Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
14. Mai 2020(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49 und 54 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Mutter- und Tochtergesellschaften – Vertikale und horizontale steuerliche Integration“
In der Rechtssache C-749/18
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg) mit Entscheidung vom 29. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2018, in dem Verfahren
B u. a.
gegen
Administration des contributions directes
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter P. G. Xuereb, T. von Danwitz und A. Kumin,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von B u. a., vertreten durch G. Simon, avocat,
– der luxemburgischen Regierung, vertreten durch D. Holderer als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und A. Armenia als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 54 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen drei Gesellschaften luxemburgischen Rechts, B, C und D, und der Administration des contributions directes (Finanzverwaltung, Luxemburg) wegen der Ablehnung ihres gemeinsamen Antrags auf Inanspruchnahme des Systems der steuerlichen Integration für die Steuerjahre 2013 und 2014.
Rechtlicher Rahmen
3 Art. 164bis der Loi modifiée du 4 décembre 1967 concernant l’impôt sur le revenu (Geändertes Gesetz vom 4. Dezember 1967 über die Einkommensteuer) (Mémorial A 1967, S. 1228) in der für die Steuerjahre 2013 und 2014 geltenden Fassung (im Folgenden: Art. 164bis LIR) sah vor:
„(1) Unbeschränkt steuerpflichtige gebietsansässige Kapitalgesellschaften, deren Kapital zu mindestens 95 % unmittelbar oder mittelbar von einer anderen unbeschränkt steuerpflichtigen gebietsansässigen Kapitalgesellschaft oder von einer inländischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft gehalten wird, die uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt, können auf Antrag für steuerliche Zwecke in die Muttergesellschaft oder die inländische Betriebsstätte integriert werden, so dass ihre jeweiligen steuerlichen Ergebnisse mit denen der Muttergesellschaft oder der inländischen Betriebsstätte zusammengerechnet werden.
…
(4) Die steuerliche Integration setzt einen gemeinsamen schriftlichen Antrag der Muttergesellschaft oder der inländischen Betriebsstätte und der betreffenden Tochtergesellschaften voraus. Der Antrag ist vor dem Ende des ersten Wirtschaftsjahrs des Zeitraums, für den die steuerliche Integration beantragt wird und der sich über mindestens fünf Wirtschaftsjahre erstrecken muss, bei der Administration des contributions directes [(Finanzverwaltung)] einzureichen. …“
4 Art. 164bis LIR wurde durch das Gesetz vom 18. Dezember 2015 (Mémorial A 2015, S. 5989) mit Wirkung vom 1. Januar 2015 geändert (im Folgenden: Art. 164bis LIR in geänderter Fassung). Die Vorschrift erhielt folgenden Wortlaut:
„(1) Im Sinne dieses Artikels gelten als
1. integrierte Gesellschaft: eine unbeschränkt steuerpflichtige gebietsansässige Kapitalgesellschaft oder eine inländische Betriebsstätte einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft, die uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt;
2. integrierende Muttergesellschaft: eine unbeschränkt steuerpflichtige gebietsansässige Kapitalgesellschaft oder eine inländische Betriebsstätte einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft, die uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt;
3. nicht integrierende Muttergesellschaft: eine unbeschränkt steuerpflichtige gebietsansässige Kapitalgesellschaft oder eine inländische Betriebsstätte einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft, die uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt, oder eine Kapitalgesellschaft, die in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässig ist und uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt, oder eine Betriebsstätte einer uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegenden Kapitalgesellschaft, die in einem anderen Vertragsstaat des [EWR-]Abkommens … gelegen ist und dort uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt;
4. integrierende Tochtergesellschaft: eine unbeschränkt steuerpflichtige gebietsansässige Kapitalgesellschaft oder eine inländische Betriebsstätte einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft, die uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt;
5. integrierte Gruppe: entweder eine Gruppe im Sinne von Nr. 2, die sich aus der integrierenden Muttergesellschaft und der (den) integrierten Gesellschaft(en) zusammensetzt, oder eine Gruppe im Sinne von Nr. 3, die sich aus der integrierenden Tochtergesellschaft und der (den) integrierten Gesellschaft(en) zusammensetzt. Ein Mitglied einer integrierten Gruppe kann nicht gleichzeitig einer anderen integrierten Gruppe angehören.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
5 B ist eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts mit steuerlichem Sitz in Luxemburg, deren Muttergesellschaft die Aktiengesellschaft französischen Rechts A ist, die in Frankreich steuerlich ansässig ist.
6 Ab dem 1. Januar 2008 bildete B mit ihrer Tochtergesellschaft E im Rahmen des Systems der steuerlichen Integration im Sinne von Art. 164bis LIR eine steuerlich vertikal integrierte Gruppe. Diese Gruppe wurde schrittweise wie folgt auf andere Tochtergesellschaften von B erweitert: ab dem 1. Januar 2010 auf die Gesellschaft F, ab dem 1. Januar 2011 auf die Gesellschaft G, die anschließend in der Gesellschaft F aufging, ab 1. Januar 2012 auf die Gesellschaft H und ab 1. Januar 2013 auf die Gesellschaften I, J, K und L. In dieser nach und nach erweiterten steuerlich vertikal integrierten Gruppe übernahm B die Rolle der Dachgesellschaft der Gruppe, indem sie jeweils mindestens 95 % des Kapitals aller Tochtergesellschaften hielt, deren Sitz und Verwaltung sich in Luxemburg befanden. Die Ergebnisse aller zur Gruppe gehörenden Gesellschaften wurden konsolidiert bei B besteuert.
7 C und D sind Gesellschaften luxemburgischen Rechts mit steuerlichem Sitz in Luxemburg, deren Kapital mittelbar von der Gesellschaft französischen Rechts A gehalten wird; die Gesellschaft B hält keine Beteiligung am Kapital dieser beiden Gesellschaften.
8 Mit zwei Schreiben vom 8. Dezember 2014, die am 22. Dezember 2014 eingingen, beantragten B, C und D, ab dem 1. Januar 2013 bzw. dem 1. Januar 2014 das System der steuerlichen Integration im Sinne von Art. 164bis LIR in Anspruch nehmen zu dürfen.
9 Mit Bescheid vom 3. Februar 2015 lehnte das Bureau d’imposition Sociétés 6 de l’administration des contributions directes (Finanzamt „Gesellschaften 6“ der Finanzverwaltung, Luxemburg, im Folgenden: Finanzamt) diese Anträge mit der Begründung ab, dass B, C und D die Voraussetzungen von Art. 164bis LIR nicht erfüllten.
10 Da der am 27. April 2015 gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch unbeantwortet blieb, erhoben B, C und D am 12. August 2016 beim Tribunal administratif (Verwaltungsgericht, Luxemburg) Klage auf Abänderung, hilfsweise auf Aufhebung, des Bescheids des Finanzamts vom 3. Februar 2015.
11 Mit Urteil vom 6. Dezember 2017 wies das Tribunal administratif (Verwaltungsgericht) die Klage in Bezug auf die Zulassung zur steuerlichen Integration ab dem 1. Januar 2013 als unbegründet ab, weil der entsprechende Antrag vor dem Ende des ersten Wirtschaftsjahrs des Zeitraums, für den die steuerliche Integration beantragt worden sei, also vor Ablauf des Jahres 2013, bei der Finanzverwaltung hätte eingehen müssen.
12 Für das Steuerjahr 2014 erklärte das Tribunal administratif (Verwaltungsgericht) die Klage dagegen für begründet und entschied, dass es mit der Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit nach den Art. 49 und 54 AEUV unvereinbar sei, wenn es einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen gebietsfremden Muttergesellschaft verboten sei, nach Art. 164bis LIR eine steuerliche Einheit zwischen ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften zu bilden, während einer gebietsansässigen Muttergesellschaft diese Möglichkeit über eine vertikale Integration offenstehe.
13 Mit Rechtsmittelschrift, die am 15. Januar 2018 einging, legten B, C und D beim vorlegenden Gericht, der Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg), Rechtsmittel ein, soweit ihre Klage für das Steuerjahr 2013 als unbegründet abgewiesen wurde. Nach Ansicht dieser Gesellschaften verstößt es gegen den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts, ihnen die Inanspruchnahme des Systems der steuerlichen Integration ab dem 1. Januar 2013 mit der Begründung zu verweigern, dass eine rein formale Voraussetzung, nämlich die Einhaltung der Frist für die Antragstellung, nicht erfüllt sei. Eine solche Voraussetzung sei 2013 übermäßig schwer zu erfüllen gewesen, da die luxemburgische Verwaltung und die luxemburgischen Gerichte jedem Antrag auf horizontale Integration entgegengetreten seien. B, C und D hätten ihren Antrag gestellt, sobald das Urteil vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a. (C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758), ihnen rechtliche Argumente an die Hand gegeben habe, um auf der Grundlage des Unionsrechts ihr Recht geltend zu machen, im Hinblick auf eine bereits bestehende steuerlich integrierte Gruppe das in den luxemburgischen Rechtsvorschriften vorgesehene System der steuerlichen Integration in Anspruch zu nehmen.
14 Die Finanzverwaltung beantragt vor dem vorlegenden Gericht, das Urteil des Tribunal administratif (Verwaltungsgericht) vom 6. Dezember 2017 zu bestätigen, soweit damit die Nichtzulassung zur steuerlichen Integration für den am 1. Januar 2013 beginnenden Zeitraum bestätigt wurde. Soweit die Klage von B, C und D in Bezug auf das Steuerjahr 2014 jedoch für begründet erklärt wurde, legt sie Anschlussrechtmittel ein.
15 Unter diesen Umständen hat die Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über die steuerliche Integration entgegenstehen, die einerseits eine Konsolidierung der Ergebnisse von Gesellschaften derselben Gruppe erlauben, die ausschließlich eine vertikale steuerliche Integration zwischen einer ansässigen Muttergesellschaft oder einer inländischen Betriebsstätte einer nicht ansässigen Muttergesellschaft und ihren Tochtergesellschaften zulässt und die andererseits in derselben Weise einer rein horizontalen steuerlichen Integration allein der Tochtergesellschaften sowohl einer nicht ansässigen und nicht über eine inländische Betriebsstätte verfügenden Muttergesellschaft als auch einer ansässigen oder nicht ansässigen, aber über eine inländische Betriebsstätte verfügenden Muttergesellschaft entgegenstehen?
2. Falls die erste Frage bejaht wird: Sind die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen, dass sie den genannten Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über die steuerliche Integration entgegenstehen und insbesondere der strikten Trennung zwischen den Systemen der vertikalen Integration (zwischen einer Dachgesellschaft und ihren unmittelbaren oder mittelbaren Tochtergesellschaften) und der horizontalen Integration (zwischen zwei oder mehreren ansässigen Tochtergesellschaften einer Dachgesellschaft, die nicht in die steuerliche Integration einbezogen ist), die aus diesen Rechtsvorschriften folgt, und der sich daraus ergebenden Verpflichtung, eine zuvor bestehende vertikale steuerliche Integration zu beenden, bevor eine Gruppe mit horizontaler steuerlicher Integration gegründet werden kann, und zwar dann,
– wenn zuvor eine vertikale steuerliche Integration mit einer in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässigen, auf nationaler Ebene integrierenden Dachgesellschaft (die gleichzeitig im Verhältnis zu der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen obersten Muttergesellschaft der Gruppe die zwischengeschaltete Tochtergesellschaft darstellt) und ansässigen Tochtergesellschaften der Dachgesellschaft geschaffen worden war, weil nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats nur mittels der vertikalen steuerlichen Integration das System trotz der Ansässigkeit der obersten Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen werden konnte,
– wenn Schwestergesellschaften der integrierenden Dachgesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats (und somit auch Tochtergesellschaften der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen obersten Muttergesellschaft) der Zugang zur bestehenden steuerlichen Integration mit der Begründung verwehrt wird, dass die beiden Systeme der vertikalen und der horizontalen steuerlichen Integration miteinander unvereinbar seien, und
– wenn die Einbeziehung dieser Schwestergesellschaften in die Konsolidierung der Ergebnisse zwischen Gesellschaften der Gruppe zur Beseitigung der zuvor bestehenden vertikalen steuerlichen Integration – mit den damit verbundenen negativen steuerlichen Folgen aufgrund der Nichteinhaltung des in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Mindestzeitraums für das Bestehen der Integration – und zur Schaffung einer neuen horizontalen steuerlichen Integration führen würde, obwohl die ansässige integrierende Gesellschaft (auf deren Ebene die Ergebnisse der steuerlich integrierten Gesellschaften konsolidiert würden) dieselbe bliebe?
3. Falls auch die zweite Frage bejaht wird: Sind die Art. 49 und 54 AEUV, zusammen mit dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts, dahin auszulegen, dass sie den genannten Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über die steuerliche Integration und insbesondere der Anwendung einer Frist entgegenstehen, nach der jeder Antrag auf Zulassung zur steuerlichen Integration bei der zuständigen Behörde zwingend vor dem Ende des ersten Wirtschaftsjahrs zu stellen ist, für das die Anwendung dieses Systems begehrt wird, und zwar dann,
– wenn nach Bejahung der ersten beiden Fragen diese Rechtsvorschriften in einer mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbaren Weise eine horizontale steuerliche Integration allein zwischen den Tochtergesellschaften derselben Muttergesellschaft und die Umgestaltung einer bestehenden vertikal steuerlich integrierten Gruppe durch die Aufnahme von Tochtergesellschaften der integrierenden Gesellschaft ausschlossen,
– wenn die nationale Verwaltungspraxis und die nationale Rechtsprechung des betreffenden Mitgliedstaats vor der Veröffentlichung des Urteils vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a. (C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758), diese Rechtsvorschriften als gültig betrachteten,
– wenn mehrere Gesellschaften nach der Veröffentlichung dieses Urteils und noch vor dem Ende des Jahres 2014 unter Berufung auf dieses Urteil einen Antrag auf Aufnahme in eine bestehende steuerlich integrierte Gruppe mittels Gestattung einer horizontalen steuerlichen Integration mit der integrierenden Gesellschaft der bestehenden Gruppe stellten und
– wenn dieser Antrag nicht nur das zum Zeitpunkt seiner Stellung noch laufende Wirtschaftsjahr 2014 betrifft, sondern auch das vorangegangene Wirtschaftsjahr 2013, ab dem die betreffenden Gesellschaften alle mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden materiellen Voraussetzungen für die Zulassung zur steuerlichen Integration erfüllten?
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
16 Aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts, das im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Systems der justiziellen Zusammenarbeit allein für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist (Urteil vom 7. November 2018, C und A, C-257/17, EU:C:2018:876, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung), geht hervor, dass mit Art. 164bis LIR in geänderter Fassung die Möglichkeit eingeführt wurde, eine horizontale steuerliche Integration zwischen einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft und anderen gebietsansässigen Tochtergesellschaften einer gebietsansässigen oder gebietsfremden nicht integrierenden Muttergesellschaft vorzunehmen. Diese Änderung gilt dem vorlegenden Gericht zufolge jedoch „erst ab dem Steuerjahr 2015“. Folglich gilt für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerjahre 2013 und 2014 weiterhin Art. 164bis LIR.
17 Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass es sich bei der steuerlichen Integration nach Art. 164bis LIR um eine Sonderregelung für die Besteuerung des konsolidierten Gewinns einer Gruppe von Gesellschaften handele. Alle in die Integration einbezogenen Gesellschaften bestimmten ihre eigenen buchhalterischen und steuerlichen Ergebnisse und nähmen von ihren jeweiligen buchhalterischen Ergebnissen die doppelten Abzüge oder Besteuerungen heraus, die sich aus Umsätzen zwischen den Gesellschaften der Gruppe ergeben könnten. Dann würden diese Ergebnisse auf der Ebene der integrierenden Gesellschaft konsolidiert, was mit einem Ausgleich zwischen den positiven und negativen Ergebnissen der betroffenen Gesellschaften verbunden sei. Schließlich liege das konsolidierte steuerliche Ergebnis vor, das nur bei der integrierenden Gesellschaft versteuert werde. Gemäß Art. 164bis LIR sei eine solche steuerliche Integration nicht ohne Beteiligung der Muttergesellschaft denkbar und komme nur bei der Konsolidierung in ein und demselben Steuerhoheitsgebiet in Frage.
18 Im Übrigen hätten die Steuerpflichtigen, die die materiellen Voraussetzungen des Art. 164bis LIR erfüllten, nach der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts einen Anspruch auf steuerliche Integration, so dass das zuständige Finanzamt zur Zustimmung verpflichtet sei, wenn es nach entsprechender Prüfung feststelle, dass diese materiellen Voraussetzungen erfüllt seien.
19 Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen sind die Vorlagefragen zu beantworten.
Zur ersten Frage
20 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zwar eine vertikale steuerliche Integration zwischen einer gebietsansässigen Muttergesellschaft oder einer inländischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Muttergesellschaft und ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften, nicht aber eine horizontale steuerliche Integration zwischen den gebietsansässigen Tochtergesellschaften einer gebietsfremden Muttergesellschaft zulassen.
21 Die Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Unionsbürgern zuerkennt, umfasst für diese die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats für seine eigenen Angehörigen. Mit ihr ist nach Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil vom 1. April 2014, Felixstowe Dock and Railway Company u. a., C-80/12, EU:C:2014:200, Rn. 17 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Bei Gesellschaften dient ihr Sitz im Sinne von Art. 54 AEUV ebenso wie bei natürlichen Personen die Staatsangehörigkeit dazu, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen. Könnte der Ansässigkeitsmitgliedstaat nach seinem Belieben eine ungleiche Behandlung allein deshalb vornehmen, weil sich der Sitz einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet, würde Art. 49 AEUV seines Sinnes entleert. Die Niederlassungsfreiheit soll somit die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat gewährleisten, indem sie jede Diskriminierung aufgrund des Ortes des Sitzes einer Gesellschaft untersagt (Urteil vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a., C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758, Rn. 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Ein System der steuerlichen Integration wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende stellt für die betreffenden Gesellschaften eine Steuervergünstigung dar. Durch einen Ausgleich zwischen den positiven und negativen Ergebnissen der in die Integration einbezogenen Gesellschaften und die Konsolidierung dieser Ergebnisse bei der integrierenden Muttergesellschaft verschafft das System der steuerlichen Integration der Gruppe der betroffenen Gesellschaften einen Liquiditätsvorteil (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a., C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758, Rn. 46).
24 Nach Art. 164bis LIR wird dieser Steuervorteil den in Luxemburg ansässigen Muttergesellschaften oder inländischen Betriebsstätten gebietsfremder Muttergesellschaften gewährt, indem den gebietsansässigen Tochtergesellschaften gestattet wird, ihre steuerlichen Ergebnisse auf der Ebene dieser Muttergesellschaften und Betriebsstätten zu konsolidieren.
25 Die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung begründet also eine Ungleichbehandlung zwischen zum einen den Muttergesellschaften mit Sitz in Luxemburg, die dank des Systems der steuerlichen Integration u. a. die positiven Ergebnisse ihrer gewinnbringenden Tochtergesellschaften durch die Verluste ihrer defizitären Tochtergesellschaften ausgleichen können, und zum anderen den Muttergesellschaften, die zwar ebenfalls Tochtergesellschaften in Luxemburg haben, deren Sitz sich aber in einem anderen Mitgliedstaat befindet und die keine Betriebsstätte in Luxemburg haben, so dass sie die steuerliche Integration und folglich den damit verbundenen Steuervorteil nicht für sich in Anspruch nehmen können.
26 Die in der vorstehenden Randnummer festgestellte Ungleichbehandlung wird auch nicht durch das Vorbringen der luxemburgischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen in Frage gestellt, wonach alle der Steuerhoheit des Großherzogtums Luxemburg unterliegenden Gesellschaften gleich behandelt würden. Zum einen werde, wenn eine gebietsfremde Muttergesellschaft eine Betriebsstätte in Luxemburg habe, diese Betriebsstätte genauso behandelt wie eine gebietsansässige Muttergesellschaft. Zum anderen könne selbst bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt keine steuerliche Integration zwischen den Tochtergesellschaften einer Muttergesellschaft ohne deren Beteiligung erfolgen.
27 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich das Ausgangsverfahren, wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, nicht auf die Möglichkeit der gebietsfremden Muttergesellschaft bezieht, zu denselben Bedingungen wie ihre gebietsansässigen Tochtergesellschaften in das luxemburgische System der steuerlichen Integration einbezogen zu werden, sondern nur auf die Möglichkeit, die horizontale Integration der von ihren allesamt in Luxemburg ansässigen Tochtergesellschaften erzielten Ergebnisse vorzunehmen. Dass die gebietsfremde Muttergesellschaft nicht der luxemburgischen Steuerhoheit unterliegt, ist daher unerheblich.
28 Sodann trifft es zwar zu, dass bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt keine steuerliche Integration zwischen den gebietsansässigen Tochtergesellschaften einer gebietsansässigen Muttergesellschaft ohne deren Beteiligung erfolgen kann. Wenn aber die horizontale steuerliche Integration zwischen den gebietsansässigen Tochtergesellschaften einer gebietsansässigen Muttergesellschaft nicht zulässig ist, lässt sich die Konsolidierung der Ergebnisse dieser Tochtergesellschaften, wie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gleichwohl dadurch erreichen, dass die Ergebnisse dieser Tochtergesellschaften in das Ergebnis der Muttergesellschaft integriert werden.
29 Bei Tochtergesellschaften einer gebietsfremden Muttergesellschaft ist die Konsolidierung ihrer Ergebnisse jedoch weder durch eine vertikale noch durch eine horizontale steuerliche Integration möglich.
30 Schließlich ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass, da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich, 270/83, EU:C:1986:37, Rn. 22, vom 6. September 2012, Philips Electronics UK, C-18/11, EU:C:2012:532, Rn. 13, und vom 17. Mai 2017, X, C-68/15, EU:C:2017:379, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit ist das Vorbringen, dass die Gründung einer für die bestehenden Tochtergesellschaften die Rolle der Muttergesellschaft übernehmenden Betriebsstätte oder zwischengeschalteten Tochtergesellschaft in Luxemburg es der gebietsfremden Muttergesellschaft ermöglicht hätte, die steuerliche Integration der Ergebnisse ihrer Tochtergesellschaften zu erreichen, ohne Belang.
31 Indem die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen der LIR grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber rein innerstaatlichen Sachverhalten steuerlich benachteiligen, stellen sie somit eine durch die Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich verbotene Beschränkung dar (vgl. entsprechend Urteile vom 27. November 2008, Papillon, C-418/07, EU:C:2008:659, Rn. 32, und vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a., C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758, Rn. 48).
32 Eine solche Beschränkung ist nur zulässig, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Ziel steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 2014, Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 23, und vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock, C-650/16, EU:C:2018:424, Rn. 20).
33 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2007, Oy AA, C-231/05, EU:C:2007:439, Rn. 38, vom 25. Februar 2010, X Holding, C-337/08, EU:C:2010:89, Rn. 22, vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a., C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758, Rn. 28, und vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock, C-650/16, EU:C:2018:424, Rn. 32).
34 Die Ungleichbehandlung zwischen den Muttergesellschaften mit Sitz in Luxemburg und den Muttergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat und ohne Betriebsstätte in Luxemburg hinsichtlich der Möglichkeit der steuerlichen Konsolidierung der Ergebnisse ihrer Tochtergesellschaften in Luxemburg betrifft objektiv vergleichbare Sachverhalte.
35 Das System der steuerlichen Integration nach Art. 164bis LIR ist nämlich, wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, aus Gründen der steuerlichen Neutralität vorgesehen, um eine konsolidierte Besteuerung eines Teils der Gesellschaften der Gruppe oder aller ihrer Gesellschaften zu ermöglichen.
36 Dieses Ziel lässt sich, was die Konsolidierung der Ergebnisse der in Luxemburg ansässigen Tochtergesellschaften und ihre Besteuerung in diesem Mitgliedstaat angeht, ebenso gut bei Gruppen mit gebietsansässigen Muttergesellschaften wie bei solchen mit gebietsfremden Muttergesellschaften erreichen (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a., C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758, Rn. 51).
37 Schließlich hat weder das vorlegende Gericht noch die luxemburgische Regierung Gründe des Allgemeininteresses angeführt, mit denen sich die mit dem hier fraglichen System der steuerlichen Integration begründete Ungleichbehandlung gegebenenfalls rechtfertigen ließe.
38 Unter diesen Umständen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zwar eine vertikale steuerliche Integration zwischen einer gebietsansässigen Muttergesellschaft oder einer inländischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Muttergesellschaft und ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften, nicht aber eine horizontale steuerliche Integration zwischen den gebietsansässigen Tochtergesellschaften einer gebietsfremden Muttergesellschaft zulassen.
Zur zweiten Frage
39 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zur Folge haben, dass eine Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezwungen ist, eine bestehende vertikale steuerliche Integration zwischen einer ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaften und einigen ihrer gebietsansässigen Enkelgesellschaften aufzulösen, um dieser Tochtergesellschaft eine horizontale steuerliche Integration mit anderen gebietsansässigen Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft zu ermöglichen, obwohl die gebietsansässige integrierende Tochtergesellschaft dieselbe bleibt und die Auflösung der vertikalen steuerlichen Integration vor Ablauf der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Mindestdauer für das Bestehen der Integration dazu führt, dass für die betroffenen Gesellschaften die Besteuerung individuell berichtigt wird.
40 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass gemäß den Ausführungen des vorlegenden Gerichts im Vorabentscheidungsersuchen das durch Art. 164bis LIR in geänderter Fassung eingeführte System der horizontalen steuerlichen Integration als Alternative zum System der vertikalen Integration konzipiert ist, so dass diese beiden Systeme sich gegenseitig ausschließen und der Wechsel von einem System zum anderen die Auflösung der bestehenden gemeinsam besteuerten Gruppe zur Folge hat.
41 Außerdem sei, so das vorlegende Gericht, Art. 164bis LIR in geänderter Fassung zwar nicht rückwirkend auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerjahre anzuwenden, doch sei Art. 164bis LIR, der auf diese Steuerjahre Anwendung finde, unter Berücksichtigung der zwischen den Systemen der vertikalen und der horizontalen steuerlichen Integration bestehenden Trennung auszulegen, so dass eine bestehende vertikale steuerliche Integration beendet werden müsse, bevor eine Gruppe mit horizontaler steuerlicher Integration gebildet werden könne. Die Auflösung einer gemeinsam besteuerten Gruppe vor Ablauf der in Art. 164bis Abs. 4 LIR vorgesehenen Mindestdauer von fünf Wirtschaftsjahren habe jedoch zur Folge, dass für alle Gesellschaften, die diese Mindestdauer nicht eingehalten hätten, die Besteuerung individuell berichtigt werde. Diese individuelle Steuerberichtigung erfolge für die Jahre, für die eine Konsolidierung der Ergebnisse nicht mehr zulässig sei.
42 Schließlich geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass nach der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung bei einer aus einer Muttergesellschaft mit Sitz in Luxemburg und den gebietsansässigen Tochtergesellschaften bestehenden Gruppe eine gebietsansässige Tochtergesellschaft in eine bestehende steuerliche Integration aufgenommen werden und diese am Ende der Mindestdauer von fünf Wirtschaftsjahren wieder verlassen kann, so dass auf der Ebene der integrierten Tochtergesellschaften nicht jede Änderung der Zusammensetzung der gemeinsam besteuerten Gruppe die Auflösung der früheren gemeinsam besteuerten Gruppe und die Bildung einer neuen Gruppe zur Folge hat.
43 Daraus ergibt sich, dass eine Muttergesellschaft mit Sitz in Luxemburg über die Einbeziehung einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft in eine bestehende steuerliche Integration und ihre Wiederentlassung nach einer Mindestdauer von fünf Jahren mit der Folge einer erneuten individuellen Besteuerung dieser Tochtergesellschaft frei entscheiden kann, ohne dass der eine oder der andere dieser Vorgänge zur Auflösung der früheren gemeinsam besteuerten Gruppe und zur Bildung einer neuen Gruppe führen würde.
44 Dagegen hat die vom vorlegenden Gericht dargestellte Trennung zwischen den Systemen der vertikalen und der horizontalen steuerlichen Integration zur Folge, dass sich eine Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat und ohne Betriebsstätte in Luxemburg nur dann gemeinsam mit ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften besteuern lassen könnte, wenn eine bestehende vertikale steuerliche Integration zwischen einer dieser Tochtergesellschaften und einigen ihrer gebietsansässigen Enkelgesellschaften aufgelöst würde. Waren nicht alle betroffenen Gesellschaften oder nur bestimmte Gesellschaften während des gesamten in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung vorgesehenen Mindestzeitraums von fünf Jahren in die Integration zwischen dieser gebietsansässigen Tochtergesellschaft und ihren gebietsansässigen Enkelgesellschaften einbezogen, hat die Auflösung der bestehenden Integration zur Folge, dass bei den betroffenen Gesellschaften die Besteuerung berichtigt wird.
45 Die Möglichkeit der Einbeziehung einer Tochtergesellschaft in eine bereits bestehende steuerliche Integration, ohne dass dies zur Auflösung der früheren gemeinsam besteuerten Gruppe und zur Bildung einer neuen Gruppe führt, stellt für die betreffenden Gesellschaften einen Steuervorteil dar.
46 Folglich wird im vorliegenden Fall eine Muttergesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Großherzogtum Luxemburg hat, dadurch gegenüber einer in Luxemburg ansässigen Muttergesellschaft benachteiligt, dass sie eine bestehende gemeinsam besteuerte Gruppe auflösen muss, bevor sie eine horizontale steuerliche Integration zwischen ihren in Luxemburg ansässigen Tochtergesellschaften vornehmen kann.
47 Anders als von der luxemburgischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vorgetragen, ist es insoweit unerheblich, dass bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt keine Gesellschaft gleichzeitig zwei gemeinsam besteuerten Gruppen angehören könnte.
48 Wie nämlich in den Rn. 25, 28 und 43 des vorliegenden Urteils ausgeführt, kann eine Muttergesellschaft mit Sitz in Luxemburg trotzdem erreichen, dass die Ergebnisse einer Tochtergesellschaft mit den Ergebnissen ihrer anderen gebietsansässigen Tochtergesellschaften konsolidiert werden, indem sie diese Tochtergesellschaft in die bestehende vertikale steuerliche Integration einbezieht. Somit stellt sich bei einem solchen innerstaatlichen Sachverhalt nicht das Problem, dass gleichzeitig zwei gemeinsam besteuerte Gruppen bestehen, und nur für die gebietsfremde Muttergesellschaft besteht die Verpflichtung, die bestehende gemeinsam besteuerte Gruppe aufzulösen, um die Ergebnisse ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaften konsolidieren zu können.
49 Somit werden dadurch, dass bei einer gebietsfremden Muttergesellschaft ohne Betriebsstätte in Luxemburg eine horizontale Integration zwischen ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften nur möglich ist, wenn eine bestehende vertikale steuerliche Integration zwischen einer dieser Tochtergesellschaften und einigen ihrer gebietsansässigen Enkelgesellschaften aufgelöst wird, grenzüberscheitende Sachverhalte gegenüber rein innerstaatlichen Sachverhalten benachteiligt. Eine solche tatsächliche Verpflichtung stellt gemäß der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung eine Beschränkung dar, die nach den Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich verboten ist.
50 Gemäß der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist eine solche Beschränkung nur zulässig, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Ziel steht.
51 Die luxemburgische Regierung macht geltend, dass eine Situation, in der eine in Luxemburg ansässige Muttergesellschaft eine gebietsansässige Tochtergesellschaft in eine vertikale steuerliche Integration einbeziehe, nicht im Sinne der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs mit einer Situation vergleichbar sei, in der eine Tochtergesellschaft einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft eine Integration mit einer anderen Tochtergesellschaft anstrebe, da die Einbeziehung einer Tochtergesellschaft in eine vertikale steuerliche Integration nur möglich sei, wenn die Muttergesellschaft mittelbar oder unmittelbar mindestens 95 % der Anteile der Tochtergesellschaft halte und eine Tochtergesellschaft, die eine Integration mit einer anderen Tochtergesellschaft anstrebe, nicht 95 % derselben halte.
52 Da sich aber, wie aus Rn. 35 des vorliegenden Urteils hervorgeht, das Ziel einer konsolidierten Besteuerung eines Teils der Gesellschaften einer Gruppe oder aller ihrer Gesellschaften, was die Konsolidierung der Ergebnisse der in Luxemburg ansässigen Tochtergesellschaften und ihre Besteuerung in diesem Mitgliedstaat angeht, ebenso gut bei Gruppen mit einer gebietsansässigen Muttergesellschaft wie bei Gruppen mit einer gebietsfremden Muttergesellschaft erreichen lässt, kann die Ungleichbehandlung nicht durch einen objektiven Unterschied der Situation gerechtfertigt werden, wenn die gebietsfremde Muttergesellschaft unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der gebietsansässigen Tochtergesellschaften hält, die ihre Ergebnisse konsolidieren wollen.
53 Im Übrigen haben weder das vorlegende Gericht noch die luxemburgische Regierung zwingende Gründe des Allgemeininteresses angeführt, die eine solche Beschränkung rechtfertigen würden.
54 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zur Folge haben, dass eine Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezwungen ist, eine bestehende vertikale steuerliche Integration zwischen einer ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaften und einigen ihrer gebietsansässigen Enkelgesellschaften aufzulösen, um dieser Tochtergesellschaft eine horizontale steuerliche Integration mit anderen gebietsansässigen Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft zu ermöglichen, obwohl die gebietsansässige integrierende Tochtergesellschaft dieselbe bleibt und die Auflösung der vertikalen steuerlichen Integration vor Ablauf der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Mindestdauer für das Bestehen der Integration dazu führt, dass für die betroffenen Gesellschaften die Besteuerung individuell berichtigt wird.
Zur dritten Frage
55 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 54 AEUV sowie der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über ein System der steuerlichen Integration entgegenstehen, nach denen ein Antrag auf Inanspruchnahme einer solchen Integration vor Ablauf des ersten Steuerjahrs, für das die Anwendung dieses Systems beantragt wird, bei der zuständigen Behörde gestellt werden muss.
56 Das vorlegende Gericht führt im Vorabentscheidungsersuchen aus, dass Art. 164bis Abs. 4 LIR weder eine Ausschlussfrist für vorgerichtliche oder gerichtliche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen noch eine Verjährungsfrist, die die Zulässigkeit eines solchen Rechtsbehelfs rückwirkend einschränke, vorsehe, sondern den Rahmen für das Verfahren zur Gewährung der steuerlichen Integration vorgebe. Das Ziel dieser Bestimmung bestehe darin, dass das zuständige Finanzamt die Zustimmung zur Anwendung des Systems der steuerlichen Integration auf die im Antrag genannte Gruppe zu einem zweckmäßigen Zeitpunkt erteilen könne, bevor alle beteiligten Gesellschaften ihre Bilanzen für das erste Jahr der Anwendung dieses Systems und ihre entsprechenden Steuererklärungen erstellten.
57 Die dritte Frage wird hier in einem Kontext gestellt, in dem gemäß den Ausführungen des vorlegenden Gerichts die luxemburgische Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis für das Steuerjahr 2013 davon ausging, dass die nationalen Rechtsvorschriften, die eine horizontale steuerliche Integration allein zwischen den Tochtergesellschaften derselben Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausschlossen, mit dem Unionsrecht vereinbar sind.
58 B, C und D machen in diesem Zusammenhang geltend, die verspätete Beantragung der horizontalen steuerlichen Integration für das Steuerjahr 2013 sei dadurch gerechtfertigt, dass die luxemburgische Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis bis zur Verkündung des Urteils vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a. (C-39/13 bis C-41/13, EU:C:2014:1758), einem solchen Antrag entgegengestanden hätten. Sie hätten ihren Antrag jedoch nach der Verkündung jenes Urteils rasch gestellt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie eine tatsächliche Chance gehabt hätten, dass ihm stattgegeben werde, und vor Ablauf der im luxemburgischen Recht vorgesehenen allgemeinen Verjährungsfrist von fünf Jahren.
59 Insoweit ergibt sich aus den Antworten auf die erste und die zweite Frage, dass die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zwar eine vertikale steuerliche Integration zwischen einer gebietsansässigen Muttergesellschaft oder einer inländischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Muttergesellschaft und ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften, nicht aber eine horizontale steuerliche Integration allein zwischen den gebietsansässigen Tochtergesellschaften derselben gebietsfremden Muttergesellschaft zulassen.
60 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit erfüllt sind (vgl. u. a. Urteil vom 6. März 2007, Meilicke u. a. C-292/04, EU:C:2007:132, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Im Ausgangsverfahren war die formale Voraussetzung, dass der Antrag auf Zulassung zum System der steuerlichen Integration vor Ablauf des ersten Wirtschaftsjahrs gestellt wird, für das die Anwendung dieses Systems beantragt wird, für das Steuerjahr 2013 nicht erfüllt.
62 Selbst wenn das vorlegende Gericht diese Frist nicht als Ausschlussfrist einstuft, geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten doch hervor, dass die Nichteinhaltung dieser Frist zur Folge hatte, dass das Tribunal administratif (Verwaltungsgericht) die gegen die Ablehnung des Antrags für das Steuerjahr 2013 gerichtete Klage abgewiesen hat.
63 Daher ist die Frage, ob den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Überschreitung der Frist für die Beantragung der steuerlichen Integration entgegengehalten werden kann, unter entsprechender Berücksichtigung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu prüfen, die für Anträge, mit denen die Ausübung eines dem Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechts sichergestellt werden soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, TDC, C-327/15, EU:C:2016:974, Rn. 89 bis 91), und für Klagen gelten, die den Schutz eines solchen Rechts gewährleisten sollen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C-234/17, EU:C:2018:853, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
64 In Bezug auf den Äquivalenzgrundsatz geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervor, dass die in Art. 164bis Abs. 4 LIR vorgesehene Frist für die Beantragung der steuerlichen Integration gegen diesen Grundsatz verstoßen würde.
65 Hinsichtlich des Effektivitätsgrundsatzes ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten in jedem konkreten Fall für den wirksamen Schutz der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte verantwortlich sind. Insbesondere erfordert dieser Grundsatz, dass die Finanzbehörden der Mitgliedstaaten die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteil vom 20. Dezember 2017, Caterpillar Financial Services, C-500/16, EU:C:2017:996, Rn. 41).
66 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen innerstaatlichen Stellen zu prüfen. Zu berücksichtigen sind dabei gegebenenfalls u. a. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Urteile vom 22. Februar 2018, INEOS Köln, C-572/16, EU:C:2018:100, Rn. 44, und vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C-234/17, EU:C:2018:853, Rn. 49).
67 Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, auch wenn ihr Ablauf naturgemäß die vollständige oder teilweise Abweisung der erhobenen Klage zur Folge hat (Urteil vom 8. September 2011, Q-Beef und Bosschaert, C-89/10 und C-96/10, EU:C:2011:555, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine etwaige Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof für den Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich unerheblich (Urteil vom 8. September 2011, Q-Beef und Bosschaert, C-89/10 und C-96/10, EU:C:2011:555, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
68 Das Unionsrecht verwehrt es einer nationalen Behörde nur dann, sich auf den Ablauf einer angemessenen Verjährungsfrist zu berufen, wenn ihr Verhalten in Verbindung mit einer Ausschlussfrist dem Betroffenen jede Möglichkeit genommen hat, seine Rechte vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. April 2010, Barth, C-542/08, EU:C:2010:193, Rn. 33, und vom 8. September 2011, Q-Beef und Bosschaert, C-89/10 und C-96/10, EU:C:2011:555, Rn. 51).
69 Zwar hat der Gerichtshof zur Inanspruchnahme der Rechtsschutzmöglichkeiten, die zur Verfügung stehen, um einen Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht in Anspruch zu nehmen, festgestellt, dass es dem Grundsatz der Effektivität widerspräche, von den Geschädigten zu verlangen, systematisch von allen ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch zu machen, selbst wenn dies zu übermäßigen Schwierigkeiten führen würde oder ihnen nicht zugemutet werden könnte (Urteile vom 24. März 2009, Danske Slagterier, C-445/06, EU:C:2009:178, Rn. 62, und vom 25. November 2010, Fuß, C-429/09, EU:C:2010:717, Rn. 77).
70 So hat der Gerichtshof in den Rn. 104 bis 106 des Urteils vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a. (C-397/98 und C-410/98, EU:C:2001:134), entschieden, dass die Ausübung der Rechte, die den Einzelnen aus den unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts erwachsen, unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde, wenn ihre auf den Verstoß gegen das Unionsrecht gestützten Schadensersatzklagen bereits deswegen ganz oder teilweise abgewiesen werden müssten, weil die Betroffenen es unterlassen haben, die Gewährung des ihnen durch die Unionsbestimmungen verliehenen, vom nationalen Recht aber abgesprochenen Rechts zu beantragen, um dann mittels der dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe unter Berufung auf den Vorrang und die unmittelbare Wirkung des Unionsrechts gegen die Ablehnung des Antrags durch den Mitgliedstaat vorzugehen. In einem solchen Fall war den Geschädigten nicht zuzumuten, die ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, weil sie in jedem Fall der Zahlungspflicht, um die es in den Rechtssachen ging, in denen jenes Urteil ergangen ist, im Wege einer Vorauszahlung hätten nachkommen müssen und ihnen dieser Betrag, selbst wenn das nationale Gericht die Vorauszahlung für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt hätte, nicht erstattet und ihnen möglicherweise eine Geldstrafe auferlegt worden wäre.
71 Obwohl nach den im Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften sowie der luxemburgischen Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis für das Steuerjahr 2013 eine horizontale steuerliche Integration allein zwischen den Tochtergesellschaften derselben Muttergesellschaft nicht zulässig war, war ein entsprechender Antrag für die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens jedoch nicht mit finanziellen oder rechtlichen Risiken verbunden, die mit denen vergleichbar wären, die u. a. in den Rechtssachen in Rede standen, in denen die Urteile vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a. (C-397/98 und C-410/98, EU:C:2001:134, Rn. 104), und vom 25. November 2010, Fuß (C-429/09, EU:C:2010:717, Rn. 81), ergangen sind, sondern konnte ihnen zugemutet werden.
72 Im vorliegenden Fall hatten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens während des Steuerjahrs 2013 nämlich tatsächlich jederzeit die Möglichkeit, die horizontale steuerliche Integration für dieses Jahr zu beantragen und sich dabei auf die Unvereinbarkeit der luxemburgischen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht zu berufen. Wie aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, haben sie im Übrigen für das Steuerjahr 2014 einen solchen auf das Unionsrecht gestützten Antrag gestellt, bevor das luxemburgische Gesetz dahin geändert wurde, dass eine solche Integration zulässig ist.
73 Dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens es angesichts der nationalen Rechtsvorschriften sowie der nationalen Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis für vergeblich hielten, einen solchen Antrag zu stellen, lässt sich weder mit der objektiven Unmöglichkeit einer solchen Beantragung im Sinne der in Rn. 68 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs noch mit einer Situation gleichsetzen, in der ein solches Vorgehen im Sinne der in Rn. 69 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs zu übermäßigen Schwierigkeiten führen oder ihnen nicht zugemutet werden könnte.
74 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über ein System der steuerlichen Integration, nach denen ein Antrag auf Inanspruchnahme einer solchen Integration vor Ablauf des ersten Steuerjahrs, für das die Anwendung dieses Systems beantragt wird, bei der zuständigen Behörde gestellt werden muss, nicht entgegenstehen.
Kosten
75 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zwar eine vertikale steuerliche Integration zwischen einer gebietsansässigen Muttergesellschaft oder einer inländischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Muttergesellschaft und ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften, nicht aber eine horizontale steuerliche Integration zwischen den gebietsansässigen Tochtergesellschaften einer gebietsfremden Muttergesellschaft zulassen.
2. Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zur Folge haben, dass eine Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezwungen ist, eine bestehende vertikale steuerliche Integration zwischen einer ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaften und einigen ihrer gebietsansässigen Enkelgesellschaften aufzulösen, um dieser Tochtergesellschaft eine horizontale steuerliche Integration mit anderen gebietsansässigen Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft zu ermöglichen, obwohl die gebietsansässige integrierende Tochtergesellschaft dieselbe bleibt und die Auflösung der vertikalen steuerlichen Integration vor Ablauf der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Mindestdauer für das Bestehen der Integration dazu führt, dass für die betroffenen Gesellschaften die Besteuerung individuell berichtigt wird.
3. Die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über ein System der steuerlichen Integration, nach denen ein Antrag auf Inanspruchnahme einer solchen Integration vor Ablauf des ersten Steuerjahrs, für das die Anwendung dieses Systems beantragt wird, bei der zuständigen Behörde gestellt werden muss, nicht entgegenstehen.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.