Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)
13. Juni 2024(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 64 Abs. 1 und 2 – Anwendbarkeit – Leistungen von Insolvenzverwaltern und Liquidatoren – Kontinuierliche Leistungen – Art. 168 Buchst. a – Vorsteuerabzug – Ausgaben im Zusammenhang mit dem Recht zur Benutzung eines Handelsnamens – Verteidigungsrechte – Anspruch auf rechtliches Gehör“
In der Rechtssache C-696/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj, Rumänien) mit Entscheidung vom 15. Juli 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 8. November 2022, in dem Verfahren
C SPRL
gegen
Administrația Județeană a Finanțelor Publice (AJFP) Cluj,
Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice (DGRFP) Cluj-Napoca
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie der Richter J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und S. Rodin,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der C SPRL, vertreten durch A. Coroian, A. Madar-Petran und C. A. Păun, Avocati,
– der rumänischen Regierung, vertreten durch R. Antonie, E. Gane, und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63, 64, 66 und 168 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/117/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 (ABl. 2009, L 14, S. 7) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112) sowie des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der C SPRL auf der einen Seite und der Administrația Județeană a Finanțelor Publice (AJFP) Cluj (Kreisverwaltung für öffentliche Finanzen Cluj, Rumänien) und der Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice (DGRFP) Cluj-Napoca (Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Cluj-Napoca [Klausenburg], Rumänien) (im Folgenden zusammen: rumänische Finanzverwaltung) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, mit dem von C Mehrwertsteuer für Dienstleistungen an Unternehmen, die sich in Insolvenzverfahren befinden, nachgefordert wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Der 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Die Begriffe ‚Steuertatbestand‘ und ‚Steueranspruch‘ sollten harmonisiert werden, damit die Anwendung und die späteren Änderungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in allen Mitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden.“
4 Titel VI („Steuertatbestand und Steueranspruch“) der Richtlinie 2006/112 enthält in seinem Kapitel 2 („Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen“) die Art. 63 bis 67.
5 Art. 63 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“
6 Art. 64 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 in der ursprünglichen Fassung wurde durch die Richtlinie 2008/117 geändert, deren Umsetzungsfrist gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 am 1. Januar 2010 ablief. Dabei wurde in Art. 64 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 ein Unterabs. 1 eingefügt, ohne dass Abs. 1 dieses Art. 64 geändert wurde.
7 Art. 64 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„(1) Geben Lieferungen von Gegenständen, die nicht die Vermietung eines Gegenstands oder den Ratenverkauf eines Gegenstands im Sinne des Artikels 14 Absatz 2 Buchstabe b betreffen, und Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass, gelten sie jeweils als mit Ablauf des Zeitraums bewirkt, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen.
(2) …
In bestimmten, nicht von Unterabsatz 1 erfassten Fällen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass kontinuierliche Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die sich über einen bestimmten Zeitraum erstrecken, mindestens jährlich als bewirkt gelten.“
8 Art. 66 der Richtlinie 2006/112 in der ursprünglichen Fassung wurde durch die Richtlinie 2008/117 geändert. Dabei wurde in Art. 66 der Richtlinie 2006/112 ein Abs. 2 eingefügt, ohne dass Abs. 1 dieses Artikels geändert wurde.
9 Art. 66 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:
a) spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;
b) spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;
c) im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands.
…“
10 Titel VII („Steuerbemessungsgrundlage“) der Richtlinie 2006/112 enthält deren Art. 90, der wie folgt lautet:
„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“
11 Titel X („Vorsteuerabzug“) der Richtlinie 2006/112 enthält ein Kapitel 1 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“), in dem sich Art. 168 befindet, der bestimmt:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
Rumänisches Recht
12 Die Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch) vom 22. Dezember 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 927 vom 23. Dezember 2003) in ihrer auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Fassung (im Folgenden: Steuergesetzbuch) enthält einen Art. 1341 („Steuertatbestand für Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen“), der vorsieht:
„(1) Der Steuertatbestand tritt vorbehaltlich der in diesem Kapitel vorgesehenen Ausnahmen zum Zeitpunkt der Lieferung der Gegenstände oder zum Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen ein.
…
(7) Dienstleistungen, die zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben, wie Bau- und Montageleistungen, Beratungs-, Forschungs-, Sachverständigen- und andere ähnliche Dienstleistungen, gelten als am Tag der Erstellung der Berichte über Arbeitsfortschritte, Arbeitsberichte oder anderer ähnlicher Dokumente, anhand deren die erbrachten Dienstleistungen bestimmt werden können, oder gegebenenfalls nach Maßgabe der vertraglichen Bestimmungen zum Zeitpunkt ihrer Annahme durch die Begünstigten erbracht.
(8) Bei kontinuierlich erbrachten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter Abs. 7 fallen, wie Lieferungen von Erdgas und Wasser, Telefondienstleistungen, Stromlieferungen und anderen ähnlichen Leistungen, gilt die Lieferung oder die Dienstleistung als zu den im Vertrag für die Bezahlung der gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen vorgesehenen Zeitpunkten oder zum Zeitpunkt der Ausstellung einer Rechnung bewirkt, wobei der Abrechnungszeitraum ein Jahr nicht überschreiten darf.
…“
13 In Art. 145 („Anwendungsbereich des Rechts auf Vorsteuerabzug“) des Steuergesetzbuchs heißt es:
„…
(2) Jeder Steuerpflichtige ist berechtigt, die Vorsteuer für Erwerbe abzuziehen, wenn diese zur Verwendung für die Zwecke folgender Umsätze bestimmt sind:
a) besteuerter Umsätze …“
14 Art. 4 der Legea nr. 85/2006 privind procedura insolvenței (Gesetz Nr. 85/2006 über das Insolvenzverfahren) vom 5. April 2006 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 359 vom 21. April 2006) bestimmt:
„(1) Alle Kosten im Zusammenhang mit dem durch dieses Gesetz geschaffenen Verfahren, einschließlich der Kosten für die Zustellung, Ladung und Übermittlung von Verfahrensunterlagen durch den Insolvenzverwalter bzw. Liquidator, gehen zu Lasten des Schuldnervermögens.
…
(4) Sofern auf dem Konto des Schuldners keine verfügbaren Mittel vorhanden sind, ist auf den Liquidationsfonds zurückzugreifen …“
15 Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes über das Insolvenzverfahren sieht vor:
„Die wichtigsten Zuständigkeiten des Insolvenzgerichts nach diesem Gesetz sind:
…
c) mit der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens die mit Gründen versehene Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder gegebenenfalls Liquidators aus dem Kreis der geeigneten Insolvenzpraktiker, die zu diesem Zweck ein Angebot ihrer Dienstleistungen zu den Akten gegeben haben, … sowie die Festsetzung seiner Vergütung nach den im Gesetz über die Organisation der Tätigkeit der Insolvenzpraktiker festgelegten Kriterien und seiner Aufgaben für diesen Zeitraum. Das Insolvenzgericht bestellt den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den vorläufigen Liquidator, der von dem Gläubiger, der die Eröffnung des Verfahrens beantragt hat, oder von dem Schuldner, wenn dieser den Antrag gestellt hat, beantragt wurde. …
d) die Bestätigung des Insolvenzverwalters oder Liquidators, der von der Gläubigerversammlung oder von einem Gläubiger, der mindestens 50 % des Werts der Forderungen hält, bestimmt wurde, und der vereinbarten Vergütung durch Beschluss. …“
16 Art. 21 Abs. 1 und 11 des Gesetzes über das Insolvenzverfahren sieht vor:
„(1) Der Insolvenzverwalter legt monatlich einen Bericht vor, in dem beschrieben wird, wie er seine Aufgaben wahrgenommen hat, und die zur Verwaltung des Verfahrens getätigten Ausgaben oder andere aus den Mitteln im Vermögen des Schuldners getätigte Ausgaben begründet werden. Der Bericht wird zu den Akten der Sache gegeben, und ein Auszug davon wird im [Buletinul Procedurilor de Insolvență (BPI) (Anzeiger für Insolvenzverfahren)] veröffentlicht. Der Insolvenzrichter setzt alle 120 Tage eine Frist für die Fortsetzung des Verfahrens fest, innerhalb deren der Insolvenzverwalter die in dieser Zeit durchgeführten Maßnahmen, die in den Tätigkeitsberichten aufgeführt sind, zusammenfasst.
(11) In dem in Abs. 1 genannten Bericht ist auch die Vergütung des Insolvenzverwalters oder des Liquidators unter Angabe der Art und Weise ihrer Berechnung anzugeben.“
17 Art. 24 des Gesetzes über das Insolvenzverfahren bestimmt:
„(1) Wenn das Insolvenzgericht den Übergang ins Konkursverfahren anordnet, so bestellt es einen Liquidator, wobei die Bestimmungen der Art. 19, 21, 22 und 23 sowie von Art. 102 Abs. 5 entsprechend gelten.
(2) Die Aufgaben des Insolvenzverwalters enden in dem Moment, in dem das Insolvenzgericht die Aufgaben des Liquidators festlegt.
(3) Der zuvor bestellte Insolvenzverwalter kann auch zum Liquidator bestellt werden.“
18 Die Ordonanța Guvernului nr. 92/2003 privind Codul de procedură fiscală (Regierungsverordnung Nr. 92/2003 über die Steuerverfahrensordnung) vom 24. Dezember 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 941 vom 29. Dezember 2003) in ihrer zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits geltenden Fassung (im Folgenden: Steuerverfahrensordnung) sah in Art. 213 („Entscheidung über den Einspruch“) vor:
„(1) Die zuständige Behörde überprüft im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch die Sach- und Rechtsgründe, die dem Steuerverwaltungsakt zugrunde liegen. Der Prüfung des Einspruchs sind das Vorbringen der Parteien, die von ihnen angeführten Rechtsvorschriften und der Akteninhalt zugrunde zu legen. Der Einspruch ist innerhalb der Grenzen der Befassung zu behandeln.
(2) Die für die Bearbeitung des Einspruchs zuständige Behörde kann die Stellungnahme der Fachdirektionen des Ministeriums oder anderer Institutionen und Behörden einholen.
(3) Die Entscheidung über den Einspruch darf nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Einspruchsführers wegen seines Rechtsbehelfs führen.
(4) Der Einspruchsführer, die weiteren Beteiligten oder ihre Bevollmächtigten können neue Beweise zur Stützung des Begehrens beibringen. Der Steuerbehörde, die den streitigen Steuerverwaltungsakt erlassen hat, oder der Stelle, die die Prüfungstätigkeit ausgeübt hat, wird in diesem Fall die Möglichkeit gegeben, sich zu diesen neuen Beweisen zu äußern.
(5) Die für die Entscheidung zuständige Behörde entscheidet zunächst über die verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Einreden; wird festgestellt, dass sie begründet sind, so wird das Begehren nicht mehr in der Sache geprüft.“
19 Art. 38 der Ordonanța de urgență nr. 86/2006 privind organizarea activității practicienilor în insolvență (Dringlichkeitsverordnung Nr. 86/2006 der Regierung über die Organisation der Tätigkeit der Insolvenzpraktiker) vom 8. November 2006 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 944 vom 22. November 2006) bestimmt:
„(1) Insolvenzpraktiker haben Anspruch auf Vergütung für die geleistete Tätigkeit in Form von Festvergütungen, Erfolgsvergütungen oder einer Kombination aus beiden.
…
(4) Die vorläufige Vergütung für den Überwachungszeitraum wird vom Insolvenzgericht bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf der Grundlage der in Abs. 2 genannten Kriterien festgesetzt. Sie kann von der Gläubigerversammlung geändert werden, wobei die Bestimmungen von Abs. 2 zu berücksichtigen sind.
(5) Die Zahlung der Vergütung der als Insolvenzverwalter oder Liquidatoren tätigen Insolvenzpraktiker bzw. der Verfahrenskosten erfolgt aus dem gemäß Art. 4 des Gesetzes Nr. 85/2006 … eingerichteten Fonds …“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
20 In der Gesellschaft C, einer Gesellschaft rumänischen Rechts, sind Insolvenzverwalter und Liquidatoren, die nach rumänischem Recht als „Insolvenzpraktiker“ bezeichnet werden, zusammengeschlossen. Sie erbringt Dienstleistungen für Unternehmen, die sich in einem Insolvenzverfahren befinden. Es steht fest, dass diese Dienstleistungen der Mehrwertsteuer unterliegen.
21 Mit Steuerbescheid vom 13. August 2015, der auf einen von C eingelegten Einspruch hin mit einem Bescheid vom 10. Mai 2016 teilweise bestätigt wurde, stellte die rumänische Finanzverwaltung Unregelmäßigkeiten u. a. in Bezug auf den Steueranspruch fest. C erhob bei der Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Klage und beantragte dabei die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids vom 10. Mai 2016.
22 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wirft die Klage drei Fragen hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie 2006/112 auf.
23 Was erstens die von C im Zeitraum vom 17. März 2011 bis zum 31. August 2011 an die Gesellschaft SM SRL erbrachten Dienstleistungen betrifft, stellt dieses Gericht fest, dass C am 31. August 2011 eine Rechnung ausgestellt habe.
24 Um die Rechtmäßigkeit dieses Ansatzes zu beurteilen, sei zu prüfen, ob die fraglichen Dienstleistungen unter Art. 64 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 fielen, der durch Art. 1341 Abs. 8 des Steuergesetzbuchs in rumänisches Recht umgesetzt worden sei.
25 Nach der letztgenannten Bestimmung könnten die Steuerpflichtigen vorsehen, dass die Abrechnung ihrer Leistungen in einem Zeitraum von bis zu einem Jahr erfolge, wenn es sich um „kontinuierlich erbrachte Dienstleistungen“ handele. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung werde durch eine nicht abschließende Liste von Dienstleistungen begrenzt.
26 Sollte sich herausstellen, dass die der Gesellschaft SM erbrachten Dienstleistungen unter Art. 1341 Abs. 8 des Steuergesetzbuchs fielen, hätte die rumänische Finanzverwaltung zu Unrecht angenommen, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Erbringung dieser Dienstleistungen durch C eingetreten seien und C folglich verpflichtet gewesen sei, spätestens am 15. Tag des auf diese Dienstleistungserbringung folgenden Monats Rechnungen auszustellen.
27 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass aus dem in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit erstellten Gutachten hervorgehe, dass die fraglichen Dienstleistungen tatsächlich kontinuierlich erbracht worden seien. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass diese Dienstleistungen zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen geführt hätten.
28 Zweitens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass C für die im Zeitraum von November 2010 bis Oktober 2011 erbrachten Dienstleistungen am 3. Oktober 2011 eine Rechnung ausgestellt und am 1. November 2011 Mehrwertsteuer vereinnahmt habe, als sie die Vergütung erhalten habe. Dieser Ansatz sei dadurch gerechtfertigt gewesen, dass die Zahlung an die Bedingung geknüpft gewesen sei, dass dem Empfänger dieser Dienstleistungen Mittel zur Verfügung gestanden hätten.
29 Die rumänische Finanzverwaltung sei der Ansicht gewesen, dass eine solche Bedingung es nicht erlaube, den Steuertatbestand und den Steueranspruch der Mehrwertsteuer zu trennen, wobei C Dienstleistungen ab dem Zeitpunkt ihrer Bestellung als Insolvenzverwalter oder Liquidator erbracht habe.
30 C dagegen stützt sich auf das Urteil vom 3. September 2015, Asparuhovo Lake Investment Company (C-463/14, EU:C:2015:542, Rn. 35), um geltend zu machen, dass die „Zahlung“ durch einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Umsatz und der Gegenleistung gekennzeichnet sei. So habe vor der fraglichen Zahlung weder ein Austausch gegenseitiger Leistungen noch ein steuerbarer Umsatz stattgefunden.
31 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob der von der rumänischen Finanzverwaltung vertretene Standpunkt mit den Art. 63, 64 und 66 der Richtlinie 2006/112 vereinbar ist.
32 Drittens und letztens gewährte DDKK, eine Bürgerliche Gesellschaft von Rechtsanwälten, C auf der Grundlage einer am 8. Dezember 2009 geschlossenen Kooperationsvereinbarung eine finanzielle Unterstützung und gewährte ihr das Recht, ihren Namen und ihr Logo zu verwenden.
33 Nach Ansicht der rumänischen Finanzverwaltung war diese Vereinbarung Teil einer Marketingstrategie, mit der Kunden bei der Aufnahme der Tätigkeit von C als Verwalter oder Liquidator insolventer Unternehmen hätten angezogen werden sollen. Sie habe den Abzug der Vorsteuer, die in den von DDKK gemäß dieser Vereinbarung ausgestellten Rechnungen ausgewiesen worden sei, jedoch deshalb abgelehnt, weil C nicht nachgewiesen habe, dass die von DDKK erbrachten Dienstleistungen für die Zwecke ihrer besteuerten Umsätze verwendet worden seien.
34 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass C, um ihr Recht auf Vorsteuerabzug nach Art. 145 Abs. 2 Buchst. a des Steuergesetzbuchs geltend machen zu können, das Bestehen eines „direkten und unmittelbaren Zusammenhangs“ zwischen den von ihr vorgenommenen Eingangserwerben und den von ihr getätigten Ausgangsumsätzen nachweisen müsse. Das Urteil vom 25. November 2021, Amper Metal (C-334/20, EU:C:2021:961), gebe insoweit Anhaltspunkte, erlaube es aber nicht, das erforderliche Beweismaß zu bestimmen. Im vorliegenden Fall habe C der rumänischen Finanzverwaltung die von DDKK geschlossene Kooperationsvereinbarung und die von dieser ausgestellten Rechnungen vorgelegt. Außerdem habe C eine Steigerung ihres Umsatzes und des Betrags ihrer besteuerten Umsätze angegeben.
35 Darüber hinaus weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der bei ihm anhängige Rechtsstreit neben den drei Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2006/112 eine Frage nach den Verteidigungsrechten aufwerfe.
36 Im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Steuerbescheid vom 13. August 2015 habe die rumänische Finanzverwaltung nämlich neue Sach- und Rechtsgründe berücksichtigt. C trage vor, sie habe unter Missachtung der Verteidigungsrechte und unter Verstoß gegen Art. 213 der Steuerverfahrensordnung, der die im Rahmen eines Einspruchs durchgeführte Prüfung auf die Sach- und Rechtsgründe beschränke, die beim Erlass des angefochtenen Bescheids berücksichtigt worden seien, nicht die Möglichkeit gehabt, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen.
37 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Gerichtshof in Rn. 79 des Urteils vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041), entschieden habe, dass eine Verletzung der Verteidigungsrechte, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör, nur dann zur Nichtigerklärung der am Ende des fraglichen Verwaltungsverfahrens ergangenen Entscheidung führe, wenn dieses Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Aus Rn. 73 jenes Urteils gehe hervor, dass auch dann keine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliege, wenn die Vollziehung eines Steuerbescheids bis zu seiner etwaigen Änderung ausgesetzt werde.
38 Im vorliegenden Fall sei C einstweiliger Rechtsschutz gewährt worden, und zwar durch die Aussetzung des Steuerbescheids vom 13. August 2015 bis zum Erlass einer Entscheidung in der Sache durch das vorlegende Gericht. Außerdem habe C im Rahmen des bei diesem Gericht anhängigen Rechtsstreits Einwände gegen die von der rumänischen Finanzverwaltung im Einspruchsverfahren herangezogenen neuen Gründe vorgebracht.
39 Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Stehen die Art. 63, 64 und 66 der Richtlinie 2006/112 einer steuerbehördlichen Verwaltungspraxis wie der im vorliegenden Fall in Rede stehenden entgegen, einem Steuerpflichtigen – hier einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung (SPRL) in Form eines Zusammenschlusses von Insolvenzpraktikern zur Berufsausübung – zusätzliche Zahlungsverpflichtungen aufzuerlegen und für den Steuertatbestand sowie den Steueranspruch auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Dienstleistungen im Rahmen von Insolvenzverfahren erbracht wurden – wobei die Vergütung des Insolvenzpraktikers vom Insolvenzgericht oder von der Gläubigerversammlung festgesetzt wurde –, wenn sich hieraus eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen ableitet, Rechnungen spätestens am 15. Tag des Folgemonats nach Eintritt des Mehrwertsteuertatbestands auszustellen?
2. Stehen die Art. 63, 64 und 66 der Richtlinie 2006/112 einer steuerbehördlichen Verwaltungspraxis wie der im vorliegenden Fall in Rede stehenden entgegen, einem Steuerpflichtigen – hier einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung (SPRL) in Form eines Zusammenschlusses von Insolvenzpraktikern zur Berufsausübung – zusätzliche Zahlungsverpflichtungen aufzuerlegen, weil der Steuerpflichtige erst zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Zahlungen für die im Rahmen von Insolvenzverfahren erbrachten Dienstleistungen Rechnungen ausgestellt und die Mehrwertsteuer eingezogen hat, auch wenn die Gläubigerversammlung beschlossen hat, dass die Zahlung der Vergütung des Insolvenzpraktikers von verfügbaren Mitteln auf den Konten der Schuldner abhängt?
3. Genügt es für die Gewährung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Fall einer Marken-Kooperationsvereinbarung (Co-Branding) zwischen einer Anwaltskanzlei und dem Steuerpflichtigen, dass der Steuerpflichtige für den Nachweis eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen den vorgelagerten Erwerben des Steuerpflichtigen und den Ausgangsumsätzen eine auf den Abschluss der Vereinbarung folgende Steigerung des Umsatzes bzw. des Werts der steuerpflichtigen Vorgänge ohne weitere Belege nachweist? Wenn ja, welche Kriterien sind zu berücksichtigen, um den konkreten Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug festzulegen?
4. Ist der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte dahin auszulegen, dass, wenn im Rahmen von nationalen Verwaltungsverfahren zur Entscheidung über einen Einspruch gegen einen Steuerbescheid, mit dem zusätzlich zu zahlende Mehrwertsteuer festgesetzt wurde, gegenüber den Sach- und Rechtsgründen im dem Steuerbescheid zugrunde liegenden Steuerprüfungsbericht neue Sach- und Rechtsgründe berücksichtigt worden sind und dem Steuerpflichtigen bis zur Entscheidung des Gerichts der Hauptsache durch Aussetzung des Forderungstitels einstweiliger Rechtsschutz gewährt worden ist, das erkennende Gericht ohne Prüfung, ob das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, davon ausgehen kann, dass dieser Grundsatz nicht verletzt worden ist?
Zum Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens
40 Das vorlegende Gericht hat beantragt, die vorliegende Rechtssache einem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, da der Ausgangsrechtsstreit seit 2016 bei ihm anhängig sei.
41 Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen dieser Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.
42 Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass das vorlegende Gericht verpflichtet wäre, innerhalb einer bestimmten Frist zu entscheiden, oder dass die von C im Jahr 2016 bei ihm erhobene Klage dringend behandelt worden wäre (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Oktober 2010, N. S. u. a., C-411/10, EU:C:2010:575, Rn. 8).
43 Zu dem letztgenannten Punkt genügt der Hinweis, dass das vorlegende Gericht am 15. Juli 2021 beschlossen hat, dem Gerichtshof sein Vorabentscheidungsersuchen zu übermitteln. Es hat das Ersuchen jedoch erst am 8. November 2022 eingereicht.
44 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich das Erfordernis der raschen Erledigung eines beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits nicht allein daraus ergeben kann, dass das vorlegende Gericht verpflichtet ist, eine zügige Beilegung des Rechtsstreits sicherzustellen (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gmina Wieliszew, C-698/20, EU:C:2022:787, Rn. 50).
45 Schließlich hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass das bloße – wenn auch legitime – Interesse der Rechtsuchenden daran, den Umfang der ihnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte möglichst schnell zu klären, keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt, der die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. Januar 2012, Arslan, C-534/11, EU:C:2012:4, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Unter diesen Umständen hat der Präsident des Gerichtshofs mit Entscheidung vom 21. Dezember 2022 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts den Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens nach Art. 105 der Verfahrensordnung zurückgewiesen.
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit der Fragen
47 Erstens ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof mit seiner ersten und seiner zweiten Frage um Auslegung der Art. 63, 64 und 66 der Richtlinie 2006/112 ersucht.
48 Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht jedoch hervor, dass das vorlegende Gericht in Wirklichkeit nicht die Auslegung von Art. 63 der Richtlinie 2006/112 als solche klären möchte, sondern den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 63.
49 Insoweit geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen auch hervor, dass Art. 64 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112 in der ursprünglichen Fassung durch Art. 1341 Abs. 7 und 8 des Steuergesetzbuchs in rumänisches Recht umgesetzt wurde.
50 Dagegen ist der Gerichtshof nicht in der Lage, festzustellen, ob Art. 66 Abs. 1 dieser Richtlinie, bei dem es sich um eine fakultativ anwendbare Bestimmung handelt, zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits in rumänisches Recht umgesetzt worden war. Die rumänische Regierung macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Im Übrigen ermöglichen es die ihm vorliegenden Informationen dem Gerichtshof nicht, die Erheblichkeit dieser Bestimmung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zu beurteilen.
51 Da das Vorabentscheidungsersuchen als Grundlage des mit Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens dient, ist das nationale Gericht jedoch verpflichtet, direkt in diesem Ersuchen den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits darzulegen und die erforderlichen Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang zu geben, den es zwischen diesen Vorschriften und der auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Regelung herstellt (Urteil vom 8. Juni 2023, Lyoness Europe, C-455/21, EU:C:2023:455, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Diese kumulativen Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens werden ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführt, den das vorlegende Gericht sorgfältig zu beachten hat. Darauf wird auch in den Nrn. 13, 15 und 16 der Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) hingewiesen (Urteil vom 8. Juni 2023, Lyoness Europe, C-455/21, EU:C:2023:455, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 In Anbetracht dieser Erwägungen ist festzustellen, dass die erste und die zweite Frage unzulässig sind, soweit sie die Auslegung von Art. 66 der Richtlinie 2006/112 betreffen.
54 Zweitens betrifft die dritte Frage die Ausübung des in Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Rechts auf Vorsteuerabzug. Das vorlegende Gericht fragt sich zum einen nach den Beweisen, die der Steuerpflichtige den Finanzbehörden vorlegen muss, um dieses Recht in Anspruch nehmen zu können, und zum anderen nach dessen Umfang.
55 Die dem Gerichtshof vorliegenden Informationen betreffen jedoch nur den ersten Teil der dritten Frage, so dass er weder die Gründe für die Fragen des vorlegenden Gerichts zum Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug noch die Nützlichkeit einer entsprechenden Antwort bestimmen kann. Unter diesen Umständen ist der zweite Teil der dritten Frage unzulässig.
Zur ersten Frage
56 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen im Wesentlichen feststellt, dass die in C zusammengeschlossenen Insolvenzverwalter und Liquidatoren Dienstleistungen für Unternehmen, die sich in Insolvenzverfahren befinden, nicht punktuell, sondern kontinuierlich während eines bestimmten Zeitraums erbringen.
57 Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage vom Gerichtshof wissen möchte, ob Art. 64 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass während eines bestimmten Zeitraums kontinuierlich erbrachte Dienstleistungen wie diejenigen, die nach rumänischem Recht von Insolvenzverwaltern und Liquidatoren zugunsten von Unternehmen erbracht werden, die sich in Insolvenzverfahren befinden, in den Anwendungsbereich von Abs. 1 bzw. 2 dieses Artikels fallen.
58 Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 im Licht ihres Art. 63 auszulegen ist, da die erstgenannte Bestimmung untrennbar mit Letzterer verbunden ist (Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 34).
59 Nach Art. 63 ist für Steuertatbestand und Steueranspruch auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Nach Art. 64 Abs. 1 gelten Dienstleistungen, wenn sie zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben, im Sinne von Art. 63 als mit Ablauf des Zeitraums bewirkt, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 35).
60 Aus der Anwendung dieser beiden Bestimmungen in Verbindung miteinander ergibt sich, dass bei Leistungen, die zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben, der Steuertatbestand und der Steueranspruch mit Ablauf des Zeitraums entstehen, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61 In Bezug auf die Wendung „Leistungen, die zu aufeinanderfolgenden Zahlungen Anlass geben“ hat der Gerichtshof bestätigt, dass sie sich nur auf Leistungen bezieht, die gerade ihrer Art nach eine Ratenzahlung rechtfertigen, d. h. solche, die nicht einmalig, sondern wiederholt oder kontinuierlich während eines bestimmten Zeitraums erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 37 bis 39).
62 Diese Feststellung gilt entsprechend für den zweiten von Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 erfassten Fall, d. h., wenn „Leistungen zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen Anlass geben“.
63 Die Anwendung von Art. 64 Abs. 1 dieser Richtlinie als rechtliche Regelung zur Bestimmung des Zeitpunkts der Entstehung der Steuerschuld ist zudem nur geboten, wenn der Zeitpunkt oder die Zeitpunkte der tatsächlichen Erbringung der Leistungen nicht eindeutig sind und zu unterschiedlichen Beurteilungen Anlass geben können, was dann der Fall ist, wenn die Leistungen in Anbetracht ihres kontinuierlichen oder wiederkehrenden Charakters in einem oder mehreren bestimmten Zeiträumen erbracht werden (Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 45).
64 Ist dagegen der Zeitpunkt der Erbringung der Leistung eindeutig, insbesondere wenn es sich um eine einmalige Leistung handelt und ihr Beendigungszeitpunkt anhand des Vertragsverhältnisses zwischen den Umsatzbeteiligten exakt bestimmbar ist, kann Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht angewandt werden, ohne den ausdrücklichen Wortlaut von Art. 63 dieser Richtlinie zu missachten (Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 46).
65 Zum anderen geht aus dem Wortlaut von Art. 64 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 eindeutig hervor, dass sich diese Bestimmung ebenso wie Art. 64 Abs. 1 auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen bezieht, die während eines bestimmten Zeitraums kontinuierlich erfolgen.
66 Ferner geht daraus hervor, dass Art. 64 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Richtlinie eine Regelung vorsieht, deren Umsetzung fakultativ ist, so dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu entscheiden, ob sie diese Regelung anwenden wollen. Der nationale Gesetzgeber verfügt insoweit über einen gewissen Handlungsspielraum, da diese Bestimmung nur regelt, dass ihre Anwendung „[i]n bestimmten … Fällen“ vorgesehen werden kann, wobei die einzige – in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführte – Präzisierung die Kontinuität der Leistungen betrifft.
67 Wie in Rn. 49 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat der rumänische Gesetzgeber tatsächlich beschlossen, diese Bestimmung durch den Erlass von Art. 1341 Abs. 8 des Steuergesetzbuchs umzusetzen, dessen Anwendungsbereich kontinuierlich erfolgende Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, „die nicht unter Abs. 7 [dieses Art. 1341] fallen“, umfasst. Folglich ist die Anwendung von Art. 1341 Abs. 8 des Steuergesetzbuchs ausgeschlossen, wenn es um kontinuierlich erbrachte Dienstleistungen geht, „die zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben“, so dass sie unter Art. 1341 Abs. 7 fallen, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.
68 Um festzustellen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen unter Art. 64 Abs. 1 oder Art. 64 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112, so wie sie in rumänisches Recht umgesetzt worden sind, fallen, hat das vorlegende Gericht somit die Natur dieser Leistungen zu beurteilen, d. h., ob sie tatsächlich während eines bestimmten Zeitraums kontinuierlich erbracht werden und ob sie insbesondere Anlass zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen geben.
69 Für alle Fälle ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, dass, was insbesondere die SM erbrachten Dienstleistungen anbelangt, C zum Liquidator dieser Gesellschaft bestellt wurde und dass eine monatliche Vergütung von 1 000,00 rumänischen Lei (RON) (etwa 240 Euro) und eine Erfolgsvergütung von 10 % festgesetzt wurden. Außerdem haben die rumänische Regierung und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hingewiesen, dass nach rumänischem Recht, d. h. Art. 21 Abs. 1 und 11 sowie Art. 24 des Gesetzes Nr. 85/2006 über das Insolvenzverfahren in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung, Insolvenzverwalter und Liquidatoren monatliche Berichte über die erbrachten Dienstleistungen und die ihnen geschuldete Vergütung vorlegen.
70 Aus dem Vorstehenden ergibt sich vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Überprüfungen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen geführt haben und daher nicht in den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112, wie er durch Art. 1341 Abs. 8 des Steuergesetzbuchs in rumänisches Recht umgesetzt wurde, sondern unter Art. 64 Abs. 1 dieser Richtlinie fallen, der durch Art. 1341 Abs. 7 dieses Gesetzbuchs in rumänisches Recht umgesetzt wurde.
71 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 64 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass während eines bestimmten Zeitraums kontinuierlich erbrachte Dienstleistungen wie diejenigen, die nach rumänischem Recht von Insolvenzverwaltern und Liquidatoren zugunsten von Unternehmen erbracht werden, die sich in Insolvenzverfahren befinden, in den Anwendungsbereich von Abs. 1 dieses Artikels fallen, da diese Dienstleistungen – vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Überprüfungen – zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben.
Zur zweiten Frage
72 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass aus der Antwort auf die erste Frage hervorgeht, dass Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden grundsätzlich in den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 fallen.
73 Außerdem könnte die zweite Frage ihrem Wortlaut nach dahin verstanden werden, dass damit der Zeitpunkt geklärt werden soll, zu dem die Rechnungen ausgestellt werden müssen und die Mehrwertsteuer vereinnahmt werden muss. Wie jedoch aus den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, betrifft diese Frage ebenso wie die erste die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem der Steuertatbestand eintritt, und des Zeitpunkts, zu dem der Steueranspruch entsteht.
74 Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung in dem Fall, dass die Zahlung der Vergütung für in ihren Anwendungsbereich fallende Leistungen wegen unzureichender Mittel auf den Konten des Schuldners nicht erfolgen kann, die Annahme zulässt, dass der Mehrwertsteueranspruch erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Vereinnahmung der Vergütung entsteht.
75 Wie in Rn. 60 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ergibt sich aus Art. 63 in Verbindung mit Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112, dass bei Leistungen, die zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben, der Steuertatbestand und der Steueranspruch mit Ablauf des Zeitraums entstehen, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen.
76 Der so nach Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmte Zeitpunkt ist für die Steuerpflichtigen verbindlich.
77 Nach Art. 63 der Richtlinie 2006/112 im Licht ihres 24. Erwägungsgrundes sind nämlich die Entstehung der Mehrwertsteuer und der entsprechende Steueranspruch keine Elemente, die zur freien Disposition der Parteien eines Vertrags stehen. Der Unionsgesetzgeber wollte vielmehr den Zeitpunkt, zu dem die Steuerschuld in allen Mitgliedstaaten entsteht, so weit wie möglich harmonisieren, um eine einheitliche Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten (Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 47).
78 Daher erlaubt es Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht, die Entstehung der Steuer und den Steueranspruch von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass die Vergütung, die für die innerhalb eines bestimmten Zeitraums erbrachten Dienstleistungen geschuldet wird, tatsächlich vereinnahmt wird. Vielmehr entsteht der Steueranspruch mit Ablauf dieses Zeitraums, d. h. zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zahlung dieser Vergütung normalerweise geschuldet wird, unveränderlich, auch wenn diese Zahlung aus irgendeinem Grund, auch wegen fehlender Mittel auf dem Konto des Schuldners, nicht vereinnahmt worden ist.
79 Diese Auslegung von Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 wird durch die Systematik dieser Richtlinie bestätigt.
80 Die Richtlinie 2006/112 schließt es nämlich nicht aus, dass der Mehrwertsteueranspruch spätestens bei der Ausstellung der Rechnung oder bei der Vereinnahmung des Preises entstehen kann. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Möglichkeit, die von den Mitgliedstaaten nach Art. 66 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie abweichend von den Art. 63 bis 65 dieser Richtlinie nur für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen umgesetzt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 49).
81 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Fälle, in denen der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen oder einer Dienstleistung eine Forderung, die er aufgrund des mit dem Lieferer oder Dienstleistungserbringer geschlossenen Vertrags schuldet, nicht oder nur teilweise erfüllt, durch eine besondere Bestimmung der Richtlinie 2006/112 geregelt wird, nämlich Art. 90 Abs. 1, der eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage u. a. im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung nach der Bewirkung des Umsatzes vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Zahlungen], C-324/20, EU:C:2021:880, Rn. 57 und 60).
82 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung in dem Fall, dass die Zahlung der Vergütung für in ihren Anwendungsbereich fallende Leistungen wegen unzureichender Mittel auf den Konten des Schuldners nicht erfolgen kann, nicht die Annahme zulässt, dass der Mehrwertsteueranspruch erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Vereinnahmung der Vergütung entsteht.
Zur dritten Frage
83 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass es für die Feststellung eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätzen genügt, dass der Steuerpflichtige neben dem dem Eingangsumsatz zugrunde liegenden Vertrag und den entsprechenden Rechnungen Belege vorlegt, die eine Steigerung des Umsatzes bzw. des Umfangs der besteuerten Umsätze aufzeigen, die auf diesen Eingangsumsatz zurückzuführen sein sollen.
84 Gemäß Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 ist der Steuerpflichtige, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden.
85 Insoweit geht aus ständiger Rechtsprechung hervor, dass das Vorsteuerabzugsrecht integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Es kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Soweit ein Steuerpflichtiger zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands oder einer Dienstleistung als solcher handelt und den Gegenstand bzw. die Dienstleistung für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, ist er berechtigt, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung abzuziehen (Urteil vom 25. November 2021, Amper Metal, C-334/20, EU:C:2021:961, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
86 Der Gerichtshof hat klargestellt, dass grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen muss, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer setzt voraus, dass die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (Urteil vom 8. September 2022, Finanzamt R [Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag], C-98/21, EU:C:2022:645, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
87 Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (Urteil vom 8. September 2022, Finanzamt R [Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag], C-98/21, EU:C:2022:645, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
88 In beiden Fällen ist es erforderlich, dass die Kosten der Eingangsgegenstände oder -leistungen jeweils Eingang in den Preis bestimmter Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen finden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit liefert bzw. erbringt (Urteil vom 8. September 2022, Finanzamt R [Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag], C-98/21, EU:C:2022:645, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
89 Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass das Bestehen von Zusammenhängen zwischen Umsätzen anhand des objektiven Inhalts der betreffenden Umsätze zu beurteilen ist. Die Finanzverwaltungen und die nationalen Gerichte haben konkret alle Umstände zu berücksichtigen, unter denen die betreffenden Umsätze ausgeführt wurden, und nur die Umsätze heranzuziehen, die objektiv im Zusammenhang mit der der Steuer unterliegenden Tätigkeit des Steuerpflichtigen stehen. In diesem Sinne ist entschieden worden, dass die tatsächliche Verwendung der vom Steuerpflichtigen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen und der ausschließliche Grund für diesen Erwerb, der als ein Kriterium für die Bestimmung des objektiven Inhalts anzusehen ist, zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 28, und vom 8. September 2022, Finanzamt R [Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag], C-98/21, EU:C:2022:645, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
90 Steht fest, dass ein Umsatz nicht für die Zwecke der der Steuer unterliegenden Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen getätigt wurde, kann nicht von einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen ihm und diesen Tätigkeiten im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgegangen werden, selbst wenn dieser Umsatz in Anbetracht seines objektiven Inhalts mehrwertsteuerpflichtig ist (Urteil vom 8. November 2018, C&D Foods Acquisition, C-502/17, EU:C:2018:888, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
91 Sollten die entsprechenden Ausgaben teilweise auch eine von der Steuer befreite oder eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen betreffen, könnte die darauf entrichtete Vorsteuer nur anteilig abgezogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
92 Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass C der rumänischen Finanzverwaltung Unterlagen vorgelegt hat, die eine Steigerung ihres Umsatzes bzw. des Umfangs ihrer besteuerten Umsätze belegen.
93 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist jedoch davon auszugehen, dass solche Umstände für sich genommen der rumänischen Finanzverwaltung nicht die Feststellung ermöglichen können, dass zwischen den C auf der Grundlage der mit DDKK geschlossenen Kooperationsvereinbarung erbrachten Dienstleistungen und den von C auf der Ausgangsstufe erbrachten, zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätzen ein Zusammenhang besteht.
94 Diese Feststellung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, aus der hervorgeht, dass Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug weder von einem Kriterium abhängig macht, das sich auf eine Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen bezieht, noch – allgemeiner – von einem Kriterium der wirtschaftlichen Rentabilität des Eingangsumsatzes. Insbesondere kann das Fehlen einer Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen keine Auswirkung auf die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts haben. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet nämlich, wie in Rn. 85 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Daher bleibt das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug bestehen, selbst wenn die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit später nicht ausgeübt wurde und somit nicht zu besteuerten Umsätzen führte oder wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen steuerpflichtiger Umsätze verwenden konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. November 2021, Amper Metal, C-334/20, EU:C:2021:961, Rn. 30 und 35).
95 Allerdings geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass es im vorliegenden Fall andere Anhaltspunkte gibt, die den erforderlichen Zusammenhang zwischen den in Rede stehenden von C bewirkten Umsätzen und ihrer der Steuer unterliegenden Tätigkeit im Sinne der in Rn. 89 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung herstellen könnten und die die tatsächliche Verwendung der von C auf der Grundlage der mit DDKK geschlossenen Kooperationsvereinbarung erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen sowie den Grund dieses Erwerbs betreffen.
96 Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht nämlich hervor, dass gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. c und d des Gesetzes Nr. 85/2006 über das Insolvenzverfahren die interessierten Insolvenzverwalter und Liquidatoren, um ihre Dienstleistungen im Rahmen eines bestimmten Insolvenzverfahrens anbieten zu können, entsprechende Angebote einreichen und es grundsätzlich Sache der Gläubiger des von dem Verfahren betroffenen Unternehmens ist, einen von ihnen zu benennen. In Anbetracht dieses rechtlichen Kontexts hat sich die rumänische Finanzverwaltung bereits zum Grund des fraglichen Umsatzes geäußert und festgestellt, dass die Kooperationsvereinbarung zwischen C und DDKK Teil einer Marketingstrategie gewesen sei, mit der Kunden im Hinblick auf die Aufnahme der Tätigkeit von C als Verwalter oder Liquidator insolventer Unternehmen hätten angezogen werden sollen.
97 Außerdem erscheint es, was die tatsächliche Durchführung dieser Kooperationsvereinbarung betrifft, von Bedeutung, dass C vor dem vorlegenden Gericht geltend gemacht hat, dass auf den Unterlagen, die sie Dritten vorlege, der Handelsname von DDKK angegeben werde.
98 Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die Richtigkeit der oben angeführten Umstände zu beurteilen und sie zusammen mit allen anderen Umständen, unter denen die in Rede stehenden von C getätigten Ausgangsumsätze stattgefunden haben sollen, zu berücksichtigen, um zu beurteilen, ob im vorliegenden Fall ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangsumsätzen und zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätzen besteht.
99 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass zur Feststellung eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätzen der objektive Inhalt dieser Umsätze zu bestimmen ist, wofür alle Umstände zu berücksichtigen sind, unter denen diese Umsätze getätigt wurden, d. h. insbesondere die tatsächliche Verwendung der vom Steuerpflichtigen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen sowie der ausschließliche Grund für diesen Erwerb, ohne dass eine Steigerung des Umsatzes bzw. des Umfangs der besteuerten Umsätze insoweit relevant wäre.
Zur vierten Frage
100 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht mit einer Klage gegen eine auf einen Einspruch hin ergangene Verwaltungsentscheidung befasst ist und meint, dass diese Entscheidung unter Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte erlassen worden sei.
101 Insoweit geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die rumänische Finanzverwaltung im vorliegenden Fall einen Steuerbescheid erlassen hat, mit dem sie Unregelmäßigkeiten u. a. in Bezug auf den von C zugrunde gelegten Zeitpunkt der Entstehung des Mehrwertsteueranspruchs festgestellt hat. Dieser Bescheid wurde am Ende eines Einspruchsverfahrens teilweise bestätigt, allerdings auf der Grundlage neuer Sach- und Rechtsgründe, ohne dass C indessen aufgefordert worden wäre, hierzu Stellung zu nehmen.
102 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist diese Verletzung der Verteidigungsrechte für die Entscheidung über die Klage nicht unbedingt ausschlaggebend. Sie würde nämlich nur dann zur Nichtigerklärung der auf den Einspruch von C hin erlassenen Entscheidung führen, wenn sich herausstellen sollte, dass das Einspruchsverfahren ohne diese Verletzung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Das vorlegende Gericht möchte jedoch wissen, ob es die bei ihm anhängige Klage – ohne eine solche Analyse vorzunehmen – mit der Begründung abweisen kann, dass der Steuerbescheid vom 13. August 2015 auf Antrag von C ausgesetzt worden sei.
103 Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner vierten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte dahin auszulegen ist, dass eine im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens über einen Einspruch gegen einen Mehrwertsteuerbescheid erlassene Entscheidung, die die zuständige Behörde auf neue Sach- und Rechtsgründe gestützt hat, zu denen der Betroffene nicht Stellung nehmen konnte, für nichtig erklärt werden muss, auch wenn auf Antrag des Betroffenen die Vollziehung des Steuerbescheids parallel zu der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage ausgesetzt wird.
104 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Wahrung der Verteidigungsrechte ein tragender Grundsatz des Unionsrechts ist, mit dem der Anspruch darauf, in jedem Verfahren gehört zu werden, untrennbar verbunden ist (Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
105 Nach diesem Grundsatz, der anwendbar ist, wann immer die Verwaltung beabsichtigt, gegenüber einer Person eine sie beschwerende Maßnahme zu erlassen, müssen die Adressaten von Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar beeinträchtigen, in die Lage versetzt werden, ihren Standpunkt zu den Elementen, auf die die Verwaltung ihre Entscheidung zu stützen beabsichtigt, sachdienlich vorzutragen (Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
106 Diese Verpflichtung trifft die Behörden der Mitgliedstaaten, wenn sie Entscheidungen erlassen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, auch dann, wenn die anwendbare Regelung eine solche Formalität nicht ausdrücklich vorsieht (Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
107 Im vorliegenden Fall ist dies tatsächlich der Fall. Der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte ist nämlich in Situationen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anzuwenden, in denen ein Mitgliedstaat einen Steuerpflichtigen einer Steuerprüfung unterzieht, um seine sich aus der Anwendung des Unionsrechts ergebende Verpflichtung zu erfüllen, alle legislativen und administrativen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen (Urteil vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary, C-189/18, EU:C:2019:861, Rn. 40).
108 Im Übrigen soll die Regel, wonach der Adressat einer beschwerenden Entscheidung in die Lage versetzt werden muss, seinen Standpunkt vorzutragen, bevor die Entscheidung getroffen wird, der zuständigen Behörde erlauben, alle maßgeblichen Gesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen. Zur Gewährleistung eines wirksamen Schutzes der betroffenen Person oder des betroffenen Unternehmens soll die Regel diesen insbesondere ermöglichen, einen Fehler zu berichtigen oder individuelle Umstände vorzutragen, die für oder gegen den Erlass oder für oder gegen einen bestimmten Inhalt der Entscheidung sprechen (Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
109 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und der in Rn. 101 des vorliegenden Urteils zusammengefassten tatsächlichen Umstände könnte im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass das Recht von C, vor dem Erlass eines sie beschwerenden Rechtsakts gehört zu werden, von der rumänischen Finanzverwaltung möglicherweise verletzt wurde, was das vorlegende Gericht festzustellen hat.
110 Dies wäre jedoch dann nicht der Fall, wenn die Unmöglichkeit für C, ihren Standpunkt zu den im Rahmen des Einspruchsverfahrens berücksichtigten neuen Sach- und Rechtsgründen geltend zu machen, nicht auf einen Fehler der Verwaltung zurückzuführen wäre, sondern auf die Anwendung einer Verfahrensvorschrift, mit der ein anerkanntes dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgt wird, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
111 Nach ständiger Rechtsprechung sind die Grundrechte, wie etwa die Wahrung der Verteidigungsrechte, nämlich nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen, die mit der fraglichen Maßnahme verfolgt werden, und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
112 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine nachträgliche Anhörung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine nachteilige Entscheidung unter bestimmten Voraussetzungen geeignet sein kann, die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu gewährleisten (Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
113 Insbesondere kann im Hinblick auf das allgemeine Interesse der Union an der schnellstmöglichen Erhebung ihrer Eigenmittel – was impliziert, dass Steuerprüfungen rasch und wirksam durchgeführt werden können – eine Beschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor dem Erlass einer beschwerenden Entscheidung wie einer Zahlungsaufforderung gerechtfertigt sein, wenn zum einen der Betroffene bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen diese Entscheidung tatsächlich in der Lage ist, den Erlass einstweiliger Anordnungen zu beantragen, die zur Aussetzung der fraglichen Entscheidung führen, und zum anderen der entsprechende Rechtsbehelf es ihm ermöglicht, seinen Standpunkt in sachdienlicher Weise geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 54, 66, 67 und 71).
114 Die in den Rn. 111 bis 113 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung betrifft die Möglichkeit, eine im nationalen Recht vorgesehene Beschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu rechtfertigen. In Anbetracht der vom vorlegenden Gericht dargelegten rechtlichen und tatsächlichen Umstände scheint jedoch im vorliegenden Fall keine solche Beschränkung zu bestehen, was indessen vom vorlegenden Gericht festzustellen ist.
115 Die dem Gerichtshof vorliegenden Akten enthalten nämlich keinen Anhaltspunkt dafür, dass Art. 213 der Steuerverfahrensordnung, der nach den Angaben des vorlegenden Gerichts das Einspruchsverfahren regelt, eine Beschränkung des Anspruchs des Einspruchsführers auf rechtliches Gehör für den Fall vorsieht, dass die rumänische Finanzverwaltung ihre Entscheidung auf neue Sach- und Rechtsgründe stützen möchte, zu denen der Betroffene nicht Stellung nehmen konnte. Vielmehr geht aus seiner vierten Frage und den dazu dargelegten Erwägungen hervor, dass das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass die Nichtanhörung von C vor dem Erlass der Entscheidung über ihren Einspruch tatsächlich eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende „Regelwidrigkeit“ darstelle.
116 Wie das vorlegende Gericht zu Recht ausgeführt hat, muss jedoch nicht jede Verletzung der Verteidigungsrechte in einem Verwaltungsverfahren zwangsläufig zur Nichtigerklärung der am Ende dieses Verfahrens ergangenen Entscheidung führen.
117 Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass sich, wenn weder die Bedingungen, unter denen die Wahrung der Verteidigungsrechte zu gewährleisten ist, noch die Folgen der Missachtung dieser Rechte unionsrechtlich festgelegt sind, diese Bedingungen und Folgen nach nationalem Recht richten, sofern die in diesem Sinne getroffenen Maßnahmen denen entsprechen, die für den Einzelnen in vergleichbaren unter das nationale Recht fallenden Situationen gelten (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).
118 Diese Beurteilung ist im Bereich der Mehrwertsteuer anzuwenden, da die Richtlinie 2006/112 keine Bestimmungen zu Rechtsbehelfsverfahren enthält, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssten (vgl. entsprechend Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 76).
119 Wenn es den Mitgliedstaaten somit freisteht, die Ausübung der Verteidigungsrechte nach denselben Modalitäten zu erlauben, wie sie für innerstaatliche Sachverhalte festgelegt sind, müssen diese Modalitäten doch im Einklang mit dem Unionsrecht stehen und dürfen insbesondere die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2006/112 nicht in Frage stellen (vgl. entsprechend Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 77).
120 Allerdings hat die dem nationalen Gericht demnach obliegende Verpflichtung, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, nicht immer die Nichtigerklärung einer Entscheidung zur Folge, wenn sie unter Verletzung der Verteidigungsrechte erlassen wurde. Eine solche Verletzung, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör, führt nämlich nur dann zur Nichtigerklärung der Entscheidung, die am Ende des fraglichen Verwaltungsverfahrens erlassen wird, wenn das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 78 und 79, vom 20. Dezember 2017, Prequ’ Italia, C-276/16, EU:C:2017:1010, Rn. 62, und vom 4. Juni 2020, C. F. [Steuerprüfung], C-430/19, EU:C:2020:429, Rn. 35). Dagegen ist es unerheblich, dass die Handlung, deren Nichtigerklärung beantragt wird, parallel zu dem gegen diese Handlung eingelegten Rechtsbehelf ausgesetzt wurde.
121 Unter diesen Umständen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, inwieweit das Einspruchsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, wenn C im Lauf dieses Verfahrens angehört worden wäre.
122 Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte dahin auszulegen ist, dass eine am Ende eines Verwaltungsverfahrens über einen Einspruch gegen einen Mehrwertsteuerbescheid erlassene Entscheidung, die die zuständige Behörde auf neue Sach- und Rechtsgründe gestützt hat, zu denen der Betroffene nicht Stellung nehmen konnte, für nichtig erklärt werden muss, wenn das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, auch wenn auf Antrag des Betroffenen die Vollziehung des Steuerbescheids parallel zu der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage ausgesetzt wurde.
Kosten
123 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 64 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/117/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
während eines bestimmten Zeitraums kontinuierlich erbrachte Dienstleistungen wie diejenigen, die nach rumänischem Recht von Insolvenzverwaltern und Liquidatoren zugunsten von Unternehmen erbracht werden, die sich in Insolvenzverfahren befinden, in den Anwendungsbereich von Abs. 1 dieses Artikels fallen, da diese Dienstleistungen – vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Überprüfungen – zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben.
2. Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/117 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
diese Bestimmung in dem Fall, dass die Zahlung der Vergütung für in ihren Anwendungsbereich fallende Leistungen wegen unzureichender Mittel auf den Konten des Schuldners nicht erfolgen kann, nicht die Annahme zulässt, dass der Mehrwertsteueranspruch erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Vereinnahmung der Vergütung entsteht.
3. Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/117 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
zur Feststellung eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätzen der objektive Inhalt dieser Umsätze zu bestimmen ist, wofür alle Umstände zu berücksichtigen sind, unter denen diese Umsätze getätigt wurden, d. h. insbesondere die tatsächliche Verwendung der vom Steuerpflichtigen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen sowie der ausschließliche Grund für diesen Erwerb, ohne dass eine Steigerung des Umsatzes bzw. des Umfangs der besteuerten Umsätze insoweit relevant wäre.
4. Der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte
ist dahin auszulegen, dass
eine am Ende eines Verwaltungsverfahrens über einen Einspruch gegen einen Mehrwertsteuerbescheid erlassene Entscheidung, die die zuständige Behörde auf neue Sach- und Rechtsgründe gestützt hat, zu denen der Betroffene nicht Stellung nehmen konnte, für nichtig erklärt werden muss, wenn das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, auch wenn auf Antrag des Betroffenen die Vollziehung des Steuerbescheids parallel zu der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage ausgesetzt wurde.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Rumänisch.