Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
21. Oktober 2021(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 167 bis 171 und Art. 178 Buchst. a – Recht auf Vorsteuerabzug – Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige – Besitz einer Rechnung – Richtlinie 2008/9/EG – Ablehnung des Erstattungsantrags – ‚Stornierung‘ der Rechnung durch den Lieferer – Ausstellung einer neuen Rechnung – Neuer Erstattungsantrag – Ablehnung“
In der Rechtssache C-80/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Februar 2020, in dem Verfahren
Wilo Salmson France SAS
gegen
Agenţia Naţională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Bucureşti,
Agenţia Naţională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Bucureşti – Administraţia Fiscală pentru Contribuabili Nerezidenţi
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter C. Lycourgos und I. Jarukaitis (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Wilo Salmson France SAS, vertreten durch C. Apostu, avocată,
– der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und R. I. Haţieganu als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und R. Lyal als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. April 2021
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 167 und 178 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. 2008, L 44, S. 23).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Wilo Salmson France SAS (im Folgenden: Wilo Salmson) auf der einen und der Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice București (Nationale Steuerverwaltungsagentur – Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest, Rumänien) sowie der Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice București – Administrația Fiscală pentru Contribuabili Nerezidenți (Nationale Steuerverwaltungsagentur – Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest – Steuerverwaltung für gebietsfremde Steuerpflichtige, Rumänien) (im Folgenden zusammen: Steuerbehörden) auf der anderen Seite wegen einer Entscheidung über die Ablehnung eines von dieser Gesellschaft 2015 gestellten Antrags auf Erstattung der Mehrwertsteuer im Zusammenhang mit dem Erwerb von Gegenständen im Jahr 2012.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
3 Art. 62 der Mehrwertsteuerrichtlinie definiert für deren Zwecke den „Steuertatbestand“ als den „Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden“, und den „Steueranspruch“ als den „Anspruch auf Zahlung der Steuer, den der Fiskus kraft Gesetzes gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt an geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann.“
4 Nach Art. 63 dieser Richtlinie treten „Steuertatbestand und Steueranspruch … zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird“.
5 Art. 167 der Richtlinie sieht vor, dass „[d]as Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht“.
6 In Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
7 Art. 169 dieser Richtlinie bestimmt:
„Über den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 hinaus hat der Steuerpflichtige das Recht, die in jenem Artikel genannte Mehrwertsteuer abzuziehen, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke folgender Umsätze verwendet werden:
a) für seine Umsätze, die sich aus den in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ergeben, die außerhalb des Mitgliedstaats, in dem diese Steuer geschuldet oder entrichtet wird, bewirkt werden und für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat bewirkt worden wären;
…“
8 Art. 170 der Richtlinie sieht vor:
„Jeder Steuerpflichtige, der … nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er die Gegenstände und Dienstleistungen erwirbt oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführt, hat Anspruch auf Erstattung dieser Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke folgender Umsätze verwendet werden:
a) die in Artikel 169 genannten Umsätze;
…“
9 Nach Art. 171 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfolgt „[d]ie Erstattung der Mehrwertsteuer an Steuerpflichtige, die nicht in dem Mitgliedstaat, in dem sie die Gegenstände und Dienstleistungen erwerben oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführen, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, … nach dem in der Richtlinie [2008/9] vorgesehenen Verfahren“.
10 Art. 178 Buchst. a dieser Richtlinie bestimmt:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
a) für den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen oder das Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 ausgestellte Rechnung besitzen[.]“
11 Vor seiner Änderung durch die Richtlinie 2010/45 sah Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vor:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
a) für den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und dem Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß den Artikeln 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 ausgestellte Rechnung besitzen[.]“
12 Art. 179 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Steuerzeitraum schuldet, den Betrag der Mehrwertsteuer absetzt, für die während des gleichen Steuerzeitraums das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Artikel 178 ausgeübt wird.“
13 Titel X („Vorsteuerabzug“) dieser Richtlinie enthält ein Kapitel 5 über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs. In diesem Kapitel 5 bestimmt Art. 185 Abs. 1:
„Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.“
14 Im selben Kapitel sieht Art. 186 vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … die Einzelheiten für die Anwendung der Artikel 184 und 185 [festlegen]“.
15 Art. 218 in Kapitel 3 („Erteilung von Rechnungen“) des Titels XI („Pflichten der Steuerpflichtigen und bestimmter nichtsteuerpflichtiger Personen“) der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie erkennen die Mitgliedstaaten als Rechnung alle auf Papier oder elektronisch vorliegenden Dokumente oder Mitteilungen an, die den Anforderungen dieses Kapitels genügen.“
16 Art. 219 der Richtlinie bestimmt:
„Einer Rechnung gleichgestellt ist jedes Dokument und jede Mitteilung, das/die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist.“
Richtlinie 2008/9
17 Gemäß Art. 1 der Richtlinie 2008/9 regelt diese „die Einzelheiten der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß Artikel 170 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Steuerpflichtige, die die Voraussetzungen von Artikel 3 erfüllen.“
18 Art. 2 dieser Richtlinie enthält folgende Begriffsbestimmungen:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
3. ‚Erstattungszeitraum‘ den Zeitraum nach Artikel 16, auf den im Erstattungsantrag Bezug genommen wird;
…
5. ‚Antragsteller‘ den nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen, der den Erstattungsantrag stellt.“
19 Nach ihrem Art. 3 gilt die Richtlinie für jeden nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen, der die in diesem Artikel aufgeführten Voraussetzungen erfüllt.
20 In Art. 5 der Richtlinie heißt es:
„Jeder Mitgliedstaat erstattet einem nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen die Mehrwertsteuer, mit der die ihm von anderen Steuerpflichtigen in diesem Mitgliedstaat gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen … belastet wurden, sofern die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke der folgenden Umsätze verwendet werden:
a) in Artikel 169 Buchstaben a und b der [Mehrwertsteuerrichtlinie] genannte Umsätze;
…
Unbeschadet des Artikels 6 wird für die Anwendung dieser Richtlinie der Anspruch auf Vorsteuererstattung nach der [Mehrwertsteuerrichtlinie], wie diese Richtlinie im Mitgliedstaat der Erstattung angewendet wird, bestimmt.“
21 Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9 bestimmt:
„Neben den in Absatz 1 genannten Angaben sind in dem Erstattungsantrag für jeden Mitgliedstaat der Erstattung und für jede Rechnung oder jedes Einfuhrdokument folgende Angaben zu machen:
…
d) Datum und Nummer der Rechnung oder des Einfuhrdokuments;
…“
22 Art. 10 dieser Richtlinie bestimmt:
„Unbeschadet der Informationsersuchen gemäß Artikel 20 kann der Mitgliedstaat der Erstattung verlangen, dass der Antragsteller zusammen mit dem Erstattungsantrag auf elektronischem Wege eine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments einreicht, falls sich die Steuerbemessungsgrundlage auf einer Rechnung oder einem Einfuhrdokument auf mindestens 1 000 [Euro] oder den Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung beläuft. Betrifft die Rechnung Kraftstoff, so ist dieser Schwellenwert 250 [Euro] oder der Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung.“
23 Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Wird nach Einreichung des Erstattungsantrags der angegebene Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach Artikel 175 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] angepasst, so muss der Antragsteller den beantragten oder bereits erstatteten Betrag berichtigen.“
24 Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 sieht vor:
„Der Erstattungsantrag hat sich auf Folgendes zu beziehen:
a) den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen, der innerhalb des Erstattungszeitraums in Rechnung gestellt worden ist, sofern der Steueranspruch vor oder zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung entstanden ist, oder für den der Steueranspruch während des Erstattungszeitraums entstanden ist, sofern der Erwerb vor Eintreten des Steueranspruchs in Rechnung gestellt wurde[.]“
25 Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 bestimmt:
„Der Erstattungsantrag muss dem Mitgliedstaat, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, spätestens am 30. September des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahres vorliegen. Der Erstattungsantrag gilt nur dann als vorgelegt, wenn der Antragsteller alle in den Artikeln 8, 9 und 11 geforderten Angaben gemacht hat.“
26 In Art. 20 dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Ist der Mitgliedstaat der Erstattung der Auffassung, dass er nicht über alle relevanten Informationen für die Entscheidung über eine vollständige oder teilweise Erstattung verfügt, kann er insbesondere beim Antragsteller oder bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller ansässig ist, … zusätzliche Informationen anfordern.
Gegebenenfalls kann der Mitgliedstaat der Erstattung weitere zusätzliche Informationen anfordern.
…
(2) Die gemäß Absatz 1 angeforderten Informationen sind dem Mitgliedstaat der Erstattung innerhalb eines Monats ab Eingang des Informationsersuchens bei dessen Adressaten vorzulegen.“
27 Art. 23 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Wird der Erstattungsantrag ganz oder teilweise abgewiesen, so teilt der Mitgliedstaat der Erstattung dem Antragsteller gleichzeitig mit seiner Entscheidung die Gründe für die Ablehnung mit.
(2) Der Antragsteller kann bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats der Erstattung Einspruch gegen eine Entscheidung, einen Erstattungsantrag abzuweisen, einlegen, und zwar in den Formen und binnen der Fristen, die für Einsprüche bei Erstattungsanträgen der in diesem Mitgliedstaat ansässigen Personen vorgesehen sind.
…“
Rumänisches Recht
28 Die Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 927 vom 23. Dezember 2003) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Steuergesetzbuch) bestimmte in Art. 145 Abs. 2:
„Jeder Steuerpflichtige ist berechtigt, die Vorsteuer für Erwerbe abzuziehen, wenn diese zur Verwendung bei folgenden Umsätzen bestimmt sind:
a) steuerbare Umsätze;
b) Umsätze aus wirtschaftlichen Tätigkeiten, für die der Ort der Lieferung/Dienstleistung als im Ausland gelegen gilt, in dem Fall, dass die Steuer abzugsfähig wäre, wenn diese Umsätze in Rumänien bewirkt worden wären;
…“
29 Art. 146 Abs. 1 Buchst. a des Steuergesetzbuchs sah vor:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
a) Er muss hinsichtlich der geschuldeten oder gezahlten Mehrwertsteuer auf Gegenstände, die von einem Steuerpflichtigen an ihn geliefert wurden oder später geliefert werden, oder auf Dienstleistungen, die ihm von einem Steuerpflichtigen erbracht wurden oder später erbracht werden, im Besitz einer gemäß Art. 155 ausgestellten Rechnung sein …“
30 Nach Art. 1472 Abs. 1 Buchst. a des Steuergesetzbuchs konnte „ein nicht in Rumänien, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger, der in Rumänien nicht als mehrwertsteuerpflichtig erfasst ist und auch nicht zu einer solchen Erfassung verpflichtet ist, … eine Erstattung der Mehrwertsteuer erhalten, die er für Einfuhren nach Rumänien und Erwerbe von Gegenständen oder Dienstleistungen in Rumänien entrichtet hat“.
31 Die Hotărârea Guvernului nr. 44/2004 (Regierungserlass Nr. 44/2004) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 112 vom 6. Februar 2004) genehmigt die Durchführungsbestimmungen zum Steuergesetzbuch, die im Anhang zu diesem Erlass aufgeführt sind. In ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung beziehen sich diese Bestimmungen (im Folgenden: Durchführungsbestimmungen) in Nr. 49 auf Art. 1472 des Steuergesetzbuchs, der damals galt. In dieser Nr. 49 heißt es in Abs. 1:
„Gemäß Art. 1472 Abs. 1 Buchst. a des Steuergesetzbuchs kann jeder Steuerpflichtige, der nicht in Rumänien, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, in den Genuss der Erstattung der für Einfuhren nach Rumänien und die Erwerbe von Gegenständen oder Dienstleistungen in Rumänien entrichteten Mehrwertsteuer kommen.“
32 In Nr. 49 Abs. 15 Buchst. a wird klargestellt, dass sich der Erstattungsantrag auf „die Erwerbe von Gegenständen oder Dienstleistungen [bezieht], die innerhalb des Erstattungszeitraums in Rechnung gestellt und bis zum Zeitpunkt der Stellung des Erstattungsantrags bezahlt worden sind“, und dass „Rechnungen, die bis zum Zeitpunkt der Stellung des Erstattungsantrags nicht beglichen wurden, … in den Erstattungsanträgen für die Zeiträume erfasst [werden], in denen sie beglichen werden“.
33 Nach Nr. 49 Abs. 16 dieses Regierungserlasses kann sich „[u]nbeschadet der in Absatz 15 genannten Umsätze … der Erstattungsantrag auch auf Rechnungen oder Einfuhrdokumente beziehen, die von vorangegangenen Erstattungsanträgen nicht umfasst sind und Umsätze betreffen, die in dem fraglichen Kalenderjahr bewirkt wurden“.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
34 Im Jahr 2012 kaufte die Pompes Salmson SAS, deren Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit sich in Frankreich befindet, Produktionsgeräte bei der ZES Zollner Electronic SRL (im Folgenden: Zollner), die in Rumänien ansässig und für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist. Da Pompes Salmson die Geräte Zollner zur Verfügung stellte, damit diese sie zur Herstellung von Gegenständen verwendete, die ihr später geliefert werden sollten, verließen sie nicht das rumänische Hoheitsgebiet.
35 Im selben Jahr stellte Zollner für den Verkauf dieser Produktionsgeräte Rechnungen mit Mehrwertsteuer aus. Auf deren Grundlage beantragte Pompes Salmson gemäß der Richtlinie 2008/9 und Art. 1472 Abs. 1 Buchst. a des Steuergesetzbuchs in Verbindung mit Nr. 49 der Durchführungsbestimmungen die Erstattung der in Rumänien vom 1. Januar bis 31. Dezember 2012 gezahlten Mehrwertsteuer. Der Antrag wurde mit Entscheidung vom 14. Januar 2014 „aus Gründen, die sich auf die dem Antrag beigefügten Unterlagen und die Nichtübereinstimmung der beigefügten Rechnungen mit den gesetzlichen Vorgaben beziehen“ (im Folgenden: Entscheidung vom 14. Januar 2014), abgelehnt. Zollner stornierte daraufhin die ursprünglich in 2012 ausgestellten Rechnungen. Im Jahr 2015 stellte sie neue Rechnungen über den Verkauf der Produktionsgeräte aus.
36 2014 fusionierte Pompes Salmson mit der Wilo France SAS. Nachdem die aus dieser Fusion hervorgegangene neue Gesellschaft, die Wilo Salmson France, sämtliche Rechte und Pflichten von Pompes Salmson übernommen hatte, stellte sie im Jahr 2015 auf der Grundlage der von Zollner ausgestellten neuen Rechnungen einen neuen Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer, die in Rumänien beim Kauf der betreffenden Produktionsgeräte entrichtet worden war, für den Zeitraum vom 1. August bis 31. Oktober 2015. Diesen Antrag lehnten die rumänischen Behörden mit Entscheidung vom 12. Mai 2016 ab, weil Wilo Salmson Nr. 49 Abs. 16 der Durchführungsbestimmungen nicht beachtet und die Erstattung der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Mehrwertsteuer bereits verlangt habe.
37 Gegen diese Entscheidung legte Wilo Salmson bei der Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice București – Administrația Fiscală pentru Contribuabili Nerezidenți (Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest – Steuerverwaltung für gebietsfremde Steuerpflichtige, Rumänien) Einspruch ein. Mit Entscheidung vom 2. September 2016 wurde dieser Einspruch mit der Begründung zurückgewiesen, dass die zurückgeforderte Mehrwertsteuer bereits Gegenstand eines früheren Erstattungsantrags gewesen sei und dass die Umsätze, für die eine Erstattung verlangt werde, das Jahr 2012 und nicht das Jahr 2015 beträfen.
38 Daraufhin erhob Wilo Salmson beim Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung der Entscheidung vom 2. September 2016 sowie auf Aufhebung der Entscheidung vom 12. Mai 2016 über die Ablehnung des Antrags auf Erstattung von Mehrwertsteuer für den Zeitraum vom 1. August 2015 bis 31. Oktober 2015 in Höhe von 449 538,38 rumänischen Lei (RON) (ungefähr 91 310 Euro).
39 Das vorlegende Gericht führt aus, es müsse klären, ob im Jahr 2015 eine Mehrwertsteuererstattung für Erwerbe in Betracht komme, die 2012 getätigt worden seien, für die aber erst 2015 gültige steuerliche Rechnungen ausgestellt worden seien. Die Situation von Wilo Salmson sei gegenüber den in der Richtlinie 2008/9 genannten oder bereits vom Gerichtshof geprüften Fällen aus folgenden Gründen untypisch: Die von Zollner 2012 ausgestellten Rechnungen seien wegen ihrer von den rumänischen Steuerbehörden festgestellten Nichtübereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben durch Stornierung annulliert worden, für die Erwerbe seien erst im Jahr 2015 gültige Rechnungen ausgestellt worden, Wilo Salmson habe ihr Recht auf Mehrwertsteuererstattung durch den Erstattungsantrag von 2015, der die 2015 ausgestellten Rechnungen umfasst habe, ausgeübt und bisher keine Mehrwertsteuererstattung erhalten.
40 Die Mehrwertsteuerrichtlinie regele nicht die Frist für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug, so dass zu klären sei, ob sich der Zeitpunkt, ab dem diese Frist zu laufen beginne, ausschließlich anhand des Zeitpunkts bestimmen lasse, zu dem die Lieferung der Gegenstände erfolgt sei, unter Ausblendung aller anderen relevanten Umstände. In Anbetracht der Art. 167 und 178 dieser Richtlinie sowie des Umstands, dass die Ausstellung einer Rechnung nicht der Kontrolle des Vorsteuerabzugsberechtigten unterliege, sei es notwendig, dass der Gerichtshof klarstelle, ob sich ein Antrag auf Mehrwertsteuererstattung im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. a erste Alternative der Richtlinie 2008/9 auf die Erwerbe von Gegenständen oder Dienstleistungen beziehen könne, die während des Erstattungszeitraums in Rechnung gestellt worden seien, unabhängig davon, ob der entsprechende Mehrwertsteueranspruch während dieses Erstattungszeitraums oder früher entstanden sei.
41 Zu seinen ersten beiden Vorlagefragen führt das vorlegende Gericht aus, dass die rumänischen Steuerbehörden nicht zwischen dem Ausstellungsdatum der Rechnungen als verfahrenstechnischem Aspekt und dem Zeitpunkt der Entstehung des Mehrwertsteueranspruchs als materiellem Aspekt unterschieden hätten, obwohl diese beiden Zeitpunkte unterschiedliche steuerliche Folgen haben müssten und das Recht auf Vorsteuerabzug ohne eine gemäß den gesetzlichen Anforderungen ausgestellte Rechnung nicht ausgeübt werden könne. Zwar sei es erforderlich, dass der Steueranspruch vor Ausstellung der Rechnung oder zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung entstanden sei, doch müsste für die Stellung eines Erstattungsantrags der Zeitpunkt der Rechnungsstellung maßgeblich sein.
42 Zur dritten und zur vierten Frage weist es darauf hin, dass die rumänischen Steuerbehörden der Ansicht gewesen seien, dass die 2015 für die im Jahr 2012 getätigten Erwerbe ausgestellten Rechnungen nicht Gegenstand eines Erstattungsantrags für das Jahr 2015 hätten sein können, da es bereits frühere Rechnungen gegeben habe. Diese seien jedoch von Zollner einseitig storniert worden, was die Wirkung einer Annullierung habe, und der Inhaber des Rechts auf Vorsteuerabzug habe keine rechtliche Handhabe, um den Lieferer zur Ausstellung einer neuen Rechnung zu verpflichten.
43 Außerdem dürfe in Anbetracht der Art. 169 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie, von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a erste Alternative der Richtlinie 2008/9 sowie des Erfordernisses, in Besitz einer gültigen Rechnung zu sein, um den Erstattungsanspruch geltend machen zu können, ein Antrag auf Mehrwertsteuererstattung ausschließlich auf die Rechnungen gestützt werden, die während des „Erstattungszeitraums“ ausgestellt worden seien, wobei nur vorausgesetzt werde, dass der Steueranspruch vor oder zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung entstanden sei.
44 Da die 2012 ausgestellten Rechnungen von Zollner storniert worden seien, könnten folglich nur die 2015 ausgestellten neuen Rechnungen die Erwerbe beweisen und den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erstattungsantrag stützen. Daher sollten nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nur diese neuen Rechnungen den „verfahrensmäßigen Anknüpfungspunkt“ für die Stellung eines Erstattungsantrags gemäß der Richtlinie 2008/9 darstellen.
45 Unter diesen Umständen hat das Tribunalul București (Landgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Besteht, was die Auslegung von Art. 167 in Verbindung mit Art. 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie anbelangt, in Bezug auf die Funktionsweise des Mehrwertsteuersystems ein Unterschied zwischen dem Zeitpunkt der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug und dem der Ausübung dieses Rechts?
Insoweit ist zu klären, ob das Recht auf Vorsteuerabzug bei Fehlen einer (gültigen) steuerlichen Rechnung für den Erwerb von Gegenständen ausgeübt werden kann.
2. Was ist bei der Auslegung der genannten Bestimmungen in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Fall 1 der Richtlinie 2008/9/EG der verfahrensmäßige Anknüpfungspunkt, bezüglich dessen die Ordnungsgemäßheit der Ausübung des Rechts auf Erstattung von Mehrwertsteuer zu beurteilen ist?
Insoweit ist zu klären, ob ein Antrag auf Erstattung von Mehrwertsteuer, bezüglich der der Steueranspruch vor dem „Erstattungszeitraum“ entstanden ist, gestellt werden kann, auch wenn die entsprechende Rechnungsstellung während des Erstattungszeitraums erfolgt ist.
3. Zur Auslegung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Fall 1 der Richtlinie 2008/9 in Verbindung mit den Art. 167 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie: Wie wirkt sich die Annullierung und die Ausstellung neuer Rechnungen für den Erwerb von Gegenständen vor dem „Erstattungszeitraum“ auf die Ausübung des Rechts auf Erstattung der auf den Erwerb entfallenden Mehrwertsteuer aus?
Insoweit ist zu klären, ob im Fall der Annullierung der für den Erwerb von Gegenständen ursprünglich ausgestellten Rechnungen und der Ausstellung neuer Rechnungen zu einem späteren Zeitpunkt durch den Lieferer die Ausübung des Rechts des Begünstigten auf Erstattung der auf den Erwerb entfallenden Mehrwertsteuer auf das Datum der neuen Rechnungen bezogen werden muss, und zwar in einer Situation, in der weder die Annullierung der ursprünglichen Rechnungen noch die Ausstellung der neuen Rechnungen der Kontrolle des Empfängers unterliegen, sondern ausschließlich in das Ermessen des Lieferers fallen.
4. Dürfen nationale Rechtsvorschriften die gemäß der Richtlinie 2008/9 gewährte Mehrwertsteuererstattung von der Entstehung des Steueranspruchs abhängig machen, wenn die korrekte Rechnung innerhalb des Antragszeitraums ausgestellt wurde?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
46 Nach Ansicht der rumänischen Regierung sind die Vorlagefragen unzulässig. Zum einen beruhten sie auf einer fehlerhaften und unvollständigen Darstellung des dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts, so dass sie, wenn der Sachverhalt berichtigt und in seiner Gesamtheit berücksichtigt würde, ohne Nutzen oder Erheblichkeit für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits wären. Zum anderen beschränke sich diese Darstellung auf die Wiedergabe des Standpunkts nur einer der Parteien des Rechtsstreits, so dass das vorlegende Gericht seiner Verpflichtung, den Sachverhalt vor Anrufung des Gerichtshofs zu klären und die Gründe anzugeben, aus denen es Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts habe und eine Antwort des Gerichtshofs für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für erforderlich halte, nicht nachgekommen sei.
47 Es ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 267 AEUV ein Verfahren des unmittelbaren Zusammenwirkens des Gerichtshofs und der Gerichte der Mitgliedstaaten vorsieht. Im Rahmen dieses Verfahrens, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, fällt jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts, das im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat, während der Gerichtshof nur befugt ist, sich anhand der vom vorlegenden Gericht dargestellten Sach- und Rechtslage zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Unionsvorschrift zu äußern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Dezember 2017, Schweppes, C-291/16, EU:C:2017:990, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 20. April 2021, Repubblika, C-896/19, EU:C:2021:311, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung oder die Gültigkeit einer unionsrechtlichen Regelung betreffen (Urteile vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C-62/14, EU:C:2015:400, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C-709/20, EU:C:2021:602, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 Da somit für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt, kann der Gerichtshof es nur dann ablehnen, über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts zu befinden, wenn die erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer unionsrechtlichen Regelung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C-62/14, EU:C:2015:400, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C-709/20, EU:C:2021:602, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
50 Im vorliegenden Fall beruht das Vorbringen der rumänischen Regierung zum Nachweis, dass die Vorlagefragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich seien, auf einer Kritik an der Tatsachenwürdigung des vorlegenden Gerichts, die unrichtig und unvollständig sei. Jedoch ist es nicht Sache des Gerichtshofs, diese Würdigung, die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt, in Frage zu stellen. Das Vorbringen genügt folglich nicht, um die in der vorstehenden Randnummer genannte Vermutung der Entscheidungserheblichkeit zu widerlegen (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C-62/14, EU:C:2015:400, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Zweitens ist, soweit die rumänische Regierung darauf hinweist, dass der vom vorlegenden Gericht geschilderte Sachverhalt in einer Wiedergabe des Vorbringens einer der Parteien des Ausgangsverfahrens bestehe, darauf hinzuweisen, dass dieser Umstand allein, selbst wenn er zuträfe, nicht belegt, dass das vorlegende Gericht mit diesem Vorgehen gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, gemäß Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs in der Vorlageentscheidung die tatsächlichen Umstände darzustellen, auf denen die Fragen beruhen, oder die Gründe darzustellen, aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung der in den Vorlagefragen genannten Vorschriften des Unionsrechts hat oder aus denen es eine Antwort des Gerichtshofs für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für erforderlich hält.
52 Wie sich aus den Rn. 39 bis 44 des vorliegenden Urteils ergibt, ermöglicht es die Vorlageentscheidung vielmehr, die Gründe zu verstehen, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Tragweite verschiedener Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und der Richtlinie 2008/9 hat. Sie enthält auch hinreichende Angaben, um den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, dem vorlegenden Gericht die Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigt.
53 Insoweit ist außerdem darauf hinzuweisen, dass weder Art. 267 AEUV noch eine andere Bestimmung des Unionsrechts verlangt oder verbietet, dass ein vorlegendes Gericht nach Verkündung des Urteils im Vorabentscheidungsverfahren seine im Rahmen der Vorlageentscheidung getroffenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen ändert, sofern es der Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof volle Wirksamkeit verschafft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2016, Ognyanov, C-614/14, EU:C:2016:514, Rn. 28 bis 30).
54 Nach alledem sind die Vorlagefragen zulässig.
Zur Beantwortung der Vorlagefragen
Vorbemerkungen
55 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht, das allein den gesamten relevanten Sachverhalt und das gesamte einschlägige nationale Recht kennt, den Gerichtshof um Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung ersucht, die gemäß Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2010/45 ab dem 1. Januar 2013 anwendbar waren.
56 Aus der Vorlageentscheidung geht Folgendes hervor: Die dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Lieferungen von Gegenständen wurden 2012 bewirkt; Dokumente, die als Rechnungen über diese Lieferungen angesehen wurden, wurden 2012 ausgestellt, dann in der Entscheidung vom 14. Januar 2014 als „nicht mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmend“ angesehen und dann 2014 oder 2015 storniert; schließlich wurden 2015 neue Dokumente ausgestellt, die als Rechnungen über diese Lieferungen angesehen wurden.
57 Ferner treten zum einen nach Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Zum anderen ist das in der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug, dem der Erstattungsanspruch entspricht (Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowohl materiell als auch zeitlich unmittelbar an das Entstehen des Anspruchs auf die als Vorsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer geknüpft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2018, Varna Holideis, C-364/17, EU:C:2018:500, Rn. 22), und Art. 167 dieser Richtlinie sieht vor, dass das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
58 Die Art. 64 und 65 der Mehrwertsteuerrichtlinie sehen zudem unterschiedliche Regeln für die Entstehung des Steueranspruchs vor, die unter den in diesen Artikeln festgelegten Umständen anwendbar sind, während Art. 66 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten gestattet, abweichend von den Art. 63 bis 65 vorzusehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der in Art. 66 genannten Zeitpunkte entsteht.
59 Das vorlegende Gericht wird daher unter Berücksichtigung des gesamten ihm bekannten Sachverhalts und nationalen Rechts zu prüfen haben, ob die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112, die sich aus den durch die Richtlinie 2010/45 eingeführten Änderungen ergeben, tatsächlich diejenigen sind, die für die Entscheidung über jeden der verschiedenen Aspekte des bei ihm anhängigen Rechtsstreits anwendbar sind.
60 Insoweit ist allerdings festzustellen, dass die einzige durch die Richtlinie 2010/45 vorgenommene Änderung einer Bestimmung der Richtlinie 2006/112, die für die Prüfung der vorliegenden Rechtssache durch den Gerichtshof relevant ist, Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 betrifft, der vor dieser Änderung nicht auf den Besitz einer Rechnung verwies, die „gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6“ der Mehrwertsteuerrichtlinie ausgestellt wurde, sondern auf den Besitz einer „gemäß den Artikeln 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240“ der Richtlinie 2006/112 ausgestellten Rechnung.
61 Zwar handelt es sich in beiden Fällen um Verweisungen auf die Bestimmungen der jeweiligen Richtlinien, die im Wesentlichen die Umstände und Bedingungen, unter denen Rechnungen ausgestellt werden müssen, deren Inhalt, die Möglichkeit, elektronische Rechnungen auszustellen oder zu übermitteln, sowie die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vorsehen, unter bestimmten Bedingungen Vereinfachungsmaßnahmen zu erlassen, doch sind diese Bestimmungen nicht identisch. Ihre inhaltlichen Unterschiede haben aber keine Auswirkung auf die vom Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache vorzunehmende Prüfung, so dass die Antworten, die in diesem Urteil gegeben werden, auch dann gelten, wenn das vorlegende Gericht letztlich davon ausgehen sollte, dass einer oder mehrere der von ihm zu entscheidenden Streitpunkte nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie, sondern in den der Richtlinie 2006/112 in der Fassung vor den Änderungen durch die Richtlinie 2010/45 fallen.
Zur ersten Frage
62 Zur ersten Vorlagefrage ist zunächst festzustellen, dass es im Ausgangsverfahren um die Situation eines Steuerpflichtigen geht, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem die Gegenstände erworben wurden. Das Ausgangsverfahren betrifft somit nicht das in Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug als solches, sondern den Anspruch auf Mehrwertsteuererstattung, wie er in Art. 170 dieser Richtlinie vorgesehen ist, der auf die in Art. 169 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Umsätze verweist.
63 Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass nach Art. 171 Abs. 1 dieser Richtlinie die Erstattung der Mehrwertsteuer an Steuerpflichtige, die nicht in dem Mitgliedstaat, in dem sie die mit der Mehrwertsteuer belasteten Gegenstände und Dienstleistungen erwerben, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, nach dem in der Richtlinie 2008/9 vorgesehenen Verfahren erfolgt. Die Richtlinie 2008/9 soll jedoch weder die Voraussetzungen für die Ausübung noch den Umfang des Rechts auf Erstattung bestimmen. Nach Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie wird nämlich unbeschadet ihres Art. 6 für ihre Anwendung der Anspruch auf Vorsteuererstattung nach der Mehrwertsteuerrichtlinie, wie sie im Mitgliedstaat der Erstattung angewendet wird, bestimmt (Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 35).
64 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen möchte, ob die Art. 167 bis 171 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass ein Steuerpflichtiger, der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer, mit der eine Lieferung von Gegenständen belastet wurde, geltend machen kann, wenn er keine Rechnung im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie über den Erwerb der betreffenden Gegenstände besitzt.
65 Nach ihrem Art. 1 soll die Richtlinie 2008/9 die Einzelheiten der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß Art. 170 der Mehrwertsteuerrichtlinie an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Steuerpflichtige regeln, die die Voraussetzungen von Art. 3 der Richtlinie 2008/9 erfüllen, wobei jedoch die Voraussetzungen für die Ausübung und der Umfang des Erstattungsanspruchs gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie, wie bereits in Rn. 63 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nach der Mehrwertsteuerrichtlinie, wie sie in dem Mitgliedstaat der Erstattung angewandt wird, festgelegt werden.
66 Somit entspricht der Anspruch eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen auf die in der Richtlinie 2008/9 geregelte Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entrichteten Mehrwertsteuer dem mit der Mehrwertsteuerrichtlinie zu seinen Gunsten eingeführten Anspruch auf Abzug der in seinem eigenen Mitgliedstaat entrichteten Vorsteuer (Urteile vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Dezember 2020, Bundeszentralamt für Steuern, C-346/19, EU:C:2020:1050, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
67 Außerdem stellt der Erstattungsanspruch ebenso wie das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar, durch das der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten – unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteile vom 2. Mai 2019, Sea Chefs Cruise Services, C-133/18, EU:C:2019:354, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Dezember 2020, Bundeszentralamt für Steuern, C-346/19, EU:C:2020:1050, Rn. 45).
68 Das Recht auf Vorsteuerabzug, und damit auch der Erstattungsanspruch, ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Insbesondere kann dieses Recht für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (Urteile vom 2. Mai 2019, Sea Chefs Cruise Services, C-133/18, EU:C:2019:354, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Dezember 2020, Bundeszentralamt für Steuern, C-346/19, EU:C:2020:1050, Rn. 46).
69 Der Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer unterliegt wie das Recht auf Vorsteuerabzug jedoch der Einhaltung sowohl materieller als auch formeller Anforderungen und Bedingungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
70 Was die materiellen Anforderungen und Bedingungen für die Ausübung dieses Erstattungsanspruchs betrifft, ergibt sich aus Art. 169 Buchst. a und Art. 170 dieser Richtlinie, dass zum einen der Erstattungsanspruch nur dann geltend gemacht werden kann, wenn der Betreffende „Steuerpflichtiger“ im Sinne der Richtlinie ist, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er Gegenstände oder Dienstleistungen erwirbt oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführt, und zum anderen, dass die zur Begründung des Anspruchs auf Erstattung der Mehrwertsteuer angeführten Gegenstände und Dienstleistungen von diesem Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für seine Umsätze verwendet werden, die außerhalb des Mitgliedstaats, in dem diese Steuer geschuldet oder entrichtet wird, bewirkt werden und für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat bewirkt worden wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Mai 2019, Sea Chefs Cruise Services, C-133/18, EU:C:2019:354, Rn. 33). Dieser Steuerpflichtige muss zusätzlich die kumulativen Voraussetzungen von Art. 3 der Richtlinie 2008/9 erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2020, CHEP Equipment Pooling, C-242/19, EU:C:2020:466, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
71 Zu den Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug, die den formellen Anforderungen und Bedingungen gleichstehen, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 178 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie in Bezug auf das Recht auf Vorsteuerabzug vorsieht, dass der Steuerpflichtige für den Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a dieser Richtlinie eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss (vgl. entsprechend Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Der Gerichtshof hat daraus abgeleitet, dass das Recht auf Vorsteuerabzug zwar nach Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie gleichzeitig mit dem Steueranspruch entsteht, dessen Ausübung jedoch nach Art. 178 dieser Richtlinie erst möglich ist, sobald der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist (Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung). Er hat außerdem entschieden, dass dies auch für die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 49 und 50).
73 Zu den Einzelheiten der Mehrwertsteuererstattung ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/9 der Antrag auf Mehrwertsteuererstattung für jeden Mitgliedstaat der Erstattung und für jede Rechnung oder jedes Einfuhrdokument „Datum und Nummer der Rechnung oder des Einfuhrdokuments“ enthalten muss. Der Erstattungsantrag gilt zweitens nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/9 nur dann als vorgelegt, wenn der Antragsteller alle u. a. in Art. 8 dieser Richtlinie geforderten Angaben gemacht hat. Drittens kann der Mitgliedstaat der Erstattung nach Art. 10 Satz 1 der Richtlinie 2008/9 verlangen, dass der Antragsteller im Sinne dieser Richtlinie zusammen mit dem Erstattungsantrag auf elektronischem Weg eine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments einreicht, falls sich die Steuerbemessungsgrundlage auf einer Rechnung oder einem Einfuhrdokument auf mindestens 1 000 Euro oder den Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung beläuft.
74 Diese Aspekte veranschaulichen auch, dass der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige die Rechnung über den Erwerb der betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen besitzen muss, um den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer geltend machen zu können, wie er in den Art. 170 und 171 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehen ist und dessen Einzelheiten in der Richtlinie 2008/9 geregelt sind.
75 Insoweit bestimmt Art. 178 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie, wie sich bereits im Wesentlichen aus den Rn. 71 und 72 des vorliegenden Urteils ergibt, dass der Steuerpflichtige, um den Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a dieser Richtlinie vorzunehmen, in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen oder das Erbringen von Dienstleistungen eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss, was nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9 auch für den Erstattungsanspruch gemäß Art. 170 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt. In den Art. 218 und 219 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist ferner festgelegt, dass die Mitgliedstaaten als Rechnung alle auf Papier oder elektronisch vorliegenden Dokumente oder Mitteilungen anerkennen, die den Anforderungen von Titel XI Kapitel 3 dieser Richtlinie genügen, und dass jedes Dokument und jede Mitteilung, das/die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist, einer Rechnung gleichgestellt ist.
76 Das Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangt jedoch, dass Vorsteuerabzug oder Mehrwertsteuererstattung gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (Urteile vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Dezember 2020, Bundeszentralamt für Steuern, C-346/19, EU:C:2020:1050, Rn. 47).
77 Anders verhält es sich allerdings, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert hat, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (Urteile vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Dezember 2020, Bundeszentralamt für Steuern, C-346/19, EU:C:2020:1050, Rn. 48).
78 Verfügt die Verwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer schuldet, darf sie keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug oder auf Mehrwertsteuererstattung vereiteln können (Urteile vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Dezember 2020, Bundeszentralamt für Steuern, C-346/19, EU:C:2020:1050, Rn. 53).
79 Insoweit räumt Art. 20 der Richtlinie 2008/9 dem Mitgliedstaat der Erstattung, wenn dieser der Auffassung ist, dass er nicht über alle relevanten Informationen für die Entscheidung über eine vollständige oder teilweise Erstattung verfügt, die Möglichkeit ein, insbesondere beim Steuerpflichtigen oder bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, zusätzliche Informationen anzufordern, die innerhalb eines Monats ab Eingang des Informationsersuchens bei dessen Adressaten vorzulegen sind.
80 Zudem ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen zwar ein Ziel, das von den Bestimmungen des Unionsrechts im Bereich der Mehrwertsteuer anerkannt und gefördert wird. Die von den Mitgliedstaaten erlassenen Maßnahmen dürfen jedoch nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung solcher Ziele erforderlich ist. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass dadurch der Anspruch auf Mehrwertsteuererstattung und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer systematisch in Frage gestellt würden (vgl. entsprechend Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 83).
81 Folglich kann nur dann, wenn ein Dokument so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die zur Begründung eines Erstattungsantrags erforderlichen Angaben fehlen, davon ausgegangen werden, dass ein solches Dokument keine „Rechnung“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ist, so dass der Erstattungsanspruch nicht geltend gemacht werden konnte, als der Steuerpflichtige in den Besitz dieses Dokuments gelangt ist.
82 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 167 bis 171 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass ein Steuerpflichtiger, der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer, mit der eine Lieferung von Gegenständen belastet wurde, nicht geltend machen kann, wenn er keine Rechnung im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie über den Erwerb der betreffenden Gegenstände besitzt. Nur wenn ein Dokument so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die zur Begründung eines Erstattungsantrags erforderlichen Angaben fehlen, kann davon ausgegangen werden, dass ein solches Dokument keine „Rechnung“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ist.
Zur zweiten und zur vierten Frage
83 Mit seiner zweiten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 167 bis 171 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie Art. 14 Abs. 1 Buchst. a erste Alternative der Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass sie der Ablehnung eines Antrags auf Erstattung der Mehrwertsteuer für einen bestimmten Erstattungszeitraum entgegenstehen, die damit begründet wird, dass der Mehrwertsteueranspruch in einem früheren Erstattungszeitraum entstanden ist, die Mehrwertsteuer aber erst in diesem bestimmten Zeitraum in Rechnung gestellt wurde.
84 Wie bereits in Rn. 57 des vorliegenden Urteils ausgeführt, treten nach Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Nach Art. 167 und Art. 179 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie wird das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich während des gleichen Zeitraums ausgeübt, in dem es entstanden ist, d. h., wenn der Anspruch auf die Steuer entsteht (Urteil vom 21. März 2018, Volkswagen, C-533/16, EU:C:2018:204, Rn. 44).
85 Wie sich aus Rn. 82 des vorliegenden Urteils ergibt, muss jedoch zum einen der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige, um den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer, mit der eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung belastet wurde, geltend machen zu können, wie es in den Art. 170 und 171 der Mehrwertsteuerrichtlinie und in der Richtlinie 2008/9 vorgesehen ist, eine Rechnung im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie über den Erwerb der betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen besitzen.
86 Zum anderen sieht Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 vor, dass sich der Erstattungsantrag auf den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen zu beziehen hat, der innerhalb des Erstattungszeitraums in Rechnung gestellt worden ist, sofern der Steueranspruch vor oder zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung entstanden ist, oder für den der Steueranspruch während des Erstattungszeitraums entstanden ist, sofern der Erwerb vor Eintreten des Steueranspruchs in Rechnung gestellt wurde.
87 Aus diesen Aspekten folgt, dass bei nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, sofern der Steueranspruch vor oder zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung entstanden ist, der Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige in den Besitz einer Rechnung im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie über den Erwerb der in Rede stehenden Gegenstände oder Dienstleistungen gelangt ist, bestimmt, auf welche Erwerbe sich ein Erstattungsantrag beziehen kann. Somit kann ein Antrag auf Mehrwertsteuererstattung nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil der Anspruch auf die Mehrwertsteuer, mit der eine Lieferung von Gegenständen oder eine Erbringung von Dienstleistungen belastet wurde und deren Erstattung beantragt wird, in einem bestimmten Erstattungszeitraum entstanden ist, dieser Erwerb aber erst in einem späteren Erstattungszeitraum in Rechnung gestellt wurde.
88 Nach alledem ist auf die zweite und die vierte Frage zu antworten, dass die Art. 167 bis 171 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie Art. 14 Abs. 1 Buchst. a erste Alternative der Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass sie der Ablehnung eines Antrags auf Erstattung der Mehrwertsteuer für einen bestimmten Erstattungszeitraum entgegenstehen, die allein damit begründet wird, dass der Mehrwertsteueranspruch in einem früheren Erstattungszeitraum entstanden ist, die Mehrwertsteuer aber erst in diesem bestimmten Zeitraum in Rechnung gestellt wurde.
Zur dritten Frage
89 Vorab ist erstens festzustellen, dass die dritte Frage implizit auf der Annahme beruht, dass die Dokumente, die sich 2012 im Besitz des im Ausgangsverfahren betroffenen Steuerpflichtigen befanden und auf deren Grundlage der mit Entscheidung vom 14. Januar 2014 abgelehnte Erstattungsantrag gestellt wurde, tatsächlich Rechnungen im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie waren. Wäre dies nicht der Fall, ergäbe sich nämlich aus den Antworten auf die erste, die zweite und die vierte Frage in den Rn. 82 und 88 des vorliegenden Urteils, dass dieser Steuerpflichtige seinen Erstattungsanspruch nicht vor 2015 hätte geltend machen können, da er erst in diesem Jahr in den Besitz solcher Rechnungen gelangt wäre. Dann wäre jedoch die dritte Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich.
90 Zweitens ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Stornierung einer Rechnung durch einen Lieferer nach nationalem Recht die gleiche Wirkung hat wie deren Annullierung. Aus dieser Entscheidung geht jedoch weder hervor, dass die Stornierung einvernehmlich erfolgt wäre, noch, dass die Umsätze selbst, auf die sich die 2015 ausgestellten Rechnungen beziehen und die 2012 bewirkt wurden, rückgängig gemacht worden wären oder dass in der Folge der Kaufpreis zurückerstattet worden wäre.
91 Drittens lässt sich der Vorlageentscheidung nicht entnehmen, dass die Entscheidung vom 14. Januar 2014 vom Steuerpflichtigen angefochten worden wäre, was Wilo Salmson in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen im Übrigen auch nicht behauptet. Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfung ist daher von der Prämisse auszugehen, dass diese Entscheidung zu dem Zeitpunkt, zu dem Zollner die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechnungen stornierte und neue Rechnungen ausstellte, bestandskräftig war, wie dies im Übrigen die rumänische Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen vorträgt.
92 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage wissen möchte, ob die Art. 167 bis 171 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass die einseitige Annullierung einer Rechnung durch einen Lieferer, nachdem der Mitgliedstaat der Erstattung eine Entscheidung erlassen hatte, mit der der auf diese Rechnung gestützte Erstattungsantrag abgelehnt wurde, und obwohl diese Entscheidung bereits bestandskräftig geworden war, gefolgt von der Ausstellung einer neuen Rechnung über dieselben Lieferungen durch diesen Lieferer in einem späteren Erstattungszeitraum, ohne dass die Lieferungen in Frage gestellt würden, einen Einfluss auf das Bestehen des bereits geltend gemachten Anspruchs auf Mehrwertsteuererstattung und auf den Zeitraum hat, für den er geltend zu machen ist.
93 Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 muss der Erstattungsantrag dem Mitgliedstaat, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, „spätestens am 30. September des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahres“ vorliegen. Diese Frist ist eine Ausschlussfrist, deren Nichteinhaltung zur Verwirkung des Anspruchs auf Erstattung der Mehrwertsteuer führt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Juni 2012, Elsacom, C-294/11, EU:C:2012:382, Rn. 26 und 33, sowie vom 2. Mai 2019, Sea Chefs Cruise Services, C-133/18, EU:C:2019:354, Rn. 39). Die Möglichkeit, einen Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer ohne jede zeitliche Beschränkung zu stellen, liefe dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider, der verlangt, dass die steuerliche Lage des Steuerpflichtigen in Anbetracht seiner Rechte und Pflichten gegenüber der Steuerverwaltung nicht unbegrenzt offenbleiben kann (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Juni 2012, Elsacom, C-294/11, EU:C:2012:382, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
94 Außerdem teilt nach Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9, wenn der Erstattungsantrag ganz oder teilweise abgewiesen wird, der Mitgliedstaat der Erstattung dem Antragsteller im Sinne dieser Richtlinie gleichzeitig mit seiner Entscheidung die Gründe für die Ablehnung mit. Gemäß Art. 23 Abs. 2 dieser Richtlinie kann der Antragsteller bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats der Erstattung Einspruch gegen eine Entscheidung, einen Erstattungsantrag abzuweisen, einlegen, und zwar in den Formen und binnen der Fristen, die für Einsprüche bei Erstattungsanträgen der in diesem Mitgliedstaat ansässigen Personen vorgesehen sind.
95 Insoweit hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, auch wenn ihr Ablauf naturgemäß die vollständige oder teilweise Abweisung der erhobenen Klage zur Folge hat (Urteile vom 14. Juni 2017, Compass Contract Services, C-38/16, EU:C:2017:454, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. Juli 2020, Terracult, C-835/18, EU:C:2020:520‚ Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
96 Wie die Generalanwältin in den Nrn. 100 und 101 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, könnten sowohl die Ausschlussfrist des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 für die Vorlage eines Erstattungsantrags als auch die vom betreffenden Mitgliedstaat nach Art. 23 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Rechtsbehelfsfrist für die Anfechtung einer den Antrag ablehnenden Entscheidung umgangen werden – wodurch diesen Bestimmungen jede praktische Wirksamkeit genommen und die Rechtssicherheit beeinträchtigt würde –, wenn man zuließe, dass unter Umständen wie den in Rn. 92 des vorliegenden Urteils beschriebenen die einseitige Annullierung einer Rechnung durch den Lieferer, nachdem die Entscheidung über die Ablehnung eines ersten auf diese Rechnung gestützten Erstattungsantrags bestandskräftig geworden ist und diese Rechnung anschließend durch die Ausstellung einer neuen Rechnung über dieselben Erwerbe ersetzt wurde, dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gibt, auf der Grundlage dieser neuen Rechnung erneut einen Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer für dieselben Erwerbe bezogen auf einen späteren Erstattungszeitraum zu stellen.
97 Ferner sieht die Mehrwertsteuerrichtlinie zwar zum einen die Möglichkeit vor, den ursprünglich vorgenommenen Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn er höher oder niedriger ist als derjenige, zu dem der Steuerpflichtige nach den Bestimmungen von Titel X Kapitel 5 dieser Richtlinie berechtigt war. So bezieht sich Art. 185 der Richtlinie u. a. auf Fälle von rückgängig gemachten Käufen, wobei die Festlegung der Einzelheiten für die Anwendung dieses Artikels gemäß Art. 186 der Richtlinie Sache der Mitgliedstaaten ist. Auch sieht die Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 219 ergibt, die Möglichkeit vor, eine Rechnung zu berichtigen, insbesondere wenn sie falsch ist oder in ihr bestimmte zwingende Angaben fehlen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Senatex, C-518/14, EU:C:2016:691, Rn. 32 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Zum anderen erlaubt Art. 13 der Richtlinie 2008/9 die Berichtigung eines Erstattungsantrags, wenn nach Einreichung dieses Antrags der angegebene Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach Art. 175 der Mehrwertsteuerrichtlinie angepasst wird.
98 Es ist jedoch festzustellen, dass Umstände wie die in Rn. 92 des vorliegenden Urteils beschriebenen nicht erkennen lassen, dass es um eine Berichtigung des Erstattungsanspruchs ginge, die zur Folge gehabt hätte, dass ein neuer Erstattungsantrag gestellt worden wäre, oder um eine Berichtigung der in einem früheren Erstattungszeitraum ausgestellten Rechnungen, und im Übrigen hat auch das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache keinen dahin gehenden Hinweis gegeben. Im Gegenteil beruht die dritte Vorlagefrage, wie bereits in Rn. 89 des vorliegenden Urteils festgestellt, auf der Prämisse, dass der Erstattungsanspruch auf der Grundlage der ursprünglichen Rechnungen mit Erfolg geltend gemacht werden konnte.
99 Unter diesen Umständen kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Berichtigung von Vorsteuerabzügen oder zur etwaigen Rückwirkung berichtigter Rechnungen die in Rn. 96 des vorliegenden Urteils getroffene Feststellung nicht entkräften.
100 Nach alledem ist daher auf die dritte Frage zu antworten, dass die Art. 167 bis 171 und 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass die einseitige Annullierung einer Rechnung durch einen Lieferer, nachdem der Mitgliedstaat der Erstattung eine Entscheidung erlassen hatte, mit der der auf diese Rechnung gestützte Antrag auf Mehrwertsteuererstattung abgelehnt wurde, und obwohl diese Entscheidung bereits bestandskräftig geworden war, gefolgt von der Ausstellung einer neuen Rechnung über dieselben Lieferungen durch diesen Lieferer in einem späteren Erstattungszeitraum, ohne dass die Lieferungen in Frage gestellt würden, weder einen Einfluss auf das Bestehen des bereits geltend gemachten Anspruchs auf Mehrwertsteuererstattung noch auf den Zeitraum hat, für den er geltend zu machen ist.
Kosten
101 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Art. 167 bis 171 und 178 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung sowie die Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112 an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige sind dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger, der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer, mit der eine Lieferung von Gegenständen belastet wurde, nicht geltend machen kann, wenn er keine Rechnung im Sinne der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung über den Erwerb der betreffenden Gegenstände besitzt. Nur wenn ein Dokument so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die zur Begründung eines Erstattungsantrags erforderlichen Angaben fehlen, kann davon ausgegangen werden, dass ein solches Dokument keine „Rechnung“ im Sinne der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung ist.
2. Die Art. 167 bis 171 und 178 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung sowie Art. 14 Abs. 1 Buchst. a erste Alternative der Richtlinie 2008/9 sind dahin auszulegen, dass sie der Ablehnung eines Antrags auf Erstattung der Mehrwertsteuer für einen bestimmten Erstattungszeitraum entgegenstehen, die allein damit begründet wird, dass der Mehrwertsteueranspruch in einem früheren Erstattungszeitraum entstanden ist, die Mehrwertsteuer aber erst in diesem bestimmten Zeitraum in Rechnung gestellt wurde.
3. Die Art. 167 bis 171 und 178 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung sowie die Richtlinie 2008/9 sind dahin auszulegen, dass die einseitige Annullierung einer Rechnung durch einen Lieferer, nachdem der Mitgliedstaat der Erstattung eine Entscheidung erlassen hatte, mit der der auf diese Rechnung gestützte Antrag auf Mehrwertsteuererstattung abgelehnt wurde, und obwohl diese Entscheidung bereits bestandskräftig geworden war, gefolgt von der Ausstellung einer neuen Rechnung über dieselben Lieferungen durch diesen Lieferer in einem späteren Erstattungszeitraum, ohne dass die Lieferungen in Frage gestellt würden, weder einen Einfluss auf das Bestehen des bereits geltend gemachten Anspruchs auf Mehrwertsteuererstattung noch auf den Zeitraum hat, für den er geltend zu machen ist.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Rumänisch.