Available languages

Taxonomy tags

Info

References in this case

Share

Highlight in text

Go

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

6. Oktober 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Vorsteuerabzug – Gegenstände und Dienstleistungen, die vom Steuerpflichtigen zur Herstellung von Investitionsgütern verwendet werden – Art. 184 bis 187 – Berichtigung der Vorsteuerabzüge – Pflicht zur Berichtigung der Vorsteuerabzüge, wenn dieser Steuerpflichtige in Liquidation versetzt und aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichen wird“

In der Rechtssache C-293/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) mit Entscheidung vom 28. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 2021, in dem Verfahren

UAB „Vittamed technologijos“, in Liquidation,

gegen

Valstybinė mokesčių inspekcija,

Beteiligte:

Kauno apskrities valstybinė mokesčių inspekcija,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter D. Gratsias und Z. Csehi (Berichterstatter),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 184 bis 187 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der UAB „Vittamed technologijos“, in Liquidation (im Folgenden: Vittamed), und der Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos (Staatliche Steuerinspektion beim Finanzministerium der Republik Litauen) über die Pflicht, den Vorsteuerabzug für Gegenstände und Dienstleistungen zu berichtigen, für die das Recht auf Vorsteuerabzug ausgeübt worden war und die zur Herstellung von Investitionsgütern erworben worden waren, die aber letztlich nicht für die beabsichtigte steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit genutzt wurden und auch nie dafür genutzt werden, weil der Steuerpflichtige in Liquidation versetzt und aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichen wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

4        Art. 168 Buchst. a dieser Richtlinie sieht vor:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)      die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden“.

5        Titel X Kapitel 5 („Berichtigung des Vorsteuerabzugs“) dieser Richtlinie umfasst u. a. die Art. 184, 185 und 187.

6        Art. 184 dieser Richtlinie sieht vor:

„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.“

7        Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„(1)      Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.

(2)      Abweichend von Absatz 1 unterbleibt die Berichtigung bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl sowie bei Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und Warenmuster im Sinne des Artikels 16.

Bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl können die Mitgliedstaaten jedoch eine Berichtigung verlangen.“

8        Art. 186 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten für die Anwendung der Artikel 184 und 185 fest.“

9        Art. 187 dieser Richtlinie lautet:

„(1)      Bei Investitionsgütern erfolgt die Berichtigung während eines Zeitraums von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem diese Güter erworben oder hergestellt wurden.

Die Mitgliedstaaten können jedoch für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung dieser Güter beginnt.

Bei Grundstücken, die als Investitionsgut erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre verlängert werden.

(2)      Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel beziehungsweise im Falle der Verlängerung des Berichtigungszeitraums den entsprechenden Bruchteil der Mehrwertsteuer, mit der diese Investitionsgüter belastet waren.

Die in Unterabsatz 1 genannte Berichtigung erfolgt entsprechend den Änderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug, die in den folgenden Jahren gegenüber dem Recht für das Jahr eingetreten sind, in dem die Güter erworben, hergestellt oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurden.“

 Litauisches Recht

10      Art. 58 Abs. 1 Nr. 1 des Lietuvos Respublikos pridėtinės vertės mokesčio įstatymas (Mehrwertsteuergesetz der Republik Litauen) vom 5. März 2002 (Žin., 2002, Nr. 35-1271) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) bestimmt:

„Ein Mehrwertsteuerpflichtiger ist zum Abzug der Vorsteuer und/oder Einfuhrmehrwertsteuer auf Gegenstände und/oder Dienstleistungen berechtigt, wenn diese Gegenstände und/oder Dienstleistungen zur Verwendung für folgende Tätigkeiten des Mehrwertsteuerpflichtigen bestimmt sind:

… Lieferung von Gegenständen und/oder Erbringung von Dienstleistungen, die der Mehrwertsteuer unterliegen …“

11      Art. 66 Abs. 2 des Mehrwertsteuergesetzes sieht vor:

„Wenn bekannt wird, dass die Gegenstände und/oder Dienstleistungen, bezüglich deren Vorsteuer und/oder Einfuhrmehrwertsteuer (und, wenn sie von der Person selbst hergestellt wurden, die Vorsteuer auf die für die Herstellung verwendeten Gegenstände und/oder Dienstleistungen) ganz oder teilweise abgezogen wurde, für andere als die in Art. 58 Abs. 1 dieses Gesetzes genannten Tätigkeiten verwendet werden oder verloren gegangen sind, werden die Vorsteuerabzüge in der Mehrwertsteuererklärung für den Besteuerungszeitraum, in dem die oben genannten Umstände bekannt wurden, berichtigt, indem der an den Haushalt zu zahlende Mehrwertsteuerbetrag entsprechend erhöht oder der aus dem Haushalt zu erstattende Mehrwertsteuerbetrag entsprechend verringert wird …“

12      Art. 69 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes bestimmt:

„Wenn ein Steuerpflichtiger aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichen wird oder wenn ein Mehrwertsteuerpflichtiger aufgrund einer Liquidation abgewickelt wird, werden die Vorsteuerabzüge gemäß dem in den Art. 66 und 67 dieses Gesetzes festgelegten Verfahren in der Mehrwertsteuererklärung der Person, die aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichen wird oder die sich in Liquidation befindet, berichtigt, und die abgezogene Vorsteuer und/oder Einfuhrmehrwertsteuer auf Gegenstände und/oder Dienstleistungen, einschließlich Investitionsgütern, die nicht mehr für die in Art. 58 Abs. 1 dieses Gesetzes genannten Tätigkeiten verwendet werden, wird an den Haushalt zurückgezahlt“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

13      Vittamed ist eine Gesellschaft mit Sitz in Litauen, die in der technisch-wissenschaftlichen Forschung und deren praktischer Anwendung tätig ist.

14      Ab dem 1. März 2012 führte diese Gesellschaft keine mehrwertsteuerpflichtigen Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen durch.

15      Vittamed erwarb in den Jahren 2012 und 2013 u. a. Gegenstände und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Durchführung eines von der Europäischen Union finanzierten internationalen Projekts, dessen Ziel es war, einen Prototyp eines medizinischen Diagnose- und Überwachungsgeräts zu entwickeln und dieses Gerät anschließend auf den Markt zu bringen. Ihr wurden daher acht Rechnungen ausgestellt. Für die Lieferung dieser Gegenstände und Dienstleistungen zog sie Vorsteuer in Höhe von 87 987 Euro ab. Das betreffende Projekt wurde am 31. Dezember 2013 abgeschlossen.

16      Vittamed verwendete diese Gegenstände und Dienstleistungen für die Herstellung von immateriellen (Lizenzen) und materiellen (Prototypen der Geräte) Investitionsgütern. Sie beabsichtigte, diese Investitionsgüter im Rahmen ihrer künftigen steuerpflichtigen Tätigkeit zu verwenden.

17      Nach Abschluss dieses Projekts arbeitete Vittamed in den Jahren 2014 und 2015 mit Verlusten, und die zuvor verzeichneten Verluste dieser Gesellschaft nahmen kontinuierlich zu. Angesichts dieser Verluste sowie des Ausbleibens von Aufträgen und potenziellen Einnahmen wurde entschieden, die Tätigkeit der Gesellschaft einzustellen. Aus diesem Grund beschloss der Alleingesellschafter von Vittamed im August 2015, die Gesellschaft in Liquidation zu versetzen, nachdem festgestellt worden war, dass ihre innovativen wissenschaftlichen Aktivitäten nicht rentabel sein würden.

18      Am 10. September 2015 erlangte Vittamed die Rechtsstellung einer „juristischen Person in Liquidation“.

19      Am darauffolgenden 23. September stellte Vittamed einen Antrag auf Streichung aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen und reichte eine Mehrwertsteuererklärung einer aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichenen Person für den letzten Besteuerungszeitraum vom 1. September bis zum 23. September 2015 ein. In dieser Mehrwertsteuererklärung berichtigte Vittamed den Vorsteuerabzug in Bezug auf den Saldo sämtlicher noch nicht verkaufter Gegenstände oder Dienstleistungen nicht.

20      Am selben Tag wurde Vittamed aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichen.

21      Gemäß einer Prüfungsanordnung vom 28. Dezember 2017 wurde Vittamed von der Kauno apskrities valstybinė mokesčių inspekcija (Staatliche Steuerinspektion des Bezirks Kaunas, Litauen) einer Steuerprüfung unterzogen.

22      Mit Bescheid vom 24. Januar 2019 stellte die Staatliche Steuerinspektion des Bezirks Kaunas im Wesentlichen fest, dass Vittamed im Rahmen der Entscheidung, sie in Liquidation zu versetzen, dazu verpflichtet gewesen sei, die Vorsteuerabzüge zu berichtigen und die Mehrwertsteuer in Bezug auf die erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen, die nicht für mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeiten verwendet worden seien, an den Haushalt zurückzuzahlen. Sie verpflichtete Vittamed daher zur Zahlung zusätzlicher Mehrwertsteuer in Höhe von 87 987 Euro zuzüglich 30 427 Euro Verzugszinsen und erlegte ihr eine Geldbuße in Höhe von 8 798 Euro auf, die 10 % der geschuldeten Mehrwertsteuer entspricht.

23      Gegen diesen Bescheid legte Vittamed Einspruch bei der Staatlichen Steuerinspektion beim Finanzministerium der Republik Litauen mit der Begründung ein, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei Kosten, die im Rahmen der Vorbereitung einer wirtschaftlichen Tätigkeit anfielen, der Vorsteuerabzug auch dann geltend gemacht werden könne, wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht aufgenommen werde und die beabsichtigten steuerpflichtigen Umsätze schlussendlich nicht zustande kämen.

24      Mit Bescheid vom 19. April 2019 bestätigte die Staatliche Steuerinspektion beim Finanzministerium der Republik Litauen die Entscheidung der Staatlichen Steuerinspektion des Bezirks Kaunas.

25      Vittamed legte Beschwerde bei der Mokestinių ginčų komisija prie Lietuvos Respublikos Vyriausybės (Kommission für Steuerstreitigkeiten bei der Regierung der Republik Litauen) ein. Mit Entscheidung vom 20. Juni 2019 wies diese Kommission die Beschwerde als unbegründet zurück.

26      Gegen diese Entscheidung erhob Vittamed Klage vor dem Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionalverwaltungsgericht Vilnius, Litauen), die mit Urteil vom 10. Oktober 2019 abgewiesen wurde.

27      Gegen dieses Urteil legte Vittamed ein Rechtsmittel beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens), dem vorlegenden Gericht, ein.

28      Das vorlegende Gericht äußert Zweifel, ob eine Verpflichtung zur Berichtigung der Vorsteuerabzüge im Ausgangsrechtsstreit bestehe, obwohl der Alleingesellschafter der Steuerpflichtigen entschieden habe, diese in Liquidation zu versetzen, und diese Steuerpflichtige aufgrund dieser Entscheidung einen Antrag auf Streichung aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestellt habe, dem stattgegeben worden sei. In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht auf einen offensichtlichen Widerspruch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs hin.

29      Zum einen macht das vorlegende Gericht zunächst unter Verweis auf Rn. 20 des Urteils vom 9. Juli 2020, Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler (C-374/19, EU:C:2020:546), geltend, dass der in den Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungsmechanismus das Ziel verfolge, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen. Sodann stellt das vorlegende Gericht unter Verweis auf Rn. 38 des Urteils vom 11. April 2018, SEB bankas (C-532/16, EU:C:2018:228), fest, dass im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem nur Steuern abgezogen werden könnten, mit denen die von einem Steuerpflichtigen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendeten Gegenstände oder Dienstleistungen auf der Vorstufe belastet gewesen seien. Gemäß Rn. 56 des Urteils vom 31. Mai 2018, Kollroß und Wirtl (C-660/16 und C-661/16, EU:C:2018:372), lege Art. 185 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Grundsatz fest, dass eine Berichtigung insbesondere dann vorzunehmen sei, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt würden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert hätten. Schließlich verweist das vorlegende Gericht auf die Rn. 44 bis 46 des Urteils vom 12. November 2020, ITH Comercial Timişoara (C-734/19, EU:C:2020:919), und stellt fest, dass dieser enge und unmittelbare Zusammenhang, der zwischen dem Recht auf Vorsteuerabzug und der Ausführung der beabsichtigten steuerpflichtigen Umsätze bestehen müsse, unterbrochen werde, wenn der Steuerpflichtige nicht mehr beabsichtige, die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für steuerpflichtige Ausgangsumsätze zu verwenden, oder sie für steuerfreie Umsätze verwende.

30      Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass die Entscheidung des Alleingesellschafters der betroffenen Steuerpflichtigen, diese in Liquidation zu versetzen, und der Antrag dieser Steuerpflichtigen auf Streichung aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen objektiv bestätigten, dass diese Steuerpflichtige nicht mehr beabsichtige, die Gegenstände oder Dienstleistungen, bezüglich deren die entrichtete Vorsteuer abgezogen worden sei, für steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeiten zu verwenden, was eine Änderung der Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt würden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung im Sinne von Art. 185 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstelle. Eine solche Beurteilung sei mit Art. 69 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes vereinbar.

31      Zum anderen verweist das vorlegende Gericht auf die durch die Urteile vom 15. Januar 1998, Ghent Coal Terminal (C-37/95, EU:C:1998:1, Rn. 19 und 20), vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários (C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 40 und 42), und vom 17. Oktober 2018, Ryanair (C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 25), begründete Rechtsprechung, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich erhalten bleibe, selbst wenn der Steuerpflichtige später die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt hätten, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig seien, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwende, und betont, dass ein Steuerpflichtiger das Vorsteuerabzugsrecht behalte, sobald dieses Recht entstanden sei, auch wenn dieser Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt hätten, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig seien, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze habe verwenden können. Es könne davon ausgegangen werden, dass nach dieser Rechtsprechung – außer in dem in Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Fall – das Recht auf den ursprünglichen Vorsteuerabzug erhalten bleibe und keine Verpflichtung zur Vornahme einer Berichtigung der Mehrwertsteuer bestehe, wenn Gegenstände oder Dienstleistungen aufgrund von Umständen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig seien, nicht im Rahmen der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet worden seien.

32      Das vorlegende Gericht fragt sich insoweit, ob die Entscheidung, die Steuerpflichtige in Liquidation zu versetzen, sowie der Antrag auf Streichung aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen, die grundsätzlich aus eigener Initiative dieser Steuerpflichtigen erfolgt seien, den Schluss zuließen, dass „Umstände, die vom Willen [des Steuerpflichtigen] unabhängig sind“, im Sinne der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung gegeben seien. Im vorliegenden Fall habe Vittamed ausgeführt, dass die Entscheidung, sie in Liquidation zu versetzen, aufgrund stetig zunehmender Verluste, fehlender Aufträge und fehlender potenzieller Einnahmen sowie aufgrund von Zweifeln des Alleingesellschafters an der Rentabilität der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit getroffen worden sei. Die Steuerbehörde und die anderen Institutionen, die mit dem Ausgangsrechtsstreit befasst gewesen seien, hätten die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung des Alleingesellschafters von Vittamed, diese in Liquidation zu versetzen, gefasst worden sei, ohne den geringsten Nachweis dafür zu erbringen, dass ihre Tätigkeiten nicht rentabel seien, und dass diese Entscheidung sowie der Antrag auf Streichung aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen keine „Umstände, die vom Willen [von Vittamed] unabhängig sind“, im Sinne der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darstellten.

33      Unter Bezugnahme auf Rn. 35 des Urteils vom 12. November 2020, ITH Comercial Timişoara (C-734/19, EU:C:2020:919), weist das vorlegende Gericht jedoch darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht Sache der Steuerverwaltung sei, die Stichhaltigkeit der Gründe zu beurteilen, die einen Steuerpflichtigen dazu veranlasst hätten, auf die ursprünglich beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit zu verzichten, da das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis gewährleiste, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterlägen.

34      Folglich fragt sich das vorlegende Gericht, wie das Vorliegen von „Umständen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind“, im Sinne der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits zu bestimmen sei. Insbesondere möchte es wissen, ob eine einfache Erklärung des Steuerpflichtigen für eine solche Einstufung ausreicht bzw. ob diese Umstände überhaupt beurteilt werden müssen, wenn die Gegenstände oder Dienstleistungen aufgrund dessen, dass dieser Steuerpflichtige in Liquidation versetzt wurde, nicht genutzt wurden und nie genutzt werden.

35      Schließlich führt das vorlegende Gericht aus, dass der Gerichtshof in Rn. 25 des Urteils vom 17. Oktober 2018, Ryanair (C-249/17, EU:C:2018:834), darauf hingewiesen habe, dass das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug bestehen bleibe, selbst wenn die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit später nicht ausgeübt worden sei und somit nicht zu besteuerten Umsätzen geführt habe „oder“ wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt hätten, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig seien, nicht im Rahmen steuerpflichtiger Umsätze hätte verwenden können. Durch die Verwendung der nebenordnenden Konjunktion „oder“ in dieser Rn. 25 werde zwischen zwei verschiedenen Situationen unterschieden: zum einen die Situation, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht ausgeübt worden seien, nachdem das Recht auf Vorsteuerabzug entstanden sei, und zum anderen die Situation, dass die Gegenstände oder Dienstleistungen, für die das Recht auf Vorsteuerabzug ausgeübt worden sei, nicht im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet worden seien. Die Tatsache, dass Gegenstände oder Dienstleistungen „aufgrund von Umständen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind“, nicht verwendet worden seien, werde nur im zweiten Fall erwähnt, der nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht die Versetzung des Steuerpflichtigen in Liquidation umfasst. Das vorlegende Gericht verweist insoweit auf das Urteil vom 29. Februar 1996, INZO (C-110/94, EU:C:1996:67).

36      Unter diesen Umständen hat der Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger (nicht) verpflichtet ist, Abzüge der auf den Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen für die Herstellung von Investitionsgütern entfallenden Mehrwertsteuer in dem Fall zu berichtigen, dass nicht mehr beabsichtigt ist, diese Gegenstände für die Ausübung einer steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu verwenden, weil der Eigentümer (Anteilseigner) dieses Steuerpflichtigen beschließt, diesen in Liquidation zu versetzen, und dieser Steuerpflichtige einen Antrag auf Streichung aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen stellt?

Wird die Antwort auf diese Frage durch die Gründe für die Entscheidung, diesen Steuerpflichtigen in Liquidation zu versetzen, beeinflusst, d. h. dadurch, dass die Entscheidung, diesen Steuerpflichtigen in Liquidation zu versetzen, aufgrund zunehmender Verluste, fehlender Aufträge und von Zweifeln seines Anteilseigners an der Rentabilität der geplanten (beabsichtigten) wirtschaftlichen Tätigkeit getroffen wurde?

 Zur Vorlagefrage

37      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht zum einen im Wesentlichen wissen, ob die Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass ein Steuerpflichtiger verpflichtet ist, die Vorsteuerabzüge für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen, die zur Herstellung von Investitionsgütern bestimmt sind, in dem Fall zu berichtigen, dass die hergestellten Investitionsgüter nicht im Rahmen steuerpflichtiger wirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet wurden und es auch nie werden, weil der Eigentümer oder Alleingesellschafter dieses Steuerpflichtigen entschieden hat, ihn in Liquidation zu versetzen, und die Streichung dieses Steuerpflichtigen aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen beantragt wurde und erfolgt ist. Zum anderen möchte es im Wesentlichen wissen, ob sich die Gründe – wie stetig zunehmende Verluste, fehlende Aufträge und Zweifel des Anteilseigners des Steuerpflichtigen an der Rentabilität der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit –, die die Entscheidung, diesen Steuerpflichtigen in Liquidation zu versetzen, und folglich die Einstellung der beabsichtigten steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit rechtfertigen können, auf die Verpflichtung dieses Steuerpflichtigen auswirken, die betreffenden Vorsteuerabzüge zu berichtigen. Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine einfache Erklärung des betreffenden Steuerpflichtigen zum Vorliegen dieser Gründe ausreichend ist oder ob das Vorliegen dieser Gründe vielmehr nachgewiesen werden muss.

38      Als Erstes ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist (Urteil vom 12. April 2018, Biosafe – Indústria de Reciclagens, C-8/17, EU:C:2018:249, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Der Steuerpflichtige soll durch die Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 9. Juli 2020, Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler, C-374/19, EU:C:2020:546, Rn. 18).

40      Wie der Gerichtshof wiederholt hervorgehoben hat, ist das in den Art. 167 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Insbesondere kann dieses Recht für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (Urteil vom 12. April 2018, Biosafe – Indústria de Reciclagens, C-8/17, EU:C:2018:249, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem können nur Steuern abgezogen werden, mit denen die von einem Steuerpflichtigen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendeten Gegenstände oder Dienstleistungen auf der Vorstufe belastet waren. Der Vorsteuerabzug ist an die Erhebung der Steuern auf der folgenden Stufe geknüpft (Urteil vom 9. Juli 2020, Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler, C-374/19, EU:C:2020:546, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendung des Systems der Mehrwertsteuer und damit des Berichtigungsmechanismus vom Erwerb der Gegenstände oder Dienstleistungen durch einen als solchen handelnden Steuerpflichtigen abhängt. Die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen bestimmt nur den Umfang des ursprünglichen Vorsteuerabzugs, zu dem dieser Steuerpflichtige nach Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie befugt ist, und den Umfang etwaiger Berichtigungen während der darauffolgenden Zeiträume, berührt jedoch nicht die Entstehung des Abzugsrechts (Urteil vom 12. November 2020, ITH Comercial Timişoara, C-734/19, EU:C:2020:919, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Der Gerichtshof hat ebenfalls wiederholt entschieden, dass das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug bestehen bleibt, selbst wenn die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit später nicht ausgeübt wurde und somit nicht zu besteuerten Umsätzen führte (Urteile vom 29. Februar 1996, INZO, C-110/94, EU:C:1996:67, Rn. 20, und vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 25) oder wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwenden konnte (Urteile vom 15. Januar 1998, Ghent Coal Terminal, C-37/95, EU:C:1998:1, Rn. 20, vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 25, sowie vom 12. November 2020, ITH Comercial Timişoara, C-734/19, EU:C:2020:919, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Eine andere Auslegung verstieße, was die Abgabenbelastung des Unternehmens anbelangt, gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer. Sie könnte bei der steuerlichen Behandlung von gleichen Investitionstätigkeiten zu nicht gerechtfertigten Unterscheidungen zwischen Unternehmen, die schon steuerbare Umsätze tätigen, und solchen Unternehmen führen, die durch Investitionen versuchen, Tätigkeiten aufzunehmen, die zu steuerbaren Umsätzen führen werden. Es würden auch willkürliche Unterscheidungen zwischen letzteren Unternehmen getroffen, da die endgültige Zulassung der Abzüge von der Frage abhinge, ob solche Investitionen zu steuerbaren Umsätzen führen oder nicht (Urteile vom 29. Februar 1996, INZO, C-110/94, EU:C:1996:67, Rn. 22, sowie vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 25).

45      Was jedoch die Frage betrifft, wie der im Urteil vom 29. Februar 1996, INZO (C-110/94, EU:C:1996:67), hervorgehobene Grundsatz, nach dem das Recht auf Vorsteuerabzug bestehen bleibt, selbst wenn eine Tätigkeit beendet wird, bevor sie zu steuerbaren Umsätzen geführt hat, mit den Vorschriften der Mehrwertsteuerrichtlinie über die Berichtigung von Abzügen zu vereinbaren ist, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof zum einen entschieden hat, dass der in den Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungsmechanismus Bestandteil der mit dieser Richtlinie eingeführten Vorsteuerabzugsregelung ist und das Ziel verfolgt, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen. Zum anderen hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass es, wenn die von einem Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen für die Zwecke steuerbefreiter Umsätze oder solcher Umsätze verwendet werden, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen kann (Beschluss vom 18. Mai 2021, Skellefteå Industrihus, C-248/20, EU:C:2021:394, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Außerdem hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Entstehung der Pflicht zur Berichtigung der Mehrwertsteuer in Art. 184 der Mehrwertsteuerrichtlinie Gegenstand einer weitestmöglichen Definition ist und dass seine Formulierung a priori keinen denkbaren Fall eines zu Unrecht vorgenommenen Vorsteuerabzugs ausschließt. Dass es eine generelle Berichtigungspflicht gibt, wird durch die ausdrückliche Aufzählung der in Art. 185 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen bestätigt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. Mai 2021, Skellefteå Industrihus, C-248/20, EU:C:2021:394, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Der Gerichtshof hat außerdem darauf hingewiesen, dass es, wenn der Steuerpflichtige eine Dienstleistung oder einen Gegenstand – wie etwa ein Gebäude –, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwendet, für die Feststellung von „Änderungen“ im Sinne von Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht genügt, dass ein solches Gebäude nach der Auflösung eines entsprechenden Pachtvertrags leer gestanden hat, dieser Steuerpflichtige aber erwiesenermaßen noch immer die Absicht hat, dieses für eine besteuerte Tätigkeit zu nutzen, und die dazu erforderlichen Schritte unternimmt, da dies zu einer Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts mittels der Bestimmungen über die Berichtigung führen würde (Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 47; Beschluss vom 18. Mai 2021, Skellefteå Industrihus, C-248/20, EU:C:2021:394, Rn. 44).

48      Wenn der Steuerpflichtige nicht mehr beabsichtigt, die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen zur Ausführung besteuerter Ausgangsumsätze zu verwenden, oder sie zur Ausführung steuerbefreiter Umsätze verwendet, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, ist der enge und unmittelbare Zusammenhang, der zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Ausführung beabsichtigter besteuerter Umsätze bestehen muss, somit unterbrochen, und der in den Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungsmechanismus ist anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. Mai 2021, Skellefteå Industrihus, C-248/20, EU:C:2021:394, Rn. 45 und 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die betroffene Steuerpflichtige nicht mehr die Absicht hat, und zwar endgültig, die hergestellten Investitionsgüter für besteuerte Umsätze zu verwenden, weil sie zum einen in Liquidation versetzt und zum anderen aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichen wurde. Sofern dies bestätigt wird, was jedoch vom vorlegenden Gerichts zu prüfen sein wird, ist festzustellen, dass der „enge und unmittelbare Zusammenhang“ im Sinne der in Rn. 45 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, der zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Ausführung besteuerter Ausgangsumsätze bestehen muss, unterbrochen ist und dass der in den Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungsmechanismus anzuwenden ist.

50      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass etwas anderes gelten könnte, wenn die Versetzung der betroffenen Steuerpflichtigen in Liquidation gleichwohl zur Ausführung besteuerter Umsätze führte, z. B. zum Verkauf von Vermögenswerten zur Begleichung ihrer Schulden, auch wenn dies nicht zu der von dieser Steuerpflichtigen ursprünglich beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit gehört.

51      Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass aufgrund dessen, dass die Tätigkeit als solche unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis zu betrachten ist, der bloße Umstand, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerpflichtigen nach den dafür im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Modalitäten die Zwecke der Umsätze dieses Steuerpflichtigen in dem Sinne ändert, dass diese Zwecke nicht mehr den langfristigen Betrieb seines Unternehmens umfassen, sondern nur noch dessen Liquidation zum Zweck der Begleichung der Schulden, gefolgt von seiner Auflösung, als solcher den wirtschaftlichen Charakter der im Rahmen dieses Unternehmens bewirkten Umsätze nicht berühren kann (Urteil vom 3. Juni 2021, Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Suceava u. a., C-182/20, EU:C:2021:442, Rn. 38).

52      Der Gerichtshof hat daher für Recht erkannt, dass die Art. 184 bis 186 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehen, wonach die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Wirtschaftsteilnehmers, das die Liquidation dieses Vermögens zugunsten der Gläubiger des Wirtschaftsteilnehmers impliziert, automatisch die Verpflichtung für diesen Wirtschaftsteilnehmer mit sich bringt, die Vorsteuerabzüge zu berichtigen, die er für Gegenstände oder Dienstleistungen vorgenommen hat, die er vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen erworben hat, wenn die Eröffnung eines solchen Verfahrens der Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit dieses Wirtschaftsteilnehmers im Sinne von Art. 9 der Richtlinie, namentlich zum Zweck der Liquidation des betreffenden Unternehmens, nicht entgegenstehen kann (Urteil vom 3. Juni 2021, Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Suceava u. a., C-182/20, EU:C:2021:442, Rn. 45).

53      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass Gegenstände oder Dienstleistungen des Steuerpflichtigen „nicht verkauft“ wurden, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

54      Nach alledem ist auf den ersten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass ein Steuerpflichtiger verpflichtet ist, die Vorsteuerabzüge für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen, die zur Herstellung von Investitionsgütern bestimmt sind, in dem Fall zu berichtigen, dass die hergestellten Investitionsgüter nicht im Rahmen steuerpflichtiger wirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet wurden und es auch nie werden, weil der Eigentümer oder Alleingesellschafter dieses Steuerpflichtigen entschieden hat, ihn in Liquidation zu versetzen, und die Streichung dieses Steuerpflichtigen aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen beantragt wurde und erfolgt ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

55      Als Zweites ist festzustellen, dass die Art. 167, 168, 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dahin auszulegen sind, dass das Recht auf Vorsteuerabzug für Gegenstände oder Dienstleistungen, die im Hinblick auf die Ausführung besteuerter Umsätze erworben wurden, bestehen bleibt, wenn die ursprünglich vorgesehenen Investitionsprojekte aufgrund von Umständen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind, aufgegeben wurden, und dass keine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen ist, wenn der Steuerpflichtige noch immer die Absicht hat, diese Gegenstände für eine besteuerte Tätigkeit zu nutzen (Urteil vom 12. November 2020, ITH Comercial Timişoara, C-734/19, EU:C:2020:919, Rn. 46).

56      Die Anwendung dieser Rechtsprechung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige noch immer die Absicht hat, diese Gegenstände oder Dienstleistungen für besteuerte Umsätze zu verwenden. Diese Voraussetzung erscheint in einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits nicht erfüllt, in dem, wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, der Steuerpflichtige in Liquidation versetzt und aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen gestrichen wurde.

57      Daher wirkt sich der Umstand, dass die Versetzung des Steuerpflichtigen in Liquidation und folglich die Einstellung der beabsichtigten steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit möglicherweise durch Gründe gerechtfertigt sein könnten, die als Umstände angesehen werden können, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht auf die Verpflichtung des Steuerpflichtigen aus, die Vorsteuerabzüge zu berichtigen.

58      Außerdem ist es nicht Sache der Steuerverwaltung, die Stichhaltigkeit der Gründe zu beurteilen, die einen Steuerpflichtigen dazu veranlasst haben, auf die ursprünglich beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit zu verzichten, da das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis gewährleistet, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 12. November 2020, ITH Comercial Timişoara, C-734/19, EU:C:2020:919, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59      In Anbetracht dieser Rechtsprechung braucht der zweite Teil der Frage im Übrigen, d. h. die Frage, ob eine einfache Erklärung der Gründe, die die Entscheidung gerechtfertigt haben, den Steuerpflichtigen in Liquidation zu versetzen, ausreicht, nicht geprüft zu werden.

60      Nach alledem ist auf den zweiten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass sich die Gründe – wie stetig zunehmende Verluste, fehlende Aufträge und Zweifel des Anteilseigners des Steuerpflichtigen an der Rentabilität der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit –, die die Entscheidung, diesen Steuerpflichtigen in Liquidation zu versetzen, und folglich die Einstellung der beabsichtigten steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit rechtfertigen können, nicht auf die Verpflichtung dieses Steuerpflichtigen auswirken, die betreffenden Vorsteuerabzüge zu berichtigen, sofern dieser Steuerpflichtige endgültig nicht mehr die Absicht hat, diese Investitionsgüter für steuerpflichtige Umsätze zu verwenden.

61      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass ein Steuerpflichtiger verpflichtet ist, die Vorsteuerabzüge für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen, die zur Herstellung von Investitionsgütern bestimmt sind, in dem Fall zu berichtigen, dass die hergestellten Investitionsgüter nicht im Rahmen steuerpflichtiger wirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet wurden und es auch nie werden, weil der Eigentümer oder Alleingesellschafter dieses Steuerpflichtigen entschieden hat, ihn in Liquidation zu versetzen, und die Streichung dieses Steuerpflichtigen aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen beantragt wurde und erfolgt ist. Die Gründe – wie stetig zunehmende Verluste, fehlende Aufträge und Zweifel des Anteilseigners des Steuerpflichtigen an der Rentabilität der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit –, die die Entscheidung, diesen Steuerpflichtigen in Liquidation zu versetzen, und folglich die Einstellung der beabsichtigten steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit rechtfertigen können, wirken sich nicht auf die Verpflichtung dieses Steuerpflichtigen aus, die betreffenden Vorsteuerabzüge zu berichtigen, sofern dieser Steuerpflichtige endgültig nicht mehr die Absicht hat, diese Investitionsgüter für steuerpflichtige Umsätze zu verwenden.

 Kosten

62      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 184 bis 187 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

sind dahin auszulegen, dass

ein Steuerpflichtiger verpflichtet ist, die Vorsteuerabzüge für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen, die zur Herstellung von Investitionsgütern bestimmt sind, in dem Fall zu berichtigen, dass die hergestellten Investitionsgüter nicht im Rahmen steuerpflichtiger wirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet wurden und es auch nie werden, weil der Eigentümer oder Alleingesellschafter dieses Steuerpflichtigen entschieden hat, ihn in Liquidation zu versetzen, und die Streichung dieses Steuerpflichtigen aus dem Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen beantragt wurde und erfolgt ist.Die Gründe – wie stetig zunehmende Verluste, fehlende Aufträge und Zweifel des Anteilseigners des Steuerpflichtigen an der Rentabilität der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit –, die die Entscheidung, diesen Steuerpflichtigen in Liquidation zu versetzen, und folglich die Einstellung der beabsichtigten steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit rechtfertigen können, wirken sich nicht auf die Verpflichtung dieses Steuerpflichtigen aus, die betreffenden Vorsteuerabzüge zu berichtigen, sofern dieser Steuerpflichtige endgültig nicht mehr die Absicht hat, diese Investitionsgüter für steuerpflichtige Umsätze zu verwenden.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Litauisch.