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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

9. Februar 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 90 – Steuerbemessungsgrundlage – Verminderung – Versicherer, der den Versicherten für nicht beglichene Forderungen eine Entschädigung nebst Mehrwertsteuer zahlt – Nationale Rechtsvorschrift, die diesem Versicherer in seiner Eigenschaft als Rechtsnachfolger die Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage versagt – Grundsatz der steuerlichen Neutralität – Effektivitätsgrundsatz“

In der Rechtssache C-482/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 29. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 5. August 2021, in dem Verfahren

Euler Hermes SA Magyarországi Fióktelepe

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Euler Hermes SA Magyarországi Fióktelepe, vertreten durch T. Fehér und P. Jalsovszky, Ügyvédek,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, R. Campos Laires, S. Jaulino und J. Ramos als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sipos und V. Uher als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) in Verbindung mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der steuerlichen Neutralität und der Effektivität.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Euler Hermes SA Magyarországi Fióktelepe, einer Gesellschaft ungarischen Rechts, und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) wegen eines Antrags auf Verminderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

a)      Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;

c)      Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

4        Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.“

5        Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“

6        Art. 66 dieser Richtlinie hat folgenden Wortlaut:

„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:

a)      spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;

b)      spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;

c)      im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist spätestens nach Ablauf der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 222 Absatz 2 gesetzten Frist für die Ausstellung der Rechnung oder, falls von den Mitgliedstaaten eine solche Frist nicht gesetzt wurde, binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands.

Die Ausnahme nach Absatz 1 gilt jedoch nicht für Dienstleistungen, für die der Dienstleistungsempfänger nach Artikel 196 die Mehrwertsteuer schuldet, und für Lieferungen oder Verbringungen von Gegenständen gemäß Artikel 67.“

7        Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

8        Art. 90 der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

(2)      Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“

9        Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

a)      Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden“.

10      Art. 250 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Jeder Steuerpflichtige hat eine Mehrwertsteuererklärung abzugeben, die alle für die Festsetzung des geschuldeten Steuerbetrags und der vorzunehmenden Vorsteuerabzüge erforderlichen Angaben enthält, gegebenenfalls einschließlich des Gesamtbetrags der für diese Steuer und Abzüge maßgeblichen Umsätze sowie des Betrags der steuerfreien Umsätze, soweit dies für die Feststellung der Steuerbemessungsgrundlage erforderlich ist.“

 Ungarisches Recht

 Gesetz Nr. CL von 2017

11      § 196 des Adózás rendjéről szóló 2017. évi CL. törvény (Gesetz Nr. CL von 2017 über die Besteuerungsordnung) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Stellt das Alkotmánybíróság [Verfassungsgericht, Ungarn], die Kúria [Oberster Gerichtshof, Ungarn] oder der Gerichtshof der Europäischen Union rückwirkend zum Tag der Veröffentlichung der Entscheidung fest, dass eine Vorschrift, die eine steuerliche Pflicht begründet, gegen das Grundgesetz oder einen verbindlichen Rechtsakt der Europäischen Union oder, wenn es sich um eine Gemeindesatzung handelt, gegen jegliche andere Rechtsvorschrift verstößt, und begründet diese gerichtliche Entscheidung für den Steuerpflichtigen einen Erstattungsanspruch, führt die Finanzbehörde erster Instanz auf Antrag des Steuerpflichtigen die Erstattung – entsprechend den in der betreffenden Entscheidung festgelegten Modalitäten – gemäß den Bestimmungen dieses Paragrafen durch.

(3)      Im Antrag sind über die zur Identifizierung des Steuerpflichtigen durch die Steuerverwaltung erforderlichen Angaben hinaus die bis zur Einreichung des Antrags gezahlten Steuern, deren Erstattung begehrt wird, und der Vollstreckungstitel, auf dem die Zahlung der Steuern beruht, anzuführen; der Antrag muss außerdem auf die Entscheidung des Alkotmánybíróság [Verfassungsgericht], der Kúria [Oberster Gerichtshof] oder des Gerichtshofs der Europäischen Union Bezug nehmen und eine Erklärung darüber enthalten, dass

a)      der Steuerpflichtige die Steuer, deren Erstattung er beantragt, bis zur Einreichung des Antrags nicht auf eine andere Person abgewälzt hat,

b)      vor der Antragstellung weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person eine Steuererstattung auf der Grundlage eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens erhalten hat und zum Zeitpunkt der Antragstellung kein anderes derartiges Verfahren anhängig ist, es sei denn, der Steuerpflichtige weist binnen 90 Tagen nach der Antragstellung gegenüber der Steuerverwaltung nach, dass dieses Verfahren beendet ist.

(4)      Sind die anderen in Abs. 3 Buchst. a und b genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, so lehnt die Steuerverwaltung den Antrag mit Bescheid ab. Im Zusammenhang mit dem Inhalt des Vollstreckungstitels nimmt die Steuerverwaltung zwischen der Antragstellung und dem endgültigen Abschluss des Verfahrens bzw. – im Fall eines bestandskräftigen, die Erstattung anordnenden Bescheids – bis zur endgültigen Abschreibung oder der Aufhebung dieses Bescheids keine Vollstreckungshandlungen vor.“

 Umsatzsteuergesetz

12      § 5 Abs. 1 des Általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. törvény (Gesetz Nr. CXXVII von 2007 über die Umsatzsteuer) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) sieht vor:

„Für die Zwecke der Umsatzsteuer ist ‚Steuerpflichtiger‘ jede rechtsfähige Person oder Einrichtung, die im eigenen Namen eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis ausübt. …“

13      § 55 des Umsatzsteuergesetzes lautet:

„(1)      Der Steueranspruch entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem der steuerbare Umsatz tatsächlich bewirkt wird (im Folgenden: Erfüllung).

(2)      Die Rechtsfolge von Abs. 1 tritt auch ein, wenn trotz fehlender Erfüllung eine Rechnung ausgestellt wird. Sie tritt gegenüber dem Steuerpflichtigen ein, der in der Rechnung als Lieferer der Gegenstände oder Dienstleistungserbringer genannt wird, es sei denn, dieser weist zweifelsfrei nach, dass

a)      es trotz der Ausstellung einer Rechnung keine Erfüllung gab oder

b)      es zwar eine Erfüllung gab, diese aber durch einen Dritten erfolgte,

und er gleichzeitig unverzüglich das Erforderliche getan hat, um die ausgestellte Rechnung für nichtig zu erklären, oder – wenn die Rechnung zwar in seinen Namen, aber von einem Dritten ausgestellt wurde – er unverzüglich die in der Rechnung als Erwerber der Gegenstände oder Dienstleistungsempfänger genannte Person oder Organisation darüber informiert hat, dass eine in Buchst. a oder b dieser Bestimmungen genannte Situation vorliegt.“

14      § 56 des Umsatzsteuergesetzes lautet:

„Der Steueranspruch entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem der steuerbare Umsatz objektiv bewirkt wird, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.“

15      § 77 Abs. 7 des Gesetzes bestimmt:

„Die Steuerbemessungsgrundlage kann unter Berücksichtigung insbesondere des Grundsatzes der bestimmungsgemäßen Ausübung von Rechten nachträglich um den Betrag – ohne Steuern – der gesamten als uneinbringlich verbuchten Gegenleistung oder eines Teils derselben vermindert werden, wenn kumulativ folgende Bedingungen erfüllt sind:

a)      Der Steuerpflichtige und der Käufer des Gegenstands oder der Dienstleistungsempfänger sind unabhängige Parteien,

b)      der Steuerpflichtige setzt den Käufer des Gegenstands oder den Dienstleistungsempfänger gemäß Abs. 8 vorab schriftlich in Kenntnis, es sei denn, den Käufer des Gegenstands oder den Dienstleistungsempfänger gibt es nicht mehr und er hat keinen Rechtsnachfolger,

c)      über das Vermögen des Steuerpflichtigen ist zu dem Zeitpunkt, zu dem die von der uneinbringlichen Forderung betroffene Erklärung abgegeben wird, kein Insolvenz-, Abwicklungs- oder Zwangsabwicklungsverfahren eröffnet,

d)      über das Vermögen des Käufers des Gegenstands oder des Dienstleistungsempfängers ist zum Zeitpunkt der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen, die der Verbuchung der Forderung als uneinbringlich zugrunde liegt, kein Insolvenz-, Abwicklungs- oder Zwangsabwicklungsverfahren eröffnet,

e)      der Käufer des Gegenstands oder der Dienstleistungsempfänger ist zum Zeitpunkt der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen, die der Verbuchung der Forderung als uneinbringlich zugrunde liegt, oder im Jahr davor nicht in der auf der Website der Steuerverwaltung abrufbaren Datenbank zur Erfassung der Personen mit erheblichem Steuerfehlbetrag oder erheblichen Steuerschulden verzeichnet,

f)      die Steueridentifikationsnummer des Käufers des Gegenstands oder des Dienstleistungsempfängers war zum Zeitpunkt der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen, die der Verbuchung der Forderung als uneinbringlich zugrunde liegt, nicht gestrichen,

g)      der Steuerpflichtige war von der nationalen Steuer- und Zollverwaltung nicht über eine vom Käufer des Gegenstands oder vom Dienstleistungsempfänger begangene Steuerumgehung zum Zeitpunkt der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen, die der Verbuchung der Forderung als uneinbringlich zugrunde liegt, informiert worden,

h)      seit dem Fälligwerden der Gegenleistung für die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen, die der Verbuchung der Forderung als uneinbringlich zugrunde liegt, ist mindestens ein Jahr vergangen, und

i)      die Gegenleistung der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen, die der Verbuchung der Forderung als uneinbringlich zugrunde liegt, wurde nicht auf andere Weise erbracht.“

 Gesetz Nr. CLI von 2017

16      § 12 des Adóigazgatási rendtartásról szóló 2017. évi CLI. törvény (Gesetz Nr. CLI von 2017 zur Regelung der Steuerverwaltung) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sieht vor:

„(1)      Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, gehen im Sinne des Zivilrechts sämtliche Rechte, die dem Rechtsvorgänger zustanden, auf den Rechtsnachfolger des Steuerpflichtigen über, der auch für die vom Rechtsvorgänger nicht erfüllten Verpflichtungen anteilig im Verhältnis der durch die Rechtsnachfolge übergegangenen Vermögenswerte aufzukommen hat. Bei mehreren Rechtsnachfolgern kommen diese im Verhältnis der auf sie übergegangenen Vermögenswerte für die Verpflichtungen des Rechtsvorgängers auf. Im Fall der Nichterfüllung haften sie gesamtschuldnerisch für die Schuld des Rechtsvorgängers. Soweit nichts anderes vereinbart worden ist, sind sie im Verhältnis der auf sie übergegangenen Vermögenswerte für die Gewährung von Subventionen anspruchsberechtigt.

(2)      Die Steuerverwaltung prüft, ob der Rechtsnachfolger die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zeiträume vor der Rechtsnachfolge erfüllt, und berücksichtigt dabei auch die steuerliche Vorgeschichte des Rechtsvorgängers einschließlich einer Beurteilung seines Verhaltens.

(3)      Die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 gelten auch, wenn die Tätigkeit von einem Einzelunternehmer in Form einer Einpersonengesellschaft fortgeführt wird.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

17      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin) ist im Versicherungswesen tätig und verpflichtet sich im Rahmen eines Versicherungsvertrags, eine Entschädigung an ihre Versicherten zu zahlen, falls deren Kunden eine bestimmte Forderung nicht begleichen. Der Entschädigungssatz beläuft sich grundsätzlich auf 90 % des Wertes der nicht beglichenen Forderung nebst Mehrwertsteuer. Nach diesem Versicherungsvertrag werden im Zuge dieser Entschädigung ein entsprechender Teil des Forderungswerts sowie sämtliche ursprünglich dem Versicherten zustehenden konnexen Rechte an die Klägerin abgetreten. In der Praxis wird die Klägerin, was den Teil der abgetretenen Mehrwertsteuer betrifft, mit der zuvor von den Versicherten an den Fiskus abgeführten, aber von diesen an ihre Kunden abgewälzten und von ihnen nicht beglichenen Mehrwertsteuer belastet.

18      Am 31. Dezember 2019 beantragte die Klägerin bei der Steuerverwaltung eine Erstattung der Mehrwertsteuer für uneinbringliche Forderungen in Höhe von insgesamt 225 855 154 ungarischen Forint (HUF) (ungefähr 680 631 Euro) sowie von 128 240,44 Euro zuzüglich Verzugszinsen in Höhe des 365. Teiles des Wertes, vermehrt um fünf Prozentpunkte des zum Zeitpunkt der Fälligkeit geltenden Basissatzes der ungarischen Zentralbank, oder eines Säumniszuschlags in Höhe ihres einfachen Basissatzes.

19      Sie begründete ihren Antrag damit, dass die von ihr ab dem 1. Januar 2014 gezahlten Entschädigungen für von ihr versicherte und endgültig uneinbringliche Forderungen auch die Mehrwertsteuer umfassten. Weiter führte sie unter Bezugnahme auf den Beschluss des Gerichtshofs vom 24. Oktober 2019, Porr Építési Kft. (C-292/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:901), aus, dass die Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes vor dem 1. Januar 2020 unter Verstoß gegen Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie die nachträgliche Verminderung der Bemessungsgrundlage im Fall des vollständigen oder teilweisen Ausfalls der Gegenleistung für die erbrachte Dienstleistung oder den gelieferten Gegenstand selbst dann nicht zuließen, wenn eine Forderung endgültig uneinbringlich geworden sei.

20      Mit Bescheid vom 29. Januar 2020 lehnte die Nemzeti Adó- és Vámhivatal Észak-Budapesti Adó- és Vámigazgatósága (Steuer- und Zollverwaltung Budapest-Nord der nationalen Steuer- und Zollverwaltung) als Steuerbehörde erster Instanz diesen Antrag mit der Begründung ab, die Umsätze, die den in Rede stehenden uneinbringlichen Forderungen zugrunde lägen, seien nicht von der Klägerin getätigt worden.

21      Mit Entscheidung vom 15. April 2020 bestätigte die Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) den Bescheid vom 29. Januar 2020 und wies den von der Klägerin gegen ihn eingelegten Rechtsbehelf zurück. Nach Auffassung der Beklagten ist ein Wechsel des Steuerpflichtigen infolge eines Versicherungsvertrags steuerrechtlich keine Rechtsnachfolge, da die materiell-rechtlichen Voraussetzungen, um einem Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer stattgeben zu können, deshalb nicht erfüllt seien, weil die Klägerin in Bezug auf die Umsätze, für die sie das Recht auf Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage und die entsprechende Erstattung der Mehrwertsteuer in Anspruch nehmen wolle, keine Steuerpflichtige gewesen sei.

22      Die Klägerin erhob gegen diese Entscheidung vom 15. April 2020 Klage beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) und beantragte in erster Linie, die Entscheidung einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen und sie rückwirkend abzuändern. Sie vertritt die Auffassung, sie habe nach dem in Rn. 17 des vorliegenden Urteils erwähnten Versicherungsvertrag als Rechtsnachfolgerin ihrer Versicherten in Bezug auf die uneinbringlichen Forderungen, um die es hier gehe, Anspruch auf die Erstattung der Mehrwertsteuer. Auch nach dem Unionsrecht habe sie gemäß dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität einen solchen Anspruch.

23      Die Beklagte beantragt, diese Klage abzuweisen. Sie macht geltend, dass ein Versicherungsunternehmen wie die Klägerin sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach den ungarischen Rechtsvorschriften im Fall des endgültigen Zahlungsausfalls keinen Anspruch auf Verminderung der anwendbaren Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie habe. Das Recht, eine Erstattung der Mehrwertsteuer zu beantragen, stehe dem Steuerpflichtigen zu, dessen Forderung endgültig uneinbringlich geworden sei und der diese Steuer entrichtet habe. Im vorliegenden Fall sei aber nicht die Klägerin das Steuerrechtssubjekt, sondern ihre Versicherten. Zudem habe gemäß diesem Versicherungsvertrag die Klägerin nicht die Mehrwertsteuer, sondern die Versicherungssumme gezahlt. Würde dem Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer stattgegeben, hätte dies daher eine ungerechtfertigte Bereicherung der Klägerin zur Folge.

24      Was die betroffenen Forderungen angeht, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung auf die Klägerin noch nicht als uneinbringlich erachtet worden seien und dass sie erst nach dieser Übertragung endgültig uneinbringlich geworden seien. Zudem sei das Umsatzsteuergesetz bis zum 1. Januar 2020 unionsrechtswidrig gewesen, da dieses Gesetz die nachträgliche Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für die solche Forderungen betreffende Mehrwertsteuer nicht erlaubt habe.

25      Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbaren ungarischen Rechtsvorschriften und die auf diese Vorschriften gestützte Praxis der Steuerverwaltung mit dem Unionsrecht, der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowie mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der steuerlichen Neutralität und der Effektivität vereinbar sind.

26      Unter diesen Umständen hat der Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der steuerlichen Neutralität und der Effektivität – insbesondere in Anbetracht dessen, dass ein Mitgliedstaat keinen höheren Betrag als Mehrwertsteuer erheben darf als denjenigen, den der Lieferer oder Dienstleistungserbringer aufgrund der Lieferung oder Dienstleistung tatsächlich erhalten hat –, die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Steuerbefreiung – konkret im Hinblick darauf, dass diese Tätigkeit als einheitlicher steuerbefreiter Umsatz zu behandeln ist, wozu auf die in den Nrn. 35, 37 und 53 der Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Swiss Re Germany Holding, (C-242/08, EU:C:2009:300), herausgearbeiteten Grundsätze zu verweisen ist –, sowie das Erfordernis, dass im Binnenmarkt der freie Verkehr von Kapital und Dienstleistungen zu gewährleisten ist, einer in einem Mitgliedstaat geübten Steuerpraxis entgegen, wonach die bei endgültiger Uneinbringlichkeit vorgesehene Verminderung der Bemessungsgrundlage (Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie) dann nicht anwendbar ist, wenn ein Versicherer im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit als Kreditversicherer dem Versicherten zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsrisikos (der Nichtzahlung durch den Kunden des Versicherten) eine Entschädigung für die Bemessungsgrundlage und darüber hinaus für die auf diese anfallende Mehrwertsteuer gezahlt hat und die Forderung aufgrund des Versicherungsvertrags zusammen mit sämtlichen Vollstreckungsrechten an den Versicherer abgetreten worden ist?

Folgende weitere Umstände liegen vor:

a)      Zu dem Zeitpunkt, zu dem die betreffenden Forderungen uneinbringlich wurden, ließen die nationalen Rechtsvorschriften keine Verminderung der Bemessungsgrundlage aufgrund der Uneinbringlichkeit einer Forderung zu.

b)      Auch nach der Feststellung der Unvereinbarkeit dieses Verbots mit dem Unionsrecht hat das positive nationale Recht die Erstattung der einer uneinbringlichen Forderung entsprechenden Mehrwertsteuer dem ursprünglichen Lieferer (d. h. dem Versicherten) kategorisch und dauerhaft versagt, weil der Versicherer ihm diesen Mehrwertsteuerbetrag erstattet habe.

c)      Der Versicherer kann nachweisen, dass seine Forderung gegen den Schuldner endgültig uneinbringlich geworden ist.

 Zur Vorlagefrage

27      Vorab ist zum einen festzustellen, dass das vorlegende Gericht in seiner Frage auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie Bezug nimmt, der eine Befreiung für Versicherungsumsätze vorsieht. Im vorliegenden Fall verlangt die Klägerin aber die Erstattung von Mehrwertsteuer, die von Steuerpflichtigen nicht im Rahmen von nach dieser Bestimmung steuerbefreiten Versicherungsumsätzen, sondern im Rahmen steuerbarer Umsätze entrichtet wurde. Somit ist diese Vorschrift für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich.

28      Zum anderen führt das vorlegende Gericht Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr an. Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass sämtliche den Ausgangsrechtsstreit kennzeichnenden Merkmale nicht über die Grenzen ein und desselben Mitgliedstaats hinausreichen, da sich in diesem Rechtsstreit eine Gesellschaft ungarischen Rechts mit Sitz in Ungarn und die ungarische Steuerverwaltung, nämlich die Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, gegenüberstehen.

29      Nach ständiger Rechtsprechung finden indessen die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, keine Anwendung (Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C-268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Folglich sind die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar.

31      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der steuerlichen Neutralität und der Effektivität dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach die in dieser Vorschrift für den Fall der Nichtbezahlung vorgesehene Verringerung der Steuerbemessungsgrundlage nicht für einen Versicherer gilt, der im Rahmen eines Versicherungsvertrags für gewerbliche Forderungen einem der bei ihm versicherten Kunden infolge der Nichtbezahlung einer Forderung als Entschädigung einen Teil des Betrags der Bemessungsgrundlage des in Rede stehenden steuerbaren Umsatzes einschließlich der Mehrwertsteuer zahlt, obwohl gemäß diesem Vertrag jener Teil der Forderung und alle damit verbundenen Rechte an diesen Versicherer abgetreten wurden.

32      Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Fälle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des der Zahlung der Steuer zugrunde liegenden Umsatzes betrifft. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Steuerbemessungsgrundlage und damit den Betrag der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines Grundprinzips dieser Richtlinie, nämlich des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, nach dem die tatsächlich erhaltene Gegenleistung als Steuerbemessungsgrundlage dient und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung keinen Betrag als Mehrwertsteuer erheben darf, der den an den Steuerpflichtigen bezahlten Betrag übersteigt (Beschluss vom 3. März 2021, FGSZ, C-507/20, EU:C:2021:157, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Angesichts des Wortlauts von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität müssen sich die Formalitäten, die von den Steuerpflichtigen zu erfüllen sind, damit sie gegenüber den Steuerbehörden das Recht auf Verminderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage ausüben können, auf diejenigen beschränken, die den Nachweis ermöglichen, dass nach der Bewirkung des Umsatzes die Gegenleistung zum Teil oder in vollem Umfang endgültig nicht erlangt wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 3. März 2021, FGSZ, C-507/20, EU:C:2021:157, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Zum anderen können die Mitgliedstaaten nach Art. 90 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes von der Regelung des Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie abweichen. In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof entschieden, dass die Ausübung dieser Abweichungsbefugnis es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, die Verminderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage im Fall der Nichtbezahlung einfach ohne Weiteres auszuschließen. Denn diese Abweichungsbefugnis soll es den Mitgliedstaaten lediglich ermöglichen, der Unsicherheit über die Nichtbezahlung einer Rechnung oder über ihre Endgültigkeit entgegenzuwirken, und beantwortet nicht die Frage, ob eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage bei Nichtbezahlung entfallen kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 3. März 2021, FGSZ, C-507/20, EU:C:2021:157, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Würde mithin zugelassen, dass die Mitgliedstaaten in Fällen der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes jede Verminderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage ausschließen könnten, liefe dies dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zuwider, aus dem sich insbesondere ergibt, dass der Unternehmer in seiner Eigenschaft als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten, die der Mehrwertsteuer unterliegen, geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2017, Di Maura, C-246/16, EU:C:2017:887, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Nichtbegleichung der Forderungen unter Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt.

37      Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Mehrwertsteuerrichtlinie Lieferungen von Gegenständen sowie Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt bzw. erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegen.

38      Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, dass ein Umsatz „gegen Entgelt“ voraussetzt, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2019, UniCredit Leasing, C-242/18, EU:C:2019:558, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass es für eine Lieferung von Gegenständen oder eine Erbringung von Dienstleistungen „gegen Entgelt“ nicht erforderlich ist, dass die Gegenleistung für diese Lieferung oder diese Dienstleistung unmittelbar von deren Empfänger erbracht wird. Sie kann auch von einem Dritten erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 2014, Le Rayon d’Or, C-151/13, EU:C:2014:185, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieser Rechtsprechung zufolge besteht das entscheidende Merkmal für diese Einstufung darin, dass tatsächlich eine Gegenleistung erbracht wurde.

39      Im vorliegenden Fall hat die Klägerin den Kunden, die Steuerpflichtige sind, eine Entschädigung gezahlt, die 90 % des Betrags der fraglichen Forderungen nebst Mehrwertsteuer betrug.

40      Hieran zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass der Teil der Forderungen, für den die Klägerin eine Entschädigung gewährt hat, durchaus von den steuerpflichtigen Kunden als Gegenleistung der fraglichen steuerbaren Umsätze vereinnahmt worden ist, so dass für diesen Teil nicht von einer „Nichtbezahlung“ im Sinne von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausgegangen werden kann.

41      Folglich können die steuerpflichtigen Kunden, selbst wenn dieser Teil der Forderungen in Form einer Entschädigung vereinnahmt wurde, für ihn keinerlei Anspruch auf Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer geltend machen.

42      Im Übrigen ist nicht davon auszugehen, dass im Hinblick auf das Mehrwertsteuerrecht der Union und unabhängig von den möglicherweise im Zivilrecht auf Forderungsabtretungen anwendbaren nationalen Vorschriften ein Versicherer wie die Klägerin als derjenige Steuerpflichtige bestimmt werden kann, der in Bezug auf den Teil der Forderungen, der Gegenstand einer Entschädigung und einer Abtretung war, nach Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Verminderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage verlangen kann.

43      Würde einem solchen Versicherer diese Eigenschaft zuerkannt, verstieße dies nämlich gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, da die an die Steuerverwaltung abgeführte Mehrwertsteuer nicht genau zu dem Preis proportional wäre, den die steuerpflichtigen Kunden, die die in Rede stehenden steuerbaren Umsätze getätigt haben, tatsächlich erhalten haben.

44      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie der Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, wonach die in dieser Vorschrift für den Fall der Nichtbezahlung vorgesehene Verringerung der Steuerbemessungsgrundlage nicht für einen Versicherer gilt, der im Rahmen eines Versicherungsvertrags für gewerbliche Forderungen dem Versicherten infolge der Nichtbezahlung einer Forderung als Entschädigung einen Teil des Betrags der Bemessungsgrundlage des in Rede stehenden steuerbaren Umsatzes einschließlich der Mehrwertsteuer zahlt, obwohl gemäß diesem Vertrag jener Teil der Forderung und alle damit verbundenen Rechte an diesen Versicherer abgetreten wurden.

 Kosten

45      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung sowie der Grundsatz der steuerlichen Neutralität

sind dahin auszulegen, dass

sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, wonach die in dieser Vorschrift für den Fall der Nichtbezahlung vorgesehene Verringerung der Steuerbemessungsgrundlage nicht für einen Versicherer gilt, der im Rahmen eines Versicherungsvertrags für gewerbliche Forderungen dem Versicherten infolge der Nichtbezahlung einer Forderung als Entschädigung einen Teil des Betrags der Bemessungsgrundlage des in Rede stehenden steuerbaren Umsatzes einschließlich der Mehrwertsteuer zahlt, obwohl gemäß diesem Vertrag jener Teil der Forderung und alle damit verbundenen Rechte an diesen Versicherer abgetreten wurden.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Ungarisch.