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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

11. April 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Umsatzsteuern – Sonderregelung für Kleinunternehmen – Jahresumsatz – Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen – Nationale Regelung, wonach eine Person bei verspäteter Stellung eines Antrags auf Registrierung der Mehrwertsteuer unterliegt – Sanktionscharakter“

In der Rechtssache C-122/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 25. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 1. März 2023, in dem Verfahren

Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalna agentsia za prihodite

gegen

„Legafact“ EOOD

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen sowie des Richters J. Passer und der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova und R. Stoyanov als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Drambozova und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 (ABl. 2010, L 10, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalna agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer- und Sozialversicherungspraxis“ Sofia bei der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien) (im Folgenden: Direktor) und der „Legafact“ EOOD über einen Steuerprüfungsbescheid, mit dem eine Mehrwertsteuerschuld dieses Unternehmens festgestellt wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Der 49. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„In Bezug auf Kleinunternehmen sollte den Mitgliedstaaten gestattet werden, ihre Sonderregelungen gemäß gemeinsamen Bestimmungen im Hinblick auf eine weiter gehende Harmonisierung beizubehalten.“

4        Art. 2 dieser Richtlinie nennt die Umsätze, die der Mehrwertsteuer unterliegen.

5        Titel XI („Pflichten der Steuerpflichtigen und bestimmter nichtsteuerpflichtiger Personen“) der genannten Richtlinie enthält ein Kapitel 2 („Identifikation“), in dem sich die Art. 213 und 214 befinden. Titel XI Kapitel 7 („Verschiedenes“) der Richtlinie enthält Art. 273.

6        Art. 213 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„(1)      Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen.

Die Mitgliedstaaten legen fest, unter welchen Bedingungen der Steuerpflichtige die Anzeigen elektronisch abgeben darf, und können die elektronische Abgabe der Anzeigen auch vorschreiben.

(2)      Unbeschadet des Absatzes 1 Unterabsatz 1 müssen Steuerpflichtige und nichtsteuerpflichtige juristische Personen, die gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegende innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen bewirken, dies anzeigen, wenn die in Artikel 3 genannten Voraussetzungen für die Nichtanwendung der Mehrwertsteuer nicht mehr erfüllt sind.“

7        Art. 214 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet wie folgt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit folgende Personen jeweils eine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten:

a)      jeder Steuerpflichtige, der in ihrem jeweiligen Gebiet Lieferungen von Gegenständen bewirkt oder Dienstleistungen erbringt, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht und bei denen es sich nicht um Lieferungen von Gegenständen oder um Dienstleistungen handelt, für die die Mehrwertsteuer gemäß den Artikeln 194 bis 197 sowie 199 ausschließlich vom Dienstleistungsempfänger beziehungsweise der Person, für die die Gegenstände oder Dienstleistungen bestimmt sind, geschuldet wird; hiervon ausgenommen sind die in Artikel 9 Absatz 2 genannten Steuerpflichtigen;

b)      jeder Steuerpflichtige und jede nichtsteuerpflichtige juristische Person, der bzw. die gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Mehrwertsteuer unterliegende innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen bewirkt oder von der Möglichkeit des Artikels 3 Absatz 3, seine bzw. ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, Gebrauch gemacht hat;

c)      jeder Steuerpflichtige, der in ihrem jeweiligen Gebiet innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen für die Zwecke seiner Umsätze bewirkt, die sich aus in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ergeben, die er außerhalb dieses Gebiets ausübt;

d)      jeder Steuerpflichtige, der in seinem jeweiligen Gebiet Dienstleistungen empfängt, für die er die Mehrwertsteuer gemäß Artikel 196 schuldet;

e)      jeder Steuerpflichtige, der in seinem jeweiligen Gebiet ansässig ist und Dienstleistungen im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats erbringt, für die gemäß Artikel 196 ausschließlich der Empfänger die Mehrwertsteuer schuldet.

(2)      Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, bestimmten Steuerpflichtigen, die nur gelegentlich Umsätze etwa im Sinne von Artikel 12 bewirken, keine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zu erteilen.“

8        Art. 273 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.

Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.“

9        Titel XII („Sonderregelungen“) der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält ein Kapitel 1 („Sonderregelung für Kleinunternehmen“), in dem sich die Art. 281 bis 292 befinden.

10      Art. 287 dieser Richtlinie bestimmt:

„Mitgliedstaaten, die nach dem 1. Januar 1978 beigetreten sind, können Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung gewähren, wenn ihr Jahresumsatz den in Landeswährung ausgedrückten Gegenwert der folgenden Beträge nicht übersteigt, wobei der Umrechnungskurs am Tag des Beitritts zugrunde zu legen ist:

17.      Bulgarien: 25 600 [Euro];

…“

 Bulgarisches Recht

11      Art. 96 Abs. 1 des Zakon za danak varhu dobavenata stoynost (Mehrwertsteuergesetz, DV Nr. 63 vom 4. August 2006) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZDDS) lautet:

„Jeder im Inland ansässige Steuerpflichtige, der einen steuerbaren Umsatz von mindestens 50 000 [bulgarischen Leva (BGN)] innerhalb eines Zeitraums erzielt hat, der die letzten zwölf aufeinanderfolgenden Monate vor dem laufenden Monat nicht übersteigt, ist verpflichtet, binnen einer Frist von sieben Tagen nach dem Ende des Steuerzeitraums, in dem er diesen Umsatz erreicht hat, einen Antrag auf Registrierung im Sinne dieses Gesetzes zu stellen. Wenn der Umsatz innerhalb eines Zeitraums von höchstens zwei aufeinanderfolgenden Monaten, einschließlich des laufenden Monats, erreicht wird, muss die Person die Registrierung innerhalb von sieben Tagen ab dem Tag, an dem der Umsatz erreicht wurde, beantragen.“

12      Art. 102 ZDDS bestimmt:

„(1)      Stellt die für Einnahmen zuständige Stelle fest, dass eine Person ihrer Verpflichtung, einen Antrag auf Registrierung zu stellen, nicht fristgerecht nachgekommen ist, registriert sie diese mit Registrierungsbescheid, wenn die Voraussetzungen für die Registrierung erfüllt sind.

(2)      In dem in Abs. 1 genannten Bescheid sind der Grund und das Datum der Entstehung der Registrierungspflicht anzugeben.

(3)      … Zur Festsetzung der Steuerschulden einer Person, die verpflichtet war, einen Antrag auf Registrierung zu stellen, diesen aber nicht fristgerecht gestellt hat, wird angenommen, dass sie die Steuer auf die von ihr bewirkten steuerbaren Lieferungen und innergemeinschaftlichen Erwerbe sowie auf diejenigen von ihr in Anspruch genommenen steuerbaren Dienstleistungen schuldet, für die die Steuer vom Empfänger geschuldet wird:

1.      … für den Zeitraum ab Ablauf der Frist, innerhalb derer der Registrierungsbescheid hätte erlassen werden müssen, wenn die Person den Antrag auf Registrierung fristgerecht gestellt hätte, bis zum Tag der tatsächlichen Registrierung durch die für Einnahmen zuständige Stelle;

2.      … für den Zeitraum ab Ablauf der Frist, innerhalb derer der Registrierungsbescheid hätte erlassen werden müssen, wenn die Person den Antrag auf Registrierung fristgerecht gestellt hätte, bis zum Tag, an dem die Gründe für die Registrierung entfallen sind.

(4)      … In den Fällen von Art. 96 Abs. 1 Satz 2 wird zur Festsetzung der Steuerschulden einer Person, die verpflichtet war, einen Antrag auf Registrierung zu stellen, diesen aber nicht fristgerecht gestellt hat, angenommen, dass sie die Steuer auf steuerbare Lieferungen schuldet, mit denen sie den steuerbaren Umsatz von 50 000 BGN überschreitet, und zwar ab dem Tag der Überschreitung des Umsatzes bis zum Tag ihrer tatsächlichen Registrierung durch die für Einnahmen zuständige Stelle oder bis zum Tag, an dem die Gründe für die Registrierung entfallen sind. Auf die steuerbare Lieferung, mit der der Umsatz überschritten wird, wird die Steuer geschuldet. Die Person schuldet auch die Steuer auf die von ihr in Anspruch genommenen steuerbaren Dienstleistungen, für die der Empfänger die Steuer schuldet, sowie auf die in diesem Zeitraum bewirkten steuerbaren innergemeinschaftlichen Erwerbe.

…“

13      Art. 178 ZDDS sieht vor:

„Gegen einen Steuerpflichtigen im Sinne dieses Gesetzes, der verpflichtet ist, einen Antrag auf Registrierung oder einen Antrag auf Beendigung der Registrierung zu stellen, diesen aber nicht innerhalb der in diesem Gesetz festgelegten Fristen gestellt hat, wird (bei natürlichen, nicht gewerblich handelnden Personen) eine Geldbuße oder (bei juristischen Personen und Einzelkaufleuten) eine Geldstrafe in Höhe von 500 bis 5 000 BGN verhängt.“

14      Art. 180 ZDDS lautet:

„(1)      … Gegen eine registrierte Person, die entgegen ihrer Verpflichtung innerhalb der in diesem Gesetz vorgesehenen Fristen keine Steuer berechnet hat, wird (bei natürlichen, nicht gewerblich handelnden Personen) eine Geldbuße oder (bei juristischen Personen und Einzelkaufleuten) eine Geldstrafe in Höhe der nicht berechneten Steuer verhängt, mindestens jedoch in Höhe von 500 BGN. Bei Wiederholung des Verstoßes beträgt die Höhe der Geldbuße oder der Geldstrafe das Doppelte der nicht berechneten Steuer, mindestens jedoch 1 000 BGN.

(2)      Abs. 1 ist auch anzuwenden, wenn die Person keine Steuer berechnet hat, weil sie keinen Antrag auf Registrierung gestellt hat und sich nicht fristgerecht nach diesem Gesetz hat registrieren lassen.

(3)      … Hat die registrierte Person bei einem Verstoß gemäß Abs. 1 die Steuer innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats berechnet, in dem sie hätte berechnet werden müssen, beläuft sich die Geldbuße oder Geldstrafe auf 5 % der Steuer, mindestens jedoch auf 200 BGN und bei Wiederholung des Verstoßes mindestens auf 400 BGN.

(4)      … Hat die registrierte Person bei einem Verstoß gemäß Abs. 1 die Steuer nach Ablauf der in Abs. 1 festgelegten Frist, spätestens jedoch 18 Monate nach Ablauf des Monats berechnet, in dem sie hätte berechnet werden müssen, beläuft sich die Geldbuße oder Geldstrafe auf 10 % der Steuer, mindestens jedoch auf 400 BGN und bei Wiederholung des Verstoßes mindestens auf 800 BGN.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15      Legafact ist in der Unternehmensberatung tätig. Diese Gesellschaft war zunächst nicht für die Zwecke der Mehrwertsteuer registriert.

16      Am 21. August 2018 stellte sie vier Rechnungen mit dem Gegenstand „Vergütung aus dem Vertrag vom 30. November 2012“ in Höhe von insgesamt 114 708 BGN (etwa 58 600 Euro) aus, die als „Einnahmen aus Verkäufen von Dienstleistungen“ verbucht wurden.

17      Am 23. und 24. August 2018 stellte Legafact zwei weitere Rechnungen mit demselben Gegenstand und in einer Gesamthöhe von 57 004 BGN (etwa 29 100 Euro) aus, die in gleicher Weise verbucht wurden.

18      Am 3. September 2018 beantragte diese Gesellschaft die obligatorische mehrwertsteuerliche Registrierung. Die für Einnahmen zuständige Stelle erließ am 14. September 2018 einen Bescheid über die obligatorische Registrierung, mit dem die Gesellschaft mit Wirkung vom 19. September 2018 für die Zwecke der Mehrwertsteuer registriert wurde.

19      Die für Einnahmen zuständige Stelle stellte fest, dass mit der Ausstellung einer der Rechnungen vom 21. August 2018 über einen Betrag von 34 202 BGN (etwa 17 500 Euro) die Schwelle für den steuerbaren Umsatz von 50 000 BGN (etwa 25 600 Euro), ab der die mehrwertsteuerliche Registrierung obligatorisch sei, überschritten worden sei und dass die in dieser Rechnung ausgewiesene Lieferung nach Art. 102 Abs. 4 Satz 2 ZDDS steuerpflichtig sei.

20      Der für Einnahmen zuständigen Stelle zufolge hätte Legafact gemäß Art. 96 Abs. 1 Satz 2 ZDDS innerhalb von sieben Tagen ab dem Tag, an dem ihr steuerbarer Umsatz diese Schwelle erreicht habe, d. h. spätestens am 28. August 2018, einen Antrag auf mehrwertsteuerliche Registrierung stellen müssen, was sie nicht getan habe. Auf der Grundlage von Art. 102 Abs. 4 ZDDS war die genannte Stelle der Ansicht, dass die Gesellschaft für die steuerbaren Lieferungen, mit denen sie den steuerbaren Umsatz von 50 000 BGN (etwa 25 600 Euro) überschritten habe, ab dem Tag der Überschreitung bis zu dem Tag, an dem sie für mehrwertsteuerlich registriert worden sei, Steuer schulde.

21      Daher erließ die für Einnahmen zuständige Stelle am 27. Dezember 2019 einen Steuerprüfungsbescheid, mit dem sie für den Steuerzeitraum August 2018 eine Mehrwertsteuerschuld von Legafact in Höhe von 24 701,66 BGN (etwa 12 600 Euro) als Hauptforderung und 3 218,33 BGN (etwa 1 650 Euro) als Zinsen für von ihr bewirkte steuerbare Lieferungen ab dem 21. August 2018 bis zum Tag der tatsächlichen mehrwertsteuerlichen Registrierung festsetzte (im Folgenden: in Rede stehender Steuerprüfungsbescheid).

22      Nachdem der in Rede stehende Steuerprüfungsbescheid mit Entscheidung des Direktors vom 19. März 2020 bestätigt worden war, erhob Legafact gegen diesen Steuerprüfungsbescheid Klage beim Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia, Bulgarien).

23      Mit Urteil vom 30. Juni 2020 entschied der Konstitutsionen sad (Verfassungsgericht, Bulgarien) in einer anderen Rechtssache, in der er mit einem Antrag des Visshia advokatski savet (Oberster Rat der Anwaltschaft, Bulgarien) befasst war, dass Art. 102 Abs. 4 ZDDS mit der bulgarischen Verfassung vereinbar sei. Da diese Bestimmung vorsehe, dass die Mehrwertsteuer von Personen geschuldet werde, die aus einem von ihnen zu vertretenden Grund nicht mehrwertsteuerlich registriert seien, stelle sie zugunsten des Staatshaushalts die Erhebung einer Steuer sicher, die zu Unrecht nicht berechnet und vereinnahmt worden sei. Die Pflicht, in einem solchen Fall die Mehrwertsteuer zu entrichten, stelle keine Sanktion oder Strafe dar, sondern eine Entschädigung für den Schaden, der dem Staatshaushalt durch das rechtswidrige Verhalten eines Steuerpflichtigen entstanden sei.

24      Mit Urteil vom 23. September 2021 hob der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia) den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerprüfungsbescheid mit der Begründung auf, dass er unter Verstoß gegen das anwendbare materielle Recht und insbesondere gegen das Unionsrecht im Bereich des Mehrwertsteuerrechts in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean (C-183/14, EU:C:2015:454), erlassen worden sei.

25      Ungeachtet des Urteils des Konstitutsionen sad (Verfassungsgericht) vom 30. Juni 2020 war der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia) der Ansicht, dass Art. 102 Abs. 4 ZDDS im Fall der verspäteten Stellung des Antrags auf obligatorische mehrwertsteuerliche Registrierung Sanktionscharakter habe und dass die sich aus der Anwendung dieser Bestimmung ergebende Sanktion nach dem Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean (C-183/14, EU:C:2015:454), nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verhängt werden dürfe. Da im vorliegenden Fall Legafact die mehrwertsteuerliche Registrierung mit nur drei Tagen Verspätung beantragt habe und die Akten des Ausgangsverfahrens keine Anhaltspunkte für ein betrügerisches Verhalten der Gesellschaft; enthielten, sei die gegen sie verhängte Sanktion unverhältnismäßig.

26      Der Direktor legte gegen das Urteil des Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia) Kassationsbeschwerde beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, ein.

27      Das vorlegende Gericht stellt klar, dass Art. 102 ZDDS vom bulgarischen Gesetzgeber in Umsetzung der Art. 213 und 214 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlassen worden sei, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichteten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit grundsätzlich jeder Steuerpflichtige, der in ihrem jeweiligen Gebiet Lieferungen von Gegenständen bewirke oder Dienstleistungen erbringe, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug bestehe, eine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalte.

28      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass Art. 102 Abs. 4 ZDDS, der eine grundsätzlich von der Steuer befreite Lieferung der Mehrwertsteuer unterwerfe, wenn der Lieferer seine Pflicht zur fristgerechten Beantragung der mehrwertsteuerlichen Registrierung verletzt habe, keinen Sanktionscharakter habe, sondern vielmehr als materiell-rechtliche Vorschrift anzusehen sei, die in diesem Fall die Nichtanwendung der in Titel XII Kapitel 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Steuerbefreiung für Kleinunternehmen und die Entstehung einer Mehrwertsteuerschuld vorsehe.

29      Vor diesem Hintergrund hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Verstößt eine nationale Regelung, die bei der Steuerbefreiung nach Titel XII Kapitel 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie Steuerpflichtige je nach der Geschwindigkeit, mit der sie die Umsatzschwelle für die obligatorische mehrwertsteuerliche Registrierung erreichen, ungleich behandelt, gegen die Grundsätze des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in der Europäischen Union?

2.      Steht die Mehrwertsteuerrichtlinie einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Steuerbefreiung einer Lieferung nach Titel XII Kapitel 1 dieser Richtlinie von der fristgerechten Erfüllung der Pflicht des Lieferers zur Beantragung der obligatorischen mehrwertsteuerlichen Registrierung abhängt?

3.      Nach welchen, sich aus der Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie ergebenden Kriterien ist zu beurteilen, ob die genannte nationale Regelung, die das Entstehen einer Steuerschuld im Fall der verspäteten Stellung des Antrags auf obligatorische mehrwertsteuerliche Registrierung vorsieht, Sanktionscharakter hat?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

30      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer von einem Mitgliedstaat gemäß Art. 287 dieser Richtlinie erlassenen nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Gewährung der in dieser Richtlinie für Kleinunternehmen vorgesehenen Befreiung von der Mehrwertsteuer davon abhängt, dass ein Steuerpflichtiger, dessen Jahresumsatz oder dessen während eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Monaten erzielter Umsatz den für diesen Mitgliedstaat in dieser Bestimmung angegebenen Betrag übersteigt, innerhalb einer vorgeschriebenen Frist die mehrwertsteuerliche Registrierung beantragt.

31      Die Mehrwertsteuerrichtlinie gestattet den Mitgliedstaaten, ihre Sonderregelungen auf Kleinunternehmen anzuwenden, wie es im 49. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Vámos, C-566/16, EU:C:2018:321, Rn. 30).

32      Im vorliegenden Fall wurde die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, in Anwendung von Art. 287 Nr. 17 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlassen, wonach die Republik Bulgarien Steuerpflichtigen, deren Jahresumsatz den Gegenwert von 25 600 Euro in bulgarischen Leva nicht übersteigt, eine Steuerbefreiung gewähren kann.

33      Nach dieser Regelung sind die Steuerpflichtigen verpflichtet, innerhalb einer Frist von sieben Tagen die mehrwertsteuerliche Registrierung zu beantragen. Diese Frist läuft für die Gruppe der Steuerpflichtigen, die die Schwelle eines steuerbaren Umsatzes von 50 000 BGN innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten erreichen, ab dem Ende des Steuerzeitraums, in dem dieser Umsatz erzielt wurde, und für die Gruppe der Steuerpflichtigen, die diese Umsatzschwelle innerhalb eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Monaten erreichen, ab dem Tag, an dem dieser Umsatz erzielt wird.

34      Die Sonderregelung für Kleinunternehmen nach der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht Verwaltungsvereinfachungen vor, die die Gründung und Tätigkeit von Kleinunternehmen fördern und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken sowie ein angemessenes Verhältnis zwischen dem mit der Steueraufsicht verbundenen Verwaltungsaufwand und dem zu erwartenden geringen Steueraufkommen wahren sollen (Urteil vom 9. Juli 2020, AJPF Caraş-Severin et DGRFP Timişoara, C-716/18, EU:C:2020:540, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Hierzu ist festzustellen, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum hinsichtlich der Art und Weise der Anwendung dieser Sonderregelung einräumt.

36      Eine Verpflichtung wie die gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung, wonach die Steuerpflichtigen eine mehrwertsteuerliche Registrierung beantragen müssen, wenn ihr Jahresumsatz den in Art. 287 der Mehrwertsteuerrichtlinie für den betreffenden Mitgliedstaat vorgesehenen Betrag übersteigt, fügt sich grundsätzlich in diesen Wertungsspielraum ein und ermöglicht es, ein angemessenes Verhältnis zwischen dem mit der Steueraufsicht verbundenen Verwaltungsaufwand und dem zu erwartenden geringen Steueraufkommen zu wahren.

37      Was den Zeitpunkt betrifft, zu dem die Verpflichtung zur Beantragung einer mehrwertsteuerlichen Registrierung entsteht, schafft die in Rn. 33 des vorliegenden Urteils genannte nationale Regelung eine Ungleichbehandlung von zwei Gruppen von Steuerpflichtigen, nämlich denjenigen, die die betreffende Umsatzschwelle innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten erreichen, und denjenigen, die sie innerhalb eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Monaten erreichen. Im vorliegenden Fall steht fest, dass diese Ungleichbehandlung u. a. die Besonderheiten saisonaler Tätigkeiten berücksichtigt, in deren Rahmen die Umsatzschwelle, die die Registrierungspflicht auslöst, in einem kurzen Zeitraum schneller erreicht wird.

38      Daher fügt sich auch diese Ungleichbehandlung der beiden Gruppen von Steuerpflichtigen, die durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung geschaffen wurde, grundsätzlich in den Wertungsspielraum ein, den die Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten einräumt.

39      Demnach ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer von einem Mitgliedstaat gemäß Art. 287 dieser Richtlinie erlassenen nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach die Gewährung der in dieser Richtlinie für Kleinunternehmen vorgesehenen Befreiung von der Mehrwertsteuer davon abhängt, dass ein Steuerpflichtiger, dessen Jahresumsatz oder dessen während eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Monaten erzielter Umsatz den für diesen Mitgliedstaat in dieser Bestimmung angegebenen Betrag übersteigt, innerhalb einer vorgeschriebenen Frist die mehrwertsteuerliche Registrierung beantragt.

 Zur dritten Vorlagefrage

40      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Verstoß eines Steuerpflichtigen gegen die Verpflichtung, in den in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten Fällen fristgerecht die mehrwertsteuerliche Registrierung zu beantragen, zur Entstehung einer Steuerschuld führt.

41      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten zwar berechtigt, in ihren jeweiligen nationalen Rechtsordnungen u. a. geeignete Sanktionen dafür vorzusehen, die Nichteinhaltung der Verpflichtung zur Anmeldung zum Register der Mehrwertsteuerpflichtigen bestrafend zu ahnden, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, jedoch dürfen solche Sanktionen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Insoweit ist es Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob angesichts der Umstände des vorliegenden Falles und insbesondere angesichts des konkret verhängten Betrags und einer etwa vorliegenden Steuerhinterziehung oder Umgehung der geltenden Gesetze, die dem Steuerpflichtigen, dessen Versäumnis der Anmeldung geahndet wird, anzulasten wären, die Höhe der Sanktion über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die in der Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuer und in der Vermeidung von Steuerhinterziehungen bestehen. Dieselben Grundsätze gelten für Zuschläge, die, wenn sie den Charakter steuerlicher Sanktionen haben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, nicht außer Verhältnis zur Schwere des Verstoßes des Steuerpflichtigen gegen seine Pflichten stehen dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean, C-183/14, EU:C:2015:454, Rn. 51 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sanktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, sind u. a. die Art und die Schwere des Verstoßes, der mit dieser Sanktion geahndet werden soll, sowie die Methoden für die Bestimmung der Höhe dieser Sanktion zu berücksichtigen (Urteil vom 8. Mai 2019, EN.SA., C-712/17, EU:C:2019:374, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Ferner haben die Mitgliedstaaten bei der Wahl der Sanktionen den Effektivitätsgrundsatz zu beachten, der dazu verpflichtet, wirksame und abschreckende Sanktionen zur Bekämpfung von Verstößen gegen harmonisierte Regelungen auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer einzuführen und die finanziellen Interessen der Union zu schützen (Urteil vom 17. Mai 2023, Cezam, C-418/22, EU:C:2023:418, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Im vorliegenden Fall schulden zum einen, wie aus der Vorlageentscheidung und den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, Steuerpflichtige, deren Jahresumsatz die Schwelle überschreitet, ab der der Antrag auf Registrierung zwingend zu stellen ist, bei verspäteter Einreichung dieses Antrags nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung die Mehrwertsteuer auf steuerbare Lieferungen, die ab Ablauf der Frist von sieben Tagen, innerhalb derer der Registrierungsbescheid hätte erlassen werden müssen, bis zu ihrer Registrierung durch die für Einnahmen zuständige Stelle bewirkt wurden.

45      Diese Frist läuft ab dem Ende des Steuerzeitraums, in dem dieser Umsatz erzielt wurde.

46      Insoweit kann, wie die Europäische Kommission zu Recht ausgeführt hat, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung nicht als Sanktion im Sinne der in den Rn. 41 bis 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs angesehen werden, da sie nur die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Umsätze bezweckt, die während des Zeitraums bewirkt wurden, in dem diese Steuer berechnet worden wäre, wenn der Steuerpflichtige seiner Pflicht zur mehrwertsteuerlichen Registrierung innerhalb der vorgeschriebenen Frist nachgekommen wäre.

47      Zum anderen geht aus der Vorlageentscheidung und den dem Gerichtshof vorliegenden Akten auch hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung Steuerpflichtige, deren während eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Monaten erzielter Umsatz die betreffende Schwelle überschreitet, bei Nichterfüllung ihrer Pflicht, innerhalb einer Frist von sieben Tagen einen Antrag auf mehrwertsteuerliche Registrierung zu stellen, als Schuldner der Mehrwertsteuer auf steuerbare Lieferungen ansieht, die ab dem Tag der Überschreitung des Umsatzes bis zu dem Tag, an dem die Steuerpflichtigen von der für Einnahmen zuständigen Stelle registriert wurden, oder bis zu dem Tag, an dem die Gründe für die Registrierung entfallen sind, bewirkt wurden.

48      Für diese Steuerpflichtigen läuft die Frist ab dem Tag, an dem dieser Umsatz erreicht wird.

49      Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung in Bezug auf die in Rn. 47 des vorliegenden Urteils genannten Steuerpflichtigen eine Sanktion im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs vorsieht.

50      Zu diesem Zweck muss das vorlegende Gericht prüfen, ob diese Regelung zum einen den Grundsatz der Effektivität der Bekämpfung von Verstößen gegen harmonisierte Regelungen auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer beachtet und zum anderen gemäß der in den Rn. 41 bis 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt.

51      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung, wonach der Verstoß eines Steuerpflichtigen gegen die Verpflichtung, in den in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten Fällen fristgerecht die mehrwertsteuerliche Registrierung zu beantragen, zur Entstehung einer Steuerschuld führt, nicht entgegensteht, sofern diese Regelung – wenn und soweit sie sich nicht darauf beschränkt, die Mehrwertsteuer auf die Umsätze zu erheben, die während des Zeitraums bewirkt wurden, in dem diese Steuer berechnet worden wäre, wäre der Steuerpflichtige seiner Pflicht zur mehrwertsteuerlichen Registrierung fristgerecht nachgekommen – zum einen den Grundsatz der Effektivität der Bekämpfung von Verstößen gegen die harmonisierten Vorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer beachtet und zum anderen den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs genügt.

 Kosten

52      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

sie einer von einem Mitgliedstaat gemäß Art. 287 dieser Richtlinie in der geänderten Fassung erlassenen nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach die Gewährung der in dieser Richtlinie in der geänderten Fassung für Kleinunternehmen vorgesehenen Befreiung von der Mehrwertsteuer davon abhängt, dass ein Steuerpflichtiger, dessen Jahresumsatz oder dessen während eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Monaten erzielter Umsatz den für diesen Mitgliedstaat in dieser Bestimmung angegebenen Betrag übersteigt, innerhalb einer vorgeschriebenen Frist die mehrwertsteuerliche Registrierung beantragt.

2.      Die Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2009/162 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung, wonach der Verstoß eines Steuerpflichtigen gegen die Verpflichtung, in den in Rn. 1 des vorliegenden Tenors genannten Fällen fristgerecht die mehrwertsteuerliche Registrierung zu beantragen, zur Entstehung einer Steuerschuld führt, nicht entgegensteht, sofern diese Regelung – wenn und soweit sie sich nicht darauf beschränkt, die Mehrwertsteuer auf die Umsätze zu erheben, die während des Zeitraums bewirkt wurden, in dem diese Steuer berechnet worden wäre, wäre der Steuerpflichtige seiner Pflicht zur mehrwertsteuerlichen Registrierung fristgerecht nachgekommen – zum einen den Grundsatz der Effektivität der Bekämpfung von Verstößen gegen die harmonisierten Vorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer beachtet und zum anderen den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs genügt.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Bulgarisch.