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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

18. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Direkte Besteuerung – Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Immobiliengeschäften – Freier Kapitalverkehr – Bemessungsgrundlage – Diskriminierung – Wahlmöglichkeit, genauso wie Gebietsansässige besteuert zu werden – Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht“

In der Rechtssache C-388/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD], Portugal), mit Entscheidung vom 30. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Mai 2019, in dem Verfahren

MK

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen (Berichterstatter),

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von MK, vertreten durch A. Gaspar Schwalbach, advogado,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, S. Jaulino, H. Gomes Magno und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Afonso, N. Gossement und W. Roels als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. November 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 63 bis 65 AEUV.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MK und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) (im Folgenden: AT) über den von dieser erlassenen Steuerbescheid über die Einkünfte von MK im Jahr 2017.

 Rechtlicher Rahmen

3        Art. 43 („Veräußerungsgewinne“) des Código do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Singulares (Einkommensteuergesetzbuch) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: CIRS) bestimmte in seinen Abs. 1 und 2:

„1 – Als Veräußerungsgewinn gilt die gemäß den nachstehenden Artikeln ermittelte Differenz zwischen den in demselben Jahr erzielten Gewinnen und Verlusten.

2 – Die im vorstehenden Absatz genannte positive oder negative Differenz der von Gebietsansässigen getätigten Geschäfte im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, c und d wird nur in Höhe von 50 % ihres Wertes berücksichtigt.“

4        Art. 68 Abs. 1 CIRS enthält die progressive Tabelle der Steuersätze. 2017 galt der Steuerhöchstsatz von 48 % für steuerpflichtige Einkommen von mehr als 80 640 Euro.

5        Gemäß Art. 68a CIRS wurde ein zusätzlicher Solidaritätszuschlag von 2,5 % auf zu versteuernde Einkommen zwischen 80 000 und 250 000 Euro erhoben; oberhalb dieses Betrags belief sich der Solidaritätszuschlag auf 5 %.

6        Art. 72 („Besondere Steuersätze“) CIRS sah u. a. vor:

„1 – Zum autonomen Steuersatz von 28 % besteuert werden

a)      die in Art. 10 Abs. 1 Buchst. a und d genannten Veräußerungsgewinne, die von Personen erzielt werden, die nicht im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässig sind, sofern sie nicht aus einer in diesem Gebiet gelegenen Betriebsstätte stammen.

9 – Für ihre Einkünfte im Sinne von Abs. 1 Buchst. a und b und 2 können Gebietsansässige eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums [(EWR)] – im letztgenannten Fall, sofern ein Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten stattfindet – die Besteuerung dieser Erträge nach dem Steuersatz wählen, der nach der Tabelle in Art. 68 Abs. 1 anwendbar wäre, wenn sie von Personen erzielt worden wären, die im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässig sind.

10 – Bei der Bestimmung des im vorstehenden Absatz genannten Steuersatzes werden alle Einkünfte berücksichtigt, einschließlich der außerhalb des genannten Gebiets erzielten Einkünfte, und zwar zu den gleichen Bedingungen, wie sie für Gebietsansässige gelten.

…“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

7        MK hat seinen steuerlichen Wohnsitz in Frankreich.

8        Am 17. Januar 2002 erwarb MK ein in Portugal gelegenes Gebäude zu einem Preis von 79 807,66 Euro.

9        Am 17. Juli 2017 verkaufte MK dieses Gebäude für 180 000 Euro.

10      Am 31. Mai 2018 reichte MK seine regelmäßige Einkommensteuererklärung ein, in der er neben seinen Einkünften aus Liegenschaften in Höhe von 8 800 Euro die Veräußerung dieses Gebäudes sowie die Ausgaben und Kosten für dessen Kauf und Veräußerung angab.

11      Auf der Vorderseite dieser Erklärung kreuzte MK in der Tabelle 8B Feld 4 („Gebietsfremde“), Feld 6 („Ansässiger in einem EU-Staat“) und Feld 7 (Wahl der auf Gebietsfremde anzuwendenden Besteuerung) an und machte von der in Feld 9 (Wahl der Besteuerung zu den in Art. 68 CIRS vorgesehenen allgemeinen Steuersätzen) sowie der in Feld 10 (Wahl der auf Gebietsansässige anzuwendenden Besteuerungsregelung) vorgesehenen Wahlmöglichkeit keinen Gebrauch.

12      Am 5. Juli 2018 erließ die AT einen Steuerbescheid über 24 654,22 Euro Einkommensteuer für das Jahr 2017, wobei sie auf den gesamten erzielten Veräußerungsgewinn aus Immobiliengeschäften gemäß der von MK in seiner Steuererklärung getroffenen Wahl den einheitlichen Steuersatz von 28 % anwendete, der auf der Grundlage von Art. 72 Abs. 1 CIRS für Gebietsfremde galt.

13      Am 30. November 2018 focht MK diesen Steuerbescheid beim vorlegenden Gericht, dem Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD], Portugal), mit der Begründung an, dass dieser rechtswidrig sei, weil er auf eine Regelung gestützt sei, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als der Portugiesischen Republik ansässige Steuerpflichtige (im Folgenden: Gebietsfremde) im Vergleich zu in Portugal ansässigen diskriminiere, und trug vor, dass gemäß der Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann (C-443/06, EU:C:2007:600), dieser rechtliche Rahmen eine Beschränkung des in Art. 63 Abs. 1 AEUV verankerten freien Kapitalverkehrs darstelle.

14      Vor dem vorlegenden Gericht macht die AT geltend, dass sich der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbare rechtliche Rahmen von dem unterscheide, der auf den Sachverhalt anwendbar gewesen sei, in dem das Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann (C-443/06, EU:C:2007:600), ergangen sei. Zwar habe der Gerichtshof in diesem Urteil entschieden, dass Art. 43 Abs. 2 CIRS, nach dem nur die von in Portugal ansässigen Steuerpflichtigen erzielten Veräußerungsgewinne in Höhe von 50 % berücksichtigt würden, zu einer für Gebietsfremde höheren Steuerlast führten und deshalb eine von Art. 63 AEUV verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellten.

15      Allerdings habe der portugiesische Gesetzgeber infolge des Urteils vom 11. Oktober 2007, Hollmann (C-443/06, EU:C:2007:600), den anwendbaren rechtlichen Rahmen geändert, indem er in Art. 72 Abs. 9 und 10 CIRS die Möglichkeit für Gebietsfremde eingeführt habe, eine Besteuerung zu wählen, die der für portugiesische Gebietsansässige geltenden entspreche, und so in den Genuss der in Art. 43 Abs. 2 CIRS vorgesehenen Ermäßigung von 50 % sowie der progressiven Steuersätze zu kommen, sofern in Portugal eine Steuererklärung für sämtliche weltweit erzielten Einkommen abgegeben werde. Im vorliegenden Fall habe MK jedoch die Besteuerung gemäß Art. 72 Abs. 1 CIRS und nicht die gemäß Art. 72 Abs. 9 und 10 CIRS gewählt.

16      MK weist jedoch darauf hin, dass der Gerichtshof in einer die Niederlassungsfreiheit betreffenden Rechtssache entschieden habe, dass eine Wahl zwischen einer diskriminierenden steuerlichen Regelung und einer anderen steuerlichen Regelung, die nicht diskriminierend wäre, nicht geeignet sei, die diskriminierenden Wirkungen der ersten dieser beiden steuerlichen Regelungen auszuschließen (Urteil vom 18. März 2010, Gielen, C-440/08, EU:C:2010:148, Rn. 50 und 51).

17      Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob die infolge des Urteils vom 11. Oktober 2007, Hollmann (C-443/06, EU:C:2007:600), erfolgten Änderungen des portugiesischen Steuerrechts, und zwar insbesondere die Einführung der Möglichkeit für Gebietsfremde, gemäß Art. 72 Abs. 9 und 10 CIRS eine Besteuerung zu wählen, die der für Gebietsansässige geltenden entspreche, und so in den Genuss der in Art. 43 Abs. 2 CIRS vorgesehenen Ermäßigung zu kommen, ausreichend sind, um der vom Gerichtshof in diesem Urteil festgestellten Beschränkung des freien Kapitalverkehrs abzuhelfen.

18      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD], beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Art. 18 und 63 bis 65 AEUV zusammen betrachtet dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsrechtsstreit fraglichen (Art. 43 Abs. 2 CIRS) entgegenstehen, die mit der Einfügung der Abs. 9 und 10 in Art. 72 CIRS geändert wurde, um zu ermöglichen, dass die Gewinne, die ein in einem anderen Mitgliedstaat der Union (Frankreich) Ansässiger aus dem Verkauf von Immobilien, die in einem Mitgliedstaat (Portugal) gelegen sind, erzielt hat, wahlweise keiner höheren steuerlichen Belastung unterworfen werden als die Veräußerungsgewinne, die bei einem Geschäft der gleichen Art von einem Gebietsansässigen des Mitgliedstaats, in dem die Immobilie liegt, erzielt werden?

 Zur Vorlagefrage

19      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 63 bis 65 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die, um zu ermöglichen, dass Gewinne aus der Veräußerung von in diesem Mitgliedstaat gelegenen Immobilien durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen keiner höheren steuerlichen Belastung unterworfen werden als die, die bei einem gleichartigen Geschäft auf Veräußerungsgewinne angewendet wird, die von einem Gebietsansässigen des ersten Mitgliedstaats erzielt werden, die anwendbare Besteuerung von der Wahl dieses Steuerpflichtigen abhängig macht.

 Zu den anwendbaren Grundsätzen und Freiheiten

20      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 18 AEUV nach ständiger Rechtsprechung als eigenständige Grundlage nur auf unionsrechtlich geregelte Fallgestaltungen angewendet werden kann, für die der AEU-Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann, C-443/06, EU:C:2007:600, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Der AEU-Vertrag sieht aber insbesondere in seinem Art. 63 auf dem Gebiet des freien Kapitalverkehrs ein besonderes Diskriminierungsverbot vor (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann, C-443/06, EU:C:2007:600, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Außerdem handelt es sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei einem Vorgang, der die Liquidation einer Immobilieninvestition, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, betrifft, um Kapitalverkehr (Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann, C-443/06, EU:C:2007:600, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Daraus folgt, dass die entgeltliche, von natürlichen gebietsfremden Personen durchgeführte Veräußerung einer in einem Mitgliedstaat gelegenen Immobilie in den Anwendungsbereich von Art. 63 AEUV fällt.

24      Da zudem in der Vorlageentscheidung kein Gesichtspunkt angeführt wird, der geeignet ist, ein solches Geschäft in den Anwendungsbereich von Art. 64 AEUV fallen zu lassen, ist die Frage im vorliegenden Fall nicht anhand dieses Artikels zu prüfen.

 Zum freien Kapitalverkehr

25      Art. 63 AEUV verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten vorbehaltlich einer Rechtfertigung nach Art. 65 AEUV.

26      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass Art. 43 Abs. 2 und Art. 72 Abs. 1 CIRS im Fall von bei der entgeltlichen Veräußerung einer in Portugal gelegenen Immobilie erzielten Veräußerungsgewinnen unterschiedliche Besteuerungsvorschriften vorsahen, je nachdem, ob die Einkommensteuerpflichtigen im Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässig waren oder nicht.

27      Insbesondere wurde gemäß Art. 43 Abs. 2 CIRS der von Gebietsansässigen bei der Veräußerung von in Portugal gelegenen Immobilien erzielte Gewinn nur in Höhe von 50 % berücksichtigt. Für Gebietsfremde sah Art. 72 Abs. 1 CIRS hingegen eine Besteuerung dieser Veräußerungsgewinne in voller Höhe zu einem autonomen Steuersatz von 28 % vor.

28      Daraus ergibt sich, dass in Anwendung dieser Bestimmungen die Steuerbemessungsgrundlage für diese Art von Veräußerungsgewinnen bei Gebietsansässigen und Gebietsfremden unterschiedlich war. Somit unterlagen Gebietsfremde beim Verkauf derselben in Portugal gelegenen Immobilie für dabei erzielte Gewinne einer höheren Steuer als Gebietsansässige und waren folglich schlechter gestellt als diese (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann, C-443/06, EU:C:2007:600, Rn. 37).

29      Während gemäß Art. 72 Abs. 1 CIRS ein Gebietsfremder mit einem Steuersatz von 28 % besteuert wurde, der auf eine Bemessungsgrundlage angewendet wurde, die die gesamten erzielten Veräußerungsgewinne umfasste, wurde ein Gebietsansässiger schon dadurch, dass bei ihm nur die Hälfte der Bemessungsgrundlage der von ihm erzielten Gewinne berücksichtigt wurde, systematisch niedriger besteuert, unabhängig davon, welchem Steuersatz sein gesamtes Einkommen unterlag, da nach den Erklärungen der portugiesischen Regierung das Einkommen Gebietsansässiger einem progressiv gestaffelten Steuersatz unterlag, dessen höchste Stufe bei 48 % lag, und dies, obwohl ein Solidaritätszuschlag in Höhe von 2,5 % auf die zu versteuernden Einkommen zwischen 80 000 Euro und 250 000 Euro und in Höhe von 5 % für Einkommen darüber angewendet werden konnte.

30      Der Gerichtshof hat jedoch bereits im Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann (C-443/06, EU:C:2007:600, Rn. 40), entschieden, dass die Festlegung einer Bemessungsgrundlage von 50 % durch Art. 43 Abs. 2 CIRS nur für die Veräußerungsgewinne von in Portugal ansässigen Steuerpflichtigen, nicht aber für die gebietsfremder Steuerpflichtiger eine von Art. 63 AEUV verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.

31      Diese Feststellung wird nicht durch Rn. 44 des Urteils vom 19. November 2015, Hirvonen (C-632/13, EU:C:2015:765), in Frage gestellt, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass eine unterschiedliche Behandlung von gebietsfremden und gebietsansässigen Steuerpflichtigen, nach der die Bruttoeinkünfte der Erstgenannten im Wege der Quellenbesteuerung einer endgültigen Besteuerung mit einem einheitlichen Steuersatz unterworfen werden, während die Nettoeinkünfte der Letztgenannten nach einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag besteuert werden, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Denn dies gilt nur, wenn der einheitliche Steuersatz nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den Betroffenen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die den Grundfreibetrag übersteigenden Nettoeinkünfte ergäbe. Wie aus Rn. 29 des vorliegenden Urteils hervorgeht, führt im vorliegenden Fall die fragliche differenzierte Besteuerungsregelung dazu, dass Gebietsfremde bei der Erzielung von Gewinnen aus Immobilienveräußerungen systematisch höher besteuert werden als Gebietsansässige.

32      Unter diesen Umständen stellt die Festlegung einer Bemessungsgrundlage von 50 % für Veräußerungsgewinne, die von allen in Portugal ansässigen Steuerpflichtigen erzielt werden, und nicht für gebietsfremde Steuerpflichtige, die die in Art. 72 Abs. 1 CIRS vorgesehene Besteuerung gewählt haben, eine von Art. 63 Abs. 1 AEUV verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

33      Daher ist zu prüfen, ob diese Beschränkung gemäß Art. 65 Abs. 1 und 3 AEUV als objektiv gerechtfertigt angesehen werden kann.

 Zum Vorliegen einer Rechtfertigung der Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs nach Art. 65 Abs. 1 und 3 AEUV

34      Aus Art. 65 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 AEUV ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht zwischen gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen unterscheiden dürfen, sofern diese Unterscheidung weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.

35      Daher muss unterschieden werden zwischen einer nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erlaubten Ungleichbehandlung und einer nach Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen willkürlichen Diskriminierung. Hierzu geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass nationale Steuervorschriften wie Art. 43 Abs. 2 und Art. 72 Abs. 1 CIRS nur dann als mit den Vertragsvorschriften über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden können, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Hollmann, C-443/06, EU:C:2007:600, Rn. 44 und 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Im vorliegenden Fall betrifft jedoch die von der portugiesischen Regelung vorgesehene Ungleichbehandlung von Gebietsansässigen und Gebietsfremden objektiv vergleichbare Situationen. Außerdem ist diese Ungleichbehandlung nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

37      Was zunächst die Vergleichbarkeit der Situationen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 50 des Urteils vom 11. Oktober 2007, Hollmann (C-443/06, EU:C:2007:600), bereits entschieden hat, dass die Besteuerung der Veräußerungsgewinne aus Immobiliengeschäften nach Art. 43 Abs. 2 und Art. 72 Abs. 1 CIRS erstens nur eine einzige Einkunftsart der Steuerpflichtigen zum Gegenstand hat, unabhängig davon, ob es sich um Gebietsansässige oder Gebietsfremde handelt, dass sie zweitens beide Kategorien von Steuerpflichtigen betrifft und dass es sich drittens bei dem Mitgliedstaat, aus dem das steuerpflichtige Einkommen stammt, immer um die Portugiesische Republik handelt.

38      Aus dem Vorstehenden und insbesondere aus Rn. 29 des vorliegenden Urteils folgt, dass es keinen objektiven Unterschied zwischen der Situation von gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen gibt, der geeignet ist, eine gemäß Art. 43 Abs. 2 und Art. 72 Abs. 1 CIRS erfolgende steuerliche Ungleichbehandlung von ihnen zu rechtfertigen, was die Besteuerung der positiven Differenz der infolge der Veräußerung von in Portugal gelegenen Immobilien erzielten Gewinne betrifft. Folglich ist die Situation, in der sich ein gebietsfremder Steuerpflichtiger wie MK befindet, mit der eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen vergleichbar.

39      Diese Feststellung wird nicht durch die ratio legis von Art. 43 Abs. 2 CIRS in Frage gestellt, der eine auf die von Gebietsansässigen erzielten Veräußerungsgewinne anwendbare Ermäßigung von 50 % vorsieht, die nach Angaben der portugiesischen Regierung darin besteht, eine übermäßige Besteuerung dieser als ungewöhnlich und zufällig betrachteten Einkünfte zu verhindern, da nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass diese Erwägung auch gebietsfremde Steuerpflichtige betreffen kann.

40      Was sodann das Vorliegen von Rechtfertigungen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses betrifft, ist festzustellen, dass die portugiesische Regierung solche Gründe nicht anführt. Sie macht jedoch geltend, dass mit Art. 43 Abs. 2 CIRS im Rahmen der Besteuerung der positiven Differenz der in Portugal erzielten Veräußerungsgewinne aus Immobiliengeschäften verhindert werden solle, dass die in Portugal ansässigen Steuerpflichtigen oder die gebietsfremden Steuerpflichtigen, die sich dafür entschieden hätten, gemäß Art. 72 Abs. 9 und 10 CIRS als solche besteuert zu werden, wegen der Anwendung eines progressiven Steuersatzes auf sie benachteiligt würden.

41      In den Rn. 58 bis 60 des Urteils vom 11. Oktober 2007, Hollmann (C-443/06, EU:C:2007:600), hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass der steuerliche Vorteil für Gebietsansässige in Form der Herabsetzung der Steuerbemessungsgrundlage für die Veräußerungsgewinne um die Hälfte auf jeden Fall sein in der Anwendung eines progressiven Steuersatzes auf ihr Einkommen bestehendes Gegenstück übersteigt. Infolgedessen war der Gerichtshof in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, der Auffassung, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung nicht nachgewiesen war und dass die sich aus der fraglichen nationalen Regelung ergebende Begrenzung daher nicht durch das Erfordernis, die Kohärenz des Steuersystems zu gewährleisten, gerechtfertigt werden konnte.

 Zur Wahlmöglichkeit, genauso wie Gebietsansässige besteuert zu werden

42      Es ist zunächst festzustellen, dass die Möglichkeit für in der Union oder im EWR ansässige Personen, gemäß Art. 72 Abs. 9 und 10 CIRS eine Besteuerungsregelung zu wählen, die der für in Portugal Ansässige geltenden entspricht, und so in den Genuss der in Art. 43 Abs. 2 CIRS vorgesehenen Ermäßigung von 50 % zu kommen, einem nicht gebietsansässigen Steuerpflichtigen wie MK eine Wahl zwischen einer diskriminierenden steuerlichen Regelung, nämlich der in Art. 72 Abs. 1 CIRS vorgesehenen, und einer nicht diskriminierenden ermöglicht.

43      Eine solche Wahl ist im vorliegenden Fall jedoch nicht geeignet, die diskriminierenden Wirkungen der ersten dieser beiden steuerlichen Regelungen auszuschließen.

44      Würde man dieser Wahl eine solche Wirkung zuerkennen, hätte dies nämlich zur Folge, dass eine steuerliche Regelung für rechtmäßig erklärt würde, die für sich genommen aufgrund ihres diskriminierenden Charakters weiter gegen Art. 63 AEUV verstößt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. März 2010, Gielen, C-440/08, EU:C:2010:148, Rn. 52).

45      Außerdem ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine nationale Regelung, die eine vom AEU-Vertrag gewährleistete Freiheit – vorliegend die Freiheit des Kapitalverkehrs – beschränkt, auch dann mit dem Unionsrecht unvereinbar, wenn ihre Anwendung fakultativ ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. März 2010, Gielen, C-440/08, EU:C:2010:148, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Daraus folgt, dass die im Ausgangsrechtsstreit dem gebietsfremden Steuerpflichtigen eingeräumte Wahlmöglichkeit, genauso besteuert zu werden wie die gebietsansässigen Steuerpflichtigen, nicht zur Vereinbarkeit der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils festgestellten Beschränkung mit dem Vertrag führen kann.

47      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 63 AEUV in Verbindung mit Art. 65 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die, um zu ermöglichen, dass Gewinne aus der Veräußerung von in diesem Mitgliedstaat gelegenen Immobilien durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen keiner höheren steuerlichen Belastung unterworfen werden als die, die bei einem gleichartigen Geschäft auf Veräußerungsgewinne angewendet wird, die von einem Gebietsansässigen des ersten Mitgliedstaats erzielt werden, die anwendbare Besteuerung von der Wahl dieses Steuerpflichtigen abhängig macht.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 63 AEUV in Verbindung mit Art. 65 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die, um zu ermöglichen, dass Gewinne aus der Veräußerung von in diesem Mitgliedstaat gelegenen Immobilien durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen keiner höheren steuerlichen Belastung unterworfen werden als die, die bei einem gleichartigen Geschäft auf Veräußerungsgewinne angewendet wird, die von einem Gebietsansässigen des ersten Mitgliedstaats erzielt werden, die anwendbare Besteuerung von der Wahl dieses Steuerpflichtigen abhängig macht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Portugiesisch.