Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)
27. März 2019(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Harmonisierung des Steuerrechts – Vorsteuerabzug – Investitionsgut in Form einer Immobilie – Veräußerung und Rückverpachtung (‚Sale-and-Lease-Back‘) – Berichtigung des Vorsteuerabzugs – Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer – Grundsatz der Gleichbehandlung“
In der Rechtssache C-201/18
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d’appel de Mons (Appellationsgericht Mons, Belgien) mit Entscheidung vom 9. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 19. März 2018, in dem Verfahren
Mydibel SA
gegen
État belge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter C. Vajda (Berichterstatter) und P. G. Xuereb,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Mydibel SA, vertreten durch W. Huber, avocat,
– der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux, P. Cottin und C. Pochet als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und N. Gossement als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 14, 15, 168, 184, 185, 187 und 188 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 (ABl. 2010, L 10, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie der Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Gleichbehandlung.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Mydibel SA und dem État belge (Belgischer Staat) wegen der Berichtigung eines Mehrwertsteuerabzugs.
Rechtlicher Rahmen
3 Art. 14 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
(2) Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:
a) die Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand gegen Zahlung einer Entschädigung auf Grund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes;
b) die Übergabe eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird;
c) die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission.
(3) Die Mitgliedstaaten können die Erbringung bestimmter Bauleistungen als Lieferung von Gegenständen betrachten.“
4 Art. 15 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt sind Elektrizität, Gas, Wärme oder Kälte und ähnliche Sachen.
(2) Die Mitgliedstaaten können als körperlichen Gegenstand betrachten:
a) bestimmte Rechte an Grundstücken;
b) dingliche Rechte, die ihrem Inhaber ein Nutzungsrecht an Grundstücken geben;
c) Anteilrechte und Aktien, deren Besitz rechtlich oder tatsächlich das Eigentums- oder Nutzungsrecht an einem Grundstück oder Grundstücksteil begründet.“
5 Art. 168 der Richtlinie lautet:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
b) die Mehrwertsteuer, die für Umsätze geschuldet wird, die der Lieferung von Gegenständen beziehungsweise dem Erbringen von Dienstleistungen gemäß Artikel 18 Buchstabe a sowie Artikel 27 gleichgestellt sind;
c) die Mehrwertsteuer, die für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i geschuldet wird;
d) die Mehrwertsteuer, die für dem innergemeinschaftlichen Erwerb gleichgestellte Umsätze gemäß den Artikeln 21 und 22 geschuldet wird;
e) die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist.“
6 Titel X Kapitel 5 („Berichtigung des Vorsteuerabzugs“) der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält die Art. 184 bis 189. Art. 184 dieser Richtlinie lautet:
„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.“
7 Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„(1) Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.
(2) Abweichend von Absatz 1 unterbleibt die Berichtigung bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl sowie bei Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und Warenmuster im Sinne des Artikels 16.
Bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl können die Mitgliedstaaten jedoch eine Berichtigung verlangen.“
8 Art. 186 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten für die Anwendung der Artikel 184 und 185 fest.“
9 Art. 187 der Richtlinie bestimmt:
(1) Bei Investitionsgütern erfolgt die Berichtigung während eines Zeitraums von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem diese Güter erworben oder hergestellt wurden.
Die Mitgliedstaaten können jedoch für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung dieser Güter beginnt.
Bei Grundstücken, die als Investitionsgut erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre verlängert werden.
(2) Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel beziehungsweise im Falle der Verlängerung des Berichtigungszeitraums den entsprechenden Bruchteil der Mehrwertsteuer, mit der diese Investitionsgüter belastet waren.
Die in Unterabsatz 1 genannte Berichtigung erfolgt entsprechend den Änderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug, die in den folgenden Jahren gegenüber dem Recht für das Jahr eingetreten sind, in dem die Güter erworben, hergestellt oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurden.“
10 Art. 188 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Bei der Lieferung eines Investitionsgutes innerhalb des Berichtigungszeitraums ist dieses so zu behandeln, als ob es bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums weiterhin für eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendet worden wäre.
Diese wirtschaftliche Tätigkeit gilt als in vollem Umfang steuerpflichtig, wenn die Lieferung des Investitionsgutes steuerpflichtig ist.
Die wirtschaftliche Tätigkeit gilt als in vollem Umfang steuerfrei, wenn die Lieferung des Investitionsgutes steuerfrei ist.
(2) Die in Absatz 1 genannte Berichtigung wird für den gesamten noch verbleibenden Berichtigungszeitraum auf einmal vorgenommen. Ist die Lieferung des Investitionsgutes steuerfrei, können die Mitgliedstaaten jedoch von der Berichtigung absehen, wenn es sich bei dem Erwerber um einen Steuerpflichtigen handelt, der die betreffenden Investitionsgüter ausschließlich für Umsätze verwendet, bei denen die Mehrwertsteuer abgezogen werden kann.“
11 Art. 189 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Für die Zwecke der Artikel 187 und 188 können die Mitgliedstaaten folgende Maßnahmen treffen:
a) den Begriff ‚Investitionsgüter‘ definieren;
b) den Betrag der Mehrwertsteuer festlegen, der bei der Berichtigung zu berücksichtigen ist;
c) alle zweckdienlichen Vorkehrungen treffen, um zu gewährleisten, dass keine ungerechtfertigten Vorteile aus der Berichtigung entstehen;
d) verwaltungsmäßige Vereinfachungen ermöglichen.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
12 Mydibel ist in der Herstellung von Kartoffelderivaten tätig und insoweit mehrwertsteuerpflichtig. Sie ist Eigentümerin mehrerer Gebäude, hinsichtlich deren sie die in Rechnungen über Bau-, Umgestaltungs- oder Renovierungsmaßnahmen ausgewiesenen Steuern vollständig abgezogen hat.
13 Am 1. Oktober 2009 tätigte Mydibel, um ihre Liquidität zu erhöhen, mit zwei Finanzinstituten „Sale-and-Lease-Back“-Umsätze (Veräußerung und Rückverpachtung), die nicht der Mehrwertsteuer unterlagen und sich auf diese – auf zwei Parzellen aufgeteilte – Gebäude bezogen. Für jede Parzelle schloss Mydibel mit den Finanzinstituten zwei notariell beurkundete Verträge. Zum einen schloss sie einen Vertrag über die Begründung eines Erbpachtrechts an diesen Gebäuden zugunsten der Finanzinstitute für eine Dauer von 99 Jahren gegen Zahlung einer sofortigen Entschädigung in Höhe von 9 630 000 Euro für die erste und 2 700 000 Euro für die zweite Parzelle sowie eines jährlichen Erbpachtzinses von 25 Euro. Zum anderen schloss sie einen Vertrag über ein Immobilienleasing bezüglich dieser Gebäude, mit dem diese Finanzinstitute Mydibel für einen unkündbaren Zeitraum von 15 Jahren gegen Zahlung einer vierteljährlichen Miete entsprechend einem Investitionswert von 9 630 000 Euro für die erste und 2 700 000 Euro für die zweite Parzelle, zuzüglich Zinsen, die Nutzung der Gebäude überließ. Nach dem zuletzt genannten Vertrag verfügt Mydibel bei Ablauf des Leasings über eine Kaufoption zu einem Preis, der 10 % des Investitionswerts für die erste und 3 % des Investitionswerts für die zweite Parzelle entspricht.
14 Im Anschluss an eine Steuerprüfung, die am 11. Mai und am 8. Juni 2012 durchgeführt wurde und den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2010 betraf, lehnte die belgische Steuerverwaltung gemäß dem Überprüfungsmechanismus den ursprünglich auf die in Rede stehenden Gebäude vorgenommenen Vorsteuerabzug ab, weil es sich bei diesen Vorgängen um ein „Sale-and-Lease-Back“ (Veräußerung und Rückverpachtung) handele.
15 Am 18. September 2012 wurde Mydibel eine Berichtigungsaufstellung zur Genehmigung vorgelegt und am 22. November 2013 ein Protokoll angefertigt und am selben Tag mit der Berichtigungsentscheidung zugestellt. Die letztgenannte Entscheidung betrifft erstens einen Betrag von 981 381,28 Euro wegen fehlerhaften Vorsteuerabzugs, zweitens eine anteilige Geldbuße von 98 130 Euro und drittens Verzugszinsen ab dem 21. Januar 2011. Durch die Einbehaltung von Guthaben auf dem laufenden Mehrwertsteuerkonto von Mydibel erhob die belgische Steuerverwaltung zur Begleichung des Berichtigungsbetrags insgesamt 1 363 971,20 Euro.
16 Am 1. April 2014 reichte Mydibel beim Tribunal de première instance du Hainaut (Gericht erster Instanz Hainaut, Belgien) eine Klage auf Nichtigerklärung der Berichtigungsentscheidung und des Protokolls vom 22. November 2013 ein.
17 Mit Urteil vom 13. Oktober 2015 erklärte das Tribunal de première instance du Hainaut (Gericht erster Instanz Hainaut) diese Klage für zulässig und teilweise begründet. Es stellte fest, dass die Geldbuße nicht geschuldet werde, verurteilte den belgischen Staat, Mydibel alle im Rahmen der für nichtig erklärten Geldbuße erhobenen Beträge zuzüglich Verzugszinsen zu erstatten und wies die Klage von Mydibel im Übrigen ab.
18 Am 4. März 2016 legte Mydibel bei der Cour d’appel de Mons (Appellationsgericht Mons, Belgien) Berufung gegen dieses Urteil ein.
19 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach den Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen sei, und, falls dies bejaht wird, ob eine solche Berichtigung im Einklang mit den Grundsätzen der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Gleichbehandlung stehe.
20 Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Mons (Appellationsgericht Mons) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die Art. 14, 15, 168, 184, 185, 187 und 188 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen und anzuwenden, dass eine Änderung/Berichtigung der Mehrwertsteuer auf ein Investitionsgut in Form einer Immobilie, die ursprünglich ordnungsgemäß abgezogen wurde, vorzunehmen ist, wenn dieses Investitionsgut Gegenstand eines „Sale-and-Lease-Back“-Umsatzes (Veräußerung und Rückverpachtung) war, wobei
– das „Sale-and-Lease-Back“ aus der miteinander verbundenen und gleichzeitig stattfindenden Einräumung eines Erbpachtrechts (eines zeitlich begrenzten dinglichen Rechts) durch den Steuerpflichtigen an zwei Finanzinstitute und eines Leasings durch diese beiden Finanzinstitute an den Steuerpflichtigen besteht;
– der „Sale-and-Lease-Back“-Umsatz rein finanzieller Natur ist und zur Erhöhung der Liquidität des Steuerpflichtigen dient;
– der „Sale-and-Lease-Back“-Umsatz (Veräußerung und Rückverpachtung) nicht der Mehrwertsteuer unterlag;
– das Investitionsgut in Form einer Immobilie im Besitz des Steuerpflichtigen blieb und sowohl vor als auch nach dem Umsatz ununterbrochen und dauerhaft für seine steuerpflichtige Tätigkeit genutzt wurde?
2. Stehen eine Auslegung und Anwendung der oben genannten Bestimmungen, die zu einer Änderung/Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Vorsteuer führen, mit dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und/oder dem Grundsatz der Gleichbehandlung im Einklang?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 184, 185, 187 und 188 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass eine Berichtigung der Mehrwertsteuer auf ein Gebäude, die ursprünglich ordnungsgemäß abgezogen wurde, vorzunehmen ist, wenn dieses Gut Gegenstand eines „Sale-and-Lease-Back“-Umsatzes (Veräußerung und Rückverpachtung) war, der unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht der Mehrwertsteuer unterlag.
22 In den Art. 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie werden allgemein die Voraussetzungen festgelegt, unter denen die nationale Steuerverwaltung eine Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Mehrwertsteuer verlangen kann. Dagegen enthalten die Art. 187 bis 189 dieser Richtlinie besondere Regelungen für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs für Investitionsgüter (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. April 2018, SEB bankas, C-532/16, EU:C:2018:228, Rn. 25 bis 28).
23 Zunächst ist festzustellen, dass sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebäude als „Investitionsgüter“ zu qualifizieren sind, was das vorlegende Gericht nach dem nationalen Recht zu überprüfen hat. Gemäß Art. 189 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten nämlich den Begriff „Investitionsgüter“ definieren. Der Gerichtshof hat entschieden, dass dieser Begriff Güter umfasst, die – für Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit genutzt – durch ihre Langlebigkeit und ihren Wert gekennzeichnet sind und deren Anschaffungskosten daher in der Regel nicht als laufende Kosten verbucht, sondern über mehrere Jahre hinweg abgeschrieben werden (Urteil vom 16. Februar 2012, Eon Aset Menidjmunt, C-118/11, EU:C:2012:97, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Als Erstes ist zu prüfen, ob nach den Art. 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen ist.
25 Aus Art. 184 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt sich, dass der ursprüngliche Vorsteuerabzug zu berichtigen ist, wenn er höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war. Nach Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie hat eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs insbesondere dann zu erfolgen, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben.
26 Zur Frage, ob sich Ereignisse, die nach dem von einem Steuerpflichtigen vorgenommenen Vorsteuerabzug eingetreten sind, auf diesen auswirken können, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen den Umfang des ursprünglichen Vorsteuererstabzugs, zu dem der Steuerpflichtige befugt ist, und den Umfang etwaiger Berichtigungen während der darauffolgenden Zeiträume bestimmt (Urteil vom 31. Mai 2018, Kollroß und Wirtl, C-660/16 und C-661/16, EU:C:2018:372, Rn. 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Der in den Art. 184 bis 186 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungsmechanismus ist nämlich Bestandteil der mit dieser Richtlinie eingeführten Vorsteuerabzugsregelung. Er soll die Genauigkeit der Vorsteuerabzüge in der Weise erhöhen, dass die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleistet wird, so dass die auf einer früheren Stufe bewirkten Umsätze weiterhin nur insoweit zum Abzug berechtigen, als sie der Erbringung von Leistungen dienen, die dieser Steuer unterliegen. Dieser Mechanismus verfolgt somit das Ziel, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen (Urteil vom 31. Mai 2018, Kollroß und Wirtl, C-660/16 und C-661/16, EU:C:2018:372, Rn. 55 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebäude von Mydibel ununterbrochen und dauerhaft für ihre berufliche Tätigkeit genutzt wurden. Zudem haben die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Sale-and-Lease-Back“-Umsätze (Veräußerung und Rückverpachtung) den Angaben in der Vorlageentscheidung zufolge zwar zur Zahlung einer unmittelbaren Vergütung an Mydibel geführt, doch hat sich diese Gesellschaft ihrerseits verpflichtet, an die betreffenden Finanzinstitute über einen Zeitraum von 15 Jahren eine vierteljährliche Miete zu zahlen, deren Gesamthöhe der Höhe dieser Entschädigung, zuzüglich Zinsen, entspricht. Diese Gesellschaft hat also offensichtlich die für Zwecke des Baus, der Umgestaltung oder der Renovierung der in Rede stehenden Gebäude bewirkten Umsätze weiterhin für ihre besteuerten Ausgangsumsätze genutzt. Diese Feststellung legt, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, nahe, dass sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung nicht geändert haben.
29 Entgegen dem, was die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht hat, kann die bloße Begründung eines nicht der Mehrwertsteuer unterliegenden Erbpachtrechts nicht dahin verstanden werden, dass sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert hätten. Die Begründung eines solchen Rechts führt nämlich für sich genommen nicht dazu, den engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze zu durchbrechen.
30 Daraus folgt, dass, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden keine Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Mehrwertsteuer nach den Art. 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorzunehmen ist.
31 Als Zweites ist zu prüfen, ob für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens spezifische Regelungen für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Investitionsgütern – insbesondere die Art. 187 und 188 der Mehrwertsteuerrichtlinie – gelten.
32 Art. 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie beschreibt bestimmte Modalitäten für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Investitionsgütern. Insbesondere ergibt sich aus Art. 187 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass bei solchen Gütern die Berichtigung während eines Zeitraums von fünf Jahren erfolgt, der bei Grundstücken, die als Investitionsgut erworben wurden, bis auf 20 Jahre verlängert werden kann.
33 Nach Art. 188 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist bei der Lieferung eines Investitionsgutes innerhalb des Berichtigungszeitraums dieses so zu behandeln, als ob es bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums weiterhin für eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendet worden wäre.
34 Der Gerichtshof hat klargestellt, dass sich der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ nicht auf die Eigentumsübertragung in den im anwendbaren nationalen Recht vorgesehenen Formen bezieht, sondern jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei umfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2015, PPUH Stehcemp, C-277/14, EU:C:2015:719, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 Zwar ist es Sache des nationalen Gerichts, in jedem Einzelfall anhand des gegebenen Sachverhalts festzustellen, ob ein bestimmter Umsatz mit einem Gegenstand die Übertragung der Befähigung nach sich zieht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2005, Centralan Property, C-63/04, EU:C:2005:773, Rn. 63), doch kann der Gerichtshof ihm alle hierzu zweckdienlichen Hinweise geben.
36 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Sale-and-Lease-Back“-Umsätze (Veräußerung und Rückverpachtung) sind zum einen durch die miteinander verbundene und gleichzeitig stattfindende Einräumung eines Erbpachtrechts durch den Steuerpflichtigen an die beiden im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Finanzinstitute und zum anderen eines Immobilienleasings durch diese beiden Finanzinstitute an den Steuerpflichtigen gekennzeichnet.
37 Somit ist zu bestimmen, ob im Kontext der Ausgangsrechtssache die Einräumung des Erbpachtrechts und des Immobilienleasings als getrennt oder als miteinander verbunden zu betrachten sind.
38 Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine einheitliche Leistung auch dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (Urteil vom 21. Februar 2008, Part Service, C-425/06, EU:C:2008:108, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die ihm unterbreiteten Tatsachen über die vertragliche Formulierung hinaus charakteristisch für das Vorliegen eines einheitlichen Umsatzes sind (Urteil vom 21. Februar 2008, Part Service, C-425/06, EU:C:2008:108, Rn. 54).
40 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Sale-and-Lease-Back“-Umsätze (Veräußerung und Rückverpachtung) rein finanzielle Umsätze sind, die zur Erhöhung der Liquidität von Mydibel dienen, und dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebäude in deren Besitz verblieben sind und von dieser ununterbrochen und dauerhaft für ihre steuerpflichtigen Umsätze genutzt wurden. Diese Umstände scheinen, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, nahezulegen, dass jeder dieser Umsätze einen einheitlichen Umsatz darstellt, da die Begründung des Erbpachtrechts an den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebäuden untrennbar mit dem Immobilienleasing an denselben Gebäuden verbunden ist.
41 Daraus folgt, dass, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, jeder der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Sale-and-Lease-Back“-Umsätze (Veräußerung und Rückverpachtung) einen einheitlichen Umsatz darstellt. Unter diesen Umständen können diese Umsätze nicht als „Lieferungen von Gegenständen“ qualifiziert werden, weil die nach Vornahme dieser Umsätze auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Finanzinstitute übertragenen Rechte, nämlich die zivilrechtlichen Ansprüche aus dem Erbpachtvertrag abzüglich der Rechte aus dem Immobilienleasingvertrag, deren Inhaberin Mydibel ist, die Finanzinstitute nicht berechtigen, wie ein Eigentümer über die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebäude zu verfügen.
42 Nach alledem und vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden keine Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Mehrwertsteuer im Sinne der Art. 187 und 188 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorzunehmen.
43 Vor diesem Hintergrund ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 184, 185, 187 und 188 der Mehrwertsteuerrichtlinie, vorbehaltlich der Überprüfung der relevanten tatsächlichen Umstände und des einschlägigen nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht, dahin auszulegen sind, dass keine Berichtigung der Mehrwertsteuer auf ein Gebäude, die ursprünglich ordnungsgemäß abgezogen wurde, vorzunehmen ist, wenn dieses Gut Gegenstand eines „Sale-and-Lease-Back“-Umsatzes (Veräußerung und Rückverpachtung) war, der unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht der Mehrwertsteuer unterlag.
Zur zweiten Frage
44 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Auslegung der Art. 184, 185, 187 und 188 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin gehend, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Vorsteuer vorzunehmen ist, mit den Grundsätzen der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Gleichbehandlung im Einklang steht.
45 Angesichts der Antwort auf die erste Frage stellt sich die zweite Frage nur dann, wenn das vorlegende Gericht nach Überprüfung die Auffassung vertreten sollte, dass sich durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Sale-and-Lease-Back“-Umsätze (Veräußerung und Rückverpachtung) im Sinne von Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert hätten, oder diese Umsätze eine Lieferung im Sinne von Art. 188 dieser Richtlinie darstellten, und dass folglich unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Vorsteuer vorzunehmen sei.
46 Eine solche Pflicht zur Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Vorsteuer stünde in jedem Fall mit den Grundsätzen der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Gleichbehandlung im Einklang.
47 Insoweit genügt die Feststellung, dass sich unter diesen Umständen ein Steuerpflichtiger, der einen nicht der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsatz getätigt hat, der sich auf ein Gebäude bezieht, dessen Eigentümer er ist, mehrwertsteuerrechtlich nicht in einer Situation befände, die der eines Steuerpflichtigen vergleichbar wäre, der ununterbrochen – seit der Durchführung der Arbeiten, die ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet haben – Eigentümer eines Gebäudes geblieben wäre.
48 Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass eine Auslegung der Art. 184, 185, 187 und 188 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Vorsteuer vorzunehmen ist, mit den Grundsätzen der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Gleichbehandlung im Einklang steht.
Kosten
49 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
1. Vorbehaltlich einer Überprüfung der relevanten tatsächlichen Umstände und des einschlägigen nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht sind die Art. 184, 185, 187 und 188 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass keine Berichtigung der Mehrwertsteuer auf ein Gebäude, die ursprünglich ordnungsgemäß abgezogen wurde, vorzunehmen ist, wenn dieses Gut Gegenstand eines „Sale-and-Lease-Back“-Umsatzes (Veräußerung und Rückverpachtung) war, der unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht der Mehrwertsteuer unterlag.
2. Eine Auslegung der Art. 184, 185, 187 und 188 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2009/162 geänderten Fassung dahin, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Berichtigung der ursprünglich abgezogenen Vorsteuer vorzunehmen ist, steht mit den Grundsätzen der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Gleichbehandlung im Einklang.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.