URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
24. Februar 2015(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Kapitalverkehr – Direkte Besteuerung – Einkommensteuer – Abzugsfähigkeit von Versorgungsleistungen, die als Gegenleistung zu einer Übertragung von Vermögen im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge gezahlt werden – Ausschluss für Gebietsfremde“
In der Rechtssache C-559/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Mai 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Oktober 2013, in dem Verfahren
Finanzamt Dortmund-Unna
gegen
Josef Grünewald
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, A. Ó Caoimh und J.-C. Bonichot (Berichterstatter), des Richters A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterinnen M. Berger und A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– des Finanzamts Dortmund-Unna, vertreten durch S. Lorenz als Bevollmächtigten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und J.-S. Pilczer als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. November 2014
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Dortmund-Unna (im Folgenden: Finanzamt) und Herrn Grünewald über die Weigerung des Finanzamts, bei der Besteuerung von Einkünften aus im Zuge einer vorweggenommenen Erbfolge übertragenen Anteilen an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts den Abzug von Versorgungsleistungen, die Herr Grünewald an seine Eltern als Gegenleistung für diese Übertragung gezahlt hat, zuzulassen, weil Herr Grünewald seinen Wohnsitz nicht in Deutschland habe.
Rechtlicher Rahmen
3 Nach § 1 des Einkommensteuergesetzes in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (BGBl. 2002 I, S. 4210, im Folgenden: EStG) sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, während natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG haben.
4 In § 10 Abs. 1 EStG heißt es:
„Sonderausgaben sind die folgenden Aufwendungen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind:
…
1a. auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. …“
5 Zu den in § 49 EStG genannten Einkünften gehören Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Inland.
6 § 50 Abs. 1 EStG bestimmt:
„Beschränkt Steuerpflichtige dürfen Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 bis 8) oder Werbungskosten (§ 9) nur insoweit abziehen, als sie mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. … Die … §§ … 10 [ff.] sind nicht anzuwenden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
7 Mit Übertragungsvertrag vom 17. Januar 1989 erwarb Herr Grünewald von seinem Vater im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge zusammen mit seinem Bruder zu je 50 % eine Beteiligung an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, einem Gärtnereibetrieb in Deutschland. Als Gegenleistung sind in § 2 des Vertrags näher bezeichnete Versorgungsleistungen an den Vater bzw. die Eltern zu erbringen.
8 Herr Grünewald, der in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland lebt und in Deutschland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, erzielte zwischen 1999 und 2002 aus dieser Beteiligung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Darüber hinaus erwirtschaftete er weitere Einkünfte in Deutschland.
9 Das Finanzamt sah Herrn Grünewald als beschränkt steuerpflichtig an und versagte es ihm unter Hinweis auf § 50 EStG, die an seine in Deutschland wohnenden Eltern gezahlten Versorgungsleistungen von seinen in Deutschland steuerpflichtigen Einkünften in Abzug zu bringen.
10 Mit Urteil des Finanzgerichts Münster wurde der von Herrn Grünewald gegen diese Entscheidung eingereichten Klage stattgegeben.
11 Das Finanzamt beantragte beim Bundesfinanzhof, dieses Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
12 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hat das Finanzamt auf der Grundlage des anwendbaren nationalen Rechts zutreffend einen Abzug der fraglichen Versorgungsleistungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht von Herrn Grünewald abgelehnt. Dieser könne Betriebsausgaben und Werbungskosten in Abzug bringen, die mit seinen inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stünden, nicht aber Sonderausgaben wie die fraglichen Versorgungsleistungen.
13 Das vorlegende Gericht meint jedoch, dass hinsichtlich der Vereinbarkeit einer solchen steuerlichen Regelung mit dem Unionsrecht Zweifel bestehen blieben. Zwar habe der Gerichtshof in seinem Urteil Schröder (C-450/09, EU:C:2011:198) bereits entschieden, dass eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV vorliege, wenn private Versorgungsleistungen gebietsfremder Steuerpflichtiger, die im Zusammenhang mit inländischen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung von Grundbesitz stünden, nicht abzugsfähig seien, wenn entsprechende Zahlungen bei unbeschränkter Steuerpflicht des Zahlenden abzugsfähig seien. Der Gerichtshof habe sich jedoch im Urteil Schröder (EU:C:2011:198) – weil er hierzu nicht befragt worden sei – nicht zu der Frage geäußert, ob zu berücksichtigen sei, dass die betreffende nationale Steuerregelung auf dem sogenannten „Korrespondenzprinzip“ beruhe, wonach, wenn der Schuldner einer Versorgungsleistung über ein Recht auf Abzug dieser Leistung verfüge, der Leistungsempfänger zu besteuern sei.
14 Unter diesen Voraussetzungen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 63 AEUV der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach welcher private Versorgungsleistungen gebietsfremder Steuerpflichtiger, die im Zusammenhang mit einer Übertragung von ertragbringendem inländischen Vermögen im Zuge einer sogenannten vorweggenommenen Erbfolge stehen, nicht abzugsfähig sind, während entsprechende Zahlungen bei unbeschränkter Steuerpflicht abzugsfähig sind, allerdings der Abzug eine korrespondierende Steuerpflicht beim (unbeschränkt steuerpflichtigen) Leistungsempfänger zur Folge hat?
Zur Vorlagefrage
Zum Vorliegen einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit
15 Gegenstand der Rechtssache, in der das Urteil Schröder (EU:C:2011:198) ergangen ist, war die nationale Regelung, um deren Anwendung es im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geht. In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 63 AEUV, der Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats, die es einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen erlaubt, die einem Elternteil, der ihm in diesem Staat belegene Immobilien übertragen hat, gezahlten Renten von Einkünften aus der Vermietung dieser Immobilien abzuziehen, gebietsfremden Steuerpflichtigen einen solchen Abzug jedoch nicht gewährt, entgegensteht, soweit die Verpflichtung zur Zahlung dieser Renten auf der Übertragung der Immobilien beruht.
16 Die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, die nach Auffassung des vorlegenden Gerichts das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen erforderlich machen, liegen darin, dass hier zum einen die bei einem gebietsfremden Steuerpflichtigen besteuerten Einkünfte aus Gesellschaftsanteilen und nicht aus der Vermietung von Immobilien stammen und zum anderen die im Ausgangsverfahren in Rede stehende steuerliche Regelung auf dem Korrespondenzprinzip beruht, wonach dem Abzug der vom Schuldner gezahlten Versorgungsleistung die Besteuerung der Einkünfte aus dieser Versorgungsleistung bei ihrem Empfänger entsprechen muss.
17 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen möchte, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es einem gebietsfremden Steuerpflichtigen, der in diesem Mitgliedstaat gewerbliche Einkünfte aus der Tätigkeit einer Gesellschaft erzielt hat, deren Anteile ihm von einem Elternteil im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge übertragen wurden, verwehrt, von diesen Einkünften die Versorgungsleistungen abzuziehen, die er an diesen Elternteil als Gegenleistung für diese Übertragung gezahlt hat, während sie einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen diesen Abzug mit der Begründung gestattet, dass diese Versorgungsleistungen bei ihrem Empfänger besteuert würden.
18 Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass es sich nach ständiger Rechtsprechung bei Erbschaften und Schenkungen um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 AEUV handelt. Ausgenommen sind die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 26). Folglich wird die fragliche Übertragung einer Beteiligung an einer Gesellschaft, die ihren Sitz in Deutschland hat, im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge an eine natürliche Person, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, von Art. 63 AEUV erfasst.
19 Zweitens gehören zu den Maßnahmen, die nach Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten sind, u. a. solche, die Gebietsfremde davon abhalten können, in einem Mitgliedstaat Investitionen zu tätigen oder zu halten (vgl. u. a. Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 30).
20 Nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung ist eine natürliche Person, die in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, gemäß § 49 EStG in Deutschland einkommensteuerpflichtig für Einkünfte aus dem in Deutschland ausgeübten Gewerbebetrieb einer Gesellschaft, an der sie beteiligt ist. Im Gegensatz zu einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen kann nach § 50 EStG ein solcher gebietsfremder Steuerpflichtiger, der einer auf inländische Einkünfte beschränkten Steuerpflicht unterliegt, Versorgungsleistungen wie die von Herrn Grünewald im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge gezahlten nicht als Sonderausgaben im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG von diesen Einkünften in Abzug bringen. Diese somit nur Gebietsfremde betreffende steuerliche Benachteiligung könnte diese davon abhalten, im Wege der vorweggenommenen Erbfolge Anteile an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland anzunehmen. Sie kann auch in Deutschland Ansässige davon abhalten, als Begünstigte einer vorweggenommenen Erbfolge Personen zu benennen, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland wohnen (vgl. in diesem Sinne Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 32).
21 Diese Regelung stellt daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.
22 Drittens berührt nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zwar Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort in ihrem Steuerrecht unterschiedlich zu behandeln (Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 34).
23 Allerdings ist zwischen nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erlaubten Ungleichbehandlungen und nach Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen willkürlichen Diskriminierungen oder verschleierten Beschränkungen zu unterscheiden. Eine nationale Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die zwischen gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen unterscheidet, kann nämlich nur dann als mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. u. a. Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 35).
Zur Vergleichbarkeit der Situationen
24 Zu prüfen ist, ob sich Gebietsfremde und Gebietsansässige unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in einer vergleichbaren Situation befinden.
25 Nach ständiger Rechtsprechung befinden sich Gebietsansässige und Gebietsfremde im Hinblick auf die direkten Steuern in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation, da das Einkommen, das ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erzielt, meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte darstellt, deren Schwerpunkt an seinem Wohnort liegt, und die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergibt, leichter an dem Ort beurteilt werden kann, an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner Vermögensinteressen liegt und der in der Regel der Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ist (vgl. u. a. Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 37).
26 Auch dass ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen versagt, die er Gebietsansässigen gewährt, ist in Anbetracht der objektiven Unterschiede zwischen der Situation der Gebietsansässigen und derjenigen der Gebietsfremden sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle als auch hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft sowie der persönlichen Lage und des Familienstands im Allgemeinen nicht diskriminierend (vgl. u. a. Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 38).
27 Etwas anderes gilt jedoch zum einen, wenn der Gebietsfremde in seinem Wohnsitzmitgliedstaat keine nennenswerten Einkünfte hat und sein zu versteuerndes Einkommen im Wesentlichen aus einer Tätigkeit bezieht, die er in dem betreffenden anderen Mitgliedstaat ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil Schumacker, C-279/93, EU:C:1995:31, Rn. 36).
28 Sollte sich daher im vorliegenden Fall herausstellen, dass die Einkünfte, die Herr Grünewald in den Jahren 1999 bis 2002 in Deutschland erzielt hat, den wesentlichen Teil seiner Gesamteinkünfte in diesem Zeitraum ausmachten – was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist –, wäre die Situation von Herrn Grünewald als mit der eines in diesem Mitgliedstaat Ansässigen objektiv vergleichbar anzusehen.
29 Zum anderen hat der Gerichtshof auch entschieden, dass sich Gebietsansässige und Gebietsfremde in Bezug auf Aufwendungen, die unmittelbar mit der Tätigkeit zusammenhängen, aus der die in einem Mitgliedstaat zu versteuernden Einkünfte erzielt wurden, in einer vergleichbaren Lage befinden (vgl. u. a. Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 In einem unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Tätigkeit stehen somit Aufwendungen, die durch diese Tätigkeit verursacht werden, d. h., für ihre Ausübung notwendig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Gerritse, C-234/01, EU:C:2003:340, Rn. 9 und 27, und Centro Equestre da Lezíria Grande, C-345/04, EU:C:2007:96, Rn. 25).
31 Machten die von Herrn Grünewald in den betreffenden Jahren in Deutschland erzielten Einkünfte nicht den wesentlichen Teil seiner Gesamteinkünfte aus, könnte daher die Vergleichbarkeit seiner Situation mit der eines Gebietsansässigen nur bejaht werden, wenn die von ihm gezahlten Versorgungsleistungen als Aufwendungen anzusehen wären, die mit der Tätigkeit der in Deutschland ansässigen Gesellschaft, deren Anteile ihm im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen wurden, unmittelbar zusammenhängen.
32 Letztlich ist es Aufgabe des nationalen Gerichts, das für die Würdigung des im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Sachverhalts und die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften allein zuständig ist, zu entscheiden, ob dies der Fall ist. In einem Vorabentscheidungsverfahren ist der Gerichtshof, der dem vorlegenden Gericht in sachdienlicher Weise zu antworten hat, allerdings dafür zuständig, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen Erklärungen dem vorlegenden Gericht Hinweise zu geben, die ihm die Entscheidung ermöglichen (vgl. u. a. Urteil Alakor Gabonatermelő és Forgalmazó, C-191/12, EU:C:2013:315, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Informationen insgesamt ergibt sich hierzu, dass die Verpflichtung zur Zahlung der fraglichen Versorgungsleistungen unmittelbar aus der Übertragung der Anteile an der Gesellschaft folgt, die den Gärtnereibetrieb führt, aus dem die in Deutschland besteuerten Einkünfte erzielt werden, da diese Verpflichtung, die das vorlegende Gericht als Gegenleistung für diese Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge dargestellt hat, eine notwendige Voraussetzung dieser Übertragung war. Ist dies tatsächlich der Fall, müsste die Situation von Herrn Grünewald als mit der eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen vergleichbar angesehen werden.
34 Diese Beurteilung wird durch bestimmte Erwägungen hierzu in der Vorlageentscheidung bzw. in den von der deutschen Regierung beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen nicht in Frage gestellt.
35 Erstens kann das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den Aufwendungen des gebietsfremden Steuerpflichtigen und seinen im betreffenden Mitgliedstaat steuerbaren Einkünften nicht von der Art der aus den so übertragenen Vermögensgegenständen erzielten Einkünfte abhängen. Zwar wurden in der Rechtssache, in der das Urteil Schröder (EU:C:2011:198) ergangen ist, diese Einkünfte aus der Vermietung der im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragenen Immobilien erzielt, während die betreffenden Einkünfte im vorliegenden Fall aus der Beteiligung an einer Gesellschaft, die eine Gärtnerei betreibt, erzielt werden und diese Einkünfte folglich in unterschiedliche Besteuerungskategorien fallen. Daraus ergibt sich jedoch keine unterschiedliche Beurteilung des Zusammenhangs zwischen den Aufwendungen und den Einkünften, um die es im Ausgangsverfahren geht, da die Art der Einkünfte hierfür keine Rolle spielt.
36 Selbst wenn sich zweitens die Höhe einer Versorgungsleistung, wie sie von Herrn Grünewald gezahlt wird, nach der Leistungsfähigkeit des Schuldners und dem Versorgungsbedarf des Empfängers bestimmt, ändert dies nichts daran, dass sich ein unmittelbarer Zusammenhang im Sinne der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht aus irgendeiner Korrelation zwischen der Höhe der fraglichen Aufwendung und derjenigen der zu versteuernden Einkünfte, sondern daraus ergibt, dass diese Aufwendung mit der Tätigkeit zur Erzielung dieser Einkünfte untrennbar verbunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Schröder, EU:C:2011:198, Rn. 43).
37 Drittens steht fest, dass in der vorliegenden Rechtssache ebenso wie in jener, in der das Urteil Schröder (EU:C:2011:198) ergangen ist, die Zahlung der Versorgungsleistungen durch den gebietsfremden Steuerpflichtigen nicht im Rahmen einer entgeltlichen, sondern einer unentgeltlichen Übertragung eines Vermögensgegenstands im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfolgt ist. Die Unentgeltlichkeit dieser Übertragung lässt darüber hinaus das vom vorlegenden Gericht angeführte Argument ins Leere gehen, das daraus hergeleitet wird, dass die genannten Versorgungsleistungen im Fall eines entgeltlichen Erwerbs von Vermögen nur abzugsfähig seien, wenn sie in einen auf die Anschaffungskosten und einen auf die Zinsen entfallenden Teil aufgeteilt würden. Jedenfalls betrifft dieses Argument die Höhe des Abzugs und nicht die hier allein in Rede stehende Frage, ob ein Abzug überhaupt in Betracht kommt.
38 Daher verstößt eine nationale Regelung, die auf dem Gebiet der Einkommensteuer Gebietsfremden den Abzug von unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gezahlten Versorgungsleistungen verwehrt, ihn Gebietsansässigen aber erlaubt, obwohl die Situation der Gebietsfremden und der Gebietsansässigen vergleichbar ist, gegen Art. 63 AEUV, wenn diese Verwehrung nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
Zum Vorliegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses
39 Erstens ist zu prüfen, ob, wie das vorlegende Gericht wissen möchte, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unterschiedliche Behandlung durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein kann, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, wie die deutsche Regierung vorträgt.
40 Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ein vom Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel ist. Zum anderen geht aus ständiger Rechtsprechung hervor, dass in Ermangelung unionsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten befugt bleiben, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Urteil DMC, C-164/12, EU:C:2014:20, Rn. 46 und 47).
41 Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens greift diese Rechtfertigung jedoch nicht.
42 Zunächst ist nämlich festzustellen, dass das vom vorlegenden Gericht und der deutschen Regierung geltend gemachte Argument, dass die Steuervorschriften des betreffenden Mitgliedstaats dem Abzug der gezahlten Versorgungsleistungen durch den gebietsfremden Schuldner gemäß dem in Rn. 13 des vorliegenden Urteils genannten Korrespondenzprinzip entgegenstünden, wenn die Einkünfte, die der Empfänger aus diesen Leistungen erziele, bei diesem nicht besteuert werden könnten, etwa weil dieser selbst Gebietsfremder sei, wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, jedenfalls hypothetisch erscheint und in keiner Weise den Umständen des Ausgangsverfahrens entspricht.
43 Des Weiteren ergibt sich die Nichtabzugsfähigkeit der Versorgungsleistungen durch den gebietsfremden Schuldner, wenn dieser beschränkt einkommensteuerpflichtig ist, unabhängig vom Wohnort des Gläubigers und davon, ob diese Versorgungsleistungen bei diesem besteuert werden, aus § 50 EStG.
44 Somit lässt nichts darauf schließen, dass mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung der Zweck verfolgt würde, die ausgewogene Aufteilung der Beteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.
45 Zweitens macht die deutsche Regierung ebenfalls unter Berufung auf das Korrespondenzprinzip geltend, dass die Verweigerung des Abzugs der von einem beschränkt einkommensteuerpflichtigen Gebietsfremden gezahlten Versorgungsleistungen der Notwendigkeit Rechnung trage, die Kohärenz der nationalen Steuerregelung zu wahren.
46 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.
47 Da nämlich kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung nachgewiesen wurde, kann die fragliche Regelung auch nicht durch die Notwendigkeit, die Kohärenz der nationalen Steuerregelung zu wahren, gerechtfertigt werden.
48 Zwar hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu wahren, eine Beschränkung der Ausübung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann. Ein auf diesen Rechtfertigungsgrund gestütztes Argument kann jedoch nur Erfolg haben, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht, wobei die Unmittelbarkeit dieses Zusammenhangs im Hinblick auf das mit der fraglichen Regelung verfolgte Ziel beurteilt werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteile Papillon, C-418/07, EU:C:2008:659, Rn. 43 und 44, und Kommission/Deutschland, C-211/13, EU:C:2014:2148, Rn. 55).
49 An einem solchen unmittelbaren Zusammenhang fehlt es u. a. dann, wenn es um verschiedene Steuern oder die steuerliche Behandlung verschiedener Steuerpflichtiger geht (Urteil DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C., C-380/11, EU:C:2012:552, Rn. 47). Dies ist hier der Fall, da der Abzug der Versorgungsleistungen durch den Leistenden und die Besteuerung dieser Leistungen bei ihrem Empfänger notwendigerweise verschiedene Steuerpflichtige betreffen.
50 Die deutsche Regierung führt hingegen aus, dass, wenn der Abzug privater Versorgungsleistungen in Deutschland zugelassen würde, ohne dass diese Leistungen zugleich beim Leistungsempfänger besteuert würden, dem „Generationennachfolgeverbund“, in dessen Rahmen sich die vorweggenommene Erbfolge vollziehe und der „quasi“ als wirtschaftliche Einheit anzusehen sei, da dort ein Transfer wirtschaftlicher Leistungskraft stattfinde, ein doppelter Vorteil zugutekäme.
51 Doch abgesehen davon, dass es sich, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im Ausgangsverfahren nicht um einen Fall handelt, in dem die Versorgungsleistungen beim Leistungsempfänger nicht besteuert werden, steht fest, dass der Abzug der Versorgungsleistungen dem gebietsfremden Steuerpflichtigen nach § 50 EStG in allen Fällen versagt wird, unabhängig davon, ob diese Leistungen in Deutschland besteuert werden oder nicht. Somit wird der gebietsfremde Steuerpflichtige nach den deutschen Rechtsvorschriften als solcher und nicht als Teil der steuerlichen Einheit, auf die in der vorstehenden Randnummer hingewiesen worden ist, behandelt, da diese Vorschriften den Abzug der von ihm gezahlten Versorgungsleistungen im Fall der Besteuerung dieser Leistungen beim Leistungsempfänger nicht vorsehen.
52 Indem schließlich die deutsche Regierung ohne nähere Ausführungen auf das Bestehen des Risikos hinweist, dass diese Leistungen im Wohnsitzstaat des Leistungsempfängers ein weiteres Mal abgezogen werden könnten, versetzt sie den Gerichtshof nicht in die Lage, die Tragweite dieses Vorbringens zu beurteilen, zumal nicht vorgetragen wird, dass dieses Risiko durch die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15), die zur fraglichen Zeit in Kraft war, nicht habe abgewendet werden können.
53 Die deutsche Regierung kann sich folglich nicht auf die Wahrung der Kohärenz der auf die von ihr angeführte wirtschaftliche Einheit anwendbaren Steuerregelung berufen, um die Diskriminierung des gebietsfremden Steuerpflichtigen zu rechtfertigen.
54 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es einem gebietsfremden Steuerpflichtigen, der in diesem Mitgliedstaat gewerbliche Einkünfte aus Anteilen an einer Gesellschaft erzielt hat, die ihm von einem Elternteil im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge übertragen wurden, verwehrt, von diesen Einkünften die Versorgungsleistungen abzuziehen, die er an diesen Elternteil als Gegenleistung für diese Übertragung gezahlt hat, während sie einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen diesen Abzug gestattet.
Kosten
55 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es einem gebietsfremden Steuerpflichtigen, der in diesem Mitgliedstaat gewerbliche Einkünfte aus Anteilen an einer Gesellschaft erzielt hat, die ihm von einem Elternteil im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge übertragen wurden, verwehrt, von diesen Einkünften die Versorgungsleistungen abzuziehen, die er an diesen Elternteil als Gegenleistung für diese Übertragung gezahlt hat, während sie einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen diesen Abzug gestattet.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.