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 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

15. Juli 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Freier Kapitalverkehr – Einkommensteuer – Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – In einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzmitgliedstaat bezogene Einkünfte – Berechnungsmodalitäten für die Steuerbefreiung im Wohnsitzmitgliedstaat – Verlust eines Teils bestimmter Steuervergünstigungen“

In der Rechtssache C-241/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de première instance du Luxembourg (Gericht erster Instanz Luxemburg, Belgien) mit Entscheidung vom 1. April 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juni 2020, in dem Verfahren

BJ

gegen

État belge

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von BJ, vertreten durch N. Lequeux, avocate,

der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, P. Cottin und S. Baeyens als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und V. Uher als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45, Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BJ und dem belgischen Staat wegen des teilweisen Verlusts der Steuervergünstigungen, auf die BJ Anspruch gehabt hätte, wenn er seine gesamten Einkünfte in Belgien erzielt hätte.

Rechtlicher Rahmen

Belgisch-luxemburgisches Steuerabkommen

3

Art. 6 („Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen“) des am 17. September 1970 in Luxemburg unterzeichneten Abkommens zwischen dem Königreich Belgien und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Belgisch-luxemburgisches Steuerabkommen) bestimmt in § 1:

„Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen können in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem dieses Vermögen liegt.“

4

Art. 15 („Nichtselbständige Arbeit“) dieses Abkommens sieht in § 1 vor:

„Vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19 und 20 können Löhne, Gehälter und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.“

5

Art. 23 („Bestimmungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“) des Abkommens bestimmt in § 2 Nr. 1:

„Bei Personen, die in Belgien ansässig sind, wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden:

1.

Die aus Luxemburg stammenden Einkünfte – mit Ausnahme der unter die Nummern 2 und 3 fallenden Einkünfte – und die in Luxemburg gelegenen Vermögensteile, die nach den vorstehenden Artikeln in diesem Staat besteuert werden können, sind in Belgien von der Steuer befreit. Diese Befreiung schränkt nicht das Recht Belgiens ein, die auf diese Weise befreiten Einkünfte und Vermögensteile bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen.“

6

Art. 24 („Nichtdiskriminierung“) des Abkommens sieht in § 4 Buchst. a vor:

„Eine in Belgien ansässige natürliche Person, die nach den Artikeln 7 und 14 bis 19 in Luxemburg für mehr als 50 % ihrer Einkünfte aus Erwerbstätigkeit steuerpflichtig ist, wird auf ihren Antrag in Luxemburg bezüglich ihrer dort steuerbaren Einkünfte nach den Artikeln 6, 7 und 13 bis 19 des Abkommens zu dem Durchschnittssteuersatz besteuert, der unter Berücksichtigung ihrer Situation und ihrer familiären Verpflichtungen sowie der Summe ihrer Einkünfte im Allgemeinen, gleich welcher Art, auf sie anwendbar wäre, wenn sie in Luxemburg ansässig wäre.“

Belgisches Recht

7

Art. 131 des Code des impôts sur les revenus (Einkommensteuergesetzbuch) 1992 in der im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: EStGB 1992) regelt die Steuerfreibeträge.

8

Die Steuerermäßigungen für langfristiges Sparen und für Ausgaben zur Energieeinsparung in einer Wohnung sind in Art. 1451 bzw. in Art. 14524 EStGB 1992 geregelt.

9

Art. 155 Abs. 1 EStGB 1992 lautet:

„Einkünfte, die aufgrund internationaler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei sind, werden für die Festlegung der Steuer berücksichtigt, wobei die Steuer jedoch im Verhältnis zum Anteil der steuerfreien Einkünfte an der Gesamtheit der Einkünfte ermäßigt wird.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10

In den Steuerjahren 2006 bis 2011 übte BJ, ein Steuerinländer in Belgien, eine nicht selbständige Erwerbstätigkeit im Großherzogtum Luxemburg aus.

11

Außerdem ist BJ Eigentümer einer zu Wohnzwecken an eine natürliche Person vermieteten Wohnung in Luxemburg sowie zweier Immobilien in Belgien.

12

Nach Art. 6 § 1 und Art. 15 § 1 des Belgisch-luxemburgischen Steuerabkommens konnten die aus Luxemburg stammenden Einkünfte von BJ aus unbeweglichem Vermögen und aus Erwerbstätigkeit in Luxemburg besteuert werden und wurden dort gemäß Art. 24 § 4 Buchst. a dieses Abkommens besteuert.

13

Gemäß Art. 23 § 2 Nr. 1 des Abkommens und Art. 155 EStGB 1992 wurden erstens diese in Belgien von der Steuer befreiten Einkünfte für die Festlegung der Basissteuer in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt. Zweitens wurden die in Art. 131, Art. 1451 und Art. 14524 EStGB 1992 vorgesehenen Steuerermäßigungen im Rahmen von Steuerfreibeträgen sowie für langfristiges Sparen und für Ausgaben zur Energieeinsparung in einer Wohnung auf die so festgelegte Steuer angewandt. Drittens wurde diese Steuer gemäß Art. 155 EStGB 1992 im Verhältnis zu dem Anteil ermäßigt, den die steuerfreien luxemburgischen Einkünfte an der Gesamtheit der Einkünfte von BJ ausmachten.

14

Mit bei der belgischen Steuerverwaltung erhobenen Einsprüchen wandte sich BJ gegen die Reihenfolge der Anrechnung dieser beiden Kategorien von Steuerermäßigungen und machte geltend, dass die Anwendung der Steuerermäßigung für Einkünfte, die aufgrund internationaler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei seien, nicht vor, sondern nach der Anwendung der Steuerermäßigungen im Rahmen von Steuerfreibeträgen sowie für langfristiges Sparen und für Ausgaben zur Energieeinsparung in einer Wohnung ihm die Möglichkeit vorenthalten habe, in den vollen Genuss dieser Steuervergünstigungen zu kommen, und den Teilverlust dieser ihm nach der belgischen Regelung zustehenden Vergünstigungen im anteiligen Verhältnis seiner steuerbefreiten luxemburgischen Einkünfte zur Folge gehabt habe.

15

Nach Zurückweisung dieser Einsprüche erhob BJ beim Tribunal de première instance du Luxembourg (Gericht erster Instanz Luxemburg, Belgien) Klagen auf vollumfängliche Gewährung der in Rede stehenden Steuervergünstigungen. Dieses Gericht stellt fest, dass die fraglichen Steuervergünstigungen größtenteils verloren gegangen seien, da die betreffenden Ermäßigungen die Steuer auf die belgischen Einkünfte von BJ nur sehr wenig verringert hätten.

16

Insoweit fragt sich das vorlegende Gericht zunächst, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht. Sollte dies der Fall sein, möchte es sodann wissen, ob bestimmte Besonderheiten des Ausgangsverfahrens eine Auswirkung auf diese Auslegung haben können. Schließlich fragt sich das vorlegende Gericht auch, ob im Hinblick darauf, dass BJ Einkünfte aus der Vermietung seiner Wohnung in Luxemburg bezieht, die Art. 63 und 65 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer solchen Regelung entgegenstehen.

17

Unter diesen Umständen hat das Tribunal de première instance du Luxembourg (Gericht erster Instanz Luxemburg) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Steht Art. 45 AEUV einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unabhängig davon, ob sie in ein Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommen ist, entgegen, wonach ein Steuerpflichtiger bei der Berechnung seiner Einkommensteuer im Wohnsitzstaat einen Teil des Steuerfreibetrags und seiner weiteren persönlichen steuerlichen Vorteile (wie eine Steuerermäßigung für langfristiges Sparen, nämlich aufgrund eines individuellen Lebensversicherungsvertrags gezahlte Prämien, und eine Steuerermäßigung für Ausgaben zur Energieeinsparung) verliert, weil er in dem betreffenden Jahr auch Einkünfte in einem anderen Mitgliedstaat erzielt hat, die dort besteuert wurden?

2.

Falls Frage 1 bejaht wird: Wird sie auch dann bejaht, wenn der Steuerpflichtige keine – quantitativ oder proportional – nennenswerten Einkünfte in seinem Wohnsitzstaat erzielt, dieser aber dennoch in der Lage ist, ihm diese Steuervorteile zu gewähren?

3.

Falls Frage 2 bejaht wird: Wird sie auch dann bejaht, wenn nach einem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem Wohnsitzstaat und dem anderen Staat der Steuerpflichtige in diesem anderen Staat für die dort steuerpflichtigen Einkünfte in den Genuss persönlicher steuerlicher Vorteile gemäß der Steuergesetzgebung dieses anderen Staates gekommen ist, diese Steuervorteile aber bestimmte Steuervorteile nicht einschließen, die der Steuerpflichtige im Wohnsitzstaat grundsätzlich beanspruchen kann?

4.

Falls Frage 3 bejaht wird: Wird sie auch dann bejaht, wenn trotz dieses letzten Unterschieds der Steuerpflichtige damit in diesem anderen Staat eine Steuerermäßigung erhält, die der Höhe nach mindestens derjenigen entspricht, die ihm in seinem Wohnsitzstaat entgeht?

5.

Sind die Antworten auf die Fragen im Licht von Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV identisch in Bezug auf eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unabhängig davon, ob sie in ein Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommen ist, wonach ein Steuerpflichtiger bei der Berechnung seiner Einkommensteuer im Wohnsitzstaat einen Teil des Steuerfreibetrags und seiner weiteren persönlichen steuerlichen Vorteile (wie eine Steuerermäßigung für langfristiges Sparen, nämlich aufgrund eines individuellen Lebensversicherungsvertrags gezahlte Prämien, und eine Steuerermäßigung für Ausgaben zur Energieeinsparung) verliert, weil er in dem betreffenden Jahr auch Mieteinkünfte aus einer ihm gehörenden Immobilie in einem anderen Mitgliedstaat erzielt hat, die dort besteuert wurden?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

18

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, deren Anwendung zur Folge hat, dass ein in diesem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger bei der Berechnung seiner Einkommensteuer in diesem Mitgliedstaat die von Letzterem gewährten Steuervergünstigungen teilweise einbüßt, weil er eine Vergütung aus einer nicht selbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, die in dem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig ist und im Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit ist.

19

Eingangs ist zu prüfen, ob Art. 45 AEUV auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist.

20

Nach ständiger Rechtsprechung fällt insoweit jeder Unionsbürger, der vom Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzmitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit unter Art. 45 AEUV (Urteil vom 22. Juni 2017, Bechtel, C-20/16, EU:C:2017:488, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens in Belgien wohnt und in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerjahren eine nicht selbständige Erwerbstätigkeit in Luxemburg ausübte.

22

Folglich wird seine Situation von Art. 45 AEUV erfasst.

23

Nach dieser einleitenden Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung sämtliche Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit den Unionsbürgern die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern sollen und Maßnahmen entgegenstehen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (Urteile vom 12. Dezember 2002, de Groot, C-385/00, EU:C:2002:750, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 22. Juni 2017, Bechtel, C-20/16, EU:C:2017:488, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Folglich steht Art. 45 AEUV jeder nationalen Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung der durch diese Vorschrift verbürgten Grundfreiheit durch die Unionsbürger zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteil vom 10. Oktober 2019, Krah, C-703/17, EU:C:2019:850, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Im Übrigen ist es grundsätzlich Sache des Wohnsitzmitgliedstaats, dem Steuerpflichtigen sämtliche an seine persönliche und familiäre Situation geknüpften steuerlichen Vergünstigungen zu gewähren, da dieser Staat, von Ausnahmen abgesehen, am besten die persönliche Steuerkraft des Steuerpflichtigen beurteilen kann, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen und familiären Situation ergibt, weil dieser dort den Mittelpunkt seiner persönlichen und seiner Vermögensinteressen hat (Urteil vom 14. März 2019, Jacob und Lennertz, C-174/18, EU:C:2019:205, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Daraus folgt, dass es im vorliegenden Fall Sache des Königreichs Belgien als Wohnsitzmitgliedstaat des Klägers des Ausgangsverfahrens ist, diesem sämtliche an seine persönliche und familiäre Situation geknüpften steuerlichen Vergünstigungen zu gewähren.

27

In dieser Hinsicht sind die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuervergünstigungen, d. h. Steuerermäßigungen im Rahmen von Steuerfreibeträgen, für langfristiges Sparen und für Ausgaben zur Energieeinsparung in einer Wohnung, vom Gerichtshof als an die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen geknüpft anerkannt worden (Urteil vom 14. März 2019, Jacob und Lennertz, C-174/18, EU:C:2019:205, Rn. 33, 40 und 41).

28

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerregelung sieht vor, dass die aufgrund von internationalen Doppelbesteuerungsabkommen von der Steuer befreiten Einkünfte zunächst in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen werden, die dazu dient, den auf die nicht steuerfreien belgischen Einkünfte anwendbaren Steuersatz zu bestimmen, wobei die Basissteuer auf der Grundlage dieser Steuerbemessungsgrundlage berechnet wird. Die Steuerermäßigungen im Rahmen von Steuerfreibeträgen sowie für langfristiges Sparen und für Ausgaben zur Energieeinsparung in einer Wohnung werden sodann auf die Basissteuer angerechnet. Erst wenn diese Ermäßigungen abgezogen wurden, wird gemäß Art. 155 EStGB 1992 die Basissteuer in dem Verhältnis reduziert, das dem Anteil der aufgrund von internationalen Doppelbesteuerungsabkommen von der Steuer befreiten Einkünfte an den Gesamteinkünften entspricht.

29

Wie der Gerichtshof aber geurteilt hat, kann diese Regelung, indem danach die Steuerermäßigungen auf eine Basis angerechnet werden, die sowohl die nicht von der Steuer befreiten belgischen Einkünfte als auch die aufgrund von internationalen Doppelbesteuerungsabkommen befreiten Einkünfte einschließt, und erst später der Teil, der Letzteren an den die Bemessungsgrundlage bildenden Gesamteinkünften entspricht, von der Steuer abgezogen wird, dazu führen, dass ein Steuerpflichtiger wie der Kläger des Ausgangsverfahrens einen Teil der Steuervergünstigungen verliert, die ihm vollständig gewährt worden wären, wenn seine gesamten Einkünfte belgischen Ursprungs gewesen wären und wenn die Steuerermäßigungen deshalb lediglich auf diese Einkünfte angerechnet worden wären (Urteil vom 14. März 2019, Jacob und Lennertz, C-174/18, EU:C:2019:205, Rn. 31).

30

Folglich hat der Kläger des Ausgangsverfahrens einen Nachteil erlitten, da er nicht vollständig in den Genuss der Steuervergünstigungen gekommen ist, auf die er Anspruch gehabt hätte, wenn er seine gesamten Einkünfte in Belgien bezogen hätte (vgl. entsprechend Urteil vom 14. März 2019, Jacob und Lennertz, C-174/18, EU:C:2019:205, Rn. 42).

31

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung bewirkt somit eine unterschiedliche steuerliche Behandlung im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien wohnender Unionsbürger je nach dem Ursprung ihrer Einkünfte; dieser Unterschied kann diese Unionsbürger von der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Freiheiten und insbesondere der in Art. 45 AEUV verbürgten Arbeitnehmerfreizügigkeit abhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2019, Jacob und Lennertz, C-174/18, EU:C:2019:205, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Daraus folgt, dass eine solche Regelung eine nach diesem Artikel grundsätzlich verbotene Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt.

33

Eine derartige Beschränkung ist nur statthaft, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Ihre Anwendung muss dann zudem geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom 14. März 2019, Jacob und Lennertz, C-174/18, EU:C:2019:205, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Im vorliegenden Fall nennt jedoch die belgische Regierung – wie im Übrigen auch das vorlegende Gericht – nicht nur keine Rechtfertigung, sondern sie hält die erste Frage im Wesentlichen für inhaltsgleich mit denjenigen, die in den Rechtssachen gestellt wurden, in denen die Urteile vom 12. Dezember 2002, de Groot (C-385/00, EU:C:2002:750), und vom 14. März 2019, Jacob und Lennertz (C-174/18, EU:C:2019:205), ergingen, und ist daher der Ansicht, dass sie zu bejahen sei.

35

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, deren Anwendung zur Folge hat, dass ein in diesem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger bei der Berechnung seiner Einkommensteuer in diesem Mitgliedstaat die von Letzterem gewährten Steuervergünstigungen teilweise einbüßt, weil er eine Vergütung aus einer nicht selbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, die in dem letztgenannten Mitgliedstaat steuerpflichtig ist und im erstgenannten Mitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit ist.

Zur zweiten Frage

36

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es für die Antwort auf die erste Frage von Bedeutung ist, dass der betreffende Steuerpflichtige im Wohnsitzmitgliedstaat keine nennenswerten Einkünfte erzielt, dieser aber dennoch in der Lage ist, ihm die fraglichen Steuervergünstigungen zu gewähren.

37

Nach ständiger Rechtsprechung kann die Verpflichtung, die persönliche und familiäre Situation zu berücksichtigen, den Beschäftigungsmitgliedstaat nur dann treffen, wenn der Steuerpflichtige sein gesamtes oder nahezu gesamtes zu versteuerndes Einkommen aus einer in diesem Staat ausgeübten Tätigkeit erzielt und im Wohnsitzmitgliedstaat keine nennenswerten Einkünfte hat, so dass dieser nicht in der Lage ist, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation ergeben (Urteil vom 22. Juni 2017, Bechtel, C-20/16, EU:C:2017:488, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass dies dann der Fall ist, wenn sich erweist, dass der betreffende Steuerpflichtige im Gebiet des Wohnsitzmitgliedstaats keine oder nur so geringe Einkünfte erzielt hat, dass dieser Mitgliedstaat ihm die Vergünstigungen, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen und familiären Situation ergeben, nicht gewähren kann (Urteil vom 9. Februar 2017, X, C-283/15, EU:C:2017:102, Rn. 39).

39

Das entscheidende Kriterium ist nämlich, dass es einem Mitgliedstaat wegen nicht ausreichender steuerpflichtiger Einkünfte nicht möglich ist, bei der Steuer die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, während eine solche Berücksichtigung anderswo aufgrund ausreichender Einkünfte möglich ist (Urteil vom 9. Februar 2017, X, C-283/15, EU:C:2017:102, Rn. 42).

40

So verhält es sich im Ausgangsverfahren aber offenkundig nicht, da der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, dass die vom Kläger des Ausgangsverfahrens im Wohnsitzmitgliedstaat erzielten Einkünfte unabhängig von ihrer Höhe und ihrem Anteil an seinen Gesamteinkünften ausreichen, um diesen Mitgliedstaat in die Lage zu versetzen, sie zu besteuern und dem Kläger des Ausgangsverfahrens die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation ergebenden Vergünstigungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerermäßigungen zu gewähren.

41

Obwohl der Kläger des Ausgangsverfahrens den größten Teil seiner Einkünfte in Luxemburg erzielt, geht so aus der Vorlageentscheidung hervor, dass er in Belgien genügend Einkünfte erzielt, damit seine persönliche und familiäre Situation in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden kann, um ihm Steuervergünstigungen zu gewähren.

42

Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass es für die Antwort auf die erste Frage nicht von Bedeutung ist, dass der betreffende Steuerpflichtige im Wohnsitzmitgliedstaat keine nennenswerten Einkünfte erzielt, da Letzterer in der Lage ist, ihm die fraglichen Steuervergünstigungen zu gewähren.

Zur dritten Frage

43

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es für die Antwort auf die erste Frage von Bedeutung ist, dass der betreffende Steuerpflichtige aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen dem Wohnsitzmitgliedstaat und dem Beschäftigungsmitgliedstaat bei der Besteuerung seiner im letztgenannten Mitgliedstaat erzielten Einkünfte in den Genuss der in dessen Steuerrecht vorgesehenen Steuervergünstigungen gekommen ist, diese Vergünstigungen aber bestimmte Steuervergünstigungen nicht einschließen, auf die er im erstgenannten Mitgliedstaat grundsätzlich Anspruch hat.

44

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es den Mitgliedstaaten in Ermangelung von Maßnahmen zur Vereinheitlichung oder Harmonisierung auf Unionsebene freisteht, die Wechselbeziehung zwischen der Berücksichtigung der Gesamteinkünfte der Gebietsansässigen sowie ihrer persönlichen und familiären Gesamtsituation durch den Wohnsitzmitgliedstaat im Wege bilateraler oder multilateraler Doppelbesteuerungsabkommen zu ändern. Der Wohnsitzmitgliedstaat kann somit im Vertragswege von seiner Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation der Steuerpflichtigen, die in seinem Hoheitsgebiet wohnen und ihre wirtschaftliche Betätigung teilweise in einem anderen Mitgliedstaat ausüben, entbunden werden (Urteil vom 12. Dezember 2002, de Groot, C-385/00, EU:C:2002:750, Rn. 99).

45

Im Übrigen kann der Wohnsitzmitgliedstaat auch von der Erfüllung dieser Verpflichtung absehen, soweit er feststellt, dass ein oder mehrere Beschäftigungsmitgliedstaaten – auch außerhalb irgendeines Abkommens – auf die von ihnen besteuerten Einkünfte Vorteile gewähren, die mit der Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation der Steuerpflichtigen im Zusammenhang stehen, die nicht im Hoheitsgebiet dieser Mitgliedstaaten wohnen, dort aber zu versteuernde Einkünfte erzielen (Urteil vom 12. Dezember 2002, de Groot, C-385/00, EU:C:2002:750, Rn. 100).

46

Allerdings müssen die zur Beseitigung der Doppelbesteuerung verwendeten Mechanismen oder die nationalen Steuersysteme, die eine Beseitigung oder Milderung der Doppelbesteuerung bewirken, den Steuerpflichtigen der betreffenden Mitgliedstaaten gewährleisten, dass ihre gesamte persönliche und familiäre Situation im Ganzen gebührend berücksichtigt wird, unabhängig davon, wie die betreffenden Mitgliedstaaten diese Verpflichtung untereinander aufgeteilt haben, da andernfalls eine mit den Vertragsbestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit unvereinbare Ungleichbehandlung entstünde, die sich keineswegs aus den Unterschieden zwischen den nationalen Steuervorschriften ergäbe (Urteile vom 12. Dezember 2002, de Groot, C-385/00, EU:C:2002:750, Rn. 101, und vom 12. Dezember 2013, Imfeld und Garcet, C-303/12, EU:C:2013:822, Rn. 70).

47

Im vorliegenden Fall ist aber zum einen festzustellen, dass aus den Bestimmungen des Belgisch-luxemburgischen Steuerabkommens nicht hervorgeht, dass danach das Königreich Belgien von seiner Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation der Steuerpflichtigen, die in seinem Hoheitsgebiet wohnen und ihre wirtschaftliche Betätigung teilweise in Luxemburg ausüben, entbunden wäre.

48

Art. 24 § 4 Buchst. a dieses Abkommens sieht nämlich, ohne das Königreich Belgien von dieser Verpflichtung zu entbinden, eine Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation des betreffenden Steuerpflichtigen nur für die Zwecke der Bestimmung des Durchschnittsteuersatzes für seine in Luxemburg steuerbaren Einkünfte vor.

49

Zum anderen errichtet die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerregelung keine Wechselbeziehung zwischen den steuerlichen Vergünstigungen, die sie den gebietsansässigen Steuerpflichtigen des betreffenden Mitgliedstaats gewährt, und den steuerlichen Vergünstigungen, in deren Genuss diese im Rahmen ihrer steuerlichen Veranlagung in einem anderen Mitgliedstaat kommen können (Urteil vom 12. Dezember 2013, Imfeld und Garcet, C-303/12, EU:C:2013:822, Rn. 73), da der teilweise Verlust der erstgenannten Vergünstigungen nicht auf dem Genuss gleichwertiger Steuervergünstigungen in Luxemburg beruht, sondern automatisch beim Bezug von Einkünften eintritt, die aufgrund internationaler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind.

50

Außerdem zeigt sich, dass im Beschäftigungsmitgliedstaat des Klägers des Ausgangsverfahrens dessen persönliche und familiäre Situation nur teilweise berücksichtigt wird, da, wie sich schon aus dem Wortlaut der dritten Frage ergibt, die Steuervergünstigungen, die ihm bei der Besteuerung seiner dortigen Einkünfte in diesem Mitgliedstaat zugutegekommen sind, bestimmte Steuervergünstigungen nicht einschließen, die er im Wohnsitzmitgliedstaat, nämlich dem Königreich Belgien, grundsätzlich beanspruchen kann und die ihm in Anwendung der besagten Steuerregelung teilweise entgehen.

51

Unter diesen Umständen kann den belgischen Steuerinländern weder durch die im Belgisch-luxemburgischen Steuerabkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung verwendeten Mechanismen noch durch das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Steuersystem gewährleistet werden, dass ihre gesamte persönliche und familiäre Situation im Beschäftigungsmitgliedstaat im Ganzen gebührend berücksichtigt wird.

52

Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass es für die Antwort auf die erste Frage nicht von Bedeutung ist, dass der betreffende Steuerpflichtige aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen dem Wohnsitzmitgliedstaat und dem Beschäftigungsmitgliedstaat bei der Besteuerung seiner im letztgenannten Mitgliedstaat erzielten Einkünfte in den Genuss der in dessen Steuerrecht vorgesehenen Steuervergünstigungen gekommen ist, da weder dieses Abkommen noch das Steuerrecht des Wohnsitzmitgliedstaats die Berücksichtigung dieser Vergünstigungen vorsehen und diese bestimmte Vergünstigungen nicht einschließen, auf die der Steuerpflichtige im Wohnsitzmitgliedstaat grundsätzlich Anspruch hat.

Zur vierten Frage

53

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es für die Antwort auf die erste Frage von Bedeutung ist, dass der betreffende Steuerpflichtige im Beschäftigungsmitgliedstaat eine Steuerermäßigung erhalten hat, die der Höhe nach mindestens den Steuervergünstigungen entspricht, die ihm im Wohnsitzmitgliedstaat entgangen sind.

54

Insoweit ist daran zu erinnern, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf das Bestehen eines von einem anderen Mitgliedstaat, hier dem Mitgliedstaat, in dem der betreffende Steuerpflichtige arbeitet und den wesentlichen Teil seiner steuerpflichtigen Einkünfte erzielt, einseitig gewährten Vorteils berufen kann, um seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag zu entgehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Imfeld und Garcet, C-303/12, EU:C:2013:822, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55

Die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerregelung hat jedoch zur Folge, dass ein Steuerpflichtiger wie BJ, der in Belgien ansässig ist und dort steuerpflichtige Einkünfte erzielt, automatisch die Steuervergünstigungen, auf die er nach dieser Regelung grundsätzlich Anspruch hat, teilweise einbüßt, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat Einkünfte erzielt, die in Belgien aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Steuer befreit sind. Unabhängig von der steuerlichen Behandlung dieses Steuerpflichtigen in diesem anderen Mitgliedstaat ist es der automatische Eintritt dieses Verlusts, der die Arbeitnehmerfreizügigkeit beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Imfeld und Garcet, C-303/12, EU:C:2013:822, Rn. 62).

56

Daher kann der Umstand, dass die persönliche und familiäre Situation des Klägers des Ausgangsverfahrens bei der Besteuerung der Einkünfte, die er in Luxemburg erzielt hat, in diesem Mitgliedstaat teilweise berücksichtigt wurde und ihm daher eine Steuervergünstigung zugutekam, unabhängig von der Höhe dieser Vergünstigung vom Wohnsitzmitgliedstaat nicht geltend gemacht werden, um seinen Verpflichtungen aus Art. 45 AEUV zu entgehen.

57

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es nach der oben in den Rn. 25, 37 und 46 angeführten Rechtsprechung Sache des Wohnsitzmitgliedstaats und gegebenenfalls des Beschäftigungsmitgliedstaats ist, ihren Steuerpflichtigen zu gewährleisten, dass ihre gesamte persönliche und familiäre Situation gebührend berücksichtigt wird.

58

Daraus, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens in Luxemburg eine Steuerermäßigung erhalten hat, die der Höhe nach mindestens den Steuervergünstigungen entspricht, die ihm in Belgien entgangen sind, kann aber nicht abgeleitet werden, dass seine persönliche und familiäre Situation vollständig berücksichtigt wurde, zumal die Berücksichtigung dieser Situation nur teilweise erfolgte, da die fragliche Steuerermäßigung bestimmte Steuervergünstigungen nicht einschließt, auf die er in Belgien grundsätzlich Anspruch hat.

59

Hinzu kommt, dass Art. 24 § 4 Buchst. a des Belgisch-luxemburgischen Steuerabkommens, wie oben in Rn. 48 ausgeführt, eine Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation des betreffenden Steuerpflichtigen nur für die Zwecke der Bestimmung des Durchschnittsteuersatzes für seine in Luxemburg steuerbaren Einkünfte vorsieht.

60

Folglich ist auf die vierte Frage zu antworten, dass es für die Antwort auf die erste Frage nicht von Bedeutung ist, dass der betreffende Steuerpflichtige im Beschäftigungsmitgliedstaat eine Steuerermäßigung erhalten hat, die der Höhe nach mindestens den Steuervergünstigungen entspricht, die ihm im Wohnsitzmitgliedstaat entgangen sind.

Zur fünften Frage

61

Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, deren Anwendung zur Folge hat, dass ein in diesem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die von Letzterem gewährten Steuervergünstigungen teilweise einbüßt, weil er Einkünfte aus einer ihm gehörenden Wohnung in einem anderen Mitgliedstaat erzielt, die in diesem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind und im erstgenannten Mitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind.

62

Nach Art. 63 Abs. 1 AEUV sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

63

Insoweit ist daran zu erinnern, dass die durch Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbotenen Maßnahmen solche umfassen, die geeignet sind, die Einwohner eines Mitgliedstaats von Investitionen in Immobilien in anderen Mitgliedstaaten abzuhalten (Urteil vom 12. April 2018, Kommission/Belgien, C-110/17, EU:C:2018:250, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass BJ in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerjahren Einkünfte aus der Vermietung einer in Luxemburg belegenen Wohnung zu Wohnzwecken bezog.

65

Folglich ist Art. 63 AEUV auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar.

66

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerregelung, wie sie namentlich oben in Rn. 28 dargestellt worden ist, für alle Einkünfte gilt, die aufgrund eines internationalen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind.

67

Was die Einkünfte aus in Luxemburg belegenem unbeweglichen Vermögen betrifft, so können sie nach dem Belgisch-luxemburgischen Steuerabkommen in diesem Mitgliedstaat besteuert werden und sind in Belgien von der Steuer befreit.

68

Indem jedoch die Steuerermäßigungen auf eine Basis angerechnet werden, die sowohl die nicht von der Steuer befreiten belgischen Einkünfte als auch die aufgrund von internationalen Doppelbesteuerungsabkommen befreiten Einkünfte einschließt, und erst später der Teil, den Letztere an den die Bemessungsgrundlage bildenden Gesamteinkünften ausmachen, von der Steuer abgezogen wird, wird der Kläger des Ausgangsverfahrens ebenso wie bei seinen Einkünften aus seiner Erwerbstätigkeit in Luxemburg durch die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerregelung benachteiligt, weil er dadurch zum Teil nicht in den Genuss der Steuervergünstigungen kommt, auf die er Anspruch gehabt hätte, wenn alle seine Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen aus in Belgien belegenen Immobilien hervorgegangen wären.

69

Diese Regelung bewirkt somit eine unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger belgischer Steuerpflichtiger nach Maßgabe dessen, ob sie Einkünfte aus in Belgien oder in einem anderen Mitgliedstaat belegenem unbeweglichen Vermögen beziehen, die geeignet ist, diese Steuerpflichtigen von Investitionen in Immobilien in anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich Belgien abzuhalten.

70

Folglich stellt diese Regelung eine nach Art. 63 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs dar.

71

Nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln.

72

Diese Bestimmung ist, da sie eine Ausnahme vom freien Kapitalverkehr darstellt, eng auszulegen. Daher kann sie nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre (Urteil vom 11. September 2014, Verest und Gerards, C-489/13, EU:C:2014:2210, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Die in der genannten Bestimmung vorgesehene Ausnahme wird nämlich ihrerseits durch Art. 65 Abs. 3 AEUV eingeschränkt, wonach die in Abs. 1 dieses Artikels genannten nationalen Vorschriften „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 darstellen [dürfen]“ (Urteil vom 11. September 2014, Verest und Gerards, C-489/13, EU:C:2014:2210, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74

Nach ständiger Rechtsprechung müssen die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen von den durch Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen Diskriminierungen unterschieden werden. Damit eine nationale Steuerregelung als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden kann, ist es erforderlich, dass diese Ungleichbehandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder dass sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. April 2018, Kommission/Belgien, C-110/17, EU:C:2018:250, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75

Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, dass das Königreich Belgien gemäß Art. 6 in Verbindung mit Art. 23 § 2 Nr. 1 des Belgisch-luxemburgischen Steuerabkommens und Art. 155 EStGB 1992 für belgische Steuerinländer eine Methode der Steuerbefreiung mit „Progressionsvorbehalt“ vorgesehen hat, nach der die Einkünfte aus in Luxemburg belegenem unbeweglichen Vermögen, wenn sie dort besteuert werden und in Belgien von der Steuer befreit sind, für die Zwecke der Bestimmung des Steuersatzes für die in Belgien steuerpflichtigen Einkünfte berücksichtigt werden.

76

Diese Methode erlaubt es, sicherzustellen, dass die Einkünfte eines Steuerpflichtigen, die im Wohnsitzmitgliedstaat steuerfrei sind, von diesem dennoch berücksichtigt werden können, um die Progressionsregel bei der Berechnung des Betrags der Steuer auf die übrigen Einkünfte des Steuerpflichtigen anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, Verest und Gerards, C-489/13, EU:C:2014:2210, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77

Insoweit hat der Gerichtshof bereits geurteilt, dass das Ziel einer solchen Regelung darin besteht, zu verhindern, dass im Wohnsitzmitgliedstaat die zu versteuernden Einkünfte eines Steuerpflichtigen, der Eigentümer einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Immobilie ist, mit einem Steuersatz belegt werden, der unter dem liegt, der für die Einkünfte von Steuerpflichtigen, die Eigentümer vergleichbarer Immobilien im Wohnsitzmitgliedstaat sind, gilt (Urteil vom 11. September 2014, Verest und Gerards, C-489/13, EU:C:2014:2210, Rn. 31).

78

Im Licht dieses Ziels ist daher die Situation von Steuerpflichtigen, die eine Immobilie im Wohnsitzmitgliedstaat erworben haben, mit der von Steuerpflichtigen vergleichbar, die eine Immobilie in einem anderen Mitgliedstaat erworben haben (Urteil vom 11. September 2014, Verest und Gerards, C-489/13, EU:C:2014:2210, Rn. 32).

79

Zum anderen hat die belgische Regierung – wie im Übrigen auch das vorlegende Gericht – keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses angeführt, der die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen von Steuerpflichtigen, die durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung bewirkt wird, rechtfertigen könnte.

80

Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass eine nationale Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr, insbesondere mit Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV, vereinbar ist.

81

Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, deren Anwendung zur Folge hat, dass ein in diesem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die von Letzterem gewährten Steuervergünstigungen teilweise einbüßt, weil er Einkünfte aus einer ihm gehörenden Wohnung in einem anderen Mitgliedstaat erzielt, die in diesem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind und im erstgenannten Mitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind.

Kosten

82

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, deren Anwendung zur Folge hat, dass ein in diesem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger bei der Berechnung seiner Einkommensteuer in diesem Mitgliedstaat die von Letzterem gewährten Steuervergünstigungen teilweise einbüßt, weil er eine Vergütung aus einer nicht selbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, die in dem letztgenannten Mitgliedstaat steuerpflichtig ist und im erstgenannten Mitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit ist.

 

2.

Für die Antwort auf die erste Vorlagefrage ist es nicht von Bedeutung, dass der betreffende Steuerpflichtige im Wohnsitzmitgliedstaat keine nennenswerten Einkünfte erzielt, da Letzterer in der Lage ist, ihm die fraglichen Steuervergünstigungen zu gewähren.

 

3.

Für die Antwort auf die erste Vorlagefrage ist es nicht von Bedeutung, dass der betreffende Steuerpflichtige aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen dem Wohnsitzmitgliedstaat und dem Beschäftigungsmitgliedstaat bei der Besteuerung seiner im letztgenannten Mitgliedstaat erzielten Einkünfte in den Genuss der in dessen Steuerrecht vorgesehenen Steuervergünstigungen gekommen ist, da weder dieses Abkommen noch das Steuerrecht des Wohnsitzmitgliedstaats die Berücksichtigung dieser Vergünstigungen vorsehen und diese bestimmte Vergünstigungen nicht einschließen, auf die der Steuerpflichtige im Wohnsitzmitgliedstaat grundsätzlich Anspruch hat.

 

4.

Für die Antwort auf die erste Vorlagefrage ist es nicht von Bedeutung, dass der betreffende Steuerpflichtige im Beschäftigungsmitgliedstaat eine Steuerermäßigung erhalten hat, die der Höhe nach mindestens den Steuervergünstigungen entspricht, die ihm im Wohnsitzmitgliedstaat entgangen sind.

 

5.

Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, deren Anwendung zur Folge hat, dass ein in diesem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die von Letzterem gewährten Steuervergünstigungen teilweise einbüßt, weil er Einkünfte aus einer ihm gehörenden Wohnung in einem anderen Mitgliedstaat erzielt, die in diesem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind und im erstgenannten Mitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.