreffend … Müllereibetriebe …“
4 1995 erließ die Kommission der Europäischen Gemeinschaften einen Gemeinschaftsrahmen betreffend staatliche Investitionsbeihilfen für die Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse (ABl. 1996, C 29, S. 4, im Folgenden: landwirtschaftlicher Gemeinschaftsrahmen). Mit Schreiben Nr. SG (95) D/13086 vom 20. Oktober 1995 teilte sie den Mitgliedstaaten den Gemeinschaftsrahmen mit.
5 In Ziff. 3 Buchst. b des landwirtschaftlichen Gemeinschaftsrahmens wies die Kommission u. a. darauf hin, dass eine „staatliche Beihilfe für eine der Investitionen, die … nach Ziffer 2 [des Anhangs der Entscheidung 94/173] gänzlich ausgeschlossen sind, als unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt anzusehen“ sei. Weiter ergibt sich aus Ziff. 3 Buchst. b, dass sich der Gemeinschaftsrahmen insbesondere auf Beihilfen bezieht, die im Rahmen einer Beihilferegelung mit regionaler Zielsetzung gewährt werden.
6 Der verfügende Teil der Entscheidung 1999/183 sieht insbesondere vor:
„Artikel 1
Nationale Regionalbeihilferegelungen Deutschlands sind mit dem Gemeinsamen Markt … insofern unvereinbar, als sie dem Gemeinschaftsrahmen und den zweckdienlichen Maßnahmen betreffend staatliche Investitionsbeihilfen zur Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die [der Bundesrepublik] Deutschland mit Schreiben Nr. SG(95) D/13086 vom 20. Oktober 1995 mitgeteilt wurden, zuwiderlaufen.
Artikel 2
[Die Bundesrepublik] Deutschland ändert innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung bestehende Beihilferegelungen ab, um zu gewährleisten, dass sie mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind, bzw. hebt diese notfalls auf. Gemäß Nummer 3 Buchstabe b) des in Artikel 1 genannten Gemeinschaftsrahmens sorgt [die Bundesrepublik] Deutschland insbesondere dafür, dass
1. keine staatlichen Investitionsbeihilfen zur Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse für Investitionen … gewährt werden, die gemäß Nummer 2 [des Anhangs der Entscheidung 94/173] vorbehaltlos ausgeschlossen sind;
…
Artikel 3
[Die Bundesrepublik] Deutschland teilt der Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung mit, welche Maßnahmen getroffen wurden, um dieser Entscheidung nachzukommen.
…“
Das deutsche Recht
7 Das Investitionszulagengesetz (InvZulG) vom 22. Januar 1996 (im Folgenden: Investitionszulagengesetz 1996), das zum Ziel hatte, Investitionen privater Unternehmen im Fördergebiet, d. h. im Land Berlin und in den neuen Bundesländern, zu beschleunigen und zu verstärken, sah die Zahlung einer Investitionszulage in Form einer staatlichen Beihilfe an Steuerpflichtige vor, die in ihrem Unternehmen bestimmte Investitionen getätigt hatten.
8 § 2 Satz 1 InvZulG 1996 lautet:
„Begünstigte Investitionen sind die Anschaffung und die Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die mindestens 3 Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung
1. zum Anlagevermögen eines Betriebs oder einer Betriebsstätte im Fördergebiet gehören,
2. in einer Betriebsstätte im Fördergebiet verbleiben und
3. in jedem Jahr zu nicht mehr als 10 vom Hundert privat genutzt werden.“
9 In § 2 Satz 2 InvZulG 1996 sind diejenigen Investitionen aufgeführt, die für eine Investitionszulage nicht in Betracht kommen. Gemäß Nr. 4 dieser Vorschrift, die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 vom 19. Dezember 1998, das am 24. Dezember 1998 in Kraft trat, eingefügt wurde, sind u. a. nicht begünstigt:
„Wirtschaftsgüter, die der Anspruchsberechtigte nach dem 2. September 1998 angeschafft … hat und die in … Nummer 2 des Anhangs der Entscheidung [94/173] genannt sind“.
10 § 3 Nr. 4 InvZulG 1996 bestimmt:
„Die Investitionen sind begünstigt, wenn sie der Anspruchsberechtigte
4. nach dem 30. Juni 1994 begonnen sowie vor dem 1. Januar 1999 abgeschlossen hat und es sich um Investitionen in Betrieben des verarbeitenden Gewerbes … handelt …“
11 In § 3 Sätze 4 und 5 InvZulG 1996 heißt es:
„Investitionen sind in dem Zeitpunkt abgeschlossen, in dem die Wirtschaftsgüter angeschafft … werden. Investitionen sind in dem Zeitpunkt begonnen, in dem die Wirtschaftsgüter bestellt … worden sind.“
12 § 4 Satz 1 InvZulG 1996 bestimmt:
„Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage ist die Summe der Anschaffungs[kosten] der im Wirtschaftsjahr abgeschlossenen begünstigten Investitionen.“
13 § 6 Satz 1 InvZulG 1996 sieht vor, dass „[d]er Antrag auf Investitionszulage … bis zum 30. September des Kalenderjahrs zu stellen [ist], das auf das Wirtschaftsjahr folgt, in dem die Investitionen abgeschlossen worden … sind“.
14 § 9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung legt als Jahr der Anschaffung „das Jahr der Lieferung“ fest.
15 Nach Ansicht des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ist als Zeitpunkt der Lieferung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zufolge der Zeitpunkt der Betriebsbereitschaft im Betrieb des Erwerbers anzusehen.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorlagefrage
16 Das Investitionszulagengesetz 1996 enthielt ursprünglich keine Beschränkungen für Investitionen im landwirtschaftlichen Bereich, weil die deutsche Bundesregierung den landwirtschaftlichen Gemeinschaftsrahmen für eine unverbindliche Empfehlung hielt.
17 Aus den Akten geht hervor, dass die Bundesrepublik Deutschland das Investitionszulagengesetz 1996 am 31. Mai 1995 gemäß Art. 88 Abs. 3 EG bei der Kommission anmeldete. Die Kommission untersuchte den Fall unter den Aktenzeichen N494/A/95 und N710/C/95 und gab mit Entscheidung vom 29. November 1995 ihre Zustimmung, wobei sie darauf hinwies, dass die Anwendung dieser Beihilferegelung den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, insbesondere für die Landwirtschaft, unterliege.
18 Im landwirtschaftlichen Gemeinschaftsrahmen forderte die Kommission die Mitgliedstaaten auf, innerhalb von zwei Monaten zu bestätigen, dass sie ab dem 1. Januar 1996 dem Gemeinschaftsrahmen nachkommen und dazu ihre bestehenden Beihilfen anpassen würden. Für den Fall, dass eine solche Bestätigung unterbleiben sollte, behalte sie sich vor, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG einzuleiten. Die Bundesrepublik Deutschland kam dieser Aufforderung nicht nach.
19 Daraufhin beschloss die Kommission am 12. Juni 1996, hinsichtlich der in Deutschland bestehenden Beihilferegelungen mit regionaler Zielsetzung im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse das förmliche Prüfverfahren einzuleiten. Diese Entscheidung wurde am 5. Februar 1997 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht (ABl. C 36, S. 13).
20 Das förmliche Prüfverfahren wurde am 20. Mai 1998 mit dem gleichzeitigen Erlass der Entscheidung 1999/183 abgeschlossen, die der Bundesrepublik Deutschland am 2. Juli 1998 zugestellt wurde.
21 Mit Schreiben vom 18. September 1998, das am 28. September 1998 im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurde, teilte das deutsche Bundesministerium der Finanzen den obersten Finanzbehörden der Länder mit, dass ab dem 3. September 1998 u. a. für die in Nr. 2 des Anhangs der Entscheidung 94/173 genannten Investitionen keine Zulagen mehr gewährt werden dürften, und wies darauf hin, dass eine entsprechende Änderung des Investitionszulagengesetzes 1996 vorgesehen sei (im Folgenden: Schreiben vom 18. September 1998).
22 Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 nahm der deutsche Gesetzgeber die in Randnr. 9 des vorliegenden Urteils erwähnte Änderung des Investitionszulagengesetzes 1996 vor.
23 Am 10. September 1999 beantragten die Magdeburger Mühlenwerke, die in den neuen Bundesländern einen Müllereibetrieb unterhalten, eine Investitionszulage für Investitionen aus dem Jahr 1998 in Höhe von rund 5,9 Mio. DM.
24 Das Finanzamt war demgegenüber der Auffassung, dass sich die beihilfefähigen Investitionen lediglich auf 1,9 Mio. DM beliefen. Es weigerte sich nämlich, Investitionen, bei denen die bindende Investitionsentscheidung spätestens am 2. September 1998 getroffen worden war, die Lieferung jedoch erst nach diesem Datum erfolgt war, in die Bemessungsgrundlage der Beihilfe nach § 2 Satz 2 Nr. 4 InvZulG 1996 einzubeziehen.
25 Am 26. September 2001 fochten die Magdeburger Mühlenwerke diese Entscheidung beim Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt an und machten geltend, dass die Einfügung von § 2 Satz 2 Nr. 4 InvZulG 1996 gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße.
26 Die Magdeburger Mühlenwerke trugen insbesondere vor, dass die Rückwirkung von § 2 Satz 2 Nr. 4 InvZulG 1996 ihr schutzwürdiges Vertrauen verletze, weil zum einen die Vorschrift, auf deren Grundlage die Beihilfe gewährt werde, beim Beihilfeantragsteller ab dem Zeitpunkt, in dem die Investition beschlossen werde, ein berechtigtes Vertrauen begründe. Ihre Investitionsentscheidung sei vor dem 3. September 1998 getroffen worden, und der deutsche Gesetzgeber habe diese Vorschrift weder mit einem unionsrechtlichen Vorbehalt versehen noch eine Übergangsregelung für bereits getätigte Investitionen geschaffen.
27 Zum anderen hätten sie frühestens am 28. September 1998, d. h. zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Schreibens vom 18. September 1998 im Bundessteuerblatt, zuzüglich einer angemessenen Kenntnisnahmefrist davon erfahren können, dass es nicht möglich sei, eine Investitionszulage zu erhalten.
28 Das Finanzamt machte vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass die Entscheidung 94/173 am 23. März 1994 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden sei und seither jedem zugänglich sei, so dass die Beihilfeantragsteller ab diesem Zeitpunkt kein schutzwürdiges Vertrauen mehr gehabt hätten.
29 Am 20. Dezember 2007 setzte das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob § 2 Satz 2 Nr. 4 InvZulG 1996 mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Rückwirkungsverbots vereinbar sei. In diesem Zusammenhang wies das Gericht darauf hin, dass die streitgegenständliche Änderung des Investitionszulagengesetzes 1996, da sie auch bindende Investitionsentscheidungen erfasse, die der Investor vor Inkrafttreten der Neuregelung getroffen habe, nach der deutschen Rechtsprechung und dem deutschen Schrifttum Rückwirkung habe.
30 Nach Ansicht des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ist die Beihilfe in dem Zeitpunkt, in dem die bindende Investitionsentscheidung getroffen wird, als gewährt anzusehen. Sobald nämlich die nationale Beihilferegelung einen Investor zu einer Investitionsentscheidung bewegt habe, habe sie einen Anreizeffekt erzielt. Außerdem spreche für diese Auslegung der Wortlaut der Entscheidung 1999/183, wonach eine Frist vorgesehen sei, um dieser Entscheidung nachzukommen. Darüber hinaus sei Art. 2 der Entscheidung 1999/183 unter dem Blickwinkel des Grundsatzes des Vertrauensschutzes auszulegen.
31 Aus Gründen des Vertrauensschutzes habe die Kommission in der Entscheidung 1999/183 eine Übergangsregelung für vor Veröffentlichung dieser Entscheidung verbindlich getroffene Investitionsentscheidungen zugelassen. Da die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit gehabt habe, eine Übergangsregelung einzuführen, und sich entschieden habe, das Investitionszulagengesetz 1996 rückwirkend zu ändern, könne die streitgegenständliche Änderung nicht mit Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden.
32 Das Bundesverfassungsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 4. Oktober 2011 als unzulässig zurück und begründete dies insbesondere damit, dass das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt vor Befassung des Bundesverfassungsgerichts dem Gerichtshof die Frage hätte vorlegen müssen, ob Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 Beihilfen für Investitionen erfasse, bei denen die bindende Investitionsentscheidung spätestens am 2. September 1998 getroffen worden sei, die Lieferung jedoch erst nach diesem Datum erfolgt sei.
33 Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Hat die Entscheidung 1999/183 dem deutschen Gesetzgeber einen Umsetzungsspielraum bei der Ausgestaltung des § 2 Satz 2 Nr. 4 InvZulG 1996 belassen, wonach durch diesen eine Regelung gedeckt wäre, die hiervon betroffene Investitionen begünstigt, bei denen die bindende Investitionsentscheidung vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Entscheidung 1999/183 bzw. vor Veröffentlichung der beabsichtigten Maßnahmen im Bundessteuerblatt getroffen wurde, die Lieferung des Investitionsgegenstands sowie die Festsetzung und Auszahlung der Zulage aber danach erfolgt?
Zur Vorlagefrage
34 Die Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Art. 2 der Entscheidung 1999/183 der Gewährung von Zulagen für Investitionen in Müllereibetriebe entgegensteht, bei denen die bindende Investitionsentscheidung getroffen wurde, bevor die Frist, die der Bundesrepublik Deutschland gesetzt worden war, um dieser Entscheidung nachzukommen, ablief bzw. bevor die diesbezüglichen Maßnahmen im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurden, während die Lieferung des Investitionsgegenstands sowie die Festsetzung und Auszahlung der Zulage erst nach Ablauf der Frist oder nach der Veröffentlichung erfolgten.
35 Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens insbesondere die Frage nach dem Zeitpunkt, in dem eine Beihilfe als gewährt anzusehen ist, und nach den Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes aufwirft.
36 Dazu ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 zu gewährleisten hat, dass nach Ablauf einer Frist von zwei Monaten ab Bekanntgabe dieser Entscheidung, d. h. ab dem 3. September 1998, keine Beihilfen mehr für Investitionen insbesondere in Müllereibetriebe gewährt werden.
37 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Kommission nach Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV, wenn sie feststellt, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, beschließt, dass der betreffende Staat die Beihilfe binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat. Die in Randnr. 36 des vorliegenden Urteils genannte Frist ist der Bundesrepublik Deutschland daher lediglich dazu eingeräumt worden, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beihilfen zu ändern oder gegebenenfalls aufzuheben.
38 Außerdem sieht die Entscheidung 1999/183 keine Übergangsregelung vor. Das Verbot, nach dem 2. September 1998 Beihilfen für Investitionen in Müllereibetriebe zu gewähren, gilt somit bedingungslos.
39 Daraus folgt, dass gemäß Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 nach dem 2. September 1998 keine Beihilfen mehr für Investitionen in Müllereibetriebe gewährt werden dürfen.
40 Hinsichtlich der Frage nach dem Zeitpunkt, in dem die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Investitionszulage gewährt wurde, ist festzustellen, dass als Zeitpunkt der Gewährung von Beihilfen der Zeitpunkt gilt, in dem der Beihilfeempfänger nach dem geltenden nationalen Recht einen Rechtsanspruch auf die Beihilfe erwirbt.
41 Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, nach dem einschlägigen nationalen Recht den Zeitpunkt zu bestimmen, in dem die fragliche Beihilfe als gewährt anzusehen ist. Dazu muss es sämtliche Voraussetzungen berücksichtigen, die im nationalen Recht für den Erhalt der Beihilfe vorgesehen sind.
42 Waren spätestens am 2. September 1998 alle diese Voraussetzungen erfüllt, berührt folglich das Verbot des Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 nicht die Zahlung der entsprechenden Beihilfetranche, denn diese Entscheidung gebietet nicht die Wiedereinziehung bereits gewährter Beihilfen. Waren alle Voraussetzungen erst nach diesem Zeitpunkt erfüllt, gilt das Verbot hingegen vorbehaltlos.
43 Angesichts dessen hat das vorlegende Gericht darauf zu achten, dass das Verbot des Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 nicht umgangen wird. Wie in den Randnrn. 8 bis 15 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gehört zu den im deutschen Recht für den Erhalt einer Investitionszulage vorgesehenen Voraussetzungen auf jeden Fall, dass die Investition abgeschlossen sein muss. Das nationale Gericht kann deshalb nicht nach Erlass der Entscheidung 1999/183 feststellen, der Anspruch auf diese Beihilfe sei in dem Zeitpunkt erworben worden, in dem der Beihilfeantragsteller die bindende Investitionsentscheidung getroffen habe.
44 Insbesondere in Anbetracht dessen, dass das in Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 enthaltene Verbot bedingungslos gilt und dass die vorgesehene Frist der Bundesrepublik Deutschland lediglich dazu eingeräumt wurde, die bestehenden Beihilfen und die bestehenden Beihilferegelungen zu ändern oder gegebenenfalls aufzuheben, um für ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt zu sorgen, liefe jede von den nationalen Behörden vorgenommene Auslegung der Voraussetzungen für die Gewährung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beihilfe, durch die der Zeitpunkt, in dem diese Beihilfe als gewährt anzusehen ist, vorverlegt wird, auf eine Umgehung dieses Verbots hinaus.
45 Im Übrigen gehört der Anreizeffekt einer Beihilfemaßnahme zur Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Deutschland/Kommission, C-544/09 P, Randnr. 68). Deshalb ist der Umstand, dass das Investitionszulagengesetz 1996 einen Anreizeffekt für die fraglichen Investitionen gehabt haben mag, für die Bestimmung des Zeitpunkts, in dem eine Beihilfe als gewährt anzusehen ist, unerheblich.
46 Soweit das vorlegende Gericht die Frage aufwirft, ob die Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens gebieten, dass bei einer vor dem 3. September 1998 getroffenen bindenden Investitionsentscheidung dennoch eine Beihilfe gewährt werden kann, ist daran zu erinnern, dass die Kommission am 12. Juni 1996 u. a. hinsichtlich der nach dem Investitionszulagengesetz 1996 gewährten Beihilfen für Investitionen in Müllereibetriebe ein förmliches Prüfverfahren eingeleitet hatte und dass die Entscheidung über die Einleitung dieses Verfahrens am 5. Februar 1997 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurde.
47 Selbst wenn ein umsichtiger Wirtschaftsteilnehmer vor dieser Veröffentlichung ein berechtigtes Vertrauen auf die Gewährung einer derartigen Beihilfe hätte geltend machen können, konnte er ein derartiges Vertrauen ab der Veröffentlichung nicht mehr besitzen. Die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens bedeutet nämlich, dass die Kommission ernsthafte Zweifel an der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Unionsrecht hegt. Ein umsichtiger Wirtschaftsteilnehmer kann sich daher von diesem Zeitpunkt an nicht mehr auf das Fortbestehen der Beihilfe verlassen.
48 Im Übrigen ist aus den in den Randnrn. 46 und 47 des vorliegenden Urteils genannten Gründen die Veröffentlichung des Schreibens vom 18. September 1998 im Bundessteuerblatt für die Beurteilung, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens ein berechtigtes Vertrauen hatte, unerheblich.
49 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 der Entscheidung 1999/183 dahin auszulegen ist, dass er der Gewährung von Zulagen für Investitionen in Müllereibetriebe entgegensteht, bei denen die bindende Investitionsentscheidung getroffen wurde, bevor die Frist, die der Bundesrepublik Deutschland gesetzt worden war, um dieser Entscheidung nachzukommen, ablief bzw. bevor die diesbezüglichen Maßnahmen im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurden, während die Lieferung des Investitionsgegenstands sowie die Festsetzung und Auszahlung der Zulage erst nach Ablauf dieser Frist oder nach dieser Veröffentlichung erfolgten, wenn der Zeitpunkt, in dem eine Investitionszulage als gewährt angesehen wird, erst nach dem Ablauf der genannten Frist liegt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, den Zeitpunkt zu bestimmen, in dem eine Investitionszulage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als gewährt anzusehen ist, wobei es sämtliche Voraussetzungen zu berücksichtigen hat, die im nationalen Recht für den Erhalt der fraglichen Zulage vorgesehen sind, und darauf zu achten hat, dass das Verbot des Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 nicht umgangen wird.
Kosten
50 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 der Entscheidung 1999/183/EG der Kommission vom 20. Mai 1998 über mögliche staatliche Beihilfen Deutschlands zur Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse Deutschlands auf der Grundlage bestehender Beihilferegelungen mit regionaler Zielsetzung ist dahin auszulegen, dass er der Gewährung von Zulagen für Investitionen in Müllereibetriebe entgegensteht, bei denen die bindende Investitionsentscheidung getroffen wurde, bevor die Frist, die der Bundesrepublik Deutschland gesetzt worden war, um dieser Entscheidung nachzukommen, ablief bzw. bevor die diesbezüglichen Maßnahmen im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurden, während die Lieferung des Investitionsgegenstands sowie die Festsetzung und Auszahlung der Zulage erst nach Ablauf dieser Frist oder nach dieser Veröffentlichung erfolgten, wenn der Zeitpunkt, in dem eine Investitionszulage als gewährt angesehen wird, erst nach dem Ablauf der genannten Frist liegt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, den Zeitpunkt zu bestimmen, in dem eine Investitionszulage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als gewährt anzusehen ist, wobei es sämtliche Voraussetzungen zu berücksichtigen hat, die im nationalen Recht für den Erhalt der fraglichen Zulage vorgesehen sind, und darauf zu achten hat, dass das Verbot des Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 1999/183 nicht umgangen wird.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.